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X.

 

Ei, laßt mich mit ihm zusammen sitzen. Er
scheint ein guter Soldat zu werden.

Shakespeare.

 

 

Barnstable wartete auf der Sandbank so lange, bis Dillon's und Coffin's Tritte nicht mehr gehört wurden, und dann befahl er seinen Leuten, wieder abzustoßen. Sie ruderten langsam der bezeichneten Bucht zu, wo Tom's Rückkehr erwartet werden sollte, und während dessen stiegen dem Lieutnant über die Rechtlichkeit seines Gefangenen die ersten Zweifel auf.

Jetzt war Dillon nicht mehr in seiner Gewalt. Die Einbildungskraft führte ihm aus dem Benehmen desselben in den lebhaftesten Farben mehrere kleine Umstände vor. Wohl ließen diese in sein Wort Zweifel setzen. Man langte indessen auf dem verabredeten Punkte an, und warf einen leichten Anker aus. Die Stimmung Barnstable's war, in Folge dieser Gedanken, äußerst mürrisch. Wir wollen ihn über seinen unangenehmen Gegenstand weiter nachdenken lassen und jetzt Herrn Dillon, so wie seinem furchtlosen, nichts Böses ahnenden Gefährten auf ihrem Wege nach St. Ruth folgen.

Die Dünste, auf welche Tom aufmerksam gemacht hatte, als er mit seinem Befehlshaber das Wetter besprach, schienen sich tiefer auf Erde herabgesenkt zu haben, und erschienen nun mehr, als dichter Nebel, der in dicken Massen nur von wenig Wind getrieben, über ihren Häuptern hing. Die dadurch entstandene Dunkelheit mehrte die nächtliche Finsterniß, und für einen, der mit der Umgegend weniger bekannt gewesen wäre, hätte es eine schwierige Aufgabe werden sollen, den Weg nach der Behausung des Obersten Howard zu finden. Nach einigem Suchen ward dies aber glücklich bewerkstelligt und mit raschen Schritten eilte der Jurist nach der Abtei.

»Ei, ei!« sagte Tom, der ihm nachging, und ohne sonderliche Anstrengung gleichen Schritt hielt; »Ihr Küstenmenschen habt es doch recht weg, Euern Curs zu halten, wenn Ihr einmal nach der Rhede gesteuert seyd. Ich wurde einmal von einem Schiffe, zu dem ich gehört hatte, in Boston ausgesetzt, und sollte mich nach Plymouth Ein Hafen in Massachusetts. D. Uebers. finden. Das ist eine Sache von funfzehn Seemeilen, oder so ungefähr. Nun ich fand in der Bai nichts, um hin zu fahren, und weil ich schon eine Woche still gelegen hatte, beschloß ich endlich, mich zu Lande einzuschiffen. Ich brauchte wohl ziemlich wieder eine Woche, um ein Boot zu suchen, wo ich die Ueberfahrt abverdienen konnte: denn Geld war bei dem alten Tom Coffin damals rar, wie jetzt, und wird es auch wohl bleiben, bis die Fischerei mehr abwirft. Aber es scheint, als hätte blos Euer Pferdefleisch und Euer Hornvieh und Eure Eselei das Recht, die Küstenboote über's Land zu schaffen. Kurz, ich mußte eine Wochenlöhnung für einen Platz hingeben, und von der Zeit an, wo wir in Boston lichteten, bis als wir in Plymouth einliefen, mit Brod und Käse verlieb nehmen.«

»Das war freilich eine unbillige Forderung bei einem Manne in Eurer Lage!« bemerkte Dillon in einem freundlichen, einschmeichelnden Tone, der wohl zeigte, daß er recht gern bereit sey, sich weiter zu unterhalten.

»Na ich war da so wie Passagier in der Kajüte!« fuhr Tom fort; »denn außer dem lieben Vieh, das ich erwähnte, gab's keinen Menschen, als den Steuermann. Der hielt aber auch guten Curs, und steuerte immer gerade darauf los; und um das Logbuch zu führen, waren immer Steine hingesetzt, die jede halbe Meile angaben. Uebrigens waren aber auch viele andere Marken da, daß ein Mann halbem Auge das Boot steuern und nicht gerade auf den Strand laufen konnte.«

»Ihr müßt Euch da, wie in einer neuen Welt gefühlt haben!« sagte Dillon.

»Ja, es war ungefähr so, als segelte ich in einem unbekannten Meere, ob ich schon eigentlich dort zu Hause war: denn ich bin an der Küste da geboren. Ich habe die Küstenmenschen oft sagen hören: 's sey so viel Erde, als Wasser in der Welt. Das ist aber, halt' ich dafür, eine blanke Lüge: denn ich bin mit vollen Segeln Monate lang gefahren, ohne so viel Land zu treffen, daß eine Möwe hätte ihre Eier darauf legen können. Aber das muß ich sagen, so zwischen Boston und Plymouth, hatten wir doch so ein Paar Schiffswachen lang keinen Tropfen Wasser.«

Dillon unterhielt das Gespräch sorgsam, bis sie an die Mauer kamen, welche den großen Park der Abtei einschloß. Der Bootsführer hatte ihm indessen demonstrirt, wie das Verhältniß des atlantischen Ozeans zum festen Lande Amerika's sey.

Dillon wollte nicht durch den Haupteingang gehen, dessen große Pforten gleich da lagen. Lieber folgte er den Krümmungen der Mauer nach einem Pförtchen, das, wie er wußte, Abends selten eher geschlossen wurde, bevor nicht die allgemeine Ruhezeit kam. Es führte der Weg hinter das Hauptgebäude zu den Seitenflügeln, und der Bootsführer folgte immer mit vertrauungsvoller Sicherheit, daß sein Gefährte den Weg kenne, es redlich meine. Die ungezwungene Unterhaltung, welche von der Küste bisher Statt gefunden hatte, war ohnedies seiner Dreustigkeit zu Hülfe gekommen. Als der Andere in einer Stube Halt machte, welche zu einer Kaserne für Borroughcliffe's Soldaten eingerichtet war, fand er darin gar nichts Besonderes. Dillon und der Sergeant sprachen Mehreres miteinander: doch dauerte es nur kurze Zeit, und dann bekam der Bootsführer von Dillon einen Wink, wieder mit ihm zu gehen. Endlich kamen sie durch die Thüre, welche sich den Mädchen geöffnet hatte, als sie die Gefangenen aufsuchten, in die Abtei selbst. Es ging durch verschiedene enge Gänge derselben, und Tom ward in seiner Meinung, daß die Schifffahrt zu Lande so leicht sey, bereits ein Wenig irre. Bald gelangte er mit Dillon in eine lange, finstere Gallerie, die sie an eine halbgeöffnete Thür brachte, welche in ein schön erleuchtetes, bequemes Zimmer zu blicken erlaubte.

Rasch schritt Dillon darauf zu, und der Bootsführer hatte nun die ganze Ansicht von dem, was wir schilderten, als wir den Obersten Howard dem Leser unter gleichen Umständen vorführten. Das Kohlenfeuer brannte hell, die großen Kerzen leuchteten, die Mahagony-Möbeln glänzten, und der Madera funkelte, wie in jener Scene: nur war die Zahl der Theilnehmer am Mahle verschieden. Der Hausherr und Borroughcliffe saßen einander gegenüber, und sprachen über die Vorfälle des Tages, indem sie sich die glänzende Flasche, welche das von beiden so geschätzte Naß enthielt, hin und her zuschoben, daß sie in jedem Augenblicke leichter wurde.

»Wenn nur Dillon zurückkommen wollte!« rief der Oberst, der mit dem Rücken nach der Thüre saß; »seine Stirn, wie es der Fall seyn wird, oder seyn sollte, mit Lorbeer geschmückt! Ich wäre der glücklichste alte Narr in dem Staate Sr.Majestät!«

Der Kapitain, der wohl eingesehen hatte, ein unnatürliches Gelübde, das er früh seinem Durste auflegte, sey durch die Gefangennehmung aller Feinde gelöst, zeigte mit der einen Hand nach der Thüre, indem die andere nach der Flasche mit dem edlen Trank »von der Südseite« griff.

»Da!« rief er, »da ist der Kazike, und seine Stirn, die das Diadem erwartet! Und wen hat er in seinem Gefolge? Weiß Gott, wenn Ihr eine solche Grenadierkompagnie zusammenbringt, beneidet Euch der alte Friedrich von Preußen darum. Ein ächter Sechsfüßler in Strümpfen, wie sie die Natur gegeben hat, und die Arme so einzig, wie die Waffe, die sie führen!«

Der Oberst hörte kaum die Hälfte von dem Allen, sondern drehte sich gleich um, und sah den so sehnlich Erwünschten, der nun mit einer Freude empfangen wurde, die um so größer war, je unverhoffter er erschien. Mehrere Minuten mußte Dillon nun eine Menge Fragen anhören, die der Alte an ihn that, und welche er mit kluger Umsicht beantwortete. Sie wurde allerdings zum Theil von der Gegenwart des Beischiffsführers bedingt.

Tom stand mit der größten Kaltblütigkeit, auf seine Harpune gestützt, an der Thüre, und musterte Alles, was er sah, mit einer Miene, worin sich Verwunderung mit Verachtung sonderbar zu einander gesellte. Allerdings hatte er so kostbare Geräthe und Wände noch nicht gesehn.

Borroughcliffe kümmerte es gar nicht, was Dillon und sein Wirth mit einander heimlich sprachen. Beider Unterhaltung wurde immer lebhafter, und zog sie endlich in eine Ecke des Zimmers. Er machte sich endlich die Abwesenheit des Obersten ungebührlich zu Nutze, und schüttete ein Glas nach dem andern hinunter, als habe die Pflicht zu trinken, bei der Entfernung des andern, doppelt auf ihm gelegen. Sah er ja einmal von dem Rubinroth des Glases weg, das er immer mit unverhohlner Bewunderung anstaunte; so geschah es nur, um den langen Bootsmann anzuschauen, dessen Länge und Stärke wohl den Blick eines Werbeoffiziers fesseln konnte. Endlich ward er doch von seinen Freunden aufgefordert, auf das doppelte Wohlbehagen zu verzichten, und an ihrem Kriegsrathe Theil zu nehmen.

Dillon hatte nicht nöthig, ihm das Mährchen zu erzählen, womit er den Obersten zu täuschen wußte. Der Alte war voll Freuden, als ihm die ganze beabsichtigte Verrätherei in einer Art mitgetheilt wurde, wo sie im Lichte einer zu rechtfertigenden Kriegslist und eines unerschütterten Eifers für die Sache Sr. Majestät erschien. Kurz, Tom sollte als Gefangener zurückbehalten, Barnstable's Mannschaft überfallen werden, und dann dasselbe Geschick theilen.

Freilich schlug Dillon die Augen nieder, als ihn Borroughcliffe fest ansah, indem er Lobpreisungen hörte, womit der Oberst seines Vetters Thätigkeit erhob. Indessen auch des Kapitains Gewissen beschwichtigte sich bald, da er wieder den gar nichts Arges denkenden Gefangenen musterte, welcher immer noch im Zimmer umher gukte, und in seiner Unschuld dachte: Alles, was hier geflüstert wurde, sey nichts, als die Vorkehrung und Verabredung, ihn mit Griffith zusammen zu bringen.

»Drill!« sagte endlich Borroughcliffe laut, »tritt vor und parire Ordre.«

Der Beischiffsführer drehte sich schnell bei dem unvermutheten Aufrufe um, und sah jetzt zum ersten Male, daß ihm auf der Gallerie ein Unteroffizier mit vier Mann gefolgt war.

»Nimm den Mann in die Wachstube!« lautete der Befehl des Kapitains, »und füttere ihn gut, und gieb Acht, daß er nicht vor Durst umkommt!«

In der Weisung war nichts, was bedenklich lautete. Tom folgte den Soldaten auf einen Wink des Kapitains. Allein der Zuruf: »Halt!« brachte Alle wieder zum Stehen.

»Alles wohlbedacht!« sagte Borroughcliffe wieder zu seinem Korporal, indem jeder befehlshaberische Ton vergessen war, »so ist es besser, wenn Du den Ehrenmann auf mein Zimmer bringst, und sorgest, daß er da Alles bekommt.«

Der Korporal zeigte durch eine pfiffige Miene, wie er die Meinung seines Offiziers wohl verstanden habe. Der Letztere war mit dieser stummen Sprache vertraut. Indem er zur Flasche wieder zurückkehrte, folgte der alte Tom seinem Führer willig und rasch, besonders da ihm immer wieder von der Mahlzeit gesagt wurde, die ihn dort erwarten sollte.

Zum Glück für seine Ungeduld waren auch die Zimmer des Kapitains ziemlich in der Nähe, und die versprochene Mahlzeit blieb keineswegs lange aus. Das Zimmer, wohin man ihn gebracht hatte, ging auf eine kleine Gallerie, welche wieder mit der erwähnten großen zusammenhing. Die Mahlzeit aber bestand aus einem zwar kalten, doch trefflichen Stück Rostbeef, dem Lieblingsgerichte der Engländer, mit welchem die Küche des Obersten immer versehen war. Der Sergeant hatte den Wink seines Kapitains, auf das Gehirn des Bootsmanns einen Sturm zu wagen, recht gut verstanden, und mischte mit eigner Hand ein Getränk, das er Grog nannte, in einer Menge, welche, seiner Meinung nach, das Thier, welches jetzt unter Tom's Zähnen endete, lebte es, und wär' es noch in seiner Kraft gewesen, selbst niedergeworfen hätte. Doch jede Berechnung, die auf die Gebrechlichkeit von Toms Gehirn im Verhältniß zum Jamaica-Reiz begründet war, erwies sich als thöricht. Er schluckte Glas für Glas mit außerordentlichem Wohlbehagen hinunter, aber ohne im Mindesten aus dem Zirkel zu kommen. Dagegen wurden die Augen des Sergeanten, der doch auch fühlte, seine Pflicht heische, dem Tranke Ehre anzuthun, bereits trübe, als zum Glück für sein Talent, ein Tappen an der Thüre ihm die Ankunft des Kapitains anzeigte, und ihm den Verdruß ersparte, von einem Recruten niedergetrunken zu seyn.

Borroughcliffe befahl gleich seinem Korporal, sich zu entfernen, und bemerkte:

»Herr Dillon wird Dir sagen, was Du zu thun hast, und dem gehorchst Du blindlings!«

Drill hatte noch genug Einsicht behalten, um wohl zu merken, wie zornig der Offizier würde, sollte er seinen Zustand entdecken. Er eilte also gleich hinaus, und der Beischiffsführer war nun mit dem Kapitain allein.

Die kräftigen Angriffe auf den Rest von Rostbeef, machten allmälig dem Wohlbehagen Platz, das noch im Gaum vorwaltet, wenn der Trieb des Hungers selbst gestillt ist. Er saß auf einem Koffer von Borroughcliffe, da ihm der Gebrauch eines Stuhles ganz zuwider war, den Teller auf dem Schooß. Sein Taschenmesser arbeitete in den Fragmenten des Ochsens fast so niedlich, wie das Mädchen in der Tausend und Einen Nacht ihren Reis mit der Nadel aufgestochert haben mag. Der Kapitain setzte sich zu ihm, und knüpfte ein Gespräch in einer Art an, die, zieht man den Unterschied des Standes in Betracht, unendliche Herablassung und Vertraulichkeit verrieth.

»Nun, ich hoffe doch,« sagte er, »Du bist zu Deiner Zufriedenheit bewirthet worden, Lieber – – ja, ich muß sagen, wie Du heißt, weiß ich nicht.«

»Tom,« half der Bootsmann nach, und stellte schmatzend eine Musterung der Reste auf dem Teller an. »Die Matrosen nennen mich immer den langen Tom.«

»Du bist mit tüchtigen Leuten gefahren, mit guten Seeleuten, sie verstehen sich auf die Breite sehr gut. Aber Du – hast doch auch einen Familiennamen, ich meine, einen andern Namen noch?«

»O ja, Coffin Tom nennen sie mich halt immer, wenn es Etwas zu thun giebt, als z. B. aufzuhissen, einzureffen; langer Tom, sagen sie, wenn sie Spaß machen wollen, und Wind und Wetter dient; der lange Tom Coffin heiß' ich, wenn sie mich anrufen wollen, daß Keiner von meinen Vettern, die etwa da sind, antwortet: denn ich denke immer, daß Keiner von ihnen über einen Faden Drei Ellen. hält, und wenn man auch vom Maste bis zum Kiele mißt.«

»Du bist ein braver Kerl!« rief der Kapitain. »Es thut mir wehe, wenn ich denke, zu welchem Schicksal Dich die Verrätherei des Herrn Dillon consignirt hat!«

Hatte Tom ja irgend einen Verdacht gehabt, – durch die Art, wie man ihn bewirthete, war er verscheucht. Allein diese zweideutige Bemerkung machte ihn doch wieder rege. Er knüpfte erst wieder die Bekanntschaft mit dem Kruge Grog an, und dann erwiederte er ganz einfältig:

»Ich bin an Niemanden consignirt. Denn ich führe hier keine Fracht als den Herrn Dillon, der mir entweder den Lieutnant Griffith herausgeben oder als mein Gefangner wieder auf den Ariel gehn muß.«

»Ach, guter Freund, Ich fürchte, wenn es zum Herausgeben kommt, wird er weder das Eine noch das Andere thun!«

»Aber ich will verdammt seyn, wenn er nicht Eins von beiden thut. Mein Befehl lautet, darauf zu sehn, daß er entweder wieder mitgeht, oder Herr Griffith, der für seine Jahre ein Seemann ist, wie je Einer das Verdeck betrat, die Anker lichtet, um von dem Platze wegzukommen.«

Borroughcliffe that, als säh' er den guten Tom mit vieler Theilnahme an; eine Mühe, die aber bei dem Bootsführer, dessen Nerven durch das fleißige Nachtrinken ihre glücklichste Stimmung erreichen, ganz verloren ging. Derselbe Genuß hatte seine gute Laune erhöht, obschon sein Mangel an aller Falschheit ihn auch nicht leicht dieselbe bei Andern vermuthen ließ. Der Kapitain merkte wohl, er müsse deutlich sprechen – und erneuerte daher den Angriff in kräftiger Art.

»Es thut mir leid, daß ich Dir sagen muß, auf den Ariel darfst Du nicht zurück, und Dein Kommendant wird, ehe eine Stunde um ist, hier als Gefangener eingebracht. Wirklich Dein Schooner ist genommen, ehe der Morgen anbricht!«

»Wer soll ihn denn nehmen?« fragte der Beischiffsführer mit einem spöttischen Lächeln, das aber doch schon vor dem angedrohten Unglück zu weichen begann.

»Du wirst wissen, er liegt gleich unter dem schweren Geschütz einer Batterie, die ihn in zwei Minuten in den Grund bohren kann. Ein Bote ist gleich abgeschickt, den Kommendanten der Batterie mit dem wahren Charakter des Ariel bekannt zu machen, und da der Wind bereits von der See herkommt, ist seine Flucht nicht möglich.«

Die Wahrheit mit ihren schrecklichen Folgerungen, leuchtete bereits allmälig den Sinnen des langen Tom ein. Er erinnerte sich an seine eignen Prophezeiungen von dem Wetter und der hülflosen Lage des Schooners, der kaum die Hälfte seiner Mannschaft hatte und der Obhut eines – Knaben überlassen war, während der Kommendant selbst in der Gefahr schwebte, Gefangener zu werden. Der Teller fiel ihm vom Schooß auf die Erde herab. Sein Haupt sank auf die Knie. In den beiden großen Händen verhüllte er sein Antlitz, und trotz allen Gegenbestrebungen, seine Erschütterung zu verbergen, heulte er am Ende laut auf.

Für einen Augenblick waltete Borroughcliffe's besseres Gefühl vor, als er ein Zeuge von dem Jammer eines Mannes war, auf welchen die Zeit bereits ihr Recht geltend machte. Doch die Gewohnheit seit Jahren, Opfer für den Krieg zusammen zu treiben, gewann bald die Oberhand, und der Werbeoffizier dachte jetzt nur an seinen Vortheil.

»Ich nehme wirklich von Herzen an den armen Teufeln Antheil. Sie sind durch List oder mißverstandenen Pflichteifer auf böse Wege gerathen, und werden nun so, mit den Waffen in Hand gegen ihren Herrn, gefangen. Und da das auf der Insel von Großbritannien selbst geschieht; so muß ein Beispiel gegeben werden, Andere abzuschrecken. Ich fürchte, wenn sie nicht mit dem König Frieden schließen; so werden sie Alle zum Tode verurtheilt!«

»Sie sollen mit Gott Frieden schließen! Euer König kann nur wenig thun, das Logbuch es Mannes in Richtigkeit zu bringen, wenn er von der Wache hier auf der Welt abgerufen wird!«

»Wenn sie sich aber mit denen verstehen, die die Gewalt in Händen haben; so können sie doch begnadigt werden?« erinnerte der Kapitain, und beobachtete mit scharfem Blicke, welchen Eindruck wohl diese Worte auf seinen Mann machen würden.

»Es ist ziemlich gleich, wenn man des Bootsmanns Pfeife hört, die das Zeichen zum Wegnehmen der Hängematte für's letzte Mal im Leben giebt. Man tritt seine Wache in einer andern Welt an, wenn es hier nicht mehr geht. Aber Holz und Eisen, das so gebaut ist, wie der Ariel, in fremde Hände kommen zu sehn, das kann einen Menschen lange peinigen, falls auch sein Name längst aus der Schiffsliste gestrichen wurde. Lieber wollt' ich, zwanzig Schüsse hätten mein altes Wrak zertrümmert, als daß nur einer in den Rumpf des Schooners ginge.«

»Nun, ich kann mich auch irren,« bemerkte Borroughcliffe, dem Scheine nach gleichgültig. »Anstatt Euch zum Tode zu verurtheilen, steckt man Euch vielleicht auf ein Gefangenschiff; da könnt ihr Euch denn ein, zehn oder funfzehn Jahre lustig machen!«

»Was? Kamerad!« schrie Tom mit Schrecken. »Ein Gefangenschiff, sagt Ihr? Nun, da könnt Ihr melden, daß sie sich die Ausgabe für die Ration eines Mannes ersparen können, wenn sie ihn niederschießen lassen. Der ist der alte Tom Coffin.«

»Ja, wer kann für ihre Launen stehn. Sie können heute ein Dutzend von Euch als Rebellen niederschießen lassen. Morgen sehen sie Euch dagegen als Kriegsgefangene an, und senden Euch auf die Pontons für zwölf Jahre.«

»Nun, so sag' ihnen, Bruder, daß ich ein Rebelle bin. Du wirst keine Lüge sagen. Sag' Ihnen, daß ich seit Manly's Manly war einer der ersten und besten Heerführer in N. A's Heeren. D. Ueb. Zeit in Bostonbai bis jetzt für Amerika's Sache gefochten habe! Ich hoffe, der Kadet wird den Ariel in die Luft sprengen. Das wär' der Tod für den armen Richard Barnstable, wenn er ihn in den Händen der Engländer sähe.«

»Ich weiß nur ein Mittel;« rief Borroughcliffe, und schien nachzudenken, »aber nur eines. Es kann Euch von der Gefangenschaft auf dem Schiffe retten. Denn, bei Lichte besehn – zum Tode werden sie Euch nicht verdammen!«

»Und das ist?« fragte der Bootsführer und stand in augenscheinlicher Unruhe auf. »Liegt es in Menschenhand; so soll es versucht werden!«

»Nun,« sagte der Kapitain, und legte vertraulich die Hand auf Tom's Schulter, der ihm mit der gespanntesten Erwartung zuhörte; »es ist leicht zu brauchen, und an sich gar nicht etwa abschreckend. Pulver zu riechen, hast Du gelernt, und weißt, nach Rosenessenz schmeckt es nicht?«

»Ja, doch, ja!« rief der ungeduldige Seemann. »Ich habe es vor der Nase gehabt, kaum ein Paar Stunden her!«

»Was ich Dir vorschlage, ist also für einen Mann, wie Du, nichts, gar nichts. Nicht wahr, Du findest den Rostbeef gut und den Grog süß?«

»Ja doch; Alles ist gut! Aber was gilt das einem alten Seemann!« rief der Bootsführer aus, und faßte, ohne es selbst zu wissen, in seiner Angst Borroughcliffe am Kragen. »Was soll denn eigentlich geschehen?«

Der Kapitain zeigte bei der unerwarteten Vertraulichkeit keinen Verdruß. Er lächelte freundlich, als er die Batterie demaskirte, hinter der er sich bis jetzt verborgen gehalten hatte.

»Sieh,« sagte er, »Du darfst nur unserem König dienen, wie Du bisher dem Kongreß gedient hast; und mich laß den Mann seyn, der Dir die rechte Fahne zeigt.«

Der Bootsführer starrte den Sprecher mit großen Augen an: allein es war klar, er verstand nicht vollkommen, was ihm eigentlich vorgeschlagen wurde, und darum fuhr der Kapitain fort:

»Rein herausgesprochen, laß Dich von meiner Kompagnie anwerben, hübscher Bursche! und Leben und Freiheit sollen Dir gewährt sein!«

Tom lachte darüber nicht laut auf: denn so weit ließ er seiner Laune selten den Zügel schießen; aber jeder Zug seines verbrannten Gesichts sprach bittern Spott und Verachtung aus.

Borroughcliffe fühlte, wie die eisernen Finger, die seinen Halskragen hielten, allmälig die Gurgel gleich einem Bande, zuschnürten. Mit einer Kraft des Armes, der nicht zu widerstehen war, sah er sich langsam zum Seemann hingezogen, und als Beider Gesichter nur noch eine halbe Elle von einander waren, machte der Letztere seinen Gefühlen Luft.

»Erst kommt ein Bootsmann!« rief er, »und dann ein Matrose! Erst kommt der Matrose und dann der Passagier! Erst kommt der Passagier und dann der Hund! Aber ein Hund besser, als Einer von Euren Soldaten!«

Und als diese Worte gesprochen waren, streckte er den kräftigen Arm in einer Art aus, daß, indem nun zugleich seine Finger ihre Beute fahren ließen, Borroughcliffe in einem fernen Winkel, unter einer Masse von Stühlen, Tischen und anderm Geräthe lag, wo er wieder allmälig zur Besinnung kam. Wie er aber aus dieser beschämenden Lage empor zu kommen suchte, fiel seine Hand auf's Degengefäß, und rasch war die Klinge heraus.

»Warte, Schurke!« rief er, die blanke Waffe schwingend, und fest auf den Füßen wieder, »Du mußt lernen, wer Du bist!«

Der Bootsführer aber ergriff seine Harpune, die an der Wand lehnte, und hielt die eiserne Spitze kaum zwölf Zoll von der Brust seinem Gegner mit einem Ausdrucke entgegen, der diesem wohl die große Gefahr begreiflich machte.

An Muth fehlte es ihm jedoch nicht. Die erfahrne Beleidigung hatte ihn aufgeregt. Er versuchte es, die fremde Waffe seines Feindes zu beseitigen. Aber dem leichten Schlage seines Degens folgte gleich eine rasche Bewegung der Harpune, durch die sich Borroughcliffe außer Stand zu fechten gesetzt, und ganz der Gnade seines Feindes Preis gegeben sah. Tom's Blutgier schwand mit dem errungenen Vortheil. Er lehnte die Waffe hin, ging auf seinen Gegner los, und packte ihn mit der einen Hand. Ein einziger Griff, bei dem der Kapitain gleich fühlte, gegen die Kraft eines Mannes, welcher ihn wie ein Kind schüttelte, sey nicht aufzukommen, entschied die Sache. Er ergab sich also geduldig in's Schicksal, und jetzt brachte der Beischiffsführer Klafterschnure, aufgedrechselte Tau-Endchen und dicken Bindfaden in einer Menge heraus, als ob er ein ganzes Fahrzeug auszurüsten gedächte. Das Nächste war, damit den Besiegten an die Bettpfosten zu binden, und dies geschah mit der Kaltblütigkeit, die seit dem Anbeginn der Feindseligkeiten nicht gestört worden war, mit einem Stillschweigen, das durch kein Wörtchen unterbrochen wurde, mit einer Geschicklichkeit, der nur ein Seemann gewachsen seyn konnte.

Als die Operation vorbei war, hielt Tom einen Augenblick an, und schaute ringsherum, als suche er etwas. Der entblößte Degen fiel ihm zuerst in's Auge. Er nahm ihn auf, und ging nun bedächtig damit auf seinen Gefangenen los, der in der Angst nicht wahrnahm, wie der Bootsmann die Klinge am Gefäß abgebrochen und dies bereits mit etwas Klafterschnure durchzogen hatte.

»Um Gotteswillen!« flehte der Kapitain. »Morde mich nicht so mit kaltem Blute!«

Allein das silberne Gefäß ging in den Mund, aus dem diese Worte gekommen waren, und der Kapitain fühlte bald, als der dünne Strick über den Nacken ein Paar Mal hin- und herging, er sey jetzt gerade in der Lage, zu welcher er manchmal seine Leute verurtheilte, wenn sie dienstwidrig handelten. Er war mit Einem Worte – geknebelt.

Tom schien jetzt auf alle Rechte eines Siegers Anspruch zu machen. Er nahm das Licht und untersuchte auf's Genaueste alle die kostbaren Dinge, welche seiner Willkür Preis gegeben waren. Vieles, was zur Equipage eines Offiziers gehörte, wurde besehen und mit großer Verachtung weggeworfen. Manche einfachere Gegenstände schienen dem Sieger nicht Werth genug zu haben. Zwei Dinge von einem gewissen Metall, das Jedermann kennt, fand er endlich, wo ihn die Ungewißheit, was damit bezweckt würde, augenscheinlich in Verlegenheit setzte. Die Gabelgestalt dieser seltenen Sache wurde an's Handgelenke, an die Knöchel, selbst an die Nase gebracht, die kleinen Räder dahinter wurden neugierig und sorgfältig in Bewegung gesetzt, wie ein Wilder etwa eine Uhr handhaben würde. Endlich schien doch bei dem ehrlichen Seemann der Gedanke aufzukommen, die Dinge gehörten wohl zu den unnützen Lappalien von einem Soldaten, und so warf er sie als ganz werthlos hin.

Borroughcliffe beobachtete jede Bewegung seines Gegners, und freute sich so darüber, daß Beide bald vollkommen einig geworden seyn würden, hätte er nur die Hälfte seiner Gefühle aussprechen können. Mit Vergnügen sah er dann auch, daß seine Lieblingssporen gerettet waren. Er hätte gern gelacht: allein der Versuch dazu erregte beinahe Ersticken.

Endlich fand der Seemann ein Paar hübsche Pistolen: eine Waffe, mit der er vollkommen vertraut war. Sie waren geladen, und das erinnerte ihn, wie er an den Abzug denken müsse, und in welchen Gefahren der Ariel und sein Kommendant schwebte. Rasch wurden sie in den leinwandnen Gürtel gesteckt. Er nahm die Harpune und näherte sich dem Bette, an welches Borroughcliffe gefesselt war.

»Höre, Freund,« sagte er, »der liebe Gott möge es Dir verzeihen, wie ich es thue, daß Du einen Seemann, einen Mann, der auf dem Wasser schwamm, als er eine Stunde alt war, und der darauf zu sterben, und darin sein Grab zu finden hoffte, zum Soldaten machen wolltest. Ich wünsche Dir nichts Böses, Freund, aber den Pfropf mußt Du schon in der Kehle behalten, bis einer von Deinen Bootsleuten kommt; das wird aber wohl nicht eher seyn, als bis ich in die See gestochen bin!«

Mit diesem freundschaftlichen Wunsche ging Tom fort, und ließ dem Kapitain das Licht, und den ungestörten Besitz der Stube, obschon die Lage desselben nichts weniger, als beneidenswerth war. Er hörte das Schloß abschnappen, und Schlüssel rasseln, den Tom abzog: zwei Vorsichtsmaßregeln, die wohl zeigten, der Sieger denke klüglich darauf, seinen Rückzug zu sichern, indem der Besiegte wenigstens einige Zeit lang festgehalten wurde.


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