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II.

 

Wie der Löw’ aus seiner Höhle
Stets dem Feind’ entgegeneilt,
Fliegt auch Douglas, daß als Sieger
Keiner länger vor ihm weilt.

Percy.

 

 

Alix Dunscombe fand den Gefangenen, welchen sie aufsuchte, nicht, wie Griffith, in Schlaf versunken. Er saß auf einem der alten Stühle, die in dem Gemache waren, den Rücken nach der Thüre zu, und schaute durch das kleine Fenster in die finstere, düstere Landschaft hinaus, über welche der Sturm noch immer hin wüthete. Ihr Eintreten blieb ihm unbemerkt, bis das Licht ihrer Lampe sein Auge traf. Da stand er auf, als erwache er aus seinem Nachsinnen, und ging ihr entgegen. Er sprach zuerst.

»Ich erwartete diesen Besuch!« sagte er, »als ich bemerkte, daß Ihr meine Stimme kanntet, und fühlte es tief in meiner Brust: Alix Dunscombe wird nicht mich verrathen!«

Zwar hatte Alix nur erwartet, ihre Vermuthung bestätigt zu sehn. Aber doch war sie außer Stande, gleich darauf zu antworten. Sie sank auf den Stuhl, den er verlassen hatte, und bedurfte einiger Augenblicke, um ihre Kräfte wieder zu erhalten.

»So war es denn keine Schöpfung meiner Phantasie!« rief sie endlich. »Keine leere Stimme täuschte mich! Es ist schreckliche Wirklichkeit! Warum hast Du so der Rache der Gesetze unsers Vaterlandes Trotz geboten? Zu welchem wilden Unternehmen hat Dich Dein unbeugsames Herz wieder jetzt hingerissen?«

»Seltsam und grausam ist die Sprache, die mir aus dem Munde meiner Alix Dunscombe entgegentönt!« erwiederte der Fremde kalt und rauh. »Ich weiß die Zeit, wo ich mit freundlicheren Worten nach kürzerer Abwesenheit empfangen wurde.«

»Das läugne ich nicht. Ich kann, wenn ich auch wollte, meine Schwäche nicht mir, nicht Dir verbergen. Kaum wünsche ich, daß sie der Welt unbekannt bleibe. Wenn ich Dich einst achtete, wenn ich Dir meine Treue verpfändete, und in meinem thörichten Vertrauen höhere Pflichten vergaß, so hat mich Gott für meine Schwäche durch Deine eignen bösen Thaten hart bestraft.«

»O laß doch unser Wiedersehn nicht durch unnütze und bittere Erinnerungen gestört werden!« unterbrach der Andere. »Wir haben ja uns viel zu sagen, bevor Du mir den Grund zu dem Wagstücke mittheilst, das Dich hierher führt. Ich kenne Dich zu gut, Alix, als daß ich nicht einsehe, Du fühltest, in welcher Gefahr ich sey, und so wolltest Du etwas für meine Rettung wagen. Deine Mutter – Lebt sie noch?«

»Sie ist hin, wiedervereinigt mit meinem Vater!« war die Antwort von Alix, die ihr blasses Gesicht mit beiden Händen bedeckte. »Mich haben sie allein gelassen. Ja, allein! Denn der, der mir Alles seyn sollte, ward erst seinem Worte untreu, und ist seitdem meines Herzens unwerth geworden.«

Der Fremde ward ungemein unruhig. Sein gewöhnlich sanfter Blick, der vorher zur Erde gerichtet war, heftete sich jetzt auf Alix. Mit schnellen Schritten maß er das Zimmer.

»Es ließ sich darüber viel sagen!« brach er endlich aus. »Viel und was Du noch nicht weißt! Ich verließ dies Land, weil ich nichts, als Tyrannei und Ungerechtigkeit, darin fand, und Dich konnte ich nicht einladen, die Braut eines Flüchtlings zu werden, der weder Namen noch Vermögen hatte. Doch jetzt ist die Gelegenheit gekommen, Dir meine Treue zu beweisen. Allein bist Du, hörte ich so eben. Sey nicht länger allein! Versuche, wie weit Du vom Wege abkommst, wenn Du glaubst, ich könne Dir eines Tages Vater und Mutter ersetzen!«

So eine Aeußerung, selbst, wenn sie spät Statt findet, hat für das weibliche Ohr etwas Wohlthuendes. Auch Alix sprach nun mindestens weniger bitter, wenn auch nicht weniger ernsthaft.

»Du redest nicht gleich dem Manne, dessen Leben an einem Faden hängt, welcher in der nächsten Minute reißen kann!« erwiederte sie. »Wohin wolltest Du mich führen? In den Tower nach London?«

»Glaubst Du, ich habe mein Leben unbesonnen ohne hinreichenden Schutz gewagt?« fragte der Fremde mit kalter Gleichgültigkeit. »Es sind gar viele wackere Männer, welche nur auf meinen Wink warten, die erbärmlichen Wichte dieses Offiziers hier wie Würmer mit Füßen zu treten.«

»So ist also die Vermuthung des Obersten Howard doch gegründet, und die Art, wie des Feindes Schiffe durch diese Klippen gekommen sind, ist kein Geheimniß mehr. Du bist ihr Lootse gewesen!«

»Ich war’s!«

»Wie! die Kenntniß, die Du in Deiner schuldlosen Jugend erworben hast, willst Du opfern, die Zerstörung über die Hütten Derer zu bringen, welche Du einst kanntest und achtetest? John! John! Ist das Bild des Mädchens, als es in dem Lenze seiner Schönheit und Unschuld glaubte, von Dir geliebt zu werden, so schwach in Deinem Herzen abgedrückt, daß es Dich nicht zum Mitleid gegen Die stimmen kann, unter denen es geboren ist, und die seine kleine Welt ausmachen?«

»Nicht ein Haar soll ihnen gekrümmt werden, nicht ein Rohrdach abbrennen, nicht eine schlaflose Nacht soll die Geringsten derselben heimsuchen, und das Alles Deinetwegen, Alix! England geht in diesen Streit mit einem bösen Gewissen und blutigen Händen. Aber Alles soll vergessen seyn für jetzt, wenn sich Gelegenheit und Kraft zeigt, ihm unsere Rache in seinen eignen Eingeweiden fühlen zu lassen. Ein solches Abenteuer führt mich aber jetzt nicht her.«

»Wer brachte Dich denn blindlings in das Netz, aus dem Dich alle die Hülfe, auf die Du pochst, nicht retten mag? Denn wenn ich selbst hier, in den düstern, schweigenden Gängen dieses finstern Gebäudes Deinen Namen nennen wollte, der Ruf davon würde im ganzen Lande wiederhallen, und ein ganzes Volk in Waffen aufstehn, Deine Kühnheit zu bestrafen.«

»Mein Name hat getönt und auf keine angenehme Weise!« erwiederte der Lootse spöttisch. »Ein ganzes Volk war bestürzt darüber. Aber die feigen, erbärmlichen Wichte flohen vor dem Manne, den sie beleidigt hatten. Ich habe gelobt, die Paniere der neuen Republik stolz, im Angesichte dreier Königreiche, aufzupflanzen, wo Kunst und Erfahrung und Macht sich umsonst anstrengten, sie umzustürzen. Ach, Alix! Der Donner meines Geschützes hallet noch an ihren östlichen Gestaden wieder, und wird ihre schlafenden Landmilizen eher einschüchtern, als zum Kampfe locken.«

»O blähe Dich nicht mit dem Erfolge des Augenblickes auf, nicht damit, daß der Himmel Deinem heillosen Beginnen Segen gab!« sagte Alix. »Es muß ein Tag schwerer und strenger Vergeltung kommen. Schmeichle Dich nicht mit der leeren Hoffnung, daß Dein Name, so schrecklich er den Tugendhaften seyn mag, allein hinreiche, den Gedanken an Weib und Kind, an Vaterland und Verwandte, bei Allen, die ihn hören, zu verbannen. Ja, ich weiß nicht, ob ich nicht in diesem Augenblicke selbst, wo ich Dich höre, eine feierliche Pflicht vergesse, sie, die mir sagt, daß ich Dein Dasein kund thun müsse, damit das Land erfahre, sein unnatürliches Kind sey eine gefährliche Bürde im eignen Busen geworden!«

Der Lootse wandelte auf und ab. Er sah ihr forschend ins Auge.

»Das könnte Alix Dunscombe thun?« sagte er mit dem sanften Ton eines Mannes, sich vor Verrath gesichert hält. »Das sollte dem sanften, edlen Mädchen gleichen, wie ich es in meiner Jugend gekannt habe? – Doch, noch einmal! Die Drohung könnte bei mir ihren Zweck nicht erreichen; selbst, wenn Du im Stande wärst, sie auszuführen. Ich sage Dir, nur eines Zeichens bedarf es, rings um mich soviel zu sammeln, daß alle diese Soldatenhunde nach den vier Winden verjagt werden.«

»Hast Du auch Deine Kräfte genau berechnet, John?« fragte Alix, und verrieth, sich selbst unbewußt, den großen Antheil, den sie an seiner Sicherheit nahm. »Hast Du berechnet, wie wahrscheinlich es ist, daß Dillon mit einer Reuterschaar zurückkehrt, so bald die Sonne am Himmel glänzt? Denn in der Abtei ist es kein Geheimniß, er sey nach dieser Verstärkung ausgeritten.«

»Dillon!« rief der Lootse staunend. »Wo ist er? Welche Vermuthung bewog ihn, die Wache hier so zu vermehren?«

»O, John, blicke nicht so auf mich, als wolltest Du die Geheimnisse meines Herzens durchschauen. Ich habe ihn nicht zu diesem Ritte bestimmt. Ach und Du kannst auch nicht einen Augenblick glauben, daß ich Dich verrathen würde. Aber fort ist er! das steht leider nur zu fest, und Du mußt die Stunde der Gnade wohl benutzen, um Deine Sicherheit zu bewerkstelligen: denn die Nacht geht schnell dahin.«

»Für mich fürchte nichts, gute Alix;« erwiederte hierauf der Lootse stolz, während ein erzwungenes Lächeln um die Lippen spielte. »Und doch – gefällt mir diese Vorkehrung nicht. Wie heißt er? Dillon? Ist er nicht ein Liebling des Königs Georg?«

»Er ist, was Du nicht bist, ein treuer und loyaler Unterthan seines höchsten Gebieters, des Königs, und ob er gleich in den empörten Kolonieen geboren ward; hat er doch diese Tugend, mitten unter den Verderbnissen und Versuchungen seiner Zeit, unbefleckt erhalten.«

»Ein Amerikaner, und ungetreu der Freiheit des Menschengeschlechts! Beim Himmel! ihm wäre zu rathen, daß er mir nicht in den Weg kommt: denn erreicht ihn mein Arm; so soll er ihn der Welt als ein Schauspiel zeigen, wie Verrätherei bestraft wird?«

»Wie?« rief Alix, »hat die Welt dies Schauspiel nicht an Dir selbst? Bist Du nicht jetzt, in dem Augenblicke, wo Du die Luft des vaterländischen Bodens athmest, mit verzweifelten Plänen gegen seinen Frieden und sein Glück hierher gekommen, und spähst darum in der Finsterniß des Nebels umher, der sich auf das Eiland lagert?«

Ein finsterer, zorniger Blick flammte im Auge des Lootsen, und sein ganzes Wesen schien ergriffen.

»Stellst Du,« sagte er, »seine feige und selbstsüchtige Verrätherei, die nur Einigeauf Kosten von Millionen groß machen will, in Eine Linie mit dem edlen Feuer, das den Mann zum Kampfe treibt, wenn es gilt, die heilige Freiheit zu vertheidigen? Ich könnte Dir sagen, daß ich auch für die gemeinschaftliche Sache meiner Freunde und Landsleute bewaffnet bin; daß wir, obschon ein Meer uns scheidet, ein Volk von gleichem Blute sind; daß wir Kinder desselben Stammes waren; daß die Hand, welche Eines dieser Kinder unterdrückt, auch den Andern schadet. Aber alle solche engherzige Gründe verachte ich. Auf dem Erdball geboren, will ich ein Bürger von diesem seyn: ein Mann, dessen Geist keine willkührlichen Schranken der Tyrannen und ihrer Miethlinge anerkennt, wohl aber das Recht und den Willen hat, mit der Unterdrückung zu kämpfen, sie werde geübt, in wessen Namen sie wolle; sie nehme eine leere, und glänzende Gestalt an, welche sie wolle, ihre Tyrannei gegen das Geschlecht der Menschen zu rechtfertigen!«

»John! John! Wohl mag dies dem Ohre eines Rebellen angenehm tönen; mir erscheint es nur als Ausbruch des Wahnsinns! Umsonst baut Ihr Eure neuen Gesetze, oder besser Eure Gesetzlosigkeit auf. Sie zerstören Alles. Sie sind Allem entgegen, was die Welt immer that, und zu ihrem Frieden, ihrem Glück gethan seyn wird. Was vermag Deine künstliche, trügende Darstellung gegen das Herz? Es sagt das Herz uns, wo unsere Heimath ist, und wie wir sie lieben sollen!«

»Du sprichst gleich einem schwachen, mit Vorurtheilen erfüllten Weibe!« entgegnete ihr der Lootse ruhiger; »wie ein Weib, das ganze Völker durch die Bande halten möchte, mit welchen die Jugend und Schwäche ihres Geschlechts gegängelt wird.«

»O welche heiligere, bessere Bande könnten sie vereinigen! Sind nicht die Verhältnisse des häuslichen Lebens von Gott selbst gegründet? Entstanden nicht Völker aus Familien, wie der Zweig aus dem Stamme entspringt, bis der Baum das Land überschattet? Ein altes, heiliges Band fesselt den Menschen an sein Volk, und Niemand kann dasselbe ohne Brandmarkung zerreißen!«

Der Lootse lächelte mitleidig, und knöpfte seine grobe Jacke auf, um mit stolzem Anstande nach und nach mehrere Papiere herauszuziehen, die er ihr hinreichte.

»Sieh', Alix,« sagte er, »da bekommst Du das Brandmahl! Dies große Pergament ist mit einem nicht geringen Siegel versehn, und trägt den königlichen Namen Ludwig’s. Sieh’ dieses Kreuz, geschmückt mit Juwelen, ein Geschenk von derselben mächtigen Hand; dies kann nicht den Kindern der Ehrlosigkeit gegeben werden. Es ist unweise, nicht schicklich, einen Mann, den man selbst nicht unwürdig fand, ihn in die Gesellschaft der Prinzen und Großen aufzunehmen, mit dem beschimpfenden Namen des »Schottischen Seeräubers« zu bezeichnen.«

»Und ward Dir dieser Name nicht durch unbarmherzige Thaten bitterer Rache? Ich könnte diese Ehrenzeichen küssen, und wären sie tausend Mal minder glänzend, wenn Dir die Hand Deines angestammten Königs die Brust damit geschmückt hätte. Was Deinen Umgang mit Großen anbetrifft: – ich habe davon gehört, und mir scheint es, wohl könne eine Königinn besser handeln, als daß sie durch ihr Lächeln die ungehorsamen Unterthanen anderer Monarchen, selbst wenn sie ihre Feinde sind, aufreizt. Gott allein weiß, wenn es ihm gefällig ist, den Geist des Ungehorsams auch in ihrem eigenen Volke zu erwecken, und dann wird der Gedanke, daß sie selbst die Rebellion gefördert habe, ihr bitter und unwillkommen zugleich seyn!«

»Daß die liebenswürdige Königinn Antoinette meine Dienste mit einem kleinen Beweise ihrer Gnade und Zufriedenheit belohnte, ist nicht mein geringster Ruhm!« bemerkte der Lootse mit erkünstelter Demuth, indeß sich innerer Stolz in der kecken Stellung aussprach. »Sag' kein Wort zu ihrem Nachtheil! Du kennst die Herrliche nicht, die Du verunglimpfst. Ihre hohe Geburt, ihre hohe Stellung, zeichnen sie weniger aus, als ihre Tugend, ihre Liebenswürdigkeit. Sie lebt als die erste ihres Geschlechts in Europa; als die Tochter eines Kaisers, die Gemahlinn des mächtigsten Königs, als die lächelnde, geliebte Schützerinn eines Volks, das zu ihren Füßen liegt und anbetet. Ihr Leben ist über jeden Tadel, wie über jede irdische Ahndung, wenn sie jemals solche verdienen sollte, erhaben, und die Vorsehung hat sie so hoch gestellt, daß kein menschliches Unglück sie erreichen kann!«

»Hat sie sie über alle menschliche Mißgriffe erhoben? John! Strafe ist die natürliche und unvermeidliche Folge der Sünde, und wenn die Königinn nicht ganz dem Kreise der Menschen entrückt ist: wohl mag sie dann auch ein Mal die strafende Hand Dessen fühlen, für welchen alle ihre Macht und Herrlichkeit so nichtig sind, als die Luft, welche sie athmet. So unbedeutend scheint dies Alles, mit Seinen gerechten Gesetzen verglichen! – Doch Du rühmst Dich, den Saum des Gewandes von Frankreichs Königinn geküßt zu haben, in Gesellschaft der hohen, stolzen Damen in ihrer vollen Pracht gewesen zu seyn: kannst Du denn Dir selbst wohl sagen, daß Du unter ihnen Allen ein Wesen gefunden hast, welches Wahrheit sprach, dessen Herz aufrichtig mit dem Munde übereinstimmte?«

»Nun, keine hat mir soviel Vorwürfe gemacht, als ich diese Nacht von Alix Dunscombe, nach einer Trennung von sechs langen Jahren höre!«

»Wenn ich mit Dir Worte der Wahrheit rede, John, laß sie Dir darum nicht so unwillkommen seyn, als sie Deinem Ohre fremd sind! O denke, daß die, welche so im Tone des Tadels mit einem Manne spricht, dessen Name allen Lebenden auf dieser Insel schrecklich ist, durch keine andere Ursache bewogen werde, diesen raschen Schritt zu thun, als Deine Seele zu retten!«

»Alix! Alix! Du machst mich wahnsinnig durch solche Worte! Bin ich denn ein Ungeheuer, das schutzlose Weiber, hülflose Kinder in Schrecken setzt? – Was sollen diese Beinamen, womit man meinen Namen begleitet? Hast Du auch ein leichtgläubiges Ohr den verächtlichen Verläumdungen geliehen, womit die Politik Eurer Großen jeden Ruhm derer zu vernichten sucht, die ihnen Widerstand leisten, besonders wenn sie dies mit Erfolg thun? Schrecklich mag mein Name den Offizieren der königlichen Flotte seyn. Aber wo und wenn hab' ich Gelegenheit gegeben, den Hülflosen und Schwachen furchtbar zu erscheinen?«

Alix warf auf den Lootsen einen furchtsamen, verstohlnen Blick. Er sprach mehr als ihre Worte.

»Ich weiß nicht,« sagte sie, »ob alles wahr ist, was man von Dir und Deinen Thaten sagt. Oft habe ich in meinem Unmuthe, meiner Sorge gebetet, daß nur der zehnte Theil alles dessen, was man Dir Schuld giebt, bei der letzten großen Rechnung nicht auf Dein verfallenes Haupt gehäuft werde. John! ich kenne Dich lange und hinlänglich, und der Himmel verhüte es, daß ich bei dieser Zusammenkunft, die vielleicht die letzte in unserm Leben ist, die Pflicht der Christinn über die Schwäche des Weibes vergessen sollte! Aber, John, so ruhig Du manchmal, ja, ich sage meistentheils, so sanft Du, gleich der spiegelglatten See, bist, welche Du je befahren hast: doch hat Gott in Dein Herz eine furchtbare Mischung von Leidenschaften gelegt, die, einmal erwacht, gleich dem Süd-Meer brausen, wenn es ein Orkan erregt hat. Ich vermag nicht zu sagen, wie weit dieser böse Sinn einen Mann treiben kann, den erlittenes Unrecht dahin bringt, daß er Heimath und Vaterland vergißt, und dem die Macht zufiel, seine Rache zu sättigen.«

Aufmerksam hörte der Lootse zu. Sein feuriges Auge schien die innersten Gedanken zu lesen, die sie nur halb andeutete. Doch er blieb seiner mächtig. Mehr theilnehmend, als tadelnd, bemerkte er:

»Könnte irgend etwas mich zu Deinen friedlichen, sanften Ansichten stimmen, Alix; so wäre es der Gedanke, daß auch Du durch die verläumderische Zunge meiner feigen Feinde verleitet warst, meine Ehre, mein Benehmen in Zweifel zu ziehen. Was ist der Ruhm, wenn ein Mann selbst in den Augen seiner nächsten Freunde verunglimpft steht? Doch weg mit diesen kindischen Possen! Sie sind unwürdig meiner selbst, meines Postens, der geheiligten Sache, welcher ich mich gewidmet habe!«

»Ach, John, stoße sie nicht von Dir, diese Gedanken!« flehte Alix mit inniger Theilnahme, und, ohne es selbst zu bemerken, ihre Hand auf seinen Arm legend. »Sie gleichen dem Thau auf der dürren Weide, und mögen die Gefühle Deiner Jugend erwecken, Dein Herz erweichen, das hart geworden ist, weil es mehr unnatürliche Nachsicht, als eigne niedrige Neigung verhärtete!«

»Höre, Alix!« erwiederte der Lootse mit feierlichem Ernst, »ich habe diese Nacht viel gelernt, ob ich schon nicht kam, solche Kenntniß zu suchen. Du hast mir gezeigt, wie mächtig der Athem eines Verläumders, und wie dünn das Band ist, an welchem unser guter Name hängt. Wohl zwanzig Mal hab' ich den Miethlingen unsers Königs in offener Schlacht Trotz geboten, und immer kämpfte ich männlich unter der Fahne, die ich zuerst hoch aufpflanzte, und nie, Gott sey gedankt dafür! einen Zoll tief erniedrigt sah. Keine Handlung der Feigheit, des erlittenen Unrechts, kann ich mit bei allen diesen Thaten vorwerfen, und doch – wie werde ich belohnt? Die Zunge eines niedrigen Verläumders vermag mehr, als das Schwert des Kriegers, und hinterläßt unheilbarere Wunden!«

»Wahrer hast Du nie gefühlt, John! und Gott gebe, daß Du diese Gedanken zu Deinem ewigen Wohl immer wärmer und wärmer pflegst!« seufzte Alix. – »Du sagst, in zwanzig Schlachten habest Du Dein theures Leben Preis gegeben. Nun sieh', wie wenig Gunst hat Himmel gegen die Häupter der Rebellion bewiesen? Niemals, sagt man, hat die Welt verzweifeltern, blutigern Kampf gesehn, als den letzten, der Deinen Namen bis in die äußersten Winkel der Insel gebracht hat.«

»Wo man von Seeschlachten redet, wird man ihn nennen!« unterbrach sie der Lootse, dessen Düsterheit einem stolzen Blicke gewichen war.

»Und doch kann Dein eingebildeter Ruhm nicht Deinen Namen gegen Verläumdung schützen! Der Lohn des Siegers kommt, selbst dieser Erde, nicht dem gleich, den der Besiegte empfing. Weißt Du, daß unser gnädiger Fürst Deines Feindes Sache für so heilig hielt, ihn seiner königlichen Gunst zu würdigen?«

»Ja, er hat ihn zum Ritter geschlagen!« rief der Lootse hohnlachend und spöttisch aus. »Aber er soll nur wieder ein Schiff führen und mir begegnen? Ich verspreche ihm eine Grafschaft, wenn es nur darauf beruht, daß er besiegt wird.«

»Sprich nicht so rasch! Rühme Dich nicht, als besäßest Du eine Macht, die Dich schützt! Sie kann Dich verlassen, wo Du ihrer am Meisten nöthig hast, und den Unfall am Wenigsten erwartest! Nicht immer gewinnt der Starke die Schlacht, und der schnellste Läufer erreicht keineswegs stets das Ziel!«

»Vergiß nicht, gute Alix, daß Deine Worte einer doppelten Deutung fähig sind. Ist in jener Schlacht der Sieg dem Starken geblieben? Zwar will ich nicht läugnen, oft und mehrmals sind mir die Feigen durch ihre Gewandtheit entflohen: – Alix, Du kennst nur den tausendsten Theil der Qualen, die ich unter hochgebornen Schurken fühlen muß, welche mir jedes Verdienst beneiden, das sie nicht auch haben, jede ruhmvolle Handlung beschneiden, die sie nicht nachzuahmen wagen. Bin ich nicht auf den Ozean geschleudert, wie ein werthloses Schiff, das zu einem verzweifelten Versuche bestimmt ist, und dann unter den Trümmern, die es schuf, verloren gehn kann? Wie manches boshafte Herz triumphirte im Stillen, wenn es meine Segel aufgebläht sah, und glaubte, sie würden mich zum Galgen leiten oder ins Grab des Meeres versenken! Doch immer täuschte ich sie!«

Das Auge des Lootsen ließ nichts mehr von seinem gefaßten, ruhigen Wesen spüren. Wild und ungestüm blitzte es umher.

»Ja, bitterlich habe ich sie getäuscht!« fuhr er fort. »Der Sieg über meine niedergeschmetterten Feinde ist nichts gegen die innige Freude, die mich ohne Maaß über diese falschen und feigen Heuchler erhob! Ich bat, ich flehte die Franzosen, mir das kleinste ihrer Schiffe zu geben, wenn es nur vom Fernsten einem Kriegsschiffe ähnlich sey. Ich stellte vor, die Klugheit und das Bedürfniß heische, mir solche Unterstützung zu gewähren. Aber Neid und Eifersucht raubten mir, was mir gebührt, und mehr als die Hälfte meines Ruhmes. Seeräuber heiße ich! Kommt mir dieser Name zu; so ward er mehr durch die schmutzige Knickerei meiner Freunde, als durch irgend eine Handlung gegen meine Feinde begründet!«

»Und sollte denn solche Erinnerung Dich nicht treiben, zur Pflicht zu kehren, die Du Deinem Fürsten, Deinem Vaterlande schuldig bist?« fragte Alix sanft.

»Fort mit solchem niedrigen Gedanken!« fiel der Lootse schnell ein, als fühle er die Schwäche, die er verrathen habe. »In seinen Werken zeigt sich der Mann! – Doch zu Deinem Besuche! Ich habe die Macht, mich und meine Gefährten aus diesem ekelhaften Gewahrsam zu befreien, möchte es aber Deinetwegen nicht gewaltsam thun. Weißt Du Mittel, es in Ruhe zu bewirken?«

»Wenn der Morgen kommt, sollt Ihr Alle in das Zimmer geführt werden, wo wir zuerst uns sahen. Miß Howard's Bitten werden dies unter dem Schein des Mitleids, der Gerechtigkeit, dem Vorgeben bewirken, mit Eurer Lage bekannt zu werden. Man wird ihren Wunsch nicht abschlagen, und indessen Eure Wache außen steht, wollen wir Euch durch die Gemächer des Flügels an ein Fenster bringen, aus dem Ihr leicht herabsteigen könnt. Ein Wäldchen ist in der Nähe. Von da aus müßt Ihr Eure Sicherheit selbst zu finden wissen.«

»Und wenn Dillon, von dem Du sprachst, die Sache durchschauen sollte: wie willst Du denn vor dem Gesetze die Begünstigung unserer Flucht verantworten?«

»Ich glaube, er läßt sich nicht träumen, wer unter den Gefangenen ist;« sagte Alix sinnend, »ob er schon einen Deiner Gefährten erkannt hat. Es treibt ihn mehr ein Privatverhältniß, als die Sache des Staats.«

»Ich glaube, etwas davon bemerkt zu haben!« erwiederte der Lootse mit einem Lächeln, das die Züge, die seine unbezähmbare Leidenschaft ausdrückten, in einer Art überflog, wie wenn das letzte Aufflackern eines Brandes die zusammenstürzenden Ruinen wahrnehmen läßt. »Der junge Griffith hat mich durch seine thörichte Unbesonnenheit von meinem geraden Pfade abgebracht, und es ist seine Schuld, daß seine Geliebte einige Gefahr läuft. Mit Dir aber, liebe Alix, steht die Sache anders. Du bist hier nur ein Gast. Es ist nicht nöthig, daß Du an der unglücklichen Begebenheit Antheil nimmst. Sollte mein Name bekannt werden; so würde dieser Auswurf von Amerika, der Oberst Howard, alle die Gunst, die er durch Vertheidigung der Tyrannei und ihrer Sache erwarb, vonnöthen haben, um gegen das Mißfallen der Minister geschützt zu seyn.«

»Ich fürchte mich nur, der Beurtheilung meiner Freundinn so eine kitzliche Sache allein zu überlassen!« bemerkte Alix, den Kopf schüttelnd.

»Vergiß nicht; sie hat zu ihrer Rechtfertigung die Liebe. Wolltest Du aber der Welt wohl sagen, daß Du noch mit Zärtlichkeit des Mannes gedenkst, den man mit falschen entehrenden Beinahmen belegt?«

Eine flüchtige Röthe überflog die blasse Wange der sanften Alix.

»Ich wüßte nicht,« sagte sie mit kaum hörbarer Stimme, »warum der Welt eine solche Schwäche Geheimniß bleiben sollte, wenn sie auch selbst nicht mehr vorhanden ist.«

Sie ward wieder bleich, wie der Tod; aber ihr Auge glänzte noch ungewöhnlich.

»Sie können mir,« fuhr sie fort, »nur das Leben nehmen, und das geb' ich Deinetwegen gern hin.«

»Alix!« rief der Lootse weich, »meine gute, edle Alix!«

Man hörte in diesem entscheidenden Augenblicke das Pochen der Wache. Ohne auf Antwort zu warten, trat der Soldat herein, und erklärte in zwei Worten, wie nothwendig es für die Dame sey, das Zimmer zu verlassen. Alix und der Lootse machten etliche Vorstellungen. Sie wünschten gern noch Einiges über die beabsichtigte Flucht zu verabreden. Aber die Furcht, selbst in Strafe zu kommen, machte den Soldaten unbeugsam, und die Besorgniß, überrascht zu werden, bestimmte Alix, sich zu fügen. Sie stand auf, und ging langsamer aus dem Gemache. Der Lootse küßte ihre Hand.

»Ehe ich die Insel für immer verlasse, sehen wir uns wieder!« raunte er ihr in's Ohr.

»Morgen früh; im Zimmer von Miß Howard!« entgegnete sie in gleicher Weise.

Noch ein Druck der Hand, und sie schwand aus dem Zimmer. Die ungeduldige Wache schloß zu und steckte den Schlüssel ein. Der Gefangene lauschte erst, bis er keinen Fußtritt mehr hörte: dann schritt er unruhig auf und ab. Bisweilen hielt er ein, und sah, wie die Wolken dahin trieben, wie die sausenden Eichen schwankten, und im Sturme ihre breiten Aeste wogten. Nach wenig Minuten hatte der Sturm seiner Leidenschaft der verzweiflungsvollen stillen Ruhe Raum gemacht, die ihn zu dem Manne stempelte, der er war. Er setzte sich wieder, wie ihn Alix gefunden hatte, und überdachte die Ereignisse der frühern Zeit, wovon der Uebergang zu neuen kühnen Plänen von gewaltigen Folgen nur eine gewöhnliche Beschäftigung seines rastlosen, thätigen Geistes war.


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