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XX

 

Fort, zögern wir nicht länger beim Gesang,
Denn mancher steile Pfad steht uns bevor.

Byron

 

Als der Frühling sich langsam näherte, begannen auch die ungeheuren Schneemassen, die durch den Wechsel von Frost und Tauwetter und durch wiederholte Stürme eine ungemeine Festigkeit erhalten hatten, dem Einfluß milderer Winde und einer wärmeren Sonne zu weichen. Hin und wieder schienen sich sogar die Pforten des Himmels zu öffnen und ihre milde Luft über die Erde zu ergießen, um die beseelte und die leblose Natur aus ihrem Winterschlaf zu wecken, so daß, wenn auch nur für wenige Stunden, dem Auge die Heiterkeit des Lenzes von jedem Feld entgegenlächelte. Dann übten aber wieder die schneidenden Nordwinde ihren ertötenden Einfluß auf die Gegend, und schwarze düstere Wolken, welche die Strahlen der Sonne auffingen, ließen den Wechsel um so schmerzlicher empfinden. Diese Kämpfe der Natur wurden täglich häufiger, während die Erde, gleichsam das Opfer des Streites, langsam den heitern Schmuck des Winters verlor, ohne den des Frühlings zu gewinnen.

Mehrere Wochen wurden in dieser unlustigen Weise zugebracht, während welcher die Einwohner der Gegend allmählich von den Geschäften des Winters zu den mühsameren der folgenden Jahreszeit übergingen. Im Dorf drängten sich nicht mehr fremde Gäste; der Handel, der in den letzten Monaten die Läden belebt hatte, begann flau zu werden; die Landstraßen verwandelten ihre glänzenden festgetretenen Schneerinden in einen fast unwegsamen Kot und ließen nichts mehr von den heiteren und lärmenden Reisenden blicken, die sich den Winter über mit ihren Schlitten darauf getummelt hatten, – mit einem Wort, alles schien auf eine gewaltige Umwandlung hinzudeuten, welche nicht nur die Erde, sondern auch diejenigen betraf, die aus ihrem Schoße die Quellen des Wohlstandes ableiteten.

Die jüngeren Glieder der Familie im Herrenhaus, denen man auch Luise Grant beizählen konnte, waren keineswegs gleichgültige Zuschauer bei diesem langsamen und schwankenden Wechsel. Solange der Schnee die Straßen in brauchbarem Zustand erhielt, hatten sie die Freuden des Winters in reichlichem Maße genossen, indem sie nicht nur Tag für Tag Ausflüge über die Berge und durch die Täler im Bereich von zwanzig Meilen machten, sondern auch auf dem Spiegel des gefrorenen Sees viele Gelegenheit zur Belustigung fanden. Richard jagte seine vier Pferde mit Windeseile über die eisige Glasrinde hin, die nach jedem Tauwetter sich wiederherstellte. Dann fanden auch die aufregenden und gefährlichen ›Kreiseltänze‹ auf dem Eis statt. Reiber oder Handschlitten, von einem einzigen Pferd gezogen, das die Herren auf ihren Schlittschuhen antrieben, kamen gleichfalls an die Reihe, – kurz, es wurde alles aufgeboten, was die Langeweile eines Winters in den Bergen vertreiben konnte. Elisabeth mußte ihrem Vater gestehen, daß ihr mit Hilfe seiner Bibliothek die Jahreszeit weit angenehmer dahinschwinde, als sie erwartet hatte.

Da Bewegung in der freien Luft für die Familie gewissermaßen nötig war, so bediente man sich statt anderer Transportmittel der Sattelpferde, wenn der beständige Wechsel zwischen Frost und Tauwetter die schon zur günstigsten Jahreszeit ziemlich gefährlichen Wege für Wagen unpassierbar machte. Die Damen machten dann auf kleinen und sicheren Tieren Ausflüge in die Berge und die entlegensten Täler, wo nur irgend der Unternehmungsgeist eines Ansiedlers eine Wohnung geschaffen hatte. Bei diesen Gelegenheiten wurden sie, je nachdem es die Geschäfte gestatteten, von einem oder von einigen Herren der Familie begleitet. Der junge Edwards fand sich stündlich mehr in seine Lage und nahm nicht selten mit einer Sorglosigkeit und Heiterkeit, die für eine Weile alle trüben Erinnerungen aus seiner Seele bannen mochte, an der Gesellschaft teil. Gewohnheit und der leichte Sinn der Jugend schienen die Oberhand über die geheimen Quellen seiner Unruhe zu gewinnen, obgleich es nicht an Augenblicken fehlte, da seinen Verkehr mit Marmaduke derselbe auffallende Ausdruck von Widerwillen begleitete, der sich ihren Gesprächen in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft beigemischt hatte.

Es war am Schluß des Monats März, als es dem Sheriff gelang, sein Bäschen und ihre Freundin zu überreden, ihn nach einem Hügel zu begleiten, der auf eine eigentümliche Weise über den See hinausragen sollte.

»Dann können wir auch anhalten, Bäschen Elisabeth«, fuhr der unermüdliche Richard fort, »und Billy Kirbys Zuckerpflanzung in Augenschein nehmen. Er wohnt an dem östlichen Ende von Ransoms Gut und macht Zucker für Jared Ransom. Niemand in der ganzen Gegend versteht sich so gut aufs Kochen wie dieser Kirby. Du erinnerst dich, Duke, daß ich ihn anfangs in unserm eigenen Feld verwendete; da ist es natürlich kein Wunder, daß er seine Sache versteht.«

»Billy ist ein guter Holzfäller«, bemerkte Benjamin, der den Zügel des Pferdes hielt, während der Sheriff aufstieg, »und handhabt seine Axt ebensogut wie ein Backmann seinen Marlpfriem oder ein Schneider sein Bügeleisen. Man sagt ihm nach, er könne allein einen Pottaschekessel aus dem Gemäuer nehmen, obgleich ich nicht behaupten will, daß ich es mit eigenen Augen gesehen habe; aber die Leute sagen so. Ich habe Zucker aus seiner Fabrik gesehen, der vielleicht nicht so weiß war wie ein altes Bramsegel, von dem aber meine Freundin, die Jungfer Prettybones, sagte, er schmecke wie der beste Sirup; und Sie wissen recht wohl, Squire Dickens, daß Jungfer Remarkable einen remarkablen Zahn für Süßigkeiten in ihrem Nußknackergesicht stecken hat.«

Das laute Gelächter, welches dieser Witz Benjamins veranlaßte, und in das er selbst in nicht gar harmonischen Tönen miteinstimmte, war bezeichnend für die Sinneseinheit, welche zwischen diesem edlen Paar herrschte. Das Treffende davon ging jedoch für die übrige Gesellschaft verloren, die eben die Pferde bestieg oder den Damen Beistand leistete. Als alles wohlbehalten im Sattel saß, ging der Zug in schönster Ordnung durch das Dorf. Man machte einen Augenblick vor Monsieur Le Quois Tür halt, der sofort gleichfalls sein Pferd bestieg; und nachdem man die kleine Häusergruppe hinter sich hatte, schlug die Gesellschaft eine der Hauptstraßen ein, die sich in der Mitte des Dorfes kreuzten.

Das Eis, welches jede Nacht mit sich brachte, taute im Lauf des Tages auf, und so sahen sich die Reiter genötigt, einzeln hintereinander am Saum des Weges hinzuziehen, wo der Rasen und die Festigkeit des Bodens den Pferden sicher aufzutreten gestatteten. Es waren noch wenige Anzeichen von Vegetation zu sehen, und die Erde bot noch immer einen kalten, feuchten und unerfreulichen Anblick, bei dem einem das Blut in den Adern erstarrte. Schneeflecken waren noch in den meisten Lichtungen der Berghänge zu sehen, aber hin und wieder ließ sich auch ein Stück freies Feld blicken, wo die weiße Decke dem Einfluß einer wärmeren Sonne gewichen und das helle, liebliche Grün des Weizens dazu angetan war, die Hoffnungen des Landwirts zu wecken. Nichts war bezeichnender als der Gegensatz zwischen der Erde und dem Himmel; denn während die erstere den beschriebenen, traurigen Anblick darbot, verbreitete eine warme und belebende Sonne ihre Strahlen an einem Firmament, das nur ein einziges Wölkchen blicken ließ, und durch eine Atmosphäre, die bis an den Horizont nur wie ein blaues Meer erschien.

Richard ritt voraus und war somit bei dieser, wie bei allen andern Gelegenheiten, die keinen Aufwand ungewöhnlicher Fähigkeiten erforderten, der erste; da er sich nur langsam vorwärts bewegte, so versuchte er zugleich, die Gesellschaft mit dem Klang seiner kräftigen Stimme zu erheitern.

»Dies ist wahres Zuckerwetter, Duke«, rief er, »eine kalte Nacht und ein sonniger Tag. Ich wette, der Saft läuft an diesem warmen Morgen wie ein Milchstrahl aus den Ahornbäumen. Es ist schade, Richter, daß du die Zuckerfabrikation unter deinen Pächtern nicht wissenschaftlich zu begründen suchst. Es ließe sich tun, ohne daß man Doktor Franklins Kenntnisse besitzt, – ja, gewiß, es ginge, Richter Temple.«

»Es muß der erste Gegenstand meiner Sorgfalt sein«, erwiderte Marmaduke, »die Quellen dieser großen Fundgrube des Wohlstandes und des Reichtums gegen die blinde Wut der Leute zu schützen. Wenn dieser wichtige Zweck erreicht ist, wird es immer noch Zeit sein, unsere Aufmerksamkeit einer Verbesserung der Fabrikation dieses Artikels zuzuwenden. Aber du weißt ja, Richard, daß ich unsern Zucker bereits raffinieren ließ, wodurch ich Kuchen so weiß wie der Schnee auf jenen Feldern dort bekam, welche den Zuckerstoff in seiner höchsten Reinheit enthielten.«

»Was Zuckerstoff, Gerbstoff oder sonst ein anderer Stoff, Richter Temple! Du hast nie einen größeren Kuchen gemacht als allenfalls von dem Umfang einer großen Zuckerpflaume«, entgegnete der Sheriff. »Ich versichere dir, Duke, solche Versuche im kleinen sind nicht die Bohne wert, sondern sie müssen in größerem Maßstab angestellt werden, so daß auch ein Nutzen dabei herauskommt. Wenn ich zu einem solchen Zweck hundert- oder meinetwegen zweimalhunderttausend Acker Landes besäße wie du, so ließe ich in dem Dorf eine Zuckersiederei errichten und lüde erfahrene Leute ein, die Sache zu leiten. Solche sind leicht zu finden, Vetter; ja, sie sind nicht schwer zu finden, – Männer, welche die Theorie mit der Praxis vereinigen. Und dann würde ich einen Wald von jungen und kräftigen Bäumen auslesen, und statt Kuchen von der Größe eines Stückchens Kandiszucker zu machen – verdammt nochmal, Duke – sie müßten mir so groß werden wie ein Heuschober.«

»Du kauftest wohl auch die Ladung eines jener Schiffe, die mit China handeln«, rief Elisabeth, »ja, wandeltest deine Pottaschekessel in Teetassen und die Boote des Sees in Untertassen um, bükest deine Krapfen in jener Kalkbrennerei und lüdest den ganzen Distrikt zu einer Teegesellschaft ein; ja, wie wunderbar sind nicht die Entwürfe eines Genies! Aber in der Tat, Vetter, es scheint, die Welt ist mit den Versuchen des Richters Temple zufrieden, und man hat daher nicht nötig, den Zucker in Formen zu gießen, die der Großartigkeit deiner Pläne entsprechen.«

»Du magst immerhin lachen, Base Elisabeth, – du magst immerhin lachen«, erwiderte Richard, indem er sich im Sattel umdrehte und mit würdevoller Miene seine Peitsche schwang, »aber ich berufe mich auf den gesunden Menschenverstand, den gesunden Sinn der Leute oder, was noch wichtiger ist, auf den Sinn des Geschmacks, der zu den fünf natürlichen Sinnen gehört, – ob ein großer Zuckerhut nicht einen besseren Beleg für einen zweckmäßigen Betrieb abgibt als ein solches Stückchen, das ein holländisches Weib beim Teetrinken in den Mund stecken kann. Es gibt nur zwei Wege, etwas zu tun, einen rechten und einen unrechten. Ich will zugeben, daß du Zucker machst, und daß du vielleicht auch Zuckerhüte machen könntest, aber es fragt sich, ob du auch den möglich besten Zucker und die möglich besten Hüte machst.«

»Du hast ganz recht, Richard«, bemerkte Marmaduke mit einem Ernst in den Zügen, der deutlich bewies, wie sehr er sich für die Sache interessierte. »Es ist wahr, daß wir Zucker fabrizieren, und die Frage: ›Wieviel und in welcher Weise?‹ ist daher sehr am Platz. Auch hoffe ich es zu erleben, daß ganze Meiereien und Plantagen sich diesem Industriezweig widmen werden; denn bis jetzt ist von den Eigentümlichkeiten des Baumes selbst, der Quelle von all diesem Reichtum, nur wenig bekannt. Wieviel mag sich nicht durch dessen Behandlung mit Hacke und Pflug verbessern lassen.«

»Hacke und Pflug?« rief der Sheriff aus. »Willst du die Wurzel eines solchen Ahornstammes behäufeln lassen?« Er deutete dabei auf einen dieser edlen Bäume, die in jenem Landesteil so häufig vorkommen. »Bäume behäufeln! bist du toll, Duke? Das ist ein Seitenstück zum Steinkohlengraben. Ho! ho! lieber Vetter, – nimm doch Vernunft an und überlaß die Behandlung des Zuckerahorns mir. Unser Monsieur Le Quoi ist in Westindien gewesen und hat Zucker machen sehen. Laß dir erzählen, wie es dort betrieben wird, und du wirst einen Begriff davon bekommen. – Sagen Sie, Monsieur, wie fabriziert man den Zucker in Westindien? Etwa in Richter Temples Weise?«

Der Herr, an den diese Frage gestellt war, ritt ein kleines Pferd von nicht sehr feurigem Temperament und hatte dabei so kurze Bügel, daß sie, da sich das Tier eben auf einer kleinen Steigung des Waldpfades hinan bewegte, seine Knie in eine etwas gefährliche Nachbarschaft mit seinem Kinn brachten. Er hatte daher keine Gelegenheit seine Antwort mit der gewöhnlichen graziösen Gestikulation zu begleiten; denn der Berg war steil und glatt, und obgleich der Franzmann ein ungemein scharfes Auge auf jeder Seite seines Gesichts hatte, so schien dieser Umstand doch nicht hinzureichen, ihn gehörig auf die Hindernisse von Büschen, Zweigen und gefallenen Bäumen aufmerksam zu machen, die hin und wieder im Wege lagen. Während er mit der einen Hand beschäftigt war, diese Gefahren abzuwehren, und die andere den Zügel hielt, um der ungebührlichen Eile seines Pferdes Einhalt zu tun, antwortete der Sohn Frankreichs, wie folgt:

»Sucker? Sie machen Sucker in Martinique; mais – mais ce n'est pas – ein Baum; – ah – ah wie heißt doch – je voudrais que ces chemins fussent au diable – non – was nenn Sie Stock pour le promenade?«

»Rohr«, versetzte Elisabeth, über die Verwünschung lächelnd, welche der vorsichtige Franzose nur von sich selbst verstanden glaubte.

» Oui, Mademoiselle, Rohr.«

»Ja, ja«, rief Richard. »Rohr ist der volkstümliche Name dafür, aber in der Botanik heißt es saccharum officinarum, und was wir den Zucker- oder Hartahorn nennen, ist acer saccharinum. Das sind gelehrte Namen, Monsieur, die Ihr ohne Zweifel wohl versteht?«

»Ist dies Griechisch oder Lateinisch, Herr Edwards?« flüsterte Elisabeth dem Jüngling zu, der eben für sie und ihre Gefährtin die Zweige eines Gebüsches auseinanderbog, – »oder vielleicht eine noch gelehrtere Sprache, um deren Auslegung wir uns an Sie wenden müssen?«

Das dunkle Auge des jungen Mannes blitzte auf die Sprecherin, verlor aber schnell wieder seinen gekränkten Ausdruck.

»Ich will mich dieser Frage erinnern, Miss Temple, wenn ich meinen alten Freund Mohegan wieder besuche; seine oder Lederstrumpfs Sprachkenntnis wird sie wohl zu beantworten wissen.«

»Sie teilen also wirklich deren Sprachgelehrsamkeit nicht?«

»Wenigstens nicht in sonderlichem Umfang, aber Herrn Jones' tiefe Gelehrsamkeit und selbst Monsieur Le Quois höfliche Ausdrucksweise sind mir geläufiger.«

»Sie sprechen Französisch?« versetzte die Dame rasch.

»Es ist die gewöhnliche Sprache der Irokesen und in den Kanadas«, antwortete er lächelnd.

»Aber das sind Mingos und Eure Feinde.«

»Es wäre gut für mich, wenn ich keine schlimmeren hätte«, sagte der Jüngling, indem er mit seinem Pferd voransprengte und so dem verfänglichen Gespräch ein Ende machte.

Richard gab sich fortwährend alle Mühe, die Gesellschaft zu unterhalten, bis sie eine Waldöffnung auf dem Gipfel des Berges erreichten, wo die Tannen und Fichten ganz verschwunden waren und ein Hain derselben Bäume, die den Gegenstand des Gesprächs gebildet hatten, mit seinen dünnen, geraden Stämmen und ausgebreiteten Zweigen die Erde bedeckte. Alles Unterholz war weggeräumt und wahrscheinlich für die einfachen Siedeeinrichtungen verwendet worden, so daß man hier eines weiten Raumes von vielen Ackern Landes ansichtig wurde, den man recht wohl mit dem Dom eines mächtigen Tempels vergleichen konnte, wozu die Ahornstämme die Säulen, die Wipfel die Kapitelle und der Himmel das Gewölbe bildeten. In der Nähe der Wurzel eines jeden Baumes befand sich ein tiefes Bohrloch, in dem eine aus Erlen- oder Sumachrinde gefertigte Röhre stak. Vor dieser stand ein roh gehauener Trog aus Lindenholz, um den Saft aufzufangen, dessen Abfluß durch diese ungemein verschwenderische und kunstlose Vorkehrung bewirkt wurde.

Als die Gesellschaft auf dieser Fläche anlangte, hielt sie einen Augenblick, um die Rosse verschnaufen zu lassen und die Art, wie die Flüssigkeit gesammelt wurde, zu betrachten, da die Szene mehreren aus ihrer Mitte ganz neu war. Eine schöne kräftige Stimme störte das Schweigen des Augenblicks und sang unter den Zweigen der Bäume die Worte jenes unnachahmlichen Volkslieds, mit dessen Versen ein Reisender, wenn er alle singen wollte, sich von den Gewässern Connecticuts bis an die Ufer des Ontario unterhalten könnte. Die Weise war natürlich jene bekannte Melodie, welche anfangs die Absicht hatte, die Amerikaner zu verspotten: sie ist jedoch seitdem so berühmt geworden, daß kein Landeskind mehr ihren Klingklang ohne freudige Bewegung hört.

»Laß immerhin den Osten sein
Voll Volk, den West voll Bäumen,
Voll Vieh die Berge aus und ein,
Straßab das Saumroß schäumen.

Fließ hin, des Holzes süßes Blut,
Du sollst mir lustig sieden.
Der Landmann wacht bei deiner Glut,
Das Brenzeln zu verhüten.

Der Ahorn ist ein fein Geschenk,
Gibt Nahrung, Dach und Feuer;
Sein Säftlein auf ein müd Gelenk
Macht die Bewegung freier.
Fließ hin usw.

Was ist, fehlt ihm sein Glas, der Mann –
Das Weib, fehlt ihr die Tasse?
Doch was die Tasse, was die Kann',
Fehlt's an der Honigmasse?
Fließ hin usw.«

Während dieses Singsangs schlug Richard mit seiner Reitgerte, die er zwischen den Ohren seines Pferdes auf und ab bewegte, den Takt und begleitete dieses wichtige Geschäft mit entsprechenden Beugungen seines Kopfes und Körpers. Gegen das Ende des Lieds konnte er sich nicht enthalten, den Refrain mitzusummen und bei der letzten Wiederholung in das ›Fließ hin‹ usw. so lärmend einzustimmen, daß der ›Effekt‹ in Beziehung auf die ohrenzerreißende Wirkung, keineswegs aber in Betracht der Harmonie wunderbar gehoben wurde.

»Bravo!« brüllte der Sheriff in der gleichen Tonart, »ein sehr schönes Lied, Billy Kirby, und sehr schön gesungen. Wo hast du den Text her, Junge? Er hat wahrscheinlich noch mehr Verse, und du kannst mir vielleicht eine Abschrift verschaffen.«

Der Zuckersieder, der in einiger Entfernung von den Pferden auf seinem Feld beschäftigt war, wandte gleichgültig seinen Kopf um und musterte die näherkommende Gesellschaft mit einer wunderbaren Kaltblütigkeit. Da sie einzeln einer nach dem anderen hart an ihm vorbeiritten, so nickte er jedem gutmütig und vertraulich zu, ganz als wären sie seinesgleichen, – eine Begrüßungsweise, die auch den Damen zuteil wurde, ohne daß er sich herabließ, das hutartige Ding, das seine Kopfbedeckung bildete, zu berühren.

»Wie geht's, wie geht's, Sheriff?« sagte der Holzfäller. »Was gibt es gutes Neues im Dorf?«

»Nicht mehr als gewöhnlich, Billy«, versetzte Richard. »Aber was soll das? Wo sind deine vier Kessel, deine Tröge und deine eisernen Kühlpfannen? Machst du jetzt deinen Zucker in einer so lässigen Art? Ich meinte, du wärest einer der besten Zuckersieder im Bezirk?«

»Das bin ich auch, Squire Jones«, antwortete Billy Kirby, in seiner Beschäftigung fortfahrend, »ich stehe keinem in den Otsegobergen nach, was das Holzfällen, Zuckersieden, Ziegelbrennen, Zäune schnitzen, Pottasche machen, Welschkorn häufeln und dergleichen anbelangt, obgleich ich mich am liebsten an das erste halte; denn ich sehe, daß mir die Axt am natürlichsten geht.«

»Sie sein ein Tausendkünstler, Mister Bihl«, meinte Monsieur Le Quoi.

»Hä?« entgegnete Kirby, mit einer einfältigen Miene aufsehend, die sich im Vergleich zu seiner gigantischen Gestalt und seinem männlichen Gesicht lächerlich ausnahm. »Ja, wenn Ihr etwas einhandeln wollt, Monschür, so findet Ihr hier das ganze Jahr durch so guten Zucker wie nur irgendwo. Er ist so frei von aller Unreinlichkeit wie die Jarman-Ebenen von Baumstümpfen und hat den eigentlichen Ahorngeschmack. Solchen Stoff könnte man in York für Kandis verkaufen.«

Der Franzose näherte sich der Stelle, wo Kirby seine Zuckerkuchen unter einem Rindendach geborgen hielt, und begann die Untersuchung des Artikels mit dem Auge eines Sachverständigen. Marmaduke war gleichfalls abgestiegen und unterwarf die Werke und die Bäume einer scharfen Besichtigung, wobei er sich nicht enthalten konnte, seinen Unwillen über die Nachlässigkeit, mit der die Fabrikation betrieben wurde, auszudrücken.

»Ihr habt viel Erfahrung in solchen Dingen, Kirby«, sagte er. »Wie bereitet Ihr aber Euren Zucker? Ich sehe, daß Ihr nur zwei Kessel habt.«

»Zwei sind so gut als zweitausend, Richter. Ich bin keiner von Euren geleckten Zuckermachern, die für die großen Herren kochen; aber wenn Ihr echten süßen Ahorn wollt, so kann ich damit aufwarten. Zum ersten wähle ich mir die Bäume aus, und dann zapfe ich sie an. Es heißt, man soll dies um den letzten Februar herum oder in diesen Bergen um die Mitte des März tun, aber daran kehre ich mich nicht; denn ich fange an, wenn der Saft tüchtig zu fließen beginnt – –«

»Gut«, unterbrach ihn Marmaduke, »aber in diesem Falle werdet Ihr Euch durch äußere Zeichen leiten lassen, an denen Ihr die Qualität des Baumes erkennt?«

»Nun ja, Kenntnis kommt natürlich allen Dingen zustatten«, entgegnete Kirby, indem er den Saft in seinen Kesseln schnell umrührte. »So muß man zum Beispiel genau wissen, wann und wie man den Kessel rührt. Derartige Dinge müssen gelernt werden. Rom ist nicht an einem Tag gebaut worden, ebensowenig wie Templeton, obgleich ich nicht anders sagen kann, als daß dieses schnell genug entstanden ist. Ich setze nie meine Axt an einen verkümmerten Baum oder an einen, der nicht eine gute frische Rinde hat; denn die Bäume haben so gut ihre Krankheiten wie die Tiere: es ist ebenso unklug, einen kranken Baum anzuzapfen, wie einen müden Gaul zum Postreiten oder einen abgetriebenen Ochsen zum Holzführen zu nehmen.«

»Das ist ganz recht, aber worin bestehen die Zeichen der Krankheit? Wie könnt Ihr einen gesunden Baum von einem nicht gesunden unterscheiden?«

»Wie kann der Doktor sagen, daß einer ein Fieber hat?« fiel Richard ein. »Er untersucht natürlich die Haut und befühlt den Puls.«

»Gewiß«, fuhr Billy fort, »der Squire hat nicht weit fehlgeschossen. Das Aussehen einer Sache muß das geben. – Nun, wenn der Saft hübsch abzufließen beginnt, so hänge ich die Kessel über und treibe meine Hantierung hier oben. Meinen ersten Sud koche ich hübsch ein, bis ich die Eigenschaft des Saftes los habe; aber wenn er dann sirupartig zu werden anfängt wie dieser in dem Kessel hier, so darf man nicht mehr stark feuern, weil sonst der Zucker verbrennt, und verbrannter Zucker hat einen üblen Geschmack und wird auch nie recht süß. Dann schöpfe ich ihn aus einem Kessel in den andern, bis er so wird, daß er an dem Löffel Faden zieht, und nun muß man besonders vorsichtig mit der Behandlung sein. Es gibt eine Methode, ihn, wenn er in Körner anschießt, dadurch abzuziehen, daß man Ton in die Pfanne wirft; aber das ist nicht allenthalben üblich: einige tun's, andere nicht. Nun Monschür, wollt Ihr keinen Handel machen?«

»Ich will Sie geben, Mister Bihl, vor ein Fund dix sous

»Nein, ich will Silbergeld dafür; ich nehme nie Papiergeld für meinen Zucker. – Aber weil Ihr's seid, Monschür«, fügte Billy mit einem einschmeichelnden Lächeln bei, »so will ich mir's gefallen lassen, eine Gallone Rum und Leinwand zu zwei Hemden dabei zu nehmen, wenn Ihr mir auch den Sirup abkauft. Er ist gewiß gut; denn ich möchte weder Euch noch sonst jemand betrügen. Ich nehme nie einen anderen zu meinem Getränk, und er ist zuverlässig der beste, der je aus einer Zuckerpflanzung kam.«

»Monsieur Le Quoi hat Euch zehn Pence angeboten«, sagte der junge Edwards.

Der Fabrikant stierte den Sprecher mit großen Augen an, ohne etwas zu erwidern.

» Oui«, sagte der Franzose, »sehn Penny. Je vous remercie, Monsieur. Ah! mon Anglais! Je l'oublie toujours.«

Der Holzfäller sah unwillkürlich einen nach dem andern an; denn er war augenscheinlich der Ansicht, daß man sich auf seine Kosten lustig machen wolle; dann ergriff er einen Löffel, welcher zur Seite des Kessels lag, und begann die Flüssigkeit mit großer Emsigkeit umzurühren, nahm sodann einen Löffel voll heraus, hob ihn in die Höhe, ließ den Saft in den Kessel zurückfließen, schwang den Löffel in der Luft, als wolle er den Überrest abkühlen, und bot denselben Monsieur Le Quoi mit den Worten an:

»Versucht das, Monschür, und Ihr werdet sagen, daß es mehr wert ist, als Ihr mir darauf schlagt. Der Sirup schon wäre so viel wert.«

Der gefällige Franzose nahm nach mehreren furchtsamen Versuchen, seine Lippen mit dem Löffel in Berührung zu bringen, einen guten Mund voll von der glühenden Flüssigkeit; dann aber schlug er seine Hände über der Brust zusammen, warf einen kläglichen Blick auf die Damen, worauf – um uns Billys eigener Worte, mit denen er nachher die Geschichte erzählte, zu bedienen – »kein Trommelschlägel je schneller ein Schaffell bearbeitete, als sich des Franzosen Beine etlichemal im Kreis herum abzappelten; dabei fluchte er auf französisch und spuckte aus, wie Ihr nie etwas gesehen habt. Aber ja, es muß ein Gescheiterer aus dem alten Lande kommen, wenn er sich über einen Templetoner Holzfäller lustig machen will.«

Die unschuldige Miene, womit Kirby sein Kesselrühren wieder aufnahm, würde die Zuschauer über seine absichtliche Verschuldung von Monsieur Le Quois vorübergehendem Schmerz getäuscht haben, hätte der leichtfertige Schalk dabei nicht ein so einfältiges Aussehen angenommen, daß es zu erkünstelt aussah, um natürlich erscheinen zu können. Sobald Monsieur Le Quoi wieder Geistesgegenwart genug hatte, um den Anstand zu wahren, entschuldigte er sich gegen die Damen wegen einiger leidenschaftlichen Ausdrücke, die ihm im Augenblick der Aufregung entschlüpft waren, stieg wieder auf sein Pferd und blieb während der ganzen übrigen Zeit im Hintergrund des Zugs, da Kirbys Witz allem merkantilischen Verkehr mit einemmal ein Ende gemacht hatte. Inzwischen hatte Marmaduke das Gehölz in Augenschein genommen und mit großem Schmerz die üble Wirtschaft, welche der Holzfäller mit seinen Lieblingsbäumen trieb, bemerkt.

»Es tut mir weh, Zeuge der Vergeudung sein zu müssen, die man allenthalben in dieser Gegend trifft«, sagte der Richter; »denn die Ansiedler spielen mit dem Segen, der ihnen zunutze kommen könnte, mit dem Leichtsinn eines glücklichen Spielers. Ich kann Euch von diesem Tadel nicht ausnehmen, Kirby; denn Ihr schlagt ja diesen Bäumen fürchterliche Wunden, da doch ein kleiner Einschnitt dieselbe Wirkung machen würde. Ich muß Euch ernstlich darauf aufmerksam machen, daß Jahrhunderte dazu gehören, bis ein Baum eine solche Größe erreicht, und ist er einmal zugrunde gerichtet, so wird es keiner von uns erleben, ihn durch eine Nachpflanzung ersetzt zu sehen.«

»Ei, ich weiß nicht Richter«, erwiderte der Angeredete; »mir scheint's, es gebe genug Bäume in diesen Bergen. Wenn es eine Sünde ist, sie niederzuhauen, dann habe ich eine schöne Rechnung auf dem Kerbholz. Ich habe eigenhändig über ein halbtausend Acker in Vermont und York davon gereinigt, und ich hoffe, so lange zu leben, bis ich die andere Hälfte voll mache, ehe ich meine Axt aufhänge. Das Holzfällen liegt in meiner Natur, und ich wünsche mir keine andere Beschäftigung; aber Jared Ransom sagt, der Zucker könne dieses Jahr rar werden, weil soviel Volk in die Ansiedlung komme, und so entschloß ich mich, für dieses Frühjahr das Gebüsch hier in die Schere zu nehmen. Aber wie steht's mit der Asche, Richter? Hält sie sich immer noch bei Preisen, so daß ein ehrlicher Mann dabei leben kann? Ich denke mir's übrigens wohl, solange sie drüben über dem Wasser das Fechten nicht aufgeben.«

»Du räsonierst nicht übel, William«, entgegnete Marmaduke. »Solange Kriege die Alte Welt zerrütten, wird Amerikas Ernte wohl fortdauern.«

»Nun, 's ist ein böser Wind, Richter, der niemand etwas Gutes zubläst. Die Landschaft ist doch gewiß in einem blühenden Zustand, und obgleich ich weiß, daß Ihr große Stücke auf die Bäume haltet und sie hegt, als ob es Eure eigenen Kinder wären, so muß ich doch sagen, ich ärgere mich allemal darüber, daß ich nicht das Recht habe, nach Willkür damit zu verfahren; sonst sind sie mir lieb genug. Ich habe von Leuten, die aus dem alten Lande hergekommen sind, sagen hören, daß dort die Reichen vor ihren Haustüren und auf ihren Gütern herum große Eichen und Ulmen stehen haben, von denen jeder Baum ein Faß voll Pottasche geben würde, – und für was? Zu nichts weiter als zum Ansehen! Ich kann einmal eine Gegend nicht in gutem Zustand befindlich nennen, die mit vielen Bäumen versehen ist. Stümpfe sind da etwas ganz anderes; denn sie lassen die Sonne durch, und wenn man sie festmacht, so kann man Zäune daraus machen, die auch für größere Tiere als Schweine stark genug sind.«

»Die Ansichten hierüber sind in verschiedenen Ländern verschieden«, sagte Marmaduke, »aber es ist nicht der Zierde wegen, daß ich diese edlen Bäume werthalte; ich habe dabei den Nutzen vor Augen! Wir hausen ja mit diesen Wäldern, als ob wir in einem Jahr alles gut machen könnten, was wir darin verderben; aber es wird eine Zeit kommen, wo das Gesetz nicht nur das darin enthaltene Wild, sondern auch die Bäume in Schutz nimmt!«

Mit dieser tröstlichen Hoffnung bestieg der Richter sein Pferd, und die Kavalkade setzte sich in Bewegung, um ihren Weg nach der von Richard so hoch gepriesenen Naturschönheit zu verfolgen. Der Holzfäller blieb im Innern des Waldes zurück und fuhr fort, sein Geschäft zu verrichten. Als sie die Stelle erreichten, wo es wieder bergab ging, wandte Elisabeth den Kopf zurück, und das Feuer unter den ungeheuren Kesseln, das kleine mit Tannenrinde bedeckte Schutzdach und der riesige Mann, der eifrig seinen Löffel handhabte, vor dem Hintergrund der stattlichen Bäume mit ihren Rinnen und Trögen, das alles erschien ihr als ein zutreffendes Gemälde menschlichen Lebens auf der ersten Stufe der Zivilisation. Der romantische Charakter der Szene wurde noch erhöht durch die Töne von Kirbys Stimme, die durch die Wälder klang, als er ein anderes, nicht viel klassischeres Lied als das frühere zu singen anhub. Sie konnte noch eben folgende Worte verstehen:

Und ist der stolze Wald gefallen,
Laß abends spät und morgens früh
Ich meine Stimme lustig schallen:
»Oha, ihr Ochsen, hott und hü!«

Bis unsre Arbeit ist zu Ende
Und uns ein Ziel die Nacht gesteckt,
Wo uns vor Schnakenstich die Rinde
Des Walnußbaumes schützend deckt.

Nur zu, ihr, die ihr Land wollt lichten,
Wählt euch des Berges Eichen aus,
Im dürren Grund die Silberfichten,
Ich mache wenig mir daraus.


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