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VII

 

Von Susquehannas fernster Quelle,
(Wo lustig haust ein wilder Stamm,)
Den Leib gehüllt in rauhe Felle –
Des Waldes Hirte zu uns kam.

Freneau

 

Ehe die Europäer, oder – um uns eines bezeichnenderen Ausdrucks zu bedienen – die Christen den ursprünglichen Eigentümern ihren Boden abgenommen hatten, war der ganze Landstrich der Staaten von Neu-England, wie auch derjenige, welcher nach der Mitte hin östlich des Gebirges liegt, von zwei großen indianischen Völkerschaften bewohnt, die in zahllose kleine Stämme zerfielen. Diese beiden Völker, die eine verschiedene Sprache redeten und sich ohne Unterlaß bekriegten, hatten sich nie miteinander vermischen können, bis die um sich greifende Gewalt der Weißen einige der Stämme in einen Zustand von Abhängigkeit versetzte, der nicht nur ihre politische, sondern auch – da hier nur von den Bedürfnissen und Gewohnheiten eines wilden Stammes die Rede ist – ihre leibliche Existenz ungemein gefährdete. Die beiden großen Abteilungen bestanden auf der einen Seite aus den fünf, oder wie sie nachher genannt wurden, aus den sechs großen Nationen mit ihren Verbündeten, auf der anderen aus den Lenni-Lenapen oder Delawaren mit den zahlreichen und mächtigen Horden, welche von ihnen abstammten; die Angehörigen der ersteren wurden von den Angloamerikanern allgemein Irokesen oder die sechs Nationen, bisweilen auch Mingos genannt, während ihnen ihre Feinde den Namen Mengwes oder Maquas beizulegen pflegten. Sie wurden aus den Stämmen oder – wie sie ihre Verbündeten, um ihre Bedeutsamkeit zu erhöhen, lieber nannten – aus den verschiedenen Nationen der Mohawks, der Oneidas, der Onondagas, der Cayugas und der Senecas gebildet, die wir hier nach ihrer Macht und Verbreitung geordnet haben. Beinahe ein Jahrhundert nach der Gründung dieses Verbandes wurden auch noch die Tuskaroras aufgenommen, wodurch sich ihre Zahl auf sechs vermehrte.

Die Lenni-Lenapen oder die Delawaren – wie sie von den Weißen wegen des Umstandes genannt wurden, daß sie ihre großen Beratungsfeuer am Ufer des gleichnamigen Flusses hielten – bestanden neben den eigentlichen Delawaren aus den Stämmen der Mahicannis, Mohicans oder Mohegans und der Nanticokes oder Nentigos. Die letzteren hatten ihre Wohnsitze links von der Chesapeakbai und der Meeresküste, während die Mohegans den Strich zwischen dem Hudson und dem Meer, also den größten Teil von Neu-England einnahmen. Natürlich wurden diese beiden von den Europäern zuerst aus ihrem Besitz vertrieben.

Die Kriege mit einem Teil der letzteren sind unter uns berühmt, zum Beispiel die Kriege des Königs Philipp; aber die friedliebende Politik William Penns oder Miquons, wie er von den Eingeborenen genannt wurde, erreichte ihren Zweck mit weit weniger Schwierigkeit, obgleich nicht minder sicher. Da die Eingeborenen allmählich aus den Wohnsitzen der Mohegans verschwanden, suchten einige zerstreute Familien einen Zufluchtsort am Beratungsfeuer des Mutterstamms oder der Delawaren.

Dieses Volk mußte sich von seinen alten Feinden, den Mingos oder Irokesen, den Schimpfnamen Weiber gefallen lassen, nachdem letztere ihre Zuflucht zur List genommen hatten, um über ihre Nebenbuhler zu siegen, da sie durch offene Feindseligkeiten nicht zu ihrem Ziel gelangt waren. Dieser Erklärung gemäß sollten die Delawaren die Künste des Friedens üben und ihre Verteidigung ausschließlich den Männern oder den kriegerischen Stämmen der sechs Nationen überlassen.

Dies war der Stand der Dinge bis zum Ausbruch des Revolutionskrieges – einem Zeitpunkt, in welchem die Lenni-Lenapen förmlich ihre Unabhängigkeit beanspruchten und furchtlos erklärten, daß sie wieder Männer wären. Aber bei einer so eigentümlich republikanischen Regierungsform wie der indianischen war es nicht immer leicht, ihre Angehörigen in den Banden gesetzlicher Ordnung zu halten. Mehrere kühne und berühmte Krieger der Mohegans suchten, als sie den Kampf mit den Weißen vergeblich gefunden hatten, einen Zufluchtsort bei dem Hauptstamm und verpflanzten in diesen Gefühle und Grundsätze, durch die sie sich so lange bei ihrem eigenen Volk ausgezeichnet hatten. Diese Häuptlinge hielten den kriegerischen Geist der Delawaren einigermaßen wach und führten hin und wieder kleine Feldzüge gegen ihre alten Feinde oder gegen sonstige Gegner, die ihren Zorn gereizt hatten.

Unter diesen Kriegern zeichnete sich besonders ein Geschlecht durch Tapferkeit und alle jene Eigenschaften aus, die einem indianischen Helden Berühmtheit zu verschaffen imstande sind. Aber Krieg, Zeit, Krankheit und Entbehrung hatten die Glieder desselben gelichtet, und der einzige Überrest dieser einst so gefeierten Familie stand nun in Marmadukes Halle. Schon seit langer Zeit hatte er sich den Weißen, namentlich in ihren Kriegen, angeschlossen und durch seine bisweilen ungemein wichtigen Dienste sich Beachtung und Auszeichnung erworben. Der Umgang mit Christen hatte ihn gleichfalls zum Christentum bekehrt, und in der Taufe war ihm der Name John beigelegt worden. Von seiner ohnehin im Laufe des Krieges schwer heimgesuchten Familie und allem Anhang war er durch einen Einfall der Feinde getrennt worden, und als der letzte Überrest seiner Nation seine Feuer an den Ufern des Delaware auslöschte, blieb er allein zurück, mit dem Entschluß, sich in dem Lande begraben zu lassen, wo seine Väter so lange gelebt und geherrscht hatten.

Er war indes erst seit wenigen Monaten in dem Gebirge, das Templeton umgab, erschienen. In der Hütte des alten Jägers schien er besonders willkommen zu sein, und da Lederstrumpfs Gewohnheiten ziemlich die gleiche Färbung wie die der Wilden trugen, so erregte ihre Verbindung keine Überraschung. Sie bewohnten dieselbe Hütte, aßen miteinander aus einer Schüssel und beschäftigten sich meistens in derselben Weise.

Wir haben den Taufnamen des alten Häuptlings bereits erwähnt; in seinem Verkehr mit Natty aber, der in der Sprache der Delawaren geführt wurde, pflegte er sich gewöhnlich Chingachgook zu nennen, was in unsere Sprache übertragen ›die Große Schlange‹ bedeutet. Er hatte sich in seiner Jugend diesen Namen durch die Behendigkeit und Tapferkeit erworben, welche er in den Kriegen an den Tag legte; doch als sich seine Stirn mit der Zeit zu furchen begann und er allein als der letzte von seiner Familie dastand, gab ihm sein Stamm, das heißt die wenigen Delawaren, welche noch an den Ufern ihres heimatlichen Stromes weilten, die an schmerzlichen Erinnerungen so reiche Benennung ›Mohegan‹. Vielleicht fühlte sich aber das Herz dieses Waldbewohners zu tief bewegt bei dem Klang eines Namens, der ihm nur den Untergang seiner Nation ins Gedächtnis rief; denn er bediente sich desselben selten, eigentlich nie, ausgenommen bei besonders feierlichen Anlässen; die Ansiedler hatten jedoch, der christlichen Sitte gemäß, seinen Taufnamen mit seinem Nationalnamen vereinigt, und so war er allgemein als John Mohegan oder im vertraulicheren Verkehr als Indianer John bekannt.

Infolge seiner langen Verbindung mit den Weißen war Mohegans Lebensweise eine Mischung von Zivilisation und dem Urzustand des Wilden, obgleich der letztere sicher entschieden vorherrschend blieb. Wie alle seines Volkes, die unter den Anglo-Amerikanern wohnten, war er mit neuen Bedürfnissen bekannt geworden, und sein Anzug entsprach teils seiner Nationaltracht, teils der europäischen Sitte. Ungeachtet der draußen herrschenden schneidenden Kälte war sein Haupt unbedeckt, aber eine Masse langer, schwarzer, grober Haare bedeckte den Kopf, die Stirne und sogar die Wangen, so daß jemand, der den Mann früher gekannt hatte, wohl auf die Vermutung kommen konnte, er begünstige diese Fülle, damit sie ihm als Schleier diene, um die Scham einer edlen Seele, welche um den entschwundenen Ruhm trauert, zu verbergen. Die Stirn erschien, soweit sie gesehen werden konnte, stolz, breit und edel; die Nüstern der langen römisch geschnittenen Nase dehnten sich noch in seinem siebenundsiebzigsten Jahre mit derselben Freiheit aus, die man an dem Jüngling gewahrt hatte; sein großer, zusammengepreßter Mund besaß viel Ausdruck, und wenn er ihn öffnete, so zeigte sich eine undurchbrochene Reihe kleiner und regelmäßiger Zähne; sein Kinn war voll aber nicht hervorragend, und sein Gesicht zeigte die unverkennbare Prägung seines Volkes, die hohen eckigen Backenknochen; seine schwarzen Augen waren nicht groß, aber sie leuchteten in den Strahlen der Kerzen wie ein Paar Feuerkugeln, wenn er sich spähend in der Halle umsah.

Sobald Mohegan sich von der den jungen Fremden umringenden Gruppe bemerkt sah, ließ er die Decke, welche den oberen Teil seines Körpers verhüllte, von den Schultern fallen, so daß sie jetzt einen Mantel um die ungegerbte Hirschhaut seiner Beinkleider bildete, während sie von einem Rindengürtel, der die Hüfte umfing, festgehalten wurde.

Die Anwesenden wurden nicht wenig durch den würdevollen und bedächtigen Schritt des Indianers überrascht, als er langsam vorwärts trat. Schultern und Oberleib waren ganz unbedeckt, eine silberne Medaille mit Washingtons Bildnis ausgenommen, die ihm an einem hirschledernen Riemen vom Halse herunterhing und zwischen vielen Narben auf der hohen Brust ruhte. Seine Schultern waren ziemlich breit und voll, aber die Arme entbehrten, obgleich sie gerade und nicht plump waren, doch des muskulösen Aussehens, das der Mensch allein durch ausdauernde Arbeit gewinnt. Die Medaille war der einzige Schmuck, den er trug, obgleich große Schlitze in den fast um zwei Zoll verlängerten Ohrläppchen augenscheinlich darauf hindeuteten, daß in früheren Tagen auch hier eine Verzierung angebracht gewesen war. In der Hand hielt er ein kleines aus Eschenzweigen geflochtenes Körbchen, auf dem verschiedene phantastische Figuren, in welchen sich das Rot und Schwarz der Malerei mit dem Weiß des Holzes mischten, angebracht waren.

Als dieser Sohn des Waldes näher kam, trat die ganze Gruppe auseinander und gestattete ihm, den Gegenstand seines Besuches zu begrüßen. Er sprach jedoch nicht, sondern betrachtete nur eine Weile die Schultern des jungen Jägers, worauf er seinen Blick nach dem Richter gleiten ließ. Der letztere war nicht wenig betroffen über diese ungewöhnliche Abweichung von dem sonst so ruhigen und unterwürfigen Benehmen des Indianers; er streckte indes seine Hand aus und sagte:

»Du bist willkommen, John. Dieser junge Mann hat ein großes Vertrauen zu deiner Geschicklichkeit; denn er scheint deine Behandlung sogar der unseres Freundes, des Doktor Todd, vorzuziehen.«

Mohegan entgegnete nun in leidlichem Englisch, aber in einem leisen einförmigen Kehlton:

»Die Kinder von Miquon lieben nicht den Anblick des Blutes, und doch wurde ›der junge Adler‹ durch eine Hand beschädigt, die nichts Übles tun sollte!«

»Mohegan! alter John!« rief der Richter, »glaubst du, daß meine Hand je mit Absicht Menschenblut vergoß? Schäme dich, schäme dich, alter John! Deine Religion hätte dich etwas Besseres lehren sollen.«

»Der böse Geist wohnt bisweilen in dem besten Herzen«, versetzte John, »aber mein Bruder spricht die Wahrheit. Seine Hand hat nie wissentlich ein Leben geraubt, – nein, nicht einmal damals, als die Kinder des großen englischen Vaters die Ströme mit dem Blute seines Volkes röteten.«

»Du erinnerst dich gewiß«, sagte Herr Grant mit hohem Ernst, »des göttlichen Gebotes unseres Erlösers: ›Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet‹. Welcher Grund hätte den Richter Temple veranlassen können, diesen jungen Mann zu beschädigen, einen Menschen, den er gar nicht kennt, und von dem er sich weder einer Gunst noch eines Nachteils zu versehen hat?«

John horchte achtungsvoll auf den Geistlichen und streckte, als derselbe ausgesprochen hatte, seinen Arm aus, indem er mit Nachdruck die Worte sprach:

»Er ist unschuldig – mein Bruder hat nicht so tun wollen.«

Marmaduke ergriff die dargebotene Hand des andern mit einem Lächeln, welches zeigte, daß er ihm den Argwohn, sosehr er ihn auch gekränkt haben mochte, nicht nachzutragen gedenke, während der verwundete Jüngling mit einer Teilnahme, die sich unverkennbar in seinen Zügen aussprach, bald auf seinen roten Freund, bald auf seinen Wirt blickte. Der Friede war indes kaum wiederhergestellt, als sich John anschickte, das Geschäft, um dessen willen er gekommen, auszuführen. Doktor Todd war weit entfernt, einen Verdruß über diesen Eingriff in seine Rechte an den Tag zu legen, sondern machte dem neuen Arzt mit einer Miene Platz, welche seine Bereitwilligkeit ausdrückte, der Laune seines Patienten nachzugeben, da doch einmal der wichtigste Teil seines Amtes beendigt und nichts mehr zu tun übrig war, als was ein jedes Kind hätte ausführen können. Er flüsterte dies auch Monsieur Le Quoi mit den Worten ins Ohr:

»Ein Glück, daß die Kugel herausgezogen war, ehe dieser Indianer kam; jetzt kann jedes alte Weib die Wunde verbinden. Der junge Mann wohnt, dem Vernehmen nach, bei John und Natty Bumppo, und es ist immer das beste, sich in die Grillen eines Patienten zu fügen, sofern es ohne Nachteil geschehen kann – ich sage ohne Nachteil, Monsieur.«

»Certainement«, entgegnete der Franzose, »Sie schein serr glücklich, Monsieur Todd, in Ihr pratique. Ich denk, die alt dame könnt serr wohl beendigen, was Sie so geschickt angefang.«

Richard hatte übrigens im Grunde doch eine große Verehrung für Mohegans Kenntnisse, zumal in der Behandlung äußerlicher Verletzungen; er unterdrückte daher seinen Wunsch, sich eine wichtige Beteiligung bei der Operation beizulegen, und näherte sich dem Indianer mit den Worten:

»Schön, schön, mein lieber Mohegan, es freut mich recht, daß du hierher kommst. Ich liebe einen regelmäßigen Arzt wie den Doktor Todd, wo es gilt, ins Fleisch zu schneiden, und einen Eingeborenen, wo es an das Heilen der Wunde geht. Erinnerst du dich noch der Zeit, John, wo ich und du den Knochen von Natty Bumppos kleinem Finger einrichteten, den er beim Sturz von dem Felsen gebrochen hatte, als er versuchte, das auf die Klippen gefallene Rebhuhn zu holen? Es ist mir noch immer nicht klar, ob ich oder Natty den Vogel schoß. Er feuerte zuerst, und der Vogel duckte, kam aber wieder auf, als ich den Drücker rührte. Jedenfalls würde ich die Ehre beansprucht haben, wenn nicht Natty gesagt hätte, das Loch sei zu groß für Schrot, und er habe aus seiner Büchse nur eine einzige Kugel abgefeuert; dies ist aber noch kein Beweis, denn das Gewehr, welches ich damals hatte, zerstreute seine Ladung nicht, und ich habe es schon beim Scheibenschießen ein Loch, gerade wie das einer Büchsenkugel, durch ein Brett bohren sehen. Soll ich dir helfen, John? Du weißt, ich habe einiges Geschick in solchen Dingen.«

Mohegan hörte diese Auseinandersetzung ruhig an. Als Richard geschlossen hatte, hielt er ihm das Körbchen hin, in welchem sich seine Arzneikräuter befanden, indem er ihm durch eine Handbewegung zu verstehen gab, daß er es halten möchte. Herr Jones fügte sich bereitwillig in diesen Dienst, und sooft er nachher von diesem Falle sprach, pflegte er zu sagen: »Doktor Todd und ich schnitten die Kugel heraus, und ich und Indianer John verbanden die Wunde.«

Der Patient konnte allerdings unter Mohegans Händen viel eher so heißen als zuvor, da er unter denen des Doktors zu leiden gehabt hatte. In der Tat gab ihm der Indianer wenig Anlaß zu einer Geduldsprüfung, denn da er gehörig vorbereitet kam, so war der Verband bald angelegt; die Mittel, die er dabei anwendete, bestanden nur aus etwas zerquetschter Baumrinde, die mit dem Saft einiger ausgepreßter Waldpflanzen angefeuchtet war.

Unter den eingeborenen Bewohnern der amerikanischen Urwälder gab es immer zwei Klassen von Ärzten, von denen die einen vermittelst übernatürlicher Kräfte zu heilen vorgaben und daher in weit größerem Ansehen standen, als durch die Erfolge ihrer Kunst gerechtfertigt wurde, während die anderen in der Tat mit einer großen Geschicklichkeit in Linderung der gewöhnlichen üblen Zufälle, die dem Menschen begegnen, begabt waren, wobei sie sich namentlich, wie Natty sagte, in der Heilung von Hieb- und Quetschwunden auszeichneten.

Während John und Richard den Verband anlegten, durchspähte Elnathan wißbegierig den Inhalt von Mohegans Korb, welchen Herr Jones in seinem Diensteifer dem Doktor übergeben hatte, um selbst das eine Ende der Bandage halten zu können. Er entdeckte darin einige Bruchstücke von Holz und Rinde, welche er ganz kaltblütig einsteckte, wahrscheinlich in der Absicht, diese Aneignung ganz mit Stillschweigen zu übergehen, wenn er nicht dabei dem vollen blauen Auge Marmadukes begegnet wäre, der seine Bewegungen beobachtete. Er flüsterte daher dem Richter zu:

»Es kann nicht in Abrede gezogen werden, Richter Temple, daß die Wilden in den untergeordneten Teilen der Arzneikunst manche Kenntnisse besitzen. Derartige Dinge sind durch Tradition auf sie gekommen, und zumal was den Krebs und die Wasserscheu anbelangt, so haben sie es da außerordentlich weit gebracht. Ich will diese Rinde mit nach Haus nehmen und sie untersuchen; denn obgleich sie für die Schulter des jungen Mannes keinen Pfennig wert sein kann, so dient sie doch vielleicht gegen Zahnweh, Rheumatismen oder sonstige Beschwerden. Der Mensch sollte sich nie des Lernens überheben, und wäre es auch nur von einem Indianer.«

Es war ein Glück für Doktor Todd, daß seine Grundsätze so liberal waren; denn ihnen und seiner Praxis hatte er ausschließlich alle seine Kenntnisse zu verdanken, und auf diese Weise war er nachgerade instand gesetzt worden, sein Gewerbe als ein respektierter Heilkünstler zu treiben. Der Prozeß, welchem er später das entwendete Arzneimittel unterwarf, harmonierte jedoch nicht besonders mit den gewöhnlichen Regeln der Chemie; denn statt der Analyse komponierte er vielmehr die verschiedenen Teile von Mohegans Spezifikum, wodurch es ihm möglich wurde, den Baum zu erkennen, von welchem es der Indianer genommen hatte.

Etwa zehn Jahre nach diesem Ereignis, als die Zivilisation wirklich mit reißender Schnelle um sich gegriffen hatte, ereignete sich in den Ansiedlungen unter diesen wilden Bergen ein Ehrenhandel, bei welcher Gelegenheit Elnathan auf die Wunde, welche die Folge desselben war, eine Salbe anwandte, die ganz wie die damals von Mohegan gebrauchte Rinde oder Wurzel roch. Abermals zehn Jahre später, als England und die Vereinigten Staaten sich aufs neue bekriegten und die Truppen des Westens von Neuyork ins Feld zogen, begleitete Elnathan, vermutlich infolge des Rufs, den er den beiden Operationen verdankte, den Troß einer Milizbrigade als Regimentswundarzt.

Sobald Mohegan die Rinde aufgelegt hatte, überließ er bereitwillig Richard die Nadel und den Faden, um die Bandagen zusammenzunähen, da dies Dinge waren, mit denen der Eingeborene nicht sonderlich umzugehen wußte; er trat daher mit ernster Würde zurück und wartete die Beendigung des Geschäfts durch einen anderen ab.

»Gebt mir die Schere«, sagte Herr Jones, nachdem er die Bandage in jeder möglichen Richtung um das verletzte Glied geschlungen und endlich mit seinem Geschäft zustande gekommen war, »gebt mir die Schere; denn hier ist ein Faden, der abgeschnitten werden muß; er könnte sonst unter den Verband geraten und die Wunde entzünden. Siehst du, John, ich habe Scharpie zwischen zwei Leinwandlagen angebracht; denn wenn schon die Rinde sicherlich das Beste für das Fleisch ist, so tut doch die Scharpie gute Dienste, um die Kälte von der Wunde abzuhalten. Wenn von einer Scharpie etwas zu hoffen ist, so ist es von dieser; ich habe sie selbst gezupft und nehme es in diesem Geschäft mit jedem im ganzen Patent auf. Wenn einer weiß, wie man damit umzugehen hat, so muß ich's wissen; denn mein Großvater war ein Doktor und auch mein Vater hatte eine natürliche Anlage für die Heilkunst.«

»Hier, Squire, ist die Schere«, sagte Remarkable, indem sie ein geschwärztes derartiges Instrument aus den Falten ihres grünen Wollmoirékleides hervorbrachte. »In der Tat, Sie haben die Fetzen so hübsch wie ein Frauenzimmer zusammengenäht.«

»So hübsch wie ein Frauenzimmer?« wiederholte Richard unwillig. »Was wissen Weiber von solchen Dingen? Ihr selber gebt mir da den Beweis für die Wahrheit meiner Worte. Wer hat je eine solche Schere bei einer Wunde anwenden sehen? Doktor Todd, wollt Ihr so gut sein und mir die Schere aus Eurem Etui geben? Nun, junger Mann, wird es, glaube ich, gut sein. Die Kugel wurde ganz hübsch herausgenommen, obgleich ich das eigentlich nicht sagen sollte, weil ich selbst dabei die Hand im Spiel hatte, und die Wunde ist erstaunlich gut verbunden. Ihr werdet bald wieder gesund sein. Zwar hat ohne Zweifel der Schlag, den Ihr meinem Grauschimmel versetztet, eine Neigung zur Entzündung zurückgelassen; aber es wird trotzdem gehen, ja, es wird gehen. Ihr wart ohne Zweifel etwas verwirrt und versteht Euch nicht auf die Behandlung der Pferde, doch vergebe ich Euch Euer Einschreiten um der Absicht willen, die ohne Frage eine gute war. So – jetzt wäre es recht.«

»So will ich denn, meine Herren«, erwiderte der Verwundete, indem er aufstand und seine Kleider wieder anlegte, »nicht länger Ihre Zeit und Geduld in Anspruch nehmen. Es bleibt mir jetzt nichts mehr übrig, als Ihre respektiven Rechte auf den Hirsch ins gleiche zu bringen, Richter Temple.«

»Ich gebe zu, daß er dir gehört«, sagte Marmaduke, »auch stehe ich noch tiefer in deiner Schuld als für dieses Stück Wildbret. Kehre indes morgen hier ein; wir wollen sodann diese und die noch wichtigere Angelegenheit ins reine bringen. Elisabeth«, – die junge Dame war nämlich, sobald sie gehört hatte, daß die Wunde verbunden sei, wieder in die Halle getreten – »du wirst, ehe wir in die Kirche gehen, für diesen jungen Mann einen Imbiß besorgen, und Aggy soll einen Sleigh bereithalten, um ihn zu seinem Freund zu führen.«

»Aber, Sir, ich kann nicht ohne einen Teil des Hirsches gehen«, versetzte der Jüngling, augenscheinlich mit seinen Gefühlen kämpfend. »Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich das Wildbret für mich selber brauche.«

»Oh, auf das sind wir gerade nicht sehr versessen«, erwiderte Richard. »Der Richter wird Euch morgen das ganze Tier bezahlen, und Remarkable kann Euch alles davon wieder mitgeben bis auf den Ziemer. So könnt Ihr Euch, meine ich, im ganzen für einen sehr glücklichen jungen Mann halten; Ihr habt einen Schuß erhalten, ohne dadurch zum Krüppel zu werden; Eure Wunde wurde hier in den Wäldern so gut, wo nicht besser verbunden, als es im Spital von Philadelphia der Fall gewesen wäre; Ihr habt Euren Hirsch zu gutem Preis verkauft und dürft doch den größten Teil desselben nebst der Haut behalten. Marky, sagt Tom, er soll ihm die Haut auch geben. Wenn Ihr sie mir morgen wiederbringt, so zahle ich Euch einen halben Dollar oder meinetwegen auch drei Schillinge und sechs Pence dafür; ich brauche eben eine solche Haut zu dem Reitkissen, das ich für Base Elisabeth zu machen gedenke.«

»Ich danke Ihnen, Sir, für Ihre Freigebigkeit, wie ich auch dem Himmel dafür dankbar bin, daß ich nicht zu größerem Schaden kam. Sie behalten sich aber gerade jenen Teil des Tieres vor, den ich für meinen eigenen Gebrauch wünsche. Ich muß den Ziemer selbst haben.«

» Muß?« wiederholte Richard. » Muß ist eine harte Nuß, noch härter als die Geweihe des Bocks.«

»Ja, muß«, entgegnete der Jüngling, indem er sein Haupt stolz erhob, als wolle er den sehen, der es wage, seine Rechte zu schmälern; er traf indes dabei auf den erstaunten Blick Elisabeths und fuhr nun mit mehr Milde fort: »das heißt, wenn ein Mann das Recht hat, Besitz von dem zu nehmen, was er erlegte, und er durch das Gesetz in diesem seinem Eigentumsrecht geschützt wird.«

»Das Gesetz schützt dich«, sagte Richter Temple mit einer Miene, in der sich Kränkung mit Überraschung mengte. »Benjamin; sorge dafür, daß der ganze Hirsch auf den Sleigh gebracht und dieser junge Mann nach Lederstrumpfs Hütte geführt wird. Aber du hast doch wohl einen Namen, junger Mann, und ich werde dich wiedersehen, um den Schaden, den ich dir zugefügt, ausgleichen zu können?«

»Ich heiße Edwards«, entgegnete der Jäger, »Oliver Edwards. Ich bin leicht zu sehen; denn ich wohne in der Nachbarschaft und scheue mich nicht, mein Gesicht zu zeigen, da ich nie jemand ein Leid getan habe.«

»Das Leid widerfuhr Euch von uns«, sagte Elisabeth, »und das Bewußtsein, daß Ihr unsern Beistand ablehnt, muß meinem Vater sehr schmerzlich sein. Es würde ihn freuen, Euch morgen zu sehen.«

Der junge Mann sah die Sprecherin an, bis sein ernster Blick ihr das Blut nach den Schläfen trieb; dann verbeugte er sich, als ob er sich jetzt erst gesammelt hätte, senkte das Auge gegen den Boden und erwiderte:

»So will ich denn morgen den Richter Temple besuchen und inzwischen das Anerbieten des Sleighs als ein Zeichen der Freundschaft annehmen.«

»Freundschaft!« wiederholte Marmaduke. »Der Beschädigung, die ich Euch zufügte, lag keine böse Absicht zugrunde, junger Mann, und Ihr hättet einen solchen Gedanken nicht von fern aufkommen lassen sollen.«

»Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern«, bemerkte Herr Grant; »das sind Worte, die uns der göttliche Meister selbst empfahl, und sie sollten für seine demütigen Jünger stets eine goldene Regel bleiben.«

Der Fremde blieb noch einen Augenblick in Gedanken verloren stehen; dann blickten seine dunklen Augen etwas wild in der Halle umher, er verbeugte sich tief gegen den Geistlichen und entfernte sich aus dem Saal mit einer Miene, die an kein Zurückhalten denken ließ.

»Sonderbar, daß ein so junger Mensch so unversöhnliche Gefühle in seinem Innern birgt«, begann Marmaduke, als sich die Tür hinter dem Fremden schloß; »doch der Schmerz ist noch zu neu, und das Gefühl für die ihm zugefügte Beschädigung zu frisch, um ihn nicht aufgeregter fühlen zu lassen, als es bei kälterer Überlegung der Fall wäre. Ich zweifle nicht, daß man morgen, wenn er wieder herkommt, eher mit ihm sprechen kann.«

Elisabeth, an welche diese Worte gerichtet waren, gab keine Antwort, sondern ging langsam und mit zur Erde gesenkten Blicken die Halle hinauf, während Richard, sobald der Fremde verschwunden war, laut mit seiner Peitsche knallte und ausrief:

»Duke, ich bewundere deine Selbstbeherrschung, aber ich für mein Teil hätte wegen des Ziemers das Gesetz in Anspruch genommen, ehe ich ihn dem Kerl hingegeben hätte. Gehören dir die Berge nicht ebensogut wie die Täler? Sind nicht die Wälder dein Eigentum? Welches Recht hat dieser Bursche, oder welches Recht hat Lederstrumpf, ohne deine Erlaubnis in deinen Forsten zu schießen? Hörte ich doch von einem Gutsbesitzer in Pennsylvanien, der einen unberufenen Jäger mit ebensowenig Umständen aus seinem Bann fortjagte, wie ich etwa den Benjamin ein Stück Holz in den Kamin legen heiße. Apropos, Benjamin, seht, wie das Thermometer steht! – Wenn nur ein Mann das Recht hat, dies auf einem Grundbesitz von hundert Morgen zu tun, um wieviel mehr muß dies nicht der Fall sein bei dem Besitzer eines Grundes von sechzigtausend? – was sage ich – nein, von hunderttausend, denn so viele sind es mit Einschluß des letzten Ankaufs. Unser Mohegan da mag vielleicht ein Recht haben, weil er ein Eingeborener ist; der alte Knabe tut aber mit seiner Büchse wenig Schaden. Wie wird es in Frankreich gehalten, Monsieur Le Quoi? Laßt Ihr dort auch jedermann über Eure Felder laufen und das Wild wegschießen, so daß wenig oder nichts für die Jagd des Grundbesitzers bleibt?«

»Eh diable, non, Monsieur Dihk«, versetzte der Franzose, »wir geben en France keine Freiheit, ausgenommen die dames.«

»Ja, ja, den Damen, ich weiß es«, versetzte Richard, »das ist Euer Salisches Gesetz. Ich lese Bücher aller Art – über Frankreich, England, Griechenland und Rom. An Dukes Stelle würde ich aber gleich morgen Plakate aushängen, welche allen Personen die Jagd auf meinen Gütern oder jede Versündigung an meinen Forsten verböten. In einer Stunde wollte ich ein solches Verbot geschrieben haben; das müßte der Sache auf einmal ein Ende setzen.«

»Richard«, sagte Major Hartmann kaltblütig, indem er die Asche seiner Pfeife in den zu seiner Seite stehenden Spucknapf ausklopfte, »ich habe nun schon fünfundsiebzig Jahre unter den Mohawks und in den Wäldern gelebt, aber man verkehrt weit leichter mit den Teufeln als mit den Jägern. Sie sind stets mit ihrer Waffe versehen, und eine Büchse gilt ihnen mehr als ein Verbot.«

»Ist Marmaduke nicht ein Richter?« rief Richard unwillig. »Was nützt es, ein Richter zu sein oder einen Richter zu haben, wenn man sich nicht an Gesetze und Verbote kehrt? Hole der Henker den Kerl! Ich hätte gute Lust, ihn morgen vor Squire Doolittle gerichtlich zu belangen, weil er sich an meinen Grauschimmeln vergriffen! Was schere ich mich um seine Büchse? Ich kann auch schießen und habe oft einen Dollar auf fünfzig Ruten getroffen.«

»Aber noch weit öfter ihn verfehlt, Dick«, fiel der Richter heiter ein. »Doch wenden wir uns jetzt unserem Nachtessen zu, das, wie ich aus Remarkables Physiognomie entnehme, bereit ist. Monsieur Le Quoi, Miß Temple hat ein Recht auf Ihren Dienst. Willst du den Zug anführen, liebes Kind.«

»Ah! ma chère Demoiselle, comme je suis enchanté!« sagte der Franzose. »Il ne manque que les dames de faire un paradis de Templeton.«

Herr Grant und Mohegan blieben in der Halle, während der Rest der Gesellschaft sich nach dem Speisezimmer begab, Benjamin ausgenommen, der artigerweise den Nachtrab hinter dem Geistlichen bilden und dem Indianer die Haustür öffnen wollte.

»John«, begann der Geistliche, als die Figur des Richters Temple – des Letzten der sich Entfernenden – verschwunden war, »morgen ist das Fest der Geburt unseres göttlichen Erlösers; die Kirche hat daher eine Dankfeier ausgeschrieben, und alle ihre Angehörigen sind zur Teilnahme an dem heiligen Geheimnis eingeladen. Da du dich nun zum Kreuze bekehrt hast und den guten Pfad wandeln willst, ohne dich mehr nach dem schlimmen zu kehren, so hoffe ich, dich mit zerknirschtem Herzen und demütigem Geiste am Altar zu sehen.«

»John wird kommen«, sagte der Indianer, ohne eine Überraschung zu verraten, obgleich er die Ausdrücke des Mannes der Kirche nicht ganz verstand.

»Ja«, fuhr Herr Grant fort, indem er seine Hand auf die lohfarbige Schulter des betagten Häuptlings legte. »Aber es ist nicht genug, in der Kirche zu sein, du mußt auch im Geiste und in der Wahrheit gegenwärtig sein. Der Erlöser ist für alle gestorben, für den Indianer wie für den weißen Mann; der Himmel kennt keinen Unterschied der Farben, und auch die Erde soll nicht Zeuge einer Trennung sein. Es ist gut und heilsam, John, in der Feier heiliger Festtage neue Erkenntnis und eine Stütze gegen den Wankelmut zu holen; aber alle Formen sind nur unnützes Räucherwerk vor dem Heiligen, wenn sie nicht von einem frommen und demütigen Sinn begleitet werden.«

Der Indianer trat ein wenig zurück, richtete seinen Körper der ganzen Länge nach auf, erhob seinen rechten Arm und wies mit seinem Zeigefinger gen Himmel, worauf er die andere Hand auf die nackte Brust legte und mit Nachdruck sprach:

»Das Auge des Großen Geistes schaut durch die Wolken, – Mohegans Herz ist offen«

»Das ist wohl gut, John, und ich hoffe daher, daß du in der Übung dieser Pflicht Heil und Trost finden wirst. Der Große Geist übersieht keines seiner Kinder, und der Mann in den Wäldern ist ebensogut Gegenstand seiner Vatersorge wie die Bewohner der Paläste. Ich wünsche dir gute Nacht und Gottes Segen auf dein Haupt«

Der Indianer senkte den Kopf, und beide schieden – der eine, um seine Hütte aufzusuchen, der andere, um sich der Abendtafelgesellschaft anzuschließen. Während Benjamin dem sich entfernenden Häuptling die Tür öffnete, rief er ihm in einem Ton, der ihn ermutigen sollte, nach:

»Der Pfarrer hat die Wahrheit gesprochen, John. Wenn man im Himmel auf die Farbe der Haut Rücksicht nähme, so könnte man aus den Musterungsbüchern recht leicht ein gutes Christenkind, wie mich, ausstreichen, weil die meinige durch das Kreuzen unter heißen Breitegraden etwas rot geworden ist. Allerdings wäre aber dieser verwünschte Nordwester imstande, auch die Haut eines Mohren zu bleichen. Reffe deine Decke ein, Mann, oder dein rotes Fell wird kaum durch die Nacht segeln können, ohne in der Kälte Schaden zu nehmen.«


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