Joseph Conrad
Das Ende vom Lied
Joseph Conrad

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V

Sobald er ganz nahe herangekommen war, sagte er mit bärbeißigem Vorwurf:

»Was höre ich da, Whalley? Ist es wahr, daß du die Fair Maid verkaufst?«

Kapitän Whalley sah beiseite und sagte, die Sache sei abgemacht und das Geld diesen Morgen erlegt worden; und der andere drückte sofort seine Zustimmung zu diesem so ungewöhnlich vernünftigen Schritt aus. Er sei aus seinem Käfig herausgekommen, um vor dem Abendessen die Beine ein wenig gerade zu strecken, erklärte er. Sir Frederick sehe übrigens für seine Jahre noch recht gut aus. Oder nicht?

Kapitän Whalley konnte darüber nichts sagen; hatte nur den vorbeifahrenden Wagen bemerkt.

Der Arsenaldirektor versenkte beide Hände in die Taschen eines leichten Röckchens, das für einen Mann seines Alters und seiner Erscheinung unangemessen kurz und eng war; mit einem leichten Hinken fiel er neben Kapitän Whalley, dem er bis an die Schultern reichte, in Schritt. Sie waren vor Jahren gute Kameraden gewesen, beinahe Busenfreunde. Zur selben Zeit, wie Whalley den berühmten Kondor, hatte Eliott die fast ebenso berühmte Ringdove für dieselben Reeder geführt; und als die Stelle eines Arsenaldirektors geschaffen wurde, wäre dafür außer ihm nur noch Whalley ernstlich in Betracht gekommen. Kapitän Whalley aber, damals in der Vollkraft seiner Jahre, war entschlossen, niemand als seinem eigenen guten Glück zu dienen. Während er weit weg seine heißen Eisen glühte, freute es ihn zu hören, daß der andere Erfolg gehabt hatte. Der aufgeblasene Ned Eliott hatte eine berechnende Schmiegsamkeit, die ihm in dieser amtlichen Stellung sehr wertvoll sein mußte. Und im Grunde waren sie so verschieden, daß es, als sie am Ende der Allee vor der Kathedrale angekommen waren, Whalley noch gar nicht eingefallen war, er selbst hätte an der Stelle dieses Mannes sein können – bis zum Ende seiner Tage versorgt.

Der heilige Bau, der in feierlicher Einsamkeit inmitten der zusammenlaufenden, von ungeheuren Baumriesen umstandenen Alleen aufragte, als wollte er ernste Gedanken des Jenseits in den Feiernden wecken, bot der Lichtflut aus dem Westen ein geschlossenes, gotisches Portal dar. Das Glasfenster in der Rosette über dem Spitzbogen glühte wie feurige Kohle aus dem marmornen Schnörkelwerk. Die beiden Männer kehrten um.

»Ich will dir sagen, was sie nun als nächstes tun sollten«, knurrte Kapitän Eliott plötzlich.

»Nun?«

»Sie sollten einen richtigen lebendigen Lord hier heraus schicken, wenn Sir Fredericks Zeit um ist, wie?«

Kapitän Whalley stellte beiläufig fest, daß er nicht einsehen könne, warum ein Lord von der richtigen Art nicht ebenso guttun sollte wie irgend sonst jemand. Das aber war nicht des andern Ansicht.

»Nein, nein. Die Stadt regiert sich selbst, nichts kann sie jetzt aufhalten. Gut genug für einen Lord«, brummte er abgerissen vor sich hin. »Sieh dir die Veränderung seit unsern Tagen an. Wir brauchen hier nun einen Lord. In Bombay haben sie auch einen Lord.«

Er war ein oder zweimal im Jahre im Regierungspalast geladen – einem vielfenstrigen Bau mit Arkaden, auf einem Hügel, der zum Park umgestaltet war. Kürzlich hatte er auch in der Dampfbarkasse, die ihm als Arsenaldirektor zustand, einen Herzog im Hafen herumgefahren, um die Neuerungen zu besichtigen. Vorher war er noch ›sehr liebenswürdig‹ persönlich hinausgefahren, um einen guten Liegeplatz für die herzogliche Jacht auszusuchen. Nachher wurde er an Bord zu Mittag geladen. Die Herzogin selbst saß mit bei Tisch. Eine große Frau mit einem roten Gesicht. Die Haut ganz sonnverbrannt. Ruiniert, seiner Ansicht nach. Sehr liebenswürdig. Sie fuhren nach Japan weiter . . .

Diese Einzelheiten brachte er zu Kapitän Whalleys Erbauung vor, mit Pausen dazwischen, in denen er wie in gesteigertem Machtgefühl die Wangen aufblies oder die dicken Lippen vorschob, bis seine dunkelrote Nasenspitze in die Milch seines Schnurrbartes zu tauchen schien. Die Stadt regierte sich selbst; war für jeden Lord geeignet; es gab keinerlei Schwierigkeiten, außer in der Seeabteilung – in der Seeabteilung, wiederholte er zweimal und begann nach einem lauten Schnarchen zu erzählen, der Generalkonsul S. M. im französischen Cochinchina habe ihn kürzlich – in seiner amtlichen Eigenschaft – durch Kabel gebeten, einen geeigneten Kapitän für ein Glasgower Schiff hinüberzuschicken, dessen bisheriger Schiffer in Saigon gestorben war.

»Ich machte davon der Offiziersabteilung im Seemannsheim Mitteilung«, fuhr er fort, während das Hinken in seinem Gang sich mit der wachsenden Erregung seiner Stimme zu steigern schien. »Die Stadt ist voll von ihnen. Zweimal soviel Leute als Plätze in der Küstenschiffahrt frei sind. Alle heißhungrig nach einem schönen Posten. Zweimal soviel – und – was glaubst du, Whalley? . . .«

Er brach kurz ab; man sah, wie er die Fäuste ballte und sie noch tiefer in die Taschen schob, daß diese im nächsten Augenblick bersten zu wollen schienen. Kapitän Whalley entschlüpfte ein leichter Seufzer.

»Was? Du meinst wohl, sie wären vor Hast übereinander gestolpert? Keine Rede davon. Fürchten sich heimzukehren. Ganz nett und warm hier heraußen, in einer Veranda zu liegen und auf einen Posten zu warten. Ich sitze in meinem Bureau und warte. Niemand. Was glauben die Kerle? Daß ich da wie ein Affe sitzen bleiben würde, mit dem Telegramm des Generalkonsuls vor mir? Nicht gern! So sah ich also eine Liste durch, die ich über diese Burschen habe, schickte nach Hamilton, dem schlimmsten Faulenzer unter ihnen – und brachte ihn einfach auf den Trab. Drohte ihm, ich würde den Verwalter des Seemannsheims anweisen, ihn Hals über Kopf hinauszuwerfen. Er war der Meinung, der Posten sei nicht gut genug – hast du Worte! ›Ich habe gewisse Aufzeichnungen über Sie‹, sagte ich. ›Sie sind vor achtzehn Monaten hier gelandet und haben seither keine sechs Monate gearbeitet. Nun sind Sie im Heim den ganzen Unterhalt schuldig und nehmen wohl, wie ich glaube, an, das Seeamt werde schließlich zahlen. Wie? Das werden wir auch; wenn Sie aber diese Gelegenheit nicht benutzen, so gehen Sie mit gebundener Marschroute auf dem ersten heimkehrenden Dampfer, der hier vorbeikommt, nach England zurück. Sie sind nichts andres als ein Almosenempfänger. Wir wollen keine weißen Bettler hier!‹ Damit erschreckte ich ihn. Aber denk dir doch, wieviel Ärger ich von alledem hatte.«

»Du hättest gar keine Scherereien gehabt«, sagte Kapitän Whalley fast wider Willen, »wenn du nach mir geschickt hättest.«

Darüber freute sich Kapitän Eliott ungeheuerlich. Er schüttelte sich im Weitergehen vor Lachen. Plötzlich aber hielt er im Lachen inne. Eine dunkle Erinnerung war ihm durch den Kopf geschossen. Hatte er nicht damals, bei dem Travancore- und Dekhankrach, davon reden hören, der arme Whalley sei um alles gekommen. ›Dem Burschen geht es schlecht, beim Himmel‹, dachte er und warf gleichzeitig einen forschenden Seitenblick zu seinem Gefährten hinauf. Kapitän Whalley aber ging ernst vor sich hin, mit einer Kopfhaltung, die bei einem völlig verarmten Mann undenkbar gewesen wäre – und der andere beruhigte sich wieder. Unmöglich; er konnte nicht alles verloren haben. Das Schiff war für ihn nur ein Steckenpferd gewesen. Und die Erwägung, daß ein Mann, der nach seinem eigenen Geständnis erst am gleichen Morgen eine doch wohl erhebliche Summe eingenommen hatte, schwerlich auf ein kleines Darlehen aus sein konnte, brachte ihn wieder völlig ins Gleichgewicht. Immerhin war eine längere Pause in ihrem Gespräch entstanden, und da er nicht wußte, wie er wieder beginnen sollte, so knurrte er bekümmert hervor: »Wir alten Knaben sollten uns nun zur Ruhe setzen.«

»Für einige von uns wäre es sicher besser, auf der Brücke zu sterben«, warf Kapitän Whalley nachlässig ein.

»Was denn! Komm doch – bist du der ganzen Sache immer noch nicht müde?« stieß der andere grimmig hervor.

»Und du?«

Kapitän Eliott war müde, höllisch müde. Er klebte an seinem Posten nur deshalb so lange, um sich die höchste Pension zu ersitzen, bevor er heimging. Auch die würde kaum mehr bedeuten als bittere Armut, doch würde sie eben die einzige Trennungsmauer zwischen ihm und dem Arbeitshaus darstellen. Und er hatte eine Familie. Drei Mädchen, wie Whalley ja wußte. ›Harry, der alte Junge‹, sollte nur verstehen, daß diese drei Mädchen für ihn eine Quelle unaufhörlicher Sorgen waren. Nein, man konnte verrückt werden darüber.

»Warum, was haben sie denn getan?« fragte Kapitän Whalley mit einer Art belustigter Zerstreutheit.

»Getan! Nichts getan! Das ist's ja gerade. Lawn-Tennis und dumme Romane von früh bis abends . . .«

Wenn wenigstens eine davon ein Junge geworden wäre! Aber alle drei! Und wie es das Unglück wollte, schien es auch keine anständigen Männer mehr auf der Welt zu geben. Wenn er sich so im Club umblicke, dann sehe er nur eine Schar eingebildeter Laffen, alle zu selbstsüchtig, als daß sie daran denken würden, eine gute Frau glücklich zu machen. Die ganze Schar zu Hause behalten zu müssen, bedeutete für ihn bittere Armut. Es war sein Lieblingsgedanke gewesen, sich ein kleines Landhaus zu bauen – in Surrey – um seine Tage darin zu beschließen; aber er fürchtete, das käme nun gar nicht mehr in Frage . . . und seine Kugelaugen rollten in so ergreifender Angst nach oben, daß Kapitän Whalley mitleidig zu ihm hinunternickte, dabei aber eine verräterische Lachlust niederzukämpfen hatte.

»Du mußt ja selbst am besten wissen, wie es ist, Harry. Die Mädel machen einem eine ganze Menge Kummer und Sorgen.«

»Oh! Aber meine macht sich ganz gut«, sagte Kapitän Whalley langsam und sah starr die Straße entlang.

Der Arsenaldirektor freute sich, das zu hören. Freute sich ungemein. Er erinnerte sich ihrer noch gut. Ein hübsches Mädchen war sie.

Kapitän Whalley ging nachlässig dahin und stimmte wie im Traume zu:

»Sie war hübsch.«

Der Wagenzug wurde zusehends kleiner. Eines der Gespanne nach dem andern löste sich aus der Reihe, fuhr in scharfem Trab davon und füllte die breite Allee mit Leben und Bewegung; bald aber kehrte die Stimmung würdiger Stille wieder und nahm von der geraden und breiten Straße Besitz. Ein weißgekleideter Sais stand neben dem Kopf eines Burmaponys, das an einen schönlackierten, zweiräderigen Wagen gespannt war. Das ganze Gespann, das am Randstein wartete, erschien unter den riesigen Bäumen kaum größer als ein vergessenes Kinderspielzeug. Kapitän Eliott watschelte darauf zu und machte Miene, in den Sitz zu klettern, hielt sich aber zurück; eine Hand leicht auf die Sitzlehne gestützt, wechselte er das Thema und ging von seiner Pension, seinen Töchtern und seiner Armut wieder zu dem sonst noch einzigen Gesprächsstoff über – dem Seearsenal, den Leuten und Schiffen im Hafen.

Er fuhr fort, Beispiele davon zum besten zu geben, was alles von ihm erwartet wurde; und seine heisere Stimme klang durch die stille Luft wie das eigensinnige Gebrumm einer Riesenhummel. Kapitän Whalley wußte nicht recht, welche Kraft oder welche Schwäche ihn abhielt, »Gute Nacht« zu sagen und davonzugehen. Es schien, als wäre er zu müde, um die Anstrengung zu wagen. Wie merkwürdig! Merkwürdiger als irgendeine von Neds Geschichten. Oder war es das überwältigende Bewußtsein der Beschäftigungslosigkeit allein, das ihn hier stehen und den Klatsch anhören ließ? Ned Eliott hatte niemals sehr ernsthafte Sorgen gehabt; und nun glaubte Whalley ganz tief verborgen, wie eingehüllt in das laute Gebrumm, etwas von der hellen, herzhaften Stimme des jungen Kapitäns der Ringdove zu hören. Er fragte sich erstaunt, ob er sich wohl selbst im gleichen Maße geändert habe. Und es schien ihm, als hätte sich die Stimme seines alten Kameraden nicht einmal so sehr verändert – als wäre der Mann noch derselbe. Kein übler Bursche, der gefällige, lustige Ned Eliott, freundlich, scharf im Geschäft – und immer ein wenig zum Schwindeln geneigt. Er erinnerte sich noch, wieviel Vergnügen er seiner armen Frau gemacht hatte. Sie konnte in ihm wie in einem offenen Buch lesen. Wenn der Kondor und die Ringdove zufällig zur gleichen Zeit im Hafen lagen, so bat sie ihn häufig, Kapitän Eliott zum Abendessen mitzubringen. Seit jenen alten Tagen hatten sie sich nicht allzu häufig getroffen. Vielleicht kaum einmal in fünf Jahren. Er sah unter seinen weißen Augenbrauen hervor nach diesem Mann, den er sich nicht entschließen konnte, an diesem Wendepunkt ins Vertrauen zu ziehen; und der andere fuhr mit seinen Herzensergüssen fort, weiter von seinem Zuhörer entfernt, als hätte er eine Meile weiter weg von einem Hügel herunter gesprochen.

Nun hatte er wieder einige Scherereien wegen des Dampfers Sofala. Schließlich mußte er doch jeden festgefahrenen Karren im Hafen wieder flottmachen. Man würde ihn schon vermissen, wenn er in weiteren achtzehn Monaten einmal nach Hause gegangen und der Posten höchstwahrscheinlich irgendeinem Marineoffizier im Ruhestand zugeschanzt sein würde – einem Mann, der nichts verstehen und sich weniger Sorgen machen würde. Der Dampfer war ein Küstenfahrer, mit einer festen Handelsverbindung nördlich bis nach Tenasserim; das Böse war, daß kein Kapitän aufzutreiben war, der die regelmäßigen Fahrten hätte machen wollen. Kein Mensch wollte auf das Schiff. Er selbst hatte natürlich nicht die Möglichkeit, einen Menschen zur Annahme dieses Postens tatsächlich zu zwingen. Auf die Bitte eines Generalkonsuls hin konnte man ja einmal ein Übriges tun, aber . . .

»Was ist mit dem Schiff los?« unterbrach Kapitän Whalley gemessen.

»Gar nichts ist los. Ein fester alter Dampfer. Der Eigentümer ist heute nachmittag in meinem Kontor gewesen und hat sich die Haare gerauft.«

»Ist er ein Weißer?« fragte Whalley angeregt.

»Er nennt sich einen Weißen«, antwortete der Arsenaldirektor grimmig. »Aber wenn er es ist, dann nur in der Haut und nicht tiefer. Das habe ich ihm heute ins Gesicht gesagt.«

»Aber wer ist er denn?«

»Er ist Maschinist des Dampfers. Verstehst du, Harry?«

»Ich verstehe«, sagte Kapitän Whalley nachdenklich. »Der Maschinist. Ich verstehe.«

Wie der Bursche dazugekommen war, gleichzeitig auch Reeder zu sein, das war eine ganze Geschichte. Er war als Dritter Offizier auf einem Schiff aus der Heimat vor etwa fünfzehn Jahren herübergekommen, wie Kapitän Eliott sich erinnerte, und nach einem bösen Krach mit seinem Ersten Offizier ausbezahlt worden. So oder so, die Leute schienen heilfroh, ihn um jeden Preis los zu sein. Offenbar ein aufsässiger Bursche. Nun, seither war er hier draußen geblieben, eine wahre Pest, ewig angeheuert und wieder ausgeschifft, unfähig, einen Posten sehr lange zu behalten; hatte wohl die Maschinenräume so ziemlich aller zur Kolonie gehörigen Schiffe durchgemacht. Dann plötzlich: »Und was glaubst du, was geschah?«

Kapitän Whalley, der aussah, als hätte er eben im stillen eine Summe zusammengezählt, fuhr leicht auf. Er konnte es sich wirklich nicht denken. Die Stimme des Arsenaldirektors bebte vor Erregung. Der Mann habe tatsächlich das Glück gehabt, den zweiten Haupttreffer in der Manila-Lotterie zu gewinnen. Alle diese Maschinisten und Deckoffiziere spielten ja in der Lotterie. Es schien ein förmlicher Irrsinn unter ihnen.

Nun erwartete jedermann, daß er sich mit seinem Gelde nach Hause machen und nach seiner Façon zur Hölle fahren würde. Durchaus nicht. Die Sofala, für ihre Route zu klein und nicht modern genug befunden, war von ihren Reedern, die einen neuen Dampfer aus Europa bestellt hatten, zu einem sehr anständigen Preise zu haben. Der Mann griff schleunigst zu und kaufte sie. Er hatte nie irgendwelche Zeichen des Wahnsinns verraten, der durch den plötzlichen Besitz einer großen Geldsumme hervorgerufen werden kann, niemals – bis er ein Schiff sein eigen nannte; dann aber verlor er mit einem Schlag sein Gleichgewicht: kam lärmend in das Seeamt, um das Schiff auf seinen Namen überschreiben zu lassen, den Hut auf das linke Auge gedrückt und ein Stöckchen zwischen den Fingern wirbelnd, und sagte jedem der Beamten einzeln, daß ihn nun niemand mehr hinauswerfen könne. Die Reihe sei an ihm. Nun gäbe es auf Erden niemand mehr über ihm, und es würde auch niemand mehr geben. Er stolzierte zwischen den Tischen herum, sprach mit lauter Stimme und zitterte dabei am ganzen Leibe, so daß alle Amtsgeschäfte ruhten, solange er da war und jedermann in dem großen Raum mit offenem Munde seinem Gehaben zusah. Später konnte man ihn dann während der heißesten Tagesstunden mit feuerrotem Gesicht die Quais auf und ab rennen sehen, um sein Schiff von verschiedenen Standpunkten aus zu betrachten; er schien geneigt, jeden Fremden, der gerade des Weges kam, anzuhalten, um ihm mitzuteilen, daß ›nun niemand mehr über ihm sei; er habe ein Schiff gekauft; nun könne ihn niemand mehr auf Erden aus seinem Maschinenraum hinaussetzen.‹

Wenn der Handel auch noch so gut war, so verschlang doch der Preis der Sofala so ziemlich den ganzen Lotteriegewinn. Er hatte kein Betriebskapital übrigbehalten. Das machte nicht so sehr viel aus, denn es waren ja die goldenen Tage des Küstenhandels, bevor noch einige der Reedereien daran gedacht hatten, an Ort und Stelle kleine Flotten zu schaffen, um die Hauptlinien zu versorgen. Sobald diese einmal eingerichtet waren, nahmen sie natürlich die größten Stücke aus dem Kuchen für sich weg. Und dann war bald die schöne alte Zeit für immer vorbei. Durch Jahre hatte die Sofala seiner Ansicht nach kaum mehr als den nackten Lebensunterhalt verdient. Kapitän Eliott hielt es für seine Pflicht, jedem englischen Schiff, soweit es anging, zu helfen; und es lag auf der Hand, daß die Sofala, wenn sie erst einmal aus Mangel an einem Kapitän ihre Fahrten zu versäumen begann, sehr bald ihre Handelsbeziehungen einbüßen würde. Das war nun die Schererei. Der Mann war zu unverträglich. »Von Anfang an zu sehr ein Bettler auf dem Pferd«, erklärte er. »Schien mit der Zeit immer schlimmer zu werden. Während der letzten drei Jahre hat er elf Schiffer gehabt, hat es mit jedem einzelnen Menschen hier außerhalb der regulären Linien versucht. Ich hatte ihn früher schon gewarnt, daß sich das auf die Dauer nicht halten würde, und jetzt will natürlich niemand von der Sofala etwas wissen. Ich habe mir ein oder zwei Leute ins Amt kommen lassen und habe mit ihnen gesprochen; aber sie sagten mir alle, was es für einen Sinn haben sollte, einen Posten anzunehmen, um einen Monat lang ein rechtes Hundeleben zu führen und sich am Ende der ersten Reise vor die Tür setzen zu lassen? Der Bursche versicherte mir natürlich, das sei alles Unsinn; seit Jahren sei eine Verschwörung gegen ihn im Gange. Die sei nun ausgebrochen. Alle die verdammten Seeleute im Hafen hätten sich zusammengetan, um ihn auf die Knie zu zwingen, weil er nur ein Ingenieur sei.«

Kapitän Eliott kicherte gurgelnd.

»Und die Tatsache ist die, daß er sich, wenn er noch ein paar Fahrten versäumt, gar nicht mehr die Mühe zu nehmen braucht, nochmals auszulaufen. Der wird auf seiner alten Route keine Ladung mehr finden. Heutzutage gibt es viel zuviel Wettbewerb, als daß die Leute ihre Sachen liegenlassen und auf ein Schiff warten würden, das niemals kommt, wenn es fällig ist. Die Aussichten für ihn sind nicht gut. Er schwört, daß er sich lieber an Bord einschließen und in seiner Kabine verhungern, als das Schiff verkaufen wolle – selbst wenn er einen Käufer finden würde. Und das ist durchaus nicht wahrscheinlich. Nicht einmal die Japaner würden die Versicherungssumme dafür geben. Es ist nicht wie mit dem Verkauf von Segelschiffen. Dampfer werden eben nicht nur alt, sondern vor allem unmodern.«

»Er muß sich aber doch ein schönes Stück Geld zurückgelegt haben«, meinte Kapitän Whalley ruhig.

Der Arsenaldirektor blies seine dunkelroten Wangen zu erstaunlichem Umfang auf.

»Keinen Pfifferling, Harry, keinen – einzigen – Pfifferling.«

Er wartete; als aber Kapitän Whalley langsam seinen Bart strich und vor sich auf den Boden sah, ohne ein Wort zu reden, da tippte er ihn, auf die Fußspitzen gereckt, auf den Arm und krächzte flüsternd:

»Die Manila-Lotterie hat ihn aufgefressen.«

Dann zog er eine Grimasse und nickte wiederholt mit dem Kopf. Sie alle spielten; ein Drittel der Gehälter, die an Schiffsoffiziere (›in meinem Hafen‹, schnarrte er) gezahlt wurden, gingen nach Manila. Es war wie ein Irrsinn. Der Bursche Massy war davon ganz am Anfang gepackt worden, wie die andern auch; nachdem er aber erst einmal gewonnen hatte, schien er überzeugt zu sein, er brauchte es nur noch einmal zu versuchen, um noch einen Haupttreffer zu machen. Seither hatte er für jede Ziehung Dutzende und aber Dutzende von Losen gekauft. Infolge dieses Lasters und seiner geschäftlichen Unkenntnis war er seit dem Kauf des Dampfers in ständiger Geldverlegenheit gewesen.

Dies war nach Kapitän Eliotts Meinung eine Gelegenheit für einen vernünftigen Seemann mit ein paar Pfund in der Tasche, herzugehen und den Narren vor den Folgen seiner Narrheit zu retten. Es war seine Schrulle, mit seinen Kapitänen Streit zu suchen. Er hatte ein paar wirklich tüchtige Leute gehabt, die nur zu gern geblieben wären, hätte er sie bloß gelassen. Aber nein. Er schien zu glauben, daß er nicht der Reeder sei, wenn er nicht frühmorgens jemand hinauswarf und abends mit dem Neuen einen Streit hatte. Was er brauchte, das war ein Schiffer, der sich mit ein paar hundert Pfund an dem Schiff beteiligen würde. Man entläßt keinen Menschen ohne Grund, einfach nur des Spaßes halber, ihm sagen zu können, er solle seinen Kram packen und sich an Land scheren, wenn man weiß, daß man dann seinen Anteil auszuzahlen hat. Andrerseits ist es nicht wahrscheinlich, daß ein Mensch, der am Schiff beteiligt ist, im Zorn wegen eines Nichts seinen Posten aufgeben würde. Er habe das Massy gesagt, habe gesagt: »›Das geht nicht, Herr Massy. Wir im Seeamt sind Ihrer ziemlich überdrüssig. Nun bleibt Ihnen nichts, als einen Seemann als Teilhaber zu finden. Das scheint mir der einzige Weg.‹ Und das war kein schlechter Rat, Harry.«

Kapitän Whalley stand reglos auf seinen Stock gestützt, seine Hand, die den Bart hatte streichen wollen, war zu festem Griff angehalten worden. – Und was habe der Bursche dazu gesagt?

Der Bursche habe die Frechheit gehabt, auf den Arsenaldirektor loszufahren. Er habe den Rat in unverschämtester Weise aufgenommen. »Ich bin nicht hierher gekommen, um mich auslachen zu lassen«, habe er gebrüllt. »Ich wende mich an Sie als Engländer und Reeder, der durch eine ungesetzliche Verschwörung Ihrer verdammten Seeleute an den Rand des Ruins gebracht worden ist – und alles, was Sie sich herbeilassen, für mich zu tun, ist, daß Sie mir sagen, ich sollte mir einen Teilhaber suchen . . .« Der Bursche habe sich nicht entblödet, vor Wut auf den Boden des Privatkontors zu stampfen. Wo sollte er einen Teilhaber hernehmen? Hielt man ihn zum Narren? Kein einziger von der verwünschten Horde dort im ›Heim‹ habe auch nur ein Zweipencestück in der Tasche. Das wußte noch der letzte der Eingeborenendiebe in den Bazars . . . »Und es stimmt ja allerdings, Harry«, brummte Kapitän Eliott nachdenklich. »Bei jedem einzelnen von ihnen ist es eher wahrscheinlich, daß er einem der Chinesen in Denham Road für die Kleider am Leibe Geld schuldet. ›Nun‹, sagte ich, ›Sie machen für meinen Geschmack zuviel Lärm deswegen, Herr Massy. Guten Morgen.‹ Er schlug die Tür hinter sich zu; er wagte es, meine Tür zuzuschlagen. Gott strafe seine Frechheit!«

Das Oberhaupt der Seeabteilung war atemlos vor Entrüstung. Dann sammelte er sich wieder: »Bei alledem werde ich noch zu spät zu Tisch kommen . . . schwätze da mit dir . . . die Frau hat es nicht gern.«

Er kletterte schwerfällig in den Sitz, lehnte sich dann seitlich vor und begann sich dabei erst mit etwas gemachter Herzlichkeit zu erkundigen, was denn wohl in aller Welt Kapitän Whalley in letzter Zeit angefangen habe. Sie hätten sich ja Jahre und Jahre nicht gesehen, bis da neulich, wo Whalley so unerwartet im Amt aufgetaucht sei. Was in aller Welt . . .

Kapitän Whalley schien still vor sich in seinen weißen Bart hineinzulächeln.

»Die Erde ist groß«, sagte er obenhin.

Der andere starrte von seinem Wagensitz rings in die Runde, als wollte er die Behauptung prüfen. Die Esplanade lag ganz still. Nur von weit, ganz weit weg, weit an der Küste hinauf, kam über die weiten Rasenflächen und die langen Baumreihen weg das schwache Tuten des Straßenbahnwagens, der eben von dem leeren Säulenvorbau der öffentlichen Bücherei abfuhr, um die drei Meilen bis zu den neuen Hafendocks zu durchlaufen.

»Scheint doch nicht gar so viel Raum darin zu sein«, knurrte der Arsenaldirektor, »da diese Deutschen sich uns auf Schritt und Tritt in den Weg stellen. Das war zu unserer Zeit nicht so.«

Er verfiel in tiefes Sinnen und atmete dabei geräuschvoll, als schlummerte er mit offenen Augen. Vielleicht hatte auch er in der schweigsamen, pilgerhaften Gestalt, die still wie ein rastender Wanderer neben dem Rade stand, verschwommen die Stimme des jungen Kondor-Kapitäns entdeckt. Guter Junge – Harry Whalley – niemals sehr gesprächig. Man wußte nie, wo er hinauswollte – gern ein bißchen großartig gegen einflußreiche Leute und geneigt, manche Andeutung falsch aufzufassen. Hatte wohl eine zu hohe Meinung von sich selbst. Er hätte ihn gern aufgefordert, einzusteigen und mit zum Abendessen zu fahren. Aber man wußte ja nie . . . die Frau hatte es vielleicht nicht gern.

»Und es ist spaßig zu denken, Harry«, fuhr er mit seinem tiefen, halblauten Gebrumm fort, »daß von all den Leuten nur du und ich übrig sein sollen, um uns an dieses Stück Welt erinnern zu können, wie es einmal war . . .« Er schien bereit, sich einer weichen Stimmung hinzugeben; doch da fuhr es ihm plötzlich durch den Kopf, daß Kapitän Whalley immer noch ohne eine Regung und ohne ein Wort dastand, etwas zu erwarten schien, vielleicht damit rechnete . . . Er zog sofort die Zügel an und bellte mit gemachter Herzlichkeit:

»Ja, mein lieber Junge, die Männer, die wir gekannt – die Schiffe, die wir gesegelt, ach ja, und die Dinge, die wir getan haben . . .«

Das Pony sprang an, der Sais machte einen Satz zur Seite. Kapitän Whalley hob den Arm.

»Leb wohl.«

 


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