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Zwölftes Kapitel

Consilium Aegyptiacum

Ais Boineburg und Leibniz wieder in die Bibliothek zurückgekehrt waren, bemühte sich der Minister nicht mehr, seine Erregung zu verbergen.

»Es ist furchtbar, was sich da zusammenbraut!« stieß er hervor. »Furchtbar. Das ist der Beginn. Ähnlich habe ich mir ihn vorgestellt. Zuerst Holland, damit die Flanke frei ist, dann Lothringen, dann wir, dann Bayern und das übrige Deutschland. Der Herr aus Trier ist reichlich naiv, wenn nichts Schlimmeres dahintersteckt. Aber lassen wir das jetzt. Für mich gibt es noch eine andre, höchstpersönliche Sorge.«

»Die Reise nach Paris?«

»Gewiß, die Reise nach Paris.« der Minister schlug mit der Hand auf den Tisch. »Unmöglich, ganz unmöglich! Das weiß man in St. Germain und Versailles. Man will mich lahmlegen oder neuerlich kompromittieren und erledigen. Der Kurfürst läßt mich fallen, wenn ich damit komme. Er versteht mich nicht, hält mich jetzt schon für einen Renegaten, für einen halben Söldling der Franzosen. Warum, mein Gott, warum ist er erst richtig deutsch geworden, als es schon zu spät war? Gehe ich aber nicht nach Paris, dann kann ich meine ›Gesinnungen‹ nicht befestigen. Dann bin ich wiederum wertlos für Mainz. Die dort in Paris wissen verteufelt gut, was sie tun und wollen. Was würden Sie in meiner Lage unternehmen, Leibniz?«

»Das Dritte, Herr Minister.«

»Was bedeutet dieser Orakelspruch?«

»Ich werde mich sogleich näher erklären. Noch eine Vorfrage: Haben Sie, Herr von Boineburg, heute noch Geduld und Kraft, ein grundlegend neues politisches Konzept zu hören und zu überdenken?«

»Wenn es zur Sache gehört, ja, wenn nicht, dann unbedingt nein.«

»Es gehört zur Sache. Allerdings hat es noch Lücken, da ich es auf meiner Rheinfahrt entwarf und damals noch nicht in Kenntnis des Todes Lionnes und der Kriegsvorbereitung gegen Holland war. Trotzdem glaube ich, daß es dadurch nur noch aktueller geworden ist.«

»Was sollte das sein? Sie lieben dramatische Steigerungen, Leibniz. Da Sie aber außerdem kein Flunkerer sind, werden diese Spannungen fast unerträglich.« Boineburg hatte sich ein wenig beruhigt und lächelte sogar schon.

»Vor allem will ich kein Plagiarius sein«, erwiderte Leibniz und lehnte sich zurück. »Schon ein Venezianer, namens Marino Sanuto hat im vierzehnten Jahrhundert im ›Secreta fidelium crucis‹ dem Papst ähnliche Gedanken vorgetragen. Allerdings nur ähnliche.«

»Ich verstehe nicht, worauf Sie anspielen.«

»Auf meine neueste Denkschrift, genannt Consilium Aegyptiacum.

Auf eine Denkschrift, die erst zu verfassen und dem großen Ludwig in die Hände zu spielen sein wird.«

»Um nichts deutlicher. Reden Sie im Zusammenhang, ich werde nicht mehr unterbrechen.«

Leibniz sammelte sich einige Augenblicke. Dann sprach er fließend:

»Die Lage Deutschlands brauchen wir, besonders nach den heutigen Ereignissen und Erfahrungen, nicht mehr zu erörtern. Alles Deutsche ist heute zwischen scharfe, gierige Zangenbacken, die uns von West und Ost bedrohen, eingeklemmt. Die Zange kann sich jeden Augenblick schließen. Übrigens ist das Bild nicht richtig. Denn es besteht vorläufig noch kein Zusammenhang zwischen West und Ost. Jedenfalls ist aber die türkisch-französische Zange möglich. Wo schon eine Backe der Zange genügt, uns zu verderben. Als ich den Rhein in herrlichem Frieden sah, kam mir der Gedanke, ob es nicht möglich wäre, die Zange zu öffnen, zu zerbrechen. Ohne Nachteil für die Christenheit. Ich sehe den Zweifel in Ihrem Gesicht, Herr Minister. Nein, ich bin kein Adept, der erklärt, daß, wenn er den Stein der Weisen schon hätte, das übrige ein Kinderspiel wäre. Ich will am Stein arbeiten, will ihn schaffen. Frankreich hat mit den Türken noch ein Hühnchen zu rupfen. Die Schlappe von Djigelli in Algier ist noch nicht gerächt. Wie also, wenn Ludwig sich entschlösse, etwa Ägypten anzugreifen und zu besetzen? Ist Ägypten nichts? Ist der Handelsweg im Roten Meer zu verachten? Würde der Türke nicht empfindlich getroffen und zur Hilfe nach Ägypten eilen? Während Polen und das Deutsche Reich dem weichenden Erbfeind zu Land zusetzten und ihn vor sich hertrieben? Ist das kein gemeinsames Interesse der ganzen Christenheit, das auch Venedig nicht kalt lassen würde? Und das Ergebnis? Die Zange ist zerbrochen, Frankreichs Ruhm als Retter der Christenheit ohne Grenzen, Deutschland und Polen sind in der Lage, sich aufzuraffen, zu vergrößern und zu erholen. Der Rhein bleibt frei, Ungarn wird frei, der Weg nach Indien wird geöffnet, und – Hollands Handel im Mittelmeer und nach Indien wird vernichtender getroffen als durch den Landkrieg, den Ludwig plant. Gewiß, was ich da erzähle, sind bloß erste Inspirationen, erste Entwürfe. Aber Sie kennen mich genug, Herr von Boineburg, um zu wissen, daß ich solch ein Konzept sowohl historisch, als juristisch, als politisch bis zum letzten Ende durchführen kann. Und nun bitte ich Sie, Herr Minister, mir offen zu sagen, ob ich in Träumen befangen bin oder mein Gefühl von der Geschlossenheit und Logik meines Plans das richtige ist.« Leibniz schwieg und blickte, verwirrt von seinen eigenen Gedanken, zu Boden.

Boineburg aber war aufgestanden und ging erregt im Zimmer auf und nieder. Dabei tippte er mit dem Stock leicht an die Fauteuils und andre Gegenstände, an denen er eben vorbeikam.

»Erleuchtet, unausdenkbar, großartig!« antwortete er plötzlich. »Ein herrlicher Zukunftstraum. Narren, die Franzosen, wenn sie nicht darauf eingehen. Soweit wenigstens ich etwas von Politik verstehe. Und wenn Politik eine Sache des Verstandes und nicht Sache unklarer Gefühle und Triebe ist. Und wenn weiter die Franzosen nicht weltenweit andre Gehirne haben als Sie und ich und alle Deutschen.« Er schwieg einen Herzschlag lang. Dann sagte er entschieden: »Ich werde diesen Plan mit all meiner diplomatischen Kunst, mit all meinen Beziehungen und mit meinem eigenen Geld unterstützen. Denn ich fürchte, daß wir beide die einzigen sind, die – nicht von tausend Tagesfragen, Sonderinteressen oder Kirchturm-Aspekten geblendet – die Tragweite solcher Dinge für die Zukunft einschätzen können. Gehen Sie jetzt nach Hause, Leibniz, schreiben Sie, schreiben Sie, schreiben Sie! Die Denkschrift soll lieber morgen als übermorgen fertig sein. Das übrige werde ich besorgen. Ich schließe mich dem ›Dritten‹ an, wie Sie es nannten. Trotzdem werde ich dem Gesandten von Trier für alle Fälle harte Gegenleistungen für unsre Neutralität herauspressen. Denn vielleicht ist der Krieg gegen Holland doch nicht mehr zu verhindern.«

 


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