Lena Christ
Erinnerungen einer Überflüssigen
Lena Christ

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Mein Vertrauen auf die Hilfe Gottes war um so größer, als ich schon etliche Tage vor Lichtmeß infolge eines eingetretenen natürlichen Zustandes nach langem Bitten bei meinem Gatten erreicht hatte, daß er mir für kurze Zeit die Ruhe und Schonung gewährte, deren ich mich weder vordem noch nachher jemals erfreuen konnte.

Etliche Wochen später fühlte ich denn auch wirklich allerlei Anzeichen, die mir Gewißheit darüber boten, daß Gott mir meinen Wunsch erfüllt habe.

Von diesem Augenblick an begann ich meinen Gatten zu liebkosen und ihm alles zu gewähren. Ich kochte ihm seine Leibgerichte, fertigte ihm allerlei Dinge, von denen ich meinte, daß sie ihn freuen würden, und suchte auf alle Weise ihm unser Heim lieb und wert zu machen.

Er aber hatte es anders im Kopf und wollte nun alle Welt das zu erwartende Glück sehen und bereden lassen und empfand stets die größte Freude, wenn in Wirtshäusern und Bräukellern irgend ein Geschäftsfreund oder Zechkumpan mit schamloser Deutlichkeit auf meinen Zustand hinwies. Herausfordernd stellte er mich mitten in den Kreis solcher Gesellen und hatte kein Ohr für meine lauten Bitten und Klagen.

Schon zu Zeiten meiner Kindheit und Jugend war mir das Wirtshauswesen oft zu einer schier unerträglichen Last geworden; darum war es nicht verwunderlich, daß ich jetzt, zumal in diesem mir wunderbar und fast heilig vorkommenden Zustande, viel lieber daheim in der gemütlichen Stube geblieben wäre, um in Stille und ruhiger Beschaulichkeit die Ankunft des Kindes vorzubereiten. Nun kam es aber fast täglich zu den gröbsten Auseinandersetzungen; denn der Benno fand seine größte Freude und liebste Unterhaltung bei Bier und Wein und wurde darin auch von seinen Eltern ehrlich unterstützt, die meinten, ein Ehemann müsse unter allen Umständen der Herr im Haus bleiben, was auch komme.

So war es Pfingsten geworden, und ich begann seit etlichen Tagen auf ein geheimnisvolles Etwas in mir zu horchen. Oft saß ich ganz still und hielt den Atem an, um es zu spüren und in innerster Seele zu hören.

Und eines Tages, es war um Johanni, vertraute ich es meinem Gatten an, indem Tränen der Freude mir in die Augen traten.

Da sprang er auf, riß mich in der Stube herum und rief. »Was sagst, Weibi, rührn tuat si der Bua scho! Ja, Herrgott, dös muaß aber g'feiert wer'n! Ziag di o, na führ i di in Löw'nbräukeller! Ja, Herrgott, wer'n dö schaugn am Stammtisch!«

»Geh, bleib do dahoam, Benno«, meinte ich und fuhr fort: »Schau, dahoam is so was vui schöner und g'müatlicher z'feiern! I hätt di so gern für mi alloa ghabt und geh gar net gern furt. Geh, bleib dahoam!«

Aber, wie immer, so kam es auch dieses Mal: erst ging es ans Bitten, dann ans Streiten, und am End mußte ich, wenn ich nicht einer Mißhandlung gewärtig sein wollte, zu allem ja sagen, mich ankleiden und mitgehen.

Am Stammtisch saßen schon die Freunde: etliche Sergeanten des Regiments, bei dem der Benno gedient hatte, und die er sich durch manchen bezahlten Rausch wohl gewogen gemacht hatte; ferner ein paar Buchhalter seines Geschäfts und etliche Leute, von denen man nicht recht wußte, wovon sie lebten und wessen Geld sie verjubelten.

In diese Gemeinde nun schleppte mich mein Gatte und rief, als wir an den Tisch getreten waren: »Servus, meine Freund! Heunt leidt's an Rausch, heunt hat der Bua sein erschten Hupfa g'macht!«

Einer der Sergeanten hatte sich bei unserm Kommen erhoben und war zu uns getreten. Und während die andern nun in ihrer gewöhnlichen Art die Anrede meines Mannes belachten, faßte er mich mit der Linken an der Schulter; mit der Rechten aber fuhr er über meinen Leib und meinte: »Schau, schau! Schö dick werd's scho, d'Haslerin! Hat's enk denn scho gar so pressiert, daß im erscht'n Jahr no d'Kindstaaf sei muaß?«

Ich stand wie mit Blut übergossen, und die Stimme versagte mir, dem frechen Schwätzer zu antworten. Tränen rannen mir über die Wangen, und ich bat den Benno um die Hausschlüssel, daß ich heim könne, da ich krank sei.

»So, so krank is mei g'schmerzte Frau Gemahlin! Bleib nur schö da; dös werd scho wieder vergeh bei der Musi!«

Und fest drückte er mich auf einen Stuhl und begann dann eifrig zu schwatzen und zu trinken; und obschon etliche gemeint hatten, sie wollten mich nachhause bringen, ließ er dies nicht geschehen, sondern sagte: »Dö soll dableibn! So vui muaß ma aushaltn könna! Was taten denn andere Weiber, dö wo arbatn müssn ums Tagloh'!«

Erst lange nach Mitternacht kamen wir heim, nachdem mein Mann mich noch in ein Kaffeehaus und danach zum Wein geführt und auch die andern dazu eingeladen hatte.

Von da ab unterwarf ich mich seinem Willen, ohne zu bitten, und hoffte, daß alles ein Ende hätte, wenn erst das Kind geboren wäre.

So kam der Herbst, und meine Zeit rückte immer näher. Meine Schwiegereltern waren zwar längst nicht mehr lieb zu mir, doch ließen sie es mir an nichts fehlen und fragten oft nach meinen Wünschen oder Gelüsten; denn sie hofften auf einen Buben, der dem Geschlecht der Haslerischen einmal Ehre machen würde.

Da war es einmal, daß ich in ihrer Wohnstube saß und an einem Kinderhemdlein nähte, während die Mutter eine alte Truhe mit buntem Kinderzeug durchwühlte und allerlei Jöpplein und Windeln daraus hervorzog und vor mich hinlegte. Ich aber blickte sehnsüchtig und verlangend nach dem Schreibtisch, wo eine Anzahl frischer Äpfel in eine Reihe geordnet lagen; doch getraute ich mich nicht, von der Schwiegermutter einen zu erbitten, da sie schon dem Benno, als er einen nehmen wollte, mit strengen Worten sein Tun verwiesen hatte; denn sie war nicht freigebig.

Je länger ich nun hinsah, desto mehr gelüstete es mich nach einem der Äpfel, und endlich kam mir ein guter Gedanke. Ich stand auf und ging hinaus in das Holzlager zum Schwiegervater, der eben einen uralten Wiegenkorb mit himmelblauer Farbe strich.

»Vater!« rief ich.

»Was isch' denn?« antwortete er, ohne aufzusehen.

»I möcht was!«

»Was willsch' denn?«

»Was Runds.«

»Ja was! Eppe gar'n Taler?« Und gespannt blickte er von seiner Arbeit auf mich.

»Naa, Vater, a Kugel is!«

»A Kugel? – a Kugel? – Mädla, sell ka i mir it denka! Du muaßt m'r scho helfa roata!«

Lachend nahm ich ihn bei der Hand und führte ihn hinein und vor den Schreibtisch.

»Ja da schau her!« rief der Alte jetzt und nahm einen der Apfel, »dias isch also die Kugel! Na die sollsch' haba!«

Schon wollte er mir den Apfel geben; da fiel ihm die Mutter in den Arm: »Was, grad von dö schönsten oan!«

Aber ungeachtet dieses Widerspruchs gab er mir ihn doch und meinte: »Laß dir'n nur guat schmecka! 's isch viel gescheiter e geschenkter großer, als e gestohlener kloiner! Wia leicht könnt's Kindle 's Stehla lerna scho im Mutterleib!«

Da gab sich die alte Frau zufrieden, und ich verzehrte den Apfel mit großem Behagen.

Etliche Tage später kaufte der Haslervater einen Korb voll Trauben und schenkte sie mir, indem er sagte: »Dia muaßt alle essa, daß d' e saubers Kindle kriagsch'!«

Der Oktober ging seinem Ende zu, und ich richtete alles her, dessen man zum Empfang eines Kindleins bedarf und stellte die gemalte und von der Haslermutter mit geblumten Vorhängen geschmückte Wiege in die Schlafstube und rückte die Ehebetten auseinander.

Am Allerheiligentag schon in aller Früh ziehen die Soldaten unter klingendem Spiel in die Kirche, das Namensfest unseres Regenten zu feiern, und aus allen Fenstern fahren die Köpfe, und ein jedes freut sich der Musik.

Als damals in der Früh die Böller krachten und die Soldaten sich rüsteten zum Fest, da rief ich dem Benno, der noch schlief, aus meinem Bette zu: »Benno, geh hol ma d' Frau Notacker, i glaab, es werd was.«

Erschreckt fuhr mein Gatte aus dem Bett und in die Hosen; in der Eile aber brachte er das vordere Teil nach hinten, und ich mußte über den komischen Anblick trotz meiner Schmerzen herzlich lachen.

Unter vielen Ängsten, und nachdem er alles Erdenkliche angestellt hatte, seinen Hut verloren und sein Rad im Haus der Hebamme hatte stehen lassen, brachte er endlich die schon sehnlich Erwartete.

Geschäftig packte sie ihre große Tasche aus, bei welcher Arbeit ich ihr ängstlich zusah; denn ich konnte es immer noch nicht glauben, daß das Kind ohne jede Beihilfe von Messer oder Schere, ohne Leibaufschneiden hervorkommen könne.

Nachdem sie ihre Sachen geordnet und mein Bett zurechtgemacht hatte, sagte sie: »So, Herr Hasler, jatz lassn S' an etlichs Paar Bratwürscht holn und a Flaschn Rotwei; d' Frau Hasler braucht a Kraft!«

Eilig lief der Benno, das Befohlene zu holen, und inzwischen kamen die Haslerischen und fragten, wie weit es noch wäre.

»A paar Stund no«, erwiderte die Hebamme und fügte lachend hinzu: »Was leidt's denn, wenn i an Bubn hol?«

»Sell kriagn ma na scho, Frauli!« antwortete der Vater, und die Mutter meinte: »D'Hauptsach is, daß alls guat geht, ebbas werd's scho sei!«

Um Mittag bemächtigte sich meiner eine große Unruhe, so daß ich aufstand und mich etwas ankleidete. Dann ging ich ans Fenster und sah hinab auf die vielen Menschen, die zur Parade gingen. Deutlich hörte ich das Wirbeln der Trommeln und hoffte, das Militär bei uns vorbeiziehen zu sehen, weshalb ich das Fenster öffnete während mein Gatte sich lebhaft mit der Frau Notacker unterhielt.

Da fühlte ich plötzlich ein starkes Anstemmen des Kindes, und zugleich hatte ich das Gefühl, als müsse ich zerspringen.

»Frau Notacker, i moan, jatz...« mehr brachte ich nicht heraus.

Drunten zog die Regimentsmusik vorbei mit Pauken und Trompeten, und Kinder jubelten und pfiffen; da mischte sich ein kreischendes Stimmlein in die Klänge des Militärmarsches – ich hatte einen Buben.

Nun herrschte Lust und Freud im Hause und ward die Taufe mit großem Pomp gefeiert und gab man dem Buben nach seinem Großvater die Namen Johannes Magnus.

Ich eile nun, zum Ende zu kommen; denn die letzten meiner Erinnerungen sind so traurig und peinlich, daß es der Leser mir nicht übel vermerken möge, wenn ich gewisse Zeitpunkte überspringe und in gedrängter Form die letzten Schicksale erzähle.

Diese Ehe war so unglücklich, daß ich noch jetzt mich bedenke, ob nicht wirklich der Fluch, den meine Mutter mir am Hochzeitsmorgen zum Geleit mitgab, mit also furchtbarer Macht seine Wirkung während meiner ganzen Ehe übte, und ob nicht doch jene Klosterfrau, als sie mich warnte, wieder in die Welt zurückzukehren, von Gott begnadet war, das Schicksal vorauszusehen, welches mich heraußen erwartete.

Und, seltsam, gerade einige Tage nach der Geburt meines ersten Kindes traf ein Brief von ihr ein, in dem sie mir die Versicherung gab, meiner niemals im Gebete zu vergessen, und mich ermahnte, auch im tiefsten Leid und Unglück nicht zu verzagen, denn Gottes Hand möchte vielleicht mich strafen, daß ich damals nicht mein Leben ihm geopfert.

Später einmal, als ich ihr die Geburt eines Mädchens berichtete, bat sie mich, es recht gut zu erziehen; denn, meinte sie, vielleicht bringt es einmal dem Herrn das Opfer, das ich ihm ehemals verweigert.

Ich war in den letzten Wochen vor der Niederkunft im Gesicht recht alt und fleckig geworden und mußte daher manches bittere Wort vom Benno hören. Nun aber blühte ich sichtbar auf, und schon nach drei Wochen war ich wieder so verjüngt, daß mein Gatte aufs neue in heftiger Leidenschaft entbrannte und allen Vorstellungen zum Trotz mit Gewalt jene Schranke niedertrat, die eine weise Natur einer jeglichen Mutter, sogar den Tieren aufrichtet. Vergeblich wies ich ihm den Kleinen, wenn er sich an meiner Brust sättigte und flehte: »Geh, nimm do dein' Buam net sei Nahrung! Laß mi do in Fried! Schau, i bin no krank!«

Aber seine Sinne begehrten, und da mußte der Verstand schweigen. So kam es, daß ich nach wenig Monaten aufs neue Mutterhoffnungen fühlte.

Bald begann ich zu kränkeln, und mit der Gesundheit schwand mein guter Humor, und ich wurde zur gealterten Frau, die vom Leben nichts mehr hofft.

Unsere Häuslichkeit bot weder Frieden noch Behagen; der Benno sah wohl, was er getan, hatte aber doch kein Einsehen. Am Tage gab es Streit, und am Abend suchte er alles Trübe und Mißliche in Leidenschaft zu ersticken.

Meine Schwiegereltern beklagten sich bitter über diese Zustände und schoben die Schuld auf meine Nachgiebigkeit und meinen Leichtsinn. Darob ward ich recht erbittert und mied sie von nun an.

Meine Eltern hatten schon bald nach meiner Heirat sich mit den Haslerischen verfeindet, und ich durfte deshalb längst nicht mehr zu ihnen gehen, wenn ich nicht eines Auftritts mit Benno gewärtig sein wollte. Nun aber war das Verlangen nach der Mutter so stark in mir, daß ich alles vergaß und mich aufmachte und zu ihr ging.

Als ich sie in der Küche begrüßte, fragte sie nach kurzem »'ß Gott«, was ich wolle. Da berichtete ich ihr schluchzend mein Unglück und bat sie um Trost.

»So, war i jatz guat gnua zum trösten! Dös g'schieht dir grad recht, wenn's dir schlecht geht; du hättst es aushaltn könna dahoam! Was geht mi dei Elend o! Geh zu dö Haslerischen, dös san jatz deine Leut! Mach nur, daß d' ma weiter kommst!«

Da sagte ich nichts mehr und ging, und begab mich zu fremden Leuten, ihnen mein Leid zu klagen. Wie wohl taten mir da die Worte des Beileids und des Trostes, obgleich ich wußte, daß sie nicht von Herzen kamen, und ich nachher in allen Milch- und Kramerläden durchgehechelt und ausgerichtet wurde.

Mein Gatte hatte sich in der letzten Zeit immer mehr dem Trunk ergeben und kam oft nächtelang nicht nach Hause, um dann bei dem geringsten Anlaß zu wüten und mich zu mißhandeln.


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