Lena Christ
Erinnerungen einer Überflüssigen
Lena Christ

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Unterdessen hatten sich mehrere Leute an der Küchentür angesammelt, die sich nach vorhandenen Abendspeisen erkundigen wollten, in der Erregung des bedeutungsvollen Augenblicks aber ganz übersehen worden waren. Diese Menschen waren die ersten, die mein bevorstehendes Glück inne wurden.

»Was ma no z'essen ham, Frau Kugler? – naa, so a Glück hat dös Madl! – ja so, a Schnitzl, a Kottlett, a bachens Hirn, – und nach Liab kon er heiratn; Geld hat er selber gnua! – a guats Kalbszüngerl hab i aa no, Frau Kugler!« so ging der Redestrom über die Lippen meiner hocherfreuten Mutter.

Ich aber tat meine Arbeit wie zuvor und dachte bloß, ob ich wohl ein seidenes Brautkleid kriegen würde.

Als dann in der Küche nichts mehr zu tun war, durfte ich mich auch an den Tisch zu meinem Hochzeiter setzen, und nun sprachen wir ausführlich über die Bekanntgabe der Verlobung, über meine Aussteuer und über die Zeit, wann wir heiraten wollten. Ich sagte zu allem ja, und auch meinem Vater gefielen die Vorschläge seines zukünftigen Schwiegersohnes ganz wohl. Nur als dieser wissen wollte, wie hoch die Brautgabe für mich ausfallen würde, da räusperte er sich wieder verlegen und meinte dann: »Da muaß d'Muatter aa dabei sei, wenn ma d'Geldangelegenheit bereden«, und er ging hinaus in die Küche. Doch die Mutter war schon zu Bett gegangen und hatte nur durch die Küchenmagd sagen lassen, sie hätte Kopfweh. Also blieb die Geldfrage noch unbeantwortet.

Wir saßen noch bis ein Uhr beisammen, und als mich jetzt der Benno ganz leise an der Hand faßte und mich mit seinen von Wein und Liebe glänzenden Augen selig anblickte und nochmals fragte: »Kannst mi a ganz kloans Bröckerl gern haben, Lenerl?« kam er mir auf einmal recht schön und liebenswert vor und alle meine Bedenken schwanden, und ich sagte lachend, nachdem ich rasch ein Glas Wein hinuntergestürzt hatte: »Ja, ja! I wer dei Frau und mag di!« und besiegelte das Versprechen später noch unter der Haustür, da ich ihn hinausgeleitete, mit einem laut schallenden Kuß, worüber der Benno so beglückt war, daß er beim Fortgehen noch ganz verklärt hinter sich sah und auf den Randstein nicht achtete, so daß er auf ein Haar zu Fall gekommen wäre. Ich aber schlug rasch die Tür zu und mußte beim Zusperren laut auflachen über dies Mißgeschick.

Doch dachte ich in der Nacht nicht weiter mehr über das Erlebte nach, sondern schlief ganz ruhig; und als am andern Tag durch einige Ratschkathln die Sache in allen Milch- und Kramerläden herumgetragen worden war und nun eine nach der andern kam, mir zu gratulieren, da erschien mir diese Wichtigkeit so lächerlich, daß ich am End ganz wild wurde und keiner mehr eine Antwort gab.

Am Vormittag nun kam der Dumler Ferdl. Er hatte für seinen Hauptmann etwas besorgen müssen und wollte mir nun rasch einen Gruß bringen; denn ihm waren die acht Tage Arrest gar lang geworden.

Mit langen Schritten trat er in die Gaststube, und da er mich nicht sah, stürmte er in die Küche und rief: »Guat Morgn, Zirngibimuatterl! Wo is's Lenerl?«

Ich stand wie angenagelt in dem kleinen, dunklen Speiskammerl und gab keinen Laut von mir, so erschrak ich. Die Mutter aber begann mit großem Pathos und feierlicher Miene, den Münchner Dialekt mühsam zu einem zierlichen Schriftdeutsch drechselnd: »Ja, was, der Herr Ferdl! Mei Leni möchtn S'?... Is s'net da, mei Leni?... Setzn S' Eahna doch a wengerl, Herr Ferdl! I muaß Eahna nämlich leider die freudige Mitteilung machen, Herr Ferdl, daß sich mei Leni gestern mit'n Herrn Hasler Benno verlobt hat!« Und in überschwenglichem Ton fuhr sie fort: »Ja, ja, a bravs, rechtschaffene Bürgersmadl sucht a jeder! Aber es is ihr zum gunna! Geltn's, Herr Ferdl, Sie gunna's ihr aa!«

Aber der Herr Ferdl hörte schon längst nicht mehr. Er war bei der Mitteilung, daß ich mich verlobt habe, aufgesprungen, hatte im Gastzimmer hastig sein Glas Bier auf einen Zug geleert, der Kellnerin ein Zwanzgerl hingeworfen und war auf und davon gegangen.

Ganz baff sah ihm die Mutter nach und begriff lange nicht, warum er so rasch fortgelaufen war. Nun trat ich aus der Speis; da rief mir die Mutter zu: »Da bist ja! Warum gehst denn net zuawa? Jatz is er davo, weilst net komma bist!«

»Naa, naa, Muatta! Deswegn is er net fort«, rief ich nun eilig, »dem hockt er halt, weil er mi net kriagt hat; er hätt mi ja gern g'heirat!«

»Der Rotzlöffi! Is kaam trucka hinter die Ohrn!« antwortete die Mutter und ging in die Gaststube, kam aber sogleich wieder zurück und hielt einen Brief in der Hand: »Da schau her; der Hasler ladt uns ei für heut auf d'Nacht in Löwenbräukeller. Der Peuppus halt sein Abschied. Vo mir aus konnst scho hingeh; i geh net mit.«

Damit gab sie mir den Brief, den ich hocherfreut durchlas und dann die Mutter lange bat, sie solle doch mitgehn. Endlich sagte sie zu.

Nun mußte ich der Küchenmagd noch alles zeigen und ihr für den Abend die nötigen Weisungen geben. Ich tat dies am Nachmittag und versicherte mich ihrer Gewissenhaftigkeit durch ein gutes, heimliches Trinkgeld.

Also machten wir uns gegen Abend für das Konzert und den Hochzeiter zurecht. Die Mutter ließ es sich nicht nehmen, ihr Schwarzseidenes aus dem unergründlichen Eichenschrank zu holen und goß eine Menge Patschouli hinein, um den aufdringlichen Kampfergeruch ein wenig zu übertäuben. Dazu legte sie schwere goldene Armspangen und eine Menge Ringe an, tat eine massive Goldkette um den Hals und steckte die feine Uhr mit der altmodischen Kette zwischen die funkelnden Glasknöpflein der nach Art der Schneiderkleider ganz glatt gearbeiteten Taille. Danach setzte sie ein kleines, mit einem reichen Stutzreiher versehenes Kapothütchen auf, nahm den kostbaren Spitzenschal aus der Kommode und legte ihn um die Schulter.

Also geschmückt trat sie nochmals vor den alten, vergoldeten Spiegel des Schlafzimmers und besah sich. Da erblickte sie durch denselben mich in meinem einfachen, blauen Tuchkleid und rief. »A so willst vor dein Hochzeiter hinsteh? Was fallt dir denn ei! Daß er moana kannt, mir warn Bettlleut!«

Und eilig öffnete sie ihre Schmuckschatulle und behing mich mit einer köstlichen Halskette aus Granaten und Perlen, tat mir statt meiner kleinen Korallen schwere Perlgehänge in die Ohren und legte mir ein breites, protziges Armband an. Dann nahm sie einen alten Siegelring aus einem vergilbten Plüschkästlein, steckte ihn an und gab mir dafür ein mit Türkisen und Perlen besetztes Ringlein, das ihr mein seliger Vater einst geschenkt hatte.

»Den kannst glei b'haltn«, meinte sie, »an dem liegt mir nix.«

Ich sagte ihr vielen Dank für das Geschenk; denn es war das Einzige, was von dem so furchtbar ums Leben Gekommenen noch vorhanden war. Ich hielt das Ringlein hoch in Ehren und habe es nachmals, als das Schicksal mir in meiner Ehe mein ganzes Hab und Gut nahm, unserer lieben Frau im Herzogspital auf den Altar gelegt; denn ich hätte es nicht über mich gebracht, es gleich den andern Kostbarkeiten dahingehen zu lassen.

In diesem reichen Aufputz begaben wir uns alsdann nach der Küche, wo der sehr gewählt gekleidete Freier schon mit einem prächtigen Strauß roter Rosen uns erwartete.

Als wir eintraten, sprang er von seinem Sitz auf und küßte der Mutter erst galant die Hand; dann gab er ihr die Blumen mit einer tiefen Verbeugung: »Nehmen S' die Rosen als Dank, daß Sie mir heut die Ehr geben, mitzukommen, werte Frau Mutter!« Hierauf begrüßte er mich mit einem flüchtigen Kuß ans Ohr, worüber ich mich höchlich verwunderte, da ich dergleichen weder in Geschichten gelesen, noch je selbst erlebt hatte. Dann zog er ein weißseidenes Schächtelchen aus der Westentasche und übergab es mir mit den Worten: »Heut feiern wir Verlobung, und da g'hört sich's, daß ich der Braut was schenk.«

Erwartungsvoll öffnete ich das zierliche Kästlein; da blitzte mir ein herrlicher Brillantring entgegen. Da ich dergleichen auch noch nicht erlebt hatte, besann ich mich, was ich nun tun oder sagen sollte. Zum Glück fiel mir die Stelle eines Romans ein, an der so etwas vorkam, und ich machte es wie die Heldin des Buches: ich errötete, sah verwirrt zu Boden und flüsterte verliebt: »Ah, wie herzig!« doch in meine gewöhnliche, natürliche Art verfallend fuhr ich fort: »Woaßt, Benno, so viel Geld hättst aber net ausgebn solln. Da werd si d'Muatta schö o'strenga müassn, daß s' dir dös wieder ersetzt!«

Aber da kam ich schön an bei der Mutter.

»Dös war no dös besser!« rief sie mit funkelnden Augen. »Moanst, i hab net scho lang g'sorgt, daß d'dein Breitigam a anständige G'schenk gebn konnst! Hier, Herr Hasler, is Eahna Verlobungsring; i hoff, daß i net schlecht ei'kaaft hab beim Thomaß!«

Und damit zog sie aus der Rocktasche ein rotes Plüschetui und entnahm demselben einen recht ansehnlichen Solitär; den gab sie mir, indem sie mit vor Rührung bebender Stimme sagte: »Da, Leni, steck'n dein Herrn Breitigam o; hoffentli paßt er eahm!«

Obgleich mir diese ganze Szene wie eine Komödie vorkam, tat ich doch der Mutter ihren Willen und steckte meinem Verlobten den protzenhaften Ring an den kleinen Finger, an den er gerade paßte. Dann tat ich auch meinen Brautring aus dem Schächtelchen und schmückte damit meine rechte Hand.

Nachdem wir noch rasch einige Worte mit dem Vater gewechselt hatten, gingen wir. Doch an der nächsten Hausecke stand schon ein Wagen bereit, und der Benno hieß uns einsteigen, worauf wir nach den festlich geschmückten Räumen des Löwenbräukellers fuhren.

Während des von einer schier zahllosen Menge besuchten Konzerts kam ich nur wenig dazu, mich mit meinem Verlobten zu unterhalten; denn meine Mutter schwatzte ihm so viel vor von meinen allseitigen Vorzügen und guten Eigenschaften, daß er vor Freude über meine Tugenden ganz auf mich selber vergaß. Ich saß einsam auf meinem Platz an der Wand und betrachtete abwechselnd mein Brautringlein und das meines Vaters, oder ich ließ die Augen über die lärmende Menge gleiten und besah mir die vielen verliebten Mägdlein und ihre Herren, meist Unteroffiziere und Soldaten in den verschiedensten Uniformen, bis mich endlich die Mutter mit den Worten: »So, Leni, jetzt gehn ma!« aus meinen Träumen aufschreckte.

Wieder nahm der Benno eine Droschke, und in rasselnder Fahrt ging's nach Hause.

Daheim mußten wir uns noch zu ihm an den Tisch setzen, und bald klangen die Champagnergläser und ertönte das glockenhelle Lachen der Mutter. Der Vater war an diesem Abend sehr aufgeräumt und gab alle möglichen Schnurren zum besten, wobei der vor Glück strahlende Hochzeiter ihn eifrig unterstützte und an lustigen Einfällen fast übertraf.

Ehe wir uns trennten, wurde noch ausgemacht, daß ich am andern Tag den Eltern meines Bräutigams vorgestellt werden sollte, und die Mutter bat ihn, er möge daheim sagen, daß sie sich schon sehr auf einen Besuch der geschätzten Familie freue.

Mit nicht geringer Angst sah ich dieser Vorstellung entgegen und hatte eine schlaflose Nacht. Doch verlief das Ganze, wenn auch ziemlich zeremoniell, so doch recht gut, und es kam mir vor, als wollte eins das andere überbieten an Zuvorkommenheit und herzlicher Freundschaft.

Der Vater meines Hochzeiters, ein noch sehr rüstiger, hochgewachsener Mann von etwa sechzig Jahren, führte mich erst in die altmodische Wohnstube, die mich mit ihren sauberen Kattunbezügen über den behaglichen Polstermöbeln und den vergilbten Stichen an den mit einer großblumigen, verschossenen Tapete bekleideten Wänden und den freundlich blühenden Geranien am Fenster sogleich anheimelte. Die Mutter aber meinte, für einen so liebwerten Gast müsse man schon die gute Stube aufsperren und lief dann eilig in die Küche, um nach dem Kaffee zu schauen.

Sie war ein kleines, zusammengeschrumpftes Weiblein mit glattgescheiteltem Haar über der runzligen Stirn. Aus dem gelblichen, furchigen Gesichtlein blickten ein paar wasserhelle Augen forschend umher, und die rauhen, schwierigen Hände erzählten von rastloser Arbeit, deren Segen man überall in Haus und Geschäft wahrnehmen konnte.

Während die Frau Hasler geräuschvoll in der Küche herumhantierte, sorgte der Hausvater für die Unterhaltung, und ich ward nun inne, daß den eigentlichen Grundstein zu dem Reichtum und gediegenen Ruf der Familie die kleine Frau durch ihre Herkunft sowohl, als auch durch das ansehnliche Kapital, das sie dem Mann in die Ehe gebracht, gelegt hatte. Sie entstammte einer schon seit länger denn einem Jahrhundert allerorts als ehrsam und lauter bekannten Alt-Münchner Kaufmannsfamilie und hatte als vierundzwanzigjährige Jungfrau dem als Schreiner im Elternhaus tätigen, eben aus dem Feldzug zurückgekehrten Burschen ihre Hand gegeben, unbekümmert darum, daß er nur der Sohn einer dürftigen, alten Hebamme aus einem kleinen Dorf im Schwabenland war und außer einem Paar nerviger Fäuste und der Tapferkeitsmedaille nichts in die Ehe einbrachte.

Und sie hatte es nicht zu bereuen gehabt, daß sie dem heftigen Widerstand ihrer stolzen Eltern zum Trotz den stattlichen, dunkellockigen Hannes heiratete; denn er war ein heller Kopf und hatte schon als Kind seine zehn Geschwister sowohl an Klugheit, wie auch an Geschicklichkeit übertroffen. Sein Vater war schon in jungen Jahren zum Bürgermeister seines Orts gewählt worden, da er eine sehr rechtliche, gerade Natur und von männiglich geschätzt war. Doch hatte der sonst so fürtreffliche Mann einen einzigen Fehler: er trank. Das wurde ihm und der ganzen Familie zum Verhängnis; denn der Unglückliche ward von seiner unseligen Leidenschaft bald so weit gebracht, daß ihm kein Branntwein mehr genügte und er nicht nur alle Balsam- und Painexpellergläser leerte, sondern am Ende noch zum Petroleumkruge griff und Hofmannstropfen flaschenweise trank. Es dauerte nicht lange, so verlor er Amt und Würden und endete zuletzt als kaum vierzigjähriger Mann elendiglich in einem Schweinestall, darin er schon seit Monden hausen mußte, da er in seinem Rausche alles zerschlug und zerstörte, was ihm unter die Hände kam. Damals war der Hannes gerade zwölf Jahre alt geworden, und es hieß nun hinaus in die Welt und selber schauen, wie das Brot am besten für den Hunger ging. Also machte er sich mit vieren seiner Geschwister auf und zog mit ihnen gen München, wo ein jedes bald Arbeit fand. Die Mutter hatte zum guten Glück schon während ihrer traurigen Ehe sich im Ort ein sicheres, wenn auch beschwerliches Fortkommen geschaffen: sie war Kindlesfrau, so hieß man die Hebammen, geworden. Noch mit ihrem vollendeten neunzigsten Jahr hat sie ihrer bedeutend jüngeren Kollegin gar manche schwere Geburt abgenommen, und es kam nicht selten vor, daß ein Bauer stundenweit fuhr und die alte, halbblinde Haslermutter holte, während in seinem Orte irgendeine tüchtige, junge Hebamme das Nachsehen hatte.

Indes der Hausvater mich also unterhielt und allmählich immer mehr in Wärme geraten war, kam die Frau wieder zu uns herein und bat uns in die gute Stube zum Kaffee. Sie hatte sich inzwischen in Staat geworfen und prangte in einem altmodischen Gewand aus starrer, violetter Seide, das bei jeder Bewegung bald rötlich, bald grau schimmerte und dessen Jacke mit vielen Rüschen und langen Schößen geziert war.


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