Lena Christ
Lausdirndlgeschichten
Lena Christ

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Das Verbrechen

Bei meinen Großeltern ist es furchtbar schön gewesen.

Aber ich habe auf einmal nach München müssen zu der Mutter.

Da ist es mir nicht mehr gut gegangen, und ich habe viele Prügel gekriegt.

Und ich wäre bald tot gewesen.

Aber sie haben das Lausdirndl doch nicht ganz totschlagen können.

Einmal ist doch etwas passiert.

Das war in der Schule.

Da muß immer eine die großen Schultafeln abwaschen.

Jede Woche trifft es eine andere.

Mich hat es auch getroffen.

Da habe ich die Kreide gefunden.

Die Kleitnerlina hat auch eine gefunden.

Am Samstag um zehn Uhr in der Pause 54 haben es alle gesehen im Abort und haben gelacht. Bloß die Firnstein, das Gscheiderl, hat nicht gelacht und hat gepfiffen.

Da hat das Fräulein den Zwicker aufgesetzt und hat zwei dicke Falten zwischen den Augenbrauen gemacht und hat gefragt: »Welche von euch hat sich unterstanden, die Abtrittüren in so schamloser Weise zu bemalen?«

Da haben sie es nicht gewußt. und etliche haben gelacht.

Das Fräulein hat jede durchbohrend angeschaut und hat geschrien:

»Das ist ein trauriges Zeichen der Zeit, daß die Jugend schon so vergiftet ist und keinen Respekt mehr hat vor den geheiligten Stätten der Erziehung!«

Da haben noch mehrere gelacht.

Das Fräulein hat mit großer Trauer gesagt:

»Ja, lacht nur! – O es wird die Stunde kommen, wo ihr blutige Tränen der Reue vergießen werdet wegen der Freveltaten, die ihr begangen an der Schule und ihren Lehrern! – So! – und nun werde ich es dem Herrn Oberlehrer melden!«

Dann ist sie gegangen.

Die ganze Klasse hat gelacht und alle haben sich gefreut. 55

Die Kleitnerlina hat gesagt: »Ich möchte gern meine Kreide wegschmeißen, aber die passen alle auf.«

Da habe ich gesagt: »Mir lassen sie einfach fallen.«

Das haben wir getan.

Aber da ist der Herr Oberlehrer gekommen und der Herr Religionslehrer und noch ein paar Lehrer, und der Oberlehrer hat gefragt: »Welche von euch war so frech, diese schamlosen Bilder an die Aborttüren zu zeichnen?«

Und das Fräulein hat dem Herrn Oberlehrer halblaut ein paar Namen genannt, und ich habe auch den Namen Christ verstanden.

Darauf hat er gesagt: »Rufen Sie die Subjekte einmal heraus, Fräulein!«

Da haben wir hinaus müssen; die Pachmeier und die Loibl, die Kleitnerlina und ich.

Aber wir haben alle gesagt, wir haben es nicht getan.

Und die anderen Lehrer sind an unsere Plätze und haben alles visitiert.

Da haben sie die Kreide gefunden.

»Wer sitzt hier?« hat der eine Lehrer gefragt.

»Die Kleitner,« hat das Fräulein gesagt.

»Da ist eine Kreide gelegen!« hat er gerufen und hat sie hinaus auf das Pult. 56

»Hier liegt auch eine!« hat der andere geschrien; »wer sitzt hier?«

»Die Christ,« hat das Fräulein gesagt und hat mich spöttisch angeschaut.

Da haben wir wieder gesagt: »Wir haben es nicht gemacht!«

»Das wird sich beweisen!« hat der Herr Oberlehrer gesagt. »Fräulein, geben Sie den Subjekten eine Kreide und lassen Sie jeder auf der Schultafel das Bild zeichnen. Die andern Schülerinnen sollen einstweilen in den Hof gehen.«

Da haben wir es zeichnen müssen.

Die Kleitnerlina kann es so nicht, die hat ja keinen Dunst vom Zeichnen.

Aber ich hätte es schon können.

Ich habe aber schon gewußt, warum ich es ganz anders gemacht habe; den Kopf ganz groß und rund und bloß Punkte für die Augen und die Nase.

Und einen ganz kleinen Bauch und lange Striche für die Füße und Hände.

Und den Nachthafen habe ich überhaupts nicht gemacht.

Die Kleitnerlina hat ihn schon gemacht, aber recht dumm.

Da hat der Herr Oberlehrer gesagt: »Ich 57 glaube, wir haben uns doch getäuscht, das ist etwas ganz was anderes.«

Und der Religionslehrer hat gesagt: »In der Religion sind sie gut. Besonders die Christ weiß alles. Ich glaube es auch nicht.«

Aber das Fräulein hat gesagt: »Ja, Herr Hochwürden, das ist alles ganz schön. Aber die Kreide haben sie doch gestohlen! Dafür muß man sie doch strafen.«

Da hat der Herr Religionslehrer gesagt: »Darüber besteht kein Zweifel! Das muß exemplarisch gestraft werden!«

Und der Herr Oberlehrer hat gesagt: »Das überlasse ich Ihnen, Fräulein!«

Da hat die Kleitner eine Stunde dableiben müssen und ich auch.

Die Kleitner ist in das vierte Klaßzimmer gesperrt worden und ich in das unsrige.

Und wir haben das siebente Gebot lernen müssen.

Das hab ich aber schon können.

Drum hab ich mir das Schulzimmer genau angeschaut in der Stunde; auf den Bänken, unter den Bänken und auch das Pult.

Da hab ich gesehen, daß das Fräulein nicht zugesperrt hat.

Und die Schlüssel sind gesteckt. 58

Ich habe schnell gehorcht, ob niemand kommt, dann hab ich hineingeschaut.

Rechts waren die Hefte. Die hab ich nicht angeschaut. Aber den dicken Pack mit den Zensuren habe ich schon angeschaut. Die waren links ganz oben.

Aber ich habe so furchtbar Herzklopfen gehabt und habe immer geglaubt, es kommt jemand.

Es ist aber niemand gekommen.

Da habe ich meinen Bogen gesucht.

Sie liegen alle nach dem Alphabet und obenauf liegt die Anwander.

Bei dem meinigen ist gestanden, daß ich nicht offenherzig bin, und von leichtfertig und gedankenlos.

Und für alle Tage ist etwas gestanden, und da habe ich mir gedacht, das kommt alles in die Noten.

Und ich habe an die Prügel gedacht.

Aber man hätte es gleich gesehen, daß er nicht mehr da ist; und die andern sind auch froh, wenn sie keine solchen schlechten Noten kriegen.

Dann hab ich schnell zugesperrt und habe die andere Schublade auch noch zusperren wollen; aber da habe ich etwas gehört.

Da hat mir das Herz wieder ganz stark 59 geklopft und ich habe gar nicht mehr gewußt, was ich machen soll.

Es war der Hausmeister, und er hat zuerst die Kleitner herauslassen.

Ich habe mich schnell in die Schulbank gesetzt und habe ganz laut gelernt.

»Du kannst gehen!« hat er gesagt.

Ich habe schnell meinen Hut genommen und bin davon; aber ich bin noch nicht heim.

Auf der Kohleninsel habe ich es nochmal gelesen, dann habe ich alles in die Isar geworfen.

Wie ich heimgekommen bin, hat die Mutter schon mit dem Stecken auf mich gewartet, weil es ihr die Hugendubl gleich geratscht hat, daß ich dableiben muß.

Aber ich weiß schon, was ich ihr antue, der Scheinheiligen; wenn sie morgen auf d' Nacht wieder mit mir das Bier holt, dann muß sie der Pfeffermaxl hinschmeißen.

Den kennt sie nicht.

Wie ich am Montag in der Früh in der Schule gesessen bin, habe ich mir fest vorgenommen, daß ich jetzt recht ordentlich bin, weil wir nächste Woche die erste Beicht haben.

Da hat um halb neun Uhr das Fräulein die Tafelwischerin gefragt, ob sie ihre Schlüssel nicht weiß.

60 Aber sie hat es nicht gewußt, und sie hat den Hausmeister kommen lassen.

Der hat es auch nicht gewußt.

»Das ist mir aber sehr peinlich,« hat sie zum Hausmeister gesagt, »der Herr Oberlehrer sieht es gar nicht gern, daß etwas fehlt. – Und ich habe sie nicht mehr.«

Da hat der Hausmeister gesagt, daß schon noch Schlüssel da sind, und der Herr Oberlehrer hat die seinigen auch schon einmal verloren.

Um neun Uhr, wie es geläutet hat, ist das Fräulein zum Herrn Oberlehrer, und um zehn Uhr hat sie es gesehen.

Da ist sie ganz blaß geworden, und dann wieder ganz blau und rot, und hat geschrien: »Das ist unerhört! Da ist ein Verbrechen geschehen! Sieben fehlen!«

Und dann hat sie viele Tatzen hergegeben und hat uns falsche Sachen gesagt und ist ganz auseinander gewesen.

Am Nachmittag hat die Kleitner zum Herrn Oberlehrer müssen, und darnach ich.

Ich habe gezittert und habe mich zu den armen Seelen verlobt, wenn sie mir helfen.

Da hat er mich gefragt: »Warum hast du es getan? Das ist ein Verbrechen!«

61 Aber ich habe gesagt, ich weiß doch gar nichts, und ich bin überhaupts nicht so, bloß weil mich das Fräulein dick hat.

»Du hast zu schweigen!« hat er mich da angeschrien. »Du kannst es nicht leugnen, es steht schon auf deinem Gesicht!«

»Und ich weiß nichts! Und überhaupts hab ich noch gar nie nichts getan und muß immer alles getan haben.«

»Halte deinen Mund, Subjekt! Ich weiß es schon, was ich tue!«

Am andern Tag in der Früh hat meine Mutter in die Schule kommen müssen, und dann haben sie ihr es gesagt.

Aber ich habe ganz laut geschrien, das ist nichts wahr, und meine Mutter hat gesagt. »Herr Oberlehrer, Herr Hochwürden, das muß ich mir verbitten. Meine Tochter wird sehr streng erzogen von mir; und überhaupts, wo sollt sie's denn her habn! Mir san anständige Bürgersleut, ehrliche!«

Bei den letzten Worten hat sie geschluchzt und hat gar nichts mehr gehört und hat immer gesagt: »Mir gebn ihr nur a guats Beispiel!« Und hat furchtbar geweint.

Da hab ich auch gesagt, ich sag es ganz bestimmt, ich bin es nicht gewesen. 62

»Dann ist es ein Versehen, Herr Hochwürden!« hat da der Herr Oberlehrer gesagt; »ich glaube doch, Sie haben recht: vor der ersten Beichte tun sie so etwas nicht.«

Da hab ich drei Tage einen Vaterunser für die armen Seelen gebetet, weil sie mir geholfen haben.

 


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