Lena Christ
Madam Bäuerin
Lena Christ

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Hinten im Austraghäusl des Schiermoserhofs sitzt die Bäuerin wie eine Kreuzspinne am Fenster und lauert hinter den geblümten Kattunvorhängen, damit ihr nichts auskommt, was vorn im Hof geschieht.

Und so bleibt ihr nicht verborgen, daß ihr Franz Hand in Hand mit dem Stadtfräulein nach der Tenne geht, wo sie ihren Schiermoser an einem Treibriemen herumhantieren sieht.

Lachen und Scherzen dringt zu ihr hinüber und hinein in ihre stille Kammer, darin nur ein paar Herbstfliegen summen und die alte Uhr ihr steifes Ticktack hackt.

Sie ist zusehends alt geworden, die gute Schiermoserin.

Die Trennung von den Ihren, dies tatenlose, hinbrütende Leben taugt ihr nicht und macht sie ganz krank und serbend.

Das Brüllen ihrer Kühe, das Blöken der Kälber, das Gackern der Hennen schneidet ihr tief ins Herz und macht ihr ein Heimweh nach dem Hof und Stall, nach Kuchel und Speis', nach dem gewohnten Tun und Schaffen, daß sie oft vermeint, sie müsse aufspringen und hinüberrennen zu ihren Leuten – zu ihrem Vieh.

Aber da ist ihr Bauernstolz – ihr Bauernschädel, ihr eigensinniger und halsstarriger.

Und der läßt es nicht zu, daß sie nachgibt.

Lieber bis zum letzten Schnaufer und Seufzer hier am Fenster hocken und Trübsal blasen, als mit der da drüben in einem Haus zusammenleben! denkt sie.

Und ihre Mutter bestärkt sie noch täglich und stündlich in ihrem Starrsinn und Haß.

Der alte taube Vater freilich mag nichts wissen von Zank und Streit, von Hader und Verdruß.

Auf ihn hört man aber nicht.

Und um des lieben Friedens willen tut er scheinbar, wie die beiden wollen.

Im geheimen aber geht er noch oft hinüber in Stall und Tenne, ins Haus und in die Stadel und bastelt und hantiert wie sonst.

Und da er taub ist, so trägt er weder seinem Weib und seiner Tochter etwas zu, noch denen vorn im Hof. Für ihn ist die Welt schön und gut, so wie sie gerade ist, und er begreift nicht, daß die Leut' darin nicht Platz haben.

Er liebt Mensch und Vieh und kennt auch nicht den Unterschied zwischen Stadt und Land, denn er kam nie aus seinem Heimatgau hinaus.

Alle aber, die ihm innerhalb desselben in den Weg traten, begrüßte er mit fröhlichem Gruß.

Denn er hörte nicht den Gegengruß, klang der nun kalt oder warm, herzlich oder abweisend, spöttisch oder teilnehmend.

Und so hat er auch für Rosalie jedesmal ein Scherzwort, ein freundliches Lachen, ein wohlwollendes Kopfnicken.

Danach macht er sich zufrieden wieder davon.

Die Schiermoserin hat derweil von ihrem Fenster aus die Rätin reisefertig aus dem Haus gehen sehen, und sie sucht vergebens nach einer Lösung dieses Rätsels. Denn etwas Besonderes muß da wohl vorgefallen sein, daß sie so mittendrin davonläuft!

Aber was?

Am Ende ist die Junge bloß zum Pfüatgottsagen mit dem Buben in die Tenne?

Sie wollten ja doch morgen schon reisen, sagt die Barbara.

Vielleicht wird doch das Haus bald wieder rein von dieser Stadtbrut, von dieser ganz gefährlichen!

Da kommt auch das alte Fräulein aus der Haustür.

Aber... die geht ja auf das Austraghäusl zu!

Die wird doch nicht gar zu ihr wollen?

Die Schiermoserin rückt unruhig auf ihrem Sessel hin und her und reckt sich schier den Hals aus vor lauter Schauen. Wahrhaftig! Die kommt pfeilgerade ins Haus herein!

Was sie wohl will von ihr?

Die Stimme gehorcht ihr kaum, da sie auf das Klopfen eine Antwort geben will. Aber sie strafft sich unwillkürlich zur Höhe und sitzt kerzengerade, als die Tür langsam und knarrend aufgeht und Tante Adele mit einem lebhaften: »Ja, grüaß di Good, Schiermoserin!« in die Kammer tritt.

Rauh erwidert sie bloß ein kurzes: »'ß Good aa.«

Dann wartet sie mit krampfhaft zurückgedämmter Neugier auf das, was kommt.

Und Tante Adele läßt sich nicht lange bitten, die redet frei von selber und sagt, was sie auf der Leber hat.

Und da sie die Gesinnung der Schiermoserin kennt, so beschränkt sie sich dabei auf das Notwendigste.

»Also, Schiermoserin«, sagt sie, »daß i dir's z'wissen mach: unser Roserl und euer Franzl hab'n in sechs Wochen Hochzeit. – Sie kriegt sechzehntausend Mark bar's Geld und ihre Aussteuer. Außerdem laß i ihr an sauber'n Kuchelwag'n zuaricht'n. Balst gern z'sammhaus'st mit ihr, is's uns recht – wenn net, nachher machts aa nix. Nachher wirds alloa aa firti drent. Soo und jetz hab i no unser Schuldigkeit für d' Sommerfrisch' zu bereinigen und nachher geh' i wieder.«

Damit legt sie ein paar Banknoten auf den Tisch, läßt die Schiermoserin in einer sprachlosen Betäubung und Wut zurück und geht langsam die Stiege hinab und hinüber zum Bauern in die Tenne, um auch ihm zu sagen, daß Rosalie nicht das arme Maidl wär', für das man sie etwa halte.

Und am Abend dieses Tages, nachdem sie noch alles für die Abreise zurecht gemacht hat, legt sie sich zufrieden in ihre Kissen zurück und murmelt: »Soo. Das Nest hätt'n wir gerichtet. Hoffentlich sitzen sie gut, die zwei!«

Der Tag, an dem sich dies alles zugetragen hat, ist der Freitag vor Kirchweih.

Kirchweih! Bauernkirta!

Schon am Kirchweihsamstag beginnen die Vorbereitungen zu diesem Fest, dem üppigsten und größten des ganzen Jahres.

Und so ist auch auf dem Schiermoserhof am andern Tag Rüsttag für die Kirchweih.

Und wenn es die Schiermoserin bis dahin nicht bedauert hätte, daß sie Haus und Hof verlassen, an diesem Tag hält sie's kaum aus an ihrem Fensterplatz.

Schon früh um vier Uhr schlurft die Barbara in den Hühnerstall und hinüber zu den Gänsen.

Ein kurzes, aufgeregtes Geschrei und Gegacker – dann kommt die Tochter wieder zum Vorschein. In der einen Hand zwei Hühner mit durchschnittenen Hälsen, in der andern eine schwere Gans.

Und dann tritt der Schiermoser aus dem Haus, gefolgt von seinem Sohn, dem Franz, und Rosalie, deren werktätige Hilfe sich der Bauer für das Fest erbeten hatte.

Die Tenne wird geöffnet, ein großer Tisch, der Backtrog voll heißen Wassers und eine Schüssel voll Pech stehen bereit.

Der Schiermoser zieht die quieksende, schreiende Kirchweihsau aus dem Stall.

Die Schiermoserin zerrt und reißt an ihrem Schürzenband – an dem Vorhang – an ihrem Rosenkranz.

»Was? Dees Weibsbild derf statt meiner mithelfa beim Abstecha? Sie derfs Bluat rührn vom Schiermoser seiner Kirtasau? Naa, i halts nimma aus... i muaß abe...«

Schon ist sie an der Tür.

Aber da dringt schon der kurze Schrei des Tieres, der dumpfe Schlag des Holzschlegels und das Rufen des Schiermosers an ihr Ohr.

Und die Alte kommt eben in dem Augenblick die Stiege herab und sagt: »Hast es gsehgn, Rosina! Sie muaß mithelfa! Dees kinnan guate Kirtawürscht werdn, bals dee Stadtgoaß macht. Macht nix. Die sollns nur einkenna, was a rechte Bäuerin is und was koane.«

Jawohl. Recht hat sie, die Großmutter. Die sollens nur einsehen! Jetzt, heut und morgen wird sich's ja zeigen, was sie taugt auf einem Bauernhof, die Städterin.

Und sie setzt sich mit dem wildklopfenden Herzen wieder an ihren Platz.

Aber drüben auf dem Hof geht alles seinen Gang.

Das Schwein wird geschlachtet, gebrüht, geputzt und zerteilt; es hängt, schön mit leinenen Tüchern bedeckt gegen die Fliegen, luftig in der Tenne, und die Mägde sind schon beim Putzen und Zurichten der Ingeweide.

Und nach diesem werden die Leberwürste und die Leberknödel, der Blutpressack und die Milzwurst bereitet, und schließlich geht's an das große Putzen und Aufwaschen.

Denn nun heißt's, die Kirtanudeln und Krapfen backen, und dazu muß die Kuchel rein und sauber sein.

Den Nudelteig hat inzwischen schon des Schiermosers zweite Tochter, die Mariedl, abgeschlagen und als kleine Kräpflein auf die mehlbestäubten Bretter gereiht.

Nun schürt sie das Feuer zur lustigen Flamme, die Barbara schleppt die großen Nudelpfannen und Schmalzhäfen herbei, und Rosalie stellt die bemalten Schüsseln, in denen die Krapfen auf den Tisch kommen, zurecht.

Es geht wirklich und wahrhaftig, ohne daß eines aus dem Haus herüber käme zu ihr, der Schiermoserin, und bittet: »Geh, Bäuerin, hilf uns; Kirta is!«

Sie werden wirklich fertig ohne Bäuerin.

Ein unendlicher Grimm und eine trostlose Bitterkeit kriecht in der Schiermoserin herauf. Es würgt in ihrem Hals und schüttelt sie in hartem Weinen.

Und drüben im Hof geht der Tag seinen Gang in hurtigem Schaffen, gewürzt mit Lachen und Scherzen, mit Essen und Trinken.

Denn Franz hat bereits das erste Faß mit Kirtabier im Hausflöz auf die Bank gestellt und angezapft.

Und nachmittags um drei, da ringsum die Kirchenglocken das Fest einläuten, da tönt aus dem Haus der erste Juchschrei, die Zither erklingt und ein lustiges Singen und Jodeln hebt an.

Und dann hört man das Stampfen der tanzenden Burschen und das Lachen der Dirnen.

Gegen Abend kommen dann die jüngeren Leute aus der Nachbarschaft in den Heimgarten.

Der Schiermoser trägt die beiden Hälften der Kirchweihsau in die Kuchel und Franz richtet in der Tenne die große »Kettenhutsche« her.

Dazu schleppen die Nachbarburschen eine Menge schwerer Kuhketten herbei. Diese werden schaukelartig an den mächtigen Querbalken der Tenne befestigt; die eine beim vorderen Tor und die andere beim rückwärtigen. Und diese beiden Kettenschaukeln werden nun verbunden durch zwei aufeinandergelegte, leichtlich sieben bis acht Meter lange Bretterladen aus gutem Eichenholz.

Das Aufmachen der Kirchweihhutsche ist eine Ehrensache bei den Bauernburschen; denn da oft bis zu fünfzehn Personen auf derselben sitzen und schaukeln, muß sie sehr gewissenhaft gekettet und befestigt sein.

Nach dem festlichen Abendessen wird dann die Hutsche ausprobiert von sämtlichen Burschen und Mädchen des Hofes.

Und so kommt es, daß die Schiermoserin und ihre Mutter noch spätabends das Rasseln der Ketten und das Knarren der Bretter, das Scherzen der Burschen und das Kreischen der Maidln hören müssen und keine Ruhe finden und keinen Schlaf bis tief in die Nacht.

Kirchweihsonntag.

Der dämmernde Morgen wird begrüßt von dem festlichen Geläute der Glocken ringsum; es rufen die alten, tiefen der großen Pfarrkirchen ernst und feierlich, und es klingen die kleinen Glöcklein der Kapellen hell und silbern hinaus in die Täler und hinauf an den Hügeln, schwingen und singen droben auf den Höhen und erfüllen die Luft mit ihrem vom Windhauch getragenen Ton wie ein Lied vom Himmel.

Droben auf den Bergen ringsum stehen die Böller und schicken krachend und donnernd ihren Ruf hinaus ins Gau: »Auf! Kirchweih ist!«

Und ihr Krachen bricht sich an den Wäldern und Höhen, wird zum rollenden Donner und erzittert endlich als vielstimmiges Echo an den Fenstern der Bauernhöfe ringsumher.

Da wird's lebendig in den Häusern.

Der Bauer bindet das buntseidene Halstüchl sorgfältiger, zieht das samtene Gilet mit den silbernen Knöpfen an und bürstet lange an dem schweren wattierten Kirchenrock herum.

Die Bäuerin prangt im seidenen Gewand mit perlenbesetztem Fürtuch; sie hat das Haar gestrählt und pomadisiert und trägt eine feierlich-andächtige Miene zur Schau.

Der alte Großvater nimmt den langen tuchernen Festtagsrock aus dem Kasten, zieht die glänzenden Kanonenstiefel über die engen Lederhosen und zählt die Kreuzer zum Biergeld in seinem altmodischen Zugbeutel.

Die Burschen und Knechte stehen lachend und stänkernd in der kurzen Wichs unter der Haustür, richten den Flaum am Hut, horchen auf die Sackuhr, ob sie geht, und probieren die Schärfe des Messers, ehe sie es im hinteren Hosensack verschwinden lassen.

Die Töchter und Mägde aber schwatzen und kichern, richten zum drittenmal das Haarnest und zum viertenmal die Halsbarbe, zupfen an den Röcken und glätten die Schürzen, behängen den Hals mit Ketten und bestecken den Spenzer mit Broschen und Nadeln.

Und endlich versammeln sich alle drinnen in der großen Stube; die Bäuerin breitet das schwere linnene Festtagstafeltuch auf dem Eßtisch aus, die Tochter oder die Oberdirn stellt die Krapfenschüssel drauf und die Kucheldirn trägt die Kaffeesuppe herein.

Der Bauer betet den Morgengruß und bittet den himmlischen Vater um seinen Segen für Speis' und Trank, und dann beginnt die Kirchweih: zum Morgenimbiß Krapfen, Kücheln und Kirchweihbrot mit Kaffee, Brennsuppe und Leberwürsten.

Nach der Kirche beim Postwirt oder beim Oberwirt, beim Unter- oder beim alten Wirt die Kirtamaß für den Heimweg. Und daheim der Festtagsschmaus!

Die Mannsbilder ziehen schon vor dem Essen die Joppe aus und setzen sich hemdärmelig um den Tisch.

Und dann geht's in schöner Ordnung und nach altem Brauch und Herkommen: erst kommt die Schüssel mit dem Kraut und den Blutwürsten; dann das Voressen. Darnach die Fleischsuppe mit den Leberknödeln, das Rindfleisch und die roten Rannen.

Nun füllt der Hausvater die Bierkrüge.

Die Bäuerin aber trägt weiter auf: den schweinernen Braten und die Kirchweihgans, die gebackene Milzwurst und den gedämpften Gockel.

Die Weiberleut beginnen langsam zu seufzen, und die Mannsbilder knöpfen bedächtig die Knöpfe des Gilets und der Hose auf

Aber der Hausherr hilft abermals nach mit frischem guten Trunk.

Und so geht das Essen seinen Gang weiter: nach dem Gockel kommt das Kälberne auf den Tisch und nach diesem die Apfelküchel, die roggernen Schmalznudeln und die weizernen Kirchweihkrapfen.

Den Dankgott betet die Bäuerin meistens für sich allein. Denn die anderen Glieder des Hauses sind ernst und schweigend hinausgegangen – in den Stall – in den Hof hinter das Haus.

Eine gute Kaffeesuppe aber bringt wieder Munterkeit und wirkt befreiend. Man lacht wieder, scherzt, stänkert und ist endlich in der Stimmung, die zum Kirtatag gehört.

Der eine nimmt die Zither zur Hand und der andere die Harmonika, der Oberknecht faßt die Unterdirn um die Mitte, hebt sie juchzend in die Höh, und bald ist alles im Wirbel des Tanzes und im Trubel der Lust des Tages.

Und was nicht Essen und Trinken, nicht Tanzen und Singen zuweg brachten, das erreicht die Hutsche.

Kreischend und lachend sitzen die Weiberleut auf dem langen Brett; ein paar stämmige Burschen stehen an den Enden der Hutsche auf dem äußersten Rand und umklammern mit ihren Fäusten die langen Ketten.

Der Musikantenlippel spielt auf der Ziehharmonika einen Marsch, und die Burschen beginnen langsam die Schaukel zu treten.

Erst ganz bedächtig, die Haltbarkeit nochmals überprüfend, bewegen sie die Hutsche; aber bald werden sie kühner, erhitzen sich an dem Juchzen der Burschen und an dem Kreischen der Maidln und werken nun mit voller Kraft.

Hei! Da flattern die Röcke und zappeln die Beine!

Da bittet manch herrische und anhabische Dirn den sonst so verhaßten Bewerber um Gnade!

Da kommt ein Rausch über alle, die noch jung sind und Blut haben in ihren Adern!

Das ist die Stunde, von der man noch kichernd und verstohlen spricht, wenn längst die Kirchweih vorüber und der Winter in die Bauernhöfe eingezogen ist.

Wenn die Jugend beisammensitzt in der Spinnstube, und die Alten sich erwärmen auf der langen Ofenbank.


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