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skizze

Der Blitz hat eingeschlagen

Der Bahnbau Kjachta-Ulan-Butor-Choto wird mit einem Höllentempo betrieben.

Von »Naphtadar«, der neugegründeten Industriestadt des Ölgebiets am Südende des Baikalsees über Werchne-Udinsk bis Kjachta an der russisch-mongolischen Grenze besteht schon länger die eingleisige Strecke. Nun wird sie doppelgleisig und soll in kürzester Zeit bis zu dem alten Urga, der heiligen Stadt der Mongolen, das die Russen »Ulan-Butor-Choto«, die Stadt der roten Helden nennen, durchgeführt werden.

Mißtrauisch verfolgen die Mongolen dies Vordringen Moskaus.

Die Zeiten sind vorbei, in denen Rußland glauben mochte, auch hier die Segnungen seiner proletarischen Revolution einführen und aus Nomaden klassenbewußte Proletarier machen zu können. Die Sowjet-Republik »äußere Mongolei« blieb ein Moskauer Wunschtraum. Wohl sah es einige Jahre so aus, als ob es gelingen sollte, das Land eng an Rußland anzuschließen, aber die japanische Ausdehnung auf dem asiatischen Kontinent fand auch den Weg in die Mongolei. Von Jurte zu Jurte, von Lager zu Lager, durch die Täler und Steppen des weiten Landes, auf die Märkte der wenigen Städte, im Kleide des harmlosen Händlers zog der japanische Agent.

Wo früher die verhaßten chinesischen Kaufleute ihre Faktoreien und Läden hatten, sitzt heute der japanische Kollege. Die jahrelang verlassenen uralten Handelsstraßen, die das Reich der Mitte mit Rußland verbanden, sind seit dem Fall von Kalgan in den Händen der Japaner. Sie sind jetzt die Wege für japanische Waren und für japanische Ideen. Die Mongolen, zwischen zwei Nachbarn sitzend, unter deren Botmäßigkeit sie gebracht werden sollen – Rußland will das Land ganz behalten, China es zurückerobern – haben sich für eine dritte Macht entschieden.

Mit großem Geschick hat es Japan verstanden, die mongolischen Fürsten für sich zu gewinnen. Eine selbständige Mongolei unter der Herrschaft eigener Chane, ein freies Mitglied des japanischen Weltreichs, das ist ein Ziel, das lockt.

Dem durch die russische Verwaltung fast ganz seiner Macht entkleideten Priesterstand, den Lamas, kommt man mit andern Mitteln. Die neue buddhistische Glaubensbewegung, von Tokio durch einen groß angelegten Missionsfeldzug in ganz Asien entfacht und gestärkt, soll auch ihnen neue Machtfülle bringen. Schon ist ein neuer Chutuchtu, ein lebender Buddha gewählt. Trotz des russischen Einspruchs. Die Mongolei hat ein neues geistiges Oberhaupt. Hier fließt das Wirtschaftlich-Politische ins Religiöse hinüber.

Hier wird die Seele Asiens aufgerufen.

Es besteht kein Zweifel, die Mongolei gärt.

Noch ist es nicht zu offenem Widerstand gekommen, noch mischt sich Japan nicht ein.

Noch ist es nicht so weit. Der russische Regierungsvertreter in Urga, gestützt auf Verträge und seine Truppen, sucht noch die wachsenden Mißhelligkeiten zu zerstreuen. Noch sind es nur irreguläre Banden, die den Bahnbau immer von neuem durch blitzartige Überfälle zu stören versuchen. Noch sind die zahlreichen Noten zwischen Tokio und Moskau in höflicher Form gehalten.

Aber ein Funke genügt, die mit Explosionsstoff geladene Atmosphäre dort im Osten zu entzünden.

Die Trasse der Bahn und der danebenlaufenden Straße ist bis kurz vor Urga gelegt. Die Tunnelbauten an den Hängen des Kentei-Gebirges und am Manchatai-Paß, unter Leitung amerikanischer, deutscher, schwedischer und schweizer Ingenieure sind in vollem Gange. Die Brücke über den Iro ist fertig. Schon fahren die Lastzüge in langen Kolonnen auf diesem stählernen Bogen hinauf zu den Arbeitsplätzen im Gebirge, gleiten Leerzüge hinab nach Kjachta und Werchne-Udinsk an der transsibirischen Bahn.

Gewaltige Bagger, Sprengbohrer modernster Konstruktion, Betonspritzmaschinen, die in kürzester Zeit den Straßenoberbau schaffen, Tunnelwände auskleiden, gleitende Hänge befestigen, die Eisenkonstruktion der Lawinengalerien, der Überführungen ausfüllen, als Riesenuntiere der Neuzeit in wenigen Tagen Arbeiten verrichten, zu denen früher Hunderte von Menschen und wochenlange Arbeit nötig war, Gleislegemaschinen, seltsam geformte Erdfräser, die Gräbenzieher und Kabelleger in einem sind, Werkzeuge des zwanzigsten Jahrhunderts donnern und dröhnen in den stillen Tälern, Schluchten und Wäldern.

Erschreckt ist das Wild ins Gebirge geflüchtet; in Höhle und Dickicht birgt sich der Bär. Nur die ewig hungrigen Wölfe umkreisen in jagenden Rudeln in der Ferne Baracken und Arbeitslager.

Scheu drücken sich die wandernden Nomaden vorbei an der Stätte der unverständlich geschäftigen weißen Teufel, die in ihr Land eindringen. Manch einer greift erbittert seine Waffe fester, tastet verstohlen nach dem Dolch im Gürtel.

Tag und Nacht donnern die Sprengungen durch die Täler, hallt das Rattern und Stampfen der Maschinen.

Wenn die Sonne hinter dem Bugunschara versunken ist, flammen riesige Bogenlampen und Scheinwerfer auf und reißen grelle Lichtplätze aus dem verdunkelten Land. In drei Schichten arbeiten die Leute Tag und Nacht. Neben jeder Arbeitsgruppe und draußen am Rand der beleuchteten Arbeitsstellen stehen bis an die Zähne bewaffnete Soldaten.

Nicht umsonst. Denn immer wieder geschieht es, daß plötzlich aus der Dunkelheit heraus peitschende Schüsse kommen, die mit unfehlbarer Sicherheit ihr Ziel finden, Und es nützt nichts, daß die überall aufgestellten sofort die Gegend ableuchten, woher die Schüsse kamen. Stets wie vom Boden verschluckt ist der unsichtbare Feind.

Die Toten bleiben ungerächt.

Und auf die energischen Vorstellungen in Urga erfolgt immer dieselbe Antwort, man wisse von nichts, man werde strenge Untersuchung anordnen. Und dabei bleibt es. Und doch weiß die Leitung des Bahnbaus, woher die Schüsse kommen. Fast stets sind es Geschosse aus japanischen Karabinern, die man in den Toten findet.

Japan liefert die Waffen für den Freiheitskampf der Mongolen.

*

Es ist Abend, die abgelöste Mannschaft kehrt in die Baracken zurück. Große blonde sibirische Bauern, kleine verhutzelte Leute aus der Taiga, da und dort auch ein paar schlitzäugige Burjäten, sogar Sojoten sind dabei. Doch die Mehrzahl sind europäische Rassen, durch weiß Gott welches Schicksal auf diese weltenferne Arbeitsstätte verschlagen. Müde und hungrig stolpern sie in die hellerleuchtete Baracke, hauen sich hin auf die nackten Bänke, an die langen Reihen der Tische.

Aus einer Ecke dröhnt eine tiefe Baßstimme: »Er sitzt aus der Sonne und hat die Füße aus dem Mond, der Genosse Kranführer!« Lachend schlägt sich der Vorarbeiter Iwanow auf die schmierigen Schenkel:

»Nun sage doch selbst, Michael Stepanowitsch,« wendet er sich an seinen Nachbar, »ist er nicht ein Prahlhans, ein Narr, unser rothaariger Madajew, will er mit seinem Schraubenschlüssel, ja mit dem Schraubenschlüssel sagt er, die Räuberbanden vertreiben, wenn sie wieder kommen in der Nacht auf uns zu schießen.«

»Ja, so ist das wohl, was manchem Vogel an den Krallen fehlt, hat er am Schnabel. Er hat gut reden in seinem Blechkasten drin. Aber mit dem Maul wird er sie nicht totschlagen können. Gesehen haben wir ja auch noch keinen davon.«

»Du bist ein Esel, wie kannst du sie sehen im Dunkeln, bist doch geblendet von den Lampen an der Arbeitsstelle – und am Tage kommt ja keine Laus her.«

»Ja, Läuse haben wir uns da in den Pelz gesetzt mit diesem verfluchten Bahnbau, gelbe Läuse, mein Lieber. Wird nicht gut enden, Semjon Antonowitsch. Diese Läuse werden uns noch auffressen, sage ich dir. Jawohl, auffressen werden sie uns.«

»Nun, Alterchen, malst wohl den Teufel an die Wand?«

»Aber was glaubst du, wozu unsere Soldaten da sind? Die werden jetzt überall ein Maschinengewehrchen aufstellen und die Räuber umlegen, daß sie das Aufstehen vergessen!«

»Und unsere Flieger, die werden vielleicht auch einmal nachsehen in den Bergen und die Schlupfwinkel der Banditen ausräuchern.« –

So reden die Arbeiter in der Baracke.

Nebenan, nur durch eine Bretterwand getrennt, sitzen die leitenden Ingenieure und Techniker. Auch sie sprechen von den sich häufenden nächtlichen Überfällen und von den wachsenden Schwierigkeiten mit den Mongolen. Jeder von ihnen weiß wohl, daß sie einen Vulkan hier anbohren, der heute oder morgen hochgehen kann.

Was dann sein wird, wer kann voraussehen, was dieses gärende Asien in seinem Schoße birgt?

Der Schweizer Kümmerli, Spezialist für Brückenbau, ein kleiner knochiger Mann mit blitzenden Brillengläsern, der breitschultrige Schwede Malström, der Russe Karamsin, das Rechengenie unter den Ingenieuren und der Amerikaner Wilford, Fachmann für die Schienenleger, sitzen zusammen an einem Tisch.

Malström ist wütend auf die Sprengkolonne 7, die wieder nur die Hälfte der vorgeschriebenen Leistung geschafft hat:

»Mit was für einem Gesindel muß man sich doch hier herumärgern – uns brennt die Arbeit auf den Nägeln, aber diese lahmen Kerle kommen ja nicht vom Fleck. Sie sind noch fauler als die Mongolen!«

Kümmerli wendet sich zu ihm:

»Sie verlangen zuviel von unseren Leuten, mein Lieber, Sie müssen berücksichtigen …«

»Den Teufel werd ich tun, Kümmerli, die Kerle wissen ganz genau, daß jeden Augenblick die Schweinerei losgehen kann. Und dann sitzen wir da mit unserer halbfertigen Arbeit.«

»Stimmt,« nickt Wilford, »da drüben in Turkestan ist schon der Teufel los. Die Mohammedaner rühren sich gewaltig. Sollte mich doch sehr wundern, wenn das kein Signal ist.«

»Für was, bitte?«

Der Russe Karamsin stellt seine Frage wie einen harten Gegenstand auf den Tisch.

»Sie fragen noch?« staunt Malström.

»Ja, ich frage.«

Wilford sieht dem Russen ruhig ins Gesicht, wendet sich dann an den Schweizer:

»Kümmerli, erklären Sie mal dem Herrn, was hier gespielt wird.«

»Danke,« Karamsin winkt lächelnd ab, »ich will keinen wissenschaftlichen Vortrag hören, ich will Ihre Meinung wissen, Mr. Wilford!«

»Sollen Sie haben, ›Genosse‹, in drei Worten. In acht Tagen spätestens knallt's in ganz Asien.«

Malström ergänzt diese lakonische Prophezeiung:

»Wenn man einen großen Block fortbewegen will, packt man ihn von zwei Seiten an. Dort in Sinkiang und Afghanistan wird der eine Hebel angesetzt – daß Japan die Mohammedaner dazu benützt, dürfte Ihnen wohl bekannt sein –, der andere Angriff geht von Mandschukuo aus. Dazwischen sitzen wir.«

»Und England?« Kümmerli beugt sich vor.

»Wird es ruhig dem Brand an seinen indischen Grenzen zusehen?«

»England ist unser Feind!« sagt der Russe.

»Ach was, England,« fährt Malström erregt hoch, »daß ihr Genossen noch immer nicht einsehen wollt, um was es sich in Wirklichkeit handelt. Wir, das heißt die weiße Rasse – oder die Gelben, darum dreht sich's! Und nicht um die Politik eines Einzelstaates!«

»Gestatten Sie,« fällt Karamsin ein, »wenn ich das als Phrasen bezeichne. Sie sind Romantiker; am meisten aber die Deutschen.

Immer rettet ihr euch in die Wolken, verlegt die Probleme der Menschheit in die Sphäre erträumter Götter, die euch ja doch im Stich lassen werden. Aus eurer Rasse macht ihr einen Götzen, den ihr anbetet. Wir haben diese Albernheiten einer vergangenen Epoche durch unsere Idee überwunden. Wir werfen Massen und Gehirne in die Waagschale, wir mobilisieren die realen Werte eines Kontinents – wir rufen die Arbeiter der Welt auf; und klammern uns nicht an die schwächliche Doktrin von der Überwertigkeit der weißen Hautfarbe.

Wir umfassen die Menschheit des Erdballs, ihr aber spaltet sie. Ihr wimmert nach eurem Gott, den ihr in einem Himmel über der Erde wähnt, wir aber …«

Malström unterbricht ihn:

»Stopp, wir kennen Ihr Parteiprogramm. Aber Ihre Partei ist nicht Rußland! – Es könnte sein, daß der russische Mensch, Sie hören, ich betone der Mensch, stärker ist als ein totes Programm! – Und dieser russische Mensch steht auch für Europa, so gut wie wir und England; wenn auch die Politik Umwege macht. – Sie, ›Genosse‹ Karamsin leugnen Gott, wenigstens den unsichtbaren. Gut – aber ich kann Ihnen sagen, die da drüben haben einen. Und gegen einen Gott kann man nicht mit Kanonen schießen! Gegen uns stehen Buddha und Mohammed.«

»Wollen Sie damit sagen,« lächelt Karamsin, »daß Rußland sich wieder einen europäischen Gott zulegen solle, damit er mit seinem himmlischen Zauber die asiatischen Götzen vertreibt? Glauben Sie, daß man japanische Geschütze und Fliegerbomben mit frommen Sprüchen in Weihrauch auflösen kann?«

»Nein, natürlich nicht!« Malström läßt sich durch den Hohn des Russen nicht beirren. »Sie sollen ja auch nicht mit dem Gesangbuch werfen – verlangt kein Mensch von Ihnen. – Aber Sie sollen nicht glauben, daß Waffen allein genügen – es kommt darauf an, wer sie führt und wofür! Und ob Sie wollen oder nicht, Sie – das heißt das alte heilige Rußland – steht wie vor Jahrhunderten als Grenzwall gegen Asien da, als Vorposten der weißen Rasse. Und diese Rasse, mein Lieber, hat einen Gott! Oder, wenn Ihnen das lieber ist, eine Seele! – Jedenfalls, meine Herren, es wird gut sein, den Kinnriemen fester zu binden; heute noch sind wir Pioniere der Arbeit, aber morgen schon werden wir Soldaten unserer Rasse sein. – lind dann wird es sich zeigen, wessen Seele die stärkere ist, unsere oder die …«

»Achtung, Achtung!«

Mit rauher Stimme schneidet ihm der Lautsprecher das Wort ab. Der Sender von Krasnojarsk gibt die Abendmeldung:

»Ein japanisches Geschwader bombardiert seit 16 Uhr unseren Hafen Wladiwostok, versucht Truppen zu landen.

Mehrere Staffeln schwerer Bombenflugzeuge haben die Forts und Kasernen unter Gas gesetzt.

Bisher konnte der Angriff erfolgreich abgewehrt werden. Doch fehlen seit 19 Uhr weitere Nachrichten …«

*

So begann es.

Ohne Notenwechsel, ohne Kriegserklärung, mit einer vollendeten Tatsache. Und nun rollt die Lawine.

Wladiwostok geht verloren. Mit dem Hafen auch die Küstenprovinz bis Chabarowsk.

Bombengeschwader legen Blagowjeschtschensk in Trümmer, japanische Truppen dringen von Mandschukuo über den Amur und längs der ostchinesischen Bahn gegen Baikalien vor.

Die ganze äußere Mongolei flammt auf.

In Kobdo und Uljassnkai werden die kleinen russischen Garnisonen überwältigt, werden noch dort verbliebene Europäer erschlagen, ihre Häuser und Niederlassungen verbrannt.

Nur in Urga gelingt es dem blitzschnellen Zugriff einer motorisierten russischen Division und ihren Luftgeschwadern, die mongolische Streitmacht abzudrängen und die Stadt zu besetzen.

Doch sind auch hier Europäer ermordet worden, die nicht mehr Zeit fanden hinter den von Panzerwagen und Maschinengewehren gedeckten Palisaden der russischen Kolonie Schutz zu suchen.

Der Chutuchtu mit den Mitgliedern der Regierung ist spurlos verschwunden. Von den 10 000 Lamas, die Urga beherbergte, sind nur wenige geblieben. Und die vielen japanischen Händler in der alten Chinesenstadt Maimatschi sind weg.

Hat sie die Gobi verschluckt oder haben sie sich, wie die meisten Lamas und die prominenten Mongolen, das Tal der Tola hinunter zu den im Gebirge verstreut liegenden Klöstern gewandt?

Man weiß es nicht.

Ein mächtiger Buran, einer der häufigen Wirbelstürme, rast seit Tagen über Steppen und Berge und macht jede Luftaufklärung unmöglich.

*

Als die Radiowellen den Angriff auf Wladiwostok und jeden Tag neue Alarmnachrichten aus Ostasien über die Erde hin melden, da horcht die Welt auf.

Während Noten hin- und herfliegen, Geheimverträge geschlossen, beruhigende Erklärungen abgegeben werden, mobilisieren insgeheim alle großen Mächte.

Unter durchsichtigen Vorwänden werden Reservisten eingezogen, die Belegschaften von Waffen- und Munitionsfabriken erhöht.

Die Kapitäne der großen Schiffahrtslinien erhalten versiegelte Ordres mit auf die Reise.

Die zivilen Luftfahrtgesellschaften ziehen unauffällig die modernen Maschinen aus dem Verkehr.

Der Nachrichtendienst, zu deutsch die Spionageabteilung aller Regierungen und Kriegsministerien arbeitet mit Hochdruck.

Banken und Sparkassen beschränken ihre Auszahlungen, Versicherungsgesellschaften erhöhen ihre Prämien, die Aktien der chemischen und der Rüstungsindustrie ziehen scharf an.

Ängstliche, um ihr persönliches Wohl besorgte Gemüter sehen sich vergeblich nach einem friedlichen Land um, wohin sie ihre wertvolle Person und ihr Bankguthaben retten können.

Und sensationshungrige Reporter und Filmgesellschaften suchen in Rekordflügen nach dem Kriegsschauplatz die Konkurrenz zu schlagen.

Dieser Kriegsschauplatz hat nachgerade eine Ausdehnung angenommen, die jedem dieser geschäftstüchtigen Gentlemen genügend »Arbeitsraum« gewährt, ohne daß sie befürchten müßten, einander ins Gehege zu kommen.

Japans plötzlicher Angriff war das Signal für den von Tokio von langer Hand vorbereiteten und mit allen Mitteln unterstützten Aufstand aller Völker an Rußlands Grenzen vom Kaspischen Meer bis zum Amur.

Die »Großmohammedanische Nationenbewegung« hat mit einem Schlag alle Länder rund um den Pamir zu einem Riesengewitter zusammengeballt, das Rußland, England und China gleichermaßen bedroht.

Östlich anschließend, die ganze Mongolei, die Nordmandschurei und das russische fernöstliche Gebiet umfassend, zieht sich die Kampffront hin. Fast 5000 Kilometer ist diese Riesenfront lang, ein flammender Gürtel durch ganz Asien!

Das chinesische Reich, durch den Verlust der Randstaaten und die innere Zerrissenheit gelähmt, von drei Seiten umklammert, muß ohnmächtig dem Angriff der japanisch-mandschurischen Truppen zusehen, der jetzt nach der Eroberung von Wladiwostok und der Küstenprovinz durch die östliche Mongolei vorstößt.

Dieser großangelegte Angriff konzentriert sich um Urga und Mandschuria. Teile der mongolischen Armee, verstärkt durch Mandschukuotruppen, übernehmen den Flankenschutz gegen organisierte chinesische Banden in der mittleren und östlichen Gobi.

Wenn der Kampfraum, der sich zwischen Tschita an der Transsibirischen Bahn und Mandschuria an der Grenze von Mandschukuo erstreckt, der rein militärische Brennpunkt ist, so liegt an der Front von Urga sozusagen der seelische Kern des gewaltigen Ringens europäischer Kräfte gegen mongolische.

Denn Urga ist mehr als nur eine Stadt von strategischer Bedeutung. Sie ist der völkische Mittelpunkt der ganzen Mongolei; neben Lhasa in Tibet ein Rom der Mongolen, die heilige Stadt Da-Kure, ein Symbol also für das religiöse und staatliche Fühlen der Mongolen.

So stürmt hier an dieser Stelle eine erbitterte buddhistische Welt gegen die russischen Eroberer ihres Heiligtums.

Mit dem Einsatz aller irgendwie verfügbaren Kräfte, mit Heeren von Schanztruppen und Batterien von Spezialmaschinen, mit den Erfahrungen der letzten Kriege wird an dem Ausbau der russischen Stellungen gearbeitet. Südlich der Stadt, am Rande der Gobi und östlich und westlich davon auf dem Kamm des Gebirges, in Tälern und in der Steppe entstehen ausgedehnte Grabensysteme mit Unterständen und Batteriestellungen; weiter rückwärts auf den Höhen des Dsegilrückens bis zu den Ausläufern des Kenteigebirges Aufnahmestellungen und Querriegel durch die Täler der Tola und des Kyrylun. So wird die Stadt in weitem Halbkreis von Verteidigungsanlagen umgeben, an die sich nach Osten und Westen weit vorgeschobene Stützpunkte anschließen, die in der Hauptsache aus motorisierter Kavallerie mit schnellen Tankformationen und einigen Flugzeugstaffeln bestehen.

Vor Urga selbst stehen vorerst nur Teile der mongolischen Kerntruppen und vermischte japanische Verbände.

Für beide Gegner verlustreiche Teilkämpfe, Verschleierungsmanöver und da und dort inszenierte blitzartige Überfälle auf exponierte Abteilungen der Russen, sind das Vorspiel für die kommende Entscheidungsschlacht.


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