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Onkel Heinz war schlecht gelaunt. Mit grimmigem Gesicht ging er umher und erklärte, sich in den nächsten Tagen weder bei Müllers, noch bei Ilse Gontrau blicken zu lassen. Das ewige Einerlei und die endlosen Beratungen fingen an ihn zu langweilen. Immer bekam er dasselbe zu hören, von Verliebtsein, Verlobungen und Ratschlägen der Eltern. Es herrschte allseitig große Rührung, und der Professor, der bei seinen vielen guten Eigenschaften doch nicht frei von Egoismus war, konnte es nicht leiden, daß die Jugend jetzt ganz in den Vordergrund trat und ihm und seinen Interessen weniger Beachtung geschenkt wurde.

Am Morgen nach der Landpartie war Ludwig Reicher zu Fritz Müller und seiner Frau gekommen, hatte ihnen gesagt, daß er ihre Tochter Agnes unaussprechlich liebe und um ihre Hand bitte.

Sehr erstaunt waren die Eltern nicht, denn sie hatten es kommen sehen. Agnes wurde hereingerufen und die Sache ruhig und praktisch besprochen. Ohne Tränen oder Sentimentalität erklärte das junge Mädchen, daß es Ludwig liebe; sie wären freilich beide noch ein bißchen jung, aber in dieser Hinsicht glaubten sie doch alt genug zu sein, um zu wissen, was sie wollten. Bevor Ludwigs Mutter ihre Einwilligung gegeben, könne natürlich von einer öffentlichen Verlobung keine Rede sein. Fritz Müller betonte, daß seine Tochter kein Vermögen habe, wenigstens nicht, solange ihre Eltern lebten. Er sei der Ansicht, daß ein junger Mann, wenn er sich um ein Mädchen bewerbe, unabhängig sein müsse und für seine Familie sorgen könne. Ludwig teilte diese Ansicht, aber da er in einigen Monaten mündig wurde und dann sein väterliches Erbteil zu freier Verfügung bekam, bildete der Geldpunkt in seinen Augen kein Hindernis. Trotzdem machte Vater Müller, der jeden Pfennig, den er besaß, durch die Arbeit seines Kopfes und seiner Hände erworben hatte, noch immer ein bedenkliches Gesicht. Ein Erbteil, na ja, das war schon gut, aber ein Mann mußte von dem leben können, was er selbst verdiente. Auf die eigne Kraft könne man vertrauen; ein Vermögen, das in Gütern und Papieren bestände, sei nie sicher. Ludwig äußerte etwas von amerikanischer Auffassung, Agnes aber fand, daß ihr Papa recht habe. Sie könnten noch ein wenig Geduld haben, in zwei Jahren wurde der junge Offizier Oberleutnant, so lange wollten sie mit der Hochzeit warten. Nach dieser Entscheidung des Familienrates verließen Agnes und Ludwig mit strahlenden Mienen das Zimmer der Eltern, um die Glückwünsche von Maud, Hans und Karl in Empfang zu nehmen.

Aber als Fritz und Marianne zu ihrer Mutter gingen, um ihr als erster diese wichtige Neuigkeit mitzuteilen, waren sie nicht wenig erstaunt, dort die Familie in ähnlichen Beratungen anzutreffen.

Gustav war noch nie verliebt gewesen, sondern stets allen Mädchen aus dem Wege gegangen, und oft hatte Irma ihn mit seiner Schüchternheit geneckt. In Floras Gegenwart hatte er sich sofort frei und unbefangen gefühlt. Das war eine Frau, wie er sie sich erträumte, sanft, still und fügsam, voll Bewunderung für ihn und die Seinen. Auch Ruth und Heinrich von Holten fühlten sich zu dem bescheidenen Mädchen hingezogen, wenn erstere für ihren Sohn auch eine glänzendere Partie gewünscht hätte. Solche Bedenken, wie Fritz Müller geäußert, wurden daher hier nicht erhoben. Das Künstlerpaar lachte darüber; es würde schon alles recht werden, um Geldangelegenheiten machten sie sich keine Sorge. Wenn die jungen Leute sich liebten, so war das die Hauptsache. Frau Reicher mußte natürlich in Kenntnis gesetzt werden, dann war alles in Ordnung. Sie schrieb denn auch, daß sie mit ihrer Mutter, Frau Flora Werner, kommen wolle, um die Bekanntschaft der Familie zu machen, und es wurde beschlossen, daß Holtens ihre Abreise aus diesem Grunde noch um einige Tage verschieben sollten.

»Sei nicht so brummig, Onkel Heinz,« sagte Irma, sich unter dem großen Lindenbaum im Garten neben ihm niederlassend, »es ist wirklich kein Grund dazu vorhanden.«

»Kein Grund! Die Leute hier sind alle mit einander verrückt. Verliebte sind nie recht bei Trost, das ist nun mal so. Ich hatte Agnes für verständiger gehalten und auf ihre amerikanische Nüchternheit gerechnet, aber sie ist genau so wie alle andern.«

Irma schaute den alten Herrn spottend an, er aber fuhr, dadurch in Harnisch gebracht, fort:

»Du brauchst nicht zu lachen. Da hast Du nun Gustav und Flora! Die tun nichts als sich anschauen, so schmachtend und sentimental, daß einem gewöhnlichen Menschen davon übel werden kann. Das Ärgerlichste aber ist, daß die Eltern, dein Onkel und deine Tante, ja deine Großmutter dem noch Vorschub leisten. Sie reden über nichts als über die Kinder, ihr Glück, ihre schöne junge Liebe, die ihnen ihre eigene Jugend wieder in Erinnerung bringe. Bah, nichts als Unsinn, Gefühlsduselei, Überspanntheit.«

»Pfui, Onkel Heinz, du solltest dich schämen!«

» Du solltest dich schämen, kleine, freche Hexe. Willst du etwa diesem schönen Beispiel folgen? Vielleicht gar mit Hans? Na ja, warum auch nicht, dann ist das Spiel komplett.«

»Hans,« rief Irma, verächtlich die Achseln zuckend.

»Na,« fuhr der Professor fort, plötzlich wieder ins andere Extrem umschlagend, »er wäre der Schlechteste nicht; in jedem Fall viel besser als der Gigerl von Offizier. Du brauchst seinetwegen nicht so die Nase zu rümpfen. Glaubst du denn, daß noch ein Prinz für dich kommen wird?«

Der alte Herr schaute sie unter seinen buschigen Augenbrauen durchdringend an, und Irma errötete unter diesem scharfen Blick.

»Wie kommst du mir heut nur vor, Onkel Heinz?« fragte sie. »Erst bist du bös, weil die Andern sich verliebt haben und sich verloben, und nun ich sage, daß ich an so etwas nicht denke, ist's auch nicht recht.«

»Bös, das ist nicht wahr. Es bringt mich nur um meine Laune, weil sie sich so verdreht anstellen und weil ich von nichts anderem mehr höre; aber sie haben recht, wenn sie heiraten. Menschen, die unverheiratet bleiben, na – du siehst ja, was daraus entsteht. Ein alter, brummiger Neidhammel wie ich, oder so ein Exemplar wie Tante Elisabeth. Darum, kleines Jungfräulein, wenn ein braver, ehrlicher Mann dir zeigt, daß er dich lieb hat, denk lieber zweimal nach, bevor du ihm 'nen Korb gibst, um irgend einem goldbeschwingten Schmetterling nachzujagen, den du doch nicht fängst.«

Bei diesen Worten stand Professor Fuchs auf und humpelte davon. Er hatte zur Zeit viel von der Gicht zu leiden und stampfte nun ungewöhnlich laut mit seinem Stock auf.

Glühend vor Entrüstung sah Irma ihm nach. Zum erstenmal in ihrem Leben war sie ernstlich böse auf Onkel Heinz. Was bedeutete das? Um was kümmerte er sich? Was mochte er beobachtet haben? Sie begriff nur zu gut, daß er auf Baron von Hochstein anspielte. Was ging ihn das an? Sie hätte nie gedacht, daß er, Onkel Heinz, solche Dinge überhaupt bemerke! Er brauchte sie wahrlich nicht zu warnen, sie sollte ihre Erwartungen nicht zu hoch spannen. O, wenn er wüßte!

Irma schaute sich im Garten um, ob auch niemand in der Nähe sei; nein, das Terrain war sicher. Nun zog sie aus ihrem Kleide ein zierliches Briefchen hervor und las es, wohl schon zum hundertstenmale. Sie wußte es Wort für Wort auswendig, aber es war ihr ein Genuß, sich immer wieder von seinem Inhalt zu überzeugen.

 

Mein gnädiges Fräulein!

Vor zwei Tagen kannte ich Sie noch nicht; ahnte ich nicht, daß es etwas so unbeschreiblich Schönes auf der Welt gäbe. Erst seit zwei Tagen lebe ich, fühle ich wenigstens, daß das Leben wert ist, gelebt zu werden. Irma, ich liebe Sie und ich muß Ihnen das sagen, auf die Gefahr hin, daß Sie mich für meine Kühnheit strafen. Denn es ist ein Vorzug, etwas so Vollkommenes, so wunderbar Schönes anzubeten. Haben Sie ein wenig Mitleid mit mir? Ich bitte nicht um Erwiderung meiner Gefühle. Das wäre zu anmaßend. Möchte die Darbietung meiner ehrfurchtsvollen, meiner unermeßlichen, meiner ewigen Liebe Ihnen nur nicht zuwider sein. Das ist alles, um was ich Sie anzuflehen wage. Dienstag Nachmittag zwischen vier und fünf Uhr werde ich an Ihrem Hause vorübergehen. Wenn ich Sie dann an einem der Fenster oder im Garten sehe und Sie tragen eine rote Rose im Gürtel, machen Sie mich zum glücklichsten der Sterblichen, wenn nicht – ich wage es nicht auszusprechen, welcher Verzweiflung ich dann anheimfallen würde.

Ich ersuche Sie um strengste Geheimhaltung; mir ist, als würde meine Liebe entweiht, wenn jemand auch nur eine Ahnung davon hätte.

Ihr ewig getreuer
Otto von Hochstein.

 

Arme kleine Irma, sie verstand nicht das Geschraubte und zugleich Triviale dieses Briefes. Sie war buchstäblich begeistert, und ihr eitles Herzchen klopfte vor freudigem Stolz.

»Irma, Baronin von Hochstein,« sprach sie immer wieder leise vor sich hin. Natürlich fiel es ihr gar nicht ein, jemand Mitteilung von ihrem köstlichen Geheimnis zu machen, aber es kostete sie doch einen Kampf, Agnes gegenüber ganz zu schweigen. Das Mädchen war strahlend glücklich und sprach mit wahrer Begeisterung von Ludwig. Irma schaute sie fast mitleidig an; was war der junge Leutnant im Vergleich zu Otto? Es schien ihr, als ob die Beiden gar nicht in einem Atemzug genannt werden könnten; Agnes war zudem so von ihrem Verlobten erfüllt, daß sie keine Augen für Irma hatte und gewiß nicht mit dem richtigen Interesse ihrer wichtigen Mitteilung Gehör schenken würde.

Und so verhielt es sich mit allen. Die zwei großen Ereignisse im Familienkreise nahmen die Gedanken so in Anspruch, daß keiner auf Irma acht gab. Selbst Großmutter Ilse und Ruth, die sich sonst so viel mit ihrem Liebling beschäftigten, sahen nicht, wie erregt und geheimnisvoll sich das junge Mädchen benahm, wie sie ohne jede Veranlassung die Farbe wechselte, die Einsamkeit suchte und oft ganz gegen ihre Gewohnheit in sich versunken, dann wieder ausgelassen lustig sein konnte. Sie widmete ihrem Äußern noch mehr Sorgfalt als früher. Ihre Züge zeigten einen Ausdruck, der sie vielleicht noch schöner machte, aber doch von der kindlichen Unschuld, mit der sie früher die Vergißmeinnichtaugen aufschlug, himmelweit verschieden war.

Onkel Heinz, der viel mehr beobachtete, als man vermutete, und der das Kind aufs zärtlichste liebte, kam zu der Ansicht, daß etwas im Werk sei, und machte sich seine Gedanken darüber. Da er aber nichts Gewisses wußte, hütete er sich wohl, seine Nase in Dinge zu stecken, die einen alten Junggesellen nichts angingen. Er begnügte sich, der Kleinen anzudeuten, daß er ein wachsames Auge auf sie habe.

Der zweite, der etwas merkte, aber nichts sagen durfte, war Hans Reicher. Seit der schöne Student mit den bestechenden Manieren auf der Bildfläche erschienen war und Irmas liebliches aber eitles Köpfchen mit seinen Schmeicheleien erfüllte, wußte Hans, daß er nichts mehr zu hoffen hatte. Obgleich ihm das bitter wehtat, würde er sich doch darein ergeben haben, weil seine Liebe großmütig und frei von Selbstsucht war. Irmas Glück stellte er weit über das seine, und er fürchtete, daß der Baron von Hochstein nicht die Persönlichkeit sei, der ein junges Mädchen vertrauensvoll seine Liebe schenken könne. Sein Auftreten war zu übermütig, zu dreist. Etwas Bestimmtes wußte Hans jedoch nicht, auch hatte er kein Recht, sich nach Hochstein zu erkundigen; so blieb ihm denn nichts anderes übrig, als mit Angst und Trauer im Herzen abzuwarten, was aus der Sache werden würde.

Flora Werner und ihre Tochter, Thusnelda Reicher, trafen ein, und nun wurde die Doppelverlobung durch ein großes Familienfest gefeiert.

Flora war eine alte Frau geworden, aber ihr fehlte die vornehme Würde, die Ilse auszeichnete. Selbst jetzt hatte sie ihrer Sucht sich zu putzen nicht widerstehen können. Sie trug sich jugendlicher und auffallender als ihre Tochter und sah mit ihrem nach der neuesten Mode frisierten Haar geradezu lächerlich aus. Heinrich von Holten und Fritz Müller nannten sie eine alte Kokette und verspürten Lust, sie ein bißchen zum Narren zu haben, aber sie überlegten, daß dies nicht angebracht sei bei der Jugendfreundin ihrer Schwiegermutter und der künftigen Mutter ihrer eigenen Kinder. Frau Reicher, früher ein leicht errötendes, aber kerngesundes, kräftiges junges Mädchen war nun ein kleines, rundliches Frauchen, sehr verlegen, besonders in Ruths Gesellschaft, deren fürstliche Grazie ihr riesig imponierte. Sie war ganz glücklich über die Wahl ihrer Kinder und gleich vertraut mit Agnes; zu Gustav aber wagte sie kaum ein Wort zu reden. Die alte Flora fühlte sich im siebenten Himmel. Die Verlobung ihres Großsohnes mit Agnes ließ sie ziemlich gleichgültig; sie fand sie ganz passend, aber es war nichts außergewöhnliches dabei; daß aber ihre Enkelin einen Künstler heiraten sollte, den Sohn des berühmten Ehepaares von Holten, darüber war sie ganz aus dem Häuschen.

»Siehst du, liebste Ilse,« sagte sie zu ihrer alten Freundin, »das versöhnt mich mit dem Leben. Du weißt, welch dichterisches Talent ich besaß; wie ich sozusagen zu großen und schönen Dingen vorherbestimmt war und wie meine Seele durch die Prosa meines Lebens gelitten hat. Ich habe mich gefügt; als ich meine Schwingen nicht so entfalten durfte, wie ich ersehnte, habe ich sie kampfesmüde eingezogen. Meinem guten, prosaischen Manne war ich eine treue Gefährtin. Ich erfüllte meine Pflicht, und nun werde ich belohnt. Mein Liebling, das Kind, das meinen Namen trägt, in dessen jugendlicher Seele meine Dichternatur wieder aufblüht, wird sich mit einem Künstler verbinden, einem nach hohen Idealen strebenden, schöpferischen Genie. Nun kann ich ruhig sterben – ich habe nicht umsonst gelebt!«

Ilse hielt es nicht für nötig, auf diesen Wortschwall viel zu erwidern noch Flora daran zu erinnern, daß Gustav bis jetzt noch kein schöpferisches Genie genannt werden konnte. Sie lachte nur bei dem Gedanken, wie wenig ihre alte Pensionsfreundin sich im Grunde doch verändert hatte, trotzdem das grausame Leben sie gezwungen hatte, auf alle Dummheiten zu verzichten und einfach mit der Wirklichkeit zu rechnen. Letzteres hatte sie aber auch so gut getan, daß man ihre übertriebenen Ausdrücke und poetischen Sentimentalitäten ihr verzeihen konnte.

Thusnelda klagte Ilse, daß die kleine Flora noch so viel zu lernen habe, da sei es gut, wenn die jungen Leute noch nicht gleich heirateten, denn die Kleine sei, besonders in allem, was den Haushalt beträfe, noch sehr unwissend. Aber Ilse, die selbst nie mit besonderer Lust und Liebe gewirtschaftet hatte, fand diese Sorge unwichtig.

»Die Führung des Haushaltes lernt sich von selbst,« sagte sie, »und wozu sind denn die Dienstboten da?«

Bescheiden schwieg Thusnelda. Sie wagte nicht, Frau Gontrau zu widersprechen, aber in ihrem Herzen dachte sie, daß Ilse neben einer gut gefüllten Börse immer Glück mit ihren Dienstboten gehabt haben müsse, – dann konnte sie wohl so reden.

Die Familie Reicher und Flora Werner reisten zuerst ab. Agnes und Ludwig benahmen sich tadellos bei der Trennung. Der Ort, wo der junge Leutnant in Garnison stand, war nicht weit von F. entfernt, so daß er sicher jeden Monat einmal herüberkommen konnte. Die kleine Flora dagegen zerfloß in Tränen, so daß Onkel Heinz ihr spottend vorschlug, sich bei der städtischen Wasserversorgung anstellen zu lassen. Hundertmal fragte sie Gustav, ob er sie auch nicht vergessen werde; und als sie sich endlich aus seinen Armen lösen mußte und die Coupétüre geschlossen wurde, fiel sie schluchzend Großmutter Werner um den Hals. Diese allein verstand sie und bemühte sich, sie mit leise gemurmelten Worten zu trösten. Der einzige, der sich freute, wieder an seine Arbeit gehen zu können, war Hans. Er besaß keine sentimentale Natur, und wenn er auch wußte, daß es ihm nie gelingen würde, Irma zu vergessen, da er doch nun einmal nicht anders konnte, als das kleine, kokette Ding lieben, so war es doch nicht seine Sache, sich feige und weich seinem Kummer hinzugeben. Er sehnte sich nach dem einzigen Mittel, seine Enttäuschung zu überwinden, nach ernster, rastloser Arbeit.

Mit heitern Mienen hatte er von allen Abschied genommen. Als die Reihe an Irma kam, drückte er ihr Händchen so kräftig in seiner großen Faust, daß er ihr weh tat, und sagte mit eigentümlich bebender Stimme:

»Sie wissen, Irma, was ich gehofft habe. Es hat nicht sollen sein, und ich muß trachten, mich darein zu ergeben. Aber um eins will ich Sie bitten. Denken Sie ab und zu daran, daß Ihnen ein treuer Freund lebt, der alles opfern würde, um Sie glücklich zu machen.«

Sie waren einen Augenblick allein. Schnell, bevor sie es hindern konnte, legte er den Arm um sie und drückte einen Kuß auf ihre Stirn. Dann ließ er sie los und begab sich zu den andern. Irma wollte entrüstet auffahren, vermochte es aber nicht; zu ihrem großen Ärger fühlte sie ein Weh in ihrem Herzen, und das unbestimmte Gefühl, als habe sie etwas sehr Kostbares verspielt, bemächtigte sich ihrer. Freilich nur einen Augenblick, dann tastete sie mit der Hand in ihr Kleid, wo zwischen weichen Spitzen ein rosa Briefchen verborgen lag, und mit stolz erhobenem Haupte und leuchtenden Augen schaute sie Hans nach.

Am nächsten Tage reisten auch Holtens ab, und nun fing für Ilse und Irma wieder das alte ruhige Leben an, das sie vor der Ankunft der amerikanischen Familie geführt hatten.

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