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Illustration: Bayros

Die Theologin

Meine Wege brachten mich zum dritten Male nach Genf. Ich stieg in der ›Wage‹ ab, wo ich ein gutes Unterkommen fand. Als ich an das Fenster trat, fielen meine Augen auf eine Scheibe, auf welcher ich die mit der Spitze eines Diamants eingegrabenen Worte las: › Du wirst Henriette vergessen‹. Da ich mich sogleich des Augenblicks erinnerte, wo Henriette vor vielen Jahren diese Worte geschrieben, fühlte ich, wie sich die Haare mir auf dem Kopfe sträubten. Wir hatten in diesem Zimmer gewohnt, als sie sich von mir trennte, um nach Frankreich zurückzukehren. Völlig niedergebeugt warf ich mich auf einen Lehnstuhl und überließ mich tausend Betrachtungen. Edle und zärtliche Henriette, die ich so sehr geliebt, wo weilst du jetzt? Ich hatte nie Nachricht von ihr bekommen und mich nie nach ihr erkundigt. Wenn ich mich mit ihr selbst verglich, so mußte ich mir sagen, ich verdiente jetzt weniger als damals sie zu besitzen. Ich verstand noch zu lieben; aber ich fand in mir das Zartgefühl, welches ich damals besessen, noch die Empfindungen, welche die Verirrungen der Sinne rechtfertigten, noch jene Milde der Sitten, noch eine gewisse Redlichkeit, welche sogar Schwächen adelt; was mich aber vorzüglich schreckte, war die Entdeckung, daß ich nicht mehr dieselbe Kraft besaß. Jedoch schien es mir, als ob die bloße Erinnerung an Henriette mir die frühere Kraft wiedergeben müsse. Es war eine große Leere in mir, und so fühlte ich mich von einem so großen Enthusiasmus ergriffen, daß, wenn ich gewußt hätte, wo Henriette zu finden gewesen, ich mich augenblicklich aufgemacht haben würde, um sie aufzusuchen, obwohl ich ihr Verbot nicht vergessen hatte. Am folgenden Tage suchte ich einen Syndikus aus, den ich bei meinem zweiten Aufenthalt in Genf kennen gelernt hatte. Nicht so sehr seiner selbst, als dreier reizender Schwestern wegen, welche seine Freundinnen waren und mit denen ich gar heftig der Liebe gehuldigt hatte zu seinem Vergnügen; denn er selbst konnte leider nur noch in der Phantasie genießen. Wir begaben uns gleich auf den Weg zu den drei Schönen. Da begegnete mir ein Pfarrer, den ich auch bei meinem letzten Aufenthalt kennen gelernt hatte und dessen Nichte im Rufe einer großen Theologin stand. Von ihren Kenntnissen und ihrer Urteilskraft hatte ich damals, während eines Essens, genügend Beweise erhalten, um mich für das Mädchen zu interessieren. Erfreut, mich wiederzusehen, lud mich der Pfarrer für den andern Tag zum Mittagessen ein. Ehe wir zu unseren liebenswürdigen Freundinnen kamen, teilte mir der Syndikus mit, wir würden bei jenen ein sehr schönes Mädchen finden, welches noch nicht in die süßen Mysterien eingeweiht sei. »Desto besser,« sagte ich, »ich werde mich demgemäß benehmen und vielleicht gelingt es mir, sie einzuweihen.« Der Augenblick, wo ich diese liebenswürdigen Mädchen wiedersah, war, ich muß es gestehen, einer der angenehmsten meines Lebens. In ihrem Empfange sprach sich Freude, Befriedigung, Unbefangenheit, Dankbarkeit und Liebe zum Vergnügen aus. Sie liebten sich ohne Eifersucht, ohne Neid und ohne irgendeinen Gedanken, welcher die gute Idee, die sie von sich selbst hatten, hätte beeinträchtigen können. Sie hielten sich meiner Achtung wert, weil sie sich ohne erniedrigende Gedanken und aus demselben Gefühl, das mich zu ihnen gezogen, mir hingegeben hatten. Die Gegenwart der Freundin nötigte uns, unseren ersten Umarmungen die Grenzen zu ziehen, welche die Anstand genannte Konvenienz fordert, und die Unerfahrene bewilligte mir nur errötend, und ohne die Augen aufzuschlagen, dieselbe Gunst. Nach den gewöhnlichen Reden und Gemeinplätzen, die man nach einer langen Abwesenheit auftischt, und nach einigen doppelsinnigen Äußerungen, über welche wir lachten und welche der jungen Helene Stoff zum Nachdenken gaben, sagte ich zu dieser, sie sei schön wie die Liebesgöttin, und ich wolle wetten, daß ihr Geist, ebenso schön wie ihre reizende Gestalt, gewissen Vorurteilen nicht unterworfen sei. »Ich habe«, entgegnete sie in bescheidenem Tone, »alle Vorurteile, welche Ehre und Religion gebieten.« Ich sah, daß sie geschont werden mußte und daß nur mit Zartheit und allmählich weiterzukommen war. Sie war kein Platz, der mit einem Handstreich erobert werden konnte. Wie zu erwarten war, verliebte ich mich in sie. Als der Syndikus meinen Namen nannte, sagte sie: »Sie sind es also, mein Herr, der vor zwei Jahren mit meiner Cousine, der Nichte des Pastors, so sonderbare Fragen erörtert hat? Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.« »Es freut mich, die Ihrige zu machen, Fräulein, und ich wünsche, daß Ihre liebenswürdige Cousine Sie nicht gegen mich eingenommen hat.« »Ganz im Gegenteil, denn sie schätzt Sie sehr.« »Ich werde die Ehre haben, morgen bei ihr zu speisen, und werde nicht ermangeln, ihr meinen Dank zu sagen.« »Morgen? Ich werde dabei zu sein suchen, denn ich liebe die philosophischen Gespräche sehr, obgleich ich mir nicht dareinzusprechen erlaube.« Der Syndikus lobte ihre Klugheit und Bescheidenheit mit solcher Wärme, daß ich deutlich sah, er sei in sie verliebt, und er müsse, wenn er sie noch nicht verführt, alle Mittel aufbieten, um es dazu zu bringen. Diese schöne Person hieß Helene. Ich fragte die jungen Damen, ob Helene unsere Schwester sei. Die älteste erwiderte mit feinem Lächeln, sie sei Schwester, habe aber keinen Bruder, und als sie diese Erklärung beendet hatte, stürzte sie ihr in die Arme. Nun machten der Syndikus und ich ihr um die Wette angenehme Komplimente und sagten, wir hofften, ihre Brüder zu werden. Helene errötete, erwiderte aber kein Wort auf unsere galanten Reden. Als ich nun mein Schmuckkästchen hervorzog und sah, wie die jungen Damen sich über meine Ringe freuten, bewog ich sie, die ihnen am besten gefallenden auszuwählen, und die reizende Helene folgte dem Beispiele ihrer Gefährtinnen und belohnte mich durch einen bescheidenen Kuß. Bald darauf verließ sie uns, und wir sahen uns nun im vollen Besitze unserer alten Freiheit. Der Syndikus hatte recht, sich in Helene zu verlieben, denn dieses junge Mädchen war nicht nur geeignet zu gefallen, sondern sogar eine heftige Leidenschaft zu erregen; aber die drei Freundinnen schmeichelten sich nicht, sie für unsere Vergnügungen gewinnen zu können, denn sie behaupteten, sie habe Männern gegenüber ein unüberwindliches Schamgefühl. Wir speisten sehr heiter zu Abend und gingen nach dem Abendessen wieder an unsre alten Spiele, bei denen der Syndikus in seiner großen Zufriedenheit bloßer Zuschauer unserer Heldentaten blieb. Um Mitternacht trennten wir uns, und der gute Syndikus geleitete mich bis zur Tür meiner Wohnung. Am folgenden Tage ging ich zum Mittagessen beim Pastor, wo ich zahlreiche Gesellschaft fand, unter andern Herrn von Harcourt und Herrn von Himenez, welcher sagte, Voltaire wisse, daß ich in Genf sei, und wünsche mich zu sprechen. Ich begnügte mich, ihm mit einer tiefen Verbeugung zu antworten. Fräulein Hedwig, die Nichte des Pfarrers, machte mir ein sehr schmeichelhaftes Kompliment, welches mir nicht so sehr gefiel als der Anblick ihrer Cousine Helene, welche bei ihr saß und welche sie mir mit dem Bemerken vorstellte, wir könnten, da wir bekannt geworden seien, sehr gut zusammenkommen; dies wünschte ich sehr. Die zweiundzwanzigjährige Theologin war schön, appetitlich, aber sie hatte nicht das gewisse, ich weiß nicht was, welches reizt und welches die Hoffnung und das Vergnügen erhöht, das Sauersüße, welches selbst die Wollust steigert. Aber ihre Freundschaft mit ihrer Cousine war hinreichend für mich, um den Versuch zu machen, ihr ein günstiges Gefühl für mich einzuflößen. Wir hatten ein vortreffliches Mittagessen, und während der Mahlzeit sprach man nur von gleichgültigen Sachen; aber beim Dessert bat der Pastor Herrn von Himenez, einige Fragen an seine Nichte zu richten. Da ich diesen Gelehrten dem Rufe nach kannte, so machte ich mich auf eine geometrische Aufgabe gefaßt; aber ich täuschte mich, denn er fragte sie, ob ein innerer Vorbehalt hinreiche, um eine Lüge zu rechtfertigen. Hedwig erwiderte bescheiden, obwohl eine Lüge notwendig werden könnte, so bleibe doch der innere Vorbehalt immer ein Betrug. »Erklären Sie mir, wie Jesus Christus hat behaupten können, daß ihm die Epoche des Endes der Welt unbekannt sei?« »Er hat es sagen können, weil er es nicht wußte.« »Dann war er also nicht Gott?« »Diese Folgerung ist falsch, denn da Gott alles kann, so kann er auch eine Futurität nicht wissen.« Das so passend gebildete Wort Futurität schien mir bewunderungswürdig. Hedwig wurde lebhaft applaudiert, und ihr Onkel ging um den Tisch herum, um sie zu umarmen. Ich hatte einen sehr natürlichen Einwand auf den Lippen, der sie in Verlegenheit hätte setzen können, weil er sich aus der Sache selbst ergab; aber ich wollte ihr gefallen und schwieg. Herr von Harcourt wurde ebenfalls aufgefordert, Fragen an sie zu stellen; aber er erwiderte mit Horaz: »Nulla mihi est religio.« Hedwig wendete sich nun zu mir und sagte, sie erinnere sich der Amphidromie eines heidnischen Festes. »Aber ich möchte wohl,« fuhr sie fort, »daß Sie eine Frage in bezug auf das Christentum an mich richteten, eine recht schwierige Frage, die Sie selbst nicht beantworten können.« »Das ist mir sehr lieb, Fräulein.« »Desto besser, dann brauchen Sie nicht nachzudenken.« Ich denke nach, um etwas neues zu finden. Jetzt hab ich's. »Geben Sie zu, daß Jesus Christus alle menschlichen Eigenschaften in der höchsten Potenz besaß?« »Alle, ausgenommen die Schwächen.« »Rechnen Sie die Zeugungskraft zu den Schwächen?« »Nein.« »Sagen Sie mir also, von welcher Beschaffenheit das Kind gewesen sein würde, wenn Jesus Christus sich entschlossen hätte, mit der Samaritanerin ein Kind zu zeugen?« Hedwig wurde feuerrot; der Pastor und die ganze Gesellschaft blickten sich an, und ich richtete die Augen auf die Theologin, welche nachdachte. Herr von Harcourt sagte, man müsse Voltaire kommen lassen, um eine so schwierige Frage zu entscheiden, aber Hedwig blickte mit gesammelter Miene und wie als wenn sie antworten wolle, auf, und alle schwiegen. »Jesus Christus«, sagte sie, »hatte zwei vollkommene Naturen, welche in vollkommenem Gleichgewichte standen; sie waren unzertrennlich. Wenn also die Samaritanerin körperlichen Umgang mit unserm Erlöser hatte, so wäre es lächerlich, bei einem Gotte eine Handlung von solcher Bedeutung anzunehmen, ohne die natürliche Konsequenz zuzugeben: die Samaritanerin würde nach neun Monaten mit einem männlichen und nicht weiblichen Kinde niedergekommen sein, und dieses Wesen, gezeugt von einem menschlichen Weibe und einem Gottmenschen, würde ein Viertel Gott und drei Viertel Mensch gewesen sein.« Als sie dies sagte, klatschten alle Gäste, und Herr von Himenez bewunderte die Richtigkeit dieser Berechnung, sodann sagte er: »Hätte der Sohn der Samaritanerin sich verheiratet, so würden die aus dieser Ehe hervorgegangenen Kinder zu sieben Achtteilen Mensch und zu einem Achtteile Gott geworden sein.« »Vorausgesetzt, daß er nicht eine Göttin geheiratet hätte,« entgegnete ich, »wodurch das Verhältnis sehr merklich geändert werden würde.« »Geben Sie genau an,« fiel Hedwig ein, »wieviel Göttliches das Kind in der sechzehnten Generation gehabt haben würde.« »Warten Sie einen Augenblick und geben Sie mir einen Bleistift,« sagte Herr von Himenez. »Es ist nicht nötig zu rechnen,« sagte ich; »es würde einen Teil des Geistes gehabt haben, der Sie beseelt.« Alle stimmten dieser Galanterie bei, die auch derjenigen, der sie galt, nicht mißfiel. Diese schöne Blondine entflammte mich durch den Zauber ihres Geistes. Wir standen von Tische auf, um uns in einen Kreis zu setzen, und sie pulverisierte unsere Komplimente auf die leichteste Weise. Ich zog Helene beiseite und bat sie, ihre Cousine zu bewegen, daß sie aus meinem Schmuckkästchen, wo ich die Lücken vom vorigen Tage schon wieder ausgefüllt, einen Ring auswähle. Die reizende Cousine übernahm gern diesen Auftrag. Eine Viertelstunde darauf zeigte mir Hedwig ihre Hand und mit Vergnügen erblickte ich meinen Ring; ich küßte mit Entzücken die Hand, und an der Glut meiner Küsse mußte sie gewahr werden, welche Gefühle sie mir eingeflößt hatte. Am Abend erzählte Helene dem Syndikus und den drei Freundinnen die beim Mittagessen vorgekommenen Fragen, ohne den geringsten Umstand zu vergessen. Sie erzählte leicht und anmutig; ich hatte nicht nötig, ihr ein einziges Mal zu Hilfe zu kommen. Wir baten Sie, zum Abendessen zu bleiben; aber nachdem sie die drei Freundinnen beiseite genommen, wußte sie diese zu überzeugen, daß dies unmöglich; sie fügte aber hinzu, es würde ihr möglich sein, in einem Landhause, welches sie am See hatten, zwei Tage zu bleiben, wenn sie ihre Mutter persönlich um Erlaubnis bitten wollten. Auf Veranlassung des Syndikus suchten die drei Freundinnen die Mutter gleich am folgenden Tage auf, und am zweitnächsten Tage reisten sie mit Helene ab. Am Abend speisten wir bei ihnen, konnten aber nicht bei ihnen schlafen. Der Syndikus sollte mich nach einem wenig entfernten Hause führen, wo wir ein gutes Unterkommen finden würden. Wir hatten daher keine Eile, und da die älteste große Lust hatte, ihrem Freunde ein Vergnügen zu bereiten, so sagte sie zu ihm, er könne mit mir weggehen wann er wolle, und sie wolle sich zu Bett legen. Darauf nahm sie Helene, führte sie auf ihr Zimmer, und die beiden andern gingen auf das ihrige. Wenige Augenblicke, nachdem sie sich zurückgezogen, ging der Syndikus in das Zimmer, in welchem sich Helene befand, und ich begab mich zu den beiden andern. Kaum war ich eine Stunde bei den Freundinnen, als der Syndikus meine erotischen Freuden unterbrach und mich aufzubrechen bat. »Was haben Sie mit Helene gemacht?« fragte ich. »Nichts, sie ist eine Törin, mit welcher sich nichts anfangen läßt. Sie hat sich unter der Decke verborgen und die Späße, welche ich mit ihrer Freundin getrieben, nicht mit ansehen wollen.« »Sie hätten sich an sie wenden sollen.« »Ich habe es getan, aber sie hat mich immer zurückgestoßen. Ich kann nicht mehr. Ich bin erschöpft und bin sicher, daß ich bei dieser Wilden nichts erreichen werde, wenn Sie es nicht unternehmen, sie zu zähmen.« »Wie soll ich das anfangen?« »Kommen Sie morgen zum Essen; ich werde nicht da sein, denn ich muß den Tag über in Genf bleiben. Ich werde zum Abendessen kommen, und vielleicht können wir sie betrunken machen.« »Das wäre schade. Lassen Sie mich machen.« Ich ging also am folgenden Tage allein zum Mittagessen zu ihnen und wurde sehr freundlich aufgenommen. Nach Tisch gingen wir spazieren, und die Freundinnen, welche meinen Wünschen entgegenkamen, ließen mich mit der schönen Widerspenstigen allein, welche meinen Liebkosungen und meinen dringenden Bitten widerstand, so daß ich fast alle Hoffnung, sie zu zähmen, verlor. »Der Syndikus«, sagte ich, »ist in Sie verliebt, und diese Nacht –« »Diese Nacht«, sagte sie, »hat er sich mit seiner alten Freundin belustigt. Ich habe nichts dagegen, daß jeder seinen Vergnügungen nachgeht, aber ich mag mich in meinen Handlungen und Neigungen nicht beschränken lassen.« »Wenn es mir gelänge, in den Besitz Ihres Herzens zu gelangen, würde ich mich glücklich schätzen.« »Weshalb laden Sie den Pastor und meine Cousine nicht irgendwo zu Mittagessen ein? Sie würde mich mitnehmen, denn mein Onkel liebt alle diejenigen, welche seine Nichte lieben.« »Es ist mir lieb, das zu erfahren, und ich sehne mich schon nach der Partie, zu welcher Ihr guter Geist Ihnen den Gedanken eingegeben hat.« »Sie werden das Vergnügen haben, mit meiner Cousine zusammen zu sein.« »Ich lasse ihr Gerechtigkeit widerfahren, schöne Helene; Hedwig ist liebenswürdig und anziehend; aber glauben Sie mir, ich freue mich nur deshalb auf diese Partie, weil Sie dabei sein werden.« »Und wenn ich Ihnen nicht glaube?« »Sie würden mir unrecht tun und mir großen Schmerz bereiten, denn ich liebe Sie zärtlich.« »Trotzdem haben Sie mich zu täuschen gesucht. Ich bin sicher, daß Sie den drei jungen Damen, welche ich sehr beklage, Beweise der Zärtlichkeit gegeben.« »Weshalb?« »Weil keine von ihnen glauben kann, daß Sie sie allein lieben.« »Und glauben Sie, durch dies Zartgefühl glücklicher zu werden?« »Ja, ich glaube es, obwohl ich hinsichtlich dieses Punktes ohne alle Erfahrung bin. Sagen Sie mir aufrichtig, ob ich recht habe.« »Ja, ich glaube es.« »Sie entzücken mich; aber wenn ich recht habe, werden Sie zugeben, daß Sie, wenn Sie mich jenen beigesellen, mir nicht den Beweis Ihrer Liebe geben, den ich wünschen müßte, um von Ihrer Liebe überzeugt zu werden.« »Ja, ich gebe auch das zu und bitte Sie aufrichtig um Verzeihung. Jetzt, göttliche Helene, sagen Sie mir, wie ich es anzufangen habe, um den Pastor einzuladen.« »Das ist nicht schwer. Gehen Sie zu ihm und laden Sie ihn ganz einfach ein; und wenn Sie sicher sein wollen, daß ich dabei sein werde, so bitten Sie ihn, mich mit meiner Mutter einzuladen.« »Weshalb ›mit meiner Mutter?‹« »Weil er sie vor zwanzig Jahren geliebt hat und sie noch immer liebt.« »Und wo kann ich dieses Essen bereiten lassen?« »Ist nicht Herr Tronchin Ihr Bankier?« »Ja.« »Er hat ein schönes Lusthaus am See; bitten Sie ihn darum für einen Tag, und er wird es Ihnen mit Vergnügen leihen. Tun Sie das, aber sagen Sie weder dem Syndikus noch den drei Freundinnen etwas davon, wir wollen es ihnen später sagen.« »Glauben Sie aber, daß Ihre gelehrte Cousine gern in meiner Gesellschaft sein wird?« »Mehr als gern; seien Sie davon überzeugt.« »Wohlan; morgen soll alles in Ordnung gebracht werden. Übermorgen kehren Sie nach der Stadt zurück, und ich werde die Partie zwei oder drei Tage später ansetzen.« Der Syndikus kam zur Zeit der Abenddämmerung, und wir verlebten einen heiteren Abend. Nach dem Abendessen gingen die jungen Damen wie am vorigen Tage zu Bett, und ich begab mich in das Zimmer der ältesten, während mein Freund zu den beiden jüngsten ging. Ich wußte, daß alles, was ich tun könnte, um Helene zur Vernunft zu bringen, vergeblich sein würde; daher begnügte ich mich auch mit einigen Küssen, worauf ich ihnen eine gute Nacht wünschte und sodann den beiden jüngsten einen Besuch machte. Ich fand sie in tiefem Schlafe, und der Syndikus langweilte sich auf eigene Hand. Ich erheiterte ihn nicht, als ich ihm sagte, daß ich keine Begünstigung habe erlangen können. »Ich sehe wohl,« sagte er zu mir, »daß ich meine Zeit bei diesem einfältigen Mädchen verliere, und werde mich zuletzt in mein Schicksal fügen.« »Ich glaube,« erwiderte ich, »daß dies das Beste ist, was Sie tun können; denn für ein unempfindliches oder launisches Mädchen schmachten, ist ein Zeichen von Dummheit. Das Glück darf weder zu leicht noch zu schwer sein.« Am folgenden Tage begaben wir uns zusammen nach Genf, und Herr Tronchin war sehr erfreut, daß er mir den Gefallen tun konnte, um welchen ich ihn bat. Der Pastor nahm meine Einladung an und sagte zu mir, ich könne mich freuen, Helenens Mutter kennen zu lernen. Es war leicht zu sehen, daß der brave Mann eine zärtliche Empfindung für diese Frau hegte, und wenn sie ihm entgegenkam, so konnte dies meinen Plänen nur zugute kommen. Am folgenden Tage, dem Tage vor dem Mittagessen in Tronchins Hause, bestellte ich bei meinem Wirte ein Mahl, bei welchem nichts gespart werden sollte. Ich sorgte zugleich für die besten Weine, die feinsten Liköre, Eis und alles, was zu einem Punsche gehört. Ich sagte ihm, wir würden unserer sechs sein, denn ich sah voraus, daß Herr Tronchin dabei sein würde. Ich täuschte mich nicht, denn er fand sich in seinem Landhause ein, um uns die Honneurs zu machen, und es wurde mir nicht schwer, ihn zum Bleiben zu bewegen. Am Abend glaubte ich dem Syndikus und den Freundinnen kein Geheimnis mehr aus diesem Mittagessen machen zu dürfen, aber Helene tat so, als ob sie nichts wisse, und sagte mir, ihre Mutter habe ihr angezeigt, daß sie mit ihr irgendwohin zum Essen gehen werde. »Es ist mir lieb zu hören,« fügte sie hinzu, »daß das Essen in dem hübschen Hause Herrn Tronchins stattfinden wird.« Das Essen war so, wie der verwöhnteste Feinschmecker es nur wünschen konnte, und Hedwig war in der Tat des Tisches Zierde. Dieses erstaunliche Mädchen spielte die Rolle der Theologin mit solcher Anmut und verlieh der Vernunft einen so außerordentlichen Reiz, daß man hingerissen wurde, selbst wenn man sich nicht überzeugt fühlte. Ich habe nie einen Theologen gesehen, der imstande gewesen wäre, ohne Vorbereitung die abstraktesten Punkte dieser Wissenschaft mit solcher Leichtigkeit, Gründlichkeit und wahrhafter Würde zu erörtern, wie dieses junge Mädchen, welches mich während des Essens vollends entflammte. Herr Tronchin, der Hedwig nie gehört, dankte mir hundertmal, daß ich ihm dieses Vergnügen verschafft; und da er uns verlassen mußte, als wir vom Tische aufstanden, lud er uns für übermorgen zur Wiederholung der Partie ein. Ein Umstand, der während des Desserts meine Teilnahme ganz besonders erregte, war die Erwähnung seiner alten Zärtlichkeit für Helenens Mutter von seiten des Pastors. Seine verliebte Beredsamkeit wuchs in demselben Maße, wie er seine Kehle mit Champagner, Cyperwein oder Likören anfeuchtete. Die Mutter hörte ihm wohlgefällig zu und hielt ihm stand, während die Fräulein sowohl als auch ich nur mäßig tranken. Indes hatte die Mannigfaltigkeit der Getränke ihre Wirkung hervorgebracht, und meine Schönen waren etwas betrunken. Ich benutzte diese allgemeine Stimmung, und bat die beiden alten Verliebten um die Erlaubnis, die beiden jungen Damen im Garten am Rande des Sees spazieren zu führen, und sie wurde mit überströmendem Herzen gegeben. Wir gingen mit untergefaßten Armen hinaus, und in wenigen Minuten waren wir allen aus den Augen. Schnell war das Gespräch auf die Frage gekommen, die ich damals Hedwig gestellt hatte. Sie gestand mir bei dieser Gelegenheit, daß sie von der Bildung des Mannes keine Vorstellung hätte, und als ich von Erregung sprach, fragte sie erstaunt: »Was ist das?« Ich gab ihr eine handgreifliche Demonstration. Die Theologin unterrichtete sich darüber, und wir stellten fest, daß auch sie selbst eine Erregung spüre, gerade an der Stelle, welche ich bedeutete. Hedwig bestätigte alles und gestand auch, daß die Natur sie oft im Schlafe zwinge, sich Erleichterung zu schaffen. Bei dieser philosophischen Unterhaltung, welche die junge Theologin mit einem magisterartigen Tone führte und welche den schönen Teint ihrer Cousine mit der Farbe der Wollust belebte, gelangten wir an ein schönes Bassin, in welches man auf einer Marmortreppe zum Baden stieg. Obwohl es kühl war, waren doch unsere Köpfe erhitzt, und ich kam auf den Einfall, ihnen vorzuschlagen, die Füße ins Wasser zu stecken, weil ihnen das gut bekommen würde, und ich erbot mich, ihnen die Schuhe auszuziehen, wenn sie es erlaubten. »Ich bin es zufrieden,« sagte die Cousine. »Auch ich,« sagte Helene. »So setzen Sie sich auf die erste Stufe, meine Damen.« Sie setzten sich, und ich stellte mich auf die vierte Stufe und zog ihnen die Schuhe aus, während ich die Schönheit ihrer Beine rühmte und für den Augenblick keine Lust zeigte, höher als bis zum Knie zu gehen. Ich ließ sie sodann ins Wasser steigen, und hier mußten sie sich wohl aufschürzen, wozu ich sie ermunterte. »Ei was!« sagte Hedwig, »die Männer haben auch Lenden.« Helene, welche sich schämte, weniger mutig als ihre Cousine zu sein, blieb nicht zurück. »Es ist genug, meine reizenden Najaden,« sagte ich; »Sie könnten sich erkälten, wenn Sie länger im Wasser blieben.« Rückwärts gehend und mit aufgehobenen Röcken, um diese nicht naß zu machen, verließen sie das Wasser, und ich erhielt die angenehme Aufgabe, sie mit allen Taschentüchern, welche ich bei mir hatte, abzutrocknen. Dieses angenehme Geschäft erlaubte mir, beliebig zu sehen und zu berühren, und ich werde dem Leser wohl nicht eidlich zu versichern brauchen, daß ich es nach besten Kräften tat. Die schöne Cousine sagte, ich sei zu neugierig, aber Helene ließ mich mit so sanfter und schmeichelnder Miene gewähren, daß ich mir Zwang antun mußte, um die Sache nicht weiter zu treiben. Als ich ihnen sodann die Schuhe und Strümpfe angezogen, sagte ich zu ihnen, ich sei entzückt, daß ich die geheimen Schönheiten der beiden schönsten Personen von Genf gesehen. »Welchen Eindruck hat der Anblick auf Sie gemacht?« »Ich wage nicht, Sie aufzufordern, sich mit eigenen Augen zu überzeugen, aber gehen Sie noch einmal ins Wasser.« »Baden auch Sie!« »Das geht nicht; für einen Mann ist die Sache zu umständlich.« »Aber wir können noch zwei gute Stunden hier bleiben, ohne zu fürchten, daß jemand kommt.« Diese Antwort zeigte mir, welches Glück meiner wartete, ich hielt es jedoch nicht für angemessen, mich einer Krankheit auszusetzen, wenn ich in meinem jetzigen Zustand ins Wasser stiege. Da ich in geringer Entfernung einen Pavillon erblickte und überzeugt war, daß Herr Tronchin ihn für uns offen gelassen, so faßte ich meine Schönheiten unter die Arme und führte sie hinein, ohne sie meine Absichten erraten zu lassen. Dieser Pavillon war mit Vasen von Alabaster, hübschen Kupferstichen und so weiter geziert; aber von ungleich größerem Wert war ein schöner, zur Ruhe und zum Vergnügen geeigneter Diwan. Hier zwischen den beiden Schönen sitzend und sie mit Liebkosungen überschüttend weihte ich sie gänzlich in die Beschaffenheit des Mannes und des Weibes ein. Nachdem wir uns sodann wieder in einen anständigen Zustand gesetzt, küßten wir uns noch eine Stunde lang; sodann sagte ich, sie hätten mich zur Hälfte glücklich gemacht; um aber ihr Werk zu vervollständigen, würden sie, wie ich hoffte, darauf bedacht sein, mir ihre ersten Gunstbezeugungen zu bewilligen. Ich zeigte ihnen dann etwas, das sie von aller Furcht vor etwaigen Folgen befreien mußte, und die Theologin sagte zu ihrer Cousine, sie wolle sich die Sache bedenken. Nachdem wir so gute Freunde geworden, mit der Aussicht, es noch weit mehr zu werden, begaben wir uns nach dem Hause zurück, wo wir Helenens Mutter und den Pastor fanden, die am Rande des Sees spazieren gingen. Nach Genf zurückgekehrt, sah ich Helene erst am folgenden Tage bei ihrer Mutter, denn die Höflichkeit erforderte, daß ich der Witwe für die mir erwiesene Ehre dankte. »Morgen«, sagte das reizende Mädchen, »werde ich Ihnen, da wir bei Herrn Tronchin speisen, wohl etwas sagen können, und Hedwig, hoffe ich, wird das Mittel gefunden haben, Sie in voller Freiheit zur Befriedigung Ihrer Wünsche gelangen zu lassen.« Das Essen des Bankiers war gut. Wir waren unserer zwanzig zu Tisch, und das Fest galt der gelehrten Theologin und mir als reichem Fremden, der sein Geld auf eine anständige Weise ausgab. Hedwig glänzte und gab bei jeder Frage neue Beweise ihres seltenen Geistes. Nach Tisch liebkosten alle dieses erstaunliche Mädchen, so daß es mir unmöglich war, einen Augenblick allein mit ihr zu sprechen, um sie von meiner Zärtlichkeit zu unterhalten; aber ich ging mit Helenen beiseite, welche mir sagte, Hedwig werde am folgenden Tag mit dem Pastor bei ihrer Mutter zu Abend speisen. »Hedwig«, fügte sie hinzu, »wird dableiben, und wir werden zusammen schlafen, wie es jedesmal geschieht, wenn sie mit ihrem Onkel bei uns speist. Es kommt also darauf an, ob Sie, um die Nacht bei uns zu sein, sich entschließen können, sich an einem Orte zu verbergen, welchen ich Ihnen morgen um elf Uhr zeigen werde.« Ich nahm alles an. Am folgenden Tage machte ich der Witwe einen Besuch, und als Helene mir das Geleit gab, zeigte sie mir zwischen beiden Treppen eine verschlossene Tür. »Um sieben Uhr«, sagte sie, »werden Sie diese offen finden, und wenn Sie eingetreten sind, müssen Sie zuriegeln.« Um sechs und drei Viertel Uhr war ich schon eingeriegelt und wartete. Endlich schlug es zehn Uhr, und eine halbe Stunde darauf hörte ich die Stimme des Pastors, der sprechend die Treppe hinunterging. Alte Erinnerungen schwirrten mir durch den Kopf. Seit meinen Abenteuern mit den Nichten von Madame Orio hatte ich mich wohl verändert, aber vernünftiger war ich nicht gerade geworden. Ich hatte nur dazu gelernt. Vor allem habe ich früh die Erfahrung gemacht, daß die Mädchen schwer zu verführen sind, weil es ihnen an Mut fehlt; sind sie dagegen mit einer Freundin zusammen, so ergeben sie sich ziemlich leicht; die Schwächen der einen führen den Fall der andern herbei. Die Väter und Mütter glauben das Gegenteil, aber sie haben unrecht. Gewöhnlich weigern sie sich, ihre Tochter einem jungen Manne anzuvertrauen, sei es für einen Ball, sei es für einen Spaziergang, aber sie geben nach, wenn das junge Mädchen von einer ihrer Freundinnen begleitet wird. Ich wiederhole, sie haben unrecht, denn wenn der junge Mann es richtig anzufangen weiß, ist ihre Tochter verloren. Falsche Scham hält beide ab, der Verführung unbedingten Widerstand entgegenzusetzen, und ist einmal der erste Schritt getan, so ist der Fall unausbleiblich und schnell. Wenn die Freundin sich die leichteste Gunstbezeigung rauben läßt, so wird sie, um nicht darüber erröten zu müssen, ihre Freundin treiben, eine größere zu bewilligen; und ist der Verführer geschickt, so wird die Unschuld, ohne es zu vermuten, zu weit gegangen sein, um zurücktreten zu können. Je unschuldiger übrigens eine junge Person ist, desto weniger kennt sie die Mittel und das Ziel der Verführung. Unbewußt zieht sie der Reiz des Vergnügens fort, die Neugier kommt ins Spiel und die Gelegenheit tut das übrige. Es ist zum Beispiel möglich, daß es mir ohne Helene gelungen wäre, die gelehrte Hedwig zu verführen; aber ich bin sicher, daß ich nie mit Helene ins reine gekommen sein würde, wenn ihre Cousine mir nicht Freiheiten bewilligt und sich gegen mich gestattet hätte, welche sie ohne Zweifel als dem Scham- und Schicklichkeitsgefühl eines jungen Mädchens widersprechend betrachtete. Da ich, ohne meine Liebestaten zu bereuen, dennoch nicht wünsche, daß mein Beispiel dazu beitrage, das schöne Geschlecht zu entsittlichen, welches in so vielen Beziehungen unsere Huldigungen verdient, so habe ich den Wunsch, daß meine Beobachtungen den Vätern und Müttern zugute kommen mögen und ich auf diesem Wege wenigstens ihre Achtung erwerbe. Bald nach der Entfernung des Pastors hörte ich dreimal leise an mein Versteck klopfen. Ich machte auf, und eine atlasweiche Hand faßte die meinige. Alle meine Sinne bebten. Es war Helenens Hand; sie hatte mich elektrisiert, und dieser glückliche Augenblick belohnte mich schon für mein Warten. »Folgen Sie mir leise,« sagte sie halblaut, sobald sie die Tür wieder zugemacht; aber in meiner glücklichen Ungeduld drückte ich sie zärtlich in meine Arme und ließ sie die Wirkung fühlen, welche ihre bloße Gegenwart auf mich machte; ich überzeugte mich dabei von ihrer völligen Gelehrigkeit. »Seien Sie artig, mein Freund«, sagte sie, »und gehen Sie leise.« Ich folgte ihr tastend, und am Ende einer langen Galerie führte sie mich in ein Zimmer ohne Licht, welches sie hinter uns schloß; sodann öffnete sie ein erleuchtetes Zimmer, in welchem ich Hedwig beinahe entkleidet erblickte. Sie kam mir, sobald sie mich erblickte, mit offenen Armen entgegen, und indem sie mich feurig umarmte, bezeugte sie mir ihre lebhafte Dankbarkeit wegen der Geduld, mit welcher ich an einem so traurigen Orte ausgeharrt. »Göttliche Hedwig,« sagte ich, »wenn ich Sie nicht bis zum Wahnsinn liebte, würde ich nicht eine Viertelstunde in diesem abscheulichen Versteck geblieben sein; aber es steht in Ihrer Macht, ob ich jeden Tag, solange ich hier bleibe, vier Stunden dort zubringen soll. Aber verlieren wir keine Zeit, meine Freundinnen, seien wir glücklich.« »Legen Sie sich schlafen,« sagte Helene, »ich werde die Nacht auf dem Kanapee zubringen.« »Oh, daran denke nur nicht, Cousine; unser Los muß ganz das gleiche sein.« »Ja, göttliche Helene,« sagte ich, indem ich sie umarmte; »ich liebe Sie beide gleich, und alle derartigen Zeremonien können nur dazu dienen, uns eine kostbare Zeit zu rauben, während welcher ich Ihnen Beweise meiner Liebesglut geben könnte. Ahmen Sie mir nach. Inmitten Ihrer reizenden Schönheiten werde ich selig ruhen. Kommen Sie schnell an meine Seite und Sie werden sehen, ob ich Sie liebe, wie Sie es verdienen. Wenn wir hier sicher sind, werde ich Ihnen Gesellschaft leisten, bis Sie mich zum Gehen auffordern; aber ich bitte Sie, das Licht nicht auszulöschen.« Während ich mit der gelehrten Theologin noch über die Scham philosophierte, entkleidete ich mich nach und nach gänzlich. Hedwig, welche vielleicht fürchtete, daß sie durch längere Zurückhaltung verlieren könnte, ließ errötend den letzten Schleier der Scham sinken und zitierte dabei Clemens von Alexandrien, welcher sagt, die Scham liege nicht im Hemde. Ich rühmte laut ihre Schönheit, die Vollendung ihrer Formen, um Helene zu ermuntern, welche uns langsam nachahmte; aber der Vorwurf falscher Scham, welchen ihr die Cousine machte, wirkte mehr als alle meine Lobsprüche. So erschien endlich diese Venus im Naturzustand, in großer Verlegenheit wegen ihrer Hände, mit der einen Hand einen Teil ihrer verborgenen Schönheiten, mit der anderen einen Teil ihrer Brust bedeckend, und wie beschämt, daß sie nicht alles bedecken konnte. Ihre keusche Verlegenheit, dieser Kampf zwischen der ersterbenden Scham und der Wollust bezauberte mich. Hedwig war größer als Helene, ihre Haut war weißer und ihr Busen hatte den doppelten Umfang; aber Helene hatte mehr Leben, sanftere Form, und ihr Busen war nach dem Muster der medicäischen Venus: allmählich wurde sie durch das Beispiel ihrer Cousine dreister und wir bewunderten uns einige Augenblicke, sodann sprach die Natur, und sie sprach gebieterisch; wir hatten keinen anderen Wunsch, als ihr Genüge zu tun. Ich sagte ihnen, wie sehr es für mich Bedürfnis sei, während der Zeit, welche ich in Genf bleibe, mein Glück zu erneuern; aber sie antworteten seufzend, dies sei unmöglich. Vielleicht könnten wir uns in fünf bis sechs Tagen wieder ein solches Fest verschaffen; aber dies sei auch alles. »Laden Sie uns«, sagte Hedwig, »morgen zum Abendessen in Ihren Gasthof; vielleicht führt der Zufall die Gelegenheit zu süßen Diebstählen herbei.« Ich trat diesem Vorschlag bei. Die Nacht schien uns kurz, obwohl wir keine Minute verloren hatten, und als der Tag anbrach, mußten wir uns trennen. Ich entkam glücklich, ohne von jemandem gesehen zu werden. Nachdem ich bis Mittag geschlafen, stand ich auf und stattete dem Pastor einen Besuch ab, gegen welchen ich in dem Lobe seiner reizenden Nichte nicht geizte. Dies war das sicherste Mittel, ihn zu bewegen, am folgenden Tage in der ›Wage‹ zu speisen. »Wir sind in der Stadt«, sagte ich, »und können also bleiben, so lange wir wollen; aber suchen Sie die liebenswürdige Witwe und ihre reizende Tochter mitzubringen.« Er versprach es. Ich sorgte dafür, daß die feinsten Weine den Hauptteil des Abendessens ausmachten. Der Parost und seine Freundin tranken tüchtig, und ich schmeichelte ihrem Geschmack soviel wie möglich. Als sie so weit gekommen waren, wie ich wollte, und sie etwas im Kopfe hatten und ganz mit ihren alten Erinnerungen beschäftigt waren, gab ich den beiden Schönen einen Wink, welche sich unauffällig in ein anderes Zimmer begaben. Dann machte ich Punsch, und nachdem ich den beiden Alten davon vorgesetzt, sagte ich, ich wolle auch den Damen welchen bringen, die drüben die Kupferstiche betrachteten. Ich verlor keinen Augenblick, ging flugs zu den beiden Schönen hinaus, und wir verrichteten Wunder. Hedwig philosophierte über das Vergnügen und sagte, sie würde es nie kennen gelernt haben, wenn ich nicht zufällig die Bekanntschaft ihres Onkels gemacht hätte. Wir trennten uns um zwei Uhr morgens. Drei oder vier Tage darauf meldete mir Helene in zwei Worten, daß Hedwig an diesem Tage bei ihr schlafe und daß sie die Tür zur selben Zeit offen lassen werde. Ich war pünktlich, und als es zehn Uhr schlug, kamen sie und wir überließen uns dem Glück. Ich hatte noch zwei Tage Zeit. Unter solchen Umständen war die Nacht, welche ich mit den beiden reizenden Mädchen zu verleben hatte, mein letztes Geschäft. Mein Unterricht war auf fruchtbaren Boden gefallen, und meine Schülerinnen waren in der Kunst, das Glück zu genießen und mitzuteilen, Meisterinnen geworden. Am nächsten Abend besuchte ich den Syndikus und seine jungen Freundinnen. Ich fand hier Helene, welche so tat, als betrübe meine Abreise sie nicht mehr als die andern; und um ihr Spiel desto besser zu verbergen, gestattete sie dem Syndikus, sie ebensowohl wie die anderen zu küssen. Ich ahmte ihre List nach und bat sie, ihrer gelehrten Cousine in meinem Namen Lebewohl zu sagen, da ich nicht persönlich Abschied nehmen könne. Ich reiste am frühen Morgen ab und langte am Abend des folgenden Tages in Lyon an.


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