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Lukrezia

Diese Liebe, meine erste, gab mir fast gar keine Belehrung für die Welt, denn sie war vollkommen glücklich und wurde durch keine Störung unterbrochen, durch kein Interesse befleckt. Aber mein Glück sollte bald einen großen Umschwung erleiden. Nach einiger Zeit starb meine Großmutter. Daraufhin erhielt ich einen Brief meiner Mutter aus Warschau, wo sie gerade am Theater auftrat. Sie teilte mir mit, daß sie das Haus in Venedig aufgeben müsse, unser Vormund werde für mich und meine Geschwister eine gute Pension besorgen. Was mich beträfe, so habe sie hier einen Kalabreser Mönch kennen gelernt, der durch ihre Bitten bei der Königin von Polen, welche eine Schwester der Königin von Neapel, Bischof geworden sei von Martorano in Kalabrien. In einem halbe Jahre etwa käme der Bischof nach Venedig, von wo er mich mitnähme, um mich auf die geistliche Bahn zu führen. Beigeschlossen war diesem ein salbungsvoller Brief des Bischofs. Also: leb wohl, Venedig! Die Zeit der Eitelkeit ist vorüber, und nur das Große und Gediegene soll mein künftig Lebensziel sein. Da die Wohnung aufgegeben werden sollte, so begann ich einzelne Möbelstücke zu verkaufen, um mir Geld zu verschaffen. Das brachte mir bald in böse Konflikte mit dem Vormund, dem Herrn Grimani, welche damit endeten, daß ich in ein Priesterseminar gesteckt, und da man mich dort wegen eines Streiches auf dem Schlafsaal, der unter jungen Leuten allgemein ist, nicht behalten wollte, die Zeit bis zur Ankunft des Bischofs auf dem Sankt Andreasfort interniert wurde. Dort erfuhr ich zum erstenmal, daß unter den Rosen auch die Schlangen verborgen liegen. Eine Griechin war's, die Frau eines Fähnrichs. Sie behauptete, ihr Mann werde deshalb nicht Leutnant, weil sie sich dem Kapitän nicht hingebe. Mich bat sie, eine Beschwerdeschrift aufzusetzen, und fügte zu meinem Erstaunen gleich hinzu, da sie arm, so wolle sie mich mit ihrem Herzen belohnen. Ich nahm dies an, aber ich hatte nachher eine sechswöchige Kur durchzumachen. Als ich wieder frei wurde und der Bischof endlich ankam, gab es eine neue Enttäuschung. Der Bischof konnte mich nicht sofort mitnehmen, ich sollte erst einige Zeit später über Ankona, Rom, Neapel ihm nachgereist kommen, für welche Reise ich in Ankona das Geld vorfinden würde. Diese Reise wurde zu einer rechten Abenteurerfahrt, die ich zuletzt in Begleitung eines Bettelmönches machte, der stets die Kutte mit den delikatesten Sachen vollgepfropft hatte, die er sich allenthalben zusammenbettelte, so daß er auf die bequemste und faulste Art leben konnte. Der Schluß dieser Reise gelang mir überhaupt nur durch ein Taschenspielerstück, das ich mir mit einem Weinhändler leistete, indem ich ihm ein Geheimnis verkaufte, seinen Muskat zu vermehren. Der Betrug ist ein Laster, aber die anständige List kann als Klugheit gelten. So kam ich zu meinem Bischof, um ihn in einem ganz armseligen Zustand zu finden. Weder Gesellschaft noch eine Bibliothek war in Martorano. Was sollte ich hier tun? Am nächsten Tag bat ich schon den Bischof um seinen Segen, forderte ihn auf, mit mir zu gehn, denn überall könnten wir unser Glück machen. Er lachte wohl darüber, aber er ließ mich allein reisen und adressierte mich an einen Bürger in Neapel, der mir sechzig Dukaten di rigno auszahlen sollte. In Neapel kam ich in die beste Gesellschaft und genoß dort das Leben, nicht zum wenigsten auf Kosten eines Herrn, den ich in der Gesellschaft kennen lernte und der sich als ein Abkömmling eines anderen Zweigs der Casanova entpuppte und sich außerordentlich freute, in mir einen Verwandten begrüßen zu können. Mit schwerem Herzen trennte ich mich von Neapel, um nach Rom zu reisen. Ich war so beschäftigt, meine Tränen zu trocknen, daß ich erst, als wir die Stadt verließen, meine Reisegefährten im Postwagen musterte. Zunächst sah ich an meiner Seite einen Mann von vierzig bis fünfzig Jahren, von angenehmem Äußern und geweckter Miene; aber mir gegenüber fesselten zwei reizende Gestalten meine Blicke, zwei junge und hübsche Damen, sehr gut gekleidet und von offenem und anständigem Aussehen. Diese Entdeckung war mir sehr angenehm; aber mein Herz war schwer und Schweigen notwendig für mich. Wir langten in Aversa an, ohne daß von irgendeiner Seite ein Wort gesprochen worden wäre, und da uns der Fuhrmann sagte, er wolle nur seine Maultiere füttern, so stiegen wir nicht aus. Von Aversa bis Capua plauderten meine Gefährten fast ununterbrochen, und unglaublich genug, ich öffnete fast nicht ein einziges Mal den Mund. Ich freute mich über die neapolitanische Mundart meines Reisegefährten und die hübsche Sprache der beiden Damen, welche Römerinnen waren. Von meiner Seite war es eine wahre Kraftanstrengung, zwei reizenden Frauen fünf Stunden lang gegenüber zu sitzen, ohne ein einziges Mal das Wort oder das geringste Kompliment an sie zu richten. In Capua angelangt, stiegen wir in einem Gasthause ab, wo man uns ein Zimmer mit zwei Betten gab, in Italien etwas sehr Gewöhnliches. Hier redete mich der Neapolitaner an: »Ich werde also die Ehre haben, bei dem Herrn Abbé zu schlafen.« Ich antwortete mit sehr ernster Miene, das es ihm freistehe zu wählen und auch andre Anordnungen zu treffen. Diese Antwort brachte die eine Dame zum Lachen, gerade die, welche mir am besten gefiel, und ich hielt dies für eine gute Vorbedeutung. In den gleichgültigen Gesprächen, welche beim Abendessen geführt wurden, fand ich Anstand, Geist und feine Sitte. Das machte mich neugierig. Nach dem Abendessen begab ich mich hinunter und fragte unsern Fuhrmann, wer die Reisenden wären. Der Herr, sagte er, ist Advokat, und die eine der beiden Damen ist seine Gemahlin, aber ich weiß nicht welche. Als ich wieder zurückgekehrt war, hatte ich die Höflichkeit, mich zuerst zu Bett zu legen, um den Damen die Freiheit zu lassen, sich bequem auskleiden zu können, und am Morgen stand ich zuerst auf, ging weg und kam erst wieder, als ich zum Frühstück gerufen wurde. Wir hatten ausgezeichneten Kaffee, welchen ich sehr rühmte, und die hübscheste versprach mir ebensolchen für die ganze Reise. Nach dem Frühstück kam ein Barbier, und der Advokat ließ sich rasieren; der Schalk bot auch mir seine Dienste an, ich aber sagte ihm, daß ich seiner nicht bedürfe, worauf er sich mit der Bemerkung entfernte, daß der Bart eine Unreinlichkeit sei. Als wir im Wagen saßen, äußerte der Advokat, fast alle Barbiere wären frech. »Es fragt sich,« sagte die Schöne, »ob der Bart eine Unreinlichkeit sei oder nicht.« »Ja,« sagte der Advokat, »denn er ist ein Exkrement.« »Das ist möglich,« versetzte ich, »aber man betrachtet ihn nicht als solches. Nennt man die Haare welche man so sehr pflegt und welche derselben Art sind, wohl ein Exkrement? Im Gegenteil, man bewundert ihre Schönheit und Länge.« »Also«, sagte die Zwischenrednerin, »ist der Barbier ein einfältiger Mensch.« »Aber«, fragte ich, »habe ich denn einen Bart?« »Ich glaubte es,« erwiderte sie. »In diesem Falle werde ich mich in Rom rasieren lassen, denn es ist das erstemal, daß mir dieser Vorwurf gemacht wird.« »Nein, liebe Frau,« sagte der Advokat, »du hättest schweigen sollen, denn es ist möglich, daß der Herr nach Rom geht, um Kapuziner zu werden.« Dieser Einfall brachte mich zum Lachen; da ich ihm aber nicht die Antwort schuldig bleiben wollte, so sagte ich, er habe recht, aber die Lust sei mir vergangen, seitdem ich Madame gesehen. »Sie haben unrecht,« entgegnete der muntere Neapolitaner, »denn meine Frau liebt sehr die Kapuziner, und wenn Sie ihr gefallen wollen, brauchen Sie Ihren Beruf nicht zu ändern.« Da diese spaßhaften Plaudereien zu vielen andern Anlaß gaben, so verging uns der Tag auf eine angenehme Weise, und am Abend entschädigte uns eine mannigfaltige und geistreiche Unterhaltung für das schlechte Abendessen, welches man uns in Garillano vorsetzte. Meine entstehende Neigung wuchs durch die zuvorkommenden Manieren derer, die sie hervorgerufen hatten. Am folgenden Tage fragte mich die liebenswürdige Dame, sobald wir den Wagen bestiegen hatten, ob ich mich vor der Rückkehr einige Zeit in Rom aufzuhalten gedächte. Ich antwortete ihr, daß ich mich zu langweilen fürchtete, da ich niemand kenne. »Man liebt in Rom die Fremden, und ich bin sicher, daß Sie sich daselbst gefallen werden.« »Ich darf also hoffen, Madame, daß Sie mir erlauben werden, Ihnen die Cour zu machen.« »Sie würden uns eine Ehre erweisen,« sagte der Advokat. Meine Augen waren auf seine reizende Frau gerichtet, und ich sah sie erröten, tat aber so, als ob ich es nicht merkte. Unter fortwährendem Geplauder verging uns dieser Tag auf eine ebenso angenehme Weise wie der vorige. Wir übernachteten in Terracina, wo man uns ein Zimmer mit drei Betten gab, zwei engen und einem breiteren in der Mitte. Es war natürlich, daß die beiden Schwestern zusammenschliefen und sich in das große Bett legten, während der Advokat und ich ihnen den Rücken zudrehten und weiter plauderten. Sobald die Damen sich zu Bette gelegt hatten, begab sich auch der Advokat in sein Bett, auf welchem er seine Nachtmütze liegen sah, und ich mich in das andere, welches nur einen Fuß breit von dem großen Bette entfernt war. Ich sah, daß der Gegenstand, der mich schon fesselte, auf meiner Seite lag, und ich glaubte mir ohne Eitelkeit einbilden zu können, daß der Zufall allein dies nicht so gefügt hätte. Ich löschte das Licht aus und legte mich nieder, in meinem Kopfe einen Plan herumwälzend, welchen ich weder zu befolgen noch zu verwerfen wagte. Vergeblich rief ich den Schlaf herbei. Ein sehr schwacher Lichtschimmer, welcher mir das Bett, in welchem das reizende Weib lag, zu sehen erlaubte, zwang mich, die Augen offen zu halten. Wer weiß, wozu ich mich entschlossen haben würde, denn ich kämpfte seit einer Stunde, als ich sie aufrichten, sachte aus ihrem Bette schlüpfen, um dieses herumgehen, und sich in das Bett ihres Mannes legen sah, der ohne Zweifel ruhig weiterschlief, denn ich hörte keinen Lärm mehr. Von Ärger und Ekel erfüllt, rief ich den Schlaf mit allen Kräften herbei und wachte erst am Morgen auf. Da ich die schöne Nachtwandlerin in ihrem Bette sah, stand ich auf, und nachdem ich mich schnell angekleidet, ging ich hinaus, während die andern alle noch in tiefem Schlafe lagen. Erst im Augenblicke der Abreise und als der Advokat und die Damen schon im Wagen saßen, kehrte ich ins Gasthaus zurück. Meine schöne Dame beklagte sich mit sanfter und zuvorkommender Miene, daß ich ihren Kaffee nicht getrunken, ich entschuldigte mich damit, daß ich das Bedürfnis, spazieren zu gehen, gefühlt, und hütete mich, sie mit einem einzigen Blicke zu beehren; und unter dem Scheine, Zahnschmerzen zu haben, überließ ich mich meiner üblen Laune und dem Schweigen. Als wir in Piperno ankamen, fand sie Gelegenheit, mir zu sagen, daß meine Zahnschmerzen bestellt wären, und dieser Vorwurf war mir angenehm, denn er ließ mich eine Erklärung ahnen, die zu wünschen ich mich trotz meiner Verstimmung nicht enthalten konnte. Am Nachmittage war ich wie am Morgen düster und schweigend bis Sermoneta, wo wir schlafen sollten. Wir kamen frühzeitig an, und da der Tag schön war, so sagte Madame, sie würde gern noch eine Promenade machen, und bat mich um meinen Arm. Ich gab ihr den Arm um so eher, als die Höflichkeit mir nicht gestattete, ihn zu verweigern. Ich war in übler Stimmung, nur eine Erklärung konnte den früheren Zustand wieder herbeiführen, aber ich wußte nicht, wie ich dazu gelangen sollte. Ihr Mann folgte uns mit ihrer Schwester, aber in ziemlicher Entfernung. Sobald wir von diesen ziemlich entfernt waren, faßte ich mir den Mut, sie zu fragen, weshalb sie meine Zahnschmerzen für bestellt gehalten hätte. »Ich bin offen,« sagte sie, »wegen des zu deutlichen Unterschiedes im Benehmen, und weil Sie sich ersichtliche Mühe gegeben, mich im Laufe des Tages nicht einmal anzusehen. Da die Zahnschmerzen Sie nicht hindern konnten, höflich zu sein, habe ich Sie für affektiert halten müssen. Übrigens weiß ich nicht, wer von uns Ihnen Ursache gegeben, so plötzlich Ihre Laune zu ändern.« »Dennoch muß eine Veranlassung dazu vorhanden sein, und Sie, Madame, sind nur halb aufrichtig.« »Sie täuschen sich, mein Herr, ich bin es ganz, und wenn ich Ihnen einen Grund gegeben, so kenne ich ihn nicht oder darf ihn nicht kennen. Haben Sie die Güte, mir zu sagen, worin ich mich gegen Sie vergangen habe?« »In nichts, denn ich habe kein Recht, Ansprüche zu machen.« »Allerdings haben Sie Rechte, dieselben wie ich, mit einem Worte diejenigen, welche die gute Gesellschaft allen ihren Mitgliedern zugesteht. Sprechen Sie und seien Sie offen.« »Sie dürfen den Grund nicht kennen oder müssen vielmehr so tun, als ob sie ihn nicht kennen, das ist richtig, aber Sie werden auch zugeben, daß meine Pflicht mir verbietet, Ihnen den rechten zu nennen.« »Nun wohl. Jetzt ist alles gesagt; wenn aber Ihre Pflicht Sie nötigt, mir den Grund Ihrer veränderten Laune nicht zu sagen, so fordert sie ebenso gebieterisch, daß Sie nichts davon sehen lassen. Das Zartgefühl verpflichtet zuweilen den höflichen Mann, gewisse Gefühle, welche kompromittieren können, zu verbergen. Es ist ein Zwang, den sich der Geist auferlegen muß, aber er hat seinen Wert, da er dazu beiträgt, denjenigen, welcher sich ihn auferlegt, liebenswürdiger zu machen.« Ein mit solcher Stärke vorgebrachtes Räsonnement ließ mich vor Scham erröten, und ich drückte meine Lippen auf ihre schöne Hand, indem ich mein Anrecht eingestand. »Sie würden mich«, sagte ich, »es zu Ihren Füßen abbüßen sehen, wenn ich es könnte, ohne Sie bloßzustellen.« »Sprechen wir also nicht mehr davon,« sagte sie; und gerührt von meiner raschen Reue betrachtete sie mich mit einer Miene, in welcher die Verzeihung so deutlich zu lesen war, daß ich meine Schuld nicht zu vergrößern glaubte, als ich meine Lippen von ihrer Hand wegnahm, um sie aus ihren halbgeöffneten und lachenden Mund zu drücken. Trunken von Glück ging ich von Traurigkeit zur Freude über, und dieser Übergang war so schnell, daß der Advokat während des Abendessens hundert Späße über meine Zahnschmerzen und den Spaziergang, der mich geheilt, machte. Am folgenden Tage speisten wir in Velletri und schliefen in Marino, wo wir zwei kleine Zimmer und ein sehr gutes Abendessen fanden. Ich war mit meiner liebenswürdigen Römerin so gut daran, wie ich nur wünschen konnte, obwohl ich nur ein flüchtiges, aber so wahres, so zärtliches Unterpfand empfangen. Im Wagen sagten sich unsere Augen nicht viel; da wir uns aber gegenübersaßen, so wurde die Unterhaltung der Füße mit großer Beredsamkeit zwischen uns geführt. Der Advokat hatte mir gesagt, daß er sich wegen einer geistlichen Sache nach Rom begäbe und daß er bei seiner Schwiegermutter wohnen würde, welche seine Frau zu sehen wünschte, da sie diese seit den zwei Jahren, wo sie verheiratet wären, nie gesehen hätte, und daß ihre Schwester dort zu bleiben hoffte, da sie einen Beamten an der Bank des heiligen Geistes heirate. Da ich ihre Adresse hatte und zum Besuche bei ihnen eingeladen wurde, so versprach ich, ihnen die Zeit, welche mir meine Geschäfte übrig lassen würden, zu widmen. Wir waren beim Dessert, als meine Schöne, welche meine Dose bewunderte, zu ihrem Manne sagte, daß sie wohl eine ähnliche wünschte. »Ich werde sie dir kaufen, meine Teure.« »Kaufen Sie diese, sagte ich, ich gebe sie Ihnen für zwanzig Unzen und Sie werden sie an den Überbringer einer Anweisung, die Sie mir ausstellen, zahlen. Ich bin,« fügte ich hinzu, »diese Summe einem Engländer schuldig, und es würde mir lieb sein, wenn ich gegen ihn quitt werden könnte.« »Ihre Dose, Herr Abbé, ist zwanzig Unzen wert; aber ich werde sie Ihnen nur unter der Bedingung abkaufen, daß ich sie Ihnen auf der Stelle ausbezahlen darf; es würde mir lieb sein, sie in den Händen meiner Frau zu sehen, welche dadurch an Sie erinnert werden würde.« Da seine Frau sah, daß ich diesen Vorschlag nicht annahm, sagte sie, ihr würde es nicht dar auf ankommen, mir die gewünschte Anweisung zu geben. »Aber«, fiel der Advokat ein, »siehst Du denn nicht, daß der Engländer nur in der Phantasie existiert. Er würde nie zum Vorschein kommen, und wir würden die Dose umsonst erhalten. Mißtraue, meine Teure, diesem Abbé, er ist ein großer Betrüger.« »Ich glaubte nicht,« sagte seine Frau, mich ansehend, »daß Betrüger so aussehen,« und ich nahm eine traurige Miene an und sagte, ich wünschte wohl, reich genug zu sein, um oft solche Betrügereien zu begehen. Wenn man verliebt ist, so genügt ein Nichts, um in Verzweiflung oder in das größte Entzücken zu versetzen. In dem Zimmer, in welchem wir zu Abend speisten, stand das eine Bett und ein zweites in einem anliegenden Alkoven ohne Tür. Die Damen wählten natürlicherweise das Kabinett, und der Advokat legte sich vor mir in das Bett, in welchem wir gemeinschaftlich schlafen sollten. Ich wünschte den Damen, sobald sie sich schlafen gelegt, eine gute Nacht; ich sah meinen Abgott und legte mich mit der Absicht nieder, die ganze Nacht zu schlafen. Aber man denke sich meinen Zorn, als ich beim Schlafengehen ein Knarren der Bretter hörte, welches einen Toten hätte erwecken können. Ich rühre mich nicht, bis mein Bettgefährte fest eingeschlafen, und sobald ein gewisses Geräusch mir anzeigt, daß er ganz unter dem Einflüsse des Morpheus steht, suche ich aus dem Bette zu entschlüpfen; aber der Lärm, welchen die geringste Bewegung macht, weckt meinen Gefährten, welcher seine Hand nach mir ausstreckt. Da er fühlt, daß ich da, schläft er wieder ein. Nach einer halben Stunde mache ich denselben Versuch, stoße aber auf dasselbe Hindernis und gebe nun den Plan ganz auf. Der Liebesgott ist der schelmischste Gott; die Widerwärtigkeiten scheinen das Element zu sein, in welchem er sich bewegt. Da aber seine Existenz von der Befriedigung derjenigen Wesen abhängt, welche ihm einen eifrigen Kultus widmen, so läßt der kleine klarsehende Blinde alles in dem Augenblicke gelingen, wo jede Hoffnung verschwunden scheint. Ich fing schon an einzuschlafen, weil ich jede Hoffnung aufgegeben hatte, als plötzlich ein gräßlicher Lärm ertönte. In der Straße fielen Flintenschüsse, durchdringendes Geschrei, man lief die Treppen herauf und hinunter, und endlich klopfte man mit heftigen Schlägen an unsre Tür. Der Advokat fragt mich erschrocken, was das sein möchte; ich spiele den Gleichgültigen und sage, da ich es nicht wissen könnte, möchte er mich schlafen lassen. Aber die erschreckten Damen baten uns, Licht zu verschaffen. Ich tue gerade nicht sehr eilig; der Advokat steht auf, um Licht zu holen; ich stehe nach ihm auf, und indem ich die Tür wieder zumachen will, schlage ich sie ein wenig zu stark zu, so daß der Drücker einspringt und ich sie nicht mehr öffnen kann, ohne den Schlüssel zu haben. Ich nähere mich den Damen, um sie zu beruhigen; ich sage, daß der Advokat bald wiederkommen würde und daß wir dann die Ursache dieses Tumults erfahren würden; aber zugleich verliere ich nicht die kostbare Zeit, sondern mache um so mehr alle nur möglichen Einleitungen, als ich durch die Schwäche des Widerstandes aufgemuntert werde. Trotz meiner Vorsicht bricht das Bett zusammen, und nun liegen wir alle drei durcheinander. Der Advokat kommt zurück und klopft; die Schwester steht auf; auf Bitten meiner liebenswürdigen Freundin tappe ich zur Tür und sage dem Advokaten, daß wir ihn ohne Schlüssel nicht einlassen könnten. Die beiden Schwestern standen hinter mir; ich strecke die Hand aus; da ich aber heftig zurückgestoßen werde, so schließe ich daraus, daß es die Schwester ist, und ich wende mich mit mehr Erfolg an die andre Seite. Als hierauf der Mann zurückgekehrt war und das Geräusch eines Schlüssels uns benachrichtigt hatte, daß die Tür sich sogleich öffnen würde eilten wir in unsere Betten. Sobald die Tür geöffnet, eilt der Advokat an das Bett der beiden erschreckten Frauen, um sie zu beruhigen, aber er bricht in lautes Lachen aus, als er sie in dem zusammengestürzten Bette begraben sieht. Er ruft mich, um sie mir zu zeigen, aber ich bin zu bescheiden, um darauf einzugehn. Hierauf erzählte er mir, daß der Lärm davon herrühre, daß eine deutsche Abteilung die spanischen Truppen überfallen, welche tiraillierend abzögen. Eine Viertelstunde später hörte man nichts mehr, und die vollkommenste Ruhe trat wieder ein. Nachdem er mir über meine unverwüstliche Ruhe ein Kompliment gemacht, legte er sich wieder nieder und schlief bald ein. Ich aber schloß kein Auge mehr, und als ich den Tag anbrechen sah, stand ich auf. Zum Frühstück kehrte ich zurück, und während wir den köstlichen Kaffee tranken, er schien mir besser zu sein als gewöhnlich, bemerkte ich, daß ihre Schwester mir schmollte. Was wollte aber der Eindruck ihrer üblen Laune gegen das Entzücken besagen, welches die fröhliche Miene und die zufriedenen Augen meiner Lucrezia durch alle meine Sinne rollen ließen! In Rom langten wir sehr früh an. In la Torre waren wir zum Frühstuck geblieben, und da der Advokat gut gelaunt war, so versetzte ich mich in dieselbe Stimmung, und unter vielen verbindlichen Reden prophezeite ich ihm die Geburt eines Sohnes, indem ich durch eine komische Wendung seine Frau dazu brachte, ihm einen solchen zu versprechen. Ich vergaß die Schwester meiner angebeteten Lucrezia nicht, und um sie gegen mich umzustimmen, sagte ich ihr so viele Artigkeiten und zeigte ihr ein so freundschaftliches Interesse, daß sie sich gezwungen sah, mir den Zusammensturz des Bettes zu verzeihen. Als wir uns verließen, versprach ich ihnen einen Besuch für den folgenden Tag bei Donna Cäcilia, der Mutter meiner Schönen. Kaum hatte ich mich in Rom umgesehen, als ich mich ganz römisch kleidete, ließ mich rasieren und überraschte so die Damen und den Advokaten. Ich suchte einen möglichst günstigen Eindruck auf Donna Cäcilia zu machen, und erreichte es auch, daß mir beim Weggehen der Advokat mitteilte, seine Schwiegermutter wünsche, daß ich Hausfreund bei ihnen würde. In Rom gewann ich mir bald die besten Beziehungen im hohen Klerus, und besonders leutselig nahm sich der Kardinal Acquariva meiner an. In dem Pater Georgi fand ich einen ausgezeichneten Mentor, der mir die sichersten Wege wies, mich durch die Intrigen und Gefahren des römischen Hofes durchzufinden. Überrascht war ich, als er von meinem Besuche bei Donna Cäcilia ganz genau unterrichtet war und mich belehrte, daß ich dies Haus nicht zu häufig besuchen dürfe. Da ich seufzte setzte er hinzu: »Bedenken Sie, daß die Vernunft keinen größeren Feind hat als das Herz.« Ich war fast zu Tode getroffen, denn ich liebte Lucrezia. An einem der nächsten Tage ging ich abends zu ihr. Man wußte alles und wünsche mir Glück. Sie sagte mir, ich schiene traurig, und ich antwortete ihr, ich feierte das Begräbnis meiner Zeit, deren Herr ich nicht mehr wäre. Ihr immer spaßhafter Mann sagte, ich wäre verliebt in sie, und seine Schwiegermutter riet ihm, nicht so sehr den Unerschrockenen zu spielen. Nachdem ich eine einzige Stunde im Kreise dieser liebenswürdigen Familie zugebracht, entfernte ich mich, die Luft mit der mich verzehrenden Glut entflammend. Als ich nach Hause gekommen war, beschäftigte ich mich mit Schreiben, und in der Nacht dichtete ich eine Ode, welche ich am folgenden Morgen an den Advokaten schickte, da ich sicher sein konnte, daß er sie seiner Frau geben würde, weil diese die Poesie sehr liebte und nicht wußte, daß dies meine Leidenschaft. Am Morgen sah ich den ehrlichen Advokaten in mein Zimmer treten, welcher mir sagte, ich würde mich täuschen, wenn ich ihm durch das Einstellen meiner Besuche zu beweisen glaubte, ich wäre nicht in seine Frau verliebt, und er lud mich für den folgenden Tag zum Frühstück mit der ganzen Familie in Testaccio ein. »Meine Frau«, fügte er hinzu, »weiß Ihre Ode auswendig; sie hat sie dem Bräutigam Angelicas hergesagt, welcher vor Sehnsucht stirbt, Sie kennen zu lernen.« Ich versprach ihm, am bezeichneten Tage mit einem zweisitzigen Wagen zu kommen. Wohl kam ich beim Heimweg von diesem Ausflug mit meiner angebeteten Lucrezia allein in einem Wagen zu sitzen, aber da wir nur eine halbe Stunde zu fahren hatten, so konnte sich unsere Zärtlichkeit kaum ergehen, als wir schon zu Hause waren. Um nun dieses Glück ganz auskosten zu können, lud ich die Gesellschaft zu einem Ausflug ein, den ich bestreiten wollte, und zwar nach Fraskati. Wir verabredeten einen nahen Tag, und um sieben Uhr fand ich mich bei Donna Cäcilia ein. Mein Phaeton und mein zweisitziger Wagen, ein so weicher und in so guten Federn hängender Visavis, daß Donna Cäcilia ihn lobte, standen vor der Tür. »An mich«, sagte Donna Lucretia, »kommt die Reihe bei der Rückfahrt nach Rom.« Ich machte ihr eine Verbeugung, wie um sie beim Worte zu halten. So forderte sie den Argwohn heraus, um ihn zu zerstreuen. Da ich sicher war, glücklich zu werden, überließ ich mich meiner ganzen natürlichen Heiterkeit. Nachdem ich ein gewähltes Mittagessen bestellt, begaben wir uns nach der Villa Ludovisi, und da es möglich war, daß wir uns verirren konnten, gaben wir uns ein Stelldichein um ein Uhr im Gasthofe. Die rücksichtsvolle Witwe nahm den Arm ihres Schwiegersohns, Angelica den ihres Zukünftigen, und Lucrezia wurde mein köstlicher Anteil. Ursula, die kleine Schwester und ihr Bruder jagten sich, und in weniger als einer Viertelstunde war ich allein mit meiner Schönen. »Hast Du gehört,« sagte sie, »mit welcher Unbefangenheit ich mir zwei Stunden eines süßen vis-à-vis mit dir gesichert habe?« »Ja, meine angebetete Freundin, die Liebe hat unsere Geister zu einem einzigen verschmolzen. Ich bete dich an und ich lebe so viele lange Tage, ohne dich zu sehen, nur um mich des Genusses eines einzigen desto besser zu versichern.« »Ich hielt es nicht für möglich: du, mein Freund, hast alles gemacht; du bist so klug für dein Alter!« »Vor einem Monat, meine Freundin, war ich nur ein unwissender Mensch, und du bist die erste Frau, welche mich in die wahren Geheimnisse der Liebe eingeweiht hat. Deine Abreise, Lucrezia, wird mich unglücklich machen, denn Italien kann nicht noch eine Frau besitzen, welche dir gleicht.« »Wie! Ich bin deine erste Liebe! Ach, Unglücklicher, dann wirst du nie davon geheilt werden. Warum gehöre ich nicht dir an! Auch du bist die erste Liebe meines Herzens und wirst gewiß die letzte sein. Glücklich die, welche du nach mir lieben wirst! Ich werde nicht eifersüchtig auf sie sein, aber es wird mich schmerzen, wenn ich erfahre, daß sie nicht ein Herz hat wie ich.« Als Lucrezia meine Augen feucht von Tränen sah, ließ sie auch den ihrigen freien Lauf; und nachdem wir uns auf den Rasen gesetzt, saugten unsere Lippen den Nektar der süßesten Küsse. Wie süß sind die Tränen der Liebe, welche unter den Ergüssen gegenseitiger Zärtlichkeit fließen! Ich habe die ganze Süße dieser köstlichen Tränen gekostet. Als ich in einem Augenblick der Ruhe ihre reizende Unordnung betrachtete, sagte ich, wir könnten überrascht werden. »Fürchte das nicht, uns beschützen unsere Genien,« antwortete sie, und nach einer Weile, während der wir still beieinander ruhten: »Sieh, mein Herz, habe ich es dir nicht gesagt? Ja, unsere Genien behüten uns! Ach, wie er uns betrachtet! Sein Blick sucht uns zu beruhigen. Sieh diesen kleinen Dämon. Nichts geheimnisvolleres lebt in der Natur. Bewundere ihn. Gewiß ist dein Genius oder der meinige.« Ich hielt sie für wahnsinnig. »Was sagst du, mein Herz? Ich begreife dich nicht, was soll ich bewundern?« »Du siehst nicht die schöne Schlange mit gestreifter Haut, welche uns mit erhobenem Haupt anzublicken scheint?« Ich folge ihrem Finger und sehe eine Schlange mit wechselnden Farben wohl eine Elle lang, und wirklich: sie betrachtet uns. Dieser Anblick machte mir kein Vergnügen, aber ich wollte mich nicht weniger unerschrocken als sie zeigen. »Wie kann«, sagte ich, »die Schlange dich nicht erschrecken?« »Ihr Anblick entzückt mich, und ich bin überzeugt, daß sie eine Gottheit ist, welche nur die Form oder vielmehr nur den Schein einer Schlange hat.« »Und wenn sie auf dem Rasen hingleitend und zischend auf dich loskäme?« »Ich würde dich fester an meinen Busen pressen und sie herausfordern, mir etwas zuleide zu tun. Lucrezia ist in deinen Armen für keine Furcht empfänglich. Siehe, sie entfernt sich. Schnell, schnell! durch ihre Flucht verkündet sie uns die Ankunft eines Ungeweihten und sagt uns, daß wir einen andern Zufluchtsort suchen sollen, um unsre Freuden zu erneuern.« Kaum sind wir aufgestanden und schreiten langsam vorwärts, als wir aus einer nahen Allee Donna Cäcilia mit dem Advokaten kommen sehen. Wir weichen ihnen nicht aus und beeilen uns auch nicht, als ob es sehr natürlich wäre, daß wir ihnen begegneten, und ich frage Donna Cäcilia, ob ihre Tochter die Schlangen fürchte.« »Trotz ihres Geistes«, antwortet diese, »fürchtet sie den Donner so sehr, daß sie ohnmächtig wird, und beim Anblick der kleinsten Schlange schreit sie laut aus. Es gibt deren hier, aber sie sind nicht giftig.« Vor Verwunderung sträubten sich mir die Haare auf dem Kopfe, denn ich war Zeuge eines wahren Wunders der Liebe gewesen. In diesem Augenblicke kamen auch die Kinder, und ohne Umstände trennten wir uns wieder von ihnen. »Sage mir, erstaunliches Wesen, entzückendes Weib, was würdest du gemacht haben, wenn statt der Schlange dein Mann und deine Mutter erschienen wären?« »Nichts. Weißt du nicht, daß in solchen feierlichen Augenblicken Liebende nur der Liebe angehören? Solltest du bezweifeln, daß du mich ganz besessen?« Indem Lucrezia so sprach, dichtete sie nicht eine Ode: keine Dichtung, die Wahrheit lag sowohl in ihrem Blicke, wie im Tone ihrer Stimme! »Glaubst du,« sagte ich, »daß niemand uns in Verdacht hat?« »Mein Mann hält uns entweder nicht für verliebt oder legt keinen Wert auf gewisse Kleinigkeiten, welche die Jugend sich gewöhnlich gestattet. Meine Mutter hat Geist und denkt sich vielleicht die Wahrheit; aber sie weiß, daß diese Sachen sie nichts mehr angehen. Meine Schwester muß alles wissen, denn wie hätte sie wohl das zusammengebrochene Bett vergessen können; aber sie ist klug und hat sich überdies darauf gelegt, mich zu beklagen. Sie hat keine Idee von der Natur meiner Empfindungen für dich. Ohne dich, mein Freund, wurde ich wahrscheinlich das Leben durchwandert haben, ohne von diesem Gefühle eine genaue Vorstellung zu erhalten, denn was ich für meinen Mann empfinde ... ich habe für ihn die Gefälligkeit, welche mein Stand mir auferlegt.« »Er ist dennoch sehr glücklich, und ich beneide sein Glück! Er kann wenn er es wünscht, dein ganzes Wesen in seine Arme drücken; kein lästiger Schleier legt sich zwischen euch, um ihm einen Teil deiner Reize zu entziehen.« »Wo bist du, teure Schlange? Komm und schütze mich vor ungeweihten Blicken, und ich werde augenblicklich die Wünsche meines Angebeteten erfüllen.« Während des ganzen Morgens hörten wir nicht auf, uns zu sagen, daß wir uns liebten und uns wiederholte Beweise davon zu geben. Wir hatten ein feines Mittagessen, und während des ganzen Mittags überhäufte ich die liebenswürdige Cäcilia mit Aufmerksamkeiten. Meine niedliche Schildpattdose mit vortrefflichem Tabak gefüllt, wanderte oft um den Tisch herum. In einem Augenblicke, wo sie sich in den Händen Lucrezias befand, welche zu meiner Linken saß, sagte ihr Mann zu ihr, sie könnte meine Tabaksdose gegen ihren Ring eintauschen. Da ich glauben konnte, der Ring sei weniger wert als die Dose, so beeilte ich mich, ihr zu sagen, daß ich sie beim Worte fasse; der Ring war indes mehr wert. Donna Lucrezia wollte nicht Vernunft annehmen, sondern steckte die Dose in die Tasche, und ich mußte den Ring nehmen. Wir tranken den Kaffee, ich bezahlte den Wirt und wir verloren uns sodann in den Labyrinthen der Villa Aldobrandini. Wie viele süße Erinnerungen haben mir diese Orte hinterlassen! Mir schien es, als ob ich meine Lucrezia zum ersten Male sähe. Unsre Blicke waren flammend, unsre Herzen schlugen mit einem Schlage der zärtlichsten Sehnsucht und unser Instinkt leitete uns zu dem einsamsten Asyle, welches die Hand der Liebe geschaffen zu haben schien, um die Mysterien ihres Geheimkultes zu feiern. Hier erhob sich inmitten einer langen Allee und unter einem grünen Laubdache eine geräumige Rasenbank, welche an dichtes Gehölz gelehnt war; vor uns schweiften unsere Augen über eine unermeßliche Ebene und unsere Blicke übersahen die Allee zur Rechten und zur Linken in einer Ausdehnung, welche uns vor jeder Überraschung sicherte. Wir hatten nicht nötig miteinander zu sprechen; unsre Herzen verstanden sich. Ohne zu sprechen und einer vor dem andern stehend, entfernten wir mit geschickten Händen bald alle Hindernisse und gaben der Natur alle Reize zurück, welche die lästigen Hüllen ihr entziehen. Nach zwei Stunden wanderten wir langsamen Schrittes zu unserm Wagen zurück und erheiterten uns auf dem Wege durch die zärtlichsten Mitteilungen. Meine Lucrezia sagte mir, der Bräutigam ihrer Schwester sei reich und besitze ein schönes Haus in Tivoli; wahrscheinlich würde er uns daher einladen, eine Partie dahin zu machen und die Nacht daselbst zuzubringen. »Ich beschwöre die Liebe,« fügte sie hinzu, »mir ein Mittel an die Hand zu geben, daß wir diese Nacht ebenso ungestört wie den heutigen glücklichen Tag verleben können.« Hierauf einen traurigen Ton annehmend, sagte sie: »Die geistliche Angelegenheit, welche meinen Mann hierher geführt, ordnet sich leider sehr glücklich und ich fürchte, daß er die Sentenz sehr bald erhalten wird.« Wir brauchten zur Rückfahrt in unserm Visavis zwei Stunden, und wir belästigten gewissermaßen die Natur, indem wir von ihr mehr forderten, als sie geben konnte. Bei unserer Ankunft waren wir genötigt, ehe noch das Drama, welches wir zur großen Befriedigung der Schauspieler gespielt, beendet war, den Vorhang fallen zu lassen. – Wir hatten noch einige Male Gelegenheit unsere Liebe zu kosten, aber nicht lange und ihr Gemahl erhielt das Urteil. Er kündigte mir unter vielen Freundschaftsbezeugungen seine Abreise auf den nächstnächsten Tag an. Ich brachte die beiden Abende bei Lucrezia und in der Familie zu, und am Tage der Abreise eilte ich ihnen voraus, um ihnen eine angenehme Überraschung zu verschaffen, und begab mich an den Ort, wo sie die Nacht zubringen mußten. Da aber der Advokat, durch verschiedene unvermutete Hindernisse zurückgehalten, erst vier Stunden später als er beabsichtigt, aufbrechen konnte, so kamen sie erst am folgenden Tage zum Mittagessen an. Nach dieser Mahlzeit sagten wir uns ein schmerzliches Lebewohl; sie setzten ihren Weg fort, und ich kehrte nach Rom zurück.


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