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Meine Tochter

Es war gewiß, daß ich bei dem umherschweifenden Leben, welches ich führte, immer wieder Leuten begegnete, mit denen ich schon an andern Orten in Verbindung gestanden hatte, besonders solchen, die gleich mir dem flüchtigen Glück nachjagten. Ebensowenig konnte es bei meinen vielen Liebesbündnissen ausbleiben, daß mir, als ich einmal in die Jahre kam, da und dort mein eigenes Fleisch und Blut in die Wege lief. In Holland fand ich so eine Tochter von mir, welche meiner Verbindung mit Therese Imer entsprossen war. Entzückt aber war ich, als ich eines Tages in Florenz plötzlich im Theater in der ersten Sängerin meine teure Therese, den falschen Bellino, wiedererkannte. Es war ein erschütterndes Wiedersehen nach siebzehnjähriger Trennung; war sie doch das Weib, das ich mit größerer Wonne, als ich je zuvor bei einer Frau verspürte, zu meinem Weibe gemacht hätte. Sie war verheiratet mit einem jungen hübschen Manne. Aber groß war mein Erstaunen, als sie mir einen Bruder von sich vorstellte, der mir bis aufs Haar glich. Ich erkannte in ihm sofort meinen Sohn; die Umgebung aber glaubte, ich wäre mit Theresens Mutter in intimem Verkehr gewesen. Doch dies wurde durch mein Erlebnis in Neapel, wohin ich bald danach reiste, in Schatten gestellt. Ich hatte in Paris dem Herzog von Matalone versprochen, ihn in Neapel zu besuchen. Da ich mir dachte, daß er mir sobald keine Freiheit ließe, wenn ich einmal bei ihm, besuchte ich, als ich in die mir so teure Stadt kam, zuerst meine alten Bekannten, bei denen sich vieles verändert hatte; am meisten begierig war ich, Lukrezia wiederzusehen, welche ich in Rom so heiß geliebt. Ich erfuhr aber, daß ihr Gemahl, Castelli, schon seit langem tot sei, und seine Witwe zwanzig Meilen von Neapel entfernt wohne, trotzdem gelobte ich mir, nicht abzureisen, ohne sie umarmt zu haben. Ich lasse mich dann bei Matalone melden, welcher mir beim Empfang die Ehre erwies, mich zu duzen und zu umarmen. Sofort stellte er mich seiner Gemahlin vor und der großen Gesellschaft, welche bei ihm speiste. Da ich sagte, ich sei nach Neapel gekommen, um ihm den versprochenen Besuch abzustatten, verlangte er, daß ich bei ihm wohne, und ließ sofort mein Gepäck aus dem Gasthofe holen. Ein schöner Mann unter den Gästen sagte, als er meinen Namen nennen hörte, mit munterem Tone: »Wenn du meinen Namen führst, kannst du nur ein Bastard meines Vaters sein.« »Nicht deines Vaters,« versetzte ich augenblicklich, »sondern deiner Mutter.« Die Gesellschaft lachte laut und klatschte Beifall zu meiner Antwort; und der Zwischenredner, weit entfernt, sich beleidigt zu fühlen, stand auf und umarmte mich. Man erklärte mir die Zweideutigkeit. Anstatt Casanova hatte dieser Herr ›Casalnovo‹ verstanden; er war Herzog und Besitzer des Lehens dieses Namens. »Weißt du schon,« sagte der Herzog von Matalone zu mir, »daß ich einen Sohn habe?« »Man hat es mir gesagt, und ich habe es nicht glauben wollen; aber ich tue Abbitte wegen meiner Ungläubigkeit, denn ich sehe einen Engel, welcher dies Wunder bewirkt hat.« Die Herzogin errötete und belohnte mein Kompliment mit keinem einzigen Blick, aber die Gesellschaft rächte mich, indem sie klatschte; es war bekannt, daß der Herzog vor seiner Verheiratung für impotent galt. Der Herzog ließ seinen Sohn kommen; ich bewundere ihn und sage, er sehe dem Vater außerordentlich ähnlich. Ein Mönch, der guter Laune war und rechts von der Herzogin saß, sagte mit mehr Wahrheit, er gleiche ihm gar nicht. Kaum hatte er dies ausgesprochen, als ihm die Herzogin mit der größten Kaltblütigkeit eine Ohrfeige versetzte, welche der Mönch mit der besten Manier hinnahm. Tausend muntere Reden machten mich in Zeit von einer halben Stunde der ganzen Gesellschaft teuer, mit Ausnahme der Herzogin, welche mir mit großer Beharrlichkeit den Boden unter den Füßen wegzuziehen suchte! Sie war schön, aber hochmütig, verstand zu gelegener und ungelegener Zeit stumm und taub zu sein und blieb beständig Herrin ihrer Augen. Zwei Tage lang bemühte ich mich vergeblich, einen Dialog mit ihr anzuspinnen; es gelang mir nicht. Da ich kein Auge auf sie geworfen hatte – und wohl mir, daß ich es nicht getan –, so überließ ich sie ihrem Stolze. Als der Herzog mir mein Zimmer zeigte, sagte er: »Du wirst ins Sankt-Carlo-Theater kommen, wo ich dich den schönsten Damen von Neapel vorstellen werde; dann kannst du hingehen, wann du willst, da meine Loge allen meinen Freunden offen steht. Ich werde dich auch meiner Mätresse in ihrer Loge vorstellen, und sie wird dich mit Vergnügen empfangen, so oft du zu ihr gehen willst.« »Wie, teurer Herzog, du hast eine Mätresse?« »Ja, mein Freund, aber nur der Form wegen, denn ich liebe meine Frau. Nichtsdestoweniger hält man mich für verliebt und sogar für eifersüchtig, weil ich ihr nie jemand vorstelle und ihr nicht erlaube, Besuche anzunehmen.« »Und nimmt es die junge und schöne Herzogin nicht übel?« »Meine Frau kann nicht eifersüchtig sein, da ich impotent bei allen Frauen bin – sie ausgenommen.« »Ich verstehe; aber es ist doch lustig und unglaublich; denn kann man wohl eine Mätresse unter, halten, die man nicht liebt?« »Ich habe dir nicht gesagt, daß ich sie nicht liebe; ich liebe sie im Gegenteil sehr, denn sie hat Geist wie ein Engel; sie unterhält mich, aber sie beschäftigt nur meinen Geist.« »Ich verstehe; aber ohne Zweifel ist sie auch häßlich.« »Häßlich! Du wirst sie heute abend sehen und sollst mir dann sagen, wie du sie findest. Sie ist schön, erst siebzehn Jahre alt und sehr gebildet.« »Du machst mir große Lust, sie zu sehen.« In Sankt Carlo stellte er mich mehreren Damen vor, aber keiner einzigen, die mir leidlich schien. Danach führte er mich in seine Privatloge und stellte mich allen seinen Freunden vor; es waren Schöngeister der Hauptstadt. Der Herzog, welcher mich einen Augenblick in so guter Gesellschaft gelassen, kehrte zurück und führte mich in die Loge seiner Mätresse, welche ich in Gesellschaft einer ältlichen Dame von achtungswertem Aussehen fand. Er sagte zu ihr beim Eintreten: »Meine Leonilda, ich stelle dir den Ritter Don Jacob Casanova, einen Venetianer und meinen Freund, vor.« Sie empfing mich mit freundlichem und bescheidenem Wesen und hörte nicht mehr auf die Musik, um mir Gesellschaft zu leisten. Wenn eine Frau hübsch ist, bedarf es nur eines Augenblicks, um sie so zu finden; wenn sie, um günstig beurteilt zu werden, näher betrachtet werden muß, so werden ihre Reize sehr problematisch. Donna Leonilda machte augenblicklich Eindruck. Lächelnd blickte ich den Herzog an, welcher zu mir gesagt, er liebe sie wie ein Vater seine Tochter und halte sie nur des Luxus wegen. Er verstand mich und sagte: »Du kannst mir glauben.« »Es ist glaublich,« entgegnete ich. Leonilda, die ohne Zweifel unsere rätselhafte Sprache verstanden hatte, mischte sich in unser Gespräch und sagte mit feinem Lächeln: »Alles was möglich ist, ist glaublich.« »Ich gebe das zu,« sagte ich, »aber man kann glauben oder nicht glauben, je nachdem die Sache mehr oder weniger schwierig scheint.« »Sehr richtig; aber zu glauben scheint mir leichter. Sie sind gestern in Neapel angekommen; das ist unglaublich, aber dennoch wahr.« »Wie sollte das unmöglich sein?« »Kann man glauben, daß ein Fremder in einem Augenblick nach Neapel kommt, wo alle Einheimischen mit Furcht erfüllt sind?« »In der Tat habe ich bis jetzt Furcht gehabt; aber nun fühle ich mich ganz frei davon, denn da Sie hier sind, muß der heilige Januarius die Stadt beschützen.« »Weshalb?« »Weil ich überzeugt bin, daß er Sie liebt. Sie lachen?« »Ja, und über eine ziemlich komische Idee; denn ich denke mir, wenn ich einen Liebhaber wie den heiligen Januarius hätte, er ziemlich übel daran sein würde.« »Der Heilige ist wohl sehr häßlich?« »Wenn sein Porträt ihm gleicht. Wenn Sie seine Statue sehen, können Sie sich davon überzeugen.« Der Ton der Heiterkeit führte leicht zu dem der Freimütigkeit, und der der Freimütigkeit wieder zu dem der Freundschaft. Die Anmut des Geistes gewinnt leicht die Oberhand über den Zauber der Schönheit. Da Leonildas angenehme Laune mir Vertrauen einflößte, so brachte ich die Unterhaltung auf die Liebe, und sie sprach meisterhaft darüber. »Wenn«, sagte sie, »die Liebe nicht in den Besitz des geliebten Gegenstandes gelangt, so kann sie nur eine Qual sein; wird die Leidenschaft verboten, so darf man nicht lieben.« »Ich gebe es zu, um so mehr, als der Genuß eines schönen Gegenstandes nicht das wahre Vergnügen ist, wenn die Liebe nicht vorausgegangen ist.« »Und wenn sie vorausgegangen ist, begleitet sie ihn vermutlich; aber man kann wohl zweifeln, ob sie nachher noch fortdauert.« »Das ist wahr, da dieser sie oft tötet.« »Es ist ein egoistisches Kind, welches seinen Vater tötet, und wenn nach dem Genusse die Liebe bei einem der beiden zurückbleibt, so ist das schlimmer als ein Mord, denn derjenige, der dann noch liebt, ist unglücklich.« »Nichts ist wahrer, Madame, und nach dieser Durchführung, welche den Regeln der strengsten Dialektik entspricht, muß ich glauben, daß Sie die Sinne zu beständiger Diät verurteilen. Das ist grausam.« »Gott bewahre mich vor diesem Platonismus ohne Liebe; aber ich überlasse es Ihnen, die Konsequenz zu ziehen.« »Wechselweise lieben und genießen, genießen und lieben.« »So ist es.« Als ich diese Folgerung machte, konnte Leonilda sich nicht des Lachens enthalten, und der Herzog küßte ihr die Hand. Ihre Kammerfrau, welche nicht Französisch verstand, beschäftigte sich mit der Oper; aber mit mir war es etwas anderes; ich hatte Feuer gefaßt. Leonilda war erst siebzehn Jahre alt und mehr als hübsch; denn sie war schön wie ein Engel. Ich rezitierte ihr, als wir vom Genusse sprachen, ein etwas freies Epigramm von La Fontaine, welches man nur in der ersten Ausgabe findet und welches folgendermaßen anfängt:

La jouissance et les désirs
Sont ce que l'homme a de plus rare
Mais ce ne sont pas vrais plaisirs,
Dès le moment qu'on les sépare.

Der gute Ton in Neapel, namentlich in der guten Gesellschaft, fordert als erstes Freundschaftszeichen, daß man einen neuen Ankömmling, den man besonders auszeichnen will, duzt. Dies ist für beide Teile behaglicher; aber dieser vertrauliche Ton schließt in keiner Weise die Rücksichten aus, welche man sich gegenseitig schuldet. Schon hatte mich Leonilda von der Bewunderung zu einem süßeren und lebhafteren Gefühl übergehen lassen; und die Oper, welche fünf Stunden spielte, schien mir nur einen Augenblick gedauert zu haben. Als die beiden Damen sich entfernt hatten, sagte der Herzog zu mir: »Jetzt müssen wir uns trennen, wenn du nicht ein Freund des Hazardspiels bist.« Ich konnte ihm das Gegenteil sagen, und so nahm er mich in eine Gesellschaft zum Spiel mit, wo nur auf Wort gespielt wurde, aber in vierundzwanzig Stunden mußte bezahlt werden. Ich verlor in zwei Stunden meine tausend Marken, jede Marke im Wert eines Dukaten. Als mir der Herzog kondolieren wollte, unterbrach ich ihn, indem ich ihn auf eine angenehme Weise von seiner herrlichen Leonilda unterhielt. Als ich bei Tisch neben die Herzogin zu sitzen kam, hatte sie die Gnade, zu sagen, sie habe noch kein eleganteres Kostüm gesehen als das meine. »Dann, Madame,« entgegnete ich, »suche ich meine Person einer zu strengen Prüfung zu entziehen.« Sie lächelte; aber hierauf beschränkte sich ihre Artigkeit gegen mich. Gegen Abend sagte der Herzog zu mir: »Wenn du in die Opera buffa gehen willst, wirst du Leonilda erfreuen.« Er gab mir die Nummer seiner Loge und fügte hinzu: »Ich werde dich gegen Ende abholen und wir wollen, wie gestern, zusammen zu Abend speisen.« Ich brauchte nicht zu warten, daß angespannt wurde, da auf dem Hofe ein herrlich bespannter Wagen beständig zu meiner Verfügung stand. Als ich zu den Florentinern kam, hatte die Oper bereits begonnen. Ich stellte mich Leonilda vor, welche mich mit folgenden zuckersüßen Worten empfing: »Caro Don Giacomo, es freut mich, Sie wiederzusehen.« Ohne Zweifel hielt sie es für angemessen, mich nicht zu duzen, aber der verbindliche Ton ihrer Stimme und der Ausdruck ihrer Augen wollten mehr andeuten, als das Du, mit welchem man in Neapel so freigebig ist, ohne Wert darauf zu legen. Die verführerische Physiognomie der reizenden Person war mir nicht fremd; oder ich konnte mich nicht auf die Frau besinnen, welche diesen Eindruck bei mir zurückgelassen. Leonilda war eine Schönheit, und, wie ich gesagt, noch etwas besseres, wenn es in dieser Beziehung etwas besseres gibt. Sie hatte herrliche hellkastanienbraune Haare, und ihre schöngeschlitzten schwarzen Augen von einem Glanze, welcher durch die Länge ihrer Augenlider gemildert wurde, hörten, fragten und sprachen zu gleicher Zeit. Was mich aber am meisten an ihr entzückte, war der Ausdruck, den sie ihren Erzählungen gab, indem sie diese mit den anmutigsten und den Umständen angemessensten Gesten begleitete. Ihre Zunge schien für die Entwicklung ihrer Gedanken nicht hinzureichen, die sich in ihrem natürlichen, durch die glänzendste Erziehung entwickelten Geiste aufeinander drängten. Als die Rede auf das Epigramm La Fontaines kam, von welchem ich nur die ersten zehn Verse rezitiert hatte, weil die übrigen zu frei waren, sagte sie: »Ohne Zweifel ist es eine bloße Dichterlaune, über welche man nur lachen kann.« »Das ist möglich, aber ich habe deine Ohren nicht verletzen wollen.« »Du bist sehr gütig«, sagte sie, das angenehme Du rasch annehmend, »und ich danke dir dafür. Aber ich nehme nicht so leicht einen Eindruck auf, denn ich habe ein Kabinett, welches der Herzog mit chinesischen Tapeten hat ausschlagen lassen, wo die Personen eine Menge verliebter Stellungen vorstellen. Wir besuchen dieses zuweilen, und ich versichere dir, daß sie nicht den geringsten Eindruck auf mich machen.« »Vielleicht aus Mangel an Temperament, denn wenn ich verliebte Bilder sehe, die gut gemacht sind, so gerate ich ganz in Feuer. Ich wundere mich, daß Sie beim Betrachten mit dem Herzoge nicht Lust bekommen, einige davon nachzuahmen.« »Wir haben nur freundschaftliche Gefühle füreinander.« »Das glaube, wer da will.« »Ich könnte allerdings schwören, daß er Mann ist; aber ich könnte nicht versichern, daß er fähig sei, einer Frau Zeichen einer substantiellen Zärtlichkeit zu geben.« »Dennoch hat er einen Sohn.« »Ja, er hat ein Kind, welches ihn Vater nennt, aber er gesteht selbst, daß er nur bei seiner Frau Mann sein kann.« »Das ist eine Fabel, denn Sie sind gemacht, um Begierden einzuflößen, und ein Mann, der mit Ihnen lebte, ohne sich in Ihren Besitz setzen zu können, würde nicht zu leben verdienen.« »Ist das wirklich Ihre Ansicht?« »Teure Leonilda, wenn ich an seiner Stelle wäre, wollte ich Ihnen beweisen, was ein Mann vermag, der Sie liebt.« »Caro Don Giacomo, es freut mich, zu erfahren, daß du mich liebst; da du aber nicht in Neapel bleiben willst so wirst du mich bald vergessen haben.« »Verflucht sei das Spiel; denn ohne dieses würden wir köstliche Abende miteinander verleben.« »Der Herzog hat mir erzählt, du habest gestern auf die anständigste Weise tausend Dukaten verloren. Du bist also unglücklich?« »Nein, nicht immer; wenn ich aber an einem Tage, wo ich mich verliebt habe, spiele, so verliere ich ganz sicher.« »Du wirst heute Abend gewinnen.« »Es ist der Tag der Erklärung, und ich werde daher wieder verlieren.« »Dann spiele nicht.« »Man würde sagen, ich fürchtete zu verlieren oder ich habe kein Geld.« »Ich hoffe, daß du ein andermal wieder zu deinem Schaden kommen wirst und daß du mir die Nachricht in meine Wohnung bringst, besuche mich morgen mit dem Herzoge.« In diesem Augenblick trat der Herzog ein und fragte mich, ob mir die Oper gefallen. Leonilda nahm das Wort und sagte: »Wir wissen nicht, was man gespielt hat, denn wir haben während der ganzen Zeit von Liebe gesprochen.« »Daran haben Sie wohl getan.« »Ich bitte Sie, morgen Herrn Casanova mitzubringen, denn wie ich hoffe, wird er mir die Nachricht bringen, daß er gewonnen hat.« »Diesen Abend, meine Teure, ziehe ich ab; aber ich werde dir meinen Freund mitbringen, mag er verlieren oder gewinnen. Du wirst uns ein Frühstück geben.« »Oh, sehr gern.« Wir küßten dem herrlichen Mädchen die Hand und entfernten uns dann, um uns nach demselben Orte wie am vorigen Tage zu begeben. Die versammelte Gesellschaft erwartete den Herzog. Es waren zwölf Gesellschaftsmitglieder, und jeder legte Bank, wenn die Reihe an ihn kam; sie behaupteten, dadurch werde das Spiel gleicher; aber ich mußte darüber lachen, denn nichts ist so schwer herzustellen, als Gleichheit unter den Spielern. Der Herzog von Matalone nimmt Platz, zieht seine Börse und seine Brieftasche und legt eine Bank von zweitausend Dukaten, indem er zugleich die Gesellschaft um Verzeihung bittet, daß er die Bank des Fremden wegen verdoppele, denn sonst wurde immer nur eine Bank von tausend Dukaten gelegt. »Ich setze also ebenfalls zweitaufend Dukaten aufs Spiel und nicht mehr,« sagte ich, »denn in Venedig sagt man, ein kluger Spieler dürfe nicht mehr aufs Spiel setzen, als er gewinnen könne. Jede meiner Marken gilt also zwei Dukaten.« Ich zog zehn Scheine von hundert Dukaten aus der Tasche und gab sie dem Bankier, an den ich sie am vorigen Tage verloren. Das Spiel beginnt, ich spiele auf einer einzigen Karte und mit großer Besonnenheit, und in noch nicht drei Stunden war mein Körbchen leer. Ich hörte auf zu spielen, obwohl ich noch fünfundzwanzigtausend Dukaten hatte. Ich bin für Verluste immer sehr empfindlich gewesen; da ich mich aber zu beherrschen verstand, so konnte man meinen Kummer nicht bemerken, weil meine natürliche Heiterkeit, angeregt durch Kunst, sich zu verdoppeln schien, um jede andere Empfindung zu verdecken. Dadurch errang ich mir den Beifall aller Gesellschaften, in die ich kam, und fand leicht neue Mittel. Ich speiste mit gutem Appetit, und in dem Zustand der Aufgeregtheit, in welchem ich mich befand, hatte ich so glückliche Eingebungen, daß die ganze Gesellschaft in die heiterste Stimmung versetzt wurde. Am folgenden Tage begab ich mich früh auf das Zimmer des Herzogs, und nachdem ich ihn umarmt, sagte ich zu ihm, er möge nicht vergessen, daß wir bei seiner schönen Mätresse frühstücken sollten. Er legte wie ich einen geistlichen Anzug an, und wir begaben uns zu Fuße nach dem Medina-Springbrunnen, wo Leonilda in einem hübschen Hause wohnte. Wir fanden sie noch im Bett, in einem anständigen Négligé mit einem Basinleibchen, welches vorn mit rosenrotem Bande befestigt war; sie war schön zum Entzücken, und ihre anmutige Haltung machte sie noch reizender. Sie las das Sopha von Crébillons elegantem Sohne. Der Herzog setzte sich an das Fußende ihres Bettes und ich blieb wie in Verzückung in ihren Anblick versunken stehen und bemühte mich, mir das Original dieser bezaubernden Physiognomie, die ich schon geliebt zu haben glaubte, ins Gedächtnis zurückzurufen. Ich sah sie zum erstenmal nicht in dem blendenden Glanz der Lichter. Sie lachte über meine Zerstreutheit und bat mich mit dem süßesten Tone, mich auf einen Lehnstuhl zu setzen, der am Kopfende ihres Bettes stand. Der Herzog sagte, ich freute mich, zweitaufend Dukaten an seine Bank verloren zu haben, denn dieser Verlust gebe mir die Überzeugung, daß sie mich liebe. »Caro mio Don Giacomo, wie leid tut mir das! Du hättest besser getan, gar nicht zu spielen, denn ich würde dich darum nicht weniger lieben, und du hättest zweitausend Dukaten mehr.« »Und ich sie weniger,« sagte der Herzog lachend. »Tröste dich, reizende Leonilda; ich werde heute abend gewinnen, wenn du mir heute einige Gunstbezeigungen zuteil werden läßt. Sonst verliere ich meine Seele, und du wirst in einigen Tagen meinem Leichenbegängnisse beiwohnen.« »Liebe Leonilda, sei doch etwas gut gegen meinen Freund.« »Das ist unmöglich.« Der Herzog bat sie, sich anzukleiden, damit wir im chinesischen Kabinett frühstücken könnten. Sie begann sogleich damit und war weder zu großmütig in dem, was sie uns sehen lassen wollte, noch zu geizig in dem, was sie uns verbergen zu müssen glaubte; es war die geeignetste richtige Mitte, um jemand zu entflammen, der sich durch ihr Gesicht, ihren Geist und ihr Benehmen schon hatte verführen lassen. Ich konnte auf ihren schönen Busen nur einen Blick werfen, und dieser wirkte wie auf Kohlen gestreutes Harz. Ich gestehe, daß ich mir diesen Genuß nur durch eine Art Diebstahl verschaffen konnte; aber das würde mir nicht gelungen sein, wenn nicht auf ihrer Seite auch etwas Absicht gewesen wäre. Ich tat so, als ob ich nichts gesehen. Sie verteidigte hinsichtlich der Zerstreutheiten, die sich eine Frau beim Anziehen erlauben dürfe, gegen uns mit vielem Geiste die Ansicht, daß eine junge, anständige Person gegen einen Mann, der sie liebe, viel zurückhaltender sein müsse als gegen einen Mann, den sie nicht liebe, aus dem einfachen Grunde, weil sie den ersten zu verlieren fürchten müsse, während ihr an dem zweiten nichts gelegen sein könne. »Bei mir, reizende Leonilda,« sagte ich, »würde der entgegengesetzte Fall eintreten.« »Ich bin sicher, daß du dich täuschst.« Die chinesischen Malereien, mit denen das Kabinett, in welchem wir frühstückten, tapeziert war, waren bewundernswert mehr wegen des Kolorits und der Sicherheit der Zeichnung als wegen der verliebten Szenen, die sie vorstellten. »Auf mich macht das keinen Eindruck,« sagte der Herzog und lieferte uns den Beweis. Leonilda wendete das Gesicht ab, und ich fühlte mich empört über diesen Zynismus, aber ich verbarg mein Gefühl. »Ich,« sagte ich, »bin in demselben Zustande, wie Sie, lasse es mir aber gar nicht einfallen, Ihnen den Beweis führen zu wollen.« Der Herzog glaubte deshalb, ich sei ebenso erbärmlich wie er, darum sagte ich: »Um diese Behauptung zu widerlegen, brauchte ich nur Leonilda in die Augen zu sehen.« »Oh, Leonilda, mein Herz, betrachte doch meinen Freund, damit ich mich von der Richtigkeit der Tatsache überzeuge.« Leonilda betrachtete mich mit zärtlichem Auge, und ihr Blick brachte sogleich die Wirkung hervor, welche ich erwartet, und ich gab dem Herzog einen Beweis meiner Kraft, den er nicht widerlegen konnte. Von dem allen hatte das herrliche Mädchen nichts sehen können, denn ein Guéridon trennte uns, und während meine glühenden Lippen auf ihrer Hand ruhten, waren meine Augen auf die ihrigen geheftet, und unser Atem vermischte sich beinahe. Es war eine herrliche Partie, obwohl wir gewisse Grenzen, die der Anstand uns hätte setzen sollen, überschritten; aber Leonilda blieb so unschuldig dabei, als die Lage es nur erlaubte. Wir beendeten diese Szene durch herzliche Umarmungen, und als ich mich von Leonildas wollüstigen Lippen losmachte, war ich von einer Glut verzehrt, die ich nicht mehr dämpfen konnte. Als wir weggegangen, sagte ich zum Herzoge, ich wolle seine Mätresse nicht mehr sehen, wenn er sie mir nicht abträte. Ich erklärte mich zugleich bereit, sie zu heiraten und ihr ein Witwengehalt von fünftausend Dukaten auszusetzen. »Sprich mit ihr; wenn sie dich will, habe ich nichts dagegen. Du wirst von ihr selbst erfahren, was sie besitzt.« Ich kleidete mich zum Essen an. Ich fand die Herzogin in zahlreicher Gesellschaft, und sie sagte mit gütiger Miene zu mir, mein Unglück daure sie. »Nichts ist unbeständiger als das Glück, Madame, dennoch klage ich nicht über meinen Verlust, denn da Sie einen Anteil daran nehmen, ist er mir angenehm, und ich glaube sogar, daß ich infolgedessen heute abend gewinnen werde.« »Ich wünsche es, aber ich zweifle daran; denn du hast heute abend gegen Monte Leone zu kämpfen, der glücklich spielt.« Als ich im Laufe des Nachmittags über meine Angelegenheiten nachdachte, beschloß ich, nur bar zu spielen, zunächst um mich nicht der Gefahr der Entehrung auszusetzen, wenn ich, fortgerissen durch die Wut des Spiels, mehr verlöre als ich besaß, sodann damit der Bankier nach den beiden Lektionen, die ich bekommen, keine Furcht hege, und endlich auch, ich gestehe es, aus jenem Spielervorurteil, welches durch neue veränderte Art zu spielen das Glück zu ändern hofft. Ich blieb vier Stunden in Sankt Carlo in der Loge meiner Schönen, welche noch munterer, prächtiger und glänzender als an den vorhergehenden Tagen war. »Teure Leonilda,« sagte ich zu ihr, »die Liebe, welche du mir eingeflößt, ist derart, daß sie weder Aufschub noch irgendwelchen Nebenbuhler, nicht einmal den geringsten Anschein einer künftigen Unbeständigkeit verträgt. Ich habe zum Herzog gesagt, ich sei bereit, dich zu heiraten und dir ein Witwengehalt von fünftausend Dukaten auszusetzen.« »Was hat er dir geantwortet?« »Ich solle dir den Vorschlag machen, und er habe nichts dagegen.« »Wir wollen zusammen abreisen?« »Auf der Stelle, mein Herz, und nur der Tod soll uns trennen.« »Wir wollen morgen früh davon sprechen, Don Giacomo; ich werde glücklich sein, wenn ich dich glücklich machen kann.« Als sie diese Worte, die mich mit Freude erfüllten, beendet, trat der Herzog ein. »Mein Freund,« sagte Leonilda, »zwischen Don Giacomo und mir ist nur noch von einer ordentlichen Heirat die Rede.« »An das Heiraten, meine Teure, muß man so lange wie möglich vorher denken, ehe man dazu schreitet.« »Ja, so lange wie möglich vorher, wenn man Zeit dazu hat; aber mein teurer Giacomo kann nicht warten, da er abreisen will, und wir wollen nachher darüber nachdenken.« »Mein Freund,« sagte der Herzog, »da es sich um eine Heirat handelt, kannst du deine Abreise verschieben oder wiederkommen, nachdem du dich mit deiner Leonilda verlobt.« »Ich will weder meine Abreise verschieben noch wiederkommen, teurer Herzog. Wir sind fest entschlossen, und wenn wir uns täuschen, werden wir Zeit genug zur Reue behalten.« Er fing an zu lachen und sagte, wir wollten morgen darüber sprechen. Ich umarmte meine künftige Gattin, welche meinen Kuß mit glücklicher Miene erwiderte, und wir gingen sodann in unsere Gesellschaft, wo der Herzog von Monte-Leone schon abzog. Es wurde mir erlaubt, bar zu spielen, und man hatte viertausend Dukaten gelegt, damit ich wieder zu meinem Schaden kommen könnte. Ich legte sechstausend Dukaten auf den Tisch, gab davon zweitausend dem Herzog von Matalone und pointierte mit hundert Dukaten. Der Herzog ging weg, nachdem er einige Male gesetzt, und ich sprengte nach einem langen Kampfe die Bank. Ich kehrte allein in den Palast zurück, und als ich am folgenden Tage dem Herzoge meinen Sieg meldete, umarmte er mich mit Freudentränen in den Augen und riet mir, nur noch bar zu spielen. Am folgenden Morgen kündigte mir der Herzog an, daß er einige Geschäfte abzumachen habe, ich möchte deshalb allein zu Leonilda gehen, wo er sich ebenfalls einfinden werde. Ich ging zu ihr, da aber der Herzog nicht erschien, so konnten wir über unsere künftige Ehe zu keinem Abschlusse gelangen. Ich blieb mehrere Stunden bei ihr; da ich mich aber ihrem Willen anbequemen mußte, so konnte ich mich nur in Worten verliebt zeigen. Ehe ich sie verließ, wiederholte ich die Versicherung, daß es nur von ihr abhinge, ihr Schicksal durch unauflösliche Bande mit dem meinigen zu verbinden und in sehr kurzer Frist die Reise mit mir anzutreten. Als ich den Herzog traf, empfing er mich mit den Worten: »Nun, Don Giacomo, hast du noch Lust, meine Mätresse zu heiraten?« »Mehr als je; aber wie denken Sie denn darüber?« »Gar nicht, und da die Sache sich so gestaltet, denn ich habe dich absichtlich auf die Probe gestellt, so wollen wir morgen weiter sprechen, und ich hoffe, daß du diese reizende Person glücklich machen wirst, welche durchaus geeignet ist, einen anständigen Mann zu beglücken.« In der folgenden Nacht sprengte ich den Fürsten von Cassaro, einen reichen und liebenswürdigen Edelmann. Er verlor zehntausend Dukaten und hörte nur zu spielen auf, weil er kein Geld mehr hatte. Den folgenden Tag beschlossen wir in einer zweistündigen Unterredung unsere künftige Verbindung. »Leonilda«, sagte der Herzog, »hat eine Mutter, die auf einem nicht entfernten Landsitze von sechshundert Dukaten jährlicher Einkünfte lebt, die ich ihr für ihre Lebenszeit als Entschädigung für ein von ihrem Manne ererbtes Gut ausgesetzt hatte; aber Leonilda hängt nicht von ihr ab. Sie hat sie mir vor sieben Jahren abgetreten, und ich habe ihr eine Leibrente von fünfhundert Dukaten ausgesetzt, welche sie dir nebst ihren Diamanten und einer reichen Ausstattung zubringen wird. Die Mutter hat sie gänzlich meiner Zärtlichkeit und meinem Ehrenworte, ihr eine vorteilhafte Heirat zu verschaffen, überlassen. Ich habe mich ihrer Erziehung angenommen, und in dem Maße wie ihr Geist sich entwickelte, suchte ich sie vor Vorurteilen zu bewahren, mit Ausnahme desjenigen, welches eine Frau verpflichtet, sich für den ihr vom Himmel zum Gatten bestimmten Manne aufzusparen. Du kannst überzeugt sein, daß du der erste Mann bist, welchen Leonilda, die ich wie meine Tochter liebe, an ihr Herz gedrückt hat.« Ich bat den Herzog, den Kontrakt bereitzuhalten und zur Mitgift meiner Frau fünftausend ducati di regno hinzuzufügen, welche ich bei der Unterzeichnung auszahlen würde. »Ich werde sie«, sagte er, »auf ein Haus, welches den doppelten Wert hat, hypothekarisch eintragen lassen.« Er wandte sich dann zu Leonilda, welche vor Glück weinte, und sagte zu ihr: »Ich werde deine Mutter holen lassen, welche sich freuen wird, deinen Kontrakt zu unterzeichnen und den Mann kennen zu lernen, der dich glücklich machen soll. Deine Mutter lebt eine Tagereise von Neapel in Gemeinschaft mit dem Marquis Galiani. Ich werde ihr morgen einen Wagen schicken und übermorgen wollen wir zusammen zu Abend speisen. Am folgenden Tage wollen wir die Sache mit dem Notar ins Reine bringen und sodann in die kleine Kirche von Portici gehen, wo der Priester euch vermählen wird. Ich übernehme die Kosten. Wir bringen sodann deine Mutter nach Sankt Agatha zurück, speisen bei ihr, und ihr reist dann weiter, geleitet von ihrem Segen.« Dieser Vorschlag verursachte mir einen unwillkürlichen Freudenschauer, und Leonilda sank ohnmächtig in die Arme des Herzogs, der sie seine liebe Tochter nannte, ihr beisprang und sie wieder ins Bewußtsein rief. Am Schlusse der Szene mußten wir alle unsere Augen trocknen, denn wir waren alle gerührt. Da ich mich als verheiratet ansah und mich verpflichtet glaubte, eine andere Lebensweise anzunehmen (denn ich bin überzeugt, daß ich alles geopfert haben würde, um eine Frau, die es verdiente, glücklich zu machen), so hörte ich auf zu spielen. Ich hatte mehr als fünfzehntausend Dukaten gewonnen; diese Summe nebst dem, was ich vorher hatte, und Leonildas Mitgift war ausreichend für eine anständige Existenz und würde mir einen ordentlichen Lebenswandel sehr leicht gemacht haben. Am folgenden Tage speiste ich mit dem Herzoge und Leonilda zu Abend, und meine Verlobte sagte: »Was wird meine Mutter morgen abend sagen, wenn sie dich sieht?« »Sie wird sagen, du habest die Dummheit begangen, einen Fremden zu heiraten, den du erst seit acht Tagen kennst. Hast du ihr meinen Namen, meine Heimat, meinen Stand, mein Alter geschrieben?« »Ich habe ihr folgendes geschrieben: ›Kommen Sie sogleich, liebe Mutter, um meinen Heiratskontrakt mit meinem Manne zu unterzeichnen, welchen ich aus den Händen des Herrn Herzogs empfangen, und mit welchem ich am Montag die Reise nach Rom antrete.‹« »Und ich«, sagte der Herzog, »habe folgendermaßen an sie geschrieben: ›Teure Freundin, komm ohne Zaudern, um den Heiratskontrakt deiner Tochter zu unterzeichnen und ihr deinen Segen zu geben; sie hat vernünftigerweise einen Gatten gewählt, der ihr Vater sein könnte und der mein Freund ist.‹« »Das ist nicht wahr,« rief Leonilda aus, indem sie sich mir in die Arme warf; »sie wird dich für alt halten, und das tut mir leid.« »Ist deine Mutter alt?« »Ihre Mutter«, sagte der Herzog, »ist eine reizende, geistreiche Frau, welche erst achtunddreißig Jahre alt ist.« »Was macht sie mit Galiani?« »Sie ist die vertraute Freundin der Marquise; sie lebt in der Familie, bezahlt aber ihre Pension.« Da ich am folgenden Tage Geschäfte bei meinem Bankier hatte, so bat ich den Herzog, mich erst zur Zeit des Abendessens bei Leonilda zu erwarten. Ich ging um acht Uhr hin und fand sie um das Feuer sitzen. »Das ist er!« rief der Herzog aus. Bei meinem Anblick schreit die Mutter auf und sinkt fast ohnmächtig auf einen Sessel. Ich betrachte sie einen Augenblick: »Donna Lucrezia!« rief ich aus, »wie glücklich bin ich!« »Schöpfen wir einen Augenblick Atem, teurer Freund, und setzen Sie sich neben mich. Sie wollen also meine Tochter heiraten?« Ich nehme einen Stuhl und errate wohl, wie die Sachen stehen. Die Haare sträuben sich mir auf dem Kopfe, und ich versinke in düsteres Schweigen. Es würde schwer sein, Leonildas und des Herzogs Erstaunen zu schildern. Sie sahen wohl, daß wir uns kannten, konnten aber ihre Vermutungen nicht weiter ausdehnen. Ich dagegen versank in schmerzliche Betrachtungen, und indem ich das Alter Leonildas mit der Epoche, wo ich Lucrezia kennen gelernt, verglich, überzeugte ich mich leicht, daß sie meine Tochter sein könne. Da ich die Ungewißheit nicht länger ertragen konnte, stand ich auf, nahm ein Licht, und nachdem ich Leonilda um Verzeihung gebeten, ersuchte ich Lucrezia, sich mit mir in ein benachbartes Zimmer zu begeben. Als Lucrezia sich gesetzt hatte, zog sie mich an sich und sagte: »Oh, mein Freund, muß ich dich, den ich so sehr geliebt habe, betrüben! Leonilda ist deine Tochter, ich bin dessen gewiß. Ich habe sie immer dafür gehalten, und mein Mann wußte es; aber weit entfernt, deshalb in Zorn zu geraten, betete er sie vielmehr an. Ich werde dir ihren Taufschein zeigen, und du kannst dann rechnen. Mein Mann hat mich in Rom nicht ein einziges Mal besucht, und meine Tochter ist vor der Zeit geboren. Du entsinnst dich wohl eines Briefes, den meine Mutter dir gezeigt haben muß, und in welchem ich ihr meldete, daß ich schwanger sei. Das war im Januar Siebzehnhundertvierundvierzig, und in einem halben Jahre wird meine Tochter siebzehn Jahre. Mein seliger Mann gab ihr in der Taufe den Namen Leonilda Giacomina, und wenn er scherzte, nannte er sie nur mit dem letzten Namen. Diese Ehe, mein Freund, erschreckt mich; aber du siehst wohl ein, daß ich mich ihr nicht widersetzen werde, denn ich kann mich nicht entschließen, den Grund anzugeben. Was meinst du? Hast du noch den Mut, sie zu heiraten? Du schwankst? Solltet ihr euch schon Abschlagszahlungen auf die Zukunft gestattet haben?« »Nein, teure Lucrezia, deine Tochter ist rein wie eine Perle.« »Ich atme auf.« »Aber du zerreißt mir das Herz.« »Das tut mir leid.« »Sie hat keine Ähnlichkeit mit mir.« »Das ist wahr, beweist aber nichts; sie gleicht mir. Du weinst, teurer Freund; du durchbohrst mir das Herz.« »Wer würde nicht an meiner Stelle weinen? Ich will dir den Herzog schicken; meiner Ansicht nach müssen wir ihn mit dem Stande der Sache bekannt machen.« Ich verlasse Lucrezia und bitte meinen Freund, mit ihr zu sprechen. Die zärtliche Leonilda setzt sich erschreckt auf meinen Schoß und bittet mich, ihr das Geheimnis mitzuteilen, welches sie schon so unglücklich mache. Ich konnte nicht antworten, so gepreßt war mir das Herz; sie umarmte mich, und wir fingen an zu weinen. So blieben wir traurig und schweigend sitzen, bis der Herzog mit Donna Lucrezia zurückkehrte, welche allein wieder eine vernünftige Haltung angenommen hatte. »Meine teure Leonilda, du mußt in dies unangenehme Geheimnis eingeweiht werden und du sollst von deiner Mutter alles erfahren. Erinnerst du dich noch, liebe Tochter, wie mein seliger Gemahl dich nannte, wenn er dich liebkoste?« »Er nannte mich: liebe Giacomina.« »Das ist der Name Herrn Casanovas, der Name deines Vaters. Umarme ihn, meine Tochter. Sein Blut fließt in deinen Adern, und wenn er dein Liebhaber gewesen, so bereue dein Verbrechen, das glücklicherweise unfreiwillig gewesen.« Diese Szene war außerordentlich pathetisch und rührte uns tief. Leonilda umfaßte die Knie ihrer Mutter und sagte mit einer von Schluchzen erstickten Stimme: »Mutter, ich habe für meinen Vater nur Empfindungen kindlicher Zärtlichkeit gehabt.« Hier wurde die Szene zu einer stummen, denn das Schweigen wurde nur durch das Schluchzen der beiden interessanten Wesen gestört, welche sich fest umschlungen hielten, während der Herzog und ich unbeweglich wie zwei Grenzsteine mit vorwärtsgebeugtem Haupte und übereinandergekreuzten Armen dastanden, ohne auch nur einen Blick auszutauschen. Man trug das Abendessen auf, und wir bleiben drei Stunden lang bei Tische; die Unterhaltung war traurig; wir aßen nicht und tauschten über diese mehr unglückliche als glückliche theatralische Erkennungsszene unsere Ansichten aus; wir trennten uns gegen Mitternacht, das Herz voll Bitterkeit und sehnsüchtig dem folgenden Morgen entgegensehend, da wir hofften, dann ruhiger und imstande zu sein, das zu tun, was uns allein übrig blieb. Beim Abschied stellte der Herzog laut eine Menge Betrachtungen über alles an, was man in der Moralphilosophie Vorurteile nennen kann. Daß die Verbindung eines Vaters mit seiner Tochter vom natürlichen Standpunkte aus etwas Schreckliches, Ungeheuerliches sei, das wird keiner der Philosophen zu behaupten wagen, denn es ist dies ein rein gesellschaftliches Vorurteil; aber es ist so verbreitet, die Erziehung hat es unsern Gemütern so fest eingeprägt, daß nur ein gänzlich verderbter Sinn es mit Füßen treten könnte. Es ist die Frucht der Achtung vor den Gesetzen; es hängt mit der gesellschaftlichen Ordnung, den bürgerlichen Sitten, den politischen Gewohnheiten, einer guten Erziehung und der Moral der Nationen zusammen; wird es so gefaßt, so hört es auf, Vorurteil zu sein, wird Prinzip, unbedingte Pflicht. Diese Pflicht kann insofern als eine natürliche angesehen werden, als die Natur uns antreibt, denjenigen, die wir lieben, alle Güter zu bewilligen, die wir für uns selbst wünschen. Wie es scheint, entspricht der Gegenseitigkeit der Liebe am meisten eine vollkommene Gleichheit in allem, in bezug auf Alter, Stand und Charakter; und eine solche Gleichheit ist zwischen Vater und Tochter nicht wahrzunehmen. Die Achtung, welche Kinder vor denjenigen haben, denen sie das Leben verdanken, ist schon ein Hindernis für die Zärtlichkeit, welche zwei Liebende für einander empfinden, und wenn ein Vater, vermöge der Gewalt, welche ihm die Natur und Kraft geben, sich in den Besitz seiner Tochter zu setzen wagt, so begeht er einen Akt abscheulicher Tyrannei, welche die Natur und die gesellschaftliche Ordnung in gleicher Weise verdammen müssen. Die natürliche Liebe zur Ordnung bewirkt auch, daß die Vernunft eine solche Verbindung als unnatürlich betrachtet. Die Früchte einer so unpassenden Ehe können nur den Charakter der Liederlichkeit und Unordnung tragen. Obwohl ich selbst ziemlich frei von Vorurteilen bin, so finde ich eine solche Verbindung abscheulich in jeder Beziehung; aber sie hört auf, es zu sein, wenn Vater und Tochter sich lieben, ohne sich zu kennen. Die Blutschande, das häufige Sujet griechischer Tragödien, bringt mich nicht zum Weinen, sondern zum Lachen; aber über Phädra muß ich Tränen vergießen, und die Ursache ist Racine. Ich legte mich nieder, aber wie immer, wenn ich sehr aufgeregt bin, konnte ich kein Auge schließen. Der schnelle und unerwartete Übergang von der fleischlichen zur väterlichen Liebe versetzte alle meine physischen und moralischen Anlagen in einen solchen Zustand der Gereiztheit, daß ich nur mit Mühe dem heftigen Kampfe widerstand, den sie sich in meinem Innern lieferten. Gegen Morgen, als ich mit meinem Plane, am folgenden Tage abzureisen, ins Reine gekommen war, schlief ich einen Augenblick ein, worauf ich mit einer Abspannung erwachte, wie die zweier Liebenden, welche sich eine lange Winternacht der Liebe und Wollust hingegeben haben. Als ich aufgestanden war, teilte ich meinen Plan dem Herzoge mit, welcher mir bemerklich machte, daß eine solche Übereilung Stoff zu Glossen geben würde, da es allgemein bekannt sei, daß ich erst in einigen Tagen habe abreisen wollen. »Trinken wir zusammen eine Tasse Bouillon«, sagte er, »und betrachten wir deine gescheiterte Hochzeit wie einen der tausend Späße, welche du gemacht hast. Wir wollen diese drei oder vier Tage auf eine heitere Weise verleben und dieser Trennung ihren traurigen Charakter zu nehmen suchen, und vielleicht gelingt es uns endlich, sie nur noch in einem komischen Lichte zu betrachten. Wenn du mir glauben willst, so ist die Mutter nicht schlechter als die Tochter, und die Erinnerung ist oft mehr wert als die Hoffnung; tröste dich also mit Lucrezia. Du kannst sie seit den achtzehn Jahren nicht sehr verändert finden, denn ich kann kaum glauben, daß sie damals besser ausgesehen.« Diese kurze Zurechtweisung brachte mich zur Vernunft. Ich sah wohl, daß es kein besseres Heilmittel für mich gebe, als die Chimäre, mit welcher ich mir vier oder fünf Tage geschmeichelt, zu vergessen, und das mußte mir leicht werden, da meine Eigenliebe nicht verletzt war; aber ich war verliebt, und der Gegenstand meiner Liebe konnte die Leidenschaft, welche er hervorgerufen hatte, nicht stillen. Die Liebe ist nicht wie eine Ware, welche man wünscht und welche man durch eine mehr oder weniger ähnliche ersetzt, wenn man die begehrte nicht erhalten kann. Die Liebe ist ein sympathetisches Gefühl oder Laune, und nur der Gegenstand, welcher sie einflößt, kann sie löschen oder heller anschüren. Wir besuchten meine Tochter, der Herzog in seiner gewöhnlichen Haltung, ich aber bleich, niedergeschlagen, abgespannt, und wie ein Schüler, welcher die Rute bekommen soll. Ich war nicht wenig überrascht, als ich die Mutter und Tochter in heiterer Stimmung fand, und diese erleichterte meine vollständige Heilung. Leonilda fiel mir um den Hals, nannte mich ihren teuren Papa und umarmte mich mit der ganzen Hingebung einer Tochter. Donna Lucrezia reichte mir die Hand und nannte mich ihren teuren Freund. Ich blicke sie an und kann nicht umhin, mir zu gestehen, daß die achtzehn verflossenen Jahre ihren Reizen keinen Eintrag getan haben. Es war dieselbe Lebendigkeit der Blicke, dieselbe Frische der Gesichtsfarbe, dieselbe Vollendung der Formen, dieselbe Schönheit der Lippen, überhaupt alles, was mich in meiner Jugend entzückt hatte. Wir führten eine stumme Szene auf, indem wir uns mit Liebkosungen überschütteten. Leonilda gab und empfing die zärtlichsten Küsse, ohne, wie es schien, an die Empfindungen zu denken, die sie einflößen könnten; sie wußte wahrscheinlich, daß die Eigenschaft als Vater mir Kraft zum Widerstand geben würde, und sie hatte recht. Man gewöhnt sich an alles, und die Scham verscheuchte meine Traurigkeit. Wir erinnerten uns der Nacht von Tivoli, und diese Erinnerung rührte uns. Von der Rührung zur Liebe ist der Weg nicht lang, aber wir waren an keinem günstigen Orte, und wir taten so, als ob wir nicht daran dächten. Nach einem augenblicklichen Schweigen, welches nötig war, um die Sinne zu beruhigen, sagte ich zu ihr, wenn sie mit mir nach Rom gehen wolle, um ihre Schwester Angelica zu besuchen, so wolle ich mich verpflichten, sie im Beginne der Fastenzeit nach Neapel zurückzubringen. Sie versprach mir für den folgenden Tag eine Antwort. Da ich während des Mittagessens zwischen ihr und Leonilda saß und an meine Tochter nicht mehr denken durfte, so war es wohl natürlich, daß meine alte Glut für Lucrezia sich wieder entzündete, und mochte nun ihre Heiterkeit, ihre Liebenswürdigkeit und Schönheit oder mein Bedürfnis zu lieben und die vortrefflichsten Weine die Veranlassung sein, genug, ich schlug ihr vor, an die Stelle ihrer Tochter zu treten. »Ich heirate dich,« sagte ich zu ihr, »und am Montag reisen wir alle drei ab, denn da Leonilda meine Tochter ist, will ich sie nicht in Neapel lassen.« Bei diesen Worten blickten sich die drei Gäste an, und keiner sagte ein Wort. Ich wiederholte meinen Vorschlag nicht und sprach von etwas anderem. Da ich mich nach Tisch schläfrig fühlte, so warf ich mich auf ein Bett; ich erwachte erst gegen acht Uhr und erblickte zu meiner Verwunderung nur Lucrezia, welche mit Schreiben beschäftigt war. Als sie sah, daß ich mich bewegte, näherte sie sich mir mit freundlichem Wesen und sagte: »Teurer Freund, du hast fünf Stunden geschlafen, und um dich nicht allein zu lassen, habe ich es abgelehnt, den Herzog und unser liebes Kind in die Oper zu begleiten.« Die Erinnerung an frühere Zärtlichkeit erwacht wieder, wenn man sich bei dem Gegenstande befindet, der sie hervorgerufen, und die Begierden werden unwiderstehlich, wenn die Illusion nicht durch Abwesenheit von Reizen aufgehoben wird. Ist auf beiden Seiten die Erinnerung gleich, so kommt der eine dem andern entgegen. Es kommt uns dann so vor, als setzten wir uns in den Besitz eines Gutes, welches uns gehört und welches uns durch grausame Kombinationen entrissen worden ist. In diesem Falle befanden wir uns, und ohne Einleitungen, ohne leere Redensarten und besonders ohne falsche Angriffe, bei denen der eine notwendigerweise seine Begierde verleugnet, überließen wir uns dem wahren, dem einzigen Urheber der Natur, der Liebe. Im ersten Zwischenakt brach ich zuerst das Schweigen, und wenn der Mensch einen zum Scherzen geneigten Charakter hat, wie sollte er diesen wohl nicht in der köstlichen Pause zeigen, welche auf einen Sieg der Liebe folgt? »Da bin ich also wiederum«, sagte ich, »in dem reizenden Lande, in welches ich zum ersten Male unter dem Gerassel der Trommeln und dem Donner der Flinten eingedrungen bin!« Dieser witzige Einfall brachte sie zum Lachen und frischte ihr Gedächtnis auf. Wir erinnerten uns mit Entzücken unserer Begegnisse in Testaccio, Frascati, Tivoli. Wir stellten diese Musterung nur des Lachens wegen an, aber wenn zwei Liebende allein miteinander sind, was sind dann wohl die Veranlassungen zum Lachen anders als ein Vorwand, das reizende Opfer des Liebesgottes zu erneuern? Am Schlusse des zweiten Aktes sagte ich in dem Enthusiasmus glücklicher Liebe: »Gehören wir einander für das Leben an; wir haben dasselbe Alter; wir lieben uns, unser Vermögen ist ausreichend, wir dürfen hoffen, glücklich zu leben und miteinander zu sterben.« »Das ist der teuerste Wunsch meines Herzens,« antwortete Lucrezia; »aber bleiben wir in Neapel und lassen wir Leonilda dem Herzoge. Wir wollen in Gemeinschaft leben und einen ihrer würdigen Gatten für sie suchen; unser Glück wird dann vollständig sein.« »Ich kann mich nicht in Neapel niederlassen, teure Freundin, und du weißt, daß deine Tochter bereit war, mit mir zu reisen.« »Meine Tochter? Sage doch unsere Tochter. Ich sehe, daß du nicht gern ihr Vater sein mögtest; du liebst sie.« »Leider, ja; Ich bin überzeugt, daß meine Leidenschaft schweigen wird, solange ich mit dir lebe; aber ich kann für nichts einstehen, wenn du nicht da bist. Ich würde mich dann genötigt sehen, zu fliehen, aber die Flucht ist nicht das Glück. Leonilda ist reizend, und ihr Geist ist für mich noch verführerischer als ihre Schönheit. Da ich sicher war, daß sie mich liebte, habe ich sie nicht zu verführen gesucht, um ihr nicht verdächtig zu werden, denn durch Angriffe auf sie hätte ich ihre Zärtlichkeit schwächen können, und da ich sie glücklich zu machen wünschte, wollte ich ihre Achtung erwerben und ihr Schamgefühl schonen. Ich wollte sie besitzen, aber auf rechtmäßige Weise und so, daß unsere Rechte gleich wären. Wir haben einen Engel ins Leben gesetzt, teure Lucrezia, und ich begreife nicht – –« »Der Herzog, mein Freund, ist völlig unfähig. Begreifst du jetzt, wie ich ihm meine Tochter habe anvertrauen können.« »Wie? Unfähig! Ich habe es wie alle andern geglaubt, aber er hat doch einen Sohn.« »Seine Frau könnte dich darüber eines Besseren belehren, aber glaube nur, daß der arme Herzog als Jungfer sterben wird, und er weiß das besser als irgend jemand.« »Sprechen wir nicht mehr davon und erlaube mir, dich wie in Tivoli zu behandeln.« »Nicht jetzt, ich höre einen Wagen.« In demselben Augenblick öffnet sich die Tür und Leonilda bricht in lautes Lachen aus, als sie mich in den Armen ihrer Mutter sieht, und wirft sich auf uns, indem sie uns mit Küssen überschüttet. Der Herzog kam einen Augenblick später, und wir speisten auf eine sehr heitere Weise zu Abend. Er fand, daß er der Glücklichste der Sterblichen sei, als ich ihm sagte, ich würde mit meiner Frau und meiner Tochter die Nacht in allen Ehren verleben; er hatte recht, denn ich war es in diesem Augenblicke wirklich. Nach dem Weggang dieses braven Mannes legten wir uns zu Bett; aber hier muß ich über die wollüstigste Nacht meines Lebens einen Schleier breiten. Wenn ich alles sagen wollte, würde ich Ohren, die sich gern für keusch halten, verletzen, auch hat die Palette nicht Farben, die Poesie nicht Wendungen genug, um würdig die Szene zu schildern, welche während dieser Nacht des Wahnsinns, der Wollust, der Ausgelassenheit und der Zurückhaltung das schwache Licht zweier Kerzen beleuchtete, die auf einem Gueridon brannten, wie die von frommer Hand angezündete Kerze vor einem Heiligenbilde. Wir verließen den Schauplatz, den ich mit meinem Blute befeuchtet hatte, erst lange nachdem ihn die Sonne beleuchtet. Wir waren kaum angekleidet, als der Herzog erschien. Leonilda schilderte ihm unsere nächtlichen Arbeiten, aber bei seiner traurigen Kraftlosigkeit mußte er sich freuen, nicht dabei gewesen zu sein. Da ich entschlossen war, am folgenden Tage abzureisen, um die letzten acht Tage des Karnevals in Rom zu verleben, so bat ich den Herzog um die Erlaubnis, Leonilda ein Geschenk von fünftausend Dukaten weihen zu dürfen, die ich ihr als Witwengeld ausgesetzt haben würde, wenn ich sie geheiratet hätte. »Da sie deine Tochter ist,« sagte der Herzog, »so kann sie um so eher dieses Geschenk annehmen, wäre es auch nur als Ausstattung.« »Tust du mir den Gefallen, es anzunehmen, teure Leonilda?« »Ja, lieber Papa,« sagte sie zu mir, indem sie mich zärtlich umarmte, »aber unter der Bedingung, daß du wieder nach Neapel zum Besuche kommst, wenn du meine Verheiratung erfährst,« Ich versprach es ihr und hielt Wort. »Da du morgen abreisen willst, teurer Freund,« sagte der Herzog, »will ich dir nebst dem neapolitanischen Adel ein Abendessen veranstalten.« Er ging weg, und ich speiste mit meiner Frau und Tochter in der heitersten Stimmung zu Mittag. Ich blieb fast den ganzen Nachmittag bei meiner teuren Leonilda und hielt mich in den Grenzen väterlicher Zärtlichkeit, vielleicht nicht so sehr aus sittlicher Achtung als infolge meiner nächtlichen Arbeiten. Wir umarmten uns erst, als wir uns trennten, und Mutter und Tochter bewiesen mir, wie schmerzhaft ihnen meine Abreise sei. Nachdem ich eine höchst sorgfältige Toilette gemacht, begab ich mich zum Abendessen, wo ich gegen hundert Personen beiderlei Geschlechts aus den höchsten Ständen fand. Nachdem ich gegen den Hof des Herzogs den Großmütigen gespielt, geleitete dieser vornehme Herr, den das Glück so gut, aber die Natur, die ihn der süßesten Genüsse beraubte, so schlecht behandelt hatte, mich bis an meinen Wagen, und ich reiste ab.


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