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Zum Geleit:

Drei Mythen gebar das christkatholische Europa, in drei grundverschiedenen Formen schwebte ihm das Bild des Mannes vor: in dem germanischen Faust, dem romanischen Don Juan und dem jüdischen Ahasver. Und es ist seltsam genug, daß der Mann, der der letzte große Lebenskünstler der alten Zeit war, alle drei Typen in sich vereinte: Casanova.

Rastlos war er, wie der ewige Jude. Trieb sich am Bosporus herum wie am Lido, war bei Kaiser Joseph zu Gast wie bei dem großen Friedrich und bei Katharina ›dem‹ Großen, fühlte sich ebenso zu Hause in Holland wie in der Schweiz, in Frankreich wie in Italien und Spanien. Überall hochwillkommen und hochgeehrt und überall zuletzt in irgendeinen Skandal verwickelt und weggejagt: wie Benvenuto Cellini, wie Austin de Bordeaux. Aber von des Florentiners Wirken zeugt sein Perseus, zeugt manches andere intime Kunstwerk; und des genialen Gascogners wildes Leben krönte die Tadj-Mahal, der wundervollste Traum in dem Wunderlande Indien und das herrlichste Werk, das je eines Künstlers Hirn entsprang. Casanova hinterließ kein Werk, das ihm in alle Zukunft bezeugen konnte: dieser Mann hatte ein Recht, anders zu Leben wie die Menge. Hinterließ nichts als – – eben die Geschichte dieses Lebens selbst. Und die Mucker, die immer wieder und in allen Ländern diese Geschichte auf den Index ihrer kleinen Moral setzten, würden recht haben, wenn eben nicht dies Leben in sich ein so vollendetes Kunstwerk gewesen wäre, und dazu eines, in dem sich eine ganze Zeit spiegelte.

Nur der Casanova, der ein Ahasver war, der ruhelos durch die Welt seiner Zeit zog und am letzten Ende nur rastete, um – am Schreibtische – noch einmal die verschlungenen Wege seines wilden Lebens zu durchwandern, konnte ein solcher Brennspiegel werden. Aber auch nur der Casanova, der zu gleicher Zeit ein Faust war und ein Don Juan.

Ein Faust war er. War ein Mensch, dem nichts entging, was dem menschlichen Geist von Interesse sein kann. Theologie, Juristerei und Medizin hatte er ebenso studiert wie Philosophie, und wenn man auch das ›heiße Bemühen‹ ihm dabei gewiß nicht recht glauben will, so bleibt doch bestehen, daß er sich um alle diese und sehr viele andere Dinge, wenn nicht als ein großer Gelehrter, so doch als ein grundgescheiter Dilettant und oft als ein Fachmann eifrig kümmerte. Er war Offizier und Diplomat, Theologe und Jurist, dann wieder Schauspieler und Violinvirtuose. Er war Dichter und Wunderdoktor, Politiker und Bibliophile, Kunstkenner und Altertumsforscher. Er sprach alle europäischen Sprachen, kannte die Systeme aller Philosophen und hat sich selbst sein eigenes zurechtgemacht. Er war Mathematiker, dazu Alchimist und Chemiker und natürlich auch Astrolog, Schatzgräber, Goldmacher und Schwindeldoktor. Und in allem und überall suchte er auf den Ursprung der Dinge zu kommen.

Freilich schürfte er nirgends sehr tief, nahm wenig oder nichts ernst. Ging heran an alles mit heißem Blute und klarem Blicke – warf es dann weg, wenn sich irgendein größerer Widerstand ihm in den Weg stellte oder wenn ein schönes Frauenauge ihn ablockte.

Denn er war auch – und mehr als alles andere – Don Juan Tenorio, war es als Kind seiner Zeit sowohl wie als Kind seiner eigenen Natur.

Das Mittelalter hatte aus der Liebe eine Religion gemacht, das Rokoko machte ein Spiel daraus. Und dieses oft frivole, oft genug tragische Spiel der Liebe hat nie wieder ein anderer Mensch zu solcher Kunst erhoben wie Giacomo Casanova. Was noch roh ist und ungeschliffen bei Benvenuto, dem ungestümen Kraftmenschen der Renaissance, wird bei ihm geistvoll, durchdacht. Jedes kleine Liebesabenteuer Casanovas ist in sich eine Probe seiner Lebenskunst. Wenn man Casanovas Erinnerungen liest und dann die Briefe der Pfalzgräfin Liselotte, so glaubt man, in zwei Welten zu blicken, die durch unendliche Zeit voneinander getrennt sind – und doch sind die beiden kaum zwei Menschenalter voneinander entfernt. Liselotte, die Schwägerin des vierzehnten und die Mutter des fünfzehnten Ludwig, lebte am ersten Hofe der Welt, galt dazu als eine der gescheitesten und mutterwitzigsten Frauen ihrer Zeit. Casanova aber war der Sohn einer verachteten Schauspielerin und der Enkel eines Schusters, begann in den niedrigsten Tiefen des Lebens. Und dennoch ist er der große Weltmann, ist die berühmte Fürstin eine manchmal amüsante, aber doch recht plumpe und brutale Bäuerin neben ihm. Bei beiden spürt man, daß das, was sie erzählen, durchaus der Wahrheit entspricht und nicht, wie bei dem manchmal etwas färbenden Cellini, der hier ein bißchen mehr, dort etwas weniger berichtet als gerade stimmt, geschrieben wurde: ad majorem autoris gloriam. Die Herzogin von Orleans erlebt alles – und was konnte man nicht erleben am Hofe des Sonnenkönigs! – wie eine kräftige Landdirne, die keine Nerven, die Eisendrähte im Leibe hat; erlebt fast wie ein Tier oder ein Phonograph. Unglaublich naiv, selbstverständlich und derb, mißt sie, was auch um sie her geschieht, nach ihrem Maße: zieht es hinab auf ihr Niveau, manchmal ins Lustige und Komische, stets aber ins sehr Bürgerliche und Kleinliche. Casanova dagegen erlebt Novellen und Geschichten, erlebt ein Kapitel und eine Episode nach der andern: schon in seinem Erleben selbst liegt die Kunst. Darum sind seine Memoiren so ungeheuer anziehend, darum wurden sie, selbst ehe noch Brockhaus vor bald einem Jahrhundert das Manuskript herausgab, ein Leckerbissen für die wenigen Künstler und Weltleute, denen das berühmte Leipziger Haus Einsicht darin gestattete. Vom Fürsten von Ligne, dem großen Mäzen aller abenteuernden Lebemänner seiner Zeit, angefangen, bis zu dem pedantischen Hebbel mit seinem allzu bürgerlichen Horizont, erkannte jeder Intellektuelle die überragende Bedeutung dieser Lebenserinnerungen an, tat das um so offener und kräftiger, je mehr immer wieder pfäffische Einflüsse die Bände zu unterdrücken suchten.

In dem ersten Kapitel seiner Erinnerungen erzählt Casanova lang und breit von dem Stammbaum seiner Familie, die aus Spanien stamme und dann nach Venedig kam. Er kennt eine ganze Reihe seiner Vorfahren genau, und sie sind alle gut katholisch, spanische und italienische Christen. Ich aber glaube kein Wort davon. Ich meine vielmehr: in den Adern dieses Mannes rollte in guter Mischung alles Blut, das die Kultur Europas schuf, germanisches, romanisches und jüdisches. Und so ward in ihm der große ›Europäer‹, der Weltmann, der ein rastloser Ahasver war, ein wahrheitssuchender Faust und – vor allem – ein Leben und Liebe schenkender und trinkender Don Juan. Don Juan freilich ist die stärkste Seite in des großen Abenteurers Wesen. Und darum mußte diese gekürzte Ausgabe seiner Erinnerungen sich hauptsächlich mit diesem Casanova beschäftigen. Eine literarisch-amüsante, künstlerisch geschmückte Auslese von Casanovas galanten Abenteuern besteht bis jetzt in deutscher Sprache noch nicht; alle bisherigen Ausgaben der ›Erinnerungen‹, die Anspruch auf literarische Bedeutung haben – so vor allem die vierzehn, bändige ausgezeichnete des Georg Müllerschen Verlags in München –, sind »vollständig«, aber für viele Tausende unerschwinglich. Von dem überflüssigen Ballast historischer Details ist die vorliegende Ausgabe befreit worden, die genußreicher Unterhaltung dienen soll. Dabei ist aber nicht etwa beabsichtigt, Casanova als reinen Erotiker hinzustellen: er zeigt sich hier als der wahrheitsliebende und schönheitsdurstige Sittenschilderer eines Zeitalters, dessen Esprit in ihm seinen glänzendsten Interpreten fanden.

Die Bilder des Marquis von Bayros scheinen mir am besten geeignet, dem Geiste des lebensfrohen Venetianers gerecht zu werden.

Miramar, im Juni 1911.
Hanns Heinz Ewers.

* * *

Zum 35. Tausend:

Wenn empfindsame Geister jemals daran zweifelten, daß der liebenswürdige Abenteurer auch ein wahrhafter Dichter gewesen ist, daß seine kunstreichen Liebesränke mehr waren als öde Erotik, so hat sie der Erfolg dieser Ausgabe glänzend wiederlegt. Immer neue Auflagen knüpfen das Band zum Leserkreise enger. Wenn ich heute das 35. Tausend der Öffentlichkeit übergebe, so freue ich mich, damit einem Werke von wahrhaft künstlerischem und kulturellem Wert weitere Verbreitung zu schaffen. Dies um so mehr, als mir gar manches Urteil bestätigt, daß Schundausgaben, die das Bild des großen Lebenskünstlers verzerren, dadurch verdrängt werden.

Berlin, im Frühjahr 1916.
Der Verleger.


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