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Annita und Marietta

Wenige Tage nach meiner Rückkehr nach Venedig schwärmte ich wieder um Angela, mit welcher ich so weit zu kommen hoffte, wie mit Lucia. Ihre beiden Freundinnen, mit denen zusammen sie die Sticklehrerin besuchte, waren in all ihre Geheimnisse eingeweiht, und da sie die Strenge Angelas tadelten, klagte ich ihnen mein Leid und offenbarte ihnen das verzehrende Feuer meiner Liebe, was ich in Angelas Gegenwart nicht zu tun wagte. Wahre Liebe flößt immer Zurückhaltung ein; man fürchtet, übertrieben zu erscheinen, wenn man alles sagt, der bescheidene Liebhaber sagt aus Furcht, zu viel zu sagen, oft zu wenig. Die Sticklehrerin, eine alte Frömmlerin, machte den Onkel Angelas auf meine Besuche aufmerksam, so daß mir der eines Tages bedeutete, diese könnten dem Rufe seiner Nichte schaden. Das traf mich wie ein Donnerschlag. Aber die Freundinnen wußten meiner Liebe Rat. Sie waren Waisen und lebten im Hause ihrer Tante, Madame Orio, welche zwar aus gutem Hause stammte, aber nicht besonders reich war. Diese Dame wünschte nun in die Liste der adligen Damen eingetragen zu werden, welche sich um die Gnadenbewilligungen der Brüderschaft des heiligen Sakramentes bewarben. Da Angela, welche jeden Sonntag bei Madame Orio zu Besuch weilte, nun der Dame mitteilte, ich unterhielte die besten Beziehungen mit dem Präsidenten, Herrn von Malpiero, glaubte Madame Orio nichts gefährliches darin zu sehen, wenn sie mich in ihr Haus einlud, trotz meiner Liebe zu einer ihrer Nichten, was Angela ihr eingeredet hatte. Ich wurde also mit Madame Orio und ihrem alten Freunde, dem Prokurator Rosa, bekannt. Mit Hilfe der Therese Imer erlangte ich von meinem Gönner Genehmigung des Gesuchs der Madame Orio, und als ich damit ins Haus trete, übergibt mir Annita ein Billett mit der Bitte, ich möchte es noch lesen, bevor ich das Haus verließe. Nachdem mir Madame ihren Dank durch Gewährung zweier Küsse abgestattet – sie erlaubte sich dies, da man nichts einwenden könnte: sei sie doch dreißig Jahre älter als ich, sie hätte ruhig fünfundvierzig sagen können – suchte ich einen geheimen Ort auf, um das Briefchen zu lesen. Da hieß es: ›Meine Tante wird Sie zum Essen einladen; nehmen Sie die Einladung nicht an. Entfernen Sie sich, wenn wir uns zu Tische setzen, und Marietta wird Ihnen bis zur Straßentür leuchten; aber gehen Sie nicht aus dem Hause. Wenn die Türe wieder geschlossen ist und man Sie weggegangen glaubt, so schleichen Sie sich leise bis zum dritten Stockwerk hinauf, wo Sie uns erwarten. Wir kommen, sobald Herr Rosa weggegangen und unsre Tante sich zu Bette gelegt hat. Es wird nun von Angela abhängen, Ihnen während der Nacht ein Tete-a-tete zu bewilligen, zu welchem ich Ihnen Glück wünsche.‹ Welche Freude! Als ich in den Salon zurückgekehrt war, sagte Madame Orio, nachdem sie mir nochmals gedankt, ich würde mich in Zukunft aller Rechte eines Hausfreundes zu erfreuen haben. Als die Zeit des Abendessens gekommen war, wußte ich so gute Entschuldigungen vorzubringen, daß Madame Orio sie gelten lassen mußte. Marietta nahm nun das Licht, um zu leuchten; da aber die Tante Annita für die von mir Begünstigte hielt, so gab sie dieser so gebieterisch den Befehl, daß sie gehorchen mußte. Diese steigt rasch die Treppe hinunter, öffnet die Tür, welche sie mit Geräusch wieder zuschlägt, löscht das Licht aus und geht wieder hinauf, mich in der Dunkelheit zurücklassend. Ich steige leise hinauf bis ins dritte Stockwerk, trete in das Zimmer der Damen, setze mich auf ein Sofa und erwarte die glückliche Schäferstunde. Ich saß hier ungefähr eine Stunde, versunken in die süßesten Träumereien; endlich höre ich die Straßentüre öffnen und wieder schließen, und einige Minuten nachher sehe ich die beiden Schwestern und Angela eintreten. Ich ziehe sie an mich und nur sie sehend, spreche ich zwei volle Stunden mit ihr. Es schlägt Mitternacht: man bedauert mich, daß ich nicht zu Abend gegessen, aber ihr Mitleid verletzt mich und ich antworte, daß ich mich im Schoße des Glücks durch kein Bedürfnis beunruhigt fühlen könne. Man antwortet mir, ich sei Gefangener, da der Schlüssel zur Haustür sich unter dem Kopfkissen der Tante befinde, welche nicht eher öffne, als bis sie zur ersten Messe gehe. Ich bezeigte ihnen mein Erstaunen darüber, daß sie glauben könnten, ich hielte diese Nachricht für eine schlechte; ich freue mich vielmehr, daß ich fünf Stunden vor mir habe, die ich mit meiner Angebeteten zubringen dürfe. Eine Stunde später fing Annita an zu lachen; Angela wollte den Grund wissen, und nachdem ihr diese ihn ins Ohr gesagt, fing auch Marietta an zu lachen. Gereizt darüber wollte ich nun auch die Veranlassung ihrer Heiterkeit erfahren, und Annita, welche eine betrübte Miene annahm, machte die Mitteilung, daß sie weiter kein Licht hätten und daß wir in einigen Augenblicken im Dunkel sitzen würden. Diese Nachricht erfüllte mich mit Freude; aber ich ließ sie nicht merken und sagte, es täte mir um ihretwillen leid. Ich machte ihnen nun den Vorschlag, sich zu Bette zu legen und ruhig zu schlafen, da sie auf meine Bescheidenheit rechnen dürften. Dieser Vorschlag brachte sie zum Lachen. »Was werden wir im Dunkeln anfangen?« »Wir werden plaudern.« Wir waren unserer vier; schon drei Stunden lang sprachen wir und ich war der Held des Stücks; die Liebe ist ein großer Dichter; ihr Stoff ist unerschöpflich, aber wenn das Ziel, nach welchem sie strebt, nie erreicht wird, so ermüdet und verstummt sie. Meine Angela hörte zu; da sie aber nicht sehr gesprächig war, so antwortete sie nur selten und zeigte viel mehr gesunden Menschenverstand als Geist. Um meine Gründe zu bekämpfen, tat sie oft weiter nichts, als mir ein Sprichwort, gewissermaßen wie mit einem Katapult, zuzuschleudern. Entweder wich sie zurück, oder stieß mit der unangenehmsten Sanftmut meine armen Hände zurück, wenn der Liebesgott sie mir zu Hilfe rief. Nichtsdestoweniger fuhr ich fort zu sprechen und zu gestikulieren, ohne den Mut zu verlieren; aber ich geriet in Verzweiflung, wenn ich sah, daß meine so fein gesponnenen Gründe sie betäubten, anstatt sie zu überzeugen und anstatt ihr Herz zu rühren, es nur erschütterten. Andrerseits war ich höchst erstaunt, auf dem Gesicht der beiden Schwestern die Wirkung der Pfeile, welche ich gegen Angela abschleuderte, wahrzunehmen. Meine Lage war der Art, daß ich trotz der Jahreszeit dicke Tropfen schwitzte. Da endlich das Licht zu verlöschen drohte, so stand Annita auf und trug es fort. Sobald es dunkel geworden, streckte ich natürlich meine Arme aus, um den Gegenstand, der für meine damalige Stimmung ein Bedürfnis war, zu erfassen, da ich aber nichts fand, so fing ich an darüber zu lachen, daß Angela noch die Gelegenheit benutzt hatte, um sich in Sicherheit zu bringen. Eine ganze Stunde lang sagte ich ihr das Heiterste und Zärtlichste, was die Liebe nur eingeben konnte, um sie zur Rückkehr an ihren früheren Platz zu bewegen. Ich konnte ihr Benehmen unmöglich für etwas anderes als einen Scherz halten. Endlich fing ich denn doch an ungeduldig zu werden. »Dieser Spaß«, sagte ich, »dauert zu lange, er ist unnatürlich, da ich Ihnen nicht nachlaufen kann, und ich wundere mich, daß Sie lachen, denn bei einem so seltsamen Benehmen kann ich nur annehmen, daß Sie sich über mich lustig machen. Setzen Sie sich also, und da ich mit Ihnen sprechen muß, ohne Sie zu sehen, so sollen mich meine Hände wenigstens überzeugen, daß ich nicht in die Luft spreche.« »Beruhigen Sie sich nur: ich höre jedes Wort, was Sie sagen, aber Sie müssen doch einsehen, daß ich in dieser Dunkelheit anständigerweise nicht neben Ihnen sitzen kann.« »Sie wollen also, daß ich bis Tagesanbruch hier sitzen bleiben soll?« »Legen Sie sich aufs Bett und schlafen Sie.« »Ich bewundere Sie, daß Sie dies für möglich und für vereinbar mit meinem Feuer halten: doch wohlan, ich will mir einbilden, daß wir Blindekuh spielen.« Und nun aufstehend, tappte ich auf und ab, aber vergeblich. Wenn ich jemand faßte, so war es immer Annita oder Marietta, die sich aus Eigenliebe augenblicklich nannten und ich törichter Don Quixote ließ sie augenblicklich los. Die Liebe und das Vorurteil hinderten mich einzusehen, wie lächerlich diese Schonung war. Ich hatte die Anekdoten Ludwigs des Achten, Königs von Frankreich, noch nicht gelesen; aber ich hatte Boccaccio gelesen. Ich fuhr fort, ihr nachzujagen, machte ihr Vorwürfe und stellte ihr vor, daß sie sich am Ende doch werde finden lassen müssen; worauf sie erwiderte, daß es ihr ebenso schwer werde, mich zu finden. Das Zimmer war nicht groß, und ich war wütend, daß ich sie nicht ertappen konnte. Weniger ermüdet als gelangweilt setzte ich mich und plauderte eine Stunde mit Annita. Dann hatte ich immer noch eine Stunde vor mir, und wir durften nicht bis zum Tage warten, da Madame Orio lieber gestorben sein würde, ehe sie die Messe versäumt hätte. Ich brachte also diese letzte Stunde im Zwiegespräch mit Angela zu, um sie zu überreden und sodann sie zu überzeugen, daß sie sich neben mich setzen solle. Meine Seele geriet förmlich in Glühhitze. Nachdem ich die überzeugendsten Gründe erschöpft, ging ich zu Bitten und endlich zu Tränen über; da ich aber sah, daß alles vergeblich, so gab ich mich jenem edlen Unwillen hin, welcher den Zorn adelt. Ich hätte mich entschließen können, das stolze Ungeheuer zu schlagen, welches mich fünf Stunden lang die grausamsten Qualen hatte ausstehen lassen, wenn ich mich nicht in der Dunkelheit befunden hätte. Ich sagte ihr alle Schmähungen, welche verschmähte Liebe einem erbitterten Sinne eingeben kann. Ich überhäufte sie mit wütenden Verwünschungen, ich schwur ihr, daß alle meine Liebe sich in Haß verwandelt, und sagte ihr endlich, sie möge sich vor mir hüten, denn ich würde sie töten, sobald sie sich meinen Augen zeige. Meine Schmähungen hörten mit der Dunkelheit auf. Beim Schimmer der ersten Lichtstrahlen und beim Geräusche des großen Schlüssels und des Riegels, als Madame Orio die Tür öffnete, um ihrer Seele die Ruhe, deren sie täglich bedurfte, zu verschaffen, rüstete ich mich zur Abreise und nahm meinen Mantel und Hut. Wie soll ich die Bestürzung schildern, welche sich meiner Seele bemächtigte, als ich meinen Blick auf die drei jungen Personen fallen ließ und sie in Tränen zerfließen sah! In meiner Scham und Verzweiflung fühlte ich einen Augenblick Lust, mich zu vernichten, und mich von neuem setzend, dachte ich über meine Roheit nach und warf mir vor, daß ich diese drei reizenden Personen zu Tränen gebracht. Es war mir unmöglich ein Wort hervorzubringen, mein Gefühl erstickte mich; die Tränen kamen mir zu Hilfe, und ich überließ mich ihnen mit Wollust. Da Annita mir gesagt hatte, daß ihre Tante bald zurückkehren werde, trocknete ich meine Augen, und ohne sie anzusehen, ohne etwas zu sagen, machte ich mich davon und legte mich ins Bett, jedoch ohne schlafen zu können. Ich ging eine Zeitlang nicht mehr zu Madame Orio, bis mich ein Billett von ihr wieder einlud. Um Angela nicht dort zu treffen, ging ich noch am selben Abend hin, und die beiden liebenswürdigen Schwestern verscheuchten durch ihre Heiterkeit die Scham, welche ich darüber empfand, daß ich erst nach zwei Monaten vor ihnen erschien. Als ich mich entfernte, steckte mir Annita einen Brief zu, in welchem folgendes Billett von Angela enthalten war: ›Wenn Sie den Mut haben, noch eine Nacht bei mir zuzubringen, so sollen Sie sich nicht mehr beklagen, denn ich liebe Sie und ich wünsche, aus Ihrem Munde zu hören, ob Sie noch ferner mich geliebt haben würden, wenn ich darein gewilligt hätte, mich verächtlich zu machen.‹ Annitas Brief aber hatte allein Geist, er lautete: ›Angela ist über Ihren Verlust in Verzweiflung. Die Nacht welche Sie bei uns zugebracht, war grausam, ich gebe es zu; aber, wie es mir scheint, dürfen Sie deshalb nicht den Beschluß fassen, auch Madame Orio nicht mehr zu besuchen. Ich rate Ihnen, wenn Sie Angela lieben, noch einmal eine Nacht die Probe zu machen. Sie wird sich rechtfertigen und Sie werden zufrieden weggehen. Kommen Sie also. Leben Sie wohl.‹ Diese beiden Briefe machten mir Vergnügen, denn ich sah das Glück, mich an Angela durch die kälteste Verachtung zu rächen. Ich begab mich also am ersten Festtage mit zwei Flaschen Cyperwein und einer geräucherten Zunge zu den Damen; aber ich war sehr erstaunt, meine Grausame nicht zu finden. Annita, welche das Gespräch auf sie brachte, meldete, Angela habe ihr in der Kirche gesagt, daß sie erst zur Zeit des Abendessens kommen könne. Hierauf rechnete ich, und ehe sie sich zu Tische setzten, entfernte ich mich wie das erstemal und begab mich nach dem verabredeten Orte. Ich sehnte mich danach, die Rolle zu spielen, welche ich mir ausgesonnen, denn ich war überzeugt, wenn Angela sich auch zu einer Änderung des Systems entschlossen hätte, sie würde mir doch nur leichte Gunstbezeigungen bewilligen, und diese wollte ich nicht mehr; mich beherrschte nur noch ein heftiger Rachedurst. Dreiviertel Stunden später hörte ich die Haustür schließen, und bald sah ich Annita und Marietta vor mir erscheinen. »Wo ist denn Angela?« fragte ich. »Sie konnte wohl weder kommen, noch es uns sagen lassen.« »Sie glaubt mich gefangen zu haben, und in der Tat erwartete ich dies nicht. Übrigens kennen Sie sie jetzt. Sie macht sich über mich lustig; sie triumphiert. Sie hat Sie benutzt, um mich in die Schlinge zu locken, und sie mag sich dessen freuen; denn wenn sie gekommen wäre, würde ich mich über sie lustig gemacht haben.« »Oh, was das betrifft, so erlauben sie mir zu zweifeln.« »Zweifeln Sie nicht, schöne Annita, und die angenehme Nacht, welche wir ohne sie zubringen werden, wird Ihnen den Beweis geben.« »Als Mann von Geist wollen Sie sich in die Umstände schicken; aber Sie werden hier schlafen und wir auf dem Kanapee im andern Zimmer.« In einem reizenden Zwiegespräche wußte ich sie zu bestimmen, daß sie mein Abendbrot, das ich mitgebracht, teilten. Sie brachten drei Kuverts, holten Brot, Parmesan-Käse und Wasser, lachten dazu und wir machten uns sodann ans Werk. Der Cyperwein, an welchen sie nicht gewöhnt waren, stieg ihnen zu Kopfe, und ihre Heiterkeit wurde köstlich. Als ich sie so sah, wunderte ich mich, daß ich ihre Vorzüge nicht früher erkannt. Nach unserm kleinen Abendessen, welches ganz köstlich war, setzte ich mich zwischen beide, und, ihre Hände ergreifend, welche ich an meine Lippen führte, fragte ich sie, ob sie meine wahren Freundinnen wären und ob sie die unwürdige Weise, wie Angela mich behandelt, billigten. Sie antworteten beide, daß ich sie bis zu Tränen gerührt. »Erlauben Sie also,« fuhr ich fort, »daß ich die Zärtlichkeit eines Bruders für Sie habe, und erwidern Sie diese, als ob Sie meine Schwestern wären: geben wir uns in der Unschuld unserer Herzen ein Unterpfand und schwören wir uns ewige Treue.« Der erste Kuß, den ich ihren gab, ging weder aus einer verliebten Empfindung, noch aus dem Wunsche, sie zu verführen, hervor, und auch sie versicherten mir einige Tage später, daß sie ihn nur erwidert hätten, um mich zu überzeugen, daß sie meine ehrbaren brüderlichen Gefühle teilten. Aber diese unschuldigen Küsse wurden bald zur Flamme und entzündeten in uns einen Brand, der uns sehr in Erstaunen setzte, denn wir hielten einige Augenblicke inne und betrachteten uns mit erstaunter und ernster Miene. Beide standen hierauf ohne Affektation auf, und ich blieb mit meinen Gedanken allein. Es war nicht zu verwundern, daß ich mich in diese beiden liebenswürdigen Mädchen sterblich verliebte. Sie waren hübscher als Angela und waren ihr bei weitem überlegen, Annita durch ihren Geist, wie Marietta durch ihren sanften und naiven Charakter. Ich war nicht eitel genug, um zu glauben, sie liebten mich; aber ich konnte annehmen, daß meine Küsse auf sie denselben Eindruck gemacht hatten, wie die ihrigen auf mich, und ich war überzeugt, daß, wenn ich List und feine Künste, deren Wirkung ihnen noch unbekannt sein mußte, anwenden wollte, ich sie zu Gefälligkeiten bewegen würde, die für sie sehr entscheidende Folgen haben konnten. Dieser Gedanke flößte mir Abscheu ein und ich legte mir das strenge Gesetz auf, sie zu schonen, ohne im mindesten daran zu zweifeln, daß ich auch die dazu nötige Kraft haben würde. Als sie wiederkamen, sah ich auf ihren Zügen den Charakter der Sorglosigkeit und der Zufriedenheit ausgeprägt, und ich gab mir rasch dasselbe Aussehen, fest entschlossen, mich nicht mehr der Glut ihrer Küsse auszusetzen. Wir verbrachten eine Stunde, indem wir von Angela sprachen, und ich sagte zu ihnen, ich wäre entschlossen, sie nicht mehr zu sehen. »Sie liebt Sie«, sagte die naive Marietta, »und ich bin davon überzeugt.« Ich fragte, wie sie das wissen könne. »Ich bin dessen ganz sicher«, sagte Marietta, »und bei der brüderlichen Freundschaft, die wir uns versprochen haben, kann ich Ihnen auch wohl sagen weshalb. Wenn Angela bei uns schläft, umarmt sie mich zärtlich und nennt mich ihren lieben Abbé.« Bei diesen Worten fing Annita an zu lachen und legte ihrer Schwester die Hand auf den Mund; aber diese Naivität regte mich so sehr auf, daß es mir äußerst schwer wurde, an mich zu halten. Ich bewahrte meinen Ernst, lobte ihre Aufrichtigkeit und sagte ihnen allerlei hübsche Dinge von ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit und tat allmählich so, als ob ich Lust zum Schlafen bekommen hätte. Annita, welche dies zuerst gewahr wurde, sagte zu mir: »Machen Sie keine Umstände, legen Sie sich ins Bett; wir werden uns ins andere Zimmer auf ein Kanapee legen.« »Ich würde«, antwortete ich, »mich für den gemeinsten Menschen halten, wenn ich dies tun könnte: unterhalten wir uns; die Lust zum Schlafen wird schon wieder vergehen. Legen Sie sich schlafen, und ich, meine teuren Freundinnen, werde ins andere Zimmer gehen. Wenn Sie Furcht vor mir haben, schließen Sie sich ein; aber Sie würden Unrecht tun, denn ich liebe Sie nur mit dem Herzen eines Bruders.« »Das werden wir unter keiner Bedingung tun, sagte Annita; aber lassen Sie sich überreden; schlafen Sie hier.« »Angekleidet kann ich nicht schlafen.« »Entkleiden Sie sich; wir wollen nicht hinsehen.« »Davor habe ich keine Furcht; aber ich könnte nie einschlafen, wenn ich mit ansehen sollte, wie Sie meinetwegen wachen müßten.« »Aber wir«, sagte Marietta, »werden uns auch zu Bette legen, nur angekleidet.« »Dies ist ein Mißtrauen, welches meine Redlichkeit beleidigt. Sagen Sie mir Annita, ob Sie mich für einen ehrlichen Mann halten?« »Ja, sicherlich.« »Sehr wohl; aber Sie müssen mir den Beweis liefern, und deshalb legen Sie sich ganz entkleidet an meine Seite und rechnen Sie auf mein Ehrenwort, Sie nicht zu berühren. Übrigens sind Sie zwei gegen einen. Mit einem Worte, wenn Sie mir dieses Zeichen des Vertrauens nicht wenigstens sobald ich eingeschlafen sein werde geben wollen, so lege ich mich nicht zu Bett.« Damit hörte ich auf zu sprechen und tat so, als ob ich einschliefe. Nachdem sie sich einen Augenblick leise miteinander unterhalten, sagte Marietta zu mir, ich sollte mich zu Bett legen und sie würden mir folgen, so bald sie mich eingeschlafen sähen. Als Annita dies Versprechen bestätigt hatte, drehte ich ihnen den Rücken zu, entkleidete mich und legte mich ins Bett, nachdem ich ihnen eine gute Nacht gewünscht. Sobald ich im Bette, tat ich so, als ob ich schliefe; aber bald schlief ich wirklich ein und erwachte erst wieder, als sie sich ins Bett legten. Ich drehte mich wie zum Wiedereinschlafen um, blieb ruhig liegen, bis ich sie für eingeschlafen halten konnte, und wenn sie es auch nicht waren, so stand es ja doch in ihrer Macht, so zu tun. Sie hatten mir den Rücken zugedreht und das Licht war erloschen; ich überließ mich also dem Zufalle und spendete meine Huldigungen der zur Rechten liegenden, ohne zu wissen, ob es Annita oder Marietta war. Ich fand sie zusammengekauert und eingehüllt in das einzige Kleidungsstück, welches sie bewahrt hatte. Ich übereilte nichts und um ihre Scham zu schonen, brachte ich sie allmählich in die Lage, sich besiegt zu erklären, und sie schien überzeugt, daß sie nichts besseres tun könne, als auch ferner sich schlafend zu stellen. Ebenso tat die zweite Schöne, als ich mich ihr zuwandte. An ihren glühenden Küssen glaubte ich Annita zu erkennen und sagte es ihr. »Ja, ich bin es«, sagte sie »und erkläre mich und meine Schwester für glücklich, wenn Sie redlich und treu sind.« »Bis zum Tode, meine Engel, und da alles, was wir getan, ein Werk der Liebe gewesen, so möge von Angela nie mehr die Rede sein.« Ich bat sie dann aufzustehen und Licht anzuzünden; aber die gefällige Marietta stand sogleich auf und ließ uns allein. Als ich Annita, belebt vom Feuer der Liebe, in meinen Armen liegen und Marietta, welche uns durch ihre Blicke der Undankbarkeit anzuklagen schien, daß wir mit ihr nicht sprächen, während sie sich doch zuerst meinen Liebkosungen ergeben und dadurch ihre Schwester zur Nachahmung ermuntert, mit dem Lichte vor mir stehen sah, da fühlte ich mein ganzes Glück. »Stehen wir auf, meine Freundinnen, sagte ich zu ihnen, und schwören wir uns ewige Freundschaft.« Sobald wir aufgestanden waren, verspeisten wir im Kostüme des goldenen Zeitalters, was von unserm Abendbrote übriggeblieben war. Nachdem wir uns in der Trunkenheit unserer Sinne hunderterlei Sachen gesagt, deren Deutung nur der Liebe zusteht, verging die köstlichste Nacht uns unter gegenseitigen Bezeigungen unserer Glut. Am nächstnächsten Tage stattete ich Madame Orio einen Besuch ab, und da Angela nicht da war, blieb ich zum Abendessen und entfernte mich zu gleicher Zeit mit Herrn Rosa. Während meines Besuches fand Annita Gelegenheit, mir einen Brief und ein kleines Paket zu übergeben. Das Paket enthielt ein Stück Wachs, auf welchem ein Schlüssel abgedrückt war, und der Brief forderte mich auf, den Schlüssel machen zu lassen und alle Nächte, wann ich Lust hätte, bei ihnen zuzubringen. Es wurde mir ferner darin mitgeteilt, daß Angela am folgenden Tage die Nacht bei ihnen geblieben und daß diese bei dem Verhältnisse, worin sie zueinander standen, alles was vorgegangen, erraten, daß sie dies zugestanden und ihr die Schuld beigemessen. Angela habe ihnen hierauf die gröbsten Schmähungen gesagt und ihnen verheißen, nie wieder einen Fuß in ihr Haus zu setzen; ihnen wäre dies aber sehr gleichgültig. Es war gut so, ich verbrachte nun jede Woche eine Nacht bei den reizenden Schwestern und auch später, so oft ich von meinen Reisen nach Venedig zurückkehrte, galt mein Besuch zuerst ihnen.


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