Karel Capek
Krakatit
Karel Capek

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32

Sie hockte wie erstarrt auf dem Strohsack, die Knie bis zum Kinn hochgezogen, die Haare in wirren Strähnen ins Gesicht hängend und die Hände im Nacken verkrampft. Entsetzt über das, was er getan hatte, bog er ihren Kopf zurück, küßte ihre Knie, die Hände, die Haare, stammelte Bitten und Zärtlichkeiten; sie sah und hörte nichts. Sie schien sich bei jeder seiner Berührungen vor Ekel zu schütteln. Angstschweiß stand auf seiner Stirn; er lief zum Wasserhahn und ließ sich den kalten Wässerstrahl über den Kopf fließen.

Sie sprang leise auf und trat zum Spiegel. Er ging auf den Zehenspitzen zu ihr, um sie zu überraschen; da merkte er im Spiegel, wie sie sich mit einem Ausdruck wilden, furchtbaren und verzweifelten Abscheus musterte. Sie erblickte ihn hinter sich und warf sich an seine Brust. »Bin ich nicht häßlich? Findest du mich nicht abstoßend? Was habe ich getan, was habe ich getan?« Sie drückte ihr Gesicht an ihn, als ob sie sich verbergen wollte. »Ich bin töricht. Ich weiß . . . ich weiß, ich habe dich enttäuscht. Aber du darfst mich deshalb nicht verachten.« Ihr Gesicht war das eines bereuenden Mädchens. »Du wirst nicht mehr fliehen, versprich es mir! Ich werde alles tun, was du willst. Lieber, Lieber, laß mich jetzt nicht denken; ich werde wieder unausstehlich, wenn ich zu denken beginne; du ahnst nicht, mit was für Gedanken ich mich trage. Nein, laß mich jetzt nicht –« Ihre Finger liebkosten seinen Nacken; er hob ihren Kopf zu sich und küßte sie. Ihre Wangen röteten sich, sie wurde schön. »Bin ich nicht häßlich?« fragte sie, glücklich und benommen, zwischen den Küssen. »Ich möchte nur für dich schön sein. Weißt du, warum ich gekommen bin? Ich erwartete, du würdest mich töten.«

»Und wenn du geahnt hättest, was . . . was geschehen würde?« fragte Prokop, sie in seinen Armen wiegend, »wärst du dann auch gekommen?«

Die Prinzessin nickte. »Ich weiß, ich bin schrecklich. Was du wohl von mir denkst? Aber ich lasse dich nicht denken.« Er umarmte sie heftig und hob sie hoch. »Nein, nein«, bat sie und wehrte sich, aber dann ruhte sie mit zärtlich verschwimmenden Augen und spielte mit süßen Fingern in seinem wirren Haar. »Lieber, Lieber«, hauchte sie ihm ins Gesicht, »wie du mich die letzten Tage gequält hast! Hast du mich –?« Das Wort ›lieb‹ sagte sie nicht.

Er nickte eifrig. »Und du?«

»Ja. Du könntest es schon wissen. Weißt du, was du bist? Du bist der schönste häßlichste Mensch mit einer großen Nase. Du hast blutunterlaufene Augen wie ein Bernhardiner. Das kommt von der Arbeit, nicht wahr? Vielleicht wärst du nicht so lieb, wenn du ein Fürst wärst. Nun laß mich!«

Sie entwand sich ihm und ging zum Spiegel, um sich zu kämmen. Sie blickte sich prüfend an und vollführte dann einen tiefen Hofknicks. »Das ist die Prinzessin«, sagte sie, auf ihr Bild zeigend, »und das hier«, sagte sie tonlos und wies auf sich selbst, »ist nur dein Mädel. Siehst du! Du hast doch hoffentlich nicht geglaubt, daß du eine Prinzessin hast?«

Prokop fuhr herum, wie von einem Schlag getroffen. »Was soll das heißen?« schrie er und hieb mit der Faust auf den Tisch, daß die zerbrochenen Gläser klirrten.

»Du mußt wählen, entweder die Prinzessin oder das Mädel. Die Prinzessin kannst du nicht haben; du kannst sie aus der Ferne verehren, aber ihre Hände wirst du nicht küssen und sie nicht einmal mit den Augen fragen, ob sie dich liebt. Das darf die Prinzessin nicht; sie hat tausend Jahre reines Blut in sich. Weißt du nicht, daß wir einmal souveräne Herrscher waren? Ach, du weißt nichts, aber das eine mußt du wissen, daß die Prinzessin auf einem gläsernen Berg thront, wohin du nie gelangen wirst. Die gewöhnliche Frau, das braune Mädel kannst du haben; greif zu, sie gehört dir wie irgendeine Sache. Nun wähle zwischen den beiden.«

Prokop stand wie versteinert. »Prinzessin«, entrang es sich ihm schwer.

Sie trat zu ihm und küßte ihn auf die Wange. »Du gehörst mir, nicht wahr? Du Lieber! Siehst du, du hast eine Prinzessin. Bist du stolz darauf? Was für schreckliche Dinge die Prinzessin vollbringen muß, damit jemand ein paar Tage lang stolz sein kann! Ein paar Tage, ein paar Wochen. Die Prinzessin darf nicht einmal verlangen, daß es für immer wäre. Ich wußte es, ich wußte es: vom ersten Tag an, als du mich sahst, wolltest du die Prinzessin; aus Wut, aus männlicher Überheblichkeit, was weiß ich? Darum hast du mich so gehaßt, weil du mich wolltest; und ich bin dir in den Weg gelaufen. Meinst du, es reut mich? Im Gegenteil, ich bin stolz darauf, daß ich es getan habe. Es bedeutet schon etwas, sich so einfach Hals über Kopf wegzuwerfen; eine Prinzessin zu sein, unberührt, hochmütig, und von selbst . . . von selbst kommen . . .«

Prokop war entsetzt über ihre Reden. »Schweig«, bat er und nahm sie zitternd in die Arme. »Wenn ich Ihnen . . . nicht ebenbürtig bin . . .«

»Was sagst du da? Ebenbürtig? Meinst du, wenn du ein Fürst wärst, ich wäre zu dir gekommen? Oh, wenn du wolltest, daß ich mit dir wie mit einem mir Ebenbürtigen verfahre, könnte ich nicht . . . so . . . bei dir sein«, rief sie, die nackten Arme ausbreitend. »Das ist der verhängnisvolle Unterschied, begreifst du jetzt?«

Prokops Hände sanken herab. »Das hätten Sie nicht sagen dürfen«, murmelte er und trat einen Schritt zurück.

Sie warf sich ihm an den Hals. »Lieber, Lieber, laß mich nicht reden! Mache ich dir einen Vorwurf? Ich kam . . . von selbst, weil du fliehen oder dich töten lassen wolltest oder – ich weiß nicht, was . . . Meinst du, ich hätte es nicht tun sollen? Sag! Habe ich schlecht gehandelt? – – Siehst du«, flüsterte sie niedergeschlagen, »siehst du, du weißt es auch nicht!«

»Einen Augenblick«, rief Prokop, machte sich von ihr los und durchmaß mit großen Schritten den Raum; eine plötzliche Hoffnung blendete ihn. »Glaubst du an mich? Glaubst du, daß ich etwas zuwege bringe? Ich kann hart arbeiten. Ich habe nie an Ruhm gedacht, aber wenn du wolltest . . . Ich würde mich wie verrückt in die Arbeit stürzen! Weißt du, daß . . . Darwin von Herzögen zu Grabe getragen wurde? Wenn du wolltest, wenn du wolltest . . . würde ich unerhörte Dinge vollbringen. Ich verstehe zu arbeiten – Ich vermag das Antlitz der Erde zu verändern. Laß mich zehn Jahre arbeiten, und du sollst sehen, du sollst sehen –«

Sie schien ihm nicht einmal zuzuhören. »Wenn du ein Fürst wärst, würde es dir genügen, wenn ich dich ansehe, wenn ich dir die Hand reiche; dann wüßtest du es, dann würdest du glauben, müßtest nicht zweifeln – Dann brauchte ich dir keinen so schrecklichen Beweis zu erbringen, wie ich es tat. Zehn Jahre! Könntest du mir nur zehn Tage glauben? Ach was, zehn Tage! In zehn Minuten wirst du die Stirn kraus ziehen, du Lieber, und wirst wüten, daß dich die Prinzessin satt hat . . . weil sie eine Prinzessin ist und du kein Fürst bist. Also beweise es ihm, überzeuge ihn, wenn du kannst; keiner deiner Beweise ist groß genug, keine Erniedrigung unmenschlich genug – Lauf ihm nach, biete dich an, tu mehr als jedes andere Mädel, ich weiß mir keinen Rat mehr! Was soll ich denn noch tun?« Sie trat auf ihn zu und bot ihm die Lippen. »Wirst du mir zehn Jahre glauben?«

Er packte sie; ein Stöhnen entrang sich seiner Brust. »Es ist aber so«, flüsterte sie und fuhr ihm zärtlich über das Haar. »Auch du zerrst an einer Kette. Und doch möchte ich nicht mehr mit der tauschen . . . die ich war. Lieber, Lieber, ich weiß, du wirst mich verlassen.«

Sie ruhte, die Augen geschlossen und kaum atmend, an seiner Brust. Prokop, über sie geneigt, prüfte wehen Herzens den unerforschlichen Frieden dieses glühenden, gespannten Gesichtes. Sie fuhr auf wie aus einem Traum. »Was hast du da in den vielen Fläschchen? Ist das Gift?« Sie besah sich seine Regale und Apparate. »Gib mir ein Gift.«

»Wozu?«

»Wenn sie mich von hier fortbringen wollten.«

Er blickte beunruhigt in ihr ernstes Gesicht; um sie zu täuschen, maß er in eine kleine Dose Schlämmkreide ab. Aber da hatte sie bereits die Hand nach kristallinischem Arsenik ausgestreckt. »Laß das«, warnte er, doch das Fläschchen war schon in ihrer Handtasche verschwunden.

»Du könntest also berühmt werden«, begann sie wieder. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Du sagtest, Herzöge hätten Darwin zu Grabe getragen? Welche waren es?«

»Das ist doch einerlei.«

Sie küßte ihn auf die Wange. »Du Lieber! Das ist gar nicht einerlei.«

»Wenn du's wissen willst . . . der Herzog von Argyll . . . und der Herzog von Devonshire«, brummte er.

»Wahrhaftig!« Sie dachte, angestrengt die Stirn runzelnd, darüber nach. »Daß Gelehrte so berühmt . . . Und du hast mir das nur so nebenbei erzählt!« Sie betastete seine Brust und seine Schultern, als ob er ein neues Ding wäre. »Und du, du könntest auch –? Ist das sicher?«

»Warte mein Begräbnis ab.«

»Das müßte recht bald sein«, sagte sie zerstreut und mit naiver Grausamkeit. »Es wäre wundervoll, wenn du berühmt wärest. Weißt du, was mir an dir am meisten gefällt?«

»Nein.«

»Ich auch nicht«, sagte sie nachdenklich und holte sich einen Kuß. »Jetzt weiß ich's. Nun könntest du wer immer und was immer sein –«, sie bewegte hilflos die Achseln, »es bleibt fürs ganze Leben.«

Prokop staunte über ihren Ernst und ihre Strenge in diesem Punkte. Sie stand vor ihm, bis zur Nase in ihren Blaufuchs gehüllt, und blickte ihn mit glitzernden, weichen Augen in der Dämmerung an. »Oh«, seufzte sie plötzlich auf und ließ sich auf den Stuhlrand nieder, »die Beine zittern mir.« Sie rieb und knetete sie in naiver Schamlosigkeit. »Wie soll ich denn reiten? Komm, Lieber, komm, zeige dich heute bei mir! Mon oncle Charles ist nicht da, und wenn – mir ist schon alles eins.« Sie stand auf und küßte ihn. »Leb wohl.«

In der Tür blieb sie stehen, zögerte und kehrte zu ihm zurück. »Töte mich, ich bitte dich«, bat sie, »töte mich!«

Er zog sie an sich: »Warum?«

»Damit ich nicht von hier fortgehen muß . . . damit ich nie, nie mehr hierherkommen muß.«

»Morgen?« flüsterte er ihr ins Ohr.

Sie sah ihn an und senkte ergeben den Kopf. Es war ein Versprechen.

Er ging lange nach ihr in die zunehmende Dämmerung hinaus. Jemand erhob sich hundert Schritte vor ihm von der Erde und säuberte sich mit den Händen: der schweigsame Herr Holz.


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