Hermann Eris Busse
Heiner und Barbara
Hermann Eris Busse

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Glückliches Ende
Neuer Beginn

Lang war der Winter im Land, länger war er noch nie gewesen, so kam es Heiner vor. Aus Handelskursen mit Buchführung und aus Winterschulkursen der Bauernschaft kehrte er heim, sie hatten ihm aber die Zeit nicht so gekürzt wie die früheren Winter im Wald mit Axt und Säge.

Aber nun, da das Eis bricht, wo es mit milchblauen Scheiben Teiche und Bäche bedeckt, da selbst am nordwärts geneigten Hang sich die Sonne ihren grünen Boden schafft, größer mit jeder Stunde in den schwindenden Schnee geleckt, nun rasen die lichten Tage förmlich davon, weil sie voller Arbeit in Haus und 298 Garten sind. Die Maler malen in Stuben und Kammern, an den Außenwänden pinseln sie und streichen zärtlich die Fensterkreuze an mit schneeweißer Farbe. Der Schlosser bessert an den Schlössern herum und Türfallen, ölt und feilt, der Gipser weißelt Küche und Kammern, Ställe und Keller. Neue Wasserleitungen werden gelegt, eine Badstube muß ins Haus, wie sie in der Gstettnersäge war.

»Du liebe Zeit, wie die es nobel im Kopf haben«, schreit Mariann daheim dem Daniel zu, aber der Daniel regt sich darüber nicht auf, er allein weiß, daß die Spengler, sobald sie drunten fertig sind, auch im Helgenzeller Hof eine Badstube einrichten und eine 299 neue Wasserleitung in den großen Stall. Die Hurst sind gar nicht so altmodisch, wie man sie verschreit, sie warten nur ab, ob sich etwas Neues bewährt und ob es länger von Wichtigkeit ist, als der Vater lebt.

Daniel sieht sich ganz aufmerksam um, wenn der Heiner etwas Neues in der Säge macht, ihm kommt manches unnötig vor, aber er sagt es nicht. Was ihm einleuchtet, bedenkt er dann auch ganz für sich. Er redet höchstens mit dem Severin Danner darüber, mit dem kann er's gut.

Die Mariann kommt fast alle Stunde auf die bevorstehende Hochzeit in der Säge zu sprechen und kann es gar nicht begreifen, daß die Barbara so seelenruhig an der Riviera bleibt und niemand weiß, wann sie zurückkehren wird.

Der Heiner weiß es. Er hat sie gebeten, ja nicht eher zu kommen, als bis er ihr schreibe; sie dürfe nichts vorher sehen. Sie ist neben Petra, die sich gut erholt hatte, ganz unruhig geworden; sie kann sich nicht denken, was der Heiner alles zu richten hat. Ganz gebieterisch fordert sie von ihm, er solle alles beim alten lassen, nach und nach würden sie es sich dann schon einrichten. Nun, das könnten sie ja auch, dachte Heiner, aber am Haus zu bessern und die Badstube zu richten, das ist allein meine Sache, Dannersche Sache. Vater und Mutter gaben ihm recht.

Im Leibding wird auch genestet, tagein, tagaus. Es wird aber kein Altensitz. Heiner weiß, wie notwendig der Vater auf der Säge ist und wie notwendig die Mutter im Haus. Nur ihre Freiheit sollen sie haben und ihr Eigenheim.

Auch die Barbara wünscht nicht, daß die Eltern 300 sich zurückziehen, die sind ja noch viel zu jung. Sie werden miteinander auskommen, den Schwiegervater hat sie sowieso ganz sanft am Bändel.

Endlich schreibt Bachroth, der es nur ganz kurz in der Fremde ausgehalten hat und den Barbara bei Petra ablöst, nicht ungern, sie will Heiner Zeit lassen für allerlei Pläne, ihn nicht beunruhigen. Er schreibt, sie sollten nun heimreisen, alles sei bereit, der Schnee sei weg, Veilchen blühten schon an den Rainen, die Wasser seien rein und lustig, die Straßen blank, der Himmel voller Vögel. Und die Wälder dehnten sich schon aus dem Schlaf, die Maulwürfe wusselten blinzelnd über ihre Hügel, und die Hasen rammelten bereits frech und unbekümmert in den Gräben. Junge Katzen auf Treppen und Schwellen.

»Ja, Ihr Lieben, es ist Zeit zu kommen, wir alle sind von der herrlichen Luft wild auf Euere Nähe, wir alten und wir jungen Verliebten. Ach, Petra, es wird Zeit, daß Du kommst. Der Bub wächst mir schon übern Kopf. Und ich weiß nicht, alle Stuben sind auf einmal größer und leerer und kühler geworden als im Winter, komm und erfülle sie mit Deiner Fröhlichkeit und Liebe. Unterschlag diese Zeilen der Barbara. Sie, meine Tochter, wird mich bald genug zum ›Opa‹ unserer Enkel machen, davor ist mir aber nicht bang aus gewissen Gründen, Petra, wir stehen doch auch noch im Rennen. Der Heinrich Danner wird ihr ein tüchtiger Mann sein, kein ganz einfacher Mann. Es steckt allerlei in ihm, was ihr zu schaffen machen wird, ein unruhiges und jähes Blut und ein beweglicher, leicht unbefriedigter Geist. Sie wird nicht ganz das zu missen brauchen, was sie für kurze Zeit an 301 Peter Boll gebannt hat – die Lust und den Mut zum Gefährlichen, zum Abenteuer. Sie wird kein leichtes Leben an seiner Seiet haben, aber ein vollgültiges, und das braucht sie.

Petra, eilt Euch jetzt, dem Brautpaar zuliebe haben wir beide Wochen unserer Gemeinsamkeit geopfert, die für mich wie Jahre zählen.«

So eilen sie heim über die eis- und schneegefesselten Pässe der Alpen, zwei glühende Herzen des Frühlings, Petra braun wie eine Haselnuß und sprudelnd vor Ungeduld, mit ihrem kurzen Haar sieht sie wie ein Knabe aus dem Süden aus, nicht wie die Mutter eines Bachrothbuben. Barbara indessen sitzt verhalten in der Ecke im fast leeren Abteil, ein schwerer Nackenknoten nimmt ihr ehemals kurzes Haar schon fest in Zucht, ihr Gesicht sieht viel schmaler aus, weicher in allen Linien. Sie kann nicht so jubeln wie Petra, nicht so unbändig ungeduldig werden, wenn der Zug zu lange hält; doch je näher sie der Heimat kommen, um so heißer wird es ihr innen. Zuletzt ist sie genau so durcheinander vor Freude wie Petra, ein junges Mädchen mit allerlei Kopflosigkeit und Hast, wie sie einem großen Ereignis vorausgehen.

In Offenburg steht der Bachrothsche Wagen. Die beiden Männer zwingen sich zur gelassenen Würde beim Empfang, aber Petra wirft alles über den Haufen. Der große Bachroth taumelt fast bei ihrem schluchzenden Ansturm. Barbara und Heiner reichen sich nur lächelnd die Hand, einander ein wenig fremd geworden. Heiner mit Linien im Gesicht, an der Nase herunter, die vorher nicht dagewesen, Barbara verändert durch ihre andere Haartracht. 302

Sie fahren langsam das Tal hinauf, ein Sonnentag ohnegleichen liegt überm Land. Schön ist die Heimat in dieser Mittagsstunde, traumhaft schön im lieblichen Blütenschleier, den die Kirschbäume über die Hügel bauschen. Alles lockt ins Leben: der Finkenschlag und das Lachen der Drosseln, das sanfte Gleiten gelber Falter über die lila und gelb blühenden Matten, das aufsteigende Flimmern der Luft über den bereiteten Äckern. Der lange Rücken der hohen Moos wächst an den wolkenlosen Himmel, als überschreite ihn bereits der klare Sommer. Zart ist an die Birken jüngst das schleierdünne Grün geflogen. Die Lauter strömt, noch kraftvoll erfüllt vom Winterwasser, neben der Straße hin.

Soviel Wohllaut, soviel Verheißung, das macht bang und glückselig zugleich. Barbara ist froh, nicht sprechen zu müssen. Petra erzählt, Bachroth lacht fröhlich und schlägt mit den Händen aufs Steuer. Heiner sitzt still neben ihm, die Lippen fest aufeinander, die Augen dunkel vor verhaltener Unruhe. Barbara hat ihren Platz hinter Bachroth und kann Heiners Gesicht von der Seite sehen. Er schaut nie zurück zu ihr.

Abends führt er sie dann durch den Hof. Sie staunt und schilt, sie lobt und fragt, sie ist lebhaft und freudig erregt, eine junge Braut im künftigen Heim.

Alle bewundern ihr lang gewordenes Haar. Keiner sagte jedoch: Ja, das paßt besser zu einer Hofbäuerin als der Wuschelkopf. Heiner löst ihr auf dem einsamen Gang über den Meisenbuck den Knoten, daß es in weichen Rollen auf ihre Schultern fällt. Er hat ihr kurzes Haar sehr schön gefunden, jetzt söhnt er sich schnell mit der neuen Pracht aus. Sie lieben sich, die 303 dunkle Gewalt des Blutes erfüllt sie, die stolze Schwermut des Einsseins macht sie still. Sie schreiten lange schweigend die bekannten Wege aus, und mit der wachsenden Nacht werden sie aneinander ruhiger, sicherer nach dem ersten Ansturm ihrer lang verwahrten Leidenschaft. Und Barbara erzählt zum erstenmal frei und klar von jener Entscheidung, die ihr Peter Boll ins Leben gestellt. Sie hat es schwer gefunden, sich zu entscheiden; denn Peter Boll ist ein Mann gewesen, der bezwingend zu leben und zu fordern verstanden. Sie hat sich für Heiner entschieden, schwer und doch glücklich. Peter Boll ist eine Versuchung gewesen. Er hat letzthin geschrieben, daß sie den rechten Weg gehe, es tue ihm leid, sie einmal in ihrer großen Jugend und Unerfahrenheit zum Wanken gebracht zu haben. Er wünsche ihr und dem Heinrich Danner alles Glück.

Diese Last, diese Last des Mißtrauens nimmt sie Heiner also vom Herzen, immer wieder hat er daran denken müssen, was damals mit Peter Boll gespielt haben mag. Jetzt hat sie es ihm geklärt und nichts beschönigt.

Soll auch er eine Beichte ablegen? Monika, Veronika? Flüchtige Versuchungen, auch in Wien die kleinen Abenteuer? Nein, das sagt er ihr nicht. Das alles hat weder Kämpfe noch Entscheidungen von ihm verlangt.

Das Leben hat von ihm einmal den Tod um Barbara gefordert, das Leben bricht jetzt durch Barbara über ihn herein mit allen Gewalten.

Sie ist wie die Erde, wie die Heimat, voller Stärke und voller Düfte und voller Jahreszeiten. Nicht wie 304 der Frühling allein; denn morgen und übermorgen würde sie noch da sein, Barbara Bachroth, dicht neben Heinrich Danner – jetzt hebt es an, das goldene Leben – mit dem Reigen der Liebesstunden unter den Frühlingsgestirnen hebt es an und reißt zum Leben alles, was im Schoß der Tiefe bereit ist zum Erwachen und zum Werden; denn was in wahrer Liebe nach Kämpfen und Entscheidungen beginnt, das strebt sich zu erfüllen.

Ein Stern fällt vom Himmel in leuchtender Bahn. Wünsch dir was heimlich heilig:

Segen unserer Sippe und unserer Erde.

 

Wo ist das Unland, daß es sich bebläue mit seltenen Blüten vor dem Buchenwald? Ein Bauer, Heinrich Danner, ging jüngst mit dem Pflug darüber und mit der säenden Hand.

 


 


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