Hermann Eris Busse
Heiner und Barbara
Hermann Eris Busse

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Fülle des Herbstes

Am folgenden Morgen weckten Böller und Flintenschüsse das Tal der Weinbauern und Sägen, das Tal der springenden Forellen im großen Bach und den kleinen Bächen, das Tal der Heilquellen, das Tal der Obstbäume aus dem Schlaf. In der Ebene vor dem Rheinstrom holten sie das Welschkorn heim, den Tabak, die späten Äpfel, die Zibertle, die Nüsse, die letzten Kürbisse und machten die Kartoffeln heraus. An den Hügeln gegen Westen und an den warmen Hängen der vorderen Täler herbsteten sie die Trauben, traten behutsam die Igel der Edelkastanien auf, lasen die braunen »Keschten« heraus, brachen edle Birnen aus den Spalieren, aber die Hauptsache war die Weinlese. Oben im eng und enger werdenden Tal lasen sie von den Hürsten in Waldblößen und an Halden die Brombeeren, die Kartoffeln holten sie heim aus schmalen, steilen Äckern, sie mähten das Öhmd, brachen um und pfuhlten auch, sie stiegen auf die Moos und auf die Grinde, sammelten Preißelbeeren und pflückten Heidekrautsträuße. Und sie rüsteten sich zu Holzfahrten in die reichen, tiefen, dichten, dunklen Wälder. Die Harzer suchten die hellen, klebrigen Tränen vom verwundeten Stamm. Teeweiblein sammelten die letzten Bergkräuter, die nach Sonne und altem würzgesättigtem Boden dufteten. 114

Im Rebland aber ging es am heitersten zu! Dort schnitten sie die edelste Frucht mühseliger Arbeit von den Stöcken, die vollen Trauben, und sammelten sie in die Bütten, und von den Bütten wanderten die von Sonne und Frühnebel weich geschafften Beeren in die Trotte. Es quitschte die Kelter, und der braune, trübe Saft sah nichts weniger gleich als dem künftigen Wein. Wie roch die häßliche Brühe aber bezaubernd süß, und wie schwer von Süße schmeckte sie!

Jauchzen erfüllte das Tal der Rebhänge, eilte das Tal vor und um die weichen Buchenkuppeln der Vorhügel des Schwarzwaldes bis zu den Hängen, die gen Westen sich neigten; da treppten Rebgärten hernieder bis an den Saum der Ebene, strahlten dem Strom ins glänzende morgendliche Band Freude, Lust, Süße, Fülle. Drüben im Elsaß war die gleiche Lustbarkeit im Gange, an warmen Hängen reifte der elsässische Landwein, der schlichtere Bruder des Weines aus dem nachbarlichen Burgund.

Sie hörten gewiß die Schüsse voneinander in die Landschaft hallen, die voll des süßen Weines schien und mit freudigen Zungen von der herbstlichen Schönheit redete, noch ehe der Saft gekeltert war.

Heiner hatte am frühesten geschossen und geböllert. Die Völker des Dannerhofes waren am frühesten wach und kramselten lachend in die Reben ob dem Anwesen. Die Runzbrüder sangen ihre kühnen Jodler, bis ihnen die Frauen die Tragbütten gefüllt hatten, die sie dann auf ihren breiten, schweren Rücken spielend die steilen Hänge hinabtrugen zum Wagen mit den riesigen, hölzernen Bottichen.

Drunten sirrte die Säge. Nur die eine Säge war 115 in Betrieb, die die Hölzer zu Schwellen kantete. Das machte heut der Danner selber mit dem taubstummen Knecht Vinzenz. Allen anderen gönnte er die Freude, in den Reben zu helfen und sich mit Kurzweil und großartigen Vesperpausen einen Festtag zu schaffen, den sie an Leib und Seele noch bis an den Winter hin spürten. Es war zwar keine ganz reine Freude im Innern des Leibes, wenn soviel süßer Most hineingesogen wurde, dazu frisches Brot, neue Nüsse, fetter Herbstkäse, warmer Zwiebelkuchen zur Kartoffelsuppe, wie es an manchen Orten üblich war. Da half kein Drusenschnaps, kein noch so alter Kirsch, kein klares Zibertlewasser, kein Nußlikör, da half höchstens ein reiner, alter Wein, den Aufruhr des 116 Innenraumes niederzukämpfen. Dennoch machten sie alle wie unbelehrbare Kinder in jedem Jahr das gleiche leibliche Leid inmitten der hellsten Freude durch. Übermut verlangt Wegzoll, damit mußte man sich abfinden.

Niklaus Vogt war von der Mariann zum Herbsten geladen worden. Wie war er selig darüber! Die Straßburger kamen wie alle Jahr, und die beiden Fräulein prangten in wahren Blumengärten, die auf ihre Dirndlkleider bunt gemalt waren. Der Juwelier des Maharadscha von Tausendundeiner Nacht hielt sich an den alten Wein gleich dem Schwager Danner, wenn er auch in den Reben unter den kreischenden Frauen und Mädchen den Hauswurst spielte.

Christina und Pia kochten daheim und schnitten die großen, von milchigem Saft strotzenden Zwiebeln zum Hefenplätz. Die größten Bleche, schier einen Geviertmeter Fläche, bedeckten sie mit dünn ausgewahltem, schön gegangenem Teig, und sie hatten springende Tränen im Gesicht, die ihre roten, vom Heizen des Backofens glühenden Wangen feuchteten; aber sie lachten zu den Zwiebeltränen. Die Frauen waren in ihrem großen Fleiß und ihrer reifen Mütterlichkeit herrlich anzusehen. Dem Danner, der sich zum Vesper auf einen Bretterstapel in der Nähe des Backofens setzte, gefielen sie über die Maßen, und er nahm kein Blatt vor den Mund und rief saftige Bemerkungen zum Backhäuschen hinüber. Christina blieb ihm nichts schuldig; sie hatte eine schnellere Zunge als Pia. Die Dannerin ließ sich immer noch leicht durch ihren Mann zum Erröten bringen.

In einem großen Waschkorb strampelten die beiden 117 kleinen Buben und quarrten selbander den blauen Himmel an, unter dem Vogelzüge den Süden suchten.

Dieser beginnende Oktober troff von Süße. Vor den Stöcken orgelten die Bienen und trieben mit den letzten Lasten aus den letzten Kleeblüten und den letzten Blumen im Garten heim. Die Dannerin hatte immer noch prachtvolle Rosen unter den Kammerfenstern im Garten. Falter flogen noch über die nachtblauen Stiefmütterchen und ruhten auf den bunten Lippen des Löwenmaul. Der zarte Buttermilchduft des Kapuziners wogte über den sonnenwarmen Zaun. Der große Bernhardinerhund Bari wälzte sich vor Wollust auf dem Rücken. Der listige Dackel Wurst beäugte seinen Herrn, weil er auf die Teilhabe am Vesper wartete. Von den Ställen her klang das zufriedene Brummen der Rinder, das Rörksen der Schweine.

Danner merkte jetzt zum erstenmal, daß die Schwalben fort waren. »Mutter, die Schwalben sind ja fort!« rief er hinüber.

Sie sagte: »Merkst das jetzt erst, die sind doch schon seit vorigem Sonntag fort!«

Sie hörten Heiner jodeln, sahen sich an und lächelten. Der Anton Onemus kam aus den Reben herabgesprungen wie ein Junger und jubelte: »Leut, das gibt aus, bi Gott, das gibt ein Weinlein!«

Dann ging er an den Waschkorb und gab sich verliebt dem Anblick seines Buben hin.

»Ich mach die größte Wett'«, rief Danner den Frauen zu, »er sieht unseren Helmut gar nicht vor lauter Fortunätle.«

»Oder er sieht das Helmütle für den Fortunat an, 118 weil er die beiden nicht auseinander kennt«, rief Christina, die stets vorgab, von ihrem Mann gar nicht viel zu halten, von diesem Hopfenzwickel. Was ist das für ein Mann, der mit vierzig noch keine Spur von Bauch hat und Schultern wie ein Schulbub, als ob er nichts Rechtes zu essen bekäme. Nein, der Onemus war kein lebendiger Beweis der Kochkunst Frau Christinens.

Um zwölf Uhr ließ ihn Pia die Glocke auf der Kapelle läuten, gab ihm den Takt an: Noin, noin, noi – noin, noin, noi – noin, noin, noi.

»Bleib nit am Glockeseil hänge«, neckte der Schwager, »bleib fest am Bode, bind ein Gewicht an die Bein, sonst schlirkt es dich 'nauf.«

Das Glöcklein spürte beleidigt die letze Hand am Seil und beierte unordentlich aus dem Türmchen. Das paßte freilich zur frohen Stimmung weitum. Die fröhlichen Schaffer kamen mit großem Hunger und Durst aus den Reben. Es war über die Maßen warm, ein sonnenseliger Oktobertag und ein Vollherbst dazu.

Der alte Danner stelzte überall lächelnd herum. Seit Jahrzehnten war solch ein Herbstertrag nicht mehr erlebt worden. Auch sein Rebstück, das zum Leibgeding gehörte, trug wie noch nie. Sie hatten es schon gelesen. Zu allererst war es darangekommen, und Heiner mit dem Xaver Runz hatte die vollen Bütten bereits zur Gemeindekelter hinabgefahren. Mariann hatte die Ochsen am Wagen mit Asternsträußen geziert.

Nun konnte es der Auszügler kaum erwarten, bis sie wiederkamen, ihm das Mostgewicht ansagten und das kostbare Naß in die Kühle und Geborgenheit des Kellers hinabschafften. 119

 


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