Hermann Eris Busse
Heiner und Barbara
Hermann Eris Busse

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Der Brief aus der Heimat

Es wäre eigentlich an der Zeit gewesen, wieder an die Heimreise zu denken. Doch seltsam, niemand von daheim mahnte ihn zu kommen. Sie schrieben wenig, nach Bauernart knapp und ungelenk. Heiner wunderte sich anfangs darüber. Vater und Mutter konnten sich doch sonst viel besser unterhalten als die Großen in anderen Höfen, aber beim Briefschreiben machten sie manchen Fehler, und die Sätze klangen steif. Sie ahnten ja nicht, was er alles wissen wollte. Von der Fremde aus werden viele Dinge in der Heimat wichtiger genommen als daheim, wo man alles kommen und sich ereignen sieht. Sie schrieben meistens nur, wie es ihnen gehe, was der Helmut mache, daß sie viel zu schaffen hatten und daß der oder die gestorben sei.

Mariann hatte ihm bisher nie geschrieben. Sie hatte inzwischen mit Daniel Hochzeit gehalten. Es war eine 202 kleine, stille Hochzeit, weil die Großväter kurz vorher weggestorben waren, der Florian Danner und der Thomas Hurst. Da kam also Tiefenspring um ein großes Fest. Warum es der Mariann so geeilt hatte, darauf kam Heiner, als nur ein halbes Jährlein verging, bis die Mutter meldete, daß ein junger Thomas Hurst angekommen sei. »Schon?« hatte die Vroni gesagt und listig gelacht, als Heiner ihr das Ereignis meldete. »Schon?« Das ist scheints Sitte bei uns, dachte Heiner, sagte aber nichts.

Nein, niemand schrieb, daß er bald heimkehren solle. Gut, er blieb noch ganz gern bei den Gstettnern. Er hatte in dem Zukünftigen der Moni einen guten Freund gewonnen. Der Diplombauer, wie sie ihn neckend nannten, wußte Heiner über nutzbringende Landwirtschaft und Holzwirtschaft viel Wissen mitzuteilen. Er war ein praktischer und findiger Kopf; ohne es zu wollen, stutzte er manchen überschwenglichen und planlosen Gedanken Heiners zurück, wenn der ihm ein wenig großspurig entwickelte, was er später alles mit der ziemlich altmodisch betriebenen Dannersäge vorhabe.

Noch etwas anderes fesselte ihn an den Franz. Der war ein tüchtiger Bergsteiger und führte ihn oft in die Berge. Der stille Mann konnte ein Draufgänger mit Bärenkräften sein, und wenn sie, die vier jungen Mannen vom Gstettnerhof, einmal über Land gingen, wo Burschen zusammenkamen oder Tanz war, und es gab Krach, was ja dazu gehörte, so zeigte sich Franz als der Schlaueste und Stärkste, und er brachte Heiner mancherlei Kniffe bei. Heiner hätte kein Danner sein 203 dürfen, um sich nicht in diesen zugriffigen männischen Angelegenheiten begeistert zu üben.

Sein helles Haar reizte viele Burschen ohnedies gehörig auf, weil ihre Mädchen so augenfällig davon bezaubert waren, und da mußte er sich wehren können. Er war nie langmütig gewesen, so griff er meistens zuerst an und galt bald weit und breit als streitsüchtiger Raufbold, ohne es in Wahrheit zu sein. Der alte Gstettner mahnte ihn mehrmals: »Weißt, du kommst mir grad vor wie unser Hund; der packt alle anderen Hunde sofort an, bloß weil er eine Angst hat, sie fassen ihn an.«

Heiner wurde rot. Der Gstettner hatte nicht ganz unrecht. Raufbold zu heißen, war ein häßlicher Ruhm, und er nahm sich vor, die Ruhe zu wahren, solange es eben ging, ohne für feig gehalten zu werden. Nun hörten die allzu vielen Schlägereien auf, nach denen es stets geheißen hatte: Der Blond hat angfangt. Ja, das weiß man eh, daß der dabei sein muß, wenn's hoch hergeht. Wäre ihm der Franz nicht stets mit allen Kräften beigestanden, obschon er oft vor Wut kochte, weil Heiner unnötig Händel anzettelte und den guten Ruf der Gstettner als ehrenwerte, ruhige Gegner aufs Spiel setzte, so hätten ihm die Burschen doch manchmal übel heimgeleuchtet. Mit einem Fremden machten sie ohnedies nicht viel Federlesens.

Von Barbara erfuhr er nie etwas. Die Briefe der Eltern erwähnten den Namen Bachroth nicht. Das fiel indessen Heiner nicht auf, es gab eben nichts Lohnendes zu berichten von ihnen. Manchmal sann er sich einen Brief an Barbara zusammen. Bei Arbeiten, 204 die ein Nebenhinausdenken erlaubten, fiel ihm alles ein, was er ihr schreiben wollte. Die sollte über sein Wissen und über sein Wollen staunen; aber es blieb bei den gedachten Briefen.

Eines Tages brachte der Postbote ein dickes Schreiben von daheim, das heißt aus Helgenzell. Es stammte von der Mariann. Er lachte, als er die große Zahl Briefmarken sah, die sie hatte aufkleben müssen. Kein Wunder, es war ein Doppelbrief.

»Lieber Bruder«, schrieb sie, »Du wirst schon lang auf ein Lebenszeichen von mir gewartet haben. Wieviel Neuigkeiten sind auch vorgekommen, seit Du fort bist. Will Dir nur einiges davon berichten, was mir gerade einfällt. Es wird Dir nicht alles guttun. Manches wird Dir Kummer machen. Aber ich weiß, daß die Eltern nicht gern schreiben, und von dem, was sie drückt, sagen sie nichts, viel weniger schreiben sie noch davon. Du wirst es gleich erfahren. Ich weiß es von der Sina und muß Dir Schweigen auferlegen, wie sie es mir auferlegt hat. Es ist der Grund, warum Dir niemand noch gesagt hat, Du sollst heimkehren. Der Vater will nicht, daß Du etwas merkst.

Es hängt mit dem Doktor Bachroth zusammen. Plötzlich haben sie Krach miteinander gekriegt, wie das bei uns im Land vorkommen kann. Du weißt ja, wie bei uns die dicksten Freundschaften wegen dem Jagdrecht oder wegen dem Wasserrecht oder wegen sonst einem Vorfall zu Feindschaften werden können. Jetzt hat der alte Krach zwischen Oberspring und Tiefenspring wegen dem oberen Wehr die Bachroths und Danners auseinander gebracht. Wie es wirklich kam, 205 weiß ich nicht. Es hängt auch mit dem Fischrecht und dann mit unserem oberen Schwemmgumpen zusammen. Das weißt Du ja besser als ich. Also da ist es aus und fertig. 206

Wegen der Barbara reden die Leute auch allerhand. Davon später.

Der Vater ist bei einem Mann in Oberspring Bürge gestanden, weil der ihm gesagt hat, sein wohlhäbiger Vetter Bachroth habe es ihm abgelehnt. Bürge stehen ist fast eine Todsünde, sagt der Daniel. Der Vater ist schwer hereingefallen und muß jetzt zahlen. Meine Aussteuer und Mitgift hat vorher schon ein Loch gerissen, dazu sind uns im Stall zwei Rösser, zwei junge, eingegangen. Mei, der Vater hat fast einen Schlag gekriegt vor Zorn und Kummer, weil mein Mann ihm geraten hat: Kauf nit, denen trau ich nit. Der Daniel ist ein Roßkenner wie ein Alter, er hat recht gehabt. Was sich zweitet, drittet sich: Die Stolze ist umgestanden, überhaupt war nirgends Glück im Stall. Der Vater hat oft gesagt: Jetzt bleibt mir nur das Aufhängen, es kommt jetzt doch ein Schaden hinterm andern. Mei, der lauft längst nit mehr auf den Händen und schnellt über die Weidenhäg, der schnappert jetzt in die Knie beim Laufen wie ein ganz alter Mann. Es beelendet einem ganz.

Die Mutter hat viel Sorg mit ihm. Wenn sie den Kopf nit so hoch droben hätt', ich wüßt nicht was heut wär. Trotzdem ist es jetzt besser mit allem. Geholfen hat die Sina, sonst hätten wir den Gerichtsvollzieher auf der Säge, denn der Vater hat für die Bürgschaft fast alles einbrocken müssen. Die Sina hat gesagt: Mein Geld kriegt sowieso einmal der Heiner, es ist gleich, ob es jetzt schon in der Dannersäge schafft oder nicht. Du sollst nichts erfahren davon, und ich bitt' Dich, schweig still, laß gegen niemand, auch gegen den 207 Daniel nicht, etwas merken. Nur schreib bald einmal den Runzens einen Brief, die warten schon lang drauf. Au allem ist der Bachroth schuld. Das hätt' ich ihm nie zugetraut. Wenn jetzt eins krank wird von uns, wen holen wir dann? Das ist blöd.

Von der Barbara weiß ich etwas, aber nicht sicher. Davon später.

Daß Du nicht bei unserer Hochzeit warst, hat mir gar nicht gefallen. Das denkt mir ewig, daß mein Bruder Heiner in der Fremde war, während ich Abschied von daheim nahm. Der Vater hat auch nicht viel von mir wissen wollen, weil ich nicht bis zuletzt brav geblieben bin. Daran ist der Daniel schuld. Der Daniel ist ein arg tüchtiger Bauer, ich hab' es gut verwischt mit ihm. Wir haben gewiß ein Mustergut, wie es weit und breit keines mehr gibt. Mit der Petra bin ich eine Zeitlang gut ausgekommen, auf einmal aber nicht mehr. Sie hat mein Regiment nicht vertragen und die Leut gegen mich aufhetzen wollen. Es hat sie geärgert, daß ich die Dorette zur Patin genommen habe, wie es mir die Mutter riet, weil es doch bei dem Helmut schon anständig gewesen wäre als Gegendienst für unsere Patenschaft beim Fortunat. Ich hab' Petra vertröstet auf unser nächstes Kind, aber sie hat sich nicht beruhigen lassen. Wir haben eines Morgens so Krach bekommen miteinander wegen einem Dreck, daß wir aufeinander los sind in der Stube. Sie ist mir mit den Krallen ins Gesicht, da hab' ich sie schnell an den Armen genommen, sie ist ja so viel kleiner als ich, und hab' sie glatt aus dem offenen Fenster hinunter auf den Mist fallen lassen. Draußen war sie und schrie gottsjämmerlich. Es hat 208 ihr aber nichts gemacht. Der Daniel ist am Brunnen gestanden und hat schrecklich gelacht. Aber nachts hat er mir dann doch nicht recht geben wollen. Nun, ich hab' ihn ja in der Hand, wenn ich ihn fasten lasse in jeder Hinsicht, da wird er ganz klein, und ich bekomm mein Recht. Die Petra ist ein Teufel, und ich mahn Dir ab, sie zur Frau zu nehmen, wie es die Eltern haben wollen. Du bist ein Danner, der gibt nicht gern nach, die Petra aber auch nicht. Ihr wäret dann immer gegeneinander wie Hund und Katz.

Leider muß ich Dir jetzt das mit der Barbara sagen. Sie erzählen, es gäb etwas mit dem reichen Pitt. Der baut sich nämlich eine große Villa in Oberspring und soll Barbara heiraten wollen, die ihn ja im Sanatorium pflegt. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, aber die Villa wird gebaut, da wird das andere auch stimmen. Die Petra hält übrigens fest zum Bachroth. Sie geht schon seit einiger Zeit zu ihm, weil sie einen Umlauf im Daumen hat, der geschnitten werden muß. Sonst ist sie degenmäßig, sogar still manchmal. Schaffen kann sie nichts mit ihrem Finger, da hütet sie unseren Thomas, und manchmal tut es mir dann doch leid, daß sie nicht seine Patin ist.

Es wird Dich wundern, wenn du siehst, wie es bei uns im Thomashof jetzt aussieht. Wir haben keine niederen Stuben mehr, wir haben wie bei uns daheim die Nußbühne zur Stube genommen und neue große Fenster überall, die reinste Villa. Es paßt nicht zum andern, sagen die Städter, die am Sonntag kommen, aber die müssen ja nicht in den niederen, dumpfen Stuben hausen, dazu noch überm Stall. 209

So, das wär alles. Der Sonntag ist auch herum. Schreib mir auch einmal! Aber über die Sache verlier kein Wort, gelt!

Es grüßt Dich Deine Dich liebende Schwester

Mariann.«

Zweimal las Heiner den Brief durch, ehe er zu Atem kam über all dem, was Mariann zu berichten hatte. Für ihn wahrhaftig nichts Gutes: das mit der Bürgschaft, das mit der Barbara.

Das mit der Bürgschaft war schließlich nicht so schlimm, man mußte sich eben eine Weile nach der Decke strecken. Das mit der Barbara aber, das warf ihn schier um.

Jetzt wußte er, warum sie nicht schrieb und warum sie am Gitter so seltsam war. Überhaupt, hätt' sie damals nicht einfach herauskommen können, der großartige Eingang zum Sanatorium war sicher nicht zugeschlossen, herabkommen können und zu ihm sagen: Du, bleib doch noch eine Weile hier, wir treffen uns an einem Ort. Nein, sie hatte es ihm mit falscher Freundlichkeit versüßen wollen, daß sie nicht kommen wollte, und froh war, wenn er bald wieder ging. Er hatte wohl gemerkt, wie dieser Seiltänzer, dieser Pitt, fast die Gelbsucht gekriegt hatte, weil der Danner vor dem Gitter es wagte, eine Barbara Bachroth zu begrüßen. Dieser alte Kracher, was wollte auch der mit so einer jungen Frau?

Aber Barbara heiratete wohl das Geld.

Heiner hätte die Anlieferung von Fichtenholz im Sägwerk beobachten sollen, weil der Gstettner in Wien weilte. Der entschwand oft einmal fröhlichen 210 Gesichts nach Wien, dann und wann auch mit allen seinen Töchtern; aber es war Heiner jetzt nicht möglich, an das Holz eines andern zu denken. Er nahm sein Motorrad und brauste wie ein Teufel davon. Irgendwo hielt er an, wo es einsam war. Warf sich in einem Weidfeld hin und las den Brief abermals. Die Frühlingssonne wärmte ihn, und ein würziger Erdduft und Kräutergeruch stieg ihm in die Nase. Das erinnerte ihn an seine Fahrt über die Alexanderschanze daheim nach der Begegnung in Baden-Baden. Da legte er sich doch auch nieder, und es roch auch so nach sonnenwarmem Boden und den kleinen Pflanzen darauf. Er legte den Kopf über die gefalteten Hände und starrte in den Himmel. Er dachte an den Raub des Bildes aus dem Schaukasten. Unaufhörlich rann ihm das Augenwasser über die Schläfen. Es war ja alles aus und fertig, aus und fertig. Seine ganzen Pläne und Träume hatte er auf Barbara gebaut, sich immer ihre Gestalt, ihr Gesicht, ihr Lachen vorgestellt, wenn er etwas für später ausdachte. Und sie nahm den Pitt.

Ja, jetzt, da ihn die Eltern auch nicht vermißten, jetzt brauchte ihn nichts in die Heimat zu ziehen, gar nichts. Er wollte womöglich für immer in Tirol bleiben. Da war ja noch der Helmut, dem sie die Säge geben könnten. Bis der groß war, hatte sich der Vater sicher wieder freigeschafft.

Er stand auf, las von seinem Anzug sorgsam dürres Moos und Ameisen ab, die sich ihm angehängt hatten. Machte überhaupt alles langsam und sorgfältig, wie wenn er jetzt ein alter, reifer Mann wäre, der sich Zeit ließ, dem nichts mehr davonlief. Er sah natürlich 211 nicht, wie blaß er war und wie dünn sein Mund über die Zähne sich preßte.

Die Vroni traf ihn; sie wollte zur Gstettneralm und war über sein blasses Gesicht ehrlich erschrocken.

»Was ist, hast böse Botschaft kriegt von daheim?«

Heiner wurgste an einer groben Antwort, aber nicht einmal die kam heraus. Er tat, als wäre am Motor etwas nicht in Ordnung und bückte sich. »Wie man's nimmt«, sagte er dann, als er sich wieder aufrichtete. Er sah in die warmen, braunen Augen der Vroni, das tat ihm gut wie eine linde Hand auf kaltem Herzen.

Er lächelte sie an: »Komm, ich fahr dich 'nauf. Gut gefahren ist besser als schlecht gegangen.«

Sie zierte sich ein wenig, sie war die stillste und scheueste von den Gstettnertöchtern, dann aber gehorchte sie ihm doch und freute sich, so rasch vorwärtszukommen.

»Ich hab' gemeint, du bist in der Säge.« Sie konnte es nicht lassen, doch ein wenig in sein Geheimnis zu dringen.

»Ja, das hab' ich auch gemeint«, sagte Heiner. Sie wußte jetzt, woran sie war. Der gab nichts preis.

Sie schaute ihn nur wieder so wärmend an mit ihren milden, großen Augen. Sie traten in die Almhütte. Niemand kam ihnen entgegen. Die Kuhmagd war wohl drüben beim Vieh, beim Senn. Die Herde war erst tags zuvor aufgetrieben worden, und sie nahmen die Arbeit noch nicht so wichtig, und alles war ihnen noch neu. Da mußten sie einander viel erzählen, die ältliche Zenz und der hagestolze Sepp. So saßen Vroni und Heiner eine Weile allein in der Hütte. Es war ihnen nicht arg, allein zu sein. Sie hätten aber 212 bloß hinüberzujodeln brauchen, und die Zenz wäre gekommen.

So saßen sie auf ihren Hockern still, bis die Vroni es nicht mehr aushielt, zu Heiner trat und ihm übers Haar fuhr. Da riß sie der wehzornige Bursche an sich und küßte sie, bis sie um Gnade flehte, aber sie küßte ihn wieder und konnte ihm nun nicht verzweifelt über seine Keckheit bös sein. Die Vroni gehörte einem andern und wollte dem gehören, aber der Heiner brauchte sie jetzt, wo sie genau spürte, wie verlassen und traurig er war. Sie saßen noch eine Weile dicht beisammen, stumm sinnend, nein, kein Liebespaar, das sich vom leidenschaftlichen Rausch ermüdet aneinander im lustvollen Frieden ausruht, und doch waren sie voll Liebe.

So kam es auch, daß Heiner, als Vroni einmal seine Hand leise streichelte, die auf ihrem Knie ruhte, ihr berichtete, was ihn drückte, und eine hingebende, mitleidige Zuhörerin fand.

»Armer Heiner«, seufzte sie leise, als er alles gesagt hatte; denn er hatte zuletzt fast schreiend ausgerufen: »Für mich hat das Leben keinen Wert mehr.«

Vroni begriff seine Not. Sie hatte einmal in seiner Kammer neugierig gekramt und in der Tischschublade in einem Kalender, es war der Lahrer Hinkende Bote, den die Runzens ihm zu Weihnachten geschickt hatten, das Bild der Barbara entdeckt. Kein Wunder, dachte sie damals, daß der Heiner ein schwarzes Dirndl nit mag, wenn er so einen hellen, schönen Schatz hat.

Vroni küßte ihn noch viele Male, er ließ es sich gefallen, küßte wieder, aber die Leidenschaft des zornigen Leids war verglommen, er fühlte sich nur geborgen bei dem weichen, sanften Mädchen. 213

»Wir sind jetzt Freunde durch alles Geheimnis«, sagten sie einander, als sie von weitem die Zenz jodeln hörten, die das Kraftrad vor der Hütte wohl erspäht hatte.

Vroni sagte: »Mein Gschpusi braucht nichts zu wissen. Weißt, der tät dich abkühlen, du würdest nimmer warm, wenn er wüßt, was wir jetzt getrieben haben; aber wir haben es tun müssen, und es wird keine Todsünd sein. Dir ist leichter, Heiner, wenn ein einziger Mensch noch weiß, was dich drückt. Ich hab' zu deinem Kummer ja meine Freud, daß du nicht so bald fortgehst von uns. Hab' schon Angst gehabt, in dem Brief heißt's: Bub, komm jetzt endlich heim!«

Sie fuhren, ehe es nachtete, wieder in den Gstettnerhof hinab. Niemand hatte eigentlich gemerkt, daß der Heiner »Blauen« gemacht hatte. Er sah noch nach, wo das neue Stammholz lag. Sie hatten es ohne ihn auch richtig verwahrt.

Vroni lief mit glühenden Backen herum; in dieser Nacht aber schloß sie Kammerfenster und Tür, nicht wegen des Verlobten, der war in Wien, nur weil sie sich sonst nicht sicher fühlte. Doch der Heiner hatte in seinem jungen Kummer mit keinem noch so flüchtigen Gedanken an Vronis Kammer gerührt. Er lag bis zum Morgengrauen wach und grübelte und biß vor Schmerz in das Kissen.

Am Tag fuhrwerkte er, als wäre er schlimmer Laune, mit den Pferden, nichts geriet ihm, und die nächste Nacht raufte er mit den Nachbarburschen, daß die Fetzen flogen und er zum Doktor mußte, weil ihm einer den Ohrlappen halb weggerissen hatte. Am dritten Abend nach Empfang des Briefes warf er 214 sich aufs Bett und mußte am Morgen geweckt werden, so tief schlief er sich die Not vom überwachten Herzen. Sie sank still, doch unvergessen in den Grund seines Wesens hinab und machte ihn ernster als zuvor. Vroni war froh, daß er so rasch zu verwinden schien und keine Ansprüche an sie stellte. Ihr Verlobter hatte unversehens das Aufgebot gewünscht, er sagte, es sei jetzt Zeit zum Heiraten.

 


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