Edward Bulwer
Paul Clifford. Zweites Bändchen
Edward Bulwer

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Zehntes Kapitel.

Ungleich dem Wüstling, der voll Frechheit spaßt
Das Festmahl schändet und verletzt den Gast,
Steigst du herab von Größe und Reichthum gern.
Vergessen lassest du im Freund den Herrn;
Um deinen Tisch ein froh Gesinde wandelt.
Mit freundlicher Herablassung behandelt;
Gern der gesell'gen Pflicht der Herr sich beugt.
Weil Liebe – Lieb', und Achtung – Achtung zeugt

Lukan an Piso.

Schüchtern glänzten die verschämten Sterne an unsre Abenteurer herab, als sie, nach einem kurzen Schlummer hinter dem Heuschober sich wieder dehnten und streckten und einander ansehend unwillkührlich in ein fröhliches Gelächter über den glücklichen Ausgang ihres Wagestücks ausbrachen.

Bisher waren sie zuerst durch die Flucht selbst, dann durch Hunger und endlich durch Müdigkeit zu sehr in Anspruch genommen gewesen, um sich zu beglückwünschen; jetzt rieben sie die Hände und scherzten wie schwänzende Schulknaben über ihre Flucht.

Allmälig lenkten sie ihre Gedanken von der Vergangenheit auf die Zukunft, und Augustus sprach: »Sagt mir, mein werther Gesell, was denkt Ihr zu thun? Ich hoffe Euch längst überzeugt zu haben, daß es keine Sünde ist unsern Freunden zu dienen und unsrer Parthei treu zu seyn, und so hoffe ich, Ihr werdet Euch für das Gewerbe auf der Landstraße entscheiden.«

»Es ist sehr einfältig,« antwortete Paul, »daß ich nach Euren Vorlesungen über den Gegenstand noch Bedenklichkeiten haben kann; aber ich gesteh' Euch frei heraus, daß ich doch noch hin und wieder Zweifel hege, ob das Stehlen in der That die ehrlichste Handthierung ist, der ich mich widmen könnte.«

»Hört mich an, Paul,« antwortete Augustus und seine Antwort ist der Beachtung nicht unwürdig: »Alles Verbrechen und alle Trefflichkeit sind von einer guten Wahl der Worte abhängig. Ich seh Euch verblüfft; ich will mich erklären. Wenn Ihr Geld vom Publikum nehmt und sagt, Ihr habt geplündert, so habt Ihr ohne Zweifel ein großes Verbrechen begangen; aber wenn Ihr dasselbe thut und sagt: Ihr habet den Bedürfnissen der Armen abgeholfen, so habt Ihr eine vortreffliche That gethan; wenn Ihr bei der nachherigen Theilung des Geldes mit Euren Gefährten sagt: Ihr habet die Beute getheilt, so habt Ihr Euch gegen die Gesetze unsres Landes versündigt; aber wenn Ihr es so darstellt: Ihr habt mit Euern Freunden den Gewinn Eurer Betriebsamkeit getheilt, so habt Ihr eine der edelsten Thaten von der Welt verrichtet. Einem Menschen den Kopf einschlagen, ist an sich weder tugendhaft noch sündlich; es hängt vom Ausdruck ab, den man von der That braucht, um sie entweder zu einem Mord oder zu einem ruhmvollen Heldenstück zu stempeln. Warum nicht lieber sagen also, Ihr habt den Muth eines Helden bewährt, statt: die Grausamkeit eines Spitzbuben? Dieß ist vollkommen klar, oder nicht?«

»Es scheint so,« antwortete Paul.

»Es ist so einleuchtend durch sich selbst, daß es der Weg ist, denn alle Regierungen einschlagen. Wenn ihr einen Mißbrauch abzuschaffen verlangt, so nennen Euch die Machthaber mißvergnügt. Unterdrückung heißt Ordnung, Gewaltthätigkeit ist eine durch die Religion geheiligte Einrichtung und Steuern sind der Segen der Verfassung. Deßhalb, mein guter Paul, thun wir nur, was alle andere Gesetzgeber auch thun. Wir sind keine Schelmen, so lang wir uns selbst ehrliche Bursche nennen und wir begehen kein Verbrechen, so lang wir es als eine Tugend betiteln können. Was sagt Ihr jetzt?Wir finden in einem Artikel einer amerikanischen Zeitung, der im heutigen Morning Chronikle ohne Commentar abgedruckt ist, einen auffallenden Beleg der Wahrheit von Tomlinsons Filosofie. »Herr Rowland Steffenson,« so lautet der Auszug, »der berühmte englische Bankier hat eine beträchtliche Strecke Landes angekauft.« O filosofischer Artikelschreiber! »der berühmte englische Bankier« dieser Satz ist eine bessere Erläuterung von den Täuschungen der Worte, als alle Abhandlungen Bethams zusammen. Berühmt! O Merkur! welch ein geschmeidiges Beiwort! Paul lächelte und schwieg einige Augenblicke eh' er antwortete:

»Es ist wohl außer Zweifel, daß Ihr Unrecht habt; aber wenn Ihr Unrecht habt, so ist es bei der übrigen Welt auch so. Es ist nicht gut das einzige weiße Schaf in der Heerde zu seyn. Darum, mein theurer Tomlinson, will ich in Zukunft ein trefflicher Bürger werden, den Bedürfnissen der Armen abhelfen und den Gewinn meiner Betriebsamkeit mit meinen Freunden theilen.«

»Bravo!« rief Tomlinson, »und nun dieß ins Reine gebracht ist, müßt Ihr, je eher je besser, eingeweiht werden. Bei dem Lichte der Sterne sehe ich, daß ich an einem Orte bin, wo ich sehr gut bekannt seyn sollte; oder wenn Ihr argwöhnisch seyn wollt, mögt Ihr glauben, ich habe Euch absichtlich in dieser Richtung geführt; aber laßt mich zuerst fragen, ob Ihr großes Verlangen traget, die Nacht in diesem Heuschober zuzubringen, oder ob Euch Gesang und die Punschbowle wohl beinah eben so lieb wäre als die frische Luft nebst der Möglichkeit, in einem Wisch Heu von einer herumschweifenden Kuh verschlungen zu werden?«

»Ihr könnt meine Wahl errathen,« antwortete Paul.

»Gut denn, hier in der Nähe ist ein trefflicher Geselle, dir ein Wirthshaus besitzt und ein treuer Verbündeter und großmüthiger Gönner der Bursche von den Kreuzwegen ist. Zu gewissen Zeiten halten sie wöchentliche Zusammenkünfte in diesem Hause, heut ist eine solche Nacht. Was sagt Ihr? Soll ich Euch bei dem Club einführen?«

»Ich werde sehr erfreut seyn, wenn Sie mich zulassen wollen!« erwiederte Paul, den der Drang kämpfender Gedanken einsylbig machte.

»O, deßhalb seyd unbesorgt! unter meiner Leitung. Euch die Wahrheit zu sagen, obgleich wir eine tolerante Sekte sind, bewillkommen wir doch jeden neuen Glaubensgenossen mit Enthusiasmus. Aber seyd Ihr müde?«

»Ein wenig; das Haus ist nicht weit entfernt, sagt Ihr?«

»Ungefähr eine Meile,« antwortete Tomlinson; »Führt Euch an mir.«

Jetzt verließen unsre Wandrer den Heuschober und gingen über einen Theil des Finchley-Gemeinde-Angers querfeldein, denn der Sitz des würdigen Gasthofinhabers war glücklich gelegen, und der Ort wo seine Gäste ihre Festlichkeiten feierten, war nahe bei dem Schauplatz ihrer häufigen Heldenthaten.

Im Weltergehen befragte Paul seinen Freund über Namen und Charakter des Herrn Wirths und der Alles wissende Augustus Tomlinson antwortete ihm, wie ein Quäcker mit einer Frage:

»Habt Ihr nie vom Gentleman George reden gehört?«

»Was! von dem bekannten Inhaber eines Gaunerwirthshauses auf dem Lande? Ja wohl, und oft; meine arme Pflegemutter, Frau Lobkins pflegte zu sagen, er sey der am vortheilhaftesten bekannte Mann in der Handthierung.«

»Ja, das ist er immer noch. In seiner Jugend war George ein sehr schöner Bursch, aber ein größerer Liebhaber von Mädchen und von der Flasche als seinem Vater gefiel, einem sehr gesetzten alten Gentleman, der Sonntags in einer Stutzperücke und mit einem goldbeschlagenen Stock umherging und an Wochentagen ein weit besserer Bauer als Vorsteher eines öffentlichen HausesWir machen den Leser aufmerksam, daß auf dem Doppelsinn von public house und public, Wirthshaus und Gemeinwesen oder Staat, ein großer Theil, der in diesem Buch vorkommenden, auf hohe Personen sich beziehenden Witze beruht. war. George war ein ausgezeichnet gewichster Bursche und das ist er noch jetzt. Er hat viel Witz, ist ein sehr guter Whistspieler, hat einen Ausbund von Keller, und hat eine solche Freude daran, seine Freunde berauscht zu sehen, daß er vor einiger Zeit ein großes Zinngefäß kaufte, worin sechs Männer aufrecht stehen können. Die Mädchen oder vielmehr die alten Weiber, gegen welche er noch weit höflicher zu seyn pflegte, liebten ihn immer; sie sagen: es gebe nichts so Vornehmes, als seine vornehmen Reden und sie geben ihm den Titel: Gentleman George. Er ist ein feiner, zartfühlender Mann in vielen Dingen, aber jetzt wird er zusehends preßhaft. Gebe der Himmel, daß wir ihn nicht vermissen, wenn er abgeht. Und ich denke, wir werden nicht in den Fall kommen, denn sein Bruder, der arme Kerl, der lange Zeit im Wassergraben gesteckt ist, ist ein schlauer Hund auf seinem Weg und wird ihm nachfolgen. Auf jeden Fall wird, hoffe ich, Bill Squareyards oder Marinen Bill, (so nennt man den Bruder) gewissenhafter mit dem öffentlichen Schatz umgehen, als Gentleman George, der die Wahrheit zu sagen, aus unserem gemeinschaftlichen Beutel einen sehr gentlemanmäßigen Antheil nimmt.

»Was! ist er geizig?«

»Gerade das Gegentheil; aber er ist so rasend aufs Bauen hinein, daß er all sein Geld in Häuser steckt und von uns dasselbe verlangt; und da ist ein verwünschter Hund von Maurer, der ihm furchtbare Rechnungen anschreibt – ein Kerl, Cunning Nat genannt, der eben so gewandt ist, den Boden herunter- wie den Bodenzins hinaufzubringen.«

»Was meint Ihr?«

»Ach, das hängt mit einer Geschichte zusammen. Aber wir sind jetzt dem Ort nahe; Ihr werdet einen sonderbaren Club zu sehen bekommen.«

Als Tomlinson dieß sagte, näherte sich das Paar einem Hause, das einzeln und dem Anschein nach ohne eine andere Gebäulichkeit in der Nachbarschaft dastand. Es war in seltsamem grotesken Styl gebaut, weiß angestrichen, mit einem gothischen Camin, einem porzellanenen Schildhalter (auf dem Schild war ein fischender Gentleman gemalt, mit der Inschrift: der fröhliche Angler), und einem Portal das griechisch gewesen seyn würde, wäre es nicht holländisch gewesen. Das Haus stand in einem kleinen Gute, das nach hinten einen Zaun und vor sich den Gemeinde-Anger hatte. Augustus blieb vor der Thüre stehen, und während er lauschte, hörte man von innen lustiges Gelächter erschallen.

»Ach, die muntern Bursche!« murmelte er, »mich verlangt recht, bei ihnen zu seyn,« und dann pochte er mit geballter Faust viermal an die Thüre. Nun entstand eine plötzliche Stille, die ungefähr eine Minute dauerte und zuletzt durch eine Stimme von innen unterbrochen wurde, welche fragte, Wer da sey? Tomlinson antwortete mit einigen cabalistischen Worten; die Thüre wurde geöffnet und sofort stellte sich ihnen ein kleiner Knabe dar.

»Gut, mein Junge!« sagte Augustus, »und was macht dein Herr? kerngesund und munter, wenn ich nach seiner Stimme urtheilen darf.«

»Ja, Meister Tommy, ja, er zecht in dem hintern Gesellschaftszimmer tüchtig drauf los, mit Herr Pepper und Haudegen Attie, und noch einem Halbdutzend. Er wird gewaltig erfreut seyn, Euch zu sehen, dafür steh ich!

»Zeige diesem Herrn den Weg in die Schenkstube,« erwiederte Augustus, »indeß ich hingehe und dem ehrlichen George meine Achtung bezeuge.«

Der Knabe machte eine Art Verbeugung, führte unsern Helden in die Schenkstube und überließ ihn der Sorge des lüsternen Schenkmädchens, Sally, welche auf den Geschmack des Wirths ein günstiges Licht warf und Paul mit merklicher Auszeichnung und einem Glas Branntwein empfing.

Paul hatte nicht lange den Galanten zu spielen, als Tomlinson wieder mit der Nachricht kam: Gentleman George werde sich sehr glücklich schätzen, ihn im hintern Gesellschaftszimmer zu sehen, und er werde dort einen alten Freund, in der Person des Herrn Pepper treffen.

»Was, ist der hier?« rief Paul, »der elende Schurke! mich statt seiner in den Käfig stecken zu lassen!«

»Ruhig, ruhig! keine falsche Anwendung der Ausdrücke!« sagte Augustus; »das war nicht Schurkerei, das war Klugheit, die größte von allen Tugenden und die seltenste. Aber kommt hinüber und Pepper soll sich morgen erklären.«

Durch eine Gallerie oder einen Gang führte Augustus unsern Helden, öffnete eine Thüre und ließ ihn in ein langes, niederes Zimmer eintreten, wo um einen Tisch, mit Pfeifen und Getränk besetzt, zehn bis zwölf Männer saßen; an der Spitze der Tafel führte in einem Armsessel Gentleman George den Vorsitz. Dieser Ehrenmann war ein stattlicher und anmuthiger Herr mit einem gescheuten Blick und einer walliser Perücke, die er, wie der Morning Chronikle von dem Hut seiner Majestät sagt: in einer ungezwungenen Weise auf die eine Seite gesetzt hatte. Da er vom Podagra geplagt war, so ruhte sein linker Fuß auf einem Stuhl, und diese Lage ließ, trotz lammwollenen Strümpfen, die Reliquien eines ausnehmend wohlgeformten Beines sehen.

Da Gentleman George eine Person von majestätischer Würde unter den Rittern vom Kreuzweg war, so halten wir es für keine Verletzung der Ehrfurcht, wenn wir einige Worte, womit obgemeldeter Morning Chronikle seine Majestät schilderte, an dem Tage, wo er den Grundstein zum Denkmal seines Vaters legte, in die Beschreibung von Gentleman George aufnehmen.Da ein betrübendes Ereigniß uns Gentleman George entrissen hat, wird man diese Spizze desselben ohne Zweifel mehr mit dem Interesse der Geschichte als der Klatscherei betrachten. Wir würden es in der That angemessener gefunden haben, die Schilderung ganz auszumerzen, wäre nicht der außerordentliche Kummer aller Ritter vom Kreuzweg durch ihre außerordentliche Freude über Nachfolge des Bill Squareyards sogleich verdrängt worden. Wir ersparen eine Schilderung von jenem für unsre letzten Blätter; da wird man wenigstens eine Ansicht von der Vergangenheit finden, welche nicht lüstern nach der Zukunft schielt. »Er trug einen schönen blauen Rock und weiße Weste,« und ferner: »er lachte in der besten Laune,« als er, zu Augustus Tomlinson gewandt, ihn also begrüßte:

»So, dieß ist der Jüngling, den Ihr uns vorstellt. Willkommen im lustigen Angler! Gebt uns die Hand junger Herr! ich werde mirs zum Vergnügen rechnen, mit Euch Wolken zu blasen!«

»Mit aller schuldigen Unterwürfigkeit,« sagte Tomlinson, »dächte ich doch, es wäre das beste, fürs erste meinen Zögling und Freund mit seinen künftigen Genossen bekannt zu machen.«

»Ihr sprecht wie ein kluger Gesell!« rief Gentleman George, und sich in seinem Armsessel umwendend stellte er seine Gäste der Reihe nach Paul vor:

»Hier,« sagte er, und wies auf einen herzhaft aussehenden Matrosen in seiner Standeskleidung, mit gefälligem, englischem Gesicht, »hier ist mein Bruder Bill; er ist einst mein Nachfolger auf dem fröhlichen Angler. Du brauchst nicht so schmunzelnd darnach zu sehen, Bill – es ist eine ziemliche Last und Plage die Sorge für ein Publikum, wenn einmal der Reiz der Neuheit an dem Ding vorüber ist. Aber hier, Junker! hier zu meiner Rechten das ist ein ganzer Kerl,« (die so bezeichnete Person war eine kleine militärisch aussehende Gestalt in einem schäbigen Reitfracke und mit einem gebieterischen, trotzigen, adlerartigen Gesicht, das aber etwas abgetragen aussah,) ein alter Soldat, Haudegen AttieAthur – Der Leser erräth leicht den diesen Vornamen führenden Helden. nennen wir ihn; »er ist ein Teufelskerl auf der Landstraße. Halt! – gebt Feuer – sollt und müßt – kann nicht und will nicht – thut wie ich euch bitte, oder fahrt zum Teufel – das ist Atties ganze Beredtsamkeit, und bei Gott! sie trifft den Nagel wunderbar auf den Kopf. Indeß die Schwärmer lieben ihn nicht und wenn er das Geld des Volks einnimmt, sollte er nicht so ungeberdig gegen dasselbe sich benehmen. Attie! laßt mich Euch einen neuen Kumpanen vorstellen.« Paul machte seine Verbeugung.

»Macht's Euch bequem, Mann!« sprach der Veteran, ohne die Pfeife aus dem Munde zu nehmen.

Dann fuhr Gentleman George fort und nachdem er vier oder fünf von der Gesellschaft ausgezeichnet (unter welchen unser Held zu seiner Ueberraschung seine alten Freunde, Herrn Eustace Fitzherbert und Herrn William Howard Russel entdeckte,) kam er zuletzt an einen mit einem sehr rothen Gesicht und von tüchtigem Körperbau. »Dieser Herr,« sagte er, »ist Scarlet Jem, ein gefährlicher Bursche für ein Pressen im Gedränge, obwohl er sagt, er raube jetzt lieber ganz allein, denn das Pressen ist jetzt überhaupt nicht mehr so vorteilhaft als es früher zu seyn pflegte. Ihr habt keinen Begriff davon, welch ein Schlaukopf Scarlet Jem im Verkleiden ist. Er hat eine alte Perücke, in welcher er für gewöhnlich seine Geschäfte macht; und Ihr würdet ihn sicher nicht wieder erkennen, wenn er sich unter der PerückeEs wimmelt diese ganze Stelle von Wortspielen; so läßt sich press nicht im Deutschen wieder geben. Wig heißt Perücke, ist aber auch ziemlich gleichlautend mit Whig. versteckt. Oh, es ist ein kostbarer Schelm, der Scarlet Jem! Was den Kameraden auf der andern Seite betrifft,« fuhr der Gastwirth zum fröhlichen Angler fort, indem er auf den langen Ned deutete, »so ist Alles was ich von ihm sagen kann, Gutes, Schlimmes oder Gleichgültiges, nur so viel, daß er einen Ausstich von Haarboden besitzt; und nun Junker, da Ihr ihn kennt, so dächt' ich, Ihr ginget her und setztet Euch zu ihm, damit er Euch mit den Uebrigen bekannt macht; denn meine Perücke soll bersten (Gentleman George war ziemlich zum Fluchen geneigt,) wenn ich nicht müde bin und so trink' ich auf Eure Gesundheit; und wenn Euer Name Paul ist, so mögt Ihr immer den Peter plündern, um damit Paul zu bezahlen.«

Dieser Witz des Wirthes wurde mit ausnehmendem Beifall aufgenommen und Paul ging, unter allgemeinem Gelächter hin, den Platz neben dem langen Ned einzunehmen.

Dieser lange Herr, der bisher in tiefer Stille Wolken versammelt hatte, wie Homer von Jupiter sagt, wandte sich jetzt mit der wärmsten Herzlichkeit zu Paul, erklärte seine überschwengliche Freude seinen alten Freund wieder zu sehen, und wünschte ihm zu seiner Flucht aus Bridewell so wie zu seiner Aufnahme in den hohen Rath Gentleman George's Glück. Aber Paul, eingedenk des Stückchens von Klugheit von Seiten des Herrn Pepper, vermöge welcher er ihn seinem Schicksal und der Barmherzigkeit des Richters Burnflat überlassen hatte, nahm seine Freundlichkeit sehr mürrisch auf. Diese Kälte brachte den langen Ned, der von Natur reitzbar war, so auf, daß er unserm Helden den Rücken wandte und in seinem aristokratischen Stolze etwas murmelte von Emporkömmlingen und gemeinen Schubsackfegern oder Beutelschneidern, die man in die Gesellschaft anständiger Tobymänner zugelassen. Dieses Gemurmel rief alles Blut in Pauls Wangen, denn obgleich er als Beutelschneider gestraft worden war, wußte doch Niemand besser als der lange Ned, ob er schuldig oder unschuldig gewesen; und ein Vorwurf von diesem erschien ihm als doppelte Ungerechtigkeit und Härte. In seiner Wuth faßte er Herr Pepper beim Ohr und forderte ihn, indem er ihn einen schäbigen Schuft nannte, zum Zweikampf heraus.

Da diese freundliche Einladung nicht sotto voce, sondern in einem, der Wichtigkeit des Vorschlags entsprechenden Tone vorgebracht worden war, so hörten es Alle am Tische, und noch eh der lange Ned antworten konnte, donnerte die volle Stimme von Gentleman George:

»Haltet Frieden da, junger Herr! Was, eben seyd Ihr erst zu unsern Lustbarkeiten zugelassen worden und müßt schon Unfug anfangen? Seht Ihr Herrn, ich bin schon vorher mit Eurem Gezänke genug geplagt gewesen, und der erste Kamerade, der den gegenwärtigen Frieden des fröhlichen Anglers stört, soll über Hals und Kopf hinausgeworfen werden; soll er nicht. Attie?«

»Rechtsum kehrt Euch, marsch!« versetzte der Held.

»Ja, das ist ein Wort, Attie,« sagte Gentleman George, »und nun Herr Pepper, wenn zwischen Euch und dem jungen Mann noch irgend böses Blut ist, wascht es mit einem Becher Schnaps ab und laßt uns nichts mehr davon hören!«

»Ich bin dazu bereit,« rief der lange Ned mit dem nachgiebigen Wesen eines Höflings und reichte Paul die Hand hin.

Unser Held, einigermaßen in Verlegenheit wegen der Neuheit seiner Lage und der Zurechtweisung von Gentleman George, nahm, obgleich mit einigem Widerstreben, die entgegenkommende Artigkeit an.

Als so die Ordnung wieder hergestellt war, begann das Gespräch der Tischgesellschaft eine reißendere Wendung zu nehmen. Sie redeten mit unendlichem Behagen von den Summen, die sie vom Volk erhoben hatten und von den Unterschleifen die sie zum Besten des Wohls der Gemeinschaft, wie sich der Eine, oder der bestehenden Ordnung, wie sich der Andre ausdrückte, und worunter sie sich selbst verstanden, begangen hatten. Es war leicht zu sehen, in welcher Schule der scharfsinnige Augustus Tomlinson die Bedeutung der Worte gelernt hatte. Es hatte etwas gar Erbauliches, diesen Schelmen zuzuhören.

So fein war ihre Sprache, und so redlich ihr Enthusiasmus für ihre eignen Interessen, daß man sich hätte einbilden können, man höre einer Versammlung von Cabinets-Ministern zu, die über Steuern sich beriethen oder über die Nebengefälle stritten.

»Langes Leben und Gedeihen den Gemeinen;« rief der witzige George indem er sein Glas füllte, »durch die Gemeinen werden wir fett, und mögen sie nie von der Hand der Cultur berührt werden!«

»Drei mal drei!« brüllte der lange Ned und der Toast wurde so getrunken wie Herr Pepper vorgeschlagen.

»Eine kleine, gemäßigte Cultur der Gemeinwesen, um frei zu sprechen,« sagte Augustus Tomlinson bescheiden, »könnte nichts schaden, denn sie würde die Leute zum Glauben verlocken, sie können sicher reisen; und Alles erwogen, ein Zaun oder ein Gerstenfeld ist für uns so gut wie eine unfruchtbare Heide, wo wir kein Obdach haben, wenn wir einmal verfolgt werden.«

»Ihr redet Unsinn, Ihr Einfalts-Pinsel!« rief ein angesehener Räuber, Namens Bagshot, der weil er alt und eines Anwalts Laufbursch gewesen war, bisweilen der alte Sack genannt wurde. »Ihr redet Unsinn; diese Neubrüche sind unser Verderben. Jeder Getreidehalm ist ein Eingriff in die Verfassung und die Rechte der Herren Hochstraßenmänner. Bin jetzt alt und werde die Sachen nicht mehr erleben; aber merkt Euch meine Worte: es wird eine Zeit kommen, wo ein Mann von Lonn'on bis Johny Groat reisen kann, ohne durch Unsereinen auch nur einen Heller zu verlieren; wo Hunlow sicher und Finchly ungefährdet seyn wird. O du meine Zeit, wie schlimm wird es dann mit uns stehen!«

Der ehrwürdige alte Mann verstummte plötzlich und die Thränen traten ihm ins Auge. Gentleman George hegte einen tiefen Abscheu gegen üble Laune und besonders behagten ihm alle unangenehme Gegenstände gar nicht.

»Donner und Wetter, alter Sack!« murrte der Wirth vom fröhlichen Angler, »das wird nie geschehen! wir sind alle hiehergekommen um lustig zu seyn und nicht um eurem melancholischen Geleyer zuzuhören. Ich sage, langer Ned, wie wär's, Ihr tischtet uns ein Lied auf, und ich will mit den Knöcheln den Takt dazu schlagen.«

Der lange Ned nahm die Pfeife aus dem Munde und versuchte, wie Lady Heron, ein paar kleine Entschuldigungen; als diese durch allgemeines Gebrülle verworfen wurden, gab der hübsche Beutelschneider folgendes Lied preis, nach der Weise: »Die Zeit verdünnte das Haar mir nicht.«

Das Lied des langen Ned.

Die Handschuh mind'stens sauber sind,
Klebt auch das Gold an her Hand,
Und selten sah man ein Menschenkind.
In solchem flottem Gewand.

O Publikum, das du zahlest Tribut
Zu unsres Gewerbes Betrieb:
Ist's Dir kein Trost, zu steuern dein Gut
An einen so stattlichen Dieb?

Stets, wenn eine Kutsche ich plünderte aus.
Ich galant wie ein Liebhaber war;
Und war den Leuten mein Thun ein Graus:
Sie mußten doch loben mein Haar!

John Bull, harmlosen Scherzen hold.
Grinst gern auch gegen mich;
Hab' ihrem Lachen nie gegrollt.
Denn wer gewinnt – bin ich!

John Bull hat Geld im Kasten sein
Und hat im Kopf viel Grütz;
Ich üb' an Bull meine Schlauheit sein
Und er an mir seinen Witz!

»Und Er an mir seinen Witz! trefflich!« rief Gentleman George seine Pfeife anzündend und Attie winkend, »ich höre daß ihr ein so superber Kerl mit den Weibsbildern seyn sollt?«

Ned lächelte und antwortete: »Niemand soll prahlen, aber –« er hielt bedeutungsvoll inne, warf dann einen Blick auf Attie und sagte: »da wir von Frauenzimmern sprechen, die Reihe ist an mir, einen Gentleman zu einem Gesang aufzufordern und ich fordre den Haudegen Attie auf.«

»Ich singe nie,« versetzte der Kriegsmann.

»Verrath, Verrath,« rief Pepper, »es ist ein Gesetz und Ihr müßt dem Gesetz gehorchen – so fangt an.«

»Es ist wahr, Attie,« sagte Gentleman George.

Gegen des ehrlichen Gastwirths Befehl gab es keine Einrede, und wie es denn Attie's Lieblingssatz war, daß je weniger Worte, desto kleiner der Schaden, so sang auch jetzt der Krieger in rascher und lakonischer Weise wie folgt:

Haudegen Attie's Lied.

(Nach der Weise: Hochberühmt durch Waffenthaten.)

»Auf um sechs, gespeist um zwei –
Leute geplündert ohne Geschrei!
Dieß mein Evangelium –
Zweifelt Ihr ob es klug? rechtsum!

(Er winkt einem blaßgelben Gentleman auf derselben Seite des Tisches die Bowle heraufzusenden.)

»Gebt herum den Stoff, herauf zu mir,
Ihr knurriges, knuffiges, muffiges Thier!

(Der blaßgelbe Gentleman mit heiserer Stimme:)

Attie, die Kanne ist jetzt bei mir.
Ich kann sie nicht missen, sehet Ihr!«

(Attie die Bowle umfassend:)

Gebt her, gebt her! entsagt dem Gelüst

(Er reißt sie ihm weg und sieht stolz den blaßgelben Gentleman an:)

»Ihr habt entsagt jetzt und Ihr müßt!«

Chorus.

»Ihr habt entsagt jetzt und Ihr müßt!«

Während der Chor, über den überwundenen Zecher sich lustig machend, die emfatischen Worte des heldenmaßigen Attie fortbrüllte, leerte diese Person die Kanne auf einen Zug, nahm wieder seine Pfeife und forderte mit so kurzen Worten als nur anging, Bagshot zum Singen auf. Der treffliche alte Highwayman gehorchte mir großem Widerwillen der Forderung, räusperte sich und stimmte eine Arie an, etwa in der Melodie: »Alte Weiber!«

Lied des alten Sack.

»Sind die Tage dahin, wo auf Hounslow Gefild
Wir den Klepper gejagt«

Vor der Stimme des Sacks, von Furcht erfüllt
Jedes Herz gezagt?

Nie ließ ich mein Werk nur halb gethan,
Nie ward ich ertappt;

Verdächtlich war ich, doch blieb ich daran.
Bis ich Alles erschnappt.

Chorus.
Bis ich Alles erschnappt.

Hielt die Kutsche und stürmten die Herren heraus:
Ich trotzte der Macht!
Und kein andres Wörtchen stieß ich aus
Als: sachte, nur sacht!«

O nie vergeß ich der fröhlichen Zeit,
Doch der Trunk ist lack!
Wenn ich todt bin, noch einen Becher weiter
Dem armen, alten Sack!«

Chorus.
Dem armen, alten Sack!«

»Ja, das wollen wir, mein lieber Bagshot,« rief Gentleman George mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit; aber als er im Auge des guten alten Gesellen eine Thräne sah, setzte er hinzu: »Hellauf! Was da! Hellauf!« die Zeiten werden sich bessern, und die Vorsehung kann uns schon noch ein gutes Jahr bescheeren. wo Ihr Euch so gut befinden werdet als je. Ihr schüttelt den Kopf. Nun seyd nur nicht doskollerig, sondern fordert einen Gentleman auf!«

Den Tropfen der Empfindsamkeit abwischend, forderte der Veterane den Gentleman George selbst auf.

»O verhenkert!« sagte Gentleman George, »mich sollte es überspringen, weil ich ausschenke, aber seys drum.«

Gentleman George's Lied.

»Ich bin der Kneipwirth, der lustige alte Kneipwirth,
Gerühmt und besungen nicht wenig.
Und ein durstiger Kneipwirth der vom Saufen beleibt wird.
Ist so viel als ein nüchterner König.

Chorus.
Ist so viel als ein nüchterner König.

Was thut der Alarm von dem tobenden Schwarm
Wenn sie in der Schenkstube zechen!
Was Kreuz der Alarm macht mir keinen Harm
So lange die Schufte nur blechen.

Chorus.
So lange die Schufte nur blechen.

Ist fremder Credit meines Häuschens Kitt:
Wer denkt drum von mir geringer?

Dem warm schlägt das Herz, für Gemeinwohl und Schmerz,
Siebt dem Wirthschafter leicht durch die Finger,

Chorus.
Siebt dem Wirthschafter leicht durch die Finger.

»Da, Ihr Herrn,« sagte der Hausinhaber keuchend, »das ist das Mark der Versekunst, und meine Perücke soll bersten, ich bin jetzt ganz außer Athem. So, gebt den Branntwein herum, Augustus – ihr schlauer Hund! Ihr behaltet Alles für Euch!«

Mittlerweile war das ganze Conclave mehr als halb seekrank geworden, oder wie Augustus Tomlinson sich ausdrückte: »ihre herberen Eigenschaften waren durch eine anmuthige und harmlose Weichheit gemildert.«

Pauls Augen gingen im Kreis herum und seine Zunge verirrte sich. Nach und nach ging das Zimmer mit ihm um, die Gesichter seiner Kameraden verwandelten sich und das Antlitz des alten Sacks nahm ein unheimliches und drohendes Wesen an. Er meinte, der lange Ned beleidige ihn, und der alte Sack ergreife die Parthie des Angreifenden, balle die Fäuste, und drohe den Kopf des Klägers vors Gericht zu bringen, wenn er die Ruhe der Gesellschaft störte. Verschiedene andere eingebildete Unglücksfälle schwebten ihm vor. Er glaubte einen Postwagen in Gesellschaft des langen Ned geplündert zu haben, Tomlinson klage ihn an und Gentleman George gebe Befehl ihn zu hängen! kurz er litt an einem vorübergehenden Wahnsinn, verursacht durch den plötzlichen Glücksumschlag – von Wasser zum Branntwein, und das letzte, wovon er noch eine Erinnerung behielt, eh er in Gesellschaft des langen Ned, des Scharlach Jem und des alten Sack unter den Tisch sank, war: daß er an den Schlußzeilen eines Liedes mitgesungen hatte, welches ihm ein Chorus von Sterbgedanken und Geständnissen zu seyn schien, was aber in der That ein zu Ehren des Gentleman George gedichtetes Lied war und von seinen dankbaren Gästen zum Schluß der Festlichkeit gesungen wurde. Es lautete also:

Der große Räuber Toast.

Einen Becher mit blauem Tob schenkt ein!
Zapfe rothes Getränk wem's behagt!
Doch was auch der Stoff – randvoll muß seyn.
Wer weiß, wann der Trunk uns versagt?
Und jezt in das Bett, wo der Schelm liegt gern.
Weil er denkt die Verborgenheit nütz' ihn!
Ein Tropfen im Mund und am Augenstern,
Hoch Gentleman George! Gott schütz' ihn!
Gott schütz' ihn! Gott schütz' ihn!

Hoch Gentleman George! Gott schütz' ihn!

Bei des Prinzen Gelag ist's, so hör' ich, der Brauch,
Eh' sie machen dem Trinken ein End',
Curaxao man gießt in der Bowle Bauch,
Daß der Stoff desto weidlicher brennt. Nicht rühm' ich den Stoff; doch wer nicht sein Glas
Gern leeret – der Teufel besitz' ihn!
Aufrecht ihr Jungen, laßt's kreisen baß!
Hoch Gentleman George! Gott schütz' ihn!
Gott schütz' ihn! Gott schütz' ihn!

Hoch Gentleman George! Gott schütz' ihn!

Seht, der Ehrenmann wird jetzt schwach auf dem Strumpf,
Helf' Schuft, ihm zum sicheren Stand!
Ihr reget Euch nicht, wie seyd ihr so stumpf!
Tapfrer Attie, leiht ihm die Hand!

(Die Räuber drängen sich um Gentleman George zusammen und jeder stößt ihn, unter dem Vorwand, ihm beizustehen, hin und her.)

Lehnt auf mich Euch! ich bin Euch zum Dienste bereit.
Laßt den Ellbogen fahren, ihr Wölf'!
Ihm Seyd ihr nur zur Last! o tückische Leut'!
Hoch Gentleman George!
Gott helf' ihm! Gott helf' ihm! Gott helf' ihm!

Hoch Gentleman George! Gott helf' ihm!


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