Edward Bulwer
Paul Clifford. Zweites Bändchen
Edward Bulwer

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Neuntes Kapitel

Erzähle denn, o göttergleicher Gast!
Wie ward durch griech'sche List die Stadt betrogen?

Aeneis.

So stiegen sie herunter und entflohen.

Ebendaselbst.

Mit dem Charakter Augustus Tomlinsons war, seit Paul mit diesem berühmten Mann zuletzt zusammen gewesen war, eine große Veränderung zu seinem Vortheil vorgegangen. Damals hatte Augustus den Mann des Vergnügens gespielt, den gelehrten Pflastertreter, den vollendeten Perikles der Zeitungen, – bald hatte er aus Horaz citirt, bald eine Fliege von Lord Dunshunners Vorderpferd weggeklatscht; mit einem Wort eine Art von Mittelding zwischen Lord Dudley und dem Marquis von Worcester. Jetzt hatte ein ernsteres aber darum nicht minder hochmüthiges Wesen sich in seinen Zügen ausgeprägt; die Anmaßung des guten Tons hatte der Anmaßung der Weisheit Platz gemacht; und aus einem Mann des Vergnügens war Augustus Tomlinson ein Filosof geworden. Aber mit dieser Erhöhung war er noch nicht zufrieden, er verschmolz den Filosofen mit dem Politiker und der schlaue Schurke that sich besonders gern etwas darauf zu Gute: Ein gemäßigter Whig zu seyn. »Paul,« so pflegte er sich auszusprechen, »glaubt mir! gemäßigter Whiggism ist ein vortreffliches Glaubensbekenntnis Er schmiegt sich an jeden möglichen Wechselfall, an jede nur deutbare Umwandlung der Verhältnisse an. Es ist die einzige Politik für uns, die Aristokraten der freisinnigen Art, welche gegen tyrannische Gesetze sich empören; denn, zum Kuckuk, ich bin kein Demokrat. Kerker und Kerkermeister mögen da seyn für die gemeinen Spitzbuben, welche Kleider von den Zäunen rupfen, daran sie zum trocknen hängen, oder einem silbernen Löffel zu lieb in ein Haus sich einschleichen; aber Zuchthäuser sind nicht gemacht für Männer, die eine aufgeklärte Erziehung genossen, die kleine Diebstähle so sehr als irgend ein Friedensrichter verabscheuen, von denen man nie sagen sollte, sie trieben ein unehrliches Gewerbe, sondern, wenn man sie je entdeckt: sie seyen unglücklich in ihren Spekulationen.Ein Ausdruck der von Einem gebraucht wurde, welcher wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder berüchtigt war. Eine saubere Sache in der That, daß bei allen andern Gliedern der Gesellschaft Rang-Unterschiede seyn sollen, und nur bei uns nicht! Wo bleibt die berühmte brittische Verfassung? Ich wäre begierig zu erfahren – wo bleiben die Privilegien der Aristokratie, wenn ich, ein geborner Gentleman, der Latein versteht und in der besten Gesellschaft gelebt hat, in diesen abscheulichen Ort mit einem schmutzigen Gesellen zusammengeworfen werde, der in einem Winkel geboren ist und sich nie mehr auf Einmal erwerben konnte als um eine Bratwurst zu kaufen. Nein, nein! weg mit diesen Nivellirungs-Grundsätzen! Ich bin liberal, Paul, und liebe die Freiheit; aber, dank dem Himmel, ich verachte die Demokraten!«

So pflegte dieser gemäßigte Whig, halb im Ernst und halb einen natürlichen Hang zum Spott verschleiernd, während der langen Nächte, die um halb 5 Uhr anfingen und wo er und Paul einander Gesellschaft leisteten, stundenlang fortzuplaudern.

Eines Abends, da Tomlinson so gründlich zur Weitschweifigkeit aufgelegt war, daß Paul selbst sich durch den Strom seiner Beredsamkeit einigermaßen ermüdet fühlte, erinnerte unser Held, sehnlich eine Aenderung des Gesprächs wünschend, Augustus an sein Versprechen, seine Geschichte ihm mitzutheilen, und der filosofische Whig, der sichs nie verdrießen ließ von sich selbst zu sprechen, räusperte sich und begann:

Geschichte Augustus Tomlinson's.

Man frage nicht wer mein Vater oder was mein Geburtsort war! Mein erster Ahne war Tommy Linn, (sein Erbe wurde Tom Linns Sohn), Ihr kennt die Ballade ihm zu Ehren:

Tommy Linn ist als ein Schotte geboren.
Sein Kopf ist kahl und sein Bart geschoren;
Eine Kappe von Hasenfell schmücket ihn!
Ein ältlicher Mann ist Tommy Linn!

u. s. w. Siehe Ritsons Liederbuch des Nordens.

In der Schlußstrofe dieser Ballade war eine Art von Profezeihung über die Nachkommen meines Ahnen dunkel angedeutet:

»Tommy Linn, sein Weib, ihre Mutter zusammen
Fielen sie alle in die Flammen;
Den untersten wurd' es zu heiß darin,
»Wir sind nicht genug!« sprach Tommy Linn.«

Ihr seht die Profezeihung; sie paßt sowohl auf vornehme Schelmen als auf gemäßigte Whigs, denn beide sind in der Welt die Untersten und beide schreien unablässig: Wir sind nicht genug. Ich will meine eigene Geschichte mit der Bemerkung anfangen, daß ich in eine Schule im Norden des Landes kam, wo ich wegen meiner Anstelligkeit im Lernen und meiner Geschicklichkeit im Gefangenschafts-Spiele gerühmt wurde; auf mein Wort, ich wollte kein Wortspiel machen! Ich war für die Kirche bestimmt; ich wünschte mich bei Zeiten in den Ceremonien zu unterrichten und überredete meines Schulmeisters Dienstmädchen, mir bei Vollziehung einer Taufe behülflich zu seyn. Mein Vater sah diese vorzeitige Liebe zu den heiligen Gebräuchen nicht gerne. Er nahm mich nach Haus zurück und von dem Wunsche beseelt, meinem geistigen Eifer eine andere Richtung zu geben, bereitete er mich auf das Schreiben von Predigten dadurch vor, daß er mir täglich ein Dutzend vorlas. Ich wurde dessen überdrüssig, so sonderbar Euch dieß vorkommen mag. »Vater,« sagte ich eines Morgens, »ohne langes Gerede, ich werde nicht in die Kirche treten – das ist einmal ausgemachte Sache. Gebt mir Euern Segen und 100 Pfund; damit will ich nach London gehen und ein Mann der zu leben hat,Living heißt zugleich Lebensunterhalt und Pfründe. Der Doppelsinn ist nicht zu übersetzen. werden, statt ein Pfarrverweser.« Mein Vater tobte, aber zuletzt setzte ich es durch. Ich sprach davon, Privatlehrer zu werden, schwur, ich habe gehört es sey die leichteste Sache von der Welt; das Einzige woran es fehlen könnte, seyen Zöglinge, und der einzige Weg solche zu bekommen, sey: nach London zu gehen und meine Gelehrsamkeit bekannt werden zu lassen. Mein armer Vater! nun, er ist todt und ich bin jetzt froh darüber! (die Stimme zitterte dem Redenden,) ich wurde Meister, sage ich, und ging in die Hauptstadt wo ich einen Buchhändler zum Verwandten hatte. Durch seine Vermittlung schrieb ich ein Buch: Reisen in Aethiopien, für den Sohn eines Grafen, der ein Wunder der Welt werden sollte, und eine Abhandlung über die griechischen Partikeln, dem ersten Minister gewidmet, für einen Dekan, der Bischof zu werden wünschte, da das Griechische, zunächst dem Einfluß, der beste Weg zur heiligen Mütze ist. Diese beiden Werke wurden freigebig bezahlt; ich nahm eine Wohnung im ersten Stock und entschloß mich zu einem kecken Streich um eine Frau zu bekommen. Was meint Ihr, daß ich that? Nein, laßt das Rathen, es würde ganz umsonst seyn. Zuerst ging ich zu dem besten Schneider und ließ mir meine Kleider auf dem Rücken nähen, fürs zweite lernte ich den hohen Adel und seine Stammbäume auswendig; drittens marschirte ich eines Abends mit der allerkühlsten Ueberlegung in das Haus einer Herzogin, die einen ungeheuern Rout gab. Die Zeitungen hatten mir diese Idee eingegeben. Ich hatte von dem ungeheuern Gewühl gelesen, »welches eine Dame zu Hause um sich zu versammeln bemüht war.« Ich hatte von gedrängt vollen Treppen gelesen und von Ladys die man unmächtig fortgetragen, und mein gesunder Menschenverstand sagte mir, wie unmöglich es sey, daß die schöne Wirthin um die Rechtmäßigkeit Aller Gäste wissen sollte. Ich beschloß also mein Glück zu versuchen und schwärzte den Leib des Augustus Tomlinson, wie eine gestohlene Waare, ein. Freilich in der ersten Nacht war ich schüchtern; ich war wie an die Treppe geheftet, und liebäugelte mit einem alten Frauenzimmer von Stand, die ich als Lady Margaretha Sinclair ankündigen hörte. Ohne Zweifel hatte noch Niemand mit ihr Liebesblicke gewechselt; und sie war offenbar ganz entzückt über die meinigen. In der nächsten Nacht las ich von einem Ball bei der Gräfin von – –. Mein Herz schlug mir, als sollte ich gepeitscht werden, aber ich raffte meinen Muth zusammen und erschien bei der gnädigen Lady. Hier sah ich wieder die göttliche Lady Margaretha, und weil ich beobachtete, daß sie bei meinem Anblick gelb wurde, was bei ihr das Erröthen vertrat, kam mir der Portwein, den ich als Ermuthigungsmittel zu meinem Gang getrunken hatte, zu statten, so daß ich auf die allerzierlichmodischste Weise auf sie zutänzelte, die gnädige Lady daran erinnerte, daß ich einmal bei dem Herzog von Dashwell die Ehre gehabt, ihr vorgestellt zu werden, und sie um die Hand für den nächsten Cotillon bat. O Paul! denkt Euch meinen Triumf, das alte Fräulein sagte mit einem Seufzer: Sie erinnere sich meiner recht gut, ha! ha! ha! und ich führte sie zum Cotillon wie ein zweiter Theseus der eine zweite Ariadne entführt. Um über diesen Theil meines Lebens nicht zu weitschweifig zu werden, ich ging Nacht für Nacht auf Bälle und Rout's, zu welchen die Hälfte der seinen Welt in London mit ihren Ohren wohl gern den Zutritt erkauft hätte. Und ich benützte meine Zeit so gut bei der Lady Margaretha, die ihre eigne Herrin war und 5000 Pfund hatte – ein verdammt schmaler Bissen für Manchen, aber für mich doch nicht zu verachten – daß ich schon daran dachte, auf wann der glückliche Tag festzusetzen seyn möchte. Inzwischen war ich, weil Lady Margaretha mich mit einigen ihrer Freunde bekannt machte und meine Wohnung sich sehen lassen konnte, mit einigen wirklichen Einladungen beehrt worden. Die einzigen zwei Fragen, die mir immer in nachläßigem Tone vorgelegt wurden, waren: ob ich der einzige Sohn sey? und auf meine wahrhafte Antwort: Ja! erfolgte mit etwas mehr Wärme die andre: Aus welcher Grafschaft ich sey? Zum Glück war meine Grafschaft ansehnlich – Yorkshire; und wenn meine artigen Frager etwa bei diesen und jenen dorther Gebürtigen sich nach mir erkundigten, so erhielten sie natürlich die Antwort: ich sey von einem andern Theile der Grafschaft.«

»Nun, Paul, ich wurde durch den glücklichen Erfolg so keck, daß mir der Teufel eines Tags in den Kopf setzte zu einem großen Essen bei dem Herzog von Dashwell zu gehen. Ich ging hin, speiste mit; es ging Alles gut; ich ging wieder weg und am nächsten Morgen las ich in den Zeitungen:

»Ein räthselhafter Vorfall – ein Individuum das sich seit einiger Zeit blicken läßt – die ersten Häuser – höchst fashionable Gesellschaften – Niemand kennt ihn, – bei Herzog von Dashwell gestern – der Herzog will keine Störung herbeiführen – da eine Hoheit anwesend.

Das Journal sank mir aus der Hand. In diesem Augenblick übergab mir das Mädchen vom Hause ein Billet von Lady Margaretha; sie erwähnte darin des Zeitungsartikels, wunderte sich, wer doch der Fremde seyn möchte, hoffte mich diesen Abend bei Lord A – – zu sehen, zu dessen Gesellschaft ich eine Einladung zu haben vorgab – dann könne man genügender von den berührten Gegenständen sprechen, kurz, mein theurer Paul, ein zärtlicher Brief. Alle große Männer sind Fatalisten; ich bin auch einer; das Schicksal machte mich zu einem Wahnsinnigen; im Angesicht dieses Unglück weissagenden Artikels bot ich meinen Muth auf und ging diese Nacht zu Lord A – –. Die Sache verhielt sich so: meine Angelegenheiten waren in Unordnung; ich steckte tief in Schulden, ich sah die Notwendigkeit ein, meinen Sieg über Lady Magaretha bald möglichst zu vollenden; und bei Lord A – – schien der beste Ort für dieses Vorhaben sich darzubieten. Ja ich hielt, nach diesem verfluchten Artikel, den Verzug für so gefährlich, daß Ein Tag mich entlarven konnte, und glaubte es deßhalb angemessener, die Beendigung dieses Stücks: der Fremde, auch nicht um eine Stunde durch die Posse: der Honigmonat, aufzuhalten. Und so stellt Euch denn vor, wie ich bei Lord A – – Lady Margaretha zum Tanze führte; stellt Euch vor, wie ich ihr die süßesten Sachen ins Ohr flüsterte; denkt Euch, wie sie meinen Anzug lobte und mich sanft schalt, daß ich von Gretna Grün gesprochen. Stellt Euch dieß Alles vor, mein guter Gesell, und eben wie ich auf dem Gipfel meines Triumfes angekommen war – reißt die Augen Eurer Einbildungskraft auf und schaut: wie die stattliche Gestalt des Lord A – – meines edlen Wirthes auf mich zukam, während eine Stimme, die, obwohl leise und ruhig wie ein Abendlüftchen, mir doch das Herz in die Schuhe fallen machte, zu mir sagte: »Ich glaube Sir, Sie haben von Lady A – – keine Einladung bekommen?«

Nicht ein Wort konnt' ich vorbringen, Paul! – nicht ein Wort. Wäre es auf der Landstraße gewesen, statt im Ballsaal – ich hätte laut genug reden wollen; aber ich war wie von einem Zauber gebannt.

»Hm, hm,« stotterte ich endlich, »hm, ehem, – ein Miß – griff, ich – ich –« hier stockte ich.

»Sir,« sagte der Graf und betrachtete mich mit finstrem Ernst, »Sie thäten wohl, sich zu entfernen.«

»Gott steh' mir bei! Was soll das heißen?« rief Lady Margaretha, ließ meinen gelähmten Arm fahren, und sah mich an als erwartete sie, ich würde wie ein Held sprechen.

»Oh,« sagte ich, »hm – hm, ich will morgen Auf – schluß geben, hm – hm,« damit ging ich der Thüre zu; alle Augen im Saal schienen in Brenngläser verwandelt und versengten mir die Haut im Angesicht. Ich hörte, als ich das Zimmer verließ, einen leisen Schrei; Lady Margaretha in Ohnmacht, vermuthlich! Hiemit endete meine Bewerbung und meine Abenteuer in der besten Gesellschaft. Ich wurde über das Mißlingen meines Planes schwermüthig. Ihr müßt gestehen, es war ein trefflicher Anschlag. Welch ein moralischer Muth! Ich bewundre mich selbst, wenn ich daran denke. Ohne eingeführt zu seyn, ohne eine Seele zu kennen, verschaffe ich mir durch meine Entschlossenheit freien Zutritt in den vornehmsten Häusern in London, tanze mit Grafentöchtern, und es fehlt nichts, als daß ich selbst eine Grafentochter als Gemahlin heimführte. Wäre dieß geschehen, so hätten meine Freunde etwas für mich thun müssen; und Lady Margaretha Tomlinson hätte wohl leicht den jugendlichen Genius ihres Augustus ins Parlament oder ins Ministerium einführen können. O, welch ein Sturz vom Himmel war das! und doch wahrhaftig, ha! ha! ich konnte trotz meinem Verdruß mich des Lachens nicht erwehren, wenn ich mich erinnerte, wie ich drei Monate lang mich bei diesen delikaten Exklusiven im Ansehen erhalten und von vielen derselben förmlich eingeladen worden war, welche die jüngern Söhne ihrer eignen Vetter nicht würden zu sich gebeten haben, und das nur deßwegen, weil ich in einer guten Straße wohnte, mich für einen einzigen Sohn ausgab und von meinen Besitzungen in Yorkshire sprach. Ha! Ha! wie bitter mußten es die lohnsüchtigen Narren empfinden, als die Entdeckung gemacht wurde! welch eine Pille war es für die guten Matronen, welche schon mein Bild mit dem ihrer Töchter Jane und Mary vermählt hatten! Ha, ha, ha! der Triumpf war beinah die Beschämung werth. Indeß ich wurde, wie schon gesagt, schwermüthig darüber; besonders als meine Gläubiger drohende Mienen annahmen. So ging ich denn zu meinem Vetter, dem Buchhändler, mich bei ihm Raths zu erholen; er empfahl mir für die Journale zu schreiben und verschaffte mir einen Antrag. Ich machte mich eine Zeitlang geduldig ans Werk und schloß einige angenehme Freundschaften mit Gentlemen, mit denen ich regelmäßig in St James zusammenkam. Aber noch waren meine Gläubiger, obgleich ich sie in kleinen Abschlagssummen bezahlte, die Plage meines Lebens; ich gestand dieß einem meiner neuen Freunde. »Kommt mit mir,« sagte er, »eine Woche nach Bath, und Ihr sollt so reich wie ein Jude von dort zurückkommen.« Ich nahm das Anerbieten an und fuhr im Wagen meines Freundes nach Bath. Er legte sich den Namen Lord Dunshunner bei, ein irländischer Peer, der nie über Galway hinausgekommen war, und deßhalb in Bath schwerlich bekannt war. Er miethete auch ein Haus für ein Jahr, füllte es mit Weinen, Büchern und Silbergeschirr; während er, unbestimmt von seiner Abreise in die Hauptstadt, zur Parlamentssitzung, sprach, kaufte er diese Waaren von den Leuten in der Stadt um ihrem Handel einen Aufschwung zu geben; ich besorgte heimlich die Fracht nach London und den Verkauf, und da wir sie 50 Procent unter dem wahren Werth losschlugen, so waren unsre Abnehmer, die Pfänderleiher, nicht sehr zudringlich in ihren Fragen. Wir führten ein paar Monate in Bath ein lustiges Leben; in einer Nacht reisten wir ab und überließen unserm Hausbesitzer die Beantwortung aller Anfragen. Wir hatten die Vorsicht beobachtet, unkenntlich machende Kleidungen zu tragen, hatten uns ausgepolstert und die Farbe unsrer Haare verändert, mein edler Freund war in diesen Verwandlungskünsten ein Adept, und obgleich die Polizei bei dem Handel nicht schlief, erwischte sie uns doch nie. Ich bin besonders froh, daß wir nicht entdeckt wurden, denn ich liebe Bath ausnehmend, und beabsichtige dieser Tage dahin zurückzukehren und mich mit einer Erbin von der Welt zurückzuziehen.

Nun, Paul, bald nach diesem Abenteuer machte ich Eure Bekanntschaft. Ich setzte zum Schein mein literarisches Treiben fort, aber bloß als eine Maske für die Geschäfte, die ich nicht gestehen durfte. Ein Umstand nöthigte mich London ziemlich übereilt zu verlassen. Lord Dunshunner traf mit mir in Edinburgh zusammen. Verdammt! statt dort etwas einzuthun, wurden wir selbst eingethan. Der ärgste Igel, der je durch die Hochstraße kroch, ist dem gründlichst gebildeten und durchtriebenen Engländer mehr als gewachsen. Bei uns ist es Kunst; bei den Schotten ist es Natur. Sie fegen uns die Taschen aus, ohne die Finger zu brauchen, und kommen der Vergeltung zuvor, weil sie nichts haben, das man rapsen könnte.

Wir verließen Edinburgh mit sehr langen Gesichtern und in Carlisle fanden wir es nothwendig uns zu trennen. Ich meines Theils ging als Kammerdiener zu einem Edelmann, der eben in Carlisle seinen vorigen durch ein Fieber verloren hatte: mein Freund gab mir die trefflichsten Zeugnisse. Mein neuer Herr war ein sehr gescheuter Mann; er setzte die Leute beim Diner mit den Impromptus in Erstaunen, die er beim Frühstück vorbereitete, mit Einem Wort, er war ein witziger Kopf. Bald sah er, denn er war selbst gelehrt, daß ich eine klassische Bildung genossen und er nahm im Vertrauen meine Fähigkeiten in Anspruch, Citate für ihn aufzufinden. Ich ordnete diese nach dem Alfabet und unter drei Hauptklassen: Parlamentarische, Literarische, Gesellschaftliche; diese hatten wieder Unterabtheilungen: Vornehme, gelehrte, scherzhafte, so daß mein Herr auf Einmal wußte, wo er Geist, Weisheit und Witz zu suchen hatte. Er war sehr entzückt über die von mir in seine Geistesthätigkeiten gebrachte Ordnung. Um mich ihm gefällig zu erweisen, widmete ich der Politik mehr Aufmerksamkeit als früher; denn er war ein entschiedener Whig, und in Allem, außer im Geld, ungemein liberal. Daher stammen, Paul, meine politischen Grundsätze, und dem Himmel sey Dank, es giebt jetzt keinen Schelmen in England, der ein bessrer, das heißt ein gemäßigterer Whig wäre, als Euer unterthäniger Diener. Ich blieb beinah ein Jahr bei ihm. Er verabschiedete mich wegen eines Fehlers der meines Genius würdig war; andre Diener bringen ihren Herrn etwa um eine Uhr, einen Rock; ich spielte ein größeres Spiel und brachte ihn um seinen: Privat-Charakter.«

»Was meint Ihr damit?«

»Nun, ich war in eine Dame verliebt, die mich als Herrn Tomlinson nicht würde angesehen haben; so nahm ich denn meines Herrn Kleider und gelegentlich seinen Wagen und machte meiner Nymfe als Lord – – den Hof. Ihre Eitelkeit machte sie unbesonnen und geschwätzig. Die Toryblätter bekamen Wind davon; und bei einem Ministerwechsel erklärte Georg III. von meinem Herrn, er sey: zu leichtsinnig zu einem Kanzler der Schatzkammer. Ein alter Gentleman, der von einer Frau wie eine Gorgo fünfzehn Kinder hatte, wurde statt meines Herrn erkoren, und obgleich der neue Minister in seinen Fähigkeiten als Staatsmann ein Narr war, so war doch das moralische Publikum wegen seiner häuslichen Tugenden vollkommen wohl mit ihm zufrieden.

Mein Herr wurde wüthend, stellte die strengsten Untersuchungen an, kam mir auf die Schliche und jagte mich aus dem Haus.

Ein Whig außer Diensten hat das Recht, mit der Verfassung unzufrieden zu seyn. Mein Unfall machte mich beinah zum Republikaner; aber, getreu meinem Glaubensbekenntniß, muß ich gestehen, daß ich nur nach Oben zu nivellirt hätte. Besonders war ich der ungleichen Vertheilung des Reichthums feind; bei jedem Wagen, der vorbeirollte, blickte ich finster; wie ein zweiter Catilina runzelte ich die Stirne beim Dampf aus der Küche eines Gentleman. Meine letzte Stelle war nicht einträglich gewesen; in meinem Eifer für Politik, hatte ich meine Nebeneinkünfte versäumt. Mein Herr weigerte sich auch, mir ein Zeugniß zu geben – wer sollte mich ohne ein solches nehmen?

Diese traurige Frage legte ich mir selbst eines Morgens vor, als ich plötzlich einem von den vornehmen Freunden begegnete, mit welchen ich in meiner alten Gesellschaft in St. James gewöhnlich verkehrte. Sein Name war Pepper.

»Pepper!« rief Paul.

Ohne den Ausruf zu beachten fuhr Tomlinson fort:

»Wir gingen in eine Schenke und tranken mit einander eine Flasche. Der Wein machte mich mittheilsam, auch meinem Kameraden schloß er das Herz auf. Er forderte mich auf diese Nacht mit ihm einen Ritt nach Hounslow zu machen; ich that es und fand eine Börse.«

»Welches Glück! Wo denn?«

»In der Tasche eines Gentleman. Ich war so erfreut über meinen guten Stern, daß ich jede Woche zweimal dieselbe Straße einschlug um zu sehen, ob es noch mehr Börsen aufzulesen gebe. Das Schicksal begünstigte mich und ich lebte lange Zeit das Leben eines Lieblings der Götter. O Paul, Ihr wißt nicht, nein, Ihr wißt nicht, was es für ein superbes Leben um das Leben eines Hochstraßenmannes ist; aber Ihr sollt es dieser Tage zu kosten bekommen, das sollt Ihr, auf meine Ehre.«

»Jetzt lebte ich mit einem Club ehrbarer Gesellen; wir nannten uns selbst die Exclusiven, denn wir waren über die Maßen wählerisch mit unsern Genossen und nur die, welche das Geschäft auf einem hohen Fuß betrieben, erhielten bei unserer Gesellschaft Zutritt. Ich für meinen Theil jedoch fand, bei all meiner Liebe für mein Gewerbe, mehr Gefallen an der List als an der Gewalt und zog, was der Pöbel schnellen nennt, sogar der Hochstraße vor. Bei einer Unternehmung dieser Art ritt ich einmal in eine Landstadt und sah in einem Theile der Stadt ein Menschengewühl versammelt: ich näherte mich, und denkt Euch meine Empfindungen! ich sah meinen alten Freund, den Viscount Dunshunner eben im Begriff gehängt zu werden. Ich ritt davon, so schnell ich konnte. Ich meinte Meister Rothmantel, mir auf den Fersen zu sehen. Mein Pferd warf mich gegen einen Zaun und ich brach das Schlüsselbein. In der Absperrung von der Welt, welche die Folge davon war, tauchten düstre Gedanken in mir auf. Ich mochte nicht gern gehängt werden; deßhalb bot ich Vernunftgründe gegen meine Verirrungen auf und bereute sie. Langsam genas ich, kehrte in die Hauptstadt zurück und stellte mich meinem Vetter, dem Buchhändler vor, die Wahrheit zu sagen, ich hatte ihm einen kleinen Streich gespielt; durch ein Versehen einige seiner Schulden eingezogen – eine sehr natürliche Folge der Verwirrung bei meinen Unfällen. Er war jedoch äußerst unartig gegen mich und das Versehen, so natürlich es war, hatte mir seine Bekanntschaft gekostet.

Jezt ging ich zu ihm in dem Büßeraufzug des verlornen Sohns und wahrhaftig, Er stellte nicht übel das gemästete Kalb dar, welches meiner Rückkehr zu Ehren hätte geschlachtet werben sollen; so wohlbeleibt sah er aus und so niedergeschlagen. »Undankbarer Verworfener,« empfing er mich, »Euer armer Vater ist todt.« Ich war außerordentlich erschrocken, aber – nein Paul! fürchte nichts, ich werde gewiß nicht pathetisch. Mein Vater hatte sein Vermögen unter seine Kinder getheilt, mein Antheil betrug 500 Pfund, der Besitz dieser Summe machte meine Reue in den Augen meines guten Vetters weit aufrichtiger; und nach einer sehr pathetischen Scene nahm er mich wieder in seine Gunst auf. Ich ging jetzt mit ihm über die beste Art, mein Kapital anzulegen und meinen guten Namen herzustellen zu Rathe. Bei der ersten Besprechung machten wir noch keinen Plan ausfindig, aber als ich ihn zum zweitenmal sprach, sagte mein Vetter mit freudeglänzender Miene: Freue dich Augustus, ich habe eine Stelle für Dich gefunden. Herr Asgrave, der Bankier, will Dich zum Schreiber nehmen. Er ist ein sehr würdiger Mann, und da er eine ausgebreitete Gelehrsamkeit besitzt, so wird er deine Kenntnisse schätzen. Noch an diesem Tage wurde ich dem Herrn Asgrave vorgestellt, einem kleinen Manne mit einem seinen, kahlen, wohlwollenden Kopfe und nach einer langen Unterredung, welche er mit mir zu halten geruhte, wurde ich einer seiner Federfuchser. Ich weiß nicht wie es zuging, aber allmälig stieg ich in meines Herrn Gnade; – ich machte ihn, so bilde ich mir ein, durch Anlegung meiner 500 Pfund nach seinem Rathe, mir geneigt; er lieh sie für mich wie er sagte, mit unermeßlicher Sicherheit auf einen Grundbesitz aus. Herr Asgrave war ein gar umgänglicher Mann, er hatte ein stattliches Haus und treffliche Weine. Da er in seiner Gesellschaft nicht sehr wählerisch war, und sein Ehrgeiz ihn nicht in die großen Cirkel trieb, zog er mich oft an seinen Tisch und vergnügte sich, lange Erörterungen über die Alten mit mir anzustellen. Bald kam ich darauf, daß mein Herr ein tüchtiger Moral-Filosof war, und da ich selbst einer schwachen Gesundheit genoß, des gewöhnlichen Treibens der Welt, worin meine Erfahrungen meinen Jahren vorausgeeilt, überdrüssig und von Natur nachdenksamer Gemüthsart war, so richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die moralischen Studien, die meinen Brodherrn so wunderbar ansprachen. Ich las neun Bücherständer voll metafysischer Schriften durch und wußte genau, über welche Punkte diese berühmten Denker mit einander zum großen Nutzen der Wissenschaft stritten. Mein Herr und ich pflegten manches lange Gespräch über das Wesen des Guten und des Bösen zu halten und vermöge seiner wohlwollenden Stirne und seiner lauten, mürrischen Stimme erschien er unsern Zuhörern immer als der Weisere und Bessere von Beiden; er hatte deßhalb an unsern Streitübungen großes Vergnügen. Dieser Ehrenmann hatte eine einzige Tochter, eine gräßliche Keiferin mit einem Gesicht wie die Nacht so häßlich; aber Filosofen setzen sich über körperliche Uebelstände weg; und da ich nur an die Wohlthaten dachte, welche meinen Mitmenschen zu erweisen mich ihr ansehnliches Vermögen in Stand setzen wärde, beehrte ich sie heimlich mit meiner

Liebe. Ihr werdet sagen, das heiße meinem Herrn seine Güte mit einem Schurkenstreich erwiedern – keineswegs! mein Herr hatte mich überzeugt, daß es keine solche Tugend wie Dankbarkeit gebe. Es sey ein Irrthum der gemeinen Moralisten. Ich gab seinen Gründen nach und heirathete zuletzt seine Tochter in der Stille. Den Tag, nachdem dieß stattgefunden, berief er mich auf sein Arbeitszimmer und sagte sehr mild: »So Augustus, Ihr habt jetzt meine Tochter geheirathet; nein, Ihr dürft darüber nicht bestürzt' seyn; ich sah lange voraus, daß Ihr dieß thun wurdet und freute mich darüber.«

Ich versuchte etwas wie Dank hervorzustammeln. »Unterbrecht mich nicht!« sagte er. »Ich habe zwei Gründe mich darüber zu freuen: erstlich weil meine Tochter die Plage meines Leben« war und ich mir sehnlich Jemand wünschte, der sie mir abnähme; zweitens, weil ich Euern Beistand in einer eignen Sache bedurfte, und doch nicht wagen konnte, Euch darum anzusprechen, bevor Ihr mein Schwiegersohn wäret. Kurz, ich wünsche Euch zu meinem Handelsgenossen anzunehmen.«

»Zum Handelsgenossen! rief ich und fiel auf die Knie, »edler großmüthiger Mann!«

»Wartet ein Wenig,« fuhr mein Schwiegervater fort. »Welche Fonds glaubt Ihr, daß zur Führung einer Bank erforderlich seyen? Ihr blickt verdutzt? Nicht ein Schilling! Ihr werdet gerade so viel einlegen, als ist selbst; ja sogar noch mehr. Denn Ihr habt einmal 500 Pfund eingelegt, die schon längst verwendet sind. Ich schieße keinen Schilling von meinem eigenen her. Ich lebe von meinen Clienten und biete Euch bereitwillig die Hälfte davon an.«

Denkt Euch, lieber Paul, mein Erstaunen, meinen Verdruß! Ich sah mich mit einer schändlichen Keiferin verheirathet, Schwiegersohn eines Schurken, der keinen Pfennig besaß, und um mein ganzes Vermögen betrogen. Vergleicht diesen Stand der Sache mit dem, der mir ins Auge gestochen, als ich der Schwiegersohn des reichen Herrn Asgrave zu seyn wähnte! Ich tobte im Anfang. Herr Asgrave ergriff: Bakon über die Fortschritte der Gelehrsamkeit, und antwortete nicht, bis ich durch den Ausbruch abgekühlt war. Ihr begreift leicht, daß ich, sobald die Leidenschaft sich gelegt hatte, nothwendig einsehen mußte, wie mir nichts Anderes übrig blieb, als meines Schwiegervaters Vorschlag anzunehmen. So wurde ich durch das schlimme Schicksal, das über mir waltete, eben in der Zeit, da ich mich zu bessern dachte, mit Gewalt in die Schurkerei hinein geschleudert und durch den Zufall, daß ich der Schwiegersohn eines großen Moralisten war, genöthigt eine ungeheure Menge Menschen zu betrügen. Da Herr Asgrave ein träger Mann war, der seinen Morgen mit Spekulationen über die Tugend hinbrachte, so lastete eigentlich alles Geschäft auf mir. Ich brachte den Tag auf der Börse zu, und wenn ich, mich zu erholen, nach Hause kam, kratzte mir meine Frau die Augen aus.«

»Aber erkannte man Euch in Eurer neuen Eigenschaft nicht als den Fremden oder als den Abenteurer?«

»Nein! denn natürlich nahm ich bei allen Veränderungen meiner Lage andre Namen und Masken an. Und um Euch die Wahrheit zu sagen, mein Ehstand veränderte mich so, daß ich in einem Tabakfarbigen Rock, einer braunen Stutzperücke und einer Feder hinter dem rechten Ohr aussah, wie die gestandne Ehrbarkeit selbst. Mein Gesicht wurde jeden Tag um einen Zoll länger. Nichts ist so Achtunggebietend als ein langes Gesicht und ein gedrückter Zug in der Miene ist das untrüglichste Zeichen von Handelsglück. Nun, es ging uns etwa ein Jahr ganz glänzend. Mittlerweile machte ich in der Filosofie wunderbare Fortschritte. Ihr habt keinen Begriff davon, wie ein zänkisches Weib den Geist erhöht und läutert; der Donner reinigt die Lust, wißt Ihr! Endlich starb meine Frau, zum Unglück für meinen Ruhm, (denn ich beabsichtigte eine prächtige moralische Geschichte der Menschheit, die, wenn sie noch ein Jahr lebte, vollendet worden wäre) im Wochenbette. Mein Schwiegervater und ich, besprachen uns über das Ereigniß, und klagten deßhalb die Civilisation mit ihren entnervenden Gewohnheiten an, in Folge deren die Weiber an ihren Kindern sterben, statt sie auf die Welt zu bringen, ohne nur etwas davon zu wissen – als meinem Handelsgenossen ein schief versiegeltes Papierchen überbracht wurde; er überlief es, brach die Erörterung ab und sagte mir dann, unsre Bank habe ihre Zahlungen eingestellt.

»Jetzt Augustus,« sagte er, die Pfeife mit dem Papier anzündend, »seht Ihr, wie gut es ist, wenn man Nichts zu verlieren hat.«

Wir zahlten keinen halben Schilling für das Pfund; aber mein Handelsgenosse galt bei dem brittischen Publikum für so bedauernswerth, daß es eine Subscription für ihn eröffnete und er sich sehr geachtet und bemitleidet mit einer Jahresrente zurückzog. Da ich mir keinen solchen Ruf als Moralist erworben hatte, auch nicht den Vortheil eines kahlen, wohlwollenden Hauptes besaß, so geschah für mich Nichts, und ich war wieder auf die weite Welt angewiesen, um über die Wechselfälle des Schicksals zu moralisiren.

Mein Vetter, der Buchhändler, lebte nicht mehr, und sein Sohn sagte sich von mir los. Ich miethete in Warwick-Court eine Dachstube, und mit einigen Büchern, meinem einzigen Trost, suchte ich mein Gemüth gegen die Zukunft zu stählen. Damals, Paul, brachten mir meine Studien wahrhaften Gewinn. Ich dachte viel und wurde ein ächter d.h. ein praktischer Filosof. Meine Handlungen waren von nun an durch Grundsätze geregelt, und ich will Euch irgend einmal beweisen, daß der Pfad der achten Sittlichkeit von den Taschen unserer Nebenmenschen sich durchaus nicht ferne halt. Sobald mein Geist die große Entdeckung gemacht hatte, worin Herr Asgrave mir zuvorgekommen war: daß man nach einem System leben müsse, – denn wenn du unrecht handelst, so ist es das System, das irrt, und nicht du – begab ich mich auf die Landstraße, ohne einen der Gewissensbisse, die mich bisher bei solchen Abenteuern belästigt hätten. Ich schloß mich an eine auserlesene Bande von Frei-Agenten an, mit welchen ich Euch nächster Tage bekannt machen will, und setzte mich bei ihnen bald in Ansehen. Aber vor ungefähr 6 Wochen – wie ich denn immer noch ein größerer Liebhaber der Schleichwege als der Landstraße blieb, versuchte ich mich in den Besitz eines Wagens zu setzen, den ich billig verkaufen wollte. Ich ward von der Anklage der Felonie freigesprochen, aber vom Richter Burnflat wegen gemeinen Vergehens Hieher geschickt. So weit, mein Freund, ist bis jetzt das Leben von Augustus Tomlinson fortgeschritten.«

Die Geschichte dieses Ehrenmannes machte auf Paul einen tiefen Eindruck. Dieses wurde noch durch die nachherigen Unterredungen mit Augustus verstärkt. Dieser Held war ein gefährlicher und feiner Verführer. Er hatte wirklich Viel von der Geschichte und Einiges aus der Moral gelesen; und er besaß eine scharfsinnige Weise, seine schlimmen Kniffe mit Schlüssen aus der letztern und Beispielen aus der erstern zu rechtfertigen. Diese seine Theorien bekräftigte er gleichsam durch Beziehung derselben auf die bestehenden politischen Meinungen des Tages. Solche, die unter falschen Vorwänden das Publikum betrogen, beliebte er gemäßigte Whigs zu nennen; diejenigen, welche trotzig die Börse forderten, Hoch-Tory's, und Diebstähle von Banden ausgeführt, nannte er Wirkungen des Partheigeistes.

Zwischen Augustus Tomlinson und dem langen Ned war der Unterschied: Ned war der handelnde, Tomlinson der räsonirende Spitzbube: und wir werden daher durch ein Wenig Nachdenken uns überzeugen, daß Tomlinson ein weit gefährlicherer Gesellschafter war, als Pepper; denn glänzende Theorien sind für den aufgeweckten Jüngling immer weit verführerischer als lockende Beispiele, und die Eitelkeit der jungen Leute bewirkt, daß sie sich lieber von einer Sache überzeugen, als dazu antreiben lassen.

Ein paar Tage nach der Erzählung des Herrn Tomlinson erhielt Paul wieder einen Besuch von Mrs. Lobkins; denn die Maßregeln gegen häufige Besuche wurden damals noch nicht so streng gehandhabt, als, wie wir hören, jetzt der Fall ist, und die gute Frau kam, um den schlimmen Erfolg ihrer mit dem Richter Burnflat gehabten Unterredung zu bejammern.

Wir ersparen dem zartfühlenden Leser die genaue Schilderung der rührenden Unterredung, welche folgte. In der That, es war nur eine Wiederholung der oben schon erzählten. Wir führen nur als Beweis von Pauls Zärtlichkeit an, daß, als er von der guten Matrone Abschied nahm und ihr Gottes Segen wünschte, seine Stimme zitterte und ihm die Thränen im Auge standen, wie es Georg dem III. geschah, wenn dieser treffliche Monarch voll Anmuth die Wiederholung des God save the king begehrte.

»Ich will mich hängen lassen,« so redete unser Held bei sich selbst, als er mit langsamem Schritte zu dem seinen Augustus zurückkehrte, »ich will mich hängen lassen, (halt! der Ausdruck könnte profetisch seyn!) wenn ich nicht gegen die alte Frau für ihre Sorgfalt um mich so innige Dankbarkeit fühle, als hätte sie mich nie übel behandelt. Was meine Eltern betrifft, so glaube ich ihnen wenig Dank schuldig zu seyn, und wenig Ursache zum Stolz zu haben. Meine arme Mutter scheint allen Berichten zufolge, kaum auch nur die instinktartige Tugend mütterlicher Zärtlichkeit gehabt zu haben, und aller menschlichen Wahrscheinlichkeit nach werde ich nie erfahren, ob ich Einen Vater oder fünfzig hatte. Aber was thut das? So habe ich doch den Vortheil unabhängig zu seyn; und dann Alles zusammengenommen: was haben neun Zehntheile von uns je von ihren Eltern bekommen, als einen befleckten Namen und Räthe, deren Befolgung unser Elend und deren Mißachtung unsre Enterbung nach sich zieht.«

Sich selbst tröstend mit diesen Gedanken, die vielleicht ihren filosofischen Anstrich seinen Gesprächen mit Tomlinson in der letzten Zeiten verdankten und die sich in der gemurmelten Melodie

»Was sollten wir zanken um Schätze?«

Luft machten, erschien Paul wieder bei seiner gewöhnlichen Beschäftigung.

In der dritten Woche der Gefangenschaft unsres Helden, theilte ihm Tomlinson einen Plan zur Flucht mit, der seinem erfinderischen Kopfe sich dargeboten hatte. In dem Hof, der zur Ergötzlichkeit, der Herren die sich ein Vergehen hatten zu Schulden kommen lassen, eingerichtet war, befand sich eine Wasserleitung, welche die Mauer einfaßte und über eine Thüre ging, durch welche die frommen Gefangnen alle Morgen auf ihrem Gang in die Kapelle kamen. Durch diese schlug Tomlinson vor zu entfliehen; denn die Wasserleitung, die von der Thür bis zur Mauer in einer schiefen, bequemen Richtung ging, hatte eine Art von Schirmdiele, und ein flinker gewandter Mann konnte leicht mit Hülfe dieser Diele sich die Wasserröhre fortarbeiten, bis der Fortgang dieses nützlichen Leiters (der zum Glück sehr kurz war,) auf die Höhe der Mauer auslief, wo eine andere Wasserröhre als Fortsetzung sich befand, welche auf der entgegengesetzten Seite der Mauer auf den Boden herunterging. Auf der andern Seite nun war der Garten des Gefängnisses, in diesem Garten war eine Wache, und diese Wache war der feindselige Kobold in Tomlinsons Plan; denn gesetzt auch wir erreichen wohlbehalten den Garten,« sagte er, »was sollen wir mit diesem verwünschten Kerl anfangen.«

»Aber das ist noch nicht Alles,« fügte Paul hinzu, »denn wäre auch keine Wache da, so ist dort eine furchtbare Mauer, die ich mir letzte Woche recht wohl merkte, als wir im Garten arbeiten mußten und die hat keine Wasserrohre, als eine ganz senkrechte, so daß ein Mann die Füße einer Fliege haben müßte, um daran hinaufzuklimmen.«

»Narrchen!« erwiederte Tomlinson! »Ich will Euch zeigen, wie man die stärkste Mauer in der Christenheit erklimmen kann, wenn man nur reines Feld hat – der Wächter, der Wächter ist es – wir müssen –«

»Was?« fragte Paul, als er bemerkte, daß sein Camerade den Satz nicht vollendete.

Es währte einige Zeit, bis der weise Augustus antwortete; dann sagte er in nachdenklichem Tone:

»Ich habe mich besonnen, Paul, ob es sich mit der Tugend vertragen würde und mit dem strengen Moral-Gesetz, wodurch alle meine Handlungen geregelt werden – die Wache zu – tödten.«

»Guter Himmel! rief Paul von Abscheu ergriffen.

»Und ich habe entschieden,« fuhr Augustus feierlich fort, ohne den Ausruf zu beobachten, »daß die That sich ganz wohl rechtfertigen ließe.«

»Elender!« rief Paul aus, und wich an das entgegengesetzte Ende des steinernen Kastens aus (denn es war bei Nacht,) in dem sie eingesperrt waren.

»Aber,« fuhr Augustus fort, der mit sich selbst zu sprechen schien, und dessen Stimme, kalt und nachdenklich, wie die Poungs in dem berühmten Monologen in Hamlet, verrieth, daß er die unhöfliche Unterbrechung nicht beachtete, »aber die Theorie übt nicht immer ihren Einfluß auf das Verfahren, und obgleich es tugendhaft seyn mag, die Wache zu ermorden, so Hab ich doch nicht das Herz dazu. Ich hoffe, ich werde in meiner künftigen Geschichte von einsichtsvollen Moralisten nicht allzustreng wegen einer Schwäche getadelt werden, wegen welcher nur mein systematisches Temperament anzuklagen ist.

Trotz dieser Wendung des Selbstgesprächs dauerte es doch lange Zeit, bis Paul sich zu einem weitern Gespräch mit Augustus verstand, und nur weil er glaubte, der Moralist habe die Ader des Scherzes springen lassen, nahm er endlich wieder die Berathung auf.

Die Verschworenen brachten jedoch in dieser Nacht ihren Plan noch nicht zur völligen letzten Entscheidung. Am nächsten Tage wurden Augustus, Paul und einige Andre von der Gesellschaft zur Arbeit in den Garten geschickt, und hier bemerkte Paul, daß sein Freund, der ganz nahe bei dem Ort wo die Wache stand, einen Karren schob, diesen mit Allem was darin war, umstürzte. Der Wächter war gutherzig genug, ihm beim Wiedereinfallen des Karrens behülflich zu seyn und Tomlinson benutzte die Gelegenheit so gut, daß er des Nachts Paul die Nachricht bringen konnte, sie würden von der Wachsamkeit des Wachpostens nichts zu fürchten haben.

»Er hat« sagt Augustus, »auf gewisse Vorstellungen hin, versprochen, sich von mir zu Boden schlagen zu lassen; er hat auch versprochen, so stark beschädigt werden zu wollen, daß er sich nicht rühren könne, bis wir über die Mauer hinüber sind. Unsre Hauptschwierigkeit ist also der erste Schritt – nämlich unbemerkt die Wasserleitung zu erklettern.«

»Was das betrifft,« sagte Paul, der bei dem ganzen Anschlag einen Scharfsinn, eine Keckheit und einen erfindrischen Geist entwickelte, die seinen Freund bezauberten und gewiß eine glänzende Laufbahn ihm verbürgten, »was das betrifft, ich meine, wir werden das erste Erklimmen mit weniger Gefahr bewerkstelligen, als Ihr Euch vorstellt; die Morgen sind in der letzten Zeit sehr trübe gewesen; es ist beinah noch Nacht zu der Stunde, wo wir in die Kapelle gehen. Ihr und ich, wir müssen die letzten im Zuge seyn; die Wasserröhre geht gerade über der Thüre hin, wir können sie, wie wir schon versucht, mit den Händen erreichen, und ein Schwung mit mäßiger Gelenkigkeit ausgeführt, wird uns in Stand setzen, auf der Wasserleitung und der Schirmdiele festen Fuß zu fassen, dann ist das Fortklettern leicht, und mit Hülfe des dichten Nebels und unserer Behendigkeit soll es uns, hoffe ich, nicht allzu schwer werden den Garten zu erreichen. Die einzigen Vorsichtsmaßregeln, die wir zu beobachten haben, sind: daß wir einen recht dunklen Morgen abwarten, und daß wir ja gewiß die Letzten im Zuge sind, daß keiner hinter uns Lärm machen kann –«

»Oder unsrem Beispiel zu folgen versucht und mit einer überflüssigen Pflaume die Pastete verderbt,« fügte Tomlinson hinzu. »Ihr wißt trefflichen Rath zu geben, und werdet nächster Tage, ich wage es zu behaupten, wenn Ihr nicht gehängt werdet, ein großer Logiker werden.«

Der nächste Morgen war hell und kalt, aber der darauf folgende Tag war nach Tomlinsons Vergleichung: so dunkel, als ob alle Neger in Afrika in der Luft geschmort worden wären. Man hätte können den Nebel mit Messern zerschneiden, wie das Sprüchwort sagt. Paul und Augustus konnten nicht einmal wahrnehmen, wie vielsagend sie einander ansahen.

Es war ein bemerkenswerther Zug der kühnen Gemüthsart des ersteren, daß er, so jung er war, doch der Verabredung gemäß das Wagstück leiten und anführen sollte. Zu der gewöhnlichen Gottesdienststunde, gingen die Gefangnen wie immer durch die Thüre. Als die Reihe an Paul kam, zog er sich mit den Händen zu der Röhre hinauf, kroch dann in ihrem gewölbten Bauche fort und gewann die Mauer, ehe er noch Athem geholt hatte. Etwas unbeholfener folgte Augustus dem Beispiel seines Freundes, einmal glitt sein Fuß aus und er wäre beinahe gestürzt. Unwillkührlich streckte er die Hände aus und erwischte Paul beim Bein. Zum Glück hatte aber unser Held schon die Mauer erreicht, an welcher er sich festhielt und so hätten wir hier einen Fall, wo ein Schelm sich selbst durchhalf, ohne einen andern über Bord zu werfen. Wir sehen jetzt Paul und Tomlinson einen Augenblick auf der Mauer sitzen, um Athem zu holen; dann ließ der erstere – der Abstand vom Boden war nicht sehr beträchtlich – seinen Körper an den Händen herab und sprang in den Garten.

»Beschädigt?« fragte der kluge Augustus mit einem heisern Flüstern eh' er von seiner luftigen Höhe herunterkam; denn er war Willens lieber

Die gegenwärt'gen Nebel zu ertragen
Als unbekannten sich in Arm zu werfen,

ohne zuvor jede Vorsicht, die in seiner Macht war, zu beobachten.

»Nein!« war die Antwort in demselben Tone, und Augustus sprang hinab.

Sobald dieser Ehrenmann von der Erschütterung des Falls sich erholt hatte, verlor er keinen Augenblick dem andern Ende des Gartens zuzueilen. Paul folgte. Unterwegs hielt Tomlinson bei einem Haufen Schutt an, und hob einen mächtigen Stein auf; als sie an dem Theile der Mauer ankamen, wo sie hinüberzusteigen verabredet hatten, fanden sie den Wächter, wegen dessen sie, beiläufig gesagt, sich nicht hätten bekümmern dürfen; denn wärt es nicht so abgemacht gewesen, daß er ihnen begegnen sollte, so hätte sie der dichte Nebel in der That seinem Blicke ganz entzogen; diesen zuverläßigen Wächter streckte Augustus nieder – nicht mit dem Stein, sondern mit zehn Guineen; dann zog er aus seinen Kleidern ein dickes Seil hervor, das er sich vor einigen Tagen vom Kerkermeister verschafft hatte, befestigte den Stein an einem Ende und warf dieß Ende über die Mauer. Nun hatte die Mauer, wie Mauern von großer Dicke es meist haben, zu beiden Seiten eine Art von hervorragender Zinne und der Stein, hinübergeschlendert und dann an dem Seile, an welchem er befestigt war, wieder heraufgezogen, stemmte sich nothwendig gegen diesen Vorsprung an; und so war das Seil gleichsam an der Mauer festgemacht und Tomlinson dadurch in den Stand gesetzt, sich bis auf die Höhe der Mauer hinaufzuziehen. Er führte diese That mit gymnastischer Gewandtheit aus, wie einer der in dergleichen eine Uebung hat; obgleich der verschwiegene Abenteurer in seiner Erzählung gegen Paul früherer Gelegenheiten zu diesem Kunstgriff nicht erwähnt hatte. Sobald er die Höhe der Mauer gewonnen hatte, warf er das Seil seinem Begleiter zu und in Betracht von Pauls Unbekanntschaft mit dieser Kletterweise, verstärkte er die Sicherheit der Stricks noch dadurch, daß er selbst auch ihn hielt. Langsam und mit Mühe arbeitete sich Paul hinauf; dann wurde der Stein auf die andere Seite der Mauer hinuntergelassen, wo er natürlich einen gleichen Anhaltpunkt gab, und so unsre beiden Abenteurer in Stand setzte, nach einander hinunter zu gleiten und ihre Flucht aus dem Zuchthaus zu vollenden.

»Jetzt folgt mir!« sagte Augustus, indem er Fersengeld zu geben begann, und Paul eilte hinter ihm her durch ein Labyrinth von Gängen und Gäßchen, die er kreuz und quer mit einer immer die Richtung wechselnden und doch sich nie verirrenden Schnelligkeit durchrannte, so daß, hatte sich nicht Paul dicht hinter ihm gehalten, er sehr bald, zumal bei dem Nebel, den Augen seines jungen Verbündeten würde entzogen worden seyn. Zum Glück verhinderte der frühe Morgen, die Abgelegenheit der Straßen durch die sie kamen, und vor Allem die ausnehmende Trübe der Atmosfäre zur Entdeckung und Festnehmung, der sie im andern Fall in ihrer Gefängnißkleidung sicherlich nicht entgangen wären. Endlich fanden sie sich auf freiem Feld, schlichen sich an den Zäunen fort, vermieden sorgfältig die Heerstraße und setzten ihre Flucht fort, bis sie einige Meilen weit ins Innere des Landes vorgedrungen waren. Jetzt begann auch der Magen des Augustus Tomlinson seine Forderungen zu machen, und dieser setzte auseinander, wie wünschenswerth es sey, daß sie den ersten besten Bauer, auf den sie stoßen würden, ergriffen und ihn veranlaßten, mit einem der Flüchtlinge die Kleider zu wechseln, damit dieser dann in ein Wirthshaus sich wagen und für ihre beiderseitigen Bedürfnisse sorgen könnte. Paul genehmigte diesen Vorschlag; sie paßten ihre Gelegenheit ab und haschten einen Bauersmann. Augustus streifte ihm Rock, Hut und wollene Strümpfe ab und Paul, durch die Noth und seinen Gesellschafter hart gemacht, half den armen Landmann an einen Baum binden. Dann wanderten sie noch ungefähr eine Stunde weiter und als die Schatten des Abends sie umgaben, entdeckten sie ein Wirthshaus. Augustus ging hinein und erschien in wenigen Minuten wieder, mit Brod, Käse und einer Flasche Bier beladen. Die Gefängnißkost kurirt Einen von der Leckerhaftigkeit und so verspeisten die beiden Flüchtlinge diese eben nicht köstlichen Lebensmittel mit großer Zufriedenheit. Dann setzten sie ihre Reise fort und kamen endlich, von den Anstrengungen ermüdet, an einem einsamen Heuschober an, wo sie ein paar Stunden auszuruhen beschloßen.


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