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Zehntes Buch


Einleitungs-Kapitel.

Im Original folgt hier der Untertitel: Upon this Fact, – that the world is still much the same as it always has been. (Zu jener Tatsache, – dass die Welt immer noch dieselbe ist, die sie stets war.) – In Arno Schmidts Übersetzung von 1973, die sonst die Einleitungskapitel fortlässt, ist der Untertitel wiedergegeben.

Es hat ein sehr anziehender Schriftsteller die Behauptung aufgestellt – ein solcher freilich, der in unsern Tagen nur noch von jener kleinen, wackern Schaar gelesen wird, die mit unverdrossenem Muthe darnach ringen, dem Reiche Pluto's die Seelen dahingeschiedener Autoren zu entreißen, von den lärmenden Fußtritten der Lebendigen herumgestoßene und abgehetzte Seelen – der würdige Charron Pierre Charron (1541-1603), franz. Philosoph, Theologe und Vertreter des Skeptizismus. hat die Behauptung aufgestellt, daß Verstand und Weisheit nicht nur die beste, sondern auch die beglückendste Gabe sei, welche Gott der Allmächtige den Menschen bescherte, denn bei aller Ungleichheit in deren Vertheilung halte sich in diesem Punkte doch Niemand für verkürzt oder beeinträchtigt, sogar Derjenige, der am wenigsten bekommen habe, sei vollkommen zufrieden Siehe die Uebersetzung von Charron's Abhandlung über die Weisheit von G. Stanhope D. D., ehmals Dekan von Canterbury (1729). Eine Uebersetzung, die sich auszeichnet durch Leichtigkeit, Kraft und, ungeachtet der Mißachtung aller Grammatik, die den Schriftstellern des vorigen Jahrhunderts eigen war, durch ihr kräftiges, reines Englisch. [ Anm.d.Verf.].

Und gewiß vermag die vorliegende Erzählung einen merkwürdigen Beleg darzubieten für die Wahrheit jener Bemerkung, welche der witzige und kluge Prediger so trocken hingeworfen hat. Denn, mag nun unser Freund Riccabocca seine Ansichten über das tägliche Leben dem großen Foliobande des Macchiavel entnehmen, oder jener vielversprechende junge Mann, Randal Leslie, die Macht des Wissens verwechseln mit der Kunst, einfache, ehrliche Leute gegen seine Weisheit nicht aufkommen zu lassen, oder mag der schlaue Dick Avenel sich seinen Weg aus der Stufenleiter der menschlichen Gesellschaft mit einem Rippenstoß für seine Vorder- und mit einem Fußtritt für seine Hintermänner, nach der erprobten Weise des jetzt beliebten Neuen Menschen ertrotzen, oder Baron Levy, diese cynische Verkörperung des Goldes, sich mit dem Magnetfelsen aus dem arabischen Mährchen vergleichen, in dessen Nähe alle Nägel eines Schiffes aus den Brettern fliegen In »Tausendundeinenacht« ist das »Die Geschichte des Lastträgers und der drei Damen« (Geschichte des dritten Bettelmönchs)., angezogen von der Macht dieses wunderbaren Gesteines, an welchem Tag für Tag neue Trümmer geborstener Schiffe sich anhäufen: so steht unzweifelhaft fest, daß jede einzelne dieser Personen im Punkte der Weisheit sich von der Vorsehung mit dem Erbtheile eines Erstgeborenen bedacht glaubt.

Und richten wir unsern Blick auf bescheidenere Lebenswege, so finden wir auch den guten Pfarrer Dale davon überzeugt, in Beziehung auf die genannte köstliche Gabe der übrigen Welt sicher nicht nachzustehen, wovon er ja erst kürzlich durch seine scharfsinnige Vermuthung in Betreff des rührenden Professors Moß eine Probe abgelegt hat; ja sogar der einfache Squire Hazeldean sah es für unbestritten an, daß Audley Egerton in der Politik da und dort von ihm lernen könne; Mr. Stirn glaubte, es gebe keinen nützlichen Arbeitszweig, in welchem er den Squire nicht zu unterrichten vermöge; und Sprott, der Kesselflicker, mit seinem Beutel voll Traktätchen und Zündhölzchen, betrachtete das ganze Gerüste der modernen Gesellschaft, vom Kornschober bis zu einer Constitution, mit der vollen Verachtung eines revolutionären Philosophen.

Wenn man bedenkt, welch' reichen Vorrath von Intelligenz jeder Einzelne somit in die Welt bringt, so ist es wahrhaftig zu verwundern, wie man Oxenstierna's Axel Oxenstierna (1583-1654), schwedischer Reichskanzler, Diplomat und Stratege im Dreißigjährigen Krieg. bekannten Ausspruch: »Sieh, mein Sohn, wie wenig Weisheit dazu gehört, Staaten zu regieren« – das heißt Menschen – für richtig halten kann. Daß so viele Millionen mit der, jedem Einzelnen innewohnenden, tief gewurzelten Ueberzeugung, eine ganz besondere Dosis Scharfsinn zu besitzen, einige hergebrachte, einfältige, prosaische Regeln, die so alt, wie die Berge sind, anerkennen und sich der Uebermacht einiger untergeordneten Köpfe fügen mögen – das ist eine Erscheinung, die dem Geiste und der Energie der gesammten Menschheit sehr wenig zur Ehre gereicht.

Es erregt keine Verwunderung, daß ein einziger verständiger Schäferhund die Bewegungen einer ganzer Heerde einfältiger grasfressender Schafe überwachen kann; daß aber zwei oder drei solcher einfältiger, grasfressender Schafe einer ganzen Heerde so merkwürdig gescheidter Hunde Gesetze vorschreiben – Diavolo! Doktor Riccabocca, erklären Sie mir das, wenn Sie können! Und wunderbar seltsam ist es, daß ungeachtet der fortschreitenden Aufklärung und der immer neuen Entdeckungen in den Gesetzen der Natur – ich erinnere an die Eisenbahnen und Dampfmaschinen, an thierischen Magnetismus und Elektrobiologie – daß wir, seitdem das Troglodyten- und Nomadenleben aufgehört hat, in der altmodischen Tonleiter der b und # keinen allgemein anerkannten Fortschritt gemacht haben, welcher in den socialen Schlendrian, in dem sich Geschlechter um Geschlechter von der Wiege bis zum Grabe fortbewegen, einige Ordnung zu bringen vermöchte. Dennoch spornt »das Verlangen nach etwas, das wir nicht haben,« alle jene Kräfte, die uns in Bewegung erhalten, zum Guten oder zum Bösen, je nachdem wir einen Zweck verfolgen oder mit Hindernissen zu kämpfen haben.

Einer meiner Freunde richtete einmal an einen Millionär, welchen er stets darauf bedacht fand, sich Geld zu machen, das er nicht ausgeben zu wollen schien, die Bemerkung:

»Bitte, Mr. ***, wollen Sie mir wohl eine Frage erlauben? Man sagt, Sie besäßen zwei Millionen, und Ihre jährlichen Ausgaben betragen sechshundert Pfund. Wie viel brauchen Sie noch, um sich ohne Sorgen zur Ruhe setzen zu können?«

»Noch etwas mehr,« erwiderte der Millionär. Dieses »Etwas mehr« ist die Haupttriebfeder der Civilisation. Niemand erreicht es je.

»Philus,« sagt ein lateinischer Schriftsteller, »war nicht so reich, als Lälius; Lälius war nicht so reich, als Scipio; Scipio war nicht so reich, als – er zu sein wünschte.« Wäre John Bull einmal befriedigt, so dürfte Manchester seine Fabriken schließen. Dieses »Etwas mehr« macht die englische Staatsschuld zu einer Kleinigkeit. Lange lebe das »Etwas mehr!«

Und doch, man mag unsere Gesetzbücher verbessern, so viel man will, muß man immerhin zugeben, daß Schurken häufig in feiner Leinwand einhergehen, während sich ehrliche Leute in die elendesten alten Lumpen hüllen, und doch bleibt – aller Ausnahmen ungeachtet – die Schurkerei immer ein sehr gefährliches Spiel und Ehrlichkeit im Grunde stets die beste Politik.

Noch bilden die meisten der »Zehn Gebote« den Kern aller Pandekten Spätantike Zusammenstellung aus den Werken römischer Rechtsgelehrte. und Institutionen, die uns abhalten, die Hand nach den Kehlen, den Weibern und Taschen unserer Nebenmenschen auszustrecken. Noch liefert jedes Jahr auf's Neue den Beweis, daß des Pfarrers Wahlspruch – non quieta movere – für das Wohl der Gemeinden ebenso zuträglich ist, wie Apollo's Mahnung an seine Verehrer, keine Fieber durch das Aufrühren des Camarinasee's heraufzubeschwören Siehe das Einleitungskapitel des Dritten Buches.; noch, dem Himmel sei Dank, wollen die Menschen nichts davon wissen, in Parallelogrammen Siehe Anm. 216. zu wohnen; und das sicherste Zeichen, daß wir unter einer freien Regierung leben, ist das ungeschmälerte Recht, Diejenigen, welche uns regieren, im Wege der Kritik oder der Satyre als wahre Dummköpfe im Vergleiche zu uns selbst hinzustellen! Man nehme uns dieses köstliche Vorrecht und, beim Jupiter, Sir, alles Vergnügen, alle Ehre, überhaupt regiert zu werden, fällt weg! Eben so gut möchte man – ein Franzose sein!


Zweites Kapitel.

Der Italiener und sein Freund saßen im eifrigen Gespräche beisammen.

»Und weßhalb verließen Sie Ihre Heimath in ***shire? und warum veränderten Sie auf's Neue Ihren Namen?«

»Peschiera ist in England.«

»Ich weiß es.«

»Er sucht mich ausfindig zu machen und, wie man sagt, mir mein Kind zu stehlen.«

»Ja, er hat die Frechheit gehabt, eine Wette darauf einzugehen, daß es ihm gelingen werde, die Hand Ihrer Erbin zu gewinnen. Dieser Plan ist mir bekannt geworden, und deßhalb bin ich nach England gekommen – zunächst, um seinen Anschlag zu vereiteln – denn ich halte Ihre Befürchtung nicht für übertrieben – dann aber auch, um von Ihnen zu erfahren, auf welche Weise ich eine Spur verfolgen muß, die, wenn meine Hoffnungen nicht zu sanguinisch sind, zu seinem Untergang und zu der unbedingten Wiederherstellung Ihrer Rechte führen kann. Hören Sie mich an. Sie wissen, daß mir unmittelbar nach dem Scharmützel mit den bewaffneten Söldlingen Peschiera's, die zu Ihrer Verfolgung ausgesendet waren, eine sehr höfliche Botschaft von Seiten der östreichischen Regierung zukam mit dem Ersuchen, ihr italienisches Gebiet zu verlassen. Da ich es nun als die erste Pflicht jedes Fremden ansehe, der das Gastrecht eines fremden Staates genießt, sich aller Einmischung in bürgerliche Zwistigkeiten zu enthalten, so glaubte ich durch eine solche Aufforderung meine Ehre angegriffen und begab mich sogleich nach Wien, um dem dortigen Minister, dem ich persönlich bekannt war, die Erklärung abzugeben, daß ich zwar, wie es die Menschenpflicht gebot, einem Flüchtling, der sich unter den Schutz meines Daches begeben hatte, gegen die Wuth wilder Kriegsleute, die von seinem persönlichen Feinde gegen ihn ausgesendet worden, vertheidigt, niemals aber an einer aufrührerischen Handlung Theil genommen habe, sondern im Gegentheil ernstlich bemüht gewesen sei, meine italienischen Freunde von ihrem Unternehmen abzuhalten, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich, ohne Rücksicht auf die Motive der Bewegung, als Soldat und kaltblütiger Zuschauer die Ueberzeugung gewonnen hatte, das Unternehmen könne nur mit einem nutzlosen Blutvergießen endigen. Dieser meiner Erklärung war ich im Stande, vollgültige Beweise beizufügen, und von der Zeit an gewannen meine Beziehungen zu dem Minister einen freundschaftlichen Charakter. Ich befand mich dadurch in der Lage, Ihre Sache zu vertreten und namentlich hervorzuheben, welches Widerstreben Sie anfänglich gezeigt, auf die Plane der Empörer einzugehen. Ich gab zu, daß der Wunsch nach einer größeren Unabhängigkeit Ihres Vaterlandes so mächtig in Ihnen sei, daß, wäre die Sache Italiens von den gesetzlichen Häuptern desselben angeregt worden, oder ein allgemeines Aufstehen des Volkes erfolgt, Sie ganz gewiß unter den vordersten Reihen Ihrer Landsleute gestanden haben würden; allein ich blieb fest auf der Behauptung, daß Sie niemals an einer so wahnsinnigen Verschwörung, befleckt durch die gesetzlosen Plane und den schmutzigen Ehrgeiz ihrer Hauptunternehmer, Theil genommen hätten, wären Sie nicht durch die falschen Vorspiegelungen und den häuslichen Verrath ihres Verwandten – desselben Mannes, der Sie nachher angeklagt, dazu getrieben worden. Leider hatte ich für diese Behauptung keinen anderen Beleg, als Ihr Wort. Es gelang mir jedoch, in so weit wenigstens Eindruck zu Ihren Gunsten und möglicher Weise zum Nachtheile des Verräthers hervorzubringen, daß Ihre Güter weder vom Staate eingezogen, noch unter dem Vorwande Ihres bürgerlichen Todes Ihrem Verwandten übermacht wurden.«

»Wie? Das verstehe ich nicht. Peschiera hat doch die Güter?«

»Die Hälfte der Einkünfte ist ihm überlassen, würde ihm jedoch wieder entzogen werden, gelänge es mir, die Klage zu begründen, die ich gegen ihn vorbringen kann. Es war mir nicht gestattet, Ihnen früher diese Mittheilung zu machen; der Minister – was wohl zu entschuldigen ist – wollte Sie der Prüfung einer unbedingten Verbannung unterwerfen. Ihre Begnadigung sollte vielleicht davon abhängen, daß Sie sich jeder Betheiligung an ferneren Verschwörungen – vergeben Sie das strenge Wort – enthielten. Ich brauche kaum zu sagen, daß mir die Rückkehr nach der Lombardei gestattet wurde. Bei meiner Ankunft daselbst hörte ich, daß – daß Ihre unglückliche Gattin in meinem Hause gewesen und eine große Verzweiflung über die Nachricht von meiner Abreise an den Tag gelegt habe.«

Riccabocca zog die dunkeln Brauen zusammen und athmete schwer.

»Ich fand es nicht nöthig, Sie von diesem Umstand, der mir nicht von Bedeutung zu sein schien, zu benachrichtigen. Ich glaubte an ihre Schuld – und was konnte ihre Reue jetzt nützen, wenn sie wirklich Reue empfand? Bald darauf erfuhr ich, daß sie geendet hatte.«

»Ja,« murmelte Riccabocca, »sie starb in demselben Jahre, in dem ich Italien verließ. Es muß ein gewichtiger Grund sein, der einen Freund zu entschuldigen vermag, wenn er es wagt, mich daran zu erinnern, daß sie überhaupt gelebt hat.«

»Ich werde sogleich auf diesen Grund zu sprechen kommen,« entgegnete L'Estrange in sanftem Tone. »Im vergangenen Herbst durchwanderte ich die Schweiz, und es stieß mir auf einer meiner Fußtouren im Gebirge ein Unfall zu, der mich nöthigte, in dem kleinen Wirthshause eines unbedeutenden Dörfleins einige Tage auf dem Sopha zu liegen. Meine Wirthin war eine Italienerin, und da ich meinen Diener in einer ziemlich entfernten Stadt zurückgelassen hatte, so sah ich mich genöthigt, ihre Dienste so lange in Anspruch zu nehmen, bis dieser herbeibeschieden werden konnte. Die Wirthin und ich wurden sehr gute Freunde. Sie erzählte mir, daß sie früher in den Diensten einer vornehmen Dame gestanden, welche auf schweizerischem Boden gestorben sei; daß sie hierauf, bereichert durch die Freigebigkeit ihrer Herrin, einen Gastwirth in der Schweiz geheirathet und sich ganz daselbst heimisch gemacht habe. Mein Diener traf ein, und nun erfuhr die Wirthin meinen Namen, welcher ihr bis dahin unbekannt geblieben war. In großer Aufregung kam sie zu mir auf mein Zimmer. Kurz, diese Frau war die Dienerin Ihrer Gattin gewesen. Sie hatte dieselbe nach meiner Villa begleitet und dort ihre schmerzliche Enttäuschung gesehen, als sie mich, Ihren Freund, nicht antraf. Von der Regierung war Ihrer Gattin Ihr Palast in Mailand und eine entsprechende Rente angewiesen worden; sie hatte jedoch beides abgelehnt, und nachdem es ihr nicht gelungen, mich aufzufinden, die Reise nach England angetreten, mit dem festen Entschlusse, Sie selbst aufzusuchen; denn durch die Zeitungen war die Nachricht verbreitet worden, daß Sie sich dorthin geflüchtet hätten.«

»Das wagte sie! – Die Schamlose! Und doch, vor einem Augenblick noch hatte ich alles vergessen über dem Gedanken an ihr Grab in fremder Erde – und diese Thränen hatten ihr vergeben,« murmelte der Italiener.

»Sie sollen ihr auch ferner vergeben,« sagte Harley mit der innigsten Weichheit im Blick und Ton. »Ich fahre fort. In der Schweiz angelangt, begann die Gesundheit Ihrer Gattin, die, wie Sie wissen, stets sehr zart gewesen, zu wanken. Der Ermüdung und Aufregung folgte ein heftiges Fieber, das sich zum Delirium steigerte. Sie hatte, als sie die Heimath verließ, nur eine einzige Dienerin zur Begleitung mitgenommen – die einzige, der sie vertrauen konnte – denn sie hegte den Verdacht, daß Peschiera die ganze übrige Dienerschaft bestochen habe. In Gegenwart dieser Frau nun betheuerte sie in ihren Fieberphantasien ihre Unschuld, klagte mit dem Ausdruck des Schreckens und des Abscheus Ihren Verwandten an, und forderte Sie auf, den eigenen und der Gattin Namen zu rächen.«

»Fieberphantasien in der That! Arme Paulina!« stöhnte Riccabocca und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.

»Sie hatte jedoch auch lichte Augenblicke. In einem derselben verließ sie trotz aller Vorstellungen ihrer Dienerin das Bett, nahm verschiedene Briefe aus ihrem Schreibpulte, durchlas sie und rief dann in klagendem Tone aus: ›Aber wie sollen sie in seine Hände gelangen: Wem kann ich sie anvertrauen? und sein Freund ist fort!‹ Plötzlich schien ein Gedanke in ihr aufzuleuchten, denn sie stieß einen Ruf der Freude aus, setzte sich nieder und schrieb lange und rasch; dann schloß sie das von ihr geschriebene Blatt nebst den andern Briefen in einen Umschlag ein, versiegelte ihn sorgfältig und gebot ihrer Dienerin, das Paket auf die Post zu tragen, es ja gewiß eigenhändig zu übergeben und den Betrag des Portos dafür zu entrichten – ›denn ach,‹ sagte sie, (ich wiederhole die Worte, wie die Frau sie mir mittheilte) – ›denn ach, das ist die einzige Aussicht, meinem Gatten den Beweis zu liefern, daß ich zwar fehlte, aber niemals so schuldig war, als er es glaubte; – die einzige Möglichkeit, meinen Fehler wieder gut zu machen und vielleicht meinem Gatten sein Vaterland, meinem Kinde sein Erbtheil wieder zu geben.‹ Die Dienerin trug den Brief auf die Post und fand, als sie zurückkehrte, ihre Gebieterin eingeschlummert, mit einem Lächeln auf den Lippen. Aus diesem Schlafe erwachte sie jedoch wieder in Fieberphantasien, und ehe der nächste Morgen anbrach, war ihre Seele entflohen.«

Hier entfernte Riccabocca eine Hand von seinem Gesichte und erfaßte Harley's Arm, gleichsam stumm ihn anflehend, inne zu halten. Das Herz des Mannes kämpfte schwer mit seinem Stolze und mit seiner Philosophie, und es währte lange, bis es Harley gelang, ihn auf die weltlichen Aussichten aufmerksam zu machen, welche diese letzten Mittheilungen seiner Gattin hinsichtlich seines zu Grunde gerichteten Vermögens ihm eröffneten. In der That gelang es ihm nicht eher, als bis Riccabocca sich selbst und bald auch Harley überzeugt hatte, (denn die Anzeichen, welche für die Schuld der Verstorbenen sprachen, waren allerdings stark,) daß die Unschuldsbetheuerungen seiner Gattin, die nur eines Irrthums sich anklagte, nichts Anderes, als Fieberphantasieen, gewesen seien.

»Sei dem, wie ihm wolle,« sagte Harley, »so scheint mir aller Grund für die Annahme vorhanden zu sein, daß die eingeschlossenen Briefe die Correspondenz Peschiera's enthielten und in diesem Falle beweisen könnten, welchen Einfluß er auf Ihre Gattin geübt, und welcher verräterischen Umtriebe er sich Ihnen gegenüber schuldig gemacht hat. Ich entschloß mich, die Rückreise hierher über Wien zu machen, und erfuhr dort zu meinem Schrecken, daß Peschiera nicht nur die Genehmigung des Kaisers, sich um die Hand Ihrer Tochter bewerben zu dürfen, erlangt, sondern auch im Kreise seiner verworfenen Genossen sich im Voraus seines Erfolges gerühmt hatte und sich bereits auf dem Wege nach England befand. Ich sah sogleich ein, daß, wenn es ihm gelingen sollte, durch irgend welchen Betrug oder Arglist seinen Plan bei Violante durchzusetzen (denn Ihre Einwilligung hielt ich keinen Augenblick für möglich, was ich kaum zu versichern brauche), die Entdeckung dieses Paketes nutzlos sein würde – sein Zweck wäre alsdann bereits erreicht. Ich sah ferner ein, daß ein solcher Erfolg genügen würde, sein Ansehen völlig wiederherzustellen; denn dieser Erfolg würde Ihre Zustimmung voraussetzen lassen – die Rücksicht auf die Ehre Ihrer Tochter müßte Ihnen verbieten, der Welt zu sagen, daß sie gegen Ihren Willen sich verheiratet – und Ihre Zustimmung wäre seine Rechtfertigung. Zu meiner Bestürzung war mir weiter klar, daß ihn die Verzweiflung nöthigen werde, seinen Plan um jeden Preis auszuführen; denn er ist tief verschuldet, und neuer Reichthum allein vermag seinem Charakter aufzuhelfen. Ich kannte ihn als verschmitzt, kühn und entschlossen, und wußte, daß er sich in den Besitz großer Geldsummen gesetzt hatte, die er auf Wucher aufgenommen; – mit Einem Wort, ich zitterte für Sie Beide. Nun, da ich Ihre Tochter gesehen habe, zittere ich nicht länger. Wie geschickt sich Peschiera auch als Verführer dünken mag, der erste Blick auf ihr Antlitz, so hold und doch so edel, überzeugte mich, daß sie gegen eine Legion solcher Peschiera's gesichert ist. Kehren wir daher zu einem hochwichtigen Gegenstande zurück: zu dem Briefpakete. Es ist Ihnen also niemals zugekommen? Viele Jahre sind darüber hingegangen. Ist es noch vorhanden? In wessen Hände mag es gefallen sein? Versuchen Sie es, alle Ihre Erinnerungen wach zu rufen. Die Dienerin konnte sich des Namens der Person nicht mehr entsinnen, an welche die Adresse gerichtet war; sie bestand nur darauf, daß der Anfangsbuchstabe des Namens ein B gewesen, daß die Adresse nach England gelautet und sie daher auch für dorthin das Porto entrichtet habe. Besinnen Sie sich also auf einen Namen, der mit B beginnt, oder (für den Fall, daß das Gedächtniß der Dienerin dennoch nicht zuverlässig sein sollte) auf eine Person, welche Sie selbst oder Ihre Gattin während Ihres Aufenthaltes in England genau genug kannten, um vorauszusetzen, daß sie dieselbe zu ihrer Vertrauten gewählt haben könnte.«

»Ich begreife es nicht,« erwiderte Riccabocca, den Kopf schüttelnd. »Wir machten kurz nach unserer Vermählung diese Reise nach England. Paulina konnte das Klima nicht ertragen; auch sprach sie kein Wort englisch, ja nicht einmal französisch, was man doch von einer Dame ihres Standes hätte erwarten sollen, allein ihr Vater war arm und durch und durch Italiener. Sie vermied es daher, in Gesellschaft zu gehen. Ich allerdings betrachtete mir die Londoner Welt ein wenig – jedenfalls genug, um vor dem Gegensatze zurückzuschrecken, in welchen mein zweites Erscheinen als mittelloser Flüchtling zu dem Empfange stehen würde, der mir bei dem ersten Besuche zu Theil geworden war – aber ich knüpfte keine einzige nähere Freundschaftsverbindung an und kann mir daher auch nicht denken, an wen sie in der Voraussetzung, die betreffende Person stehe in einer vertrauten Beziehung zu mir, geschrieben haben könnte.«

»Besinnen Sie sich noch einmal,« fuhr Harley beharrlich fort. »Kannten Sie nicht irgend eine Dame, welche gut Italienisch verstand, und mit der Ihre Gattin aus diesem Grunde vielleicht näher bekannt geworden wäre?«

»Ah, es ist wahr. Sie kannte eine alte Dame, die sich lange Zeit in Italien ausgehalten hatte. Lady – Lady – ah, jetzt erinnere ich mich – Lady Jane Horton.«

»Horton – Lady Jane!« rief Harley aus. »Schon wieder! Zum dritten Male an einem Tage – soll diese Wunde denn niemals vernarben?« Dann, Riccabocca's erstaunten Blick bemerkend, fuhr er fort: »Entschuldigen Sie, mein Freund; ich höre Ihnen mit erneuter Theilnahme zu. Lady Jane war eine entfernte Verwandte von mir; sie beurtheilte mich vielleicht unfreundlich, und einige schmerzliche Erinnerungen knüpfen sich an ihren Namen; indessen war sie eine Frau von vielen Vorzügen. Ihre Gattin kannte sie also?«

»Ja, wenn auch nicht gerade genau, doch jedenfalls besser, als irgend sonst Jemand in London. Paulina kann jedoch an sie nicht geschrieben haben, denn sie wußte, daß Lady Jane kurz nach ihrer eigenen Abreise von England gestorben war. Mich selbst hatten schon früher dringende Geschäfte nach Italien zurückgerufen; sie war zu unwohl, um so rasch, wie es für mich geboten erschien, reisen zu können; und so hielt sie ihr leidender Zustand noch einige Wochen länger in England zurück. In dieser Zwischenzeit wäre es möglich, daß sie noch einige Bekanntschaften gemacht hätte. Doch halt! ich errathe es jetzt. Sie sagten mir, der Name fange mit B an. Paulina nahm in meiner Abwesenheit eine Gesellschafterin zu sich – – ich hatte ihr selbst den Vorschlag dazu gemacht – eine Mrs. Bertram. Diese Dame begleitete sie auch auf ihrer Reise. Paulina schloß sich sehr an sie an, weil sie sehr gut Italienisch verstand. Mrs. Bertram verließ sie aber unterwegs und kehrte ihrer eigenen Angelegenheiten wegen nach England zurück. Ich habe vergessen, aus welchem Grunde es geschah, wenn ich überhaupt denselben jemals erfahren habe oder darnach fragte. Paulina vermißte sie schmerzlich, sprach häufig von ihr und wunderte sich, nie mehr Nachrichten von ihr zu bekommen. Ohne Zweifel war es diese Mrs. Bertram, an welche sie geschrieben hat.«

»Und Sie kennen weder die Verwandten dieser Dame, noch ihre Adresse?«

»Nein.«

»Noch die Person, durch die sie Ihrer Gattin empfohlen wurde?«

»Nein.«

»Vielleicht war es Lady Jane Horton?«

»Möglich. Sehr wahrscheinlich.«

»Ich werde diese Spur verfolgen, so schwach sie auch ist.« »Allein, wenn Mrs. Bertram diese Mitteilungen erhielt, wie kommt es, daß sie nie bis zu mir – o Thor, der ich bin, wie wäre das möglich gewesen, da ich so sorgfältig mein Incognito bewahrte!«

»Das ist wahr. Ihre Gattin konnte diesen Umstand nicht voraussehen; sie dachte wohl, Ihr Aufenthaltsort in England werde leicht aufgefunden werden. Indessen müssen, wenn Ihre Gattin die Bekanntschaft dieser Mrs. Bertram so bald nach Ihrer Verheirathung machte, viele Jahre hingegangen sein, seit sie zuletzt von derselben hörte; und es ist eine lange Zeit, auf die wir zurückgreifen müssen – Ihre Violante war damals noch lange nicht geboren.«

»Leider, leider! Ich verlor zwei liebe Söhne in dieser Zwischenzeit. Violante wurde mir geboren als ein Kind des Schmerzens.«

»Und um den Schmerz zu verklären. Wie schön sie ist!«

Der Vater lächelte stolz.

»Wo, selbst in den höchsten Familien Europa's, einen Gatten finden, der sich eines solchen Preises würdig zeigte?«

»Sie vergessen, daß ich noch immer ein Verbannter bin, daß sie noch immer ohne Mitgift ist. Sie vergessen, daß Peschiera mich verfolgt, daß ich sie eher als das Weib eines Bettlers sehen möchte als – Pah, der bloße Gedanke macht mich wahnsinnig – er ist zu schrecklich. Corpo di Bacco! Ich bin froh, schon einen Gatten für sie gefunden zu haben.«

»Schon gefunden! der junge Mann sprach also wahr?«

»Welcher junge Mann?«

»Randal Leslie. Wie – Sie kennen ihn?«

Es folgte nun eine kurze Erklärung. Harley hörte aufmerksam und mit sichtlicher Unruhe zu, als er die näheren Umstände von Riccabocca's Bekanntschaft mit Leslie und von der vermeintlichen Neigung des Letzteren vernahm.

»Diese ganze Sache kommt mir verdächtig vor,« sagte er.

»Warum hat mich dieser junge Mann so genau darüber ausgeforscht, obwohl Violante, im Falle sie einen Engländer heirathen sollte, ihr Vermögen verlieren könnte?«

»That er das? Pah! Nehmen Sie es ihm nicht übel. Sein Wunsch, hinsichtlich meiner Person ganz unwissend zu scheinen, war ganz natürlich. Er wußte von meinen vertrauten Beziehungen zu Ihnen nicht genug, um mein Geheimniß zu verrathen!«

»Aber er wußte genug, mußte genug wissen, um es für seine Pflicht zu halten, Sie von meiner Anwesenheit in England zu unterrichten. Er scheint dies nicht gethan zu haben.«

»Nein – das ist auffallend – und doch kaum auffallend, denn als wir uns zuletzt sahen, hatte er den Kopf voll von andern Dingen – Liebe und Heirath. Basta! Jugend bleibt stets Jugend.«

»In ihm ist keine Spur von Jugend mehr!« rief Harley leidenschaftlich aus. »Ich bezweifle sogar, ob jemals welche da war. Er gehört zu jenen Menschen, die mit dem Pulse eines Hundertjährigen auf die Welt kommen. Sie sowohl, als ich, werden niemals so alt sein, wie er es schon in seinen Kinderkleidern war. Ah, Sie mögen wohl lachen, aber mein Instinkt hat mich noch nie getäuscht. Er mißfiel mir vom ersten Augenblicke an – sein Auge, sein Lächeln, seine Stimme, ja sogar sein Tritt. Es ist Wahnsinn von Ihnen, eine solche Heirath zu begünstigen; jede Aussicht auf Ihre Wiedereinsetzung könnte dadurch zerstört werden.«

»Besser, als mein gegebenes Wort zu brechen.«

»Nein, nein!« rief Harley; »Ihr Wort ist nicht gegeben – es soll nicht gegeben werden. Nein, sehen Sie mich nicht so kläglich an. Auf jeden Fall zögern Sie so lange, bis wir mehr über diesen jungen Mann erfahren. Ist er würdig, sie ohne Mitgift zu bekommen, nun wohl, so opfern Sie ihm Ihr Erbe. Ich habe dann nichts mehr zu sagen.«

»In wiefern mein Erbe opfern?«

»Glauben Sie, die östreichische Regierung würde Ihre Besitzungen auf diesen englischen Laffen übergehen lassen – auf einen untergeordneten Beamten im öffentlichen Dienste? O Weiser in der Theorie, warum so kurzsichtig im Handeln?«

Ohne sich um diesen Spott zu kümmern, rieb sich Riccabocca die Hände und hielt sie dann behaglich über das Feuer. »Mein Freund,« sagte er, »das Erbe würde auf meinen Sohn übergehen – die Tochter erhält nur eine Mitgift.«

»Sie haben aber keinen Sohn.«

»Bst! Ich werde einen haben; meine Jemima hat mir gestern Morgen die Aussicht dazu eröffnet, und diese Mittheilung brachte mich zu dem Entschlusse, mit Leslie zu reden. Bin ich jetzt immer noch so kurzsichtig?«

»Sie werden einen Sohn haben?« wiederholte Harley verblüfft. »Wie können Sie wissen, daß es ein Sohn sein wird?«

»Die Physiologen sind darüber einig,« entgegnete der Weise bestimmt, »daß, wo der Gatte bedeutend älter ist, als die Gattin, und eine lange kinderlose Zeit dazwischen liegt, bis sich Letztere herabläßt, die Bevölkerung der Welt zu vermehren, daß dann mit neun gegen eins auf ein männliches Erzeugniß zu rechnen ist. Ich betrachte deßhalb diesen Punkt als durch die Berechnungen der Statistiker und die Untersuchungen der Naturforscher bereinigt.«

Harley konnte sich des Lachens nicht enthalten, obgleich er noch immer ärgerlich und unruhig war.

»Immer der Gleiche; immer der philosophische Thor.«

» Cospetto!« sagte Riccabocca; »viel eher der Philosoph unter den Thoren. Und da wir eben davon reden, darf ich Sie meiner Jemima vorstellen?«

»Ja, wenn Sie mir dagegen erlauben, Ihnen Jemand vorzustellen, der sich Ihrer Güte dankbar erinnert, und den Ihre Philosophie wunderbarer Weise nicht zu Grunde gerichtet hat. Sie müssen mir das einmal erklären. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick; ich will ihn holen.«

»Ihn holen; wen denn? In meiner Lage bedarf es großer Vorsicht und –«

»Ich stehe für seine Verschwiegenheit. Unterdessen bestellen Sie ein Mittagessen, und gestatten Sie mir und meinem Freunde, daran Theil zu nehmen.«

»Mittagessen? Corpo di Bacco! – nicht daß Bachus uns dazu behülflich sein könnte! Was wird Jemima dazu sagen?«

»O Pantoffelheld! Machen Sie das mit Ihrem ehelichen Tyrannen aus. Aber bei dem Mittagessen bleibt es.«

Ich überlasse es dem Leser, sich Leonards Freude vorzustellen, als er Riccabocca, der noch immer der Alte, Violante, die so schön geworden war, und Jemima mit ihrem freundlichen Gesichte wiedersah. Und wie groß war auch ihre Verwunderung über ihn und seine Geschichte, seine Bücher und seinen berühmten Namen. Er erzählte von seinen Kämpfen und Abenteuern mit einer Einfachheit, die, obwohl es sich nur um seine Person handelte, seinen Worten das Gepräge des Egoismus gänzlich benahm. Als er jedoch auf Helene zu sprechen kam, wurde er einsylbig und zurückhaltend. Violante hätte gerne noch weitere Fragen gestellt; aber zu Leonards großer Erleichterung kam ihm Harley zu Hülfe.

»Sie sollen diejenige, von welcher er spricht, in Bälde sehen, und können sie dann selbst fragen.«

Mit diesen Worten gab Harley der Erzählung des jungen Mannes eine neue Richtung; und Leonards Lippen wurden wieder beredt. So verfloß der Abend glücklich für Alle, außer für Riccabocca, denn der Gedanke an seine verstorbene Gattin tauchte immer wieder auf's Neue in ihm auf; und wenn das geschah, und es ihm zu wehe um's Herz wurde, dann rückte er näher zu Jemima hin, blickte in ihr einfaches Gesicht und drückte ihre liebevolle Hand.. Und doch hatte er Harley glauben machen wollen, daß seine Trösterin eine Thörin sei – das war sie freilich, indem sie einen Mann liebte, der sie selbst und ihr ganzes Geschlecht so schmählich verleumdete!

Violante befand sich in einem Zustande seliger Aufregung, vermochte sich jedoch über den Grund ihrer Freude keine Rechenschaft zu geben. Sie unterhielt sich hauptsächlich mit Leonard, und der Schweigsamste von allen war Harley. Er lauschte Leonards warmer und doch anspruchsloser Beredsamkeit, die dem Genius so natürlich entströmt, wenn er ungehemmt sich gehen lassen kann und nicht durch harte, theilnahmlose Zuhörer kalt zurückgestoßen wird – er lauschte mit noch größerem Entzücken den zwar minder tiefen, aber darum nicht weniger ernsten Worten – den ächt weiblichen und doch so edeln Gefühlen, mit welchen Violanten's jungfräuliches Herz den Ergüssen dieser glühenden Dichterseele entgegen kam.

Was sie redete, war so unähnlich allem, was er in der gewöhnlichen Welt zu hören bekam, so verwandt den Gefühlen seiner entschwundenen Jugendzeit! Gelegentlich – wenn sie irgend einen erhabenen Gedanken aussprach oder mit leuchtenden Augen und melodischer Stimme eine schöne Stelle aus einem italienischen Dichter deklamirte, dann erhob er sein ritterliches Haupt, und seine Lippe bebte, als vernähme er den Schall einer Kriegstrompete. Die Jahre andauernde Trägheit hatte einen Stoß bekommen – das Heroische, welches unter all den verschiedenartigen Wandlungen seines Temperamentes verborgen lag, war durch die Berührung geweckt worden, alle jene glücklichen Erinnerungen wach rufend, die sich daran knüpften und so lange geschlafen hatten.

Als Harley, überrascht von der späten Stunde, sich erhob, um Abschied zu nehmen, sagte er in einem Tone, der für die Aufrichtigkeit des Complimentes sprach: »Ich danke Ihnen für die glücklichsten Stunden, die ich seit Jahren genossen habe.«

Sein Auge ruhte auf Violante, als er dies sagte. Aber ihre Schüchternheit kehrte bei seinen Worten, seinem Blicke zurück, und es war nicht länger die begeisterte Muse, sondern das verschämte Mädchen, das vor ihm stand.

»Und wann werde ich Sie wiedersehen?« frug Riccabocca traurig, als er seinen Gast bis an die Thüre geleitete.

»Wann? Natürlich morgen. Adieu, mein Freund. Kein Wunder, daß Sie Ihre Verbannung so geduldig ertragen haben – mit einem solchen Kinde!«

Er nahm Leonards Arm und ging mit ihm bis zu der Herberge, wo er sein Pferd zurückgelassen hatte. Leonard sprach mit Begeisterung von Violante; Harley war still.


Drittes Kapitel.

Am darauffolgenden Tage fuhr eine etwas altmodische, aber sehr vornehme Equipage an Riccabocca's Gartenthüre vor. Giacomo, der sie von dem Fenster eines Schlafzimmers aus entdeckt hatte, wie sie sich dem Hause näherte, befiel eine unbeschreibliche Furcht, als er sie vor der Mauer halten sah und den lauten Ton vernahm, mit welchem Einlaß begehrt wurde. Er eilte, seinen Gebieter aufzusuchen, und beschwor ihn, sich nicht zu rühren und auch nicht durch Dritte den Feinden, welche die Maschine ausspeien könnte, den Eintritt in das Haus zu ermöglichen.

»Ich habe gehört,« sagte er, »daß einst eine Stadt in Italien – ich glaube es war Bologna – eingenommen und dem Schwerte überliefert wurde, weil sie unvorsichtiger Weise ein hölzernes Pferd hereinließ, das mit Barbarossa's Truppen und allerlei Bomben und congreveschen Raketen Die Congreve'sche Rakete war eine britische militärische Raketenwaffe, die 1804 vom britischen Artillerieoffizier und Ingenieur Sir William Congreve entworfen und entwickelt wurde. Als Vorlage dienten ihm Kriegsraketen aus Indien. angefüllt war.«

»Virgil erzählt die Geschichte anders,« versetzte Riccabocca, vorsichtig zum Fenster hinausblickend. »Indessen sieht die Maschine allerdings etwas groß und verdächtig aus; laß Pompejus los!«

»Vater,« sagte Violante erröthend, »es ist dein Freund, Lord L'Estrange; ich höre seine Stimme.«

»Bist du dessen gewiß?«

»Ganz gewiß! Wie könnte ich mich täuschen?«

»So gehe, Giacomo; nimm jedoch Pompejus mit, und mache Lärm, wenn es nicht so wäre.«

Violante hatte aber Recht, und einige Augenblicke darauf sah man Lord L'Estrange den Garten heraufkommen, an jedem Arme eine Dame führend.

»Ah,« sagte Riccabocca, seinen Anzug ordnend, »gehe, mein Kind, und rufe Jemima herbei. Mann gegen Mann; aber um des Himmels willen, Frauen gegen Frauen.«

Harley hatte seine Mutter und Helene mitgebracht, um die Damen in dem Hause seines Freundes zu begrüßen.

Die stolze Gräfin wußte, daß die Stätte, wo sie sich befand, die schwerer Prüfungen war, und die Ehrerbietung, mit der sie Riccabocca begrüßte, hätte nur in der Huldigung, die sie ihrem Monarchen darbrachte, einen höheren Ausdruck finden können. Allein Riccabocca, der gegen das Geschlecht, welches er zu verachten vorgab, stets galant war, erkannte im Punkte der Ceremonie keinen Meister über sich an, und die Verbeugung, mit welcher er ihre Artigkeit erwiderte, würde das heranwachsende Geschlecht erbaut und die noch vorhandenen Ueberreste des alten Hofes entzückt haben, die in dem düstern Pompe des Faubourg St. Germain Historischer Stadtteil von Paris, der lange Zeit den Mittelpunkt der vornehmen aristokratischen Gesellschaft darstellte. etwa sich erhalten haben mögen.

Nachdem der Etiquette Genüge geschehen war, stellte die Gräfin Helene einfach als Miß Digby vor und nahm neben dem Verbannten Platz. Wenige Augenblicke darauf fühlten sich die Beiden schon ganz heimisch mit einander, und wirklich hatte sich Riccabocca, seitdem wir ihn kennen, wohl noch nie in einem so vortheilhaften Lichte gezeigt, als hier an der Seite seines feingebildeten, obwohl etwas förmlichen Gastes. Beide hatten noch so wenig mit der modernen, schlecht erzogenen Welt verkehrt. Sie nahmen sich die Manieren eines vergangenen Geschlechtes zum Vorbild und setzten eine Art Stolz darein, wieder einmal so feine Spitzen und prächtige Stoffe aufzustellen. Riccabocca verzichtete auf die zwar treffende, aber etwas hausbackene Weisheit seiner Sprüchwörter – vielleicht dachte er daran, daß Lord Chesterfield Sprüchwörter für gemein erklärt – und ungeachtet seiner hageren Gestalt und der geringen Eleganz seines Anzugs ließ ein gewisses Etwas unbestreitbar in ihm den grand seigneur erkennen, den Mann, dem ein Marquis von Dangeau einen Fauteuil an der Seite der Rohans und Montmorencis Französische Adelsgeschlechter mit erheblichem Einfluss auf die Geschichte des Landes. Zu Dangeau siehe Anm. 413. angeboten haben würde.

Mittlerweile hatten sich Helene und Harley etwas bei Seite niedergelassen. Beide verhielten sich schweigend – die Erstere aus Schüchternheit; Letzterer, weil seine Gedanken abwesend waren. Endlich öffnete sich die Thüre und Harley sprang plötzlich auf – Violante und Jemima traten ein. Lady Lansmere's Augen ruhten zuerst auf der Tochter, und sie vermochte kaum einen Ausruf überraschter Bewunderung zu unterdrücken; als sie aber die bescheidene, übrigens in keiner Weise unterwürfige Miene der Mrs. Riccabocca bemerkte, die, obwohl in ihren Formen etwas unzierlich und befangen, doch die Edeldame, allerdings mit ländlich schlichtem Anstrich, verrieth – wandte sie sich von der Tochter ab und bezeugte mit dem savoir vivre Gute Umgangsformen. der feinen alten Schule zuerst der Gattin ihre Achtung – Achtung im buchstäblichen Sinne des Wortes, denn ihr Benehmen sprach solche aus, aber freundlicher, einfacher und herzlicher als diejenige, welche sie Riccabocca gegenüber an den Tag gelegt hatte; denn hier stand, wie der Weise selbst bemerkt hatte, »Frau gegen Frau.« Dann nahm sie Violanten's Hand in die beiden ihrigen und blickte sie an, als könne sie sich das Vergnügen nicht versagen, so viel Schönheit zu betrachten.

»Mein Sohn,« sagte sie sanft und mit einem halben Seufzer – »mein Sohn hat mich umsonst gebeten, mich nicht überraschen zu lassen. Zum ersten Male in meinem Leben finde ich die Schilderung von der Wirklichkeit übertroffen.«

Violanten's Erröthen ließ sie nur noch schöner erscheinen, und als sich die Gräfin wieder Riccabocca zuwandte, stahl sie sich leise an Helenen's Seite.

»Miß Digby, meine Mündel,« sagte Harley nachdrücklich, als er bemerkte, daß seine Mutter es versäumt hatte, Helene den beiden Damen vorzustellen. Dann setzte er sich ebenfalls nieder und begann ein Gespräch mit Mrs. Riccabocca; allein sein glänzendes, lebhaftes Auge richtete sich immer wieder auf die beiden Mädchen.

Sie waren ungefähr von gleichem Alter – und Jugend schien auch, für einen oberflächlichen Beobachter, die einzige Eigenschaft zu sein, welche sie mit einander gemein hatten. Ein größerer Gegensatz ließ sich kaum denken, und doch, wie seltsam es scheinen mag, gewannen Beide dadurch. Violanten's hinreißende Liebenswürdigkeit erschien nur noch bezaubernder, und Helenen's ansprechendes, sanftes Antlitz noch einnehmender. Keine von Beiden hatte viel mit andern Mädchen ihres Alters verkehrt; Beide fühlten sich auf den ersten Blick von einander angezogen.

Violante, als die weniger schüchterne, begann das Gespräch.

»Sie sind seine Mündel – Lord L'Estrange's Mündel?«

»Ja!«

»Vielleicht kamen Sie mit ihm aus Italien?«

»Nein, das gerade nicht, aber ich habe einige Jahre in Italien zugebracht.«

»Ah! Sie bedauern wohl – doch nein, wie thöricht bin ich! Sie kehren ja in ihr Vaterland zurück. Aber der Himmel Italiens ist so blau – hier scheint es mir fast, als ob der Natur die Farben fehlten.«

»Lord L'Estrange sagte mir, daß Sie noch sehr jung waren, als Sie Italien verließen; doch ist Ihre Erinnerung daran noch sehr treu. Auch er zieht Italien England vor.«

»Er! Unmöglich.«

»Warum unmöglich, schöne Zweiflerin?« rief Harley, sich mitten in einem Satze unterbrechend, den er eben an Mrs. Riccabocca gerichtet hatte.

Violante hatte sich nicht träumen lassen, daß sie belauscht werden könnten – sie hatte so leise gesprochen; – aber obwohl sichtlich verlegen, antwortete sie doch mit Entschiedenheit – »Weil England einem edlen Geiste die edelste Laufbahn darbietet.«

Harley war betroffen und erwiderte mit einem leichten Seufzer: »In Ihrem Alter würde ich gesprochen haben, wie Sie. Allein unser England ist so überfüllt mit edeln Geistern, daß sie auf einander stoßen und die ganze Rennbahn wie in eine Standwolke gehüllt erscheint.«

»So, habe ich gelesen, erscheint die Schlacht dem gemeinen Soldaten, aber nicht dem Anführer.«

»Ich sehe wohl, daß Sie gute Schilderungen von Schlachten gelesen haben.«

Mrs. Riccabocca glaubte in dieser Bemerkung einen Spott auf die Studien ihrer Stieftochter zu entdecken und eilte, ihr zu Hülfe zu kommen.

»Ihr Vater ließ sie die Geschichte Italien's lesen, welche, wie ich glaube, sehr viel von Schlachten handelt.«

Harley. – »Jede Geschichte thut das, und alle Frauen lieben es, von Krieg und Kriegern zu hören. Ich möchte wissen, warum?«

Violante (sich gegen Helene wendend und mit sehr leiser Stimme, entschlossen, dieses Mal nicht von Harley gehört zu werden) – »Wir wissen warum – nicht wahr?«

Harley (der jedes Wort so gut verstanden hatte, als wäre es in der Flüstergallerie von St. Paul In der Londoner Saint Paul's Cathedral sind geflüsterte Worte von einer Seite einer Galerie in der Kuppel auf der anderen Seite hörbar. gesprochen worden). – »Wenn Sie es wissen, Helene, dann, bitte, sagen Sie es mir.«

Helene, ihr hübsches Köpfchen schüttelnd, antwortete mit einem lebhafteren Lächeln als gewöhnlich: »Ich bin aber keine so große Freundin von Krieg und Kriegern.«

Harley (zu Violante). – »Dann muß ich mich unmittelbar an Sie wenden, meine überzeugungsvolle Bellona In der altrömischen Religion eine Kriegsgöttin.. Liegt der Grund in der dem weiblichen Character innewohnenden Grausamkeit?«

Violante (mit einem reizenden melodischen Lachen). – »Nein, sondern in zwei Eigenschaften, die ihm noch in höherem Grade inne wohnen.«

Harley. – »Was Sie nicht sagen! Welche Eigenschaften mögen dies sein?«

Violante. – »Mitleid und Bewunderung. Wir bemitleiden die Schwachen und bewundern die Tapfern.«

Harley senkte den Kopf und schwieg.

Lady Lansmere hatte ihre Unterhaltung mit Riccabocca unterbrochen, um diesem Gespräche zuzuhören.

»Wie hübsch!« rief sie aus. »Sie haben das erklärt, was ich oft nicht begreifen konnte. Ah! Harley, es freut mich, daß deine Satyre geschlagen worden ist; darauf hast du keine Antwort.«

»Nein; ich erkläre mich gerne für geschlagen und bin nur zu froh, das Mitleid der Signorina anrufen zu dürfen, da mein ritterliches Schwert an der Wand hängt, und mir mein Beruf keinen Anspruch mehr auf ihre Bewunderung gibt.«

Er stand auf und warf einen Blick durch das Fenster.

»Aber ich sehe, ein furchtbarerer Kämpe rückt an, gegen meine Bestellerin in die Schranken zu treten – einer, dessen Beruf es ist, eine andere Romantik, als die des Lagers und der Kanonen, aufzustellen.«

»Unser Freund Leonard,« sagte Riccabocca, gleichfalls einen Blick durch das Fenster werfend. »Richtig; wie Quevedo Francisco de Quevedo (1580-1645), spanischer Schriftsteller des Barocks, gehörte zu den Meistern des sogenannten Schelmenromans. so witzig bemerkt: ›Seitdem eine so starke Nachfrage nach Schriftstellern entstanden ist, hat man viel weniger Blei für Kanonenkugeln übrig.‹«

Leonard trat jetzt ein.

Harley hatte Lady Lansmere's Bedienten mit einem Billette zu ihm gesandt, welches ihn auf sein Zusammentreffen mit Helene vorbereitete. Als er eintrat nahm ihn Harley bei der Hand und führte ihn zu Lady Lansmere.

»Der Freund, von welchem ich zu dir gesprochen habe. Heiße ihn jetzt um meinetwillen und für alle Zukunft um seinetwillen willkommen.«

Dann zog er ihn, der Gräfin zu ihrer wohlgesetzten und huldvollen Erwiderung kaum Zeit lassend, zu Helene hin.

»Kinder,« sagte er mit so bewegter Stimme, daß Beider Herzen davon ergriffen wurden, »geht und setzt Euch zusammen, und redet miteinander von vergangenen Zeiten. Signorina, ich lade Sie zu einer weiteren Besprechung des dunkeln metaphysischen Themas ein, welches Sie vorhin aufgestellt haben; wir wollen sehen, ob sich nicht auch mildere Beweggründe für Mitleid und Bewunderung auffinden lassen, als Krieg und Kriegsleute.«

Er führte Violante bei Seite an das Fenster.

»Sie fanden, wie Sie sich erinnern werden, gestern, als Leonard Ihnen seine Geschichte erzählte, daß er zu flüchtig bei dem kleinen Mädchen verweilte, das in seiner schwersten Prüfungszeit seine Gefährtin gewesen war. Als Sie im Begriffe standen, ihn weiter darnach zu fragen, unterbrach ich Sie und sagte Ihnen, Sie würden dieselbe nächstens sehen und selbst fragen können. Nun, was halten Sie von Helene Digby? Still! Sprechen Sie leise. Doch ihr Gehör ist nicht so scharf wie das meinige.«

Violante. – »Ah! Das ist also das liebliche Wesen, das Leonard seinen kindlichen Engel nannte? Welch' reizendes, unschuldiges Antlitz – es ist noch immer das eines Engels.«

Harley (befriedigt von dem Lobe, wie von Derjenigen, die es spendete). – »Finden Sie? Ja, Sie haben Recht. Helene ist wenig mittheilsam; es geht mit schönen Naturen, wie mit schönen Gedichten; ein Blick auf die paar ersten Zeilen genügt, um errathen zu lassen, welche Schönheiten uns erwarten, wenn wir weiter lesen.«

Violante betrachtete Leonard und Helene, wie sie seitwärts neben einander saßen. Leonard führte das Wort; Helene hörte ihm zu, und obgleich Ersterer in seiner Erzählung am verflossenen Abende diejenige Episode seines Lebens nur flüchtig berührt hatte, welche mit der Waise im Zusammenhang stand, so war doch genug gesagt worden, um Violanten's lebhafte Theilnahme zu erwecken, sowohl für das Rührende in ihrer früheren Stellung zu einander – wie für das Glück, das Beide darüber empfinden mußten, sich endlich wieder zu finden – nachdem sie Jahre lang getrennt auf dem weiten Meere des Lebens herumgetrieben und jetzt Beide aus Sturm und Schiffbruch Rettung gefunden hatten. Thränen traten in ihre Augen.

»Es ist wahr,« sagte sie sehr weich, »hierin ist mehr, was Mitleid und Bewunderung hervorrufen muß, als in« – Sie hielt inne.

Harley. – »Vollenden Sie den Satz. Oder schämen Sie sich, Ihre Behauptung zurückzunehmen? Pfui über Ihren Stolz und Eigensinn!«

Violante. – »Nein, aber auch hier war Kampf und Heroismus – der Kampf des Genius mit der Noth – und Heroismus in der Gefährtin, welche sie mit ihm theilte und ihn aufrichtete. Ah, wo immer Mitleid und Bewunderung empfunden werden, da muß etwas Edleres, als gewöhnlicher Kummer, vorangegangen sein; Heroismus darf da nicht fehlen.«

»Helene weiß nicht, was das Wort ›Heroismus‹ bedeutet,« sagte Harley mit einem Anflug von Trauer. »Sie müssen es sie lehren.«

»Ist es möglich,« dachte er bei sich, während er sprach, »daß ein Randal Leslie dieses außerordentliche Wesen bezaubert haben kann? In dem glatten jungen Bureaumenschen ist doch gewiß nichts Heroisches.«

»Ihr Vater,« sagte er laut, indem er sie fest anblickte, »sieht, wie er mir mittheilte, häufig einen jungen Mann bei sich, ungefähr von Leonard's Alter; allein ich pflege niemals das Alter eines Menschen nach der Angabe des Kirchenbuches zu schätzen und würde daher diesen sogenannten jungen Mann als einen Altersgenossen meines Urgroßvaters bezeichnen; – ich meine Mr. Randal Leslie. Gefällt er Ihnen?«

»Ob er mir gefällt?« erwiderte Violante langsam, als wollte sie ihre eigene Gesinnung erforschen. »Ob er mir gefällt? – Ja.«

»Warum?« fragte Harley trocken und im Tone des Unwillens.

»Seine Besuche scheinen meinem theuern Vater Freude zu machen. Gewiß gefällt er mir.«

»Hm. Er behauptet wohl, daß Sie ihm auch gefallen?«

Violante lachte arglos. Sie hatte halb im Sinne zu fragen: »Wäre das so seltsam?« Allein ihr Respekt vor Harley hielt sie davon zurück. Die Worte wären ihr muthwillig erschienen.

»Ich höre, er soll sehr gescheidt sein,« fuhr Harley fort.

»O gewiß.«

»Und er ist eigentlich hübsch. Aber Leonard's Gesicht gefällt mir besser.«

»Besser – das ist nicht das rechte Wort. Leonard's Antlitz ist das eines Menschen, der oft zum Himmel aufgeblickt hat; und Mr. Leslie's – da ist nichts von Sonnenlicht oder Sternenschein zu sehen.«

»Meine theure Violante!« rief Harley überglücklich und drückte ihre Hand.

Das Blut strömte in Stirne und Wangen des jungen Mädchens; ihre Hand zitterte in der seinigen. Aber Harley's vertraulicher Ausruf hätte ebenso gut von den Lippen eines Vaters kommen können.

In diesem Augenblick näherte sich Helene ihnen leise, blickte schüchtern ihren Vormund an und sagte: »Leonard hat seine Mutter bei sich; er bittet mich, mit ihm zu kommen und sie zu besuchen Darf ich?«

»Ob Sie dürfen? Die Signorina wird eine hübsche Vorstellung von dem sclavischen Zustande meiner Mündel bekommen, wenn sie eine solche Frage hört. Natürlich dürfen Sie.«

»Wollen Sie mich hinbringen?«

Harley sah verlegen aus. Er gedachte der Aufregung, welche die Wittwe bei der Nennung seines Namens gezeigt hatte, an ihr – nach Leonard's eigenem Geständniß – absichtliches Vermeiden einer Begegnung mit ihm, dessen Grund er zu errathen glaubte. Und eben, weil er ihn errieth, scheute auch er ein Zusammentreffen mit ihr.

»Also ein anderes Mal,« sagte er nach einer Pause. In Helenen's Miene zeigte sich getäuschte Erwartung; aber sie sagte nichts weiter.

Violante war erstaunt über diese wenig freundliche Antwort. Sie würde dieselbe bei jedem andern Menschen als gefühllos getadelt haben. Aber was Harley that, war in ihren Augen unbedingt recht.

»Kann ich nicht Miß Digby begleiten?« sagte sie, »und meine Mutter wird sich uns anschließen. Wir Beide kennen Mrs. Fairfield, und es wird uns solche Freude machen, sie wieder zu sehen«

»Gut,« versetzte Harley; »ich will Sie hier erwarten. O, was meine Mutter betrifft, so wird sie entschuldigen, wenn – sie wird Mrs. Riccabocca entschädigen, und auch Sie selbst. Sehen Sie nur, wie entzückt sie von Ihrem Vater ist. Ich muß wirklich hier bleiben, um über den ehelichen Interessen des meinigen zu wachen.«

Aber Mrs. Riccabocca besaß zu viel Lebensart in altem Style, um einzuwilligen, die Gräfin zu verlassen, und Harley war genöthigt, sich geradezu an Lady Lansmere zu wenden. Nachdem er den Fall auseinander gesetzt hatte, stand die Gräfin auf und sagte: –

»Ich selbst will Miß Digby begleiten.«

»Nein,« versetzte Harley ernst, aber in flüsterndem Tone. »Nein, lieber nicht. Ich will dir später die Sache erklären.«

»Dann,« sagte die Gräfin laut, indem sie ihrem Sohne einen erstaunten Blicke zuwarf, »muß ich darauf bestehen, daß Sie, theure Madame, und Sie, Signorina, diesen Besuch ausführen. In der That habe ich noch eine vertrauliche Mittheilung für –«

»Für mich,« unterbrach sie Riccabocca. »Ah, Madame la Comtesse, Sie machen mich wieder zu einem Fünfundzwanzigjährigen. Geh schnell – o eifersüchtiges, beleidigtes Weib; geht schnell, Ihr Beiden, und auch Sie, Harley.«

»Nicht doch,« versetzte Lady Lansmere in demselben scherzenden Tone. »Harley muß hier bleiben, denn für jetzt ist es nicht meine Absicht, Ihr eheliches Glück zu stören, was auch immer die Zukunft bringen mag. Mein Plan ist so unschuldiger Art, daß mein Sohn sich dabei betheiligen wird.«

Die Gräfin näherte ihre Lippen Harley's Ohr und flüsterte ihm etwas zu. Er empfing stillschweigend ihre Mittheilung; als sie damit zu Ende war, drückte er ihr die Hand und nickte mit dem Kopfe, wie es schien, als Zeichen der Zustimmung.

Wenige Augenblicke darauf befanden sich die drei Damen und Leonard auf dem Wege zu dem benachbarten Häuschen.

Violante setzte mit dem ihr eigenen seinen Zartgefühl voraus, daß Leonard und Helene einander viel zu sagen haben müßten, und da ihr sowohl, als Leonard selbst, Helenen's Verlobung mit Harley unbekannt war, so begann sie schon mit der ihrem Alter so natürlichen Romantik den Beiden in Gedanken eine glückliche Zeit der Vereinigung vorherzusagen. Sie ergriff den Arm ihrer Stiefmutter und überließ es Helene und Leonard, ihnen zu folgen.

»Ich möchte wissen,« sagte sie nachdenklich, »wie es kam, daß Miß Digby Lord L'Estrange's Mündel wurde. Ich hoffe, daß sie weder sehr reich, noch von sehr vornehmer Abkunft ist.«

»Ei, meine Liebe,« erwiderte die gutmüthige Jemima, »das sieht dir ja gar nicht ähnlich; du bist doch nicht neidisch auf das arme Mädchen.«

»Neidisch? Liebe Mama, welches Wort! Aber scheint es dir nicht auch, daß Leonard und Miß Digby wie für einander geschaffen sind? und dann diese Erinnerungen aus ihrer Kindheit; die Gedanken der ersten Jugendzeit sind so tief und die Eindrücke derselben so merkwürdig weich!«

Die langen Wimpern senkten sich über Violanten's sinnige Augen, während sie sprach. »Und aus diesem Grunde,« fuhr sie nach einer Pause fort – »aus diesem Grunde wünschte ich, Miß Digby möchte weder sehr reich, noch sehr vornehm sein.«

»Ich verstehe dich jetzt, Violante,« rief Jemima, die ihre eigene frühere Lust am Heirathenstiften wieder zurückkehren fühlte; »denn wie gescheidt und ausgezeichnet Leonard auch sein mag, so bleibt er doch Mark Fairfield's, des Zimmermanns, Sohn, und alles wäre verdorben, wenn Miß Digby, wie du sagst, reich und vornehm wäre. Ich bin ganz deiner Meinung, ein hübsches Paar, ja, wirklich ein sehr hübsches Paar. Ich wollte, Mrs. Dale wäre hier, sie versteht sich so gut darauf, dergleichen Dinge zu Stande zu bringen.«

Mittlerweile ging Leonard an Helenen's Seite einige Schritte hinter ihnen her. Er hatte ihr seinen Arm nicht angeboten. Noch kein Wort war zwischen ihnen gewechselt worden, seitdem sie Riccabocca's Haus verlassen hatten.

Helene sprach zuerst. In solchen Fällen ist es stets das Weib, das, so schüchtern es auch sein mag, die Unterhaltung eröffnet.

Helene konnte auch kühner sein, denn Leonard verbarg sich die Beschaffenheit seiner Gefühle nicht, und Helene war mit einem Andern verlobt; ihr reines Herz fühlte sich gestärkt durch das Vertrauen, das in sie gesetzt wurde.

»Haben Sie nie mehr etwas voll dem guten Doctor Morgan gehört, der Pülverchen gegen den Kummer hatte, und es so gut mit uns meinte – obwohl,« fügte sie erröthend hinzu, »wir es damals nicht einsahen?«

»Er nahm meinen kindlichen Engel von mir,« sagte Leonard mit sichtlicher Bewegung, »und was würde aus mir geworden sein, wenn er nicht zurückgekehrt wäre? Doch ich habe es ihm verziehen. Nein, ich habe ihn seither nie mehr gesehen.«

»Und jener schreckliche Mr. Burley?«

»Armer, armer Burley! Auch er ist aus meinem gegenwärtigen Leben verschwunden. Ich habe seinetwegen oft Nachforschungen angestellt, allein ich erfuhr nur, daß er in's Ausland gegangen sei, vermuthlich als Korrespondent irgend eines Blattes. Wie sehr wünschte ich ihn wieder zu sehen, denn jetzt vermöchte ich vielleicht ihm zu helfen, wie er mir einst geholfen hat.«

»Ihnen geholfen – ach!«

Leonard lächelte, und sein Herz klopfte heftiger, als er wieder den liebevollen, klugen, warnenden Blick gewahrte. Unwillkürlich trat er näher zu ihr hin. Sie schien ihm auf's Neue geschenkt und zu ihrem früheren Wesen zurückgekehrt zu sein.

»Er nützte mir sehr viel durch seine Belehrungen, und vielleicht mehr noch durch seine Fehler. Sie können sich nicht vorstellen, Helene – ich bitte um Entschuldigung, Miß Digby, ich vergaß, daß wir nicht länger Kinder sind – Sie können sich nicht vorstellen, wie viel wir Männer, hauptsächlich vielleicht wir Schriftsteller, deren Aufgabe es ist, das Gewebe der menschlichen Handlungen zu entwirren, dem Rückblick auf unsere eigenen früheren Verirrungen zu verdanken haben, und wenn wir gar nichts aus den Fehlern anderer Menschen lernten, so müßten wir in der That auf den Kopf gefallen sein. Wir müssen genau wissen, wo die Wege sich scheiden, und erforscht haben, wohin sie führen, ehe wir unsere Wegweiser aufrichten können; und Bücher sind die Wegweiser im menschlichen Leben.«

»Bücher! – und ich habe noch keines der Ihrigen gelesen! Und Lord L'Estrange sagte mir, daß Sie jetzt berühmt geworden sind. Gleichwohl erinnern Sie sich meiner noch – des armen verwaisten Kindes, das Sie zuerst am Grabe ihres Vaters weinen sahen, und mit dem Sie Ihr eigenes junges Leben, das der Bürden schon genug hatte, noch mehr überbürdeten. Nein, nennen Sie mich nur immer Helene –Sie sollen mir stets ein Bruder sein! Lord L'Estrange fühlte das; auch er sprach es aus, als er mir mittheilte, daß wir uns wiedersehen sollten. Er ist so großmüthig, so edel! Bruder,« rief Helene plötzlich aus, und reichte ihm ihre Hand, während ein süßer und zugleich erhabener Ausdruck ihr sanftes Gesicht verklärte – »Bruder, wir wollen niemals seine Achtung verscherzen; wir wollen Beide unser Möglichstes thun, ihm zu vergelten. Nicht wahr? Sprechen Sie!«

Leonard fühlte sich von widerstreitenden und unerklärlichen Empfindungen überwältigt. Beinahe zu Thränen gerührt durch ihre herzliche Anrede, durchzuckt von dem Drucke der Hand, die in der seinigen ruhte, war er dennoch von einer unbestimmten Furcht erfüllt, von einer Ahnung, daß etwas mehr in den Worten liege, als sie zu bedeuten schienen – etwas, das jede Hoffnung ausschloß. Und dieses Wort »Bruder,« das ihm einst so kostbar und theuer gewesen war – warum bebte er jetzt davor zurück? Warum war es ihm nicht möglich, das süße Wort »Schwester« auszusprechen?

»Sie steht zu hoch über mir, jetzt und immer!« dachte er traurig, und der Klang seiner Stimme war verändert, als er wieder sprach. Diese Aufforderung, ihr früheres trauliches Verhältniß zu erneuern, machte ihn nur um so zurückhaltender, und er gab auf ihre Anrede keine direkte Antwort, denn Mrs. Riccabocca wandte sich eben um, und rief, auf das Häuschen deutend, das mit seinen malerischen Giebeln sichtbar wurde –

»Ist dies Ihre Wohnung, Leonard? Ich habe noch nie etwas so Reizendes gesehen.«

»Sie erinnern sich desselben also nicht mehr,« sagte Leonard zu Helene, im Tone wehmüthigen Vorwurfs. »Hier war es, da ich Sie zuletzt gesehen habe. Ich war unschlüssig, ob ich das Häuschen genau in dem Zustande lassen sollte, wie es war, faßte aber dann zu mir selbst: »Nein, die Erinnerung, die sich daran knüpft, verändert sich nicht, wenn wir es möglichst hübsch herzustellen suchen; je theurer eine Erinnerung ist, desto natürlicher steht ihr das Schöne an. Vielleicht begreifen Sie das nicht – vielleicht begreifen das nur wir armen Dichter.«

»Ich begreife es,« sagte Helene sanft und betrachtete gedankenvoll das Häuschen.

»Wie verändert es ist – ich habe es mir so oft in Gedanken vorgestellt – aber nie, nie so wie dieses; und doch liebte ich es, so gewöhnlich es auch aussehen mochte, und das Dachstübchen – und der Baum auf dem Zimmerplatze.«

Sie sprach diese Gedanken nicht aus.

Und jetzt traten sie in den Garten.


Viertes Kapitel.

Mrs. Fairfield war stolz darauf, Mr. Riccabocca und Violante in ihrem großen Hause empfangen zu dürfen, denn als ein solches erschien ihr die Hütte, in welcher der Knabe Lenny ihr eine Heimath bereitet hatte. Stolz war die Wittwe Fairfield in der That immer gewesen; allein jetzt dachte sie in ihrem innersten Herzen, daß die Schale irdischen Glückes dann erst voll für sie wäre und sie zufrieden ihr Haupt zum Sterben niederlegen könnte, wenn es ihr gestattet sein würde, eines Tages in dem Empfangszimmer dieses großen Hauses die vornehme Mrs. Hazeldean zu begrüßen, die es ihr so sehr zum Vorwurf gemacht, daß sie nicht länger in dem von dem Squire gemieteten Häuschen hatte bleiben wollen.

Sie beachtete Helene nur wenig – ihre Aufmerksamkeit war zu sehr durch die beiden anderen Damen in Anspruch genommen, welche die frühere Bekanntschaft mit ihr erneuerten; sie führte dieselben im ganzen Hause umher, sogar die Küche nicht ausgenommen, und so kam es, daß Helene eine kurze Zeit allein mit Leonard blieb.

Sie befanden sich in des letzteren Studirzimmer. Helene hatte unbewußt auf Leonard's Stuhle Platz genommen, und blickte ernst und besorgt auf die umhergestreuten Papiere, die so unordentlich aussahen, obgleich in Wahrheit in dieser Unordnung eine gewisse Methode lag, die jedoch nur dem Eigentümer verständlich war. Die ehrwürdigen, vielgebrauchten Bücher in allen Sprachen bedeckten den Fußboden, die Stühle, ja das ganze Zimmer, und ich muß gestehen, daß Helenen's ächt weibliches Gefühl für Pünktlichkeit ihr vor allen Dingen den lebhaften Wunsch einflößte, Hand anzulegen, um dieser Unordnung abzuhelfen.

»Armer Leonard,« dachte sie bei sich, »das ganze übrige Haus ist so geordnet, allein es scheint Niemand da zu sein, der sich seiner und seines Stübchens annimmt!«

Leonard lächelte, als hätte er ihre Gedanken errathen, und faßte: »Es wäre eine grausame Güte gegen die Spinne, wollte auch die zarteste Hand von der Welt es versuchen, ihr Gewebe zu ordnen«

Helene. – »Sie sind früher nicht ganz so schlimm gewesen.«

Leonard. – »Und doch fanden Sie es selbst damals nöthig, das Geld in Verwahrung zu nehmen. Jetzt besitze ich mehr Bücher und mehr Geld. Meine gegenwärtige Haushälterin läßt mich selbst für meine Bücher sorgen, aber im Punkte des Geldes ist sie weniger nachsichtig.«

Helene (schalkhaft). – »Sind Sie noch immer so zerstreut, wie früher?«

Leonard. – »Noch viel mehr, fürchte ich. Diese Gewohnheit ist unverbesserlich, Miß Digby –«

Helene. – »Nicht Miß Digby – Schwester, wenn es Ihnen recht ist.«

Leonard (das Wort vermeidend, das einen so hinderlichen Verwandtschaftsgrad in sich schließt). – »Helene, wollen Sie mir eine Gunst erweisen? Ihre Augen und Ihr Lächeln sagen ›ja‹. Wollen Sie nur für eine einzige Minute Hut und Shawl ablegen? Wie? Sollte diese meine Bitte Sie befremden? Können Sie nicht begreifen, wie sehr ich wünsche, Sie, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, heimisch unter diesem Dache zu sehen?«

Helene schlug den Blick zu Boden und schien beunruhigt; dann erhob sie denselben wieder, während eine sanfte, engelgleiche Reinheit in den blauen Taubenaugen sich spiegelte, und, gleichsam Schutz suchend gegen jeden Gedanken an ein wärmeres Gefühl, flüsterte sie nochmals das Wort »Bruder« und that hierauf, wie sie gebeten worden war.

Da saß sie nun unter den stummen Büchern, an seinem Tische, neben dem offenen Fenster – die blonden Haare auf der Stirne gescheitelt – wie gut, wie ruhig, wie glücklich sah sie aus!

Leonard staunte über seine eigene Selbstbeherrschung. Sein Herz fühlte sich in unaussprechlicher Liebe zu ihr hingezogen – seine Lippen sehnten sich, zu flüstern: »Ach, könnte es doch immer so sein, wie jetzt! Wäre diese Heimath zu gering?« Allein das Wort »Bruder« war ein Talisman zwischen ihr und ihm.

Und doch schien sie sich so heimisch zu fühlen – heimischer, als in dem steifen, vornehmen Hause, in welchem ihr bald die Rechte einer Tochter zustehen sollten. Fiel ihr das wohl plötzlich ein, weil sie so rasch sich erhob und mit dem Ausdruck der Angst und Unruhe im Antlitz sagte –

»Aber wir halten Lady Lansmere zu lange auf. Wir müssen jetzt gehen.« Und eilig nahm sie bei diesen Worten Hut und Shawl zur Hand.

In diesem Augenblick trat Mrs. Fairfield mit ihren Gästen wieder ein, und begann sich wegen ihres Mangels an Aufmerksamkeit gegen Miß Digby zu entschuldigen, in welcher sie noch nicht Leonard's kindlichen Engel kennen gelernt hatte.

Helene nahm diese Entschuldigungen mit ihrer gewohnten Sanftmuth auf.

»Nicht doch! sagte sie, »Ihr Sohn und ich sind ja so alte Freunde; wie sollten Sie da solche Umstände mit mir machen?«

»Alte Freunde!« wiederholte Mrs. Fairfield auf's Höchste erstaunt und betrachtete die schöne Sprecherin mit weit geöffneten, neugierigen Augen.

»Wie hübsch und wie artig sie spricht,« dachte die Wittwe bei sich, »sie ist so artig, wie Miß Violante; und sie sieht viel demüthiger aus – obwohl, was ihren Anzug betrifft, so habe ich kaum jemals auf einem Bilde etwas Schöneres gesehen.«

Helene nahm jetzt Mrs. Riccabocca's Arm, und die Damen traten, nachdem sie freundlichen Abschied von der Wittwe genommen, den Rückweg nach Riccabocca's Hause an.

Mrs. Fairfield eilte ihnen jedoch mit Leonard's Hut und Handschuhen, die er vergessen hatte, nach.

»In der That, Knabe,« sagte sie freundlich und schmälend zugleich, »es wäre aus mit den schönen Büchern, wenn dir der liebe Gott nicht den Kopf zwischen den Schultern hätte festwachsen lassen. Sie sollten es nicht glauben, Ma'am,« fügte sie, gegen Mrs. Riccabocca gewendet, hinzu, »aber seitdem er Sie verlassen hat, ist er lange nicht mehr der witzige Junge, der er war – zu Zeiten ganz hülflos, Ma'am.«

Helene konnte nicht umhin, sich umzuwenden und Leonard mit einem schelmischen Lächeln anzublicken. Die Wittwe sah das Lächeln, und Leonard's Arm erfassend, sagte sie halblaut:

»Aber wo hast du denn diese hübsche junge Dame schon früher gesehen? Alte Freunde?«

»Ach, Mutter,« erwiderte Leonard traurig, »das ist eine lange Geschichte; du hast den Anfang gehört – wer kann das Ende wissen?«

Aber Helene lehnte sich noch immer auf Mrs. Riccabocca's Arm, und auf dem Rückweg schien für Leonard der Himmel seine winterliche Farbe wieder angezogen zu haben.

Und doch befand er sich an Violanten's Seite, welche mit so warmem Lobe von Helenen sprach! Ach, es ist nicht immer so süß wie man sagt, das Lob eines geliebten Wesens zu hören. Manchmal scheint es die ironische Frage an uns zu richten: »Welches Recht zur Hoffnung gibt dir deine Liebe? Sie wird von Jedermann geliebt!«


Fünftes Kapitel.

Kaum sah sich Lady Lansmere allein mit Riccabocca und Harley, so legte sie ihre Hand auf den Arm des Verbannten, und indem sie ihn mit einem Titel anredete, den sie ihm bisher nicht gegeben hatte, und vor welchem er ängstlich zurückzuschrecken schien, sagte sie:

»Harley war genöthigt, mir Ihr Incognito zu verrathen, als er mich zu einem Besuche bei Ihnen aufforderte, denn ich würde Ihr Geheimniß doch entdeckt haben. Sie scheinen sich trotz Ihrer Galanterie meiner nicht mehr zu erinnern. Allein ich lebte zu der Zeit Ihres ersten Aufenthaltes in England mehr in der großen Welt, wie jetzt, und saß in Carlton-House Palastähnliches Gebäude in London, das ab 1783 dem späteren König Georg IV. während seiner Zeit als Prince of Wales und während seiner Regentschaft als Hauptwohnsitz diente. einmal neben Ihnen bei Tische. Nein, keine Complimente, sondern hören Sie mich an. Harley sagt mir, daß Sie Ursache haben, die Anschläge eines verwegenen und gewissenlosen Abenteurers zu fürchten – ich darf ihn wohl so nennen, denn Abenteurer gibt es unter allen Ständen. Gestatten Sie Ihrer Tochter, zu mir auf Besuch zu kommen, so lange es Ihnen beliebt. Bei mir wenigstens wird sie sicher sein, und wenn auch Sie und die –«

»Halt, meine theure Lady,« unterbrach sie Riccabocca mit großer Lebhaftigkeit, »Ihre Güte überwältigt mich. Ich danke Ihnen aufrichtig für Ihr freundliches Anerbieten in Betreff meiner Tochter; aber –

»Nicht doch,« fiel ihm nun Harley in's Wort: »kein Aber. Ich wußte nichts von dem Plane meiner Mutter, als sie hierherkam. Aber seitdem sie mir ihn zugeflüstert, habe ich darüber nachgedacht, und bin nun zu der Ueberzeugung gekommen, daß es eine kluge Maßregel ist. Ihre Zuflucht ist Mr. Leslie bekannt – und Mr. Leslie steht in Verbindung mit Peschiera. Angenommen, Mr. Leslie ist so rücksichtsvoll, das Geheimniß nicht zu verrathen, so habe ich doch Grund zu der Annahme, daß der Graf Randal's Bekanntschaft mit Ihnen vermuthet. Audley Egerton erzählte mir heute Morgen, er habe es zwar nicht den Aeußerungen des jungen Mannes selbst, wohl aber den Fragen entnommen, welche Madame di Negra an ihn richtete; und Peschiera kann und wird seine Spione aufstellen, um jedes Haus auszukundschaften, welches Leslie besucht – er kann und wird ebenso gewiß alle meine Bewegungen und Schritte durch seine Spione aufspüren lassen. Wäre dieser Mann ein Engländer, so würde ich seiner Anschläge spotten; allein er ist ein Italiener, und war ein Verschworner. Wessen er fähig ist, weiß ich nicht; aber ein Mörder kann in ein festes Lager eindringen, und ein Verräther kann sich durch geschlossene Mauern an unsern Herd schleichen. Bei meiner Mutter muß Violante sicher sein; dagegen können Sie nichts einwenden. Und warum wollten Sie selbst nicht auch kommen?«

Riccabocca hatte diesen Vorstellungen, soweit sie Violante betrafen, keinen Widerspruch entgegen zu setzen; in der That erweckten sie in ihm die fast abergläubische Furcht wieder, welche er hinsichtlich seines Feindes hegte, und er willigte sogleich ein, daß Violante der dargebotenen Einladung folgen solle. Für sich selbst und Jemima lehnte er dieselbe jedoch ab.

»Um die Wahrheit zu gestehen,« sagte er einfach,« so bekenne ich, daß ich bei meiner Rückkehr nach England mir selbst gelobte, mit Niemand zu verkehren, der Kenntniß von dem Range hatte, den ich früher in meinem Vaterlande eingenommen. Ich fühlte, daß ich meine ganze Philosophie nöthig haben würde, um mich mit meiner veränderten Lage auszusöhnen, und mich an dieselbe zu gewöhnen. Wollte ich in meinen gegenwärtigen Verhältnissen, wie bescheiden sie sein mögen, diejenigen Segnungen finden, welche jedes Leben zu adeln vermögen – Frieden und innere Würde – so war es um der armen schwachen, menschlichen Natur willen unerläßlich, mit der Vergangenheit vollständig zu brechen. Es würde mich sehr aus dem Gleichgewicht bringen, als Ihr Hausgenosse eine Zeit lang durch Ihre Güte und Achtung, ja, durch die ganze Atmosphäre Ihres Umgangs daran erinnert zu werden, was ich früher war, um dann, wenn die mehr als zweifelhafte Aussicht auf meine Rückberufung aus der Verbannung sich nicht verwirklichen sollte, aus dem Traum zu erwachen und für den Rest meines Lebens das zu bleiben, was ich jetzt bin. Und doch, stünde ich allein, so würde ich es vielleicht wagen, der Gefahr mich auszusetzen – allein meine Gattin! Jetzt ist sie zufrieden und glücklich; würde sie das wohl bleiben, wenn sie einmal herausgerissen worden aus der einfachen Stellung, die sie als Frau des Doktor Riccabocca einnimmt? Müßte ich dann nicht vielleicht Klagen, Hoffnungen und Befürchtungen vernehmen, welche gleich spitzigen Dornen durch den dünnen Mantel meiner Philosophie dringen würden? Jetzt schon, nachdem ich ihr in einer schwachen Stunde mein Geheimniß vertraute, wird mir nur allzu oft ›mein Rang‹ hingeworfen – mit sorgloser Hand allerdings, doch trifft es darum nicht weniger hart. Kein Stein verwundet so sehr, wie derjenige, welcher von den Trümmern unseres eigenen Hauses genommen wird, und je größer dieses Haus gewesen, um so härter trifft uns der Stein! So nehmen Sie denn, theure Gräfin, die Tochter in Ihren Schutz, da der Vater sich nicht die Macht zutraut, es selbst thun zu können. Aber – verlangen Sie nicht mehr.«

Riccabocca blieb unerschütterlich in diesem Punkte. Und so wurde denn die Angelegenheit nach seinem Willen bereinigt, indem man darüber übereinkam, daß Violante noch immer als die Tochter des Doktor Riccabocca gelten sollte.

»Und nun noch ein Wort,« sagte Harley. »Theilen Sie Mr. Leslie diesen Plan nicht mit; lassen Sie ihn nicht erfahren, wo Violante untergebracht ist – wenigstens nicht eher, als bis ich Sie zu solchem Vertrauen ermächtige. Die Entschuldigung mag genügen, daß es ihm nichts nützen würde, es zu wissen, indem er sie doch nicht besuchen dürfte, denn, wie ich schon sagte, es werden seine Schritte ohne allen Zweifel überwacht. Sie können ihn aus demselben Grunde ersuchen, seine Besuche bei Ihnen einzustellen. Gestatten Sie mir unterdessen mein Urtheil über den jungen Mann zur Reife zu bringen. Inzwischen hoffe ich auch Mittel und Wege zu finden, mir über die wahre Natur von Peschiera's Absichten Gewißheit zu verschaffen. Seine Schwester hat den Wunsch geäußert, mich kennen zu lernen – ich will ihr Gelegenheit dazu geben. Während meines letzten Aufenthaltes im Auslande habe ich Einiges über sie erfahren, was mich vermuthen läßt, daß sie sich nicht ganz zu des Grafen Werkzeug hergeben wird, wenn es sich um Anschläge von offenbarer Schlechtigkeit handelt, sowie daß sie edlere Eigenschaften besitzt, als ich ihr früher zugetraut, und es wohl möglich wäre, sie dem Einflusse ihres Bruders zu entziehen. Wir befinden uns im Kriegszustande – lassen Sie uns den Kampf in das feindliche Lager tragen. Sie versprechen mir also, jeder vertraulichen Mittheilung gegen Mr. Leslie sich zu enthalten?«

»Für den Augenblick, ja,« erwiderte Riccabocca zögernd.

»Sagen Sie ihm nicht einmal, daß Sie mich gesehen haben, außer, wenn er Ihnen zuvor mittheilte, daß ich in England sei und Ihren Aufenthaltsort kennen zu lernen wünsche. Ich will Ihm hiezu alle Gelegenheit geben. St! Keine Einwendung; Sie kennen Ihr eigenes Sprüchwort –

Boccha chiusa, ed occhio aperto
Non fece mai nissun deserto.

›Der geschlossene Mund und das offene Auge‹ … haben noch niemandem geschadet. u. s. w.«

»Das ist sehr wahr,« versetzte der Doktor betroffen – »sehr wahr. Ja –

In Bocca chiusa non c'entrano mosche.

›Man verschluckt keine Fliege, wenn man den Mund geschlossen hält.‹ Corpo di Bacco! das ist in der That sehr wahr.«

Harley nahm den Italiener bei Seite.

»Sie sehen, wenn auch unsere Hoffnung, das verlorene Paket zu entdecken, oder unser Glaube an die Beschaffenheit seines Inhalts sich als zu sanguinisch herausstellen sollte, so wäre es doch möglich, daß Peschiera in einigen Monaten alle weiteren Anschläge auf Ihre Tochter aufgibt – möglich, daß Ihnen ein Sohn geboren wird, und Violante dann nicht länger in Gefahr schwebt, weil sie aufhören würde, eine Erbin zu sein. Es könnte in der That nicht schaden, Peschiera von dieser Möglichkeit in Kenntniß zu setzen, denn er würde sich vielleicht dadurch bewogen fühlen, die Ausführung seiner Plane zu verschieben, und unterdessen spüren wir das Dokument auf, welches dieselben für immer zu nichte macht.«

»Nein, nein! Um des Himmels willen nein!« rief Riccabocca mit aschfahlem Gesicht. »Kein Wort davon gegen ihn. Ich will ihm kein Verbrechen zur Last legen, dessen er sich vielleicht nicht schuldig gemacht, allein in Italien trachtete er mir nach dem Leben, als ich der Verfolgung seiner Söldlinge entkam. Er stand, von seiner Habsucht geleitet, nicht an, seinen Verwandten zu verrathen, und Hunderte, wenn sie widerstanden, dem Schwerte, wenn sie sich ergaben, dem Gefängniß zu überliefern. Erführe er, daß meine Gattin mir vielleicht einen Sohn schenken wird – wer weiß, ob seine Anschläge sich nicht in noch schwärzere und ungeheuerliche verwandeln würden, als diejenigen, mit welchen er jetzt sich brüstet, obwohl diese abscheulich und niederträchtig genug sind. Würde das Leben meiner Gattin sicher sein? Er dürfte es nicht schwerer finden, Gift in mein Haus zu bringen, als mir die Tochter vom Herde weg zu stehlen Verachten Sie mich deßhalb nicht, aber wenn ich an Weib und Kind und an diesen Menschen denke, so vergehen mir die Sinne, und die Furcht überwältigt mich.«

»Nicht doch, Ihre Besorgniß ist gewiß übertrieben. Wir leben ja nicht in dem Zeitalter der Borgia's. Sollte jedoch Peschiera es wagen, zum Morde zu greifen, so würden Sie wohl eher für Ihre eigene Person zu fürchten haben.«

»Für meine eigene Person! Für mich!« rief der Verbannte, seine stattliche Gestalt zu voller Höhe aufrichtend. »Ist es nicht schon Erniedrigung genug für einen Mann, der den Namen solcher Ahnen getragen hat, für Diejenigen fürchten zu müssen, welche er liebt? Furcht für mich selbst! Und muß ich von Ihnen mich einen Feigling nennen lassen?«

Er faßte sich wieder, als er Harley's reumüthigen und bewundernden Händedruck fühlte.

»Sehen Sie,« sagte er, mit wehmüthigem Lächeln sich gegen die Gräfin wendend, »wie eine einzige Stunde, in Ihrer Gesellschaft zugebracht, die Gewohnheit vieler Jahre vernichtet. Doktor Riccabocca spricht von seinen Ahnen!«


Sechstes Kapitel.

Violante und Jemima waren Beide, wie der Leser sich wohl denken mag, ungemein überrascht, als sie bei ihrer Rückkehr vernahmen, was über Erstere während ihrer Abwesenheit beschlossen worden war. Die Gräfin bestand darauf, Violante sogleich mit sich zu nehmen, und Riccabocca sagte kurz: »Gewiß, je eher, je besser.«

Violante war in hohem Grade bestürzt und verwirrt; Jemima beeilte sich, die nötigsten Kleidungsstücke in ein kleines Bündel zusammen zu packen, wobei sie manch heimlichen Seufzer über die Mangelhaftigkeit der dürftigen Garderobe nicht unterdrücken konnte. Indessen ließ sie eine Börse zwischen die Kleidungsstücke gleiten, welche die Ersparnisse von Monaten, vielleicht von Jahren enthielt, nebst einigen herzlichen Zeilen, in denen sie Violante bat, die Gräfin zu ersuchen, ihr alles dasjenige anzuschaffen, was sie nöthig haben würde, um ihres Vaters würdig zu erscheinen.

Es liegt immer etwas Hastiges und Unbehagliches in der plötzlichen und unerwarteten Abreise irgend eines der Angehörigen eines ruhigen Hauswesens. Die kleine Gesellschaft zertheilte sich in noch kleinere Gruppen. Violante hing an ihres Vaters Halse und hörte halb im Traume auf seine etwas unklaren Auseinandersetzungen.

Die Gräfin näherte sich Leonard und ertheilte ihm nach der gewöhnlichen Weise vornehmer Leute, jungen Autoren gegenüber, hohe Lobsprüche über seine Werke, welche sie zwar nicht selbst gelesen hatte, die ihr jedoch durch ihren Sohn als so bedeutend gerühmt worden waren. Sie hätte sehr gerne gewußt, wo Harley Mr. Oran, den er seinen Freund nannte, zuerst kennen gelernt, allein sie war viel zu sein gebildet, um diese Frage an ihn zu stellen, oder überhaupt eine Verwunderung darüber auszudrücken, daß Rang und Genius Freundschaft mit einander geschlossen. Sie nahm es als von sich selbst verstehend an, daß die Bekanntschaft im Auslande angeknüpft worden war.

Harley unterhielt sich mit Helene.

»Sie sind wohl nicht unzufrieden darüber, daß Violante zu uns kömmt? Sie wird eine sehr passende Gefährtin für Sie sein, und ist überdies ganz von Ihrem Alter.«

Helene (freimüthig). – »Es fällt mir schwer, mich nicht für jünger zu halten, als sie.«

Harley. – »Warum, meine liebe Helene?«

Helene. – »Sie ist eine so glänzende Erscheinung. Sie spricht so schön. Und ich –«

» Harley. – »Ihnen fehlt nur die Gewohnheit des Sprechens, um Ihren schönen Gedanken Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.«

Helene blickte dankbar zu ihm auf und schüttelte den Kopf. Sie that dies häufig, besonders, wenn sie gelobt wurde.

Endlich waren alle Vorbereitungen getroffen – das letzte Lebewohl gesprochen. Violante befand sich im Wagen an Lady Lansmere's Seite. Langsam entfernte sich die stattliche Equipage mit ihren vier Pferden und den blanken Postillonen, welche heraldische Abzeichen auf ihren Schultern trugen, eine Mode, die jetzt selten mehr in der Nähe der Hauptstadt gesehen wird und auch in den entlegeneren Grafschaften mehr und mehr zu verschwinden beginnt.

Riccabocca, Jemima und Jackeymo sahen vom Gartenthore aus dem Wagen nach.

»Sie ist fort,« sagte Jackeymo und wischte sich die Augen mit seinem Rockärmel; »aber damit fällt auch eine Last von unserer Seele.«

»Und eine andere dafür auf das Herz,« murmelte Riccabocca. »Weine nicht, Jemima; es könnte dir und dem Zukünftigen schaden. Es ist erstaunlich, welche Einwirkung die Stimmung der Mutter auf das Ungeborene haben kann, und ich wünschte nicht, daß mein Sohn mit einer mehr als gewöhnlichen Neigung zu Thränen behaftet wäre.«

Der arme Philosoph bemühte sich zu lächeln, allein es war ein mißlungener Versuch.

Langsam ging er in das Haus zurück und schloß sich mit seinen Büchern ein. Aber er vermochte nicht zu lesen . Sein ganzes Wesen war aus dem Gleichgewicht gebracht. Und obgleich er, wie alle Eltern zu thun pflegen, sich eifrig bemüht hatte, eine geliebte Tochter für Lebenszeit los zu werden, so schien ihm doch jetzt, da sie nur für kurze Zeit ihn verlassen, eine Saite zerrissen zu sein in der Musik der Heimath.


Siebentes Kapitel.

Am Abend desselben Tages war Egerton, der eine große Gesellschaft zu Tische bei sich erwartete, eben damit beschäftigt, seinen Anzug zu wechseln, als Harley in sein Zimmer trat.

Egerton entließ seinen Kammerdiener durch ein Zeichen und fuhr in seiner Toilette fort.

»Entschuldige mich, mein lieber Harley, wenn ich dir nur zehn Minuten widmen kann. Ich erwarte einen der königlichen Prinzen, und Pünktlichkeit gehört eben sowohl zu den strengen Tugenden des Geschäftsmannes wie zu den huldvollen Höflichkeiten der Fürsten.«

Harley beantwortete die Aphorismen seines Freundes gewöhnlich mit einem Scherze; nicht so dieses Mal. Er legte seine Hand theilnehmend auf Egerton's Schulter – »Ehe wir von Geschäften reden, sage mir, wie es dir geht – besser?«

»Besser! – Nun, ich befinde mich immer wohl. Pah! Ich sehe vielleicht etwas ermüdet aus– Jahre voll Arbeit und Anstrengung lassen wohl ihre Spuren auf dem Gesichte zurück. Doch das kümmert mich jetzt wenig – die Zeiten sind für mich vorüber, wo man Werth darauf legt, wie man sich im Spiegel ausnimmt.«

Egerton hatte, während er so sprach, seinen Anzug vollendet und stand nun am Kamine, so aufrecht und würdevoll, wie je, noch immer viel schöner, als mancher weit jüngere Mann, und seine Gestalt schien Kraft genug zu besitzen, um noch viele Jahre hindurch die traurige und doch ruhmvolle Bürde der Macht zu tragen.

»Nun zu deiner Angelegenheit, Harley!«

»Für's Erste möchte ich dich bitten, mich bei der nächsten Gelegenheit Madame di Negra vorzustellen. Du sagtest mir, sie wünsche mich kennen zu lernen.«

»Sprichst du im Ernste?«

»Ja.«

»Nun wohl, es ist heute ihr Empfangstag. Ich hatte nicht die Absicht, hinzugehen, doch wenn meine Gäste aufbrechen –«

»Dann könntest du mich abholen. Thue das! – Ferner – du warst mit Lady Jane Horton sogar besser bekannt als ich, wenigstens im letzten Jahre ihres Lebens.«

Harley seufzte, und Egerton wandte sich ab und machte sich mit dem Feuer zu thun.

»Bitte, sage mir, ob du in ihrem Hause niemals eine Mrs. Bertram gesehen hast oder von ihr reden hörtest?«

»Von wem?« versetzte Egerton mit hohler Stimme, das Gesicht noch immer dem Feuer zugewendet.

»Von einer Mrs. Bertram. Aber, o Himmel, mein theurer Freund, was ist dir? Bist du krank?«

»Ein Herzkrampf – weiter nichts – klingle nicht – es wird gleich vorübergehen. Fahre fort. Mrs. – warum frägst du?«

»Ich habe jetzt kaum Zeit, es dir auseinander zu setzen; allein, wie ich dir schon sagte, bin ich entschlossen, meinem italienischen Freunde wieder zu seinem Rechte zu verhelfen, sofern der Himmel mir seinen Beistand leiht, den er ja den Redlichen nie versagt, wenn ihre Anstrengungen aufrichtig sind. Und diese Mrs. Bertram ist in die Angelegenheit meines Freundes verflochten.«

»In seine Angelegenheit? Wie ist das möglich?«

Harley erklärte die Sache rasch und bündig. Audley hörte ihm aufmerksam zu, die Augen fest auf den Boden gerichtet und scheinbar noch immer schwer und mühsam athmend. Endlich antwortete er:

»Ich erinnere mich einigermaßen dieser Mrs. – Bertram. Allein deine Nachforschungen werden vergeblich sein. Ich glaube gehört zu haben, daß sie schon lange todt ist. Ja, ich bin dessen gewiß.«

»Todt! Das trifft sich sehr unglücklich. Aber kennst du nicht vielleicht ihre Familie, oder ihre Freunde? Weißt du keinen Rath, wie diesem Paket auf die Spur zu kommen wäre, für den Fall, daß es in ihre Hände gelangte?«

»Nein.«

»Und Lady Jane hatte meines Wissens kaum eine andere Freundin, als meine Mutter, und diese weiß durchaus nichts von dieser Mrs. Bertram. Wie ungeschickt! Ich glaube, ich werde einen Aufruf in den Zeitungen ergehen lassen. Doch nein. Ich könnte diese Mrs. Bertram, um sie von Andern gleichen Namens zu unterscheiden, nur dadurch näher bezeichnen, daß ich angäbe, mit wem sie in's Ausland ging, und dies würde Peschiera's Aufmerksamkeit erregen und ihn veranlassen, uns entgegen zu arbeiten.«

»Und was könnte es nützen?« sagte Egerton. »Diejenige, welche du suchst, ist nicht mehr – ist todt!« Er hielt inne, und fuhr dann rascher fort. »Das Paket gelangte erst mehrere Jahre nach ihrem Tode nach England – wurde ohne Zweifel der Post zurückgegeben – und ist längst vernichtet.«

Harley sich sehr enttäuscht und niedergeschlagen aus, während Egerton in einem eigentümlichen, fast mechanischen Tone fort fuhr, gleichsam als denke er nicht an das, was er sagte; er sprach in der trockenen praktischen Weise, die ihm eigen war, und durch welche der Weltmann die Hoffnungen des Enthusiasten so schnell zerstört. Bei dem Tone des ersten, lauten Schlages an die Hausthüre fuhr er zusammen und sagte:

»Horch! Du mußt mich nun entschuldigen.«

»Ich gehe, mein theurer Audley. Aber vorher möchte ich noch einmal fragen – fühlst du dich jetzt besser?«

»Viel, viel besser – ganz wohl. Ich werde dir anrufen – wahrscheinlich zwischen elf und zwölf Uhr.«


Achtes Kapitel.

Wenn irgend Jemand noch größeres Erstaunen, als die schöne Wirthin selbst, darüber empfand, Lord L'Estrange an jenem Abend im Hause Madame di Negra's zu sehen, so war es Randal Leslie. Ein gewisser Instinct sagte ihm, daß seinen Planen in Bezug auf Riccabocca und Violante, welcher Art sie auch sein mochten, durch diesen Besuch Gefahr drohe. Aber Randal Leslie gehörte nicht zu Denjenigen, die vor einem geistigen Wettkampfe zurückschrecken. Im Gegentheil vertraute er seiner Geschicklichkeit in jeder Art von Intriguen viel zu sehr, um nicht Vergnügen daran zu finden, dieselbe auszuüben. Er konnte nicht glauben, daß der indolente Harley mit seiner eigenen rastlosen Thätigkeit und unermüdlichen Beharrlichkeit sich sollte messen können.

Indessen begann schon nach wenigen Augenblicken eine leise Furcht in ihm aufzusteigen. Kein Mann seiner Zeit vermochte einen so glänzenden Eindruck hervorzubringen, als Lord L'Estrange, wenn er sich herabließ, diesen Eindruck hervorbringen zu wollen. Ohne auf jene körperliche Schönheit viel Anspruch zu machen, durch welche wir im ersten Augenblick geblendet werden, besaß er noch immer den ganzen Reiz der Erscheinung, und die volle Anmuth des Wesens, durch welche er als Knabe schon der verwöhnte Liebling der Gesellschaft geworden war.

Madame di Negra hatte nur einen kleinen Kreis um sich versammelt, doch bestand er aus der élite der großen Welt. Man vermißte in ihm zwar jene übertrieben förmlichen und zurückhaltenden dames du chateau, welche von den leichtfertigeren und zwangloseren Beherrscherinnen des Tons als prudes lächerlich gemacht werden; allein nichts desto weniger waren Damen von ebenso mackellosem Ruf als hohem Range anwesend; vielleicht auch tändelnde Coquetten – doch weiter nichts; kurz, »bezaubernde Geschöpfe« – die fröhlichen Schmetterlinge, die über das steife Blumenbeet hinflattern. Ferner sah man Gesandte und Minister, Witzlinge, glänzende Parlamentsredner und sehr vornehme Dandies (Dandies ersten Ranges sind meistens sehr angenehme Männer).

Inmitten all' dieser verschiedenen Personen bewegte sich Harley, obwohl der Londoner Welt so lange entfremdet, mit der Leichtigkeit eines Alcibiades. Viele von den weniger jugendlichen Damen erinnerten sich seiner und beeilten sich, die frühere Bekanntschaft durch Zunicken, Winken und holdseliges Lächeln zu erneuern. Er hatte ein gewandtes Compliment für Jede, und in der That mochte es wenige unter den Anwesenden – Herrn und Damen – geben, für welche Harley L'Estrange nicht irgend eine eigentümliche Anziehung besaß: – einen hervorragenden Ruf als Soldat und Freund der Wissenschaft für die Ernsten, Witz und Scherzreden für die Heiteren, den Reiz der Neuheit für die Blasirten, und was die gemeineren Naturen betraf – war er nicht Lord L'Estrange, der unvermählte Erbe eines alten Grafentitels, jetzt schon im Besitze der reichsten Mittel und in Zukunft der Eigenthümer einer Jahresrente von einigen fünfzigtausend Pfunden?

Erst nachdem es ihm gelungen war, diesen allgemeinen Eindruck hervorzubringen – wozu er sich in Wahrheit alle Mühe gab – schickte Harley sich an, seine Aufmerksamkeit ernstlich und ausschließlich seiner Wirthin zuzuwenden. Er ließ sich an ihrer Seite nieder, und wie aus Rücksicht gegen Beide zogen sich nach und nach die weniger eifrigen Bewunderer zurück.

Frank Hazeldean war der letzte, der seinen Platz hinter dem Stuhle Madame di Negra's verließ; doch, als er fand, daß die Beiden in italienischer Sprache sich unterhielten, und er kein Wort davon verstehen konnte – wobei der arme Junge recht lächerlich und ungeschickt auszusehen sich einbildete und seine Eton-Erziehung verwünschte, die über den todten Sprachen, von denen er wenig genug gelernt, die lebenden versäumt hatte, von denen er gar nichts verstand – da zog auch er sich zurück und trat auf Randal zu mit den Worten:

»Sage mir doch, wie alt Lord L'Estrange ungefähr sein mag? Er muß eine gehörige Anzahl Jahre zählen, trotz seines jugendlichen Aussehens. Er kämpfte ja bei Waterloo mit.«

»Er ist jung genug, um ein gefährlicher Nebenbuhler zu sein,« versetzte Randal mit listiger Aufrichtigkeit.

Frank erbleichte und begann schreckliche, blutdürstige Dinge zu denken, wobei die Mensur und Lord's Cricket Ground Ein Cricketstadion in London (1814 angelegt); gilt als die wichtigste und traditionsreichste Adresse für Cricket weltweit. die Ausgangspunkte bildeten.

Und gewiß war allem Anschein nach Grund für die Eifersucht eines Liebhabers vorhanden, denn die Beiden unterhielten sich jetzt in leisem Tone, und Beatrice war sichtlich aufgeregt, während Harley sehr ernsthaft sprach – Randal selbst fühlte sich mehr und mehr verwirrt. Sollte Lord L'Estrange wirklich in die Marchesa verliebt sein? In diesem Fall müßte jede Hoffnung, Frank mit ihr verheirathet zu sehen, aufgegeben werden. Oder spielte er blos eine Rolle in Riccabocca's Interesse und nahm die Maske des Liebhabers vor, um Einfluß auf sie zu gewinnen, ihren Ehrgeiz zu benützen und in ihr eine Verbündete gegen ihren Bruder zu gewinnen? War eine solche Schlauheit mit der Ansicht vereinbar, die Randal von dem Charakter Harley's sich gebildet hatte? Stand es im Einklang mit dem ritterlichen, soldatischen Ehrgefühl, das der sonst so offene Edelmann an den Tag legte, einer Dame aus bloser Kriegslist den Hof zu machen? Konnte Freundschaft für Riccabocca allein wohl ein genügender Beweggrund sein für einen Mann, der bei all' seinen Schwächen und Irrthümern doch den Stempel einer Seele ohne Falsch auf der Stirne trug, selbst auch um eines guten Zweckes willen zu so niedrigen Mitteln seine Zuflucht zu nehmen?

Bei dieser Frage stieg plötzlich ein neuer Gedanke in Randal auf – sollte vielleicht Lord L'Estrange selbst darauf spekuliren, Violante zu gewinnen? – würde eine solche Absicht nicht den Eifer erklären, mit welchem er ihre Erbschaftsangelegenheit am Wiener Hofe betrieben und über den sich Peschiera und Beatrice so sehr beklagt hatten? Die Bedenken, welche die östreichische Regierung gegen Violanten's Verheiratung mit einem unbekannten Engländer vielleicht erheben könnten, würden, einem Manne wie Lord L'Estrange gegenüber, wohl gänzlich wegfallen, da seine Familie nicht nur der höchsten Aristokratie von England angehörte, sondern auch stets denjenigen politischen Grundsätzen gehuldigt hatte, welche bei den leitenden Kabineten Europa's maßgebend waren. Harley selbst hatte zwar niemals thätigen Antheil an der Politik genommen, allein seine Ansichten waren ohne Zweifel diejenigen eines aristokratischen Soldaten, der als Verbündeter Oestreichs für die Wiedereinsetzung der Bourbonen den Degen geführt hatte. Jener ungeheuere Reichthum, welcher Violanten möglicher Weise entgehen würde, wenn sie einen Mann von Randal's Stellung heirathete, dürfte daher durch eine Verbindung mit dem Erben der Lansmere nur um so gesicherter erscheinen. Konnte Harley, bei all' seinen eigenen Aussichten gleichgültig sein gegen einen solchen Preis? Und überdies hatte ihm ohne Zweifel sein Briefwechsel mit Riccabocca Violanten's seltene Schönheit verrathen.

Von solchen Erwägungen geleitet, mußte es Randal bei der ihm eigenen Ansicht von der menschlichen Natur begreiflich finden, daß selbst Harley's zärtere Grundsätze hinsichtlich der den Frauen schuldigen Achtung einer solchen Versuchung nicht zu widerstehen vermochten. Bloße Freundschaft würde nicht mächtig genug gewesen sein, dieselben wankend zu machen, wohl aber der Ehrgeiz.

Während Randal sich in solcher Weise seinen Gedanken überließ, Frank aber von den Qualen der Eifersucht gepeinigt wurde, und manche flüsternde Bemerkung über die anscheinend so vertraulich sich gestaltende Unterredung zwischen der schönen Wirthin und ihrem ausgezeichneten Gaste die Ohren des brütenden Ränkeschmieds und des eifersüchtigen Liebhabers erreichte, hatte das Gespräch jener Beiden, die den Mittelpunkt der Beobachtung und Unterhaltung bildeten, eine andere Wendung genommen. Beatrice war es, welche sich bemühte, den Gegenstand derselben zu wechseln.

»Es ist lange her, Mylord,« sagte sie, noch immer in italienischer Sprache, »seitdem ich solche Gesinnungen aussprechen hörte, wie ich sie soeben von Ihnen vernommen, und wenn ich mich derselben nicht ganz unwürdig fühle, so verdanke ich es dem Vergnügen, das es mir gewährte, Empfindungen hier dargestellt zu lesen, die der Sprache der Welt, in der ich mich bewege, eben so fremd sind.«

Sie nahm, während dieser Worte ein Buch von dem Tisch auf.

»Haben Sie dieses Werk schon gelesen?«

Harley blickte auf das Titelblatt.

»Allerdings,« erwiderte er, »auch kenne ich den Verfasser.«

»Ich beneide Sie um diese Ehre. Wie glücklich würde es mich machen, Denjenigen kennen zu lernen, der mir Tiefen in meinem Innern enthüllt hat, die mir selbst Unbekannt geblieben waren.«

»Reizende Marchesa, wenn solches diesem Buche gelungen ist, dann, glauben Sie mir, habe ich Ihnen kein falsches Kompliment und mir keinen zu hohen Begriff von dem Werthe Ihres Wesens gemacht, denn der ganze Zauber dieses Werkes liegt in der einfachen Ansprache an die guten und edelmüthigen Regungen des Herzens, und es kann Diejenigen nicht entzücken, welche solcher Regungen nicht fähig sind.«

»Nein, darin müssen Sie doch irren. Wenn Sie Recht hätten, warum wäre alsdann das Buch so populär?«

»Weil gute und edle Regungen dem menschlichen Herzen weit mehr eigen sind, als wir wissen und annehmen, bevor wir sie erprobt haben.«

»Verlangen Sie nicht, daß ich dies glauben soll. Ich habe die Welt so schlecht gefunden.«

»Gestatten Sie mir eine unhöfliche Frage, aber was wissen Sie von der Welt?«

Beatrice sah zuerst erstaunt zu Harley auf und blickte dann mit bedeutsamer Ironie im Zimmer umher.

»Ganz, wie ich mir dachte. Sie nennen dieses kleine Zimmer die Welt. Nun, lassen wir es dafür gelten, mir aber erlauben Sie folgende Behauptung: Wenn die hier Anwesenden sich plötzlich in das Auditorium eines Theaters verwandeln würden und Sie eben so vollendet in der Schauspielkunst wären, als Sie es in allen andern Künsten sind, welche Geist und Herz erfreuen –«

»Nun?«

»Wollten jedoch eine Rede gemeinen und unmoralischen Inhalts vortragen, so würden Sie sicher ausgezischt werden. Dagegen lassen Sie jede andere Frau, die nur die Hälfte Ihrer Vorzüge besitzt, sich erheben und süße weibliche Gefühle oder ehrenhafte und erhabene Empfindungen aussprechen, so werden Beifallsbezeugungen von jeder Lippe ertönen und Thränen in den Augen manches Weltkindes erglänzen. Der wahre Beweis von dem unserer gemeinsamen Natur innewohnenden Adel zeigt sich in der Sympathie, die sich für das wahrhaft Edle immer kundgibt, wo große Massen sich versammeln. Halten Sie niemals die Welt für schlecht; wäre sie es wirklich, so würde keine gesellschaftliche Verbindung auch nur einen Tag lang Bestand haben können. Doch – Sie wünschen den Verfasser dieses Buchs kennen zu lernen? Ich werde ihn bei Ihnen einführen.«

»Thun Sie das.«

»Und nun,« sagte Harley mit seinem offenen, gewinnenden Lächeln, indem er sich erhob – »glauben Sie, daß wir jemals Freunde werden können?«

»Sie haben mich so überrascht, daß ich kaum zu antworten vermag. Doch warum wünschen Sie, daß wir Freunde werden fallen?«

»Weil Sie eines Freundes bedürfen. Sie besitzen keinen.«

»Sonderbarer Schmeichler!« versetzte Beatrice mit einem Lächeln, in welchem sich mehr Wehmuth als Heiterkeit aussprach; dann blickte sie auf, und ihr Auge begegnete demjenigen Randal's.

»Pah!« sagte Harley, »Sie sind zu scharfsinnig, um glauben zu können, daß Sie dort Freundschaft einflößen. Meinen Sie, ich habe, während ich mit Ihnen sprach, die beobachtenden Blicke Mr. Randal Leslie's nicht bemerkt? Noch weiß ich nicht, welches Band möglicherweise zwischen Ihnen Beiden bestehen mag, ich werde es jedoch bald erfahren.«

»Wirklich? Sie sprechen wie Einer aus dem alten Rathe von Venedig. Sie wollen mich zwingen, Sie zu fürchten,« sagte Beatrice, indem sie sich bemühte, dem ernsteren Eindruck, den Harley auf sie gemacht, durch eine erkünstelte Coquetterie und Leichtfertigkeit sich zu entziehen.

»Und ich,« entgegnete L'Estrange ruhig, »sage Ihnen jetzt schon, daß ich Sie nicht mehr fürchte.«

Er verbeugte sich und schritt durch die Menge, um Audley aufzusuchen, der in einer Ecke saß und sich flüsternd mit einigen politischen Freunden unterhielt. Doch noch ehe Harley den Minister erreichte, traf er auf Randal und den jungen Hazeldean. Er verbeugte sich gegen den Ersteren und bot Letzterem die Hand. Randal fühlte den Unterschied, und sein finsterer, bitterer Stolz ward tief verletzt – ein Gefühl des Hasses gegen Harley erfüllte sein Gemüth. Mit Befriedigung bemerkte er, wie kalt und zögernd Frank die dargebotene Hand nur eben berührte. Doch nicht nur Randal's genaue Beobachtung Beatricen's war von dem scharfsichtigen Harley wahrgenommen worden. Er hatte auch die zornigen Blicke Franks gesehen und die Ursache derselben errathen. So entlockte ihm die geringschätzende Zurückhaltung des jungen Mannes nur ein nachsichtiges Lächeln.

»Es geht Ihnen wie mir, Mr. Hazeldean,« sagte er. »Sie meinen, bei jeder Höflichkeit, welche ihre Form von der Freundschaft borgt, müsse auch das Herz in etwas betheiligt sein –

›Die Hand des Douglas ist sein eigen.‹« Aus einer Verserzählung von Walter Scott: Marmion and Douglas, VI, V 27.

Harley nahm jetzt Randal bei Seite.

»Mr. Leslie, ein Wort mit Ihnen. Wenn ich den Aufenthaltsort Doktor Riccabocca's zu erfahren wünschte, um ihm einen großen Dienst leisten zu können, würden Sie mir das Geheimniß anvertrauen?«

»Das Weib hat den Verdacht gegen ihn ausgesprochen, daß ich den Zufluchtsort des Verbannten kenne,« dachte Randal, und mit seltener Geistesgegenwart erwiderte er sogleich:

»Mylord, dort steht ein Verwandter Doktor Riccabocca's. Mr. Hazeldean ist ohne Zweifel derjenige, an welchen Sie diese Frage richten müssen.«

»Nicht doch, Mr. Leslie, denn ich vermuthe, er würde dieselbe nicht beantworten können, während ich bei Ihnen das Gegentheil voraussetze. Nun, ich will Sie um etwas Anderes ersuchen, das Sie, wie mir däucht, ohne Zögern zusagen können. Sollten Sie Dr. Riccabocca sehen, so sagen Sie ihm, daß ich mich in England befinde, und überlassen Sie es ihm, ob er mit mir verkehren will oder nicht. Doch vielleicht haben Sie es bereits gethan?«

»Lord L'Estrange,« sagte Randal mit einer tiefen Verbeugung und absichtlicher Förmlichkeit, »entschuldigen Sie mich, wenn ich weder m Abrede ziehe, noch zugebe, in dieser Sache etwas zu wissen. Sollte ich jedoch im Besitze eines von Doktor Riccabocca mir anvertrauten Geheimnisses sein, so stünde es mir zu, dasselbe zu bewahren, so gut ich kann. Und was das Uebrige betrifft, so hat der schottische Graf dessen Worte Eure Herrlichkeit soeben anführte, nachdem er sich geweigert, Marmion's Hand zu berühren, denselben schwerlich zurückgerufen, um ihm – einen Auftrag zu geben!«

Harley war auf einen solchen Ton bei Mr. Egerton's Schützling nicht vorbereitet, und seiner eigenen ritterlichen Natur lag es näher, an solchem Stolze, der wenigstens einen unabhängigen Geist zu bekunden schien, Gefallen zu finden, als sich von demselben verletzt zu fühlen. Dennoch war sein Mißtrauen gegen Randal zu tief gewurzelt, um so leicht erschüttert zu werden, und er erwiderte daher höflich, aber mit verstecktem Spott:

»Ich unterwerfe mich Ihrem Tadel, Mr. Leslie, obwohl ich die Beleidigung nicht beabsichtigte, welche Sie mir unterstellen. Ich bedaure mein unglückliches Citat um so mehr, als Ihre witzige Entgegnung Sie nöthigte, mit Marmion in eine Parallele zu treten, der zwar sehr gescheidt und tapfer, aber auch ungewöhnlich – tückisch war.«

Und nachdem Harley auf diese Weise den Sieg davongetragen, ging er weiter, um mit Egerton einige Augenblicke darauf das Zimmer zu verlassen.

»Was hat L'Estrange mit dir gesprochen?« fragte Frank. »Gewiß etwas auf Beatrice Bezügliches?«

»Nein, er citirte Poesie.«

»Aber was machte dich denn so ärgerlich aussehen, mein lieber Freund? Wohl nur dein treues Mitgefühl für mich. Wie du sagst, er ist ein sehr gefährlicher Nebenbuhler. Aber das können nicht seine eigenen Haare sein. Glaubst du, daß er ein Toupet trägt? Sicherlich lobte er Beatrice. Er ist augenscheinlich sehr entzückt von ihr. Doch halte ich sie nicht für die Frau, die sich durch Rang und Vermögen allein bestechen läßt. Meinst du nicht auch? Warum sprichst du denn nicht?«

»Ich meine, daß wenn Du nicht bald ihre Einwilligung erlangst, sie für dich verloren ist,« sagte Randal langsam und verließ, noch ehe Frank sich von seinem Schreiben erholt hatte, in aller Stille das Haus.


Neuntes Kapitel.

Der erste Abend im Hause des Grafen Lansmere verfloß für Violante glücklicher, als es einst bei Helene der Fall gewesen war. Zwar vermißte sie ihren Vater sehr – auch Jemima einigermaßen; aber in ihren Augen waren die Angelegenheiten des Ersteren so innig mit Harley verknüpft, daß ihr ein unbestimmtes Gefühl die Ueberzeugung einflößte, ihr Besuch bei Harley's Eltern habe den Zweck, jene Angelegenheiten zu fördern.

Auch ist nicht zu leugnen, daß die Gräfin ihr weit mehr Herzlichkeit bewies, als sie jemals der Waise des Kapitän Digby gegenüber an den Tag gelegt hatte. Vielleicht aber bestand der wirkliche Unterschied in den Herzen der beiden Mädchen darin, daß Helene mit ehrfurchtsvoller Scheu zu Lady Lansmere aufblickte, während Violante für die Mutter Lord L'Estrange's nur Liebe fühlte. Violante gehörte ferner zu jenen Wesen, mit welchen eine so zurückhaltende und förmliche Frau, wie die Gräfin – um uns des üblichen Ausdrucks zu bedienen – »weiter kommen« konnte. Nicht so Helene – das arme, kleine, schüchterne Ding, dem kaum mehr, als einige sanfte, einsilbige Worte zu entlocken waren. Den Lieblingsgegenstand von Lady Lansmere's Gesprächen bildete immer Harley. Helene hatte denselben mit Achtung und Theilnahme zugehört. Violante lauschte ihnen mit rastlos forschendem Eifer – mit erröthendem Entzücken. Das Mutterherz bemerkte diesen Unterschied zwischen den beiden Mädchen, und es war nicht zu verwundern, daß es sich mehr zu Violante, als zu Helene hingezogen fühlte.

Was Lord Lansmere betraf, so pflegte er, wie die meisten Herren seines Alters, alle jungen Damen gemeinhin als eine harmlose, liebenswürdige, aber ungemein einfältige Gattung des Genus Unterrock zu betrachten, die nichts Anderes zu thun habe, als hübsch auszusehen, Klavier zu spielen und sich von Kleidern und Liebhabern zu unterhalten. Daher erregte dieses lebhafte, blendende Geschöpf mit dem steten Wechsel in dem Ausdruck ihrer Züge und in dem Spiele ihres Geistes sein Erstaunen, fesselte seine Aufmerksamkeit und erwärmte ihn bis zur Galanterie.

Helene saß in ihrer stillen Ecke, über ihre Arbeit gebeugt, und bald mit einer fast traurigen, doch sicherlich neidlosen Bewunderung Violanten's beredter, aber stets unbewußter Kundgebung ihrer Gedanken und Empfindungen zuhörend – bald völlig in ihre eigenen geheimen Träumereien versunken. Und dabei nahm die Arbeit ihren steten Fortgang unter den zarten, geräuschlosen Fingern. Es war dies eine von Helenen's Gewohnheiten, welche Lady Lansmere's Nerven nicht ertragen konnten. Sie verachtete junge Damen, welche Freude an Handarbeiten hatten, denn sie verstand es nicht, wie oft ein zartes weibliches Gemüth nicht aus Armuth an Gedanken, sondern eben um ihrer stillen Tiefe willen seine Zuflucht dazu nimmt.

Violante war erstaunt und vielleicht unangenehm davon berührt, daß Harley noch vor Tische das Haus verlassen hatte und den ganzen Abend nicht zurückkehrte. Doch fand Lady Lansmere, indem sie seine Abwesenheit durch geschäftliche Abhaltungen entschuldigte, eine so gute Gelegenheit, von der Art und Weise ihres Sohnes im Allgemeinen zu reden – von den seltenen Erwartungen, zu welchen er als Knabe berechtigt hatte – von ihrem Schmerz über die Unthätigkeit seiner reiferen Jahre – von ihrer Hoffnung, er werde seinen natürlichen Anlagen doch noch Gerechtigkeit widerfahren lassen – daß Violante beinahe aufhörte, ihn zu vermissen.

Und als Lady Lansmere sie in ihr Zimmer geleitete, ihre Wangen zärtlich küßte und zu ihr sagte: »Sie sind ganz das Wesen, welches Harley entzücken muß – ganz dazu geeignet, ihn seinen melancholischen Träumen zu entreißen, die er vergebens unter seiner wilden Laune zu verbergen suchte –«

Da kreuzte Violante ihre Arme auf der Brust, und ihre glänzenden, tiefes Gefühl athmenden Augen schienen zu fragen: »Er melancholisch? – und weßhalb?«

Nachdem Lady Lansmere Violante verlassen, blieb sie einen Augenblick vor Helenen's Zimmer stehen und öffnete alsdann nach kurzem Besinnen leise die Thüre.

Helene hatte ihr Kammermädchen entlassen und kniete, als Lady Lansmere eintrat, zu den Füßen ihres Bettes, das Gesicht mit den Händen bedeckt.

Ihre Gestalt hatte so gesehen etwas so Jugendliches und Kindliches, die Haltung an sich war so heilig und rührend, daß der kalte und stolze Ausdruck in Lady Lansmere's Zügen verschwand. Sie beschattete unwillkürlich das Licht mit ihrer Hand und setzte sich schweigend nieder, um die Betende nicht zu stören. Als Helene sich erhob, war sie nicht wenig erschrocken, die Gräfin neben dem Feuer sitzen zu sehen, und fuhr hastig mit der Hand über die Augen. Sie hatte geweint.

Lady Lansmere wandte sich jedoch nicht um, und die Thränenspuren, welche, wie Helene fürchtete, nur allzu sichtbar waren, blieben von ihr unbemerkt. Die Gräfin war zu sehr in ihre eigenen Gedanken vertieft, und als Helene sich ihr schüchtern näherte, sagte sie – die Augen noch immer auf das hellbrennende Feuer gerichtet.

»Ich bitte um Entschuldigung wegen meines Eindringens, Miß Digby: allein mein Sohn hat es mir überlassen, Lord Lansmere auf den Antrag vorzubereiten, mit dessen Annahme Sie ihn beehrt haben. Ich fand bis jetzt noch keine Gelegenheit, mit meinem Gemahl darüber zu sprechen, und es mögen noch Tage vergehen, ehe sich eine solche darbietet; inzwischen bin ich überzeugt, Ihr eigenes Schicklichkeitsgefühl wird mit mir darüber einverstanden sein, daß man Lord L'Estrange's Vater die Rücksicht schuldig ist, Fremde nicht von einer so wichtigen Familienangelegenheit in Kenntniß zu setzen, bevor er selbst seine Zustimmung dazu gegeben hat.«

Hier hielt die Gräfin inne, und die arme Helene, die sich zu einer Antwort auf diese kalte Anrede verpflichtet fühlte, stammelte kaum vernehmbar –

»Gewiß, Frau Gräfin. Ich dachte nicht entfernt daran –«

»Das ist recht, meine Liebe,« unterbrach sie Lady Lansmere und erhob sich rasch, als fühle sie sich von einer schweren Last befreit. »Ich zweifelte nicht an Ihrer Ueberlegenheit über andere junge Mädchen Ihres Alters, welche von dergleichen Dingen keinen Augenblick zu schweigen vermögen. So werden Sie auch vorläufig gegen Freunde, mit denen Sie etwa brieflich verkehren, dessen keine Erwähnung thun, was zwischen Ihnen und Harley vorgefallen ist.«

»Ich stehe mit Niemand in Briefwechsel – ich habe keine Freunde, Lady Lansmere,« versetzte Helene, mit Mühe sich der Thränen erwehrend.

»Es freut mich, dies zu hören, meine Liebe; junge Damen sollten deren niemals haben. Freunde, besonders solche, welche correspondiren, sind die schlimmsten Feinde, die sie besitzen können. Gute Nacht, Miß Digby. Ich brauche Sie wohl, beiläufig gesagt, nicht daran zu erinnern, daß die junge Italienerin, obwohl wir desselben mit aller Freundlichkeit zu begegnen verpflichtet sind, doch in gar keiner Beziehung zu unserer Familie steht, und Sie daher Ihr gegenüber dieselbe Rücksicht zu beobachten haben, welche Sie gegen Ihre Correspondenten beobachten würden, wenn Sie das Unglück hätten, solche zu besitzen.«

Lady Lansmere lächelte bei diesen letzten Worten und drückte einen kalten stiefmütterlichen Kuß auf Helenen's zu Boden geneigte Stirne. Dann verließ sie das Zimmer, und Helene nahm den Stuhl ein, den die stattliche, wenig liebevolle Dame so eben geräumt hatte, bedeckte wieder ihr Gesicht mit beiden Händen, und ließ von Neuem ihren Thränen freien Lauf. Doch als sie sich endlich erhob und das Licht auf ihre Züge fiel, da sprach sich in dem sanften Antlitz zwar Wehmuth – die Wehmuth, mit welcher die Ergebung Geduld statt Hoffnung hinnimmt – aber zugleich auch die heitere Ruhe eines innerlich klar gewordenen Pflichtgefühls aus.


Zehntes Kapitel.

Am darauffolgenden Morgen erschien Harley beim Frühstück. Er war bei sehr guter Laune und unterhielt sich ungezwungener mit Violante, als er bisher gethan. Es schien ihm Vergnügen zu gewähren, alles anzufechten, was sie sagte, und sie zum Streite herauszufordern. Violante war von Natur sehr ernst; aber ob ernst oder heiter, stets sprach sie mit dem Herzen auf der Lippe und der Seele im Auge. Sie verstand noch nicht die leichte Ader von Harley's Ironie und fühlte sich daher beleidigt und gereizt; in ihrem Aerger war sie jedoch so lieblich, er erhöhte ihre Schönheit und belebte ihre Worte so sehr, daß es kein Wunder war, wenn Harley sie mit Lust in solcher Weise quälte. Aber fast noch weniger, als diese Neckereien, gefiel ihr obgleich sie selbst nicht sagen konnte, weßhalb – die Art der Vertraulichkeit, die Harley gegen sie annahm – eine Vertraulichkeit, als habe er sie ihr Leben lang gekannt – als wäre er etwa ihr älterer Bruder, oder vielleicht auch ein unverheiratheter Onkel!

Gegen Helene dagegen, wenn er nicht bei Seite mit ihr sprach, war sein Benehmen achtungsvoller. Er nannte sie nicht bei ihrem Taufnamen, wie Violante, sondern »Miß Digby«, und milderte den Ton seiner Stimme und neigte den Kopf, wenn er mit ihr sprach. Auch fiel es ihm nicht ein, die wenigen, sehr kurzen Sätze, die er ihr zu entlocken wußte, in Scherz zu ziehen, vielmehr hörte er dieselben achtungsvoll an und schenkte ihnen stets Beifall.

Nach dem Frühstück bat er Violante, Klavier zu spielen oder zu singen, und als diese offen gestand, wie wenig sie diese Künste gepflegt, überredete er Helene, sich an das Piano zu setzen und stellte sich an ihre Seite, um mit der bereitwilligen Hingebung eines bewundernden Kunstfreundes die Blätter ihres Notenheftes umzuwenden. Helene spielte immer gut, doch an diesem Tage weniger als sonst, denn ihre edelmüthige Natur fühlte sich beschämt. Es schien ihr, als sollte sie auf Kosten Violanten's glänzen. Diese dagegen liebte die Musik so leidenschaftlich, daß sie ihrer eigenen Unvollkommenheit in dieser Beziehung nicht gedachte. Dennoch seufzte sie, als Helene aufstand und Harley ihr für den ihm bereiteten Genuß dankte.

Der Tag war schön. Lady Lansmere schlug einen Gang in den Garten vor. Während die jungen Mädchen hinaufgingen, um ihre Shawls und Hüte zu holen, zündete sich Harley eine Cigarre an und trat durch die Fensterthüre auf den Rasen hinaus. Lady Lansmere schloß sich ihm an, ehe die Mädchen zurückkehrten.

»Harley,« sagte sie ihm, ihren Arm in den seinigen legend, »welch' ein reizendes Geschöpf hast du bei uns eingeführt! Niemals sah ich ein so anziehendes und bezauberndes Wesen, wie diese liebenswürdige Violante. Die meisten Mädchen, welche zu reden verstehen und für sich selbst zu denken vermögen, sind pedantisch oder männlich, sie aber ist dabei immer so einfach, so mädchenhaft. Ach, Harley!«

»Warum dieser Seufzer, liebe Mutter?«

»Ich dachte, wie vortrefflich sie für dich gepaßt hätte – wie stolz ich auf eine solche Schwiegertochter gewesen wäre – und wie glücklich du dich in dem Besitze einer solchen Gattin gefühlt haben würdest!«

Harley machte eine rasche Bewegung. »Nicht doch!« sagte er gereizt, »sie ist ein bloßes Kind; du vergissest meine Jahre.«

»Nun,« erwiderte Lady Lansmere erstaunt, »Helene ist nicht älter, als Violante.«

»Den Jahren nach – allerdings. Aber Helenen's Charakter ist so gesetzt; – so wie er jetzt ist, wird er immer bleiben: und Helene läßt sich durch Dankbarkeit, Achtung oder Mitleid bestimmen, die Trümmer meines Herzens anzunehmen, während diese glänzende Italienerin die Seele einer Julia besitzt und von ihrem Gatten die ganze Leidenschaft eines Romeo fordern würde. Nein, Mutter – stille davon! – Hast du vergessen, daß ich verlobt bin – und zwar aus eigener, freier Wahl? Die arme, gute Helene! A propos, hast du mit meinem Vater gesprochen, wie du zu thun übernommen?«

»Noch nicht; ich muß den rechten Augenblick abwarten. Du weißt, daß man es verstehen muß, Mylord zu behandeln.«

»Meine liebe Mutter, dieser weibliche Wahn, uns Männer behandeln zu müssen, verursacht euch Frauen unendlich viel Zeitverschwendung und uns manchen Kummer. Die Männer sind leicht zu behandeln, wenn man wahr gegen sie ist. Wir sind dazu erzogen, die Wahrheit zu achten, wie seltsam das euch auch erscheinen mag.«

In dem Lächeln, mit welchem Lady Lansmere diese Rede beantwortete, sprach sich überlegene Weisheit und die Erfahrung einer ausgezeichneten Gattin aus.

»Ueberlasse mir die Sache, Harley, und rechne auf die Einwilligung deines Vaters.«

Harley wußte, daß Lady Lansmere bei ihrem Gemahl alles durchzusetzen verstand; ebenso fühlte er, daß dem Grafen eine solche Verbindung jedenfalls nicht ganz erfreulich erscheinen werde, weßhalb zu befürchten stand, er könnte seine Unzufriedenheit durch sein Benehmen gegen Helene an den Tag legen. Harley erkannte es als seine Pflicht, ihr die Möglichkeit einer solchen Demüthigung zu ersparen. Er wünschte nicht, daß sie glauben sollte, in seiner Familie unwillkommen zu sein, daher sagte er:

»Ich verlasse mich auf deine Zusage und deine diplomatische Geschicklichkeit. Inzwischen aber, wenn du mich liebst – sei freundlich gegen meine Verlobte.«

»Bin ich es denn nicht?«

»Hm! Bist du eben so freundlich gegen sie, als wenn sie die reiche Erbin wäre, für welche du Violante hältst?«

»Ist es,« erwiderte die Gräfin, seiner Frage ausweichend – »ist es, weil die Eine eine reiche Erbin ist und die Andere nicht, daß du in deinem Benehmen gegen die Beiden einen so auffallenden Unterschied machst? Du behandelst Violante wie ein verzogenes Kind, und Miß Digby wie –«.

»Die künftige Gemahlin Lord L'Estrange's und die Schwiegertochter der Lady Lansmere – ja.«

Die Gräfin unterdrückte einen ungeduldigen Ausruf, der ihr schon auf den Lippen schwebte, denn Harley's Stirne zeigte jenen ernsten Ausdruck, der selten und nur dann auf derselben zu lesen war, wenn er in einer jener Stimmungen sich befand, in welchen die Männer der Besänftigung bedürfen und keinen Widerstand ertragen können.

Nach einer Pause fuhr er fort – »Ich werde euch heute verlassen, indem ich mir in ›Clarendon-Hotel‹ einige Zimmer gemiethet habe. Ich beabsichtige, deinen so oft ausgesprochenen Wunsch zu erfüllen und den sogenannten Vergnügungen meines Ranges und den Vorrechten des ledigen Standes mich hinzugeben. Ich will meinen Abschied vom Cölibat feiern und den Glanz meiner untergehenden Sonne noch einmal auf Hyde Park und Mayfair scheinen lassen.«

»Du bist mir ein vollkommenes Räthsel. Das Haus verlassen – eben jetzt, da deine Verlobte es bewohnt! Ist das ein natürliches Benehmen für einen Liebhaber?«

»Wie kann dein Auge so kurzsichtig und dein Herz so unverständig sein?« erwiderte Harley halb lächelnd, halb zürnend. »Erräthst du nicht, daß ich wünsche, wir möchten Beide, Helene und ich, das Verhältniß von Vormund und Mündel, in welchem wir so lange zu einander gestanden, vergessen? – daß uns gerade die Vertraulichkeit unseres Verkehrs unter Einem Dache fast verbietet, uns als Liebende zu begegnen? – daß uns die Freude des Wiedersehens und der Schmerz des Abschieds dadurch benommen wird? Erinnerst du dich nicht jener Geschichte eines Franzosen, der zwanzig Jahre eine Dame liebte und es nie versäumte, seine Abende in ihrem Hause zuzubringen. Endlich wurde sie Wittwe. ›Ich wünsche Ihnen Glück,‹ rief ihm sein Freund zu, ›jetzt können Sie die Dame heirathen, welche Sie so lange angebetet habend.‹ ›Ach,‹ entgegnete der arme Franzose in tiefer Niedergeschlagenheit, ›wenn ich es thue, wo soll ich alsdann meine Abende zubringen?‹«

Als Harley geendet, wurden eben Violante und Helene vertraulich Arm in Arm auf und abwandelnd im Garten sichtbar.

»Ich verstehe den Sinn oder die Anwendung deiner witzigen, herzlosen Anekdote nicht,« sagte Lady Lansmere eigensinnig. »Mache dies jedoch mit Miß Digby ab. Allein das Haus verlassen, den Tag, nachdem die Tochter deines Freundes als Gast in dasselbe eingezogen ist – was wird sie davon denken?«

Lord L'Estrange blickte seine Mutter fest an.

»Kömmt denn so viel darauf an, was sie von mir denkt? – von einem Manne, der mit einer Anderen verlobt und alt genug ist, um –«.

»Ich wollte, du sprächest nicht immer von deinem Alter, Harley; ich werde dadurch mehr, als mir lieb ist, an das meinige erinnert, und zudem fand ich dich niemals besser und schöner aussehen.«

Mit diesen Worten zog sie ihn den jungen Damen entgegen und Helenen's Arm ergreifend, fragte sie dieselbe bei Seite, ob Sie wisse, daß Lord L'Estrange Zimmer im »Clarendon-Hotel« gemiethet habe, und ob sie sich denken könne, weßhalb? Da die Gräfin während dieses Gespräches mit Helene weiter ging, so blieb Harley an Violanten's Seite zurück.

»Ich fürchte, Sie werden es hier sehr langweilig finden, mein armes Kind.«

»Langweilig! Aber warum nennen Sie mich immer Kind? Bin ich denn so gar – gar kindisch?«

»Gewiß sind Sie für mich – nur ein Kind. Habe ich Sie nicht als solches gesehen? Habe ich Sie nicht auf meinem Arme getragen?«

Violante. – »Aber das war vor langer Zeit!«

Harley. – »Allerdings. Aber wenn die Jahre nicht stille standen, so sind sie auch für mich nicht stehen geblieben. Und deßhalb erlauben Sie mir, Sie noch immer Kind zu nennen und Sie als Kind zu behandeln.«

Violante. – »Nein, das werde ich nicht. Wissen Sie, daß ich mich bis zum heutigen Tag für sanftmüthig hielt?«

Harley. – »Und was belehrte Sie eines Andern? Haben Sie vielleicht Ihre Puppe zerbrochen?«

Violante (mit einem entrüsteten Blick ihrer dunkeln Augen). – »Da! Schon wieder! Es macht Ihnen das größte Vergnügen, mich zu reizen.«

Harley. – »Es war also richtig die Puppe. Weinen Sie nicht; ich werde Ihnen eine andere kaufen.«

Violante entzog ihm unwillig ihren Arm und schritt mit stummer Verachtung auf die Gräfin zu. Harley's Stirn zog sich finster zusammen; einen Augenblick stand er in Gedanken versunken, dann schloß er sich den Damen wieder an.

»Ich nehme Ihren Morgen auf ungebührliche Weise in Anspruch, allein ich erwarte einen Besuch, den ich hierher bestellte, noch ehe Sie aufgestanden waren. Er wird um zwölf Uhr erscheinen. Mit deiner Erlaubniß, liebe Mutter, werde ich morgen zu Tische kommen, und du hast wohl die Güte, auch ihn einzuladen.«

»Gewiß. Doch wer ist dieser Freund? Ich errathe – der junge Schriftsteller?«

»Leonard Fairfield!« rief Violante, welche ihren flüchtigen Unmuth überwunden hatte oder sich desselben schämte.

»Fairfield?« wiederholte Lady Lansmere. »Ich dachte, Harley, du hattest mir gesagt, sein Name sei Oran?«

»Er hat diesen Namen angenommen. Er ist der Sohn von Mark Fairfield, der eine Avenel heirathete. Fiel dir keine Familienähnlichkeit auf? Nicht in seinen Augen, Mutter?« sagte Harley leise, beinahe flüsternd.

»Nein,« erwiderte die Gräfin mit unsicherer Stimme.

Als Harley bemerkte, daß Violante mit Helene über Leonard zu sprechen begonnen hatte, und daher keine von beiden auf seine Worte hörte, fuhr er in demselben gedämpften Tone fort:

»Und seine Mutter – Nora's Schwester – wollte mich nicht sehen! Das war der Grund, weßhalb ich deinen Besuch bei ihr nicht wünschte. Sie hat dem jungen Mann nicht gesagt, warum sie mir aus dem Wege geht, und auch ich habe noch nicht mit ihm darüber gesprochen. Vielleicht werde ich es niemals thun!«‹

»In der That, mein theurer Harley,« entgegnete die Gräfin mit sehr weicher, sanfter Stimme, »wünsche ich zu sehr, du möchtest die Thorheit – nein, ich will lieber sagen den Kummer deiner Jünglingsjahre vergessen, um nicht zu hoffen, du werdest diese schmerzlichen Erinnerungen zu bekämpfen suchen, statt sie durch ein unnöthiges Vertrauen gegen irgend Jemand wieder aufzufrischen, am allerwenigsten gegen die Verwandten von –«.

»Genug! Nenne sie nicht; der bloße Name schon schmerzt mich. Und was das Vertrauen betrifft, so gibt es nur zwei Personen in der Welt, vor denen ich die alle Wunde je aufdeckte – du selbst und Egerton. Sprechen wir nicht mehr davon. Ha! ich höre dir Glocke ziehen – das ist er.«


Elftes Kapitel.

Leonard trat ein und schloß sich der Gesellschaft im Garten an. Die Gräfin war, vielleicht ihrem Sohne zu Gefallen, mehr als höflich, sie war auffallend gütig gegen ihn. Sie beobachtete ihn aufmerksamer, als bisher, und war bei ihren Vorurtheilen über Stand und Geburt nicht wenig verwundert, in dem Sohne des Zimmermanns Mark Fairfield einen vollkommenen Gentleman zu finden. Vielleicht besaß er nicht ganz den Ton und die Redeformen, welche ein ausschließliches Merkmal derjenigen sind, die in einer gewissen Klasse geboren und geschult wurden; allein die Aristokraten von Natur können solcher kleinlichen Vorzüge entbehren. Und Leonard hatte, in letzterer Zeit wenigstens, in der besten Gesellschaft gelebt, die es geben kann, um die Sprache zu verfeinern und die Sitten zu veredeln – in derjenigen Gesellschaft, in welcher die schönsten Ideen in die anmuthigste Form gekleidet erscheinen, und die, wenn auch nur mittelbar, den Höfen Gesetze vorschreibt – nämlich in der Gesellschaft der klassischen Schriftsteller aller Jahrhunderte, in welchen die Literatur aus der Civilisation ihre Blüthe entwickelte. Und wenn in der ausnehmenden Zartheit von Leonard's Stimme, Blick und Benehmen etwas lag, was, wie die Gräfin sich gestehen mußte, jene Vollendung der feinen Bildung erreichte, die unter dem Namen »Anmuth« den Weg in die Herzen sich bahnt, so wurde ihr Interesse für ihn noch ferner durch eine gewisse unterdrückte Melancholie angeregt, welche selten ohne Würde ist und stets ihren Zauber ausübt.

Leonard und Helene wechselten nur wenige Worte. Einmal nur bot sich eine Gelegenheit dar, allein und ungestört sprechen zu können, und Helene selbst vermied es, dieselbe zu benützen. Bei Lady Lansmere's herzlicher Einladung erheiterten sich seine Züge, und indem er sie annahm, suchte sein Blick Helenen's Auge – allein es begegnete dem seinigen nicht.

»Und nun,« sagte Harley, indem er Nero pfiff, den seine Mündel stillschweigend streichelte, »muß ich Leonard mit mir nehmen. Adieu. Auf Wiedersehen morgen bei Tische. Miß Violante, soll die Puppe blaue oder schwarze Augen haben?«

Violante erhob ihre eigenen dunkeln Augen in stummem Flehen zu Lady Lansmere und flüchtete sich an die Seite dieser Dame, gleichsam als wolle sie hier Schutz suchen gegen unwürdige Beschimpfung.


Zwölftes Kapitel.

»Laß den Wagen nach ›Clarendon-Hotel‹ fahren,« sagte Harley zu seinem Bedienten; »ich werde mit Mr. Oran zu Fuß in die Stadt gehen. Leonard, ich vermuthe, Sie würden eine Gelegenheit, Ihren alten Freunden, Doctor Riccabocca und seiner Tochter, einen Dienst zu erweisen, mit Freuden begrüßen.«

»Ihnen einen Dienst zu erweisen? O wie gerne!« und augenblicklich kehrte Leonard die Erinnerung an Violanten's Worte zurück, als er einst bei seinem Scheiden aus dem stillen Dorfe über die Trennung von Allen, die er liebte, schmerzlich geseufzt, und das kleine, schwarzäugige Mädchen, stolz und doch tröstend zu ihm gesprochen hatte – »du wirst denen, die du liebst, einen Dienst dadurch erweisen.«

Mit leuchtendem, fragendem Blick wandte er sich gegen L'Estrange.

»Ich sagte unserem Freunde,« fuhr Harley fort, »daß ich für Ihre Ehre einstehe, wie für meine eigene, und nun bin ich im Begriff, zu beweisen, wie ernst es mir mit jenen Worten gewesen, indem ich Ihnen die Geheimnisse anvertraue, welche Ihr Scharfblick in der That bereits errathen hat – unser Freund ist nicht, was er scheint.«

Harley gab Leonard hierauf eine gedrängte Darstellung der Geschichte des Flüchtlings und theilte ihm mit, welchen Rang derselbe in seinem Vaterlande eingenommen, und auf welche Weise er, theils durch die trügerischen Vorspiegelungen eines verwandten, der sein Vertrauen besaß, theils durch den Einfluß einer Gattin, die er liebte, sich hatte hinreißen lassen, Anschläge zu unterstützen, die, wie er glaubte, Italien durch die vereinten Anstrengungen seiner dessen und tapfersten Söhne von dem Joche der Fremdherrschaft zu befreien.

»Ein edler Ehrgeiz,« unterbrach ihn Leonard mit ruhigem Ernste. »Vergeben Sie mir, mein Lord, allein ich hätte nicht geglaubt, daß Sie davon in einem Tone sprechen würden, der wie Tadel klingt.«

»Der Ehrgeiz an und für sich war edel,« entgegnete Harley; »allein die Sache, der er dienen sollte, wurde besteckt, indem sie ihren dunkeln Weg durch die ›Geheimen Gesellschaften‹ nahm. Es ist das Unglück aller gemischten, politischen Verbindungen, daß zu den reinsten Beweggründen ihrer edleren Mitglieder stets auch die schmutzigen Interessen und die wilden Leidenschaften niedrig gesinnter Bundesgenossen sich gesellen. Wenn dergleichen Verbrüderungen offen, im hellen Tageslicht und unter den Augen der öffentlichen Meinung ihre Tätigkeit entfalten, so behalten in der Regel die gesünderen Elemente die Oberhand; wenn sie sich jedoch in Geheimnisse hüllen und jeder unparteiischen, leidenschaftslosen Beurtheilung sich entziehen, wenn die im Dunkeln wirkenden Anführer blinden Gehorsam fordern, und jeder Feind der Gesetze als ein Freund der Freiheit bereitwillig zugelassen wird, da lehrt uns die Weltgeschichte, daß es mit dem Patriotismus bald zu Ende ist. Wo alles öffentlich geschieht, wird auch die öffentliche Tugend durch die natürlichen Sympathien des Gemeingeistes und die heilsamen Zügel der Scham meistens die Herrschaft gewinnen; wo dagegen alles geheim gehalten wird, und Scham nur für Denjenigen ist, der sich sträubt, sein Gewissen zu verleugnen, da sucht Jeder nur noch die Befriedigung seiner eigenen Laster. Und daher finden wir in den geheimen Gesellschaften, aus denen Europa noch große Gefahren erwachsen können, nur schnöde, verabscheuungswürdige Eleusinen Im Original: Eleusinia. Zu diesen siehe Anm. 81. – »Eleusinen«, wie Winterfeld hier übersetzt, sind dagegen eine Unkrautpflanze., die einen Vorwand bieten für den Ehrgeiz der Großen, für die Zügellosigkeit der Unbemittelten, für die Leidenschaften der Rachsüchtigen und für die Anarchie der Unwissenden. Mit Einem Worte, die Gesellschaften dieser italienischen Carbonari erzeugten nur solche Anschläge, hinter denen die begabteren Anführer neue Formen des Despotismus verbargen, während sie der revolutionslustigen Menge die Aussicht auf den Umsturz aller jener Einrichtungen eröffneten, welche zwischen dem Gesetze und dem Chaos lagen. So war es natürlich« – setzte L'Estrange trocken hinzu – »daß nach Entdeckung und Vereitelung dieser Anschläge nur die einfältigen, ehrlichen Leute, die sich von den Verbündeten hatten fangen lassen, zu leiden hatten, während die Anstifter die Angeber machten, und die gemeinen Söldlinge Banditen wurden.«

Harley fuhr nun fort, zu berichten, wie der angebliche Riccabocca, als er die wahre Beschaffenheit und den eigentlichen Zweck der Verschwörung kennen gelernt und sich in Folge dieser Entdeckung den Berathungen der Rebellen entzogen hatte, von demselben Anverwandten verrathen wurde, welcher ihn zur Theilnahme an dem Unternehmen verleitet hatte, und der nun den erwünschten Gewinn aus seinem Verrathe zog. Alsdann kam Harley auf das Briefpaket zu sprechen, welches Riccabocca's sterbende Gattin ohne Zweifel an Mrs. Bertram abgeschickt hatte, und auf die Hoffnungen, welche er im Falle einer Auffindung an dessen Inhalt knüpfte. Endlich erwähnte er des Planes, der Peschiera nach England geführt hatte, sowie der beispiellosen Frechheit, mit welcher dieser Mensch ihn seinen Genossen zu Wien mitgetheilt und es sogar gewagt hatte, auf das Gelingen desselben eine öffentliche Wette einzugehen.

»Aber diese Leute kennen England nicht und wissen nichts von dem sichern Schutz unserer Gesetze,« sagte Leonard treuherzig, »Wir nehmen es als selbstverständlich an, daß Riccabocca, wenn ich ihn noch immer so nennen darf, die Verbindung seiner Tochter mit seinem Feinde nicht zugibt. Wo ist also die Gefahr? Selbst wenn Violante sich nicht unter dem schützenden Dache Ihrer Mutter befände, könnte der Graf keine Gelegenheit finden, sie zu sehen; – er müßte denn das Haus belagern und sie entführen, gleich einem Ritter des Mittelalters.«

»Das ist alles sehr wahr,« erwiderte Harley. »Indessen habe ich stets die Erfahrung gemacht, daß wir Gefahren niemals nach ihrem äußeren Anschein, sondern nur nach dem Charakter Derjenigen bemessen können, von deren Seite sie uns drohen. Dieser Graf ist ein Mann von merkwürdiger Keckheit und nicht gewöhnlichen natürlichen Talenten, die er in allen Künsten der Falschheit und Intrigue geübt hat; – einer von jenen Menschen, deren Ruhm es ist, in allem, was sie unternehmen, an's Ziel zu gelangen; und im gegenwärtigen Fall wieder einerseits durch die Vortheile, welche seine Habsucht reizen, andererseits durch den Muth der Verzweiflung angespornt. Deßhalb bin ich überzeugt, obwohl ich mir nicht denken kann, wie er es angreifen mag, daß er irgend einen listigen Anschlag erfinden und mit aller Kühnheit durchführen wird; sobald er Violanten's Aufenthalt entdeckt hat, wenn es uns nicht anders gelingt, durch die Wiedereinsetzung ihres Vaters in seine Rechte und durch die Enthüllung des frevelhaften Betrugs, dem Peschiera sein jetziges Vermögen verdankt, jeder Gefahr zuvorzukommen. Während wir daher unsere Nachforschungen nach den vermißten Schriftstücken mit größter Gewissenhaftigkeit fortsetzen, müssen wir nicht minder Sorge tragen, uns von den Umtrieben des Grafen möglichst genaue Kunde zu verschaffen, um dieselben unschädlich machen zu können. Mit Befriedigung vernahm ich denn schon in Deutschland, daß Peschiera's Schwester sich in London befindet. Ich wußte genug von dem Charakter des Grafen und seinem Verhältniß zu dieser Dame, um es für wahrscheinlich zu halten, daß er suchen würde, sich ihrer als Werkzeug zu bedienen und sie zur Mitschuldigen zu machen, falls er einer solchen Hülfe bedürfen sollte. Peschiera gehört, wie Sie schon aus seiner kühnen Wette entnehmen können, nicht zu jenen im Geheimen schleichenden Spitzbuben, welche ihre rechte Hand abhauen würden, wenn sie fürchten müßten, sie könnte die Thaten der Linken verrathen – er gehört vielmehr zu den selbstbewußten, prahlerischen Schurken von lebhaftem Geiste und stumpfem Gewissen (so stumpf, daß selbst die Schärfe ihres Verstandes darunter leidet), welche irgend Jemand haben müssen, gegen den sie sich ihrer Fähigkeiten rühmen, und welchem sie ihre Plane anvertrauen können. Peschiera hat alles gethan, was in seiner Macht stand, um dieses arme Weib so gänzlich abhängig von sich zu machen, daß er sie wie seine Sklavin, sein willenloses Werkzeug betrachtet. Allein ich habe einige Züge ihres Charakters kennen gelernt, die mir beweisen, daß sie guten Einflüssen zugänglich ist und Ehrgefühl besitzt. Peschiera hatte vor einigen Jahren Veranlassung genommen, die Bewunderung, welche seine Schwester einem reichen jungen Engländer einflößte, dazu zu benützen, diesen zum Spiele zu verführen, indem er es versuchte, sich seiner Schwester als Lockspeise und Werkzeug für die beabsichtigte Plünderung zu bedienen. Sie ermuthigte jedoch die Annäherung unseres Landsmannes nicht, sondern warnte ihn vielmehr vor der ihm gelegten Schlinge und ersuchte ihn, den Ort zu verlassen, damit nicht ihr Bruder dieser ihrer Warnung auf die Spur komme und sie dafür bestrafe. Ich erfuhr dies von dem Engländer selbst. Und so beruht denn meine Hoffnung, diese Dame dem Einflusse Peschiera's zu entziehen und sie zu bewegen, uns seine Plane mitzutheilen, lediglich auf dem unschuldigen und, wie ich hoffe, löblichen Kunstgriffe, sie sich selbst, d. h. ihrem edleren Wesen wieder zu geben und die lange schlummernden bessern Triebfedern ihrer Natur wieder in Thätigkeit zu setzen.«

Leonard erkannte mit Bewunderung und nicht ohne Staunen das ungemein feine und scharfsinnige Verständniß, welches Harley in den kurzen, klaren Strichen an den Tag legte, mit welchen er Peschiera und Beatrice geschildert hatte, und ebenso überraschte ihn die Kühnheit, mit welcher er ein ganzes System von Handlungen auf einige wenige Folgerungen gründete, die er seiner Beurtheilung menschlicher Antriebe und Charakterzüge entnahm. Leonard hatte nicht erwartet, so viel praktischen Scharfblick bei einem Manne zu finden, der bei all' seiner reichen Begabung und hohen Bildung gewöhnlich so gleichgültig und träumerisch erschien und sich um die geringfügigen Dinge des Lebens so wenig bekümmerte. Allein Harley L'Estrange gehörte zu denjenigen Naturen, deren Fähigkeiten so lange schlummern, bis die Umstände ihnen den spornenden Antrieb – die einzig nöthige Anregung zur Thätigkeit – gewähren.

»Nach einer Unterhaltung, welche ich am verflossenen Abend mit der Dame hatte,« fuhr Harley fort, »kam mir der Gedanke, daß Sie uns bei diesem Theile unseres diplomatischen Geschäfts einen wesentlichen Dienst leisten könnten. Madame di Negra – so heißt Peschiera's Schwester – widmet Ihrem Genius große Bewunderung und hat den lebhaften Wunsch, Sie persönlich kennen zu lernen. Ich versprach ihr, Sie bei ihr einzuführen, und werde dies auch heute noch thun, jedoch nicht, ohne vorher eine Warnung an Sie gerichtet zu haben. Die Dame ist sehr schön und außerordentlich einnehmend. Es wäre möglich, daß Ihr Herz und Ihre Sinne ihren Reizen gegenüber nicht Stand zu halten vermöchten.«

»O, fürchten Sie das nicht!« rief Leonard mit einem Tone so ernster Ueberzeugung, daß Harley unwillkürlich lächelte.

»Gewarnt sein ist nicht auch gewaffnet sein gegen die Macht der Schönheit, mein lieber Leonard; deßhalb kann ich Ihre Betheuerung nicht unbedingt annehmen. Aber hören Sie mich an, Geben Sie genau Acht auf sich, und wenn Sie die geringste Gefahr für Ihr Herz im Anzuge glauben, versprechen Sie mir auf Ihr Ehrenwort, sogleich das Feld zu räumen. Ich habe nicht das Recht, Sie um eines Andern willen der Gefahr auszusetzen, und was für gute Eigenschaften Madame di Negra auch besitzen mag, so ist sie doch die letzte Person, in welche ich Sie verliebt sehen möchte.«

»Ich in Madame di Negra verliebt! Unmöglich!«

»Unmöglich ist ein starkes Wort,« versetzte Harley; »indessen gestehe ich offen (und diese Ueberzeugung allein gibt mir den Muth, Sie ihren Reizen aufzusetzen), daß ich, soweit ein Mann den andern zu beurtheilen vermag, sie nicht für die Frau halte, welche Sie zu fesseln geeignet wäre, und wenn Sie erfüllt von einem reinen und edeln Beweggrund mit ihr in Verkehr treten, so werden Sie auch mit geläutertem Blicke sie betrachten. Dennoch muß ich mir Ihr Versprechen auf Ehrenwort erbitten«

»Sie haben es!« sagte Leonard mit Entschiedenheit. »Aber, was kann ich für Riccabocca thun? Wie ihm behülflich sein in –«

»Sie sollen sogleich hören,« unterbrach ihn Harley. »Der Zauber Ihrer Schriften besteht darin, daß wir, uns selbst unbewußt, besser und edler durch sie werden. Ihre Schriften sind aber nur der Ausfluß Ihres Geistes und Gemüthes, und Ihre Unterhaltung, sobald Sie angeregt sind, muß die gleiche Wirkung haben. Wenn Sie mit Madame di Negra vertrauter geworden, wünsche ich, daß Sie ihr von Ihrer Knabenzeit, von Ihrer Jugend erzählen. Schildern Sie ihr den Flüchtling, wie Sie ihn gesehen haben so rührend bei allen seinen Schwächen, so groß im Kampfe mit den Entbehrungen seiner veränderten Lage, so wohlwollend bei all' seinem Brüten über dem häßlichen Macchiavel, so stachellos in seiner Schlangenweisheit, so kindlich schlau in seiner Taubeneinfalt – ich überlasse die Ausführung des Bildes Ihrer Kenntniß des Humoristischen und Pathetischen. Und dann schildern Sie ihr Violante, begeistert von ihren italienischen Dichtern und erfüllt von hochfliegenden Träumen für ihr Vaterland; zeigen Sie, wie die Funken ihrer fürstlichen Natur aus dem Dunkel und der Niedrigkeit ihrer Stellung hervorblitzen. Erwecken Sie in Ihrer Zuhörerin Mitleid, Hochachtung, Bewunderung für die ihr so nahe stehenden Flüchtlinge – und ich glaube, unser Werk ist gethan. Sie wird ohne Zweifel aus Ihrer Beschreibung Diejenigen erkennen, welche ihr Bruder aufzufinden bemüht ist. Sie wird sich angelegentlich bei Ihnen erkundigen, wo Sie mit denselben zusammengetroffen sind, und wo sie sich gegenwärtig aufhalten. Bewahren Sie das Geheimniß – sagen Sie, daß es nicht das Ihrige sei. Ihren Schilderungen und den durch dieselben hervorgerufenen Gefühlen gegenüber wird sie nicht in dem Maße auf ihrer Hut sein, als sie es mir gegenüber wäre. Und überdies habe ich noch andere Gründe, welche mich vermuthen lassen, daß Ihr Einfluß auf diese Frau von so gemischtem Charakter unmittelbarer und wirksamer sein werde, als der meinige.«

»Nicht doch; wie wäre das möglich?«

»Glauben Sie es, ohne eine weitere Erklärung zu verlangen,« erwiderte Harley, denn er hielt es nicht für nöthig, Leonard zu sagen: »Ich bin reich und vornehm – du aber, der Sohn eines Bauern, der von dem Ertrage seiner Arbeit lebt. Diese Frau ist ehrgeizig und in bedrängten Verhältnissen. Sie könnte Absichten auf mich haben, welche den meinigen auf sie entgegen arbeiten würden; dich aber wird sie nur vermöge der ihr noch innewohnenden guten und poetischen Gefühle anhören und auf sich einwirken lassen; – denn dich unter ihr Joch zu beugen, hätte sie kein Interesse, dich in ihre Netze verstricken zu wollen, keinen Grund.«

»Und nun« – fuhr Harley, der Unterhaltung eine andere Wendung gebend, fort – »muß ich noch einen Gegenstand berühren. Unser thörichter weiser Freund hat aus übergroßer Augst und Furcht Violante dadurch vor einem Schurken zu bewahren gesucht, daß er ihre Hand einem Menschen zusagte, der mir, wenn mich eine innere Stimme nicht trügt, nicht weniger ein solcher zu sein scheint. Sollte ein von der Natur so reich ausgestattetes Wesen – sollte so viel Geist und Leben jenem blutlosen Herzen, jenem kalten, erdenwärts gerichteten Verstand geopfert werden? Beim Himmel, das darf nicht sein!«

»Aber wen kann der Flüchtling kennen gelernt haben, den Geburt und Vermögen zu einem würdigen Gemahl für seine Tochter machen würden? Wen außer Ihnen selbst, mein Lord?«

»Ich!« rief Harley ärgerlich und wechselte die Farbe. »Ich eines solchen Wesens würdig? Ich – mit meinen Gewohnheiten! Ich, der weichliche Egoist! Und Sie, ein Dichter, Sie können eine solche Ungerechtigkeit gegen Diejenige begehen, welche geschaffen zu sein scheint, die Träume eines Dichters als Königin zu beherrschen!«

»Mein Lord, als wir jüngst Abends um Riccabocca's Herd vereinigt saßen, als ich sie sprechen hörte und sah, wie Sie ihren Worten lauschte – da sagte ich zu mir selbst, nach dem Verständniß der menschlichen Natur, das über uns Dichter kommt, wir wissen nicht, wie – ich sagte zu mir selbst: ›Harley L'Estrange hat lange und sehnsuchtsvoll zum Himmel emporgeblickt und vernimmt nun das Rauschen der Schwingen, die ihn hinauftragen können.‹ Und ich seufzte, als ich daran dachte, wie die Welt, gegen unsern Willen, uns beherrscht. Und wieder sprach ich zu mir selbst: ›Wie Schade für Beide, daß die Tochter des Flüchtlings in den Augen der Welt dem Sohne des Peers nicht ebenbürtig ist.‹ Auch Sie, mein Lord, seufzten, als ich dies dachte, und so glaubte ich, Sie fühlten das Eisen der Ketten, während Sie der Musik des Flügelschlages lauschten. Nun aber ist in Wirklichkeit die Tochter des Verbannten nach Rang und Geburt Ihres Gleichen, und Sie sind nach Herz und Geist ihr ebenbürtig.«

»Mein armer Leonard, Sie rasen,« entgegnen Harley ruhig.

»Und wenn Violante nicht zu der Braut eines jungen Fürsten bestimmt ist, so sollte sie die eines jungen Dichters werden.«

»Eines Dichters? O nein!« sagte Leonard mit sanftem Lächeln. »Dichter bedürfen der Ruhe, wo sie lieben!«

Harley war über diese Antwort betroffen und sann schweigend darüber nach.

»Ich verstehe,« dachte er. »Es ist ein neues Licht, das mir aufgeht. Der Mann, dessen ganzes Leben ein einziges Ringen nach Ruhm ist – dessen Seele ermüdet zur Erde zurücksinkt – bedarf nicht der Liebe eines ihm gleichgearteten Wesens. Er hat Recht – was die Liebe dem Dichter geben muß, ist Ruhe! Mir aber – in der That – so jung er auch ist – so sind doch seine Anschauungen weiser, als meine ganze Erfahrung. Aufregung, Thatkraft, Erhebung – das ist's, was mir die Liebe verleihen sollte. Allein meine Wahl ist getroffen, und mit Helene wird mein Leben wenigstens ruhig dahinfließen und mein Herd geheiligt sein. Mag alles Uebrige in demselben Grabe schlafen, wie meine Jugend.«

»Aber,« begann Leonard, der seinen edeln Freund einer Träumerei zu entreißen wünschte, die ihm schmerzlich zu sein schien, obwohl er deren wahre Ursache nicht ahnte – »aber Sie haben mir den Namen des Bewerbers der Signorina noch nicht genannt. Darf ich ihn wissen?«

»Er ist Ihnen wohl völlig fremd. Randal Leslie – ein Bureaumensch. Sie haben ein Staatsamt zurückgewiesen; – Sie thaten wohl daran!«

»Randal Leslie? Das verhüte der Himmel!« rief Leonard, seine Ueberraschung bei diesem Namen nicht verbergend.

»Amen! Aber was wissen Sie von ihm?«

Leonard erzählte die Geschichte von Burley's Flugschrift.

Harley schien entzückt, seinen Verdacht in Bezug auf Randal bestätigt zu sehen.

»Der erbärmliche Prahler! Und ich bildete mir ein, er könnte gefährlich werden! Doch für jetzt nichts mehr von ihm. Wir nähern uns dem Hause Madame di Negra's. Bereiten Sie sich vor und gedenken Sie Ihres Versprechens.«


Dreizehntes Kapitel.

Einige Tage sind verflossen. Leonard und Beatrice di Negra haben bereits Freundschaft geschlossen. Harley ist mit den Berichten seines jungen Freundes zufrieden. Er selbst ist unterdessen nicht unthätig geblieben: er hat viele, aber bis jetzt vergebliche Versuche gemacht, Mrs. Bertram auf die Spur zu kommen; er hat seinen Advokaten mit der Anstellung von Nachforschungen beauftragt, und sein Advokat war nicht glücklicher, als er selbst. Auch hat er sich wieder in den Strudel der Londoner Welt geworfen und verspricht, wieder Furore zu machen; aber er hat immer Zeit gefunden, einige Stunden des Tages in dem Hause seines Vaters zuzubringen. Er hält gegen Violante immer denselben Ton ein, und sie beginnt, sich daran zu gewöhnen und trotzig zu antworten. Helenen gegenüber setzt er seine ruhige Werbung fort. Leonard ist gleichfalls ein häufiger Gast in Graf Lansmere's Hause geworden, bei Allen willkommen und beliebt. Peschiera hat noch mit nichts die mörderischen Anschläge verrathen, die ihm zugeschrieben werden. Er besucht die Salons nicht mehr so oft; denn er trifft dort Lord L'Estrange, und so blendend und schön Peschiera ist, so steht Lord L'Estrange wie Rob Roy Macgregor Schottischer Volksheld und Geächteter des frühen 18. Jh., inspirierte Sir Walter Scott zu seinem 1817 veröffentlichten Roman »Rob Roy«. »auf heimischem Boden« und ist dem Ausländer gegenüber entschieden im Vortheil. Dagegen glänzt Peschiera in den Clubs und spielt hoch. Uebrigens vergeht kaum ein Abend, ohne daß er und Levy sich treffen.

Audley Egerton ist mit Geschäften überhäuft gewesen. Nur ein einziges Mal war er für Harley sichtbar. Letzterer wollte eben seinen Gefühlen hinsichtlich Randal Leslie's Luft machen und die Geschichte von Burley und der Flugschrift erzählen, als ihn Egerton mit den Worten unterbrach:

»Mein theurer Harley, versuche nicht, mich gegen diesen jungen Mann einzunehmen. Ich wünsche nichts zu seinen Ungunsten zu hören. Einmal würde es meine Pläne rücksichtlich seiner nicht ändern. Er ist der Verwandte meiner Gattin; ich habe es auf mich genommen, ihm eine Laufbahn zu eröffnen, weil es ihr Wunsch und sonach meine Pflicht war. Indem ich ihn so jung an mein Geschick kettete, entzog ich ihn anderen Berufszweigen, in welchen ihm sein Fleiß und seine Talente (denn er besitzt beides in nicht gewöhnlichem Grade) sicher Reichthümer erworben hätten; deßhalb, mag er gut oder schlimm sein, werde ich für ihn zu sorgen suchen, soviel in meinen Kräften steht. Ueberdies habe ich, ungeachtet meines kühlen Benehmens gegen ihn und seiner möglicher Weise weltlichen Gesinnungen, im Laufe der Zeit ein Interesse – eine Zuneigung für ihn gefaßt. Er hat unter meinem Dache gelebt, er ist von mir abhängig; er war gelehrig und verständig, und ich bin ein einsamer, kinderloser Mann; deßwegen schone ihn, du schonst damit mich; und ach, Harley, es lasten gegenwärtig so viele Sorgen auf mir, daß« –

»O, sage kein Wort weiter, mein theurer, theurer Audley,« rief der edelmüthige Freund; »wie wenig kennen dich die Menschen!«

Audley's Hand zitterte. Seine überreizten Nerven begannen sich fühlbar zu machen.

Mittlerweile befand sich der Gegenstand dieses Gesprächs – der Typus mißleiteter Intelligenz, eines Geistes ohne Herz, eines Wissens, dessen einziges Ziel Macht war – in einem Zustande ängstlichen, verstörten Trübsinns. Er wußte nicht, ob er Levy's Versicherung von dem gänzlichen Ruin seines Gönners vollen Glauben schenken solle. Er konnte nicht daran glauben, wenn er das große Haus in Grosvenor Square, das von Silber funkelnde Büffet, die mit Dienern angefüllte Halle betrachtete, wo nie ein ungestümer Gläubiger gesehen worden, nie, so viel man wußte, ein Handwerksmann mit seiner Rechnung zwei Mal gekommen war. Er verhehlte Levy die Zweifel nicht, die Angesichts aller dieser Thatsachen in ihm aufgestiegen waren; aber der Baron lächelte nur Unheil verkündend und sagte:

»Richtig; die Handwerksleute werden immer bezahlt; aber das Wie ist die Frage! Randal, mon cher, Sie sind zu unschuldig. Ich kann Ihnen nur zwei Körnchen Rath geben in der Form von zwei Sprüchwörtern: ›Kluge Ratten verlassen ein sinkendes Schiff,‹ Und: ›Man muß sein Heu heimbringen, so lange die Sonne scheint.‹ Apropos, Mr. Avenel findet großes Gefallen an Ihnen und hat von Ihnen wegen des Fleckens Lansmere gesprochen. Er geht darauf aus, sich dort bedeutenden Einfluß zu verschaffen. Seien Sie zuvorkommend gegen ihn.«

Randal war allerdings bei Mrs. Avenel's soirée dansante gewesen, hatte zwei Mal dort Besuch gemacht, sie zu Hause getroffen, war ungemein verbindlich und höflich gewesen und hatte die Kinder bewundert. Sie besaß deren zwei, einen Knaben und ein Mädchen, leibhaftige Ebenbilder des Vaters, mit offenen, kecken Gesichtern. Mit allem dem hatte er sich Mrs. Avenel's Gunst gewonnen und ihren Gatten geneigt gemacht. Avenel war schlau genug, Randal's Verstand gehörig zu würdigen. Er nannte ihn »gerieben« und sagte, »er würde in Amerika sein Glück gemacht haben,« das höchste Lob, welches Dick Avenel je einem Sterblichen ertheilte. Aber Dick selbst sah etwas sorgenmüde aus; und dies war das erste Jahr, in welchem er über die Kleiderrechnungen seiner Gattin gebrummt und mit einem Fluche betheuert hatte, daß »das Obenhinauswollen auch zu viel werden könne.«

Randal hatte Doctor Riccabocca besucht und die Entdeckung gemacht, daß Violante fort war. Seinem, Harley gegebenem Versprechen treu, hatte der Italiener ihren Aufenthaltsort nicht genannt und, der Verabredung gemäß, Leslie angedeutet, daß es vorerst klüger sein dürfte, wenn dieser seine Besuche bei ihm einstelle.

Randal, dem dieser Vorschlag nicht zusagte, suchte sich noch fortwährend nothwendig zu machen, indem er Riccabocca's Furcht vor Spionen nährte, welche ein Hauptgrund gewesen war, warum der Weise Violanten's Hand über Hals und Kopf Randal angeboten hatte. Allein Riccabocca wußte bereits, daß der vermeintliche Späher Niemand anders war, als sein Nachbar Leonard, und, ohne dies zu gestehen, beschloß er, gerade die Existenz solcher Spione als weiteren Grund für die Einstellung von Leslie's Besuchen anzugeben.

Auf dies hin hatte Randal in seiner listigen, ruhigen Weise von Riccabocca auf Umwegen heraus zu bringen gesucht, ob zwischen ihm und L'Estrange ein Verkehr stattgefunden hatte. Ueber Harley's Worten brütend kam er mit seinem gewohnten, durchdringenden Scharfsinn auf die Vermuthung, daß dies der Fall gewesen sein müsse. In diesem Punkt war Riccabocca weniger auf seiner Hut und gab auf die lauernden Fragen Randal's unbestimmte Antworten, ohne die in denselben liegenden Hintergedanken entschieden zu bekämpfen.

Randal begann bereits die Wahrheit zu argwöhnen. Wohin sonst sollte Violante gehen, als zu Graf Lansmere? Dies bekräftigte seinen Versucht, daß Harley nach ihrer Hand strebe. Welche Aussicht hatte er einem solchen Nebenbuhler gegenüber! Randal zweifelte keinen Augenblick, daß der Schüler Macchiavel's mit ihm kurzen Prozeß machen würde, sobald sich seiner Tochter eine solche Verbindung ernstlich darböte.

Der Ränkeschmied schied sofort jede weitere Hoffnung auf Violante von seinem Plane aus: entweder war sie arm, und dann wollte er sie nicht; oder war sie reich, dann gab sie ihr Vater einem Andern. Da sein Herz nie in Mitleidenschaft gezogen war, so schmerzte es ihn nicht, die schöne Italienerin zu verlieren, so bald ihr Erbe mehr als zweifelhaft wurde; aber schwer und bitter empfand er es, daß Lord L'Estrange, der Mann, der ihn beleidigt hatte, an seine Stelle rücken sollte.

Auch seine Absichten mit Frank waren noch keinen Schritt weiter gediehen. Schon mehrere Tage war Madame di Negra nicht zu Hause gewesen – weder für ihn, noch für den jungen Hazeldean; und Frank, obwohl höchst unglücklich, war zugleich verletzt und aufgebracht; und Randal vermuthete, – er wußte nicht genau, was, außer: daß ihm der Teufel nicht so hülfreich war, wie dieser Vater der Lüge einem so pflichtgetreuen Sohne sich hätte zeigen sollen.

Und doch hielt Randal Leslie ungeachtet aller dieser Entmuthigungen mit so eigensinniger Entschlossenheit an der Ueberzeugung eines siegreichen Erfolges und unter allen Hindernissen mit solcher Zähigkeit an seinen Vorsätzen fest – er hatte ein so wachsames Auge für jede Wendung der Dinge, die er für sich ausbeuten könnte, daß er nicht ein einziges Mal die Hoffnung aufgab und nur einzelne Veränderungen in seinem Operationsplan vornahm. Aus Berechnungen, die scheinbar möglichst weit hergeholt und unwahrscheinlich waren, hatte er sich ein System zuwartender Politik zusammengesetzt, an welches er sich hartnäckig anklammerte.

In wie weit sein Berechnen und Zuwarten seinen Zwecken förderlich war, wird sich später zeigen. Aber wenn die Verachtung, welche man für Randal selbst wegen seiner Schlechtigkeit empfindet, von den Fähigkeiten getrennt werden könnte, die er mit Mühe und Sorgfalt zu dem Dienste dieser Schlechtigkeit herabwürdigte, so müßte man zugeben, daß in diesem stillen Selbstvertrauen, in diesem unbeugsamen Entschlusse etwas lag, das kaum verächtlich genannt werden kann.

Wären solche Eigenschaften, unterstützt, wie hier, von ungewöhnlich reichen Talenten, zu ehrenhaften Zwecken verwendet worden, man hätte für Randal Leslie gegen einige fünfzig auserlesene Preisbewerber aus den Collegien Partei genommen.

Uebrigens gibt es Sachverständige von Gewicht und dröhnendem Klange, welche dies jetzt thun, besonders Baron Levy, der zu sich spricht, während er dieses blasse, geistvolle Gesicht, diese schmächtige und doch sehnige Gestalt mustert: »Dies ist ein Mann, der im Leben seinen Weg machen muß; er verdient, daß man ihm hilft.«

Unter »verdient, daß man ihm hilft,« versteht oft Baron Levy: »verdient, daß er in meine Gewalt kommt, damit er unter Umständen mir hilft.«


Vierzehntes Kapitel.

Das Parlament hatte sich versammelt. Ereignisse, welche der Geschichte angehören, hatten dazu beigetragen, die Regierung noch mehr zu schwächen. Randal Leslie's Interesse wandte sich mit gesteigerter Aufmerksamkeit der Politik zu; denn seine ganze politische Laufbahn stand auf dem Spiele. Verlor Audley sein Amt, so konnte dieser auch im besten Falle nichts mehr für ihn thun; aber seinen Gönner im Stiche zu lassen, wie Levy rieth, und sich, in der Hoffnung auf einen Sitz im Parlamente, an einen Fremden, und noch dazu an einen Fremden, wie Dick Avenel, von dem man gar nichts weiter wußte, zu heften, das war eine Politik, auf die er sich nicht im Handumdrehen einlassen mochte.

Unterdessen konnte man beinahe jede Nacht, wenn das Haus saß, das blasse Gesicht und die schmächtige Gestalt, worin sich nach dem Ausspruche Levy's Schlauheit und Thatkraft verkörperte, auf den Bänken für bevorzugte Fremde sehen, welche durch Vergünstigung des Sprechers daselbst Zutritt erhielten. Hier hörte Randal die großen Männer des Tages mit jenem halb verächtlichen Staunen über ihre Berühmtheit, welches man häufig genug bei jungen Männern von Verstand und guter Erziehung findet, die nicht wissen, was es heißt, in dem Hause der Gemeinen zu sprechen. Er hörte viel schlechtes Englisch, viel seichte Räsonnements, manche beredte Gedanken und schlagende Beweisführung, oft in jener eigentümlichen Weise herausgestoßen, die man gemeiniglich den Parlamentston nennt, und oft von einem Geberdenspiel begleitet, welches den Direktor einer Provinzialbühne zur Verzweiflung gebracht haben würde. Er dachte, wie viel besser, als diese große Herren (mit nur einer oder zwei Ausnahmen), er selbst sprechen könnte, wie viel feiner seine Logik, wie viel abgerundeter seine Perioden wären, wie weit mehr einem Cicero und Burke ähnlich! Höchst wahrscheinlich hätte er so gesprochen und damit den schlimmsten aller schlimmen Fehler gemacht, bestehend in dem ausgezeichneten Vortrage einer förmlichen Abhandlung.

Eines mußte er sich indessen gestehen, nämlich: daß in einer volkstümlichen repräsentativen Versammlung nicht gerade das Wissen Macht ist, oder wenigstens nur ein Wissen, welches die betreffende Versammlung und die Hebel, die bei ihr angesetzt werden müssen, kennt – Leidenschaftlichkeit, Schmähungen, beißender Spott, kühne Deklamation, gesunder Menschenverstand, Fertigkeit in Erwiderungen, was man bei einem wahrhaft tiefen Geiste so selten findet; – er gestand sich, daß alles dieses Eigenschaften waren, welche packten, während ein Mann, der nichts, als »Wissen« im gewöhnlichen Sinne des Wortes, Preis gab, jeden Augenblick gewärtig sein mußte, niedergehustet zu werden.

Zu seiner Linken, der Vorletzte auf der Ministerbank, saß Audley Egerton, die Arme über der Brust gekreuzt, den Hut tief in die Stirne gedrückt, die Augen stet und unerschrocken auf die Sprecher aus der Opposition gerichtet, wenn sie das Wort hatten. Und zwei Mal hörte Randal Egerton sprechen und staunte höchlichst über den Eindruck, den dieser Minister hervor brachte. Denn von den oben aufgeführten Eigenschaften, welche den sichersten Erfolg versprachen, entwickelte Audley Egerton nur zwei, aber diese in bemerkenswerthem Grade: gesunden Menschenverstand und Fertigkeit in Erwiderung. Und wenn auch der lärmenden Beifallsrufe nur wenige waren, so schien doch kein Redner seine Freunde mehr zu befriedigen und seinen Gegnern mehr Achtung abzunöthigen.

Das eigentliche Geheimniß hievon lag in einem Umstande, den Randal freilich nicht errathen konnte, weil dieser junge Mann ungeachtet seines alten Stammbaumes, seiner Etoner Bildung und seines gewandten Wesens, von Natur kein Gentleman war – das eigentliche Geheimniß lag darin, daß sich in Audley Egerton – in Bewegung, Blick und Sprache – der ächte englische Gentleman kund gab, der Gentleman von mehr als mittleren Fähigkeiten und langjähriger Erfahrung, der seine innerste Ueberzeugung aussprach, ohne rhetorische Effekthascherei.

Außerdem war Egerton ein vollendeter Weltmann. Er sagte einfach und kräftig, was seine Partei gesagt wissen wollte, und beleuchtete die Punkte, welche auch die Opposition als den Kern der Frage ansah. Ruhig und voll Anstand, aber zugleich mit Wärme und Energie, mit wenig Abwechslung im Ton, mit mäßigem und seltenem, aber um so nachdrücklicheren Geberdenspiel – verfehlte Audley Egerton auch auf den Blödesten seine Wirkung nicht und leistete dem wählerischsten Geschmack Genüge.

Ein Mal jedoch, als auf eine gewisse populäre Frage angespielt wurde, in welcher der Premierminister keinerlei Zugeständnisse machen zu wollen erklärt hatte, und hinsichtlich deren Zweckmäßigkeit, wie man wußte, die Ansichten im Kabinete getheilt waren – als sich mit solchen Anspielungen Berufungen an die Person Mr. Egertons selbst verbanden, »des erleuchteten Vertreters einer großen Handelsgemeinschaft,« und schmeichelhafte Aeußerungen des Zweifels, daß »dieser sehr ehrenwerthe Gentleman, Mitglied für diesen großen Flecken, der die Sache der bürgerlichen Klasse immer zu der seinigen gemacht habe, so weit hinter dem Zeitgeist zurückgeblieben sein sollte, wie sein Chef« – da bemerkte Randal, wie Egerton den Hut tiefer in die Stirne drückte, sich umwendete und einem seiner Collegen etwas zuflüsterte. Er war nicht dahin zu bringen, daß er das Wort ergriff.

An jenem Abend ging Randal mit Egerton nach Hause und deutete sein Erstaunen an, daß der Minister es abgelehnt hatte, die, wie es ihm schien, so günstige Gelegenheit zu einer jener bündigen, kernigen Erwiderungen, durch welche sich Audley ganz besonders auszeichnete, zu benützen, während doch hiezu in den lauten »Hört!« des Hauses eine dringende Aufforderung lag.

»Leslie,« antwortete der Staatsmann kurz, »ich verdanke meinen Erfolg im Parlamente Einer Regel: ich habe nie gegen meine Ueberzeugung gesprochen. Ich gedenke, hieran bis zuletzt fest zu halten.«

»Aber wenn die vorliegende Frage in dem Hause zur Abstimmung kommt, werden Sie dagegen stimmen?«

»Gewiß, ich stimme als Mitglied des Cabinets, aber da ich weder Führer, noch Organ der Partei bin, so behalte ich mir das Recht vor, bei den Verhandlungen meine eigenen Ansichten geltend zu machen.«

»Ah, mein theurer Mr. Egerton,« rief Randal, »verzeihen Sie; aber diese Frage, mag Recht haben, wer will, hat sich in der öffentlichen Meinung tief eingebürgert. Das kleinste Zugeständniß, bei Zeit gemacht, würde zufrieden stellen; und es ist so klar (wenn ich nach den Aeußerungen, die ich auf jedem Schritt und Tritt zu hören bekomme, schließen darf), die Regierung muß durch Verweigerung jedes Zugeständnisses sich auf eine Niederlage gefaßt machen, daß ich wünschte –«

»Auch ich wünschte es,« unterbrach ihn Egerton mit einem beklommenen, ungeduldigen Seufzer – »auch ich wünschte es! Aber was nützt es? Wäre mein Rath nur drei Wochen früher befolgt worden – jetzt ist es zu spät – so hätten wir die Klippe umschiffen können; wir thaten es nicht und müssen daran zerschellen.«

Diese Sprache stand mit dem sonst so vorsichtigen und verschlossenen Wesen des Ministers so wenig im Einklange, daß Randal Muth gewann, mit einer Idee herauszurücken, die ihm sein eigener Scharfsinn eingegeben hatte. Und ehe ich fortfahre, muß ich beifügen, daß Egerton in letzter Zeit seinem Schützlinge persönlich viel mehr Freundlichkeit gezeigt hatte, daß der strenge Audley zahm und mild geworden zu sein schien, sei es, weil seine Lebensgeister gebrochen waren, sei es, daß seine eherne, aus Einem Gusse geformte Natur endlich doch das gebieterische Bedürfniß fühlte, ihre Seufzer einem liebenden Ohre anzuvertrauen. Randal fuhr deßhalb fort:

»Darf ich sagen, wie man sich über Sie und Ihre Stellung auf den Straßen und in den Clubs ausspricht?«

»Ja, auf den Straßen und in den Clubs sollten Staatsmänner in die Schule gehen. Sprechen Sie.«

»Gut denn, man wundert sich, warum Sie und einer oder zwei Andere, die ich nicht nennen will, sich nicht sofort aus dem Cabinete zurückziehen, offen als Grund hiefür bekennend, daß Sie in dieser Frage, über welche nicht hinwegzukommen ist, mit der öffentlichen Meinung Hand in Hand gehen.«

»Eh!«

»Es ist klar, daß Sie hiedurch der populärste Mann im Lande würden – klar, daß Sie das Volk auf seinen Schultern zur Macht zurückbringen würde. Ein neues Cabinet könnte sich ohne Sie nicht bilden, und Ihre Stellung in demselben wäre vielleicht auf Lebenszeit eine höhere, als diejenige, welche Sie jetzt möglicher Weise nur noch wenige Wochen einnehmen. Haben Sie hieran nie gedacht?«

»Nein,« sagte Audley trocken.

Erschrocken über solchen Stumpfsinn rief Randal aus:

»Ist es möglich! Und doch, verzeihen Sie mir die Bemerkung, sollte ich glauben, Sie seien ehrgeizig und lieben die Macht.«

»Niemand ist ehrgeiziger; und wenn Sie unter Macht mein Amt verstehen, so ist dieses die Gewohnheit meines Lebens geworden, und ich wüßte nicht, was ich ohne dasselbe anfangen sollte.«

»Und wie kommt es denn, daß Sie nie an etwas gedacht haben, was mir so nahe zu liegen scheint?«

»Sie sind jung, und deßhalb verzeihe ich Ihnen; nicht aber jenen Schwätzern, die sich wundern können, daß Audley Egerton es verschmäht, die Genossen seiner ganzen Laufbahn zu verrathen und aus diesem Verrath Vortheil zu ziehen.«

»Aber man soll doch sein Vaterland mehr lieben, als eine Partei.«

»Ohne Zweifel; und die beste Garantie für ein Land ist die Ehrenhaftigkeit seiner öffentlichen Männer.«

»Aber man kann seine Partei auch ohne Unehre verlassen.«

»Wer zweifelt daran? Glauben Sie, wenn ich ein gewöhnliches Parlamentsmitglied wäre – ohne Verpflichtungen, ohne Vertrauensposten – ich würde mich nur einen Augenblick besinnen, welchen Weg ich einzuschlagen habe? O, daß ich nur der Vertreter von L*** wäre! O, daß ich das ungeschmälerte Recht hätte, nach freiem Gutdünken zu handeln! Aber wenn ein Cabinetsmitglied, ein Minister, welchem Tausende ihr Vertrauen schenken, nur darum, weil er in dem Rathe seiner Collegen überstimmt wird, plötzlich zurücktritt und damit die ganze Partei sprengt, deren Vertrauen er genossen, deren Früchte er geerntet hat, und welcher er eben die Stellung verdankt, die er zu ihrem Ruin benützt – sagen Sie selbst, ob nicht seine Wahl, auch wenn sie den Begriffen der Ehre nicht widerspricht, von der Art wäre, daß sie aller Tröstungen des Gewissens benöthigt sein würde.«

»Aber dieser Trost wird Ihnen in vollem Maße werden. Und,« fügte Randal mit Nachdruck bei, »der Gewinn für Ihre Laufbahn wäre ein so unermeßlicher!«

»Gerade das könnte nimmermehr die Folge sein,« antwortete Egerton düster. »Ich gebe zu, daß ich, wenn ich wollte, auf dem gegenwärtigen Ministerium austreten und so dieses Ministerium mit Einem Mal auflösen könnte; hiezu würde mein auf diese Weise motivirter Rücktritt genügen. Ich gebe dies zu; aber aus dem gleichen Grunde könnte ich nicht den Tag darauf in ein anderes Cabinet eintreten. Ich könnte für meinen Abfall keine Belohnung annehmen. Kein Gentleman könnte das! Und deßhalb –« Audley brach ab und knöpfte den Rock über seiner breiten Brust zu. Die Bewegung war bedeutungsvoll: sie besagte, daß der Entschluß des Mannes fest stand.

In der That, ob Audley Egerton mit seiner Theorie Recht oder Unrecht hatte, hängt von viel feineren und vielleicht einem höheren Gesichtspunkt angehörenden Unterscheidungen in der Casuistik der politischen Pflichten ab, als er bei seinem Charakter zu machen Willens war. Und ich verwahre mich dagegen, als wollte ich etwas zu Gunsten oder Ungunsten seiner Anschauungsweise sagen oder ihn als passendes oder nicht passendes Vorbild für ähnliche Fälle aufstellen. Ich schildere nur den Mann, wie er war, und wie Männer, wie er, immer sein werden unter den Verhältnissen, in denen er lebte, und in jener eigentümlichen Welt, von welcher er so mit Leib und Seele ein Mitglied war. » Ce n'est pas moi qui parle, c'est Marc Aurèle

Er spricht, nicht ich.

Randal hatte keine Zeit zu weiteren Erörterungen. Sie erreichten jetzt Egertons Wohnung, der Minister nahm seinem Diener den Leuchter ab, nickte Leslie stumm ein »gute Nacht« zu und zog sich ermüdet in sein Zimmer zurück.


Fünfzehntes Kapitel.

Aber nicht durch die angedrohte Interpellation wurde dieser ereignißreiche Parteikampf entschieden. Das Ministerium fiel nicht in offener Feldschlacht, sondern in einem Scharmützel. Es war an einem verhängnisvollen Montag – eine langweilige Finanz und Ziffernfrage wurde verhandelt. Man hörte einige wenige prosaische Reden. Die Minister verhielten sich schweigend, mit Ausnahme des Kanzlers der Schatzkammer und eines Geschäftsmenschen aus dem Handelscollegium, welchen das Haus kaum anzuhören sich herabließ. Das Haus war nicht in der Stimmung, an Ziffern und Rechnungsergebnisse zu denken.

Früh am Abend zwischen neun und zehn Uhr ertönte des Sprechers klangvolle Stimme: »Die Fremdengallerien sind zu räumen!« und Randal stieg bange und ahnungsvoll von seinem Platze herab und ging zu der verhängnißvollen Thüre hinaus. Noch ein Mal wandte er sich hier nach Audley Egerton um. Der »Beitreiber« flüsterte Audley etwas zu, der Minister schob seinen Hut von der Stirne zurück und warf einen flüchtigen Blick im Hause herum und hinauf auf die Gallerien, wie um rasch das Zahlenverhältniß der beiden sich gegenüber stehenden Heere zu überschlagen; dann lächelte er bitter und warf sich auf seinen Sitz zurück. Dieses Lächeln verfolgte Leslie noch lange.

Unter den Fremden, die sich mit Randal entfernen mußten, während die Abstimmung vorgenommen wurde, befanden sich viele junge Männer, welche, wie er, zu der Regierung durch Verwandtschaft oder durch ein Amt in Beziehung standen. Die Herzen schlugen laut in den gefüllten Vorzimmern. Unheil verkündendes, sorgenvolles Geflüster ging durch die Reihen.

»Man sagt, die Regierung wird eine Majorität von Zehn haben.« »Nein, ich höre, sie wird zuverlässig unterliegen.« »H*** sagt, gegen eine Majorität von Fünfzig.« »Ich glaube es nicht,« meinte ein Kammerherr, »es ist unmöglich. Ich komme so eben von fünf Ministeriellen, welche in den ›Reisenden‹ Gemeint ist der Travellers Club, ein renommierter Londoner Club, der 1819 gegründet wurde, sozusagen die Quintessenz englischer Gentleman Clubs. speisten.« »Niemand erwartete die Abstimmung so frühe.« »Ein Kunstgriff der Whigs – schändlich!« »Daß sich auch Niemand zum Worte meldete, um Zeit zu gewinnen! Sehr sonderbar, daß P*** nicht sprach; freilich ist er so verwünscht reich, daß er sich nichts darum kümmert, ob er im Cabinete ist, oder nicht.« »Ja; ebenso Audley Egerton – ganz der gleiche Fall; ohne Zweifel ist er froh, erlöst zu sein, um nach seinen Gütern zu sehen; eine ganz andere Taktik, wenn wir Männer hätten, welchen das Amt so notwendig wäre, wie mir!« sagte ein aufrichtiger junger Beamter.

Plötzlich fühlte der schweigende Leslie einen freundschaftlichen Druck auf sinnen Arm. Er wandte sich um und erblickte Levy.

»Sagte ich es Ihnen nicht?« begann der Baron mit einem frohlockenden Lächeln.

»Sie glauben also gewiß, daß das Ministerium überstimmt werden wird?«

»Ich habe heute den ganzen Morgen mit einem meiner Clienten aus dem Parlamente die Liste der Mitglieder durchgegangen, die er Alle kennt, wie der Hirte seine Schafe. Mehrheit für die Opposition von mindestens fünfundzwanzig Stimmen.«

»Und in diesem Falle muß das Ministerium abdanken, Sir?« frug der aufrichtige junge Beamte, welcher dem stutzerhaft eleganten Baron mit einer Spannung zugehört hatte, als wollte er ihm die Worte aus dem Munde nehmen.

»Natürlich, Sir,« versetzte der Baron sanft und bot ihm seine Tabaksdose hin (eine ächte Louis Quinze mit dem in Perlen gefaßten Miniaturbild der Madame de Pompadour Eine auch politisch bedeutende Mätresse Ludwigs XV. (König 1715-1774).). »Sie sind ein Freund der gegenwärtigen Minister? Sie können unmöglich wünschen, daß sie niedrig denkend genug sind, zu bleiben?«

Randal zog den Baron bei Seite.

»Wenn es mit Audley so steht, wie Sie sagen, was kann er thun?«

»Ich werde ihm diese Frage morgen vorlegen,« erwiderte der Baron mit einem Blicke ausgesprochenen Hasses. »Und ich bin hieher gekommen, nur um zu sehen, wie er die Aussicht erträgt, die sich ihm eröffnet.«

»In seinem Gesichte werden Sie es nicht lesen. Und seine albernen Bedenklichkeiten! Wenn er nur bei Zeit fort wäre, um mit den neuen Männern wieder zu kommen!«

»O natürlich, dazu ist unser sehr Ehrenwerther zu gewissenhaft!« entgegnete der Baron höhnisch.

Plötzlich öffneten sich die Thüren, und hinein stürzten die athemlos Harrenden. »Wie sind die Zahlen? Wie ist die Abstimmung?«

»Mehrheit gegen die Minister,« sagte ein Mitglied der Opposition, eine Orange schälend, »Neunundzwanzig.«

Der Baron hatte von dem Sprecher gleichfalls eine Einlaßkarte erhalten. Er trat mit Randal in den Saal und setzte sich neben ihn. Aber zu ihrem Verdruß sprach eben ein Redner über die andern Anträge.

»Wie! Ist nichts gesagt worden wegen der Abstimmung?« frug der Baron ein junges Grafschaftsmitglied, welches sich mit einem nicht parlamentarischen Freunde auf der Bank vor Levy unterhielt. Das Grafschaftsmitglied war einer von des Barons gehätschelten ältesten Söhnen, hatte oft bei Levy gespeist und sonst ›Verpflichtungen‹ gegen ihn. Der junge Gesetzgeber machte ein sehr beschämtes Gesicht über Levy's freundschaftlichen Schlag auf seine Schulter und antwortete hastig:

»O ja, H*** frug, ›ob es nach einer solchen Kundgebung des Hauses in der Absicht der Minister liege, auf ihrem Posten zu bleiben und die Regierungsgeschäfte fortzuführen?‹«

»Sieht H*** ganz gleich! Ein gar wißbegieriger Geist! Und welche Antwort bekam er?«

»Keine,« sagte das Grafschaftsmitglied und kehrte eilig auf seinen Platz in der Mitte des Hauses zurück.

»Da kommt Egerton,« sagte der Baron. Und so war es. Als jetzt die meisten Mitglieder das Haus verließen, um sich in den Clubs oder Salons zu besprechen und die wichtige Neuigkeit in der Stadt zu verbreiten, sah man Audley Egertons hohe Gestalt unter den Anderen hervorragen. Enttäuscht wandte sich Levy ab, denn nicht nur war des Ministers schönes Gesicht – obwohl blaß – heiter und freundlich, sondern es lag auch eine augenscheinliche Höflichkeit, eine unverkennbare Achtung in der Art, wie diese rauhe Versammlung dem gefallenen Minister Platz machte, als er durch das Gedränge schritt. Und der offenherzige, leutselige Edelmann, welcher später, nicht vermöge seiner Talente, sondern durch seine Charakterfestigkeit zum Führer des Hauses wurde, drückte die Hand seines alten Gegners, als sie in der Nähe der Thüre zusammen trafen, und sagte laut:

»Es wird mich nicht mit Stolz erfüllen, wenn ich es je erlebe, Minister zu werden; wohl aber werde ich stolz sein, wenn bei meinem Abtreten so wenig wider mich gesagt werden kann, wie Ihre bittersten Gegner wider Sie sagen können, Egerton.«

»Ich bin neugierig,« rief der Baron laut, indem er sich auf die Schranke lehnte, die ihn von dem Gedränge unten schied, so daß seine Stimme bis zu Egerton drang und sich seitens der Anstand liebenden Mitglieder der unwillige Ruf: »Ruhe auf der Fremdengallerie!« vernehmen ließ – »Ich bin neugierig, was Lord L'Estrange sagen wird!«

Audley erhob seine dunkeln Brauen, betrachtete den Baron einen Moment mit blitzenden Augen, ging dann den schmalen Gang zwischen den letzten Bänken hinunter und verschwand von dem Schauplatze, auf welchem die meisten der gefeiertsten Darsteller wenig mehr zurücklassen, als den kurz andauernden Ruf eines Schauspielers.


Sechzehntes Kapitel.

Baron Levy führte seine Drohung, Egerton am andern Morgen aufzusuchen, nicht aus.‹ Vielleicht fand er es nicht gerathen, dem Blitze dieses entrüsteten Auges noch einmal zu begegnen. Auch hatte Egerton den ganzen Vormittag zu viel mit Staatsgeschäften zu thun, um sonstige Besuche vorzulassen. Nur bei Harley machte er eine Ausnahme, und dieser versäumte nichts, ihn zu trösten und aufzuheitern.

In der nächsten Sitzung wurde dem Hause eröffnet, daß die Minister zurückgetreten seien und ihre Posten nur noch so lange beibehalten würden, bis ihre Nachfolger bestimmt sein würden. Aber bereits war ein Rückschlag zu ihren Gunsten erfolgt; und als es allgemein bekannt wurde, daß das neue Cabinet aus Männern bestehen werde, die zum größten Theil noch nie ein Staatsamt inne gehabt hatten, so begann der in der öffentlichen Meinung so verbreitete Aberglauben, daß der Führung der Staatsgeschäfte ebenso, wie der eines Gewerbes, eine regelmäßige Lehrzeit vorausgegangen sein müsse, die Oberhand zu gewinnen; und es ging in den Clubs das Gerede, die neuen Männer würden sich nicht halten können, und nach Verfluß eines Monats das vorige Ministerium mit einigen Modifikationen wieder an der Spitze stehen

Vielleicht war dies mit ein Grund, warum es Baron Levy für klug hielt, seine Rache an Mr. Egerton, in der Form von Beileidsbezeugungen, vorläufig noch nicht auszuführen. Randal verwandte einen Theil seines Morgens auf Erkundigungen, was andere, in gleicher Lage wie er, befindliche Beamte zu thun gesonnen waren, und hörte zu seiner großen Genugthuung, daß sehr wenige ihre Plätze freiwillig aufzugeben gedachten. Wie Randal selbst gegen Egerton bemerkt hatte, »stand ihnen höher, als ihr Vaterland – ihre Partei!«

Randal's Posten war für ihn von großer Wichtigkeit; seine Obliegenheiten waren leicht, sein Gehalt nicht nur für seine eigenen Bedürfnisse weitaus zureichend, sondern auch zur Bestreitung von Ausgaben für die Erziehung Oliver's und seiner Schwester. Denn es ist meine Pflicht, dem jungen Manne in dieser Beziehung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – so wenig Rücksicht er auf Seinesgleichen im Allgemeinen nahm, die Bande des Blutes waren in ihm mächtig, und er widerstand manchen, bei seinem Alter höchst verlockenden Versuchungen, um den unbehülflichen, ehrlichen Oliver und die krausköpfige hübsche Juliet einigermaßen zu seinem eigenen höheren Bildungsgrade empor zu ziehen.

Man findet oft, daß Personen, welchen man mit Grund Knickerei und Gewissenlosigkeit vorwirft, in der Sorge für ihre Familie eine Entschuldigung für ihre Sünden an der Menschheit sehen. Selbst Richard III. Das Drama von Shakespeare führt ihn als Inbegriff der Skrupellosigkeit vor. wollte, wenn man den Chronikschreibern glauben darf, die Ermordung seiner Neffen mit der leidenschaftlichen Liebe zu seinem Sohne rechtfertigen.

Mit dem Verluste dieser Stelle verlor Randal alle Mittel für seinen Unterhalt, soweit ihn nicht Audley unterstützen konnte – und wenn nun Audley wirklich zu Grunde gerichtet war? Dazu hatte sich Randal auf seinem Bureau durch Tüchtigkeit und Fleiß hervorgethan. Es war eine Laufbahn, in welcher er es, wenn er sich der Politik enthielt, zu einer schönen Stellung und zu einem beträchtlichen Einkommen bringen konnte.

So verzehrte er denn, sehr zufrieden mit dem, wie er hörte, von allen seinen Collegen gefaßten und auch mit sonstigen Vorgängen übereinstimmenden Entschlusse, sein Diner im Club mit gutem Appetit und viel christlicher Ergebung in den Sturz seines Gönners und ging dann nach Grosvenor Square in der Hoffnung, Audley zu Haus zu treffen. Hierin fand er sich auch nicht getäuscht und wurde sogleich in das Bibliothekzimmer gewiesen. Egerton hatte Besuch von drei Gentlemen: Lord L'Estrange und zwei Mitgliedern des nunmehr verewigten, nur noch dem Namen nach bestehenden Cabinets. Er war im Begriffe, sich zurückzuziehen, um dieses Conclave nicht zu stören, als ihm Egerton freundlich zurief:

»Kommen Sie herein, Leslie; ich sprach soeben von Ihnen.«

»Von mir, Sir?«

»Ja, von Ihnen und Ihrer Stelle. Ich frug Sir A*** (auf einen der Minister deutend), ob es nicht anginge, daß ich Ihren Chef ersuche, schriftlich seine Ansicht über Ihre Talente auszusprechen, die, wie ich weiß, sehr günstig ist und Ihnen bei seinem Nachfolger zu Statten kommen könnte.«

»O Sir, zu einer solchen Zeit an mich zu denken!« rief Randal mit aufrichtiger Rührung.

»Aber,« fuhr Audley in seinem gewöhnlichen trockenen Tone fort, »Sir A*** ist zu meiner Ueberraschung der Meinung, es würde sich für Sie besser schicken, Ihre Entlassung zu nehmen. Wenn nicht seine Gründe, die er noch nicht genannt hat, sehr gewichtig sind, so würde ich hiezu nicht rathen.«

»Meine Gründe,« sagte Sir A*** mit amtlicher Förmlichkeit, »sind einfach diese: ich habe einen Neffen, der sich in ähnlicher Lage befindet; er wird seine Entlassung nehmen, als eine Sache, die sich von selbst versteht. Alle Inhaber öffentlicher Aemter, deren Verwandte oder nahe Bekannte eine hohe Staatswürde bekleideten, werden es so halten. Mr. Leslie wird es schwerlich angenehm sein, sich als einzige Ausnahme zu wissen.

»Mr. Leslie ist kein Verwandter, nicht einmal ein naher Bekannter von mir,« erwiderte Egerton.

»Aber sein Name ist mit dem Ihrigen so verwoben, er hat so lange unter Ihrem Dache gelebt, ist in der Gesellschaft so zu Hause (und halten Sie es nicht für ein Compliment, wenn ich beifüge: wir setzen so große Hoffnungen auf ihn), daß es sich für ihn doch nicht wohl der Mühe lohnen dürfte, diesen ärmlichen Posten beizubehalten, welcher ihn noch dazu von einem Sitze im Parlament ausschließt.«

Sir A*** war einer von jenen erschreckend reichen Männern, welchen bloße Rücksichten auf das tägliche Brod ärmlich erscheinen. Aber ich muß beifügen, daß er voraussetzte, Egerton sei noch reicher als er selbst, und werde für Randal, dem Sir A*** gewogen war, ausreichend sorgen; auch glaubte Sir A***, wenn Randal nicht dem Beispiele seines anerkannten Gönners folge, so könnte er in Egerton's Augen, obgleich dieser selbst abrieth, verlieren.

»Sie sehen, Leslie,« sagte Egerton, Randal's wohlüberlegter Antwort zuvorkommend, »daß Ihre Ehre in keiner Weise Noth leidet, wenn Sie bleiben, wo Sie sind; es ist eine reine Frage der Zweckmäßigkeit; ich will für Sie entscheiden; behalten Sie Ihre Stelle.«

Unglücklicher Weise war der andere Minister, der sich bisher schweigend verhalten hatte, ein literarisch gebildeter Mann. Unglücklicher Weise hatte er im Laufe dieses Gesprächs Randal Leslie's berühmte Flugschrift, welche auf dem Bibliothektische lag, in die Hand genommen; und indem er sie durchblätterte, vergegenwärtigte ihm sein nur zu treues Gedächtniß wieder den ganzen Geist und Inhalt dieser meisterhaften Arbeit, welche, in jeder Beziehung vom Parteistandpunkte aus geschrieben, das Verhalten der Regierung vertheidigte. Auch er war für Randal eingenommen; ja, mehr noch – er bewunderte den Verfasser dieser treffenden und wirkungvollen Schrift. Er legte daher die vornehme Gleichgültigkeit, mit der ihn bis dahin das Geschick eines Subalternen erfüllt hatte, bei Seite und sagte mit einem milden und verbindlichen Lächeln:

»Nein; der Schreiber dieser höchst gelungenen Abhandlung ist kein gewöhnlicher Beamter. Seine Ansichten sind hier zu kraftvoll entwickelt; diese feine Ironie auf eben den Mann, welcher aller Wahrscheinlichkeit nach der Chef seines Departements sein wird, hat zu großes Aufsehen erregt, um ihm das sedet aeternumque sedebit Er sitzt und wird in Ewigkeit sitzen. (Nach Virgil, Aeneis, VI, 617) an einem Kanzleipulte zu gestatten. Ha, ha! Das ist vortrefflich! Lesen Sie es, L'Estrange. Was sagen Sie?«

Harley warf einen flüchtigen Blick auf die ihm bezeichnen Seite. Burley's ursprünglich schwülstige, rohe, aber sprechende Burleske sickerte durch Randal's mehr abgerundete Satyre hindurch. Es war in der That vortrefflich. Harley lächelte, und sein Blick fiel auf Randal. Das Gesicht des unglücklichen Diebes fremder Gedanken glühte – Schweißtropfen standen ihm auf der Stirne. Harley haßte, wenn es geschah, gründlich; er liebte zu warm, um nicht auf der entgegengesetzten Seite sich zu verirren; aber er gehörte zu jenen Menschen, die den Haß vergessen, wenn der Gegenstand desselben elend und gedemüthigt ist. Er legte die Flugschrift weg und sagte:

»Ich bin kein Politiker; aber Egerton ist so bekannt für seine Aengstlichkeit und übergroße Gewissenhaftigkeit in allen Punkten dienstlicher Etiquette, daß Mr. Leslie keinem bessern Rathgeber folgen kann.«

»Lesen Sie dies selbst, Egerton,« sagte Sir B*** und schob Audley die Flugschrift hin.

Egerton hatte eine dunkle Erinnerung, daß dieselbe Unheil bringend sein mußte; er hatte aber den Inhalt nur hastig überflogen und in diesem Augenblicke das Ganze vergessen. Er nahm die berüchtigte Schrift mit widerstrebender Hand, las jedoch aufmerksam die ihm bezeichneten Seiten und sagte dann ernst und traurig:

»Mr. Leslie, ich nehme meinen Rath zurück. Ich glaube, Sir B*** hat Recht; der Edelmann, welchem diese beißende Satyre gilt, wird Chef Ihres Departements werden. Ich zweifle, ob er nicht Ihre Entlassung durchsetzen wird; keinenfalls ist wohl für Ihre Beförderung von ihm etwas zu erwarten. Unter solchen Umständen, fürchte ich, bleibt Ihnen keine Wahl, als« – Egerton hielt einen Augenblick inne und schloß dann mit einem Seufzer, welcher die Frage zu erledigen schien – »als zu handeln wie ein Gentleman.«

Nie fühlte Hans Cade Im Original: Jack Cade, englischer Rebell, der 1450 den Sturz von König Heinrich VI. anstrebte., nie Wat Tyler Englischer Bauernführer, der 1381 die Peasants' Revolt anführte. einen tödlicheren Haß gegen das Wort »Gentleman«, als in diesem Augenblick der wohlgeborene Leslie; aber er neigte das Haupt und erwiderte mit seiner gewöhnlichen Geistesgegenwart:

»Sie sprechen meine eigenen Gesinnungen aus.«

»Du glaubst, wir haben Recht, Harley?« frug Egerton mit einer Unentschlossenheit, die alle Anwesenden überraschte.

»Ich glaube,« versetzte Harley mit einer beinahe allzu edelmüthigen Regung des Mitleids für Randal und andererseits doch wieder mit einem gewissen Doppelsinn in den Worten, »ich glaube, daß, wer Audley dient, nie dabei verlieren wird; und wenn Mr. Leslie diese Flugschrift geschrieben hat, so muß er Audley Egerton einen guten Dienst geleistet haben. Hat er dafür zu büßen, so können wir getrost die Entschädigung dafür Egerton überlassen.«

»Die Entschädigung ist mir längst geworden,« erwiderte Randal bescheiden; »und daß sich Mr. Egerton mein Schicksal so angelegen sein läßt in einer von Geschäften so in Anspruch genommenen Stunde, erfüllt mich mit einem Stolze, der –«

»Genug, Leslie, genug!« unterbrach ihn Egerton, indem er aufstand und die Hand seines Schützlings drückte. »Kommen Sie zu mir, ehe Sie zu Bette gehen.«

Hierauf erhoben sich auch die beiden andern Minister, schüttelten Leslie die Hand, versicherten ihn, er habe recht gehandelt, und sie hofften, ihn bald im Parlamente zu sehen; zugleich deuteten sie lächelnd an, wie das nächste Ministerium kein sehr langes Leben verspreche; und schließlich lud ihn der eine zu Tische und der andere zu einem achttägigen Besuche auf seinem Landsitze ein. Und mitten unter diesen Beglückwünschungen wegen eines Schrittes, der ihn zum Bettler machte, verließ der mit solcher Auszeichnung behandelte Flugschriftenschreiber das Zimmer. Wie verwünschte er den armen John Burley!


Siebzehntes Kapitel.

Es war Mitternacht vorüber, als Audley Egerton Randal zu sich rufen ließ. Der Staatsmann war allein und, vor seinem großen Schreibtische mit vielen Fächern und Abtheilungen sitzend, damit beschäftigt, verschiedene Papiere und Briefe theils dem Papierkorbe, theils den Flammen, theils zwei großen eisernen Kisten mit Patentschlössern zu übergeben, die mit geöffneten Deckeln zu seinen Füßen standen. Fest, ernst und grimmig sahen sie aus, als sie so die Ueberreste entschwundener Macht schweigend aufnahmen – fest, ernst und grimmig, wie das Grab.

Audley erhob bei Randal's Eintritt den Blick, deutete auf einen Stuhl, setzte seine Beschäftigung noch einige Augenblick fort, wandte sich dann um, als könnte er sich nur mit Anstrengung von seiner Hauptleidenschaft, dem öffentlichen Leben, losreißen, und sagte dann in bedächtigem Tone:

»Ich weiß nicht, Randal Leslie, ob Sie es mir als unöthige Vorsicht oder als muthwillige Lieblosigkeit auslegten, als ich Ihnen erklärte, Sie hätten von mir nie mehr zu erwarten, als die durch meine jeweilige Stellung ermöglichte Förderung Ihrer Laufbahn – nie eine Vermehrung Ihres Privatvermögens durch etwaige Acte der Freigebigkeit während meiner Lebzeiten oder durch testamentarische Verfügung auf den Fall meines Todes. Ich sehe an Ihrer Geberde, wie Ihre Antwort lauten würde, und danke Ihnen dafür. Jetzt theile ich Ihnen mit – vorläufig noch im Vertrauen, obgleich es der Welt nicht mehr lange verborgen bleiben kann – daß ich in unausgesetzter Sorge für das Wohl des Staates meine eigenen Angelegenheiten in einer Weise vernachlässigt habe, die gewissermaßen an jenen Mann erinnert, welcher sich von seinem Kapital eine bestimmte Summe für jeden Tag aussetzte, indem er darauf rechnete, gerade so lange zu leben, um damit fertig zu werden. Unglücklicher Weise lebte er zu lauge.«

Audley lächelte – aber das Lächeln war kalt, wie ein Sonnenstrahl aus dem Eis – und fuhr dann in dem früheren festen, gleichmäßigen Tone fort:

»Auf die Aussichten, die mich erwarten, bin ich vorbereitet; sie überraschen mich nicht. Längst schon wußte ich, wie dies enden mußte, wenn ich den Verlust meines Amtes überlebte. Ich wußte es, bevor Sie zu mir kamen, und deßhalb machte ich Ihnen jene Eröffnungen, indem ich es für Mannespflicht erachtete, Sie vor Hoffnungen zu warnen, zu welchen Sie sich sonst für berechtigt hätten halten können. Hierüber brauche ich nichts weiter zu sagen. Es mag Sie überraschen, vielleicht tadeln Sie es, daß ich, dem man in Führung der Staatsangelegenheiten Methode und Praxis zuschreibt, in meinen eigenen so unvorsichtig gewesen bin.«

»O Sir! Sie sind mir keine Rechenschaft schuldig.«

»Ihnen zum mindesten so gut, wie jedem Andern. Ich bin ein einsamer Mann; meine wenigen Verwandten brauchen nichts von mir. Ich hatte das Recht, das, was ich besaß, nach Belieben auszugeben; und wenn ich hiebei jede Rücksicht aus meine eigene Person ausschloß, so ist doch wenigstens die Wirkung auf Andere keine verlorene zu nennen. Seit Jahren ist es mein Bestreben gewesen, kein Privatleben zu haben – die Sorgen, Freuden, Neigungen, welche es mit sich bringt, von mir ferne zu halten; und die Pflichten, die es auferlegt, existirten nicht für mich. – Das wäre abgemacht.«

Mechanisch schloß die Hand des Ministers den Deckel einer der eisernen Kisten, und er ließ seinen Fuß auf dem geschlossenen Deckel ruhen.

»Nun ist es mir aber,« fuhr er fort, »nicht gelungen, Ihre Laufbahn zu fördern. Wahr, ich stellte Ihnen vor, daß Sie in eine Lotterie setzen; allein, Sie hatten mehr Aussicht auf einen Treffer, als auf eine Niete. Gleichwohl haben Sie eine Niete gezogen, und die Frage wird ernst. Was gedenken Sie zu thun?«

Schnell besonnen versetzte Randal:

»Noch immer, Sir, Ihrem Rathe zu folgen.«

»Mein Rath,« sagte Audley, und seine Züge wurden weicher, »wäre vielleicht rauh und unschmackhaft. Ich möchte Ihnen lieber eine Wahl lassen. Entweder fangen Sie das Leben noch ein Mal von vorne an. Ich sagte Ihnen, daß ich Ihren Namen auf der Liste Ihres Collegs nicht streichen lassen würde. Sie können zurückkehren, einen Grad erwerben und dann Advokat werden – Sie besitzen gerade diejenigen Talente, welche in diesem Berufe einen Erfolg versprechen. Er wird allerdings langsam, aber, bei der nöthigen Ausdauer, sicher kommen. Und glauben Sie mir, Leslie, Ehrgeiz ist nur süß, so lange er eine Umschreibung für ›Hoffnung‹ ist. Wer wollte sich um den Pelz eines Fuchses kümmern, wenn er nicht durch die Aufregung der Jagd zu einem Preise erhoben würde?«

»Nach Oxford – wieder? Das ist ein langer Schritt rückwärts im Leben,« sagte Randal beklommen, ohne die bei Egerton ungewohnte Ausschmückung seiner Rede mit Bildern sonderlich zu beachten. »Ein langer Schritt rückwärts – und wohin führt er? Zu einem Berufe, in welchem man sich nicht eher emporzubringen beginnt, als bis das Haar grau ist! Ueberdies – wie inzwischen leben?«

»Dieser Gedanke darf Sie nicht beunruhigen. Das bescheidene Einkommen, welches zu dem Studium der Advokatur hinreicht, hoffe ich Ihnen wenigstens aus den Trümmern meines Vermögens zu retten.«

»Ach, Sir, ich möchte Ihnen nicht länger lästig fallen. Welches Recht habe ich auf solche Güte, als den Namen Leslie?« und wider seinen Willen klang durch Randal's letzte Worte ein Ton von Bitterkeit, ja sogar feinen Vorwurfs. Egerton war zu sehr Weltmann, um nicht diesen Vorwurf zu verstehen – und zu verzeihen.

»Gewiß,« antwortete er ruhig; »als einem Leslie kommt Ihnen ein Anspruch auf meine Berücksichtigung, und käme Ihnen ein solcher vielleicht auf noch mehr zu, wenn ich Sie nicht so bestimmt auf das Gegentheil hingewiesen hätte. Aber die Advokatur scheint Ihnen nicht zu gefallen?«

»Wie lautet der andere Vorschlag, Sir? Lassen Sie mich entscheiden, wenn ich ihn höre,« versetzte Randal verdrießlich. Er begann die Achtung vor dem Manne zu verlieren, der zugestand, daß er so wenig für ihn thun könne, und der ihm augenscheinlich anempfahl, auf eigenen Füßen zu stehen.

Hätte man in das umdüsterte Herz Egerton's einen Blick werfen können, als er den veränderten Ton des jungen Mannes bemerkte, ich weiß nicht, ob man dort Schmerz oder Freude gesehen hätte – Schmerz, denn in Folge der Macht der Gewohnheiten hatte Zuneigung für Randal bereits bei ihm Wurzel gefaßt – oder Freude bei dem Gedanken, einen Grund für Entziehung dieser Zuneigung zu bekommen. So einsam und stoisch war der Mann geworden, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, kein Privatleben zu haben! Ohne jedoch Freude oder Schmerz zu zeigen, sondern mit der ruhigen Würde eines Richters antwortete Egerton:

»Der andere Vorschlag lautet, die begonnene Laufbahn fortzusetzen und noch immer auf mich zu bauen.«

»Sir, mein theurer Mr. Egerton,« rief Randal, der auf einmal seine gewohnte Sanftmuth in Blick und Stimme wieder fand, »auf Sie bauen! Aber das ist ja alles, um was ich bitte! Nur –«.

»Nur, wollen Sie sagen, kehre ich der Macht den Rücken, und Sie sehen für mich keine Aussicht, sie wieder zu gewinnen?«

»Das meinte ich nicht.«

»Gestatten Sie mir, anzunehmen, daß Sie es so meinten. Sehr wahr; aber die Partei, welcher ich angehöre, wird so sicher wieder an's Ruder gelangen, als der Pendel dieser Uhr dem Mechanismus gehorcht, welcher ihn von links nach rechts bewegt. Unsere Nachfolger behaupten, ihr Amt einer populären Frage zu verdanken. Alle Verwaltungen, welche dies thun, müssen notwendig von kurzer Dauer sein. Entweder gehen sie nicht weit genug, um ihren jeweiligen Anhang zufrieden zu stellen, oder sie gehen so weit, daß sie sich neue Feinde in ihren Nebenbuhlern schaffen, welche ihnen die Volksgunst abwendig machen. Dies ist die Geschichte aller Revolutionen und aller Reformen. Unser eigenes Kabinet ist in Wirklichkeit nur gestürzt worden, weil es vor einem Jahre eine sogenannte populäre Maßregel, welche uns die Hälfte unserer Freunde kostete, durchgesetzt und in diesem Jahre eine andere populäre Maßregel nicht eingebracht hat, um deren Willen uns jetzt dieselben Männer, welche uns damals mit Beifall überschütteten, verdrängen. Mögen deßhalb unsere Nachfolger handeln, wie sie wollen, so wird uns in Gemäßheit des Gesetzes der Gegenwirkung noch Gelegenheit werden, unsere Macht zu erproben. Es ist nur eine Frage der Zeit. Sie können es abwarten; ob ich, ist ungewiß. Aber wenn ich sterbe, ehe dieser Tag anbricht, so bleibt mir bei den Männern, an die ich mein Amt abgeben werde, immer noch Einfluß genug, um das Versprechen einer besseren Besorgung für Sie zu erhalten, als diejenige ist, welche Sie verloren haben. Die Versprechungen öffentlicher Männer sind sprichwörtlich unsicher. Allein ich werde Ihre Sache einem Manne an's Herz legen, der nie einen Freund im Stiche ließ, und den sein Rang befähigt, dafür zu sorgen, daß Ihnen Gerechtigkeit wird. Ich spreche von Lord L'Estrange.«

»O, nicht ihm; er ist ungerecht gegen mich; er ist gegen mich eingenommen; er –«.

»Mag immerhin gegen Sie eingenommen sein (er hat seine Launen), aber er liebt mich; und obgleich ich für kein anderes menschliches Wesen Harley L'Estrange um eine Gunst bitten möchte, so will ich es doch für Sie thun,« sagte Egerton, zum ersten Male während dieser Unterredung eine sichtliche Bewegung verrathend, »für Sie, mein lieber Leslie, einen, wenn auch noch so entfernten, Verwandten von ihr, von welcher ich mein Vermögen bekam! Und ungeachtet aller meiner Vorsicht habe ich vielleicht doch durch Vergeudung dieses Vermögens Ihnen ein Unrecht zugefügt. Genug. Vor Ihnen liegen jetzt zwei Wege, gerade wie von Anfang an; aber Sie haben jetzt mehr Erfahrung, um eine Wahl zu treffen Sie sind ein Mann, mit einem gescheidteren Kopf, als die meisten Männer; überlegen Sie es wohl, und fassen Sie Ihren Entschluß. Nun zu Bette, und verschieben Sie alles weitere Denken auf morgen. Armer Randal, Sie sehen blaß aus!«

Als Audley die letzten Worte sprach, legte er seine Hand mit beinahe väterlicher Güte auf Randal's Schultern; dann richtete er sich plötzlich in die Höhe; der harte, unbeugsame Ausdruck, welcher seit Jahren diesen Zügen aufgedrückt war, kehrte zurück, und sich wegwendend vertiefte er sich von Neuem in das öffentliche Leben und in die eiserne Kiste.


Achtzehntes Kapitel.

Am andern Tage fand sich Randal Leslie zu früher Stande in dem üppig ausgestatteten Arbeitszimmer des Baron Levy ein. Wie unähnlich der kalten, dorischen Einfachheit in der Bibliothek des Staatsmannes! Drei Zoll dicke Axminster-Teppiche Axminster ist eine Kleinstadt in der südwestenglischen Grafschaft Devon. 1755 gründete Thomas Whitty hier eine Teppichfabrik. Der Axminster-Teppich mit seiner samtigen Oberfläche besitzt weltweit bis heute einen guten Ruf., portières à la française vor den Thüren, Pariser Bronzefiguren auf dem Kamine; rings herum im Zimmer Behälter mit Registern, Postobits, Wechseln, Zahlungsversprechungen und Japankästchen Eine in Japan bis heute beliebte Faltschachtelkonstruktion., wie sie Advokaten besitzen, auf welchen mancher edle Name in großen weißen Buchstaben geschrieben stand – »den Ruin pomphaft zu machen« – lauter Gräber dahingegangener Erbgüter, mit Rosenholz eingelegt, das von französischer Politur glänzte und von Ormolu Goldbronze. leuchtete. Ueber das ganze Gemach war eine Koketterie, ein petit maître-Anstrich Petit maître: eitler (junger) Mann mit auffallend modischer Kleidung und auffälligem Benehmen; Stutzer, Geck. ausgegossen, so daß man im Leben nicht daran dachte, man befinde sich bei einem Wucherer! Plutus trug die Farben seines Feindes Cupido; und wer hätte einen Harpagon Titelfigur aus »Der Geizige« von Molière. in diesem Baron vermuthet mit seinem leichten französischen mon cher und seinen weißen warmen Händen, die den Besuch so treuherzig willkommen hießen, und mit seinem gewählten Anzuge schon am frühesten Morgen? Nie sich Jemand diesen Baron in Schlafrock und Pantoffeln. Wie man sich einen der alten (nicht halb so fürchterlichen) Feudal-Barone stets in einem Panzerhemd vorstellt, so war der Gedanke an diesen großen Freibeuter der Civilisation unzertrennlich von Glanzstiefeln und einer Camelia im Knopfloche.

»Und dies ist alles, was er für Sie thut?« rief der Baron, die Spitzen seiner zehn schmalen Finger zusammenpressend. »Hätte er Sie wenigstens Ihre Studien in Oxford abschließen lassen! Ich habe genug von Ihrer Gelehrsamkeit gehört, um zu wissen, daß Sie hohe Ehren davongetragen, jedenfalls ein Stipendium erlangt, mit Befriedigung einen Beruf, der lange und mühsame Arbeit erfordert, ergriffen und sich vorbereitet hätten, auf dem Wollsack zu sterben.«

»Er schlägt mir jetzt vor, wieder nach Oxford zu gehen,« sagte Randal, »zu spät ist es nicht!«

»A ja, es ist zu spät,« sagte der Baron. »Weder Individuen, noch Nationen gehen aus eigenem Antrieb rückwärts. Es muß ein Erdbeben kommen, ehe der Fluß zu seiner Quelle zurückfließt.«

»Sie sprechen gut,« erwiderte Randal, »und ich kann Ihnen nichts erwidern. Aber jetzt –«

»Ah, das Jetzt ist die große Frage im Leben; das Einst ist veraltet, abgenützt, aus der Mode. Und jetzt, mon cher, kommen Sie, mich um Rath zu fragen‹«

»Nein, Baron; ich komme, Sie um Aufklärung zu bitten.«

»Wegen –?«

»Ich wünschte zu wissen, warum Sie mir von Mr. Egerton's Ruin erzählten; warum Sie mir von den Ländereien erzählten, die Mr. Thornhill zu verkaufen beabsichtigt; und warum Sie mir von Graf Peschiera erzählten. Sie berührten jedes dieser Themas innerhalb zehn Minuten – Sie vergaßen, über den Zusammenhang zwischen denselben etwas zu sagen.«

»Beim Jupiter,« sagte der Baron, sich erhebend, und mit mehr Bewunderung in seinem Gesicht, als man diesem lächelnden und cynischen Gesichte zugetraut hätte – beim Jupiter, Randal Leslie, Ihre Schlauheit ist wirklich wundervoll. Sie sind wahrhaftig der erste aller jungen Männer Ihrer Zeit; und ich will ›Ihnen helfen‹, wie ich Audley Egerton geholfen habe. Vielleicht sind Sie dankbarer.«

Randal dachte an den Ruin Egerton's. Die von dem Baron gezogene Parallele war keineswegs geeignet, ihm die seltene Begeisterung der Dankbarkeit einzuflößen. Indessen begnügte er sich, zu erwidern:

»Bitte, fahren Sie fort, ich höre Ihnen mit Spannung zu.«

»Nun denn, was die Politik betrifft,« sagte der Baron, »so wollen wir diesen Punkt später besprechen. Ich selbst will noch zuwarten, um zu sehen, wie sich diese neuen Männer anlassen. Vor allem kommen Ihre Privatverhältnisse in Betracht. Sie sollten diese alten Leslie'schen Ländereien kaufen – Rood und Dulmansberry – nur zwanzigtausend Pfund baar; der Rest kann als Hypothek für ewige Zeiten stehen bleiben – oder wenigstens bis ich Ihnen eine reiche Frau finde, wie ich sie auch für Egerton fand. Thornhill braucht die zwanzigtausend Pfund jetzt – braucht sie sehr nöthig.«

»Und woher,« sagte Randal mit einem ehernen Lächeln, »sollen die zwanzigtausend Pfund kommen, die Sie mir zuschreiben?«

»Zehntausend werden Ihnen an dem Tage zukommen, an welchem Graf Peschiera mit Ihrem hülfreichen Beistande die Tochter seines Verwandten heirathet – die anderen zehntausend will ich Ihnen leihen. Keine Bedenklichkeiten – ich werde nichts riskiren – die Ländereien können diese weitere Last tragen. Was sagen Sie – soll es so sein?«

»Zehntausend Pfund von Graf Peschiera!« sagte Randal, tief Athem holend. »Das kann nicht Ihr Ernst sein? Eine solche Summe – wofür? Für meine bloße Mittheilung? Wie sonst kann ich ihm helfen? Dahinter muß eine Täuschung, ein Betrug stecken.«

»Mein lieber Junge,« versetzte Levy, »ich will Ihnen einen Wink geben. Man kann im Leben auch allzu mißtrauisch sein. Wenn Sie einen Fehler haben, so ist es dieser. Die Mittheilung, auf die Sie anspielen, ist natürlich der erste Beistand, den Sie zu leisten haben.Vielleicht wird noch mehr nöthig – vielleicht nicht. Darüber werden Sie selbst urtheilen, da die zehntausend Pfund von besagter Heirath nicht zu trennen sind.«

»Mißtrauisch oder nicht,« entgegnete Randal, »der Betrag der Summe ist mir zu unwahrscheinlich und die Sicherheit zu schlecht, um auf diesen Vorschlag zu hören, selbst wenn ich mich dazu hergeben könnte –«

»Halt, mon cher. Das Geschäftliche zuerst – hernach die Bedenklichkeiten. Die Sicherheit zu schlecht – welche Sicherheit?«

»Das Wort des Grafen di Peschiera.«

»Es hat nichts damit zu thun – er braucht nichts davon zu wissen. Es ist mein Wort, das Sie anzweifeln. Ich bin Ihre Sicherheit.«

Randal dachte an jenes trockene Witzwort bei Gibbon: »Abu Rafe sagt, er wolle diese Thatsache bezeugen, aber wer will Zeuge für Abu Rafe sein?« History Of The Decline And Fall Of The Roman Empire von Edward Gibbon, Bd. V., Kap. 50, Fußnote 136. Er blieb jedoch stumm und haftete nur die dunkeln, beobachtenden Augen mit den vorsichtig zusammengezogenen Pupillen auf Levy.

»Die Sache ist einfach folgende,« nahm Levy wieder auf. »Graf di Peschiera hat versprochen, seiner Schwester eine Mitgift von zwanzigtausend Pfund auszubezahlen, wenn er das Geld dazu flüssig hat. Flüssig bekommen kann er es nur durch die Heirath, von welcher wir reden. Ich meinerseits, der ich seine Geschäfte in England für ihn besorge, habe versprochen, gegen die erwähnte Summe von zwanzigtausend Pfund die Ausgaben für diese Heirath zu decken und die Sache mit Madame di Negra in's Reine zu bringen. Obgleich nun Peschiera ein sehr freigebiger, warmherziger Bursche ist, so will ich doch nicht behaupten, daß er eine so bedeutende Summe als Mitgift seiner Schwester genannt hätte, wenn er sie ihr nicht, strenge genommen, schulden würde. Sie ist der Betrag ihres eigenen Vermögens, welches er durch gewisse, nicht eben gesetzmäßige Verabredungen mit ihrem verstorbenen Gatten in seinen Besitz gebracht hat. Wenn Madame di Negra den Rechtsweg betreten würde, so könnte sie es zurück erlangen. Ich habe ihr dies auseinander gesetzt, und Sie begreifen jetzt wohl, wie jene Summe entstanden ist. Aber ich habe Madame di Negra's Schulden aufgekauft, deßgleichen diejenigen des jungen Hazeldean (denn eine Verbindung zwischen diesen Beiden gehört zu einem Theil unserer Vorkehrungen). Ich werde Peschiera und diesen vortrefflichen jungen Leuten eine Rechnung vorlegen, welche die vollen zwanzig tausend Pfund verschlingen wird. Diese Summe wird in meine Hände kommen. Wenn ich die Ansprüche daran mit der Hälfte des Betrags abfinde, wozu ich ein Recht habe, indem ich mich zum einzigen Gläubiger mache, so bleibt noch die andere Hälfte übrig. Und wenn es mir gefällt, sie Ihnen zu geben, als Gegenleistung für die Dienste, welche Peschiera ein fürstliches Vermögen zubringen, die Schulden seiner Schwester berichtige und ihr in der Person meines hoffnungsvollen jungen Clienten, Mr. Hazeldean, einen Gatten verschaffe, so geht das alles einzig und allein mich an – alle Parthien sind zufrieden, und Niemand braucht deßhalb viel klüger zu werden. Die Summe ist bedeutend, kein Zweifel; es convenirt mir, sie Ihnen zu geben; convenirt es Ihnen, sie anzunehmen?«

Randal befand sich in großer Aufregung; allein so nichtswürdig er war und so systematisch er sich an den Gedanken, Andere nur als Werkzeuge seiner eigenen Interessen zu betrachten, gewöhnt hatte, so ist doch bei Allen, die nicht in wirklichem Verbrechen verhärtet sind, immer noch eine weite Kluft zwischen Denken und Ausführen; und obgleich er sich nicht lange besonnen hätte, seinen Scharfsinn und seine Schlauheit jenem moralischen Betruge dienstbar zu machen, den man mit dem milden Ausdruck »Ueberlisten« bezeichnet, so schrak er doch vor einem so nackten und offenen Bestechungsversuche für eine Handlung des Verraths an dem armen Italiener, der ihm so edelmüthig vertraut hatte, zurück. Er wollte alle seine Kraft zu einem ablehnenden Bescheid zusammen nehmen, als Levy seine Brieftasche öffnete, die Notizen darin durchflog und, scheinbar zu sich selbst, sagte:

»Rood Manor – Dulmansberry, an die Thornhills verkauft von Sir Gilbert Leslie, Ritter der Grafschaft; gegenwärtiger Reinertrag geschätzt zu zweitausend zweihundert und fünfzig Pfund sieben Schillinge. Der beste Kauf, der mir je vorgekommen ist. Und mit diesen Gütern in Händen und mit Ihren Talenten, Leslie, sehe ich nicht ein, warum Sie nicht höher steigen sollten, als Audley Egerton. Er war einst ärmer, als Sie!«

Die alten Leslie Ländereien – ein entschiedenes Gewicht in der Grafschaft – die Wiederherstellung der heruntergekommenen Familie; und auf der andern Seite entweder langes Abschaffen im Gerichtssaale – eine knappe Unterstützung von Egerton's Großmuth – die Jugend seiner Schwester in dem schmutzigen, traurigen Rood verkümmernd – Oliver verbauert! – oder eines Bettlers Abhängigkeit von dem verachtungsvollen Mitleid Harley L'Estrange's – Harley's, der ihm seine Hand verweigert hatte – Harley's, der vielleicht Violanten's Gatte wurde! Wuth faßte ihn, als diese entgegengesetzten Bilder an ihm vorüberzogen. Verwirrt ging er auf und ab, indem er sich bestrebte, seine Gedanken wieder zu sammeln und die Leidenschaften des menschlichen Herzens dem reinen Mechanismus des berechnenden Verstandes zu unterwerfen.

»Ich begreife nicht,« sagte er abgebrochen, »warum Sie mich in dieser Weise versuchen – welches Interesse haben Sie dabei?«

Baron Levy lächelte und machte seine Brieftasche zu. Von diesem Augenblick an sah er, daß der Sieg gewonnen war.

»Mein lieber Junge,« sagte er mit der liebenswürdigsten Bonhomie, »es ist sehr natürlich, daß Sie vermuthen, ein Mann müsse in Allem, was er für einen Andern thut, ein persönliches Interesse haben. Ich glaube, diese Ansicht von der menschlichen Natur nennt man Nützlichkeits-Philosophie Der sog. Utilitarismus, von Jeremy Bentham (1748–1832) und John Stuart Mill (1806–1873) systematisch entwickelt. – sie ist gegenwärtig sehr in der Mode. Versuchen wir, Ihnen die Sache zu erklären. Ich werde in derselben nicht zu kurz kommen. Sie können allerdings sagen, wenn ich Ansprüche im Betrage von zwanzigtausend Pfund befriedige, so könnte ich den Ueberschuß in meine eigene Tasche stecken, statt in die Ihrige. Zugegeben. Allein ich werde die zwanzigtausend Pfund nicht eher sehen und Madame di Negra's Schulden nicht eher bezahlen (wie immer ich es mit denjenigen Hazeldean's halten mag), als bis der Graf diese Erbin bekömmt. Hier können Sie mir behülflich sein. Ich brauche Sie; und ich glaube nicht, daß ich Sie mit einem geringern Anerbieten, als dem von mir gemachten, gewinnen könnte. Ich werde mir die zehntausend Pfund bald zurück verschaffen, wenn der Graf sich der jungen Dame und ihres Vermögens versichert hat. Kurz – ich gehe hier meinem eigenen Interesse nach. Verlangen Sie weitere Gründe – Sie sollen sie haben. Ich bin jetzt ein sehr reicher Mann. Wie bin ich es geworden? Dadurch, daß ich von Anfang an mich an Personen anschloß, welche in Folge ihres Vermögens oder ihrer Talente Aussichten eröffneten. Ich habe in der Gesellschaft Verbindungen angeknüpft, und die Gesellschaft hat mich reich gemacht. Ich habe noch immer eine Leidenschaft für Gelderwerb. Que voulez-vouz? Es ist mein Beruf, mein Steckenpferd. Es wird mir in tausend Fällen von Nutzen sein, unter meine Freunde einen jungen Mann zu rechnen, der Einfluß hat auf andere junge Männer, Erben von etwas Besserem, als Rood Hall. Vielleicht glückt es Ihnen im öffentlichen Leben. Ein Mann des öffentlichen Lebens erfährt vielleicht Staatsgeheimnisse, welche für Jemand, der ein wenig in den Fonds pfuscht, sehr vorteilhaft sind. Wir können uns vielleicht später zu einem Geschäft associren, welches Sie in den Stand setzt, alle Hypotheken von den Ländereien abzulösen, zu deren belastetem Besitze ich Ihnen bald Glück wünschen werde. Sie sehen, ich bin offen; es ist der einzige Weg, mit einem so gescheidten Burschen, wie Sie, zu einem Abschluß zu kommen. Und da es am besten ist, in einem Brunnen, aus welchem wir zu trinken entschlossen sind, den Schlamm möglichst wenig aufzuwühlen, so lassen Sie uns von jetzt an nichts Weiteres denken, als an die Erreichung unseres Zweckes. Wollen Sie Peschiera sagen, wo die junge Dame ist, oder soll ich es thun? Besser, Sie thun es; Grund genug dafür, daß er Ihnen seine Hoffnung anvertraut und Sie gebeten hat, ihm zu helfen; warum sollten Sie also nicht? Kein Wort gegen ihn über unser kleines Abkommen; er braucht es nicht zu erfahren. Sie brauchen keine Ungelegenheit davon zu haben.«

Levy klingelte.

»Mein Wagen soll vorfahren.«

Randal machte keine Einwendungen. Er war todesblaß, aber auf seinen dünnen, blutlosen Lippen lag ein finsterer Ausdruck festen Wollens.«

»Das Nächste,« nahm Levy wieder auf, »ist, die Verbindung zwischen Frank und der schönen Wittwe zu beschleunigen. Wie steht es damit?«

»Sie will mich nicht sehen – ihn nicht empfangen.«

»Ah, erkunden Sie, warum! Und wenn Sie irgendwo einen Haken finden, so lassen Sie es mich sofort wissen; ich will ihn bald entfernen.«

»Hat Hazeldean in das Postobit eingewilligt?«

»Noch nicht; ich habe es nicht dringlich gemacht; ich warte den rechten Augenblick ab, wenn es nöthig ist.«

»Es wird nöthig sein.«

»Ah, Sie wünschen es. Es soll geschehen.«

Randal Leslie schritt von Neuem im Zimmer auf und ab, und nachdem er mit sich selbst zu Rathe gegangen, trat er dicht vor den Baron hin und sagte:

»Hören Sie mich, Sir. Ich bin arm und ehrgeizig; Sie haben mich im rechten Moment und mit der rechten Lockspeise versucht. Ich ergebe mich. Aber welche Bürgschaft habe ich, daß unter der verabredeten Bedingung das Geld bezahlt – die Ländereien mein werden?«

»Ehe wir etwas fest machen,« versetzte der Baron, »gehen Sie und erkundigen Sie sich über meinen Charakter bei einem Ihrer jungen Freunde, Borrowell, Spendquick – bei wem Sie wollen. Sie werden über mich losziehen, natürlich; aber Alle werden mir bezeugen, daß, wenn ich mein Wort verpfände, ich es halte; wenn ich sage: › mon cher, Sie sollen das Geld haben,‹ ist es so gut wie gegeben; wenn ich sage: ›ich verlängere Ihren Wechsel auf sechs Monate,‹ so ist er verlängert. Dies ist meine Geschäftsbehandlung. Mein Wort ist jeder Zeit für mich bindend. In gegenwärtigem Falle, wo kein schriftliches Uebereinkommen getroffen werden kann, muß Ihnen mein Wort genügen. Gehen Sie also, verschaffen Sie sich Beruhigung wegen Ihrer Sicherheit und speisen Sie um acht Uhr bei mir. Nachher wollen wir zu Peschiera.«

»Ja,« sagte Randal, »ich will es mir jedenfalls heute noch überlegen. Inzwischen sage ich Ihnen so viel, daß ich mir die Beschaffenheit der vorgeschlagenen Uebereinkunft nicht verberge, daß ich aber, sobald ich einmal zu etwas entschlossen bin, es durchführe. Meine einzige Rechtfertigung vor mir selbst ist, daß, wenn ich hier mit falschen Würfeln spiele, es um einen Einsatz geschieht, dessen Größe, gewinne ich ihn, das Schmähliche des Spiels ausgleichen wird. Nicht diese Summe Geldes ist es, wofür ich mich verkaufe, sondern das, wozu mir diese Summe verhelfen wird. Und bei der Heirath des jungen Hazeldean mit der Italienerin habe ich ein anderes, vielleicht noch wichtigeres Interesse. Ich habe in letzter Zeit darüber geträumt – jetzt bin ich dazu erwacht. Bringen Sie diese Heirath zu Stande, lassen Sie sich das Postobit von Hazeldean geben, und wie es auch mit dem zunächstliegenden Plane, für welchen Sie meine Dienste suchen, gehen mag, zählen Sie auf meine Dankbarkeit, und seien Sie überzeugt, daß Sie mich in den Stand gesetzt haben werden, meine Dankbarkeit nutzbringend zu machen. Um acht Uhr werde ich bei Ihnen sein.«

Randal verließ das Zimmer.

Der Baron blieb nachdenkend sitzen. »Es ist wahr,« sagte er zu sich selbst, »dieser junge Mann besitzt die nächste Anwartschaft auf die Hazeldean'schen Güter, wenn sich Frank seines Vaters Mißfallen in einer Weise zuzieht, daß er sein Erbe verliert; dies muß die Absicht des klugen Jungen sein. Gut, auf die Länge der Zeit werde ich wohl aus ihm so viel oder mehr machen, als aus dem Verschwender Frank. Frank's Fehler sind die der Jugend. Er wird sich bessern und einschränken. Aber dieser Mann! Nein, ihn habe ich für's Leben. Und sollte ihm dieser Plan fehlschlagen und er nur jenes belastete Eigenthum sein nennen – ein Gutsbesitzer bis über die Ohren in Pfandschulden – ja, er ist mein Sklave, und ich kann ihn fallen lassen, sobald ich will, wenn er sich als unbrauchbar erweist; nein, ich riskire nichts. Und wenn dem so wäre – wenn ich zehntausend Pfund verlöre – was dann? Ich kann sie der Rache opfern! Opfern für die Wollust, Audley Egerton dem Mangel und Untergang Preis gegeben zu sehen, verlassen in der Stunde der Noth von demjenigen, der sein Brod gegessen, wie er von seinem letzten Jugendfreunde verlassen sein wird, wenn es mir genehm ist – mir, den er einen ›Schurken‹ genannt hat, und den er –«.

Levy's Selbstgespräch verstummte, denn der Diener trat ein, den Wagen zu melden. Und der Baron strich rasch mit der Hand über sein Gesicht, als wollte er alle Spuren der Leidenschaft wegwischen, welche dessen lächelnde Frechheit verzerrten. Und als er Rock und Handschuhe nahm, und in den Spiegel sah, waren die Züge des fashionabeln Wucherers wieder so glänzend, wie seine Stiefel.


Neunzehntes Kapitel.

Wenn sich ein gescheidter Mann zu einer niederträchtigen Handlung entschließt, so eilt er, durch das Mittel seines Verstandes das Gefühl seiner Niederträchtigkeit los zu werden. Mit mehr als gewöhnlichem Eifer verwendete Randal die nächsten Stunden auf Erkundigungen, in wie weit Baron Levy das Zeugniß verdiene, dessen er sich rühmte, und in wie weit sein Wort für ihn bindend sein dürfte. Er verfügte sich zu jungen Leuten, denen er ein besseres Urtheil hierüber zutraute, als Spendquick und Borrowell – junge Leute, die jenem fröhlichen Monarchen glichen, in so fern

»Sie nie ein thöricht' Wort gesprochen,
Und niemals etwas Klug's gethan.« Geflügeltes Wort des englischen Dichters John Wilmot, 2nd Earl of Rochester (1647-80) über Karl II. von England.

Solche junge Leute gibt es viele in London – streng und tüchtig in allem, nur nicht in ihren eigenen Angelegenheiten. Niemand kennt die Welt besser und beurtheilt einen Charakter richtiger, als ein halbverarmter roué. Alle diese sprachen sich über Baron Levy so ziemlich in gleicher Weise aus: man machte sich lustig über sein Bemühen, den Stutzer zu spielen, aber man achtete ihn als sehr verläßlichen Geschäftsmann und hatte ihn sogar gerne als eine freundschaftlich entgegenkommende Spielart aus der Sippe des Sir Epikur Mammon.

»Kurz,« sagte einer dieser erfahrenen Schiedsrichter, »er ist der beste Bursche, den es gibt – für einen Geldverleiher! Sie können sich vollständig auf das verlassen, was er verspricht, und er ist im Allgemeinen sehr schonend und nachsichtig gegen uns aus der guten Gesellschaft – vielleicht aus demselben Grunde, aus welchem es unsere Schneider sind: Einen von uns in den Schuldthurm zu schicken, würde seiner Kundschaft schaden. Seine Schwäche ist, für einen Gentleman gehalten zu werden. Ich glaube, so sehr er zweifelsohne das Geld liebt, er würde lieber die Hälfte seines Vermögens hingeben, als etwas thun, was uns berechtigen könnte, ihn zu ignoriren. Er bewilligt Lord S*** eine jährliche Pension von dreihundert Pfund. Ganz richtig; er war zwanzig Jahre lang sein Geschäftsführer, und vorher gehörte S*** zu den vermöglichen Leuten und hatte fünfzehntausend jährlich zu verzehren. Er hat auch manchem gescheidten jungen Manne vorwärts geholfen; – der beste Erbgüterhändler, der mir vorkam. Er hat gerne Freunde im Parlamente. Im Grunde ist er natürlich ein Spitzbube; wenn man aber einen Spitzbuben braucht, so kann man keinen liebenswürdigeren finden. Ich möchte ihn auf der französischen Bühne sehen – als Macaire Robert Macaire war ein populäre literarische Figur, erschaffen von Benjamin Antier und von dem Schauspieler Frédérick Lemaître verkörpert, in dem Schaupiel »L'Auberge des Adrets« (1823); sie wurde von dem Karikaturisten Honoré Daumier als Typus des Schwindlers verwendet. im Glücke. LeMaître könnte ihn nach dem Leben copiren.«

Nachdem Randal die Auskunft, welche ihm in den fashionableren Kreisen geworden war, mit seinem gewöhnlichen Takt einer genauern Prüfung unterzogen hatte, wandte er sich an eine weniger vornehme Quelle, der er jedoch mehr Bedeutung beilegte. Dick Avenel verkehrte mit dem Baron – Dick Avenel mußte in seinen Krallen sein. Nun ließ Randal der praktischen Schlauheit dieses Gentlemans Gerechtigkeit widerfahren. Ueberdies war Avenel vermöge seines Berufes ein Geschäftsmann. Er mußte von Levy mehr wissen, als jene Männer, die nur ihrem Vergnügen lebten; und da er kein Blatt vor den Mund zu nehmen pflegte und allem nach ehrlich war, im gewöhnlichen Sinne des Wortes, so zweifelte Randal nicht, daß er aus ihm die Wahrheit herausbringen werde.

Als Randal in Eaton Square angelangt war und nach Mr. Avenel frug, wurde er sofort in das Besuchzimmer gewiesen. Das Gemach verrieth keinen so guten, soliden kaufmännischen Geschmack, wie Avenel's bescheidenere Junggesellenwohnung in Screwstown. Jetzt war der Ehrenwerthen Mrs. Avenel Geschmack maßgebend, und, die Wahrheit, zu sagen, konnte kein Geschmack schlechter sein. Möbel aus allen Zeitaltern in buntem Durcheinander zusammengestellt – hier ein Sopha à la renaissance in Gobbelin – dort eine Rosenholz-Console von Gillow – ein nachgemachter hoher Elisabethstuhl aus schwarzem Eichenholz neben einem modernen Florentinertisch mit Marmormosaik. Alle Arten von Farben im Zimmer und lauter Farben, die sich gegenseitig wehe thaten. Sehr schlechte Copien weltberühmter Gemälde in den prächtigsten Rahmen und, ohne sich zu schämen, die Namen ihrer gemordeten Originale tragend: »Raphael«, »Correggio«, »Titian«, »Sebastian del Piombino.« Aber alles das hatte viel Geld gekostet und sollte demgemäß bewundert werden.

Mrs. Avenel saß auf ihrem Sopha à la renaissance, mit einem ihrer Kinder zu ihren Füßen, welches damit beschäftigt war, einen neuen Kalender, in carmesinrothe Seide gebunden, zu lesen. Mrs. Avenel saß da, als sollte sie eben portraitirt werden.

Die vornehme Gesellschaft ist, wenn es sich darum handelt, ob Jemand aufgenommen werden soll oder nicht, sehr launisch. Viele sehr gemeine Personen haben in der beau monde festen Fuß gefaßt; Andere mit allen Ansprüchen der Geburt, des Vermögens u. s. w. werden entweder strenge ausgeschlossen, oder dürfen nur aus der Ferne zusehen.

Die Ehrenwerthe Mrs. Avenel gehörte durch ihren Stammbaum und ihre erste Heirath unbestreitbar edeln Familien an; und wenn sie früher Armuth hinderte, gehörig aufzutreten, so fehlte es ihr jetzt wenigstens nicht an Reichthum, um ihren Ansprüchen Nachdruck zu geben. Dennoch verweigerten alle tonangebenden Persönlichkeiten der Ehrenwerthen Mrs. Avenel einstimmig ihre Unterstützung. Man hätte glauben können, es sei dies nur auf Rechnung ihres plebejischen Gatten zu setzen; allein dem war in Wirklichkeit nicht so.

Eine Frau von hoher Familie kann oft einen Mann von niederer Abkunft, der nicht halb so viel vorstellt, wie Avenel, heirathen und mit Hülfe seines Geldes die seine Welt sich zu Füßen legen. Aber Mrs. Avenel verstand diese Kunst nicht. Sie war noch immer eine sehr schöne, stattliche Frau; und was ihre Toilette betraf, so konnte keine Herzogin verschwenderischer sein.Vielleicht hatten gerade diese Momente ihrem Ehrgeize entgegen gewirkt; denn so ein ruhiges, einfaches Weibchen, das keinen Neid hervorruft, schlüpft in die Coterien hinein, während eine schöne, sich brüstende Dame – die, wenn sie sich einmal in einem Salon gezeigt hat, so wenig übersehen werden kann, wie die scharlachrothe Klatschrose in einem Veilchenbeet – ziemlich sicher sein kann, ebenso unbarmherzig ausgejätet zu werden, wie die genannte rothe Blume.

Mr. Avenel saß mißvergnügt beim Feuer, die Hände in der Tasche und vor sich hinpfeifend. Die Wahrheit zu sagen, fühlte sich sein thätiger Geist in London höchst gelangweilt, wenigstens während der ersten Hälfte des Tages. Er begrüßte Randal's Eintritt mit einem Lächeln der Erleichterung, und indem er sich erhob und vor das Feuer stellte, einen Rockflügel unter jedem Arm, ließ er Randal kaum Zeit, Mrs. Avenel die Hand zu drücken und dem Kinde den Kopf zu streicheln, während er murmelte: »Schönes Wesen.« (Randal war stets freundlich gegen Kinder – diese Wölfe in Schafskleidern sind es immer – laßt euch nicht dadurch fangen, ihr thörichten jungen Mütter!) Dick, sage ich, ließ seinem Besuche kaum Zeit zu diesen Bewillkommnungshöflichkeiten, sondern stürzte sich, Kind und Gattin vollständig bei Seite setzend, sogleich in das Meer der Politik.

»Die Dinge nehmen jetzt ihren richtigen Gang – eine nichtswürdige Oligarchie war dem Untergang verfallen. Britische Achtbarkeit und britisches Talent kommen wieder zu Ehren.«

Wer ihn hörte, hätte denken können, der Tag für den Beginn des tausendjährigen Reiches Siehe Anm. 259. sei bereits festgesetzt!

»Und was mehr heißen will,« fuhr Avenel fort, indem er die Faust seiner rechten Hand auf die Fläche seiner Linken brachte, »wenn es ein neues Parlament gibt, so müssen wir neue Männer haben; keine abgenützte alte Besen, welche nie rein fegen, sondern Männer, die das Land zu regieren verstehen, Sir. Ich beabsichtige, selbst hinein zu kommen!«

»Ja,« sagte Mrs. Avenel, endlich eine Bemerkung anbringend, »ich bin überzeugt, Mr. Leslie, Sie werden mir Recht geben. Ich habe Mr. Avenel zugesprochen, bei seinen Talenten und seinen Mitteln um des Vaterlandes willen ein Opfer zu bringen; und dann wissen Sie ja, seine Ansichten sind jetzt ganz in der Mode, Mr. Leslie; früher hätte man sie anstößig und – gemein genannt!«

Bei diesen Worten blickte sie mit zärtlichem Stolze in Dick's schönes Antlitz, welches aber in diesem Augenblicke einen finstern und mürrischen Ausdruck zeigte. Ich darf nicht verschweigen, daß Mrs. Avenel, wenn sie auch in manchen Dingen eine schwache und einfältige, in andern eine kluge Frau war, doch im Ganzen den Namen einer guten Gattin verdiente. Man trifft dies gewöhnlich bei Schottländerinnen.

»Dummes Zeug!« sagte Dick. »Was verstehen Weiber von Politik. Ich wollte, du gäbest auf das Kind Acht; es zerknittert und zerreißt das Firlefanzbuch da nach allen Richtungen, und es hat mich doch ein Pfund und einen Schilling gekostet.«

Mrs. Avenel senkte unterwürfig das Haupt und nahm den Kalender aus den Händen des jungen Zerstörers; der Zerstörer schlug ein Geschrei auf, wie alle Zerstörer, wenn man ihnen nicht ihren Willen läßt. Dick fuhr mit der Hand nach den Ohren.

»Hui–i–i–i, das halte ein Anderer aus; kommen Sie, Leslie, wir wollen einen Gang machen; ich muß mich strecken!« und während er sprach, streckte er sich, zuerst bis halb an die Decke hinauf und dann glücklich zur Thüre hinaus.

Randal wandte sich gegen Mrs. Avenel mit einer achtungsvollen Verbeugung, welche gleichsam für Mr. Avenel und ihn um Entschuldigung zu bitten schien.

»Armer Richard!« sagte sie. »Er hat eine seiner Launen – alle Männer haben welche. Sehen Sie bald wieder nach mir. Wann werden die Abende bei Almack's Siehe Anm. 280. ihren Anfang nehmen?«

»Nun, das muß ich Sie fragen, Sie, die alles wissen, was in unsern Kreisen vorgeht,« sagte die junge Schlange.

Jeder in »unsere Kreise« gepflanzte Baum, und wäre es auch nur ein Holzapfelbaum gewesen, hätte Mr. Avenel's Eva verlockt, auf seine Zweige loszustürzen.

»Werden Sie endlich kommen?« rief Dick unten von der Treppe her.


Zwanzigstes Kapitel.

» Ich komme eben von unserem Freunde Levy, sagte Randal, als er und Dick auf der Straße angelangt waren. »Er steckt, wie Sie, voll Politik – ein liebenswürdiger Mann – für das Geschäft, das er betreiben soll.«

»Ja,« versetzte Dick langsam, »ich glaube, er ist liebenswürdig, hat aber auch seinen Vortheil davon – und dennoch –«

»Dennoch – mein theurer Avenel?« (Es war das erste Mal, daß Randal das förmliche »Mister« wegließ.)

Mr. Avenel. – »Dennoch liebe ich die Sache selbst durchaus nicht.«

Randal (mit seinem sanften, falschen Lachen). – »Sie meinen das Geldleihen zu mehr als fünf Prozent!«

»O, zum Kukuk mit den Prozentgeschichten. Was Bentham über die Wuchergesetze sagt, ist mir aus der Seele gesprochen – nur keine Fesseln im Handel, mit Geld oder mit anderen Dingen. Das ist es nicht. Aber wenn man Jemandem Geld, auch nur zu zwei Prozent, schuldig ist, und es paßt Einem nicht, zu zahlen, so ist es eben doch beschämend; es nimmt Einem ganz die britische Freiheit!«

»Ich hätte gedacht, Sie würden Geld eher ausleihen, als entlehnen.«

»Wohl, als allgemeine Regel aufgestellt, mögen Sie Recht haben. Aber ich will Ihnen sagen, was es ist, Sir; die Konkurrenzwuth ist zu groß in diesem unseren faulen alten Lande. Ich bin so freisinnig, wie Einer. Ich liebe die Konkurrenz bis zu einer gewissen Ausdehnung, aber gegenwärtig ist deren zu viel, Sir – ja, zu viel!«

Randal sah betrübt und überzeugt aus. Aber wenn Leonard Dick Avenel gehört hätte, wie würde er gestaunt haben? Dick Avenel über Konkurrenz losziehen! Glauben, es könne deren zu viel sein! Natürlich, »Himmel und Erde gehen aus einander,« sagte die Spinne, als das Hausmädchen mit dem Besen in ihr Gewebe kam. Dick war es darum zu thun, andere Spinngewebe weg zu fegen; aber er hatte gewiß geglaubt, Himmel und Erde gehen auseinander, als er sah, wie ein großer Reisigbesen an sein eigenes Gewebe pochte.

Mr. Avenel hatte mit seinem Spekulations- und Verbesserungstalente in Screwstown eine Fabrik errichtet, die erste, welche je mit ihrem titanischen Kamine den Kirchthurm verdunkelte. Anfangs ging sie gut. Mr. Avenel steckte nahezu all' sein Kapital in das Unternehmen.

»Nichts,« behauptete er, »trage solche Zinsen. Manchester fange an, sich abzunützen – Zeit, zu zeigen, was Screwstown leisten könne. Nichts über Konkurrenz.« Aber mit der Zeit machte ein noch größerer Kapitalist, als Dick Avenel, ausfindig, daß Screwstown an der Mündung einer Kohlenmine lag, sowie daß Dick mit großem Nutzen arbeitete, und baute ein noch häßlicheres Gebäude mit einem noch höheren Kamine. Und da er in diesem Geschäftszweig aufgewachsen war und in der Stadt selbst seinen Wohnsitz nahm, während Dick einen Faktor hielt und in London den großen Herrn spielte, so brachte es dieser schändliche Konkurrent dahin, daß der Nutzen, welchen Dick bisher allein gezogen hatte, zuerst theilweise und nach und nach ganz in seinen Beutel floß. Es war deßhalb kein Wunder, wenn Mr. Avenel die Konkurrenz nur innerhalb bestimmter Grenzen liebte. »Die Zunge stößt an, wo der Zahn schmerzt,« würde Doctor Riccabocca sagen.

Allmälig lockte unser jugendlicher Talleyrand Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754-1838), einer der bekanntesten französischen Staatsmänner und Diplomat in allen Regimen seiner Zeit (Revolution, Napoleon, Restauration, Juli-Monarchie) hohe Ämter; Inbegriff des politischen Opportunismus. (ich bitte den älteren großen Mann um Verzeihung) aus Dick seinen Kummer heraus und erkannte in diesem Kummer die Veranlassung zu seiner Verbindung mit dem Geldverleiher.

»Aber Levy,« sagte Avenel aufrichtig, »ist ein anständiger Bursche in seiner Art, und auch freundschaftlich. Mrs. Avenel findet ihn nützlich; bringt welche von Ihren jungen Hochnasen in ihre soirées. Freilich, mit dem Tanzen befassen sie sich nicht – stehen alle in Einer Reihe an der Thüre, wie Stumme bei einem Begräbniß. Nicht, daß sie nicht ungewöhnlich höflich gegen mich in letzter Zeit gewesen wären – besonders Spendquick. Nebenbei bemerkt, ich speise morgen bei ihm. Die Aristokratie ist zurück – nicht gerieben, Sir – nicht marschbereit; aber wenn man sie zu behandeln weiß, so stehen sie in guten Manieren über den New-Yorkern. Das muß ich ihnen nachsagen. Ich hege keine Vorurtheile.«

»Nie sah ich Jemand, der weniger hätte; nicht einmal gegen Levy ein Vorurtheil!«

»Nein, keine Spur davon! Jedermann sagt: er ist ein Jude; er sagt, er sei keiner. Ich kümmere mich keinen Knopf darum, was er ist. Sein Geld ist englisches Geld – das genügt für einen Mann von freisinniger Geistesrichtung. Seine Provisionen sind auch müßig. Natürlich weiß er, daß ich ihn bezahlen werde; nur Eines gefällt mir nicht an ihm: er hat so eine Art, mit › mon cher‹ und ›mein guter Freund‹ um sich zu werfen und Dinge herein zu mischen, die nicht zu solchen Geschäften gehören. Er weiß, ich habe in Parlamentssachen Einfluß. Ich könnte ein Paar Mitglieder für Screwstown und eines oder vielleicht zwei für Lansmere stellen, wo ich mir in letzter Zeit Ansehen zu verschaffen wußte; und er diktirt mir – nein nicht diktirt – sondern versucht, mich zu beschwindeln, daß ich seine eigenen Leute hineinbringen solle. Indessen könnten wir uns in Einem Punkte verständigen. Er sagt, Sie möchten in's Parlament kommen. Sie scheinen mir ein geriebener junger Bursche; Sie müssen aber den steifen Kanzleimenschen über Bord werfen und mit der öffentlichen Meinung gehen und mit mir.«

»Sie sind sehr gütig, Avenel; vielleicht wenn wir einmal unsere Ansichten vergleichen, so finden wir, daß wir ganz übereinstimmen. Indessen gebietet mir bei Egerton's gegenwärtiger Stellung das Zartgefühl – übrigens lassen wir das jetzt. Aber glauben Sie wirklich, ich hätte Aussicht für Lansmere – noch dazu gegen L'Estrange's Einfluß, welcher dort groß sein muß?«

»Er war sehr groß, aber ich habe ihn gebrochen, schätz' ich.«

»Würde ein Wahlkampf sehr viel kosten?«

»Hm, mit Baarem müßten Sie wohl herausrücken. Aber, wie Sie sagen, Zeit genug, darüber zu sprechen, wenn Sie Ihre Rechnung mit dem ›Zartgefühl‹ in's Reine gebracht haben; kommen Sie dann zu mir, und wir wollen uns dahinter machen.«

Randal der jetzt die Citrone ausgedrückt hatte, empfand keine Lust, seine Zeit damit zu vergeuden, daß er die Schale mit dem Rockärmel abwischte; er zog deßhalb seinen Arm aus dem Avenel's, sah auf seine Uhr und entdeckte, daß es höchste Zeit sei für eine Bestellung wegen einer sehr dringenden Angelegenheit. Er rief ein Cabriolet an und fuhr rasch von dannen.

Dick sah kreuzlahm und trostlos aus, so allein gelassen zu werden; er gähnte sehr laut, zum Entsetzen von drei gezierten alten Jungfern von Belgrave, die des Wegs kamen; und dann wanderte sein Geist zu der Fabrik in Screwstown, die zu seiner Verbindung mit dem Baron geführt hatte; und er dachte über einen Brief von seinem Faktor nach, der ihm diesen Morgen geschrieben hatte, es gehe in Screwstown das Gerücht, daß Mr. Dyce s Kapitalismus als ein Konsortium von Glücksspielern., sein Nebenbuhler, nächstens eine neue Maschine nach verbesserten Grundsätzen bekommen werde; auch habe sich Mr. Dyce bereits nach London aufgemacht, wie man glaube, in der Absicht, eine patentisirte Erfindung für seine neue Maschine anzukaufen, mit welcher er, wie dieser Gentleman auf dem Kornmarkte öffentlich erklärt habe, »Mr. Avenel, noch ehe das Jahr um sei, zur Schließung seiner Fabrik zwingen werde.«

Bei der Erinnerung an diese bedrohliche Epistel verging Dick plötzlich die Lust, zu gähnen. Finster zogen sich seine Brauen zusammen; und er ging mit rastlosen Schritten fort und fort, bis er den Strand erreichte. Hier setzte er sich in einen Omnibus und fuhr nach der City, woselbst er den Rest des Tages damit zubrachte, Maschinen und Gießereien anzusehen und sich vergebens den Kopf zu zerbrechen, welcher teuflischen Erfindung die ihn überholende Konkurrenz des Mr. Dyce sich bemächtigt hatte.

»Wenn,« sagte Dick Avenel zu sich selbst, als er ärgerlich nach Hause zurück kehrte – »wenn ein Mann, wie ich, der so viel für britische Industrie und für den Fortschritt gethan hat, mit Haut und Haar von einem feilen, selbstsüchtigen Vielfraß von Kapitalisten, wie dieser dickköpfige Eindringling in seinen schmutzigen Hosen, Tom Dyce, aufgefressen wird, so sage ich gar nichts, als: je bälder dieses verwünschte alte Land zum Teufel geht, je besser. Ich wasche meine Hände in Unschuld.«


Einundzwanzigstes Kapitel.

Randal's Entschluß stand fest. Alles, was er über Levy erfahren, hatte ihn in seinem Vorhaben bestärkt, beziehungsweise seine Bedenken zerstreut. Daß ihm Peschiera für eine Mittheilung oder Hülfe, die zur Förderung der Pläne desselben dienen konnte, zehntausend Pfund anbieten oder gar bezahlen würde, hatte er für im höchsten Grade unwahrscheinlich gehalten. Aber wenn Levy solche Vorschläge von sich aus machte, so wurde für Randal die Hauptfrage die: Konnte es in Levy's Interesse liegen, ein so beträchtliches Opfer zu bringen? Hätte der Baron nur freundschaftliche Gefühle als Beweggründe angegeben, so würde Randal hierin nur eine ihm gelegte Falle erblickt haben; aber des Wucherers offene Versicherung, daß die von ihm an Randal gemachten vorteilhaften Zugeständnisse über kurz oder lang auch für ihn ihre Früchte tragen würden, änderte den Fall und ließ unserem jungen Philosophen eine ruhige Ueberlegung der Sache räthlich erscheinen. Lag es hinreichend nahe, daß Levy auf eine entsprechende Entschädigung zählte? Konnte er darauf rechnen, die Hülfe in Scheffeln zu ernten, wenn er sie handvollweise säte?

Das Ergebniß von Randal's Erwägungen war, daß der Baron den Namen eines verschwenderischen Sämanns nicht verdiene. Für's Erste war es klar, daß Levy nicht ohne vernünftigen Grund annahm, es werde sich bald jede an Randal vorgeschossene Summe aus dem Reichthume, der durch Randal's zweckdienliche Mittheilung Levy's Klienten, dem Grafen, zufalle, mit ungewöhnlich hohen Zinsen bezahlt machen; und zweitens hatte Randal eine außerordentlich große Meinung von sich selbst: wenn er sich nur wenigstens für den Augenblick pekuniäre Unabhängigkeit sichern konnte und damit der mühsamen Plackerei vor den Gerichtsschranken oder der Nothwendigkeit, auf gut Glück Audley Egerton, einem Staatsmanne ohne Amt, zu vertrauen, entging, so konnten ihm rasche Triumphe im öffentlichen Leben gar nicht fehlen – davon war er so fest überzeugt, als hätte es ihm ein Engel zugeflüstert oder der Böse versprochen. Angesichts solcher Triumphe und der damit verbundenen gesellschaftlichen Stellung konnte Levy mit Recht in Aussicht nehmen, mittelbar auf tausenderlei Wegen wieder zu seinem Gelde zu kommen.

Randal's Scharfsinn entging es nicht, daß der Wucherer bei allen ihm zugeschriebenen gutmüthigen oder großherzigen Handlungen sein eigenes Interesse fest im Auge behalten hatte – er sah, daß ihn Levy in seine Gewalt bringen wollte, um seine Fähigkeiten als Werkzeug zum Graben neuer Minen zu benützen, von denen der Baron ausgedehnte Regalien in Anspruch nehmen würde. Aber bei diesem Gedanken krümmte Randal verächtlich die blassen Lippen; er vertraute zu sehr seiner eigenen Kraft, um nicht überzeugt zu sein, daß er dem Griffe des Wucherers, sobald es ihm gefiele, ausweichen könnte.

Alle diese Betrachtungen zusammen genommen beschwichtigten die Stimme seines Gewissens und erfüllten sein Gemüth mit glänzenden Bildern der Zukunft. Er sah sich wieder im Besitze seiner Familiengüter – einerlei, wie viel Pfandschulden darauf ruhten – für den Moment jedenfalls sein eigen – gesetzmäßig sein eigen mit einer, für bescheidene Bedürfnisse ausreichenden Rente – und sein Name von dem Titel eines Abenteurers befreit, welchen man in reichen alten Ländern so freigebig allen Denjenigen beilegt, die keine andere Besitztümer haben, als ihren Verstand.

Er dachte an Violante, aber nur, wie der civilisirte Krämer an eine unbedeutende Münze, an eine Glasperle denkt, die er an irgend einen Wilden gegen Goldstaub vertauscht – er dachte sich Frank Hazeldean an die Ausländerin von dürftigen Mitteln und zweifelhaftem Rufe verheirathet und von dem Gelde lebend, welches er auf das Casinogut für den Fall des Todes seines Vaters aufgenommen – er dachte an die gekränkten Gefühle des armen Squire's und seine Habsucht umfaßte außer den Rood'schen Ländereien bereits die umfangreichen Hazeldean'schen Güter – er dachte an Avenel, an Lansmere, an das Parlament – mit der einen Hand haschte er nach Geld, mit der andern nach Macht.

»Und doch trat ich in's Leben ohne ein anderes Erbgut (außer einer verfallenen Halle und einer unfruchtbaren Wüste) – ohne ein anderes Erbgut, als mein Wissen. Ich habe nur das aus Büchern gezogene Wissen auf die Menschen angewendet; denn Bücher sind wohl ein Mittel zu Berühmtheit nach dem Tode, die Menschen aber das Mittel zur Macht im Leben.«

Und während er solchen Gedanken nachhing, ließ er dem gefaßten Entschlusse schnelles Handeln folgen. Obgleich es nur ein erbärmliches Miethcabriolet war, in welchem er lustige Gerüste um seine Luftschlösser errichtete, so flog doch das erbärmliche Miethcabriolet rasch dahin, ihm den ersten Fuß sicheren Bodens zur Uebertragung des geistigen Entwurfs des Baumeisters auf eine Basis von wirklichem Kalk und Mörtel zu gewinnen.

Das Cabriolet hielt vor Lord Lansmere's Hause. Randal hatte Violante hier vermuthet; er beschloß, sich darüber zu vergewissern. Er stieg aus und läutete. Der Portier öffnete die großen hölzernen Thore.

»Ich wollte die junge Dame sprechen, welche hier zu Besuch ist – die fremde junge Dame.«

Lady Lansmere hatte, im Vertrauen auf die Sicherheit ihres Daches, sich nicht herabgelassen, ihren Leuten hinsichtlich ihres Gastes Befehle zu geben, und der Portier antwortete der Wahrheit gemäß:

»Zu Hause, so viel ich weiß, Sir – oder vielmehr im Garten bei der gnädigen Frau.«

»Ich sehe,« sagte Randal. Und er bemerkte wirklich Violanten's Gestalt in einiger Ferne. »Aber da sie auf einem Spaziergang begriffen ist, so will ich jetzt nicht stören. Ich will an einem andern Tag wieder kommen.«

Der Portier verbeugte sich achtungsvoll, Randal sprang in seinen Wagen – »nach Curzon Street – rasch!«


Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Harley hatte in der Berufung an das Bessere und Edlere in Beatricen's Wesen, mit welcher er Leonard betraut hatte, eine Hauptsache übersehen. Der Plan, der an sich Harley's romantischem Gemüthe und, ob weise oder thöricht, seiner nachsichtigen Theorie über menschliche Eigenschaften im Allgemeinen und über die von Beatrice di Negra insbesondere durchaus entsprach, war der Traum eines Schwärmers oder die Schlußfolgerung eines ächten Philosophen. Harley hatte Leonard gewarnt, sich in die Italienerin zu verlieben – er hatte vergessen, die Italienerin zu warnen, daß sie sich nicht in Leonard verliebe; an diese Möglichkeit hatte er überhaupt gar nicht gedacht.

Man darf sich hierüber nicht zu sehr wundern; denn wenn es etwas gibt, worin die verständigsten Männer kurzsichtig sind, sofern nicht Eifersucht ihren Blick schärft, so ist dies die Wahrscheinlichkeit, daß ein anderes männliches Wesen geliebt werden könne. Alle, selbst die wenigst eiteln des backenbärtigen Geschlechtes, finden es räthlich, sich dem schönen Geschlechte nicht allzu unwiderstehlich zu machen; und Jeder sagt von seinem Freund: »ein ganz guter Junge, aber der Letzte, in den sich diese Frau verlieben wird!«

Allerdings war bei oberflächlicher Betrachtung Harley's Blindheit in Leonard's Falle mehr als sonst zu entschuldigen.

Worin auch Beatricen's bessere Eigenschaften bestehen mochten, für weltlich und ehrgeizig hielt man sie allgemein. Sie war in drückenden Verhältnissen und liebte Ueppigkeit und Verschwendung – wie ließ sich erwarten, daß sie einen Freier von geringem Stande und Vermögen, wie den jungen Schriftsteller aus dem Bauernstande, auszeichnen werde? Gefallsucht mochte ihr vielleicht Bewunderung von seiner Seite und Bestrickung seiner Phantasie wünschenswerth erscheinen lassen; aber ihr Herz würde sicherlich gewappnet sein mit dem dreifachen Panzer des Stolzes, der Armuth und der herkömmlichen Ansichten der Welt, in welcher sie lebte.

Hätte es Harley für möglich gehalten, daß Madame di Negra von ihrer Stellung heruntersteigen und einer zwar unklugen, aber wirklichen Liebe Raum geben könnte, so hätte er den Gegenstand derselben eher in irgend einem glänzenden fashionablen Abenteurer gesucht, der alle Eroberungskünste und alle seine durch häufige Siege gewonnene Erfahrung gegen sie kehren würde. Und Leonard – so einfach, so jung und so unerfahren! Harley L'Estrange hätte über sich selbst gelächelt, wenn der Gedanke auch nur flüchtig in ihm aufgestiegen wäre, ein solches Wesen könnte die ehrgeizige Frau der uneigennützigen Liebe eines Dorfmädchens unterthan machen. Nichts desto weniger war es so, und zwar aus denselben Gründen, welche in Harley's Augen eine solche Schwäche zu verbieten schienen.

Was Beatrice bei dem ersten Zusammentreffen mit Leonard fesselte, war eben dieses frische, reine Herz, diese einfache, ernste Anmuth, dieser Gegensatz im Blick, Ton, Gefühl und Gesinnungen zu allem, was sie in dem Kreis ihrer Bewunderer ermüdet und zurück gestoßen hatte. Hier stand der Gegenstand ihrer Träume und Seufzer, wie sie ihn dem skeptischen Randal beschrieben hatte, vor ihr. Ihre frühste Jugend war in einem verhaßten Ehebund dahingeschwunden ohne die sanfte unschuldige Krisis des menschlichen Lebens – die Liebe der Jungfrau. Mancher Anbeter mochte ihrer Eitelkeit, ihrer Phantasie schmeicheln oder ihren Ehrgeiz reizen – ihr Herz war nie geweckt worden. Jetzt wachte es auf. Die Welt und die Jahre, die ihr die Welt geraubt hatte, schienen wie eine Wolke ihren Blicken zu entschwinden. Das Erröthen und das Seufzen der Jugend – der Jugend des italienischen Mädchens war ihr wieder zurückgegeben. Wie sich das goldene Zeitalter für uns Alle mit einem poetischen Zauber umgibt, so wirkte auf sie der Zauber des Dichters selbst.

O wie köstlich war diese kurze Episode in dem Leben der Frau, welche die »käuflichen Scenen und Klänge« des weltlichen Lebens satt hatte! Wie wunderbar selig waren die Stunden, in denen der junge Dichter, aufgemuntert durch ihre stumme Sympathie, von seinen frühen Kämpfen des inneren Dranges mit den Umständen erzählte, voll den Blumen und den plätschernden Springbrunnen, die Zeuge seines Sinnens gewesen, oder von seinen Wanderungen in dem Lampenscheine der verlassenen Straßen, während ihn Chatterton's Augen schrecklich durch die freundlosen Schatten anstierten.

Und als er so von seinen Hoffnungen oder seinen Befürchtungen sprach, verweilte ihr Blick zärtlich auf den jugendlichen Zügen, welche bald edeln Stolz, bald rührende Wehmuth ausdrückten. Sie wurde nie müde, diese Stirne mit ihrer ruhigen Kraft zu betrachten; aber ihre Lider senkten sich vor diesen Augen voll sanfter, unerforschlicher Gluth. Sie fühlte, was es Tiefes und Heiliges um die Liebe in solchen Seelen sein müsse.

Nie sprach Leonard mit ihr von Helene – jeder Leser wird diese Zurückhaltung begreifen. Für Naturen, wie die seinige, ist die erste Liebe ein Geheimniß; es Dritten zu vertrauen, wäre Entweihung. Aber er erfüllte seinen Auftrag, sie für den Verbannten und dessen Tochter zu interessiren. Seine Schilderung derselben brachte Thränen in ihre Augen. Sie beschloß in ihrem Inneren, Peschiera in seinen Anschlägen auf Violante nicht zu unterstützen. Sie vergaß für den Augenblicke daß ihr eigenes Vermögen von dem Gelingen dieser Anschläge abhing.

Levy hatte es so eingerichtet, daß sie nie durch Gläubiger an ihre Armuth erinnert wurde. Wie dies zuging, wußte sie nicht; denn sie verstand von Geschäften nichts. Sie gab sich ganz, der Wonne der gegenwärtigen Stunde und unbestimmten Aussichten auf die Zukunft hin, mit welchen sich jenes jugendliche Bild mit dem Antlitz eines Schutzengels verflocht, das sie stets, und am schönsten in seiner Abwesenheit, vor sich sah; in solchen Augenblicken lebte sie ein Feenleben, wenn sie ihre Augen der Welt verschloß und durch den Nebel goldener Träume schaute.

Gefährlich in der That hätte Leonard Beatrice di Negra's Hingebung werden können, wäre nicht sein Herz nur einem einzigen Gegenstande geweiht, und sein Ideal von Weiblichkeit ausschließlich und untheilbar in diesem Gegenstande verwirklicht gewesen. Aber Beatrice ahnte nicht die Schranke, die ihn von ihr schied. Unter den Schatten, welche er aus seinem vergangenen Leben heraufbeschwor, bemerkte sie nicht die Gestalt einer Nebenbuhlerin. Einsam sah sie ihn in der Welt, wie sie selbst es war. Und bei seiner niedrigen Geburt, seiner Jugend und seiner Anspruchslosigkeit in allen Dingen, mit Ausnahme der jedem Genie inne wohnenden Zuversicht in seine geistige Bestimmung, machte sie die Ueberzeugung, daß er, selbst wenn er sie liebte, sich zu einem Geständniß nicht erdreisten würde, nur um so kühner.

Und so ließ sie sich eines Tages wieder, wie immer, von ihrem raschen italienischen Blute hinreißen und sprach sich aus – wie, in welchen Worten, erinnerte sie sich nie mehr – sie gestand ihre Liebe – sie flehte unter Thränen und Erröthen um Gegenliebe. Was hiebei vorging, war ihr alles wie ein Traum, aus welchem sie erwachte mit dem Gefühle bitterster Pein und tiefster Demüthigung – erwachte als das »verschmähte Weib.« Gleichviel, wie dankbar, wie zart ihr Leonard geantwortet hatte – die Antwort war eine abweisende.

Zum ersten Male erfuhr sie, daß sie eine Nebenbuhlerin hatte, daß alle Liebe, die er geben konnte, schon lange, von seinen Knabenjahren an, einer Andern gegeben war. Zum ersten Male in ihrem Leben lernte diese feurige Natur Eifersucht kennen mit ihren marternden Stacheln, ihrem Durst nach Rache und ungestüm liebenden Hasse. Aber dem äußeren Anschein nach stand sie stumm und kalt da, wie Marmor.

Worte, die zu beruhigen suchten, trafen taube Ohren; sie wurden von dem inneren Sturme übertönt. Stolz war das erste Gefühl, welches in dem Kampf der wüthenden Elemente die Oberhand gewann. Sie riß ihre Hand aus derjenigen, welche sie mit so treuer Verehrung gefaßt hielt. Sie hätte die Gestalt mit Füßen treten können, die vor ihr auf den Knien nicht um Liebe, sondern um Vergebung bat. Sie deutete mit der Geberde einer beleidigten Königin nach der Thüre. Sie wußte nichts mehr, bis sie allein war.

Jetzt durchzuckte sie plötzlich eine Vermuthung, wie sich die Eifersucht gewöhnlich aus allen menschlichen Wesen ein einziges heraussucht, um es zu fürchten und zu vernichten; und wenn auch diese Vermuthung oft unrichtig ist, so wird ihr doch durch die Kraft der eigenen Ueberzeugung sogleich der Stempel innerer Wahrheit aufgedrückt.

Er, zu dem sie sich herunter gegeben hatte, liebte eine Andere – wen sonst, als Violante? Wen sonst, an Jugend und Schönheit ihr gleichend, hatte er in der Geschichte seines Lebens genannt? Keine Andere! Und er hatte es versucht, – sie, Beatrice di Negra, für den Gegenstand seiner Liebe zu interessiren – hatte auf Gefahren angespielt, die Beatrice nur zu gut kannte – hatte sein Vertrauen in Beatricen's Willfährigkeit, sie zu schützen, an den Tag gelegt. Blinde Thörin, die sie gewesen war!

Dies also war der Grund, warum er Tag für Tag in Beatricen's Haus gekommen war – dies der Zauber, der ihn dahin gezogen hatte, dies – sie drückte die Hände an ihre brennende Stirne, der Qual des Gedankens Einhalt zu thun. Plötzlich ließ sich unten eine Stimme vernehmen, die Thüre ging aus, und Randal Leslie trat ein.


Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Punkt acht Uhr hieß an jenem Abend Baron Levy seinen neuen Verbündeten, den er geworben hatte, bei sich willkommen. Das würdige Paar speiste tête à tête, allgemeine Gegenstände verhandelnd, bis sie die Diener bei ihrem Weine allein gelassen hatten. Dann sagte der Baron, indem er sich erhob und an das Kamin trat, kurz und bedeutungsvoll:

»Nun?«

»Was die Ländereien betrifft, von welchen Sie sprachen,« erwiderte Randal, »so bin ich bereit, sie unter den von Ihnen genannten Bedingungen zu kaufen. Was mich in Verlegenheit setzt, ist nur das Eine, daß ich nicht weiß, wie ich mich Audley Egerton, meinen Eltern, der Welt gegenüber hinsichtlich der Mittel, sie zu kaufen, ausweisen soll.«

»Wahr,« sagte der Baron, ohne auch nur ein Lächeln über die sinnreiche und ächt griechische Art und Weise, mit der Randal seine Meinung auszudrücken und über das häßliche derselben hinwegzugehen verstand. – »Wahr, wir müssen dies überlegen. Wenn wir es einrichten könnten, daß der Name des eigentlichen Käufers ein Jahr oder so verborgen bliebe – was nicht schwierig wäre – so könnte man unterstellen, Sie hätten in den Fonds speculirt. Oder stirbt Egerton in der Zwischenzeit, und die Leute glauben, er habe Ihnen aus den Trümmern seines Vermögens etwas Hübsches gerettet.«

»Wenig Aussicht auf Egerton's Tod.«

»Hm!« sagte der Baron. »Indessen bleiben diese Einzelnheiten späterer Ueberlegung vorbehalten. Sie können uns jetzt sagen, wo die junge Dame ist?«

»Gewiß. Diesen Morgen konnte ich es nicht – jetzt kann ich es. Ich will mit Ihnen zu dem Grafen gehen. Inzwischen habe ich Madame di Negra gesprochen; sie wird Frank Hazeldean's Hand annehmen, wenn er sie ihr gleich jetzt anbietet.«

»Will er nicht?«

»Nein! Ich war bei ihm. Meine Versicherungen machen ihn überglücklich, aber er hält es für seine Pflicht, die Einwilligung seiner Eltern zu erbitten. Natürlich werden sie dieselbe nicht geben, und wenn sich die Sache verzögert, wird Madame di Negra ihren Sinn ändern. Sie steht unter dem Einfluß von Leidenschaften, auf deren längeres Andauern man sich nicht verlassen kann.«

»Was für Leidenschaften? Liebe?«

»Liebe; aber nicht für Hazeldean. Die Leidenschaften, welche sie bewegen, seine Hand anzunehmen, sind Empfindlichkeit und Eifersucht. Sie glaubt, mit Einem Wort, daß Jemand, der sich auffallend rasch ihres Herzens bemächtigt zu haben scheint, für ihre Reize nur deßhalb blind sei, weil ihn die Violanten's geblendet haben. Sie ist darauf vorbereitet, bei allem zu helfen, was ihre Nebenbuhlerin Peschiera überliefern kann; und doch, so groß ist die Unbeständigkeit des Weibes,« (fügte der junge Philosoph mit Achselzucken bei) »daß sie auch darauf vorbereitet ist, jeder Hoffnung auf ihn, den sie liebt, zu entsagen, indem sie sich einem Andern gibt!«

»Das Weib, wie es leibt und lebt!« sagte der Baron, auf die Schnupftabaksdose (Louis Quinze) klopfend und seine Nasenflügel mit einer Prise der Verachtung labend. »Aber wer ist der Mann, den die schöne Beatrice so beehrt hat? Prächtiges Geschöpf! Halb und halb dachte ich selbst an sie, als ich ihre Schulden aufkaufte; aber es hätte mir wegen allgemeinerer Plane mit dem Grafen Ungelegenheiten machen können. Besser so, wie es ist. Wer ist der Mann? Nicht Lord L'Estrange?«

»Ich glaube nicht, bin aber noch nicht ganz sicher. Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Ich fand sie in einem so aufgeregten Zustande, so unähnlich ihrem sonstigen Wesen, daß es mich keine kleine Mühe kostete, nur so viel durch mein Zureden aus ihr heraus zu bringen. Mehr konnte ich nicht wagen.«

»Und sie will Frank's Hand annehmen?«

»Hätte er sie ihr heute angeboten, sie hätte ja gesagt!«

»Es kann Ihnen recht zu gute kommen, mon cher, wenn Frank Hazeldean diese Dame ohne seines Vaters Zustimmung heirathet. Vielleicht wird er enterbt; Sie sind der nächste Verwandte.«

»Woher wissen Sie das?« frug Randal finster.

»Es ist meine Pflicht, mich über die Aussichten und die Verbindung Derjenigen, mit welchen ich Geldgeschäfte mache, genau zu unterrichten. Ich mache mit dem jungen Mr. Hazeldean Geldgeschäfte und weiß deßhalb, daß die Hazeldean'schen Familiengüter kein Fideicommiß sind, und da des Squire's Halbbruder kein Hazeldean-Blut in sich hat, so stehen Ihre Aussichten vortrefflich.«

»Hat Ihnen Frank gesagt, daß ich sein nächster Verwandter bin?«

»Ich glaube so; aber jedenfalls sagten Sie es mir.«

»Ich? – Wann?«

»Als Sie mir auseinander setzten, wie wichtig es für Sie sei, daß Frank Madame di Negra heirathe. Peste! mon cher, glauben Sie, ich sei ein Dummkopf?«

»Nun, Frank ist volljährig und kann heirathen, wen er will. Wie Sie mir andeuteten, können Sie ihm hierin behülflich sein.«

»Ich will es versuchen. Sorgen Sie, daß er sich morgen präcis zwei Uhr bei Madame di Negra einfindet.«

»Ich möchte lieber jede offene Einmischung in dieser Sache vermeiden. Wollen Sie es nicht selbst einleiten, daß er bei ihr vorspricht?«

»Es soll geschehen. Noch etwas Wein? Nein – dann lassen sie uns zu dem Grafen gehen.«


Vierundzwanzigstes Kapitel.

Am anderen Morgen saß Frank Hazeldean bei seinem einsamen Frühstück. Mittag war längst vorüber. Der junge Mann hatte sich zwar früh erhoben, um seinen militärischen Pflichten nachzukommen, aber er hatte die Gewohnheit angenommen, spät zu frühstücken. Der Appetit kommt nicht so früh, wenn man in London lebt und nie vor Tages Anbruch zu Bett geht.

Von besonderer Verschwendung oder Verweichlichung war in Frank's Zimmern gerade nichts zu sehen, obgleich sie in einer sehr theuern Straße lagen und er eine ungeheure Miethe bezahlte. Ein geübtes Auge bemerkte aber recht wohl, daß der Bewohner derselben mit seinem Gelde fertig zu werden verstand, ohne daß es besonders auffiel. Die Wände waren mit Kupferstichen von Rennen und Rennpferden bedeckt, dazwischen Porträts von Operntänzerinnen – nichts, als Lächeln und Sprünge. Dann war da eine halbkreisförmige, mit rothem Tuch behangene Rauch-Nische, an verschiedenen Ständern voll türkischer Pfeifen mit Weichselrohr Tabakspfeifenrohr aus den wohlriechenden Zweigen der Weichselkirsche. und Bernsteinspitze erkennbar, während eine große, schlangenförmige Huka Indische Wasserpfeife., aus welcher Frank so wenig rauchen konnte, als aus dem Kopfe einer Boa Constrictor, zusammengerollt auf dem Boden lag. Ueber dem Kamine befand sich eine Sammlung von maurischen Waffen. Was in aller Welt ein Yatagan Osmanischer Säbel, nach der gleichnamigen Stadt im Südwesten der Türkei benannt. und ein türkischer Säbel und Damascener Pistolen, die auf keine drei Schritte sicher schoßen, einem Offizier in seiner Majestät Garde nützen konnten, ist mehr, als ich mir zusammenreimen kann und selbst Frank befriedigend zu erklären vermochte. Ich habe ihn stark im Verdacht, daß dieses schätzenswerthe Arsenal an Frank als Abschlagszahlung für einen zu discontirenden Wechsel überging. Kein Buch weit und breit, mit Ausnahme eines Hofwegweisers, eines Wettrennkalenders, einer Armeeliste, des vollständigen Sporting Magazins (ganz im scharlachrothen Maroquin gebunden, jeder Band etwa zu einer Guinee) und eines kleinen Buches in Taschenausgabenformat auf dem Kamine neben einer Cigarrenbüchse. Dieses kleine Buch hatte Frank mehr gekostet, als alles Andere zusammen; es war sein eigenes Buch, sein Buch par excellence, von ihm selbst angelegt – sein Wettenbuch.

Auf einem Tische mitten im Zimmer war Frank's wohlgebürsteter Hut ausgestellt, ein Kästchen von Atlasholz Hölzer verschiedener Abstammung, die an der geglätteten Schnittfläche sich durch einen auffallenden Atlasglanz auszeichnen und zumeist auch Zeichnungen und Schattierungen aufweisen., mit bockledernen Handschuhen in verschiedenen zarten Farben von lila bis zu hellgelb gefüllt – ein Körbchen voll Karten und dreieckigen Billetchen – ein Opernglas und ein elfenbeinernes Abonnementsbillet für seine Opernloge.

In einer Ecke befand sich eine sinnreiche Einrichtung zur Aufnahme von Spazier- und anderen Stöcken, sowie von Reitpeitschen (ich hätte in diesen schlechten Zeiten die Rechnung dafür nicht bezahlen mögen); davor standen ein Paar Stiefel Schildwache, so glänzend, wie diejenigen Baron Levy's – »des Glanzes Stärke konnt' nicht weiter gehen.« Travestie von Zeile 5 des Gedichts »Under the Portrait of Milton« des englischen Dichter John Dryden (1631–1700), in der es allerdings heißt: »The force of Nature could no further go«.

Frank war in seinem Morgenanzug – sehr guter Geschmack – ganz orientalisch als ächt indischer Caschmir garantirt und eben so berechnet. Nichts konnte zierlicher sein, und doch dabei so einfach, als die Bestandtheile seines Frühstücktisches – silberne Thee und Rahmkanne und eben solche Zuckerschale – alles in sein Toilettenetui passend, wofür Storr und Mortimer jetzt gepriesen und eines Tags bezahlt werden mögen! Frank sah sehr schön aus – etwas ermüdet und über die Maßen gelangweilt. Er hatte den Versuch gemacht, die Morningpost zu lesen, die Anstrengung hatte aber seine Kräfte überstiegen.

Armer lieber Frank Hazeldean! Getreues Bild so vieler armer lieber Bursche, die längst verdorben. Und wenn sich der Wanderer auf diesem Wege zum Ruin nur wenigstens Ehre geholt hätte! Man fühlt vor dem Ruine eines Mannes, wie Audley Egerton, Achtung. Er ist en roi Als ein König. ruinirt! Von den Trümmern seines Vermögens kann er herabblicken auf stattliche, mit den Steinen dieses eingerissenen Baues errichtete Monumente. In jeder Anstalt, welche von Englands Menschenliebe Zeugniß gibt, waren Beweise der fürstlichen Wohlthätigkeit des öffentlichen Mannes verzeichnet.

Für Parteizwecke, zu welchen, wie das Sprichwort sagt, der Nerv des Krieges nöthig ist, für die Belohnung geleisteter Dienste, soweit sie durch Privatfreigebigkeit erfolgen kann, war Egertons Hand offen gewesen mit dem Herzen eines Königs. Manches emporgekommene Parlamentsmitglied verdankte in jenen Tagen, in welchen das Talent mit Hilfe von Reichthum und Rang gehoben wurde, seine Laufbahn dem Sitze, den ihm Audley Egerton durch die seiner Unterschrift beigesetzte Summe gesichert hatte; mancher im Stillen für ihn wirkende Mann der Wissenschaft oder der Presse blickte auf den Tag zurück, an dem er durch die Dankbarkeit seines Gönners aus dem Schuldgefängnisse befreit wurde.

Die Stadt, welche er vertrat, war auf seine Kosten verschönert worden. Durch den Bezirk, in dem seine verpfändeten und nur selten von ihm besuchten Güter lagen, war sein Gold geströmt, wie ein Paktolus Ein im Alterthum wegen seines Reichthums an Goldsand berühmter Fluß Lydiens in Kleinasien; wurde für die angebliche Quelle der Reichthümer des Krösus gehalten.; alles, was dort den öffentlichen Geist wecken oder die Civilisation erhöhen konnte, machte an seine Großmuth Verwandtschaftsansprüche geltend, und nie war ein solcher Anspruch zurückgewiesen worden.

Selbst in seinem großartigen, vernachläßigten Haushalte mit der zahlreichen Dienerschaft und edeln Gastfreiheit lag etwas, würdig eines Vertreters des zu jener Zeit hochgeehrten Theils unseres ächten Adels – der begüterten Gentlemen ohne Titel. Das große Mitglied der Gemeinen Parlamentsmitglied des Unterhauses. konnte etwas aufweisen für das Geld, das er gering geschätzt und verschwendet hatte.

Was aber gab Kunde von dem Metalle welches Frank Hazeldean auf seine Methode los wurde? Unbedeutende Kupferstiche in einer Junggesellenwohnung, eine Sammlung von Stöcken und Weichselrohren, ein halb Dutzend Briefe in schlechtem Französisch von einer Statistin, ein paar langbeinige Pferde, die zu nichts taugten, als bei Rennen hinterher zu kommen, das verdammenswerthe Wettenbuch und – sic transit gloria »So vergeht der Ruhm der Welt.« Das Zitat ist Bestandteil des Krönungszeremoniells eines neuen Papstes. – herunter fährt ein Habicht in Gestalt eines Levy auf den Schwingen eines I O U Englischer Ausdruck für Schuldschein; phonetisch sind I-O-U und I owe you (Ich schulde Ihnen) identisch., und nicht ein Federchen bleibt von der Taube übrig.

Und doch hat Frank Hazeldean einen guten Kern in sich – ein wackeres Herz und strenges Ehrgefühl. Bei aller Thorheit sitzt ein gesunder, bewährter Sinn in einem unbeachteten Winkel seines Gehirns, sobald man dazu gelangen könnte. Alles, was nöthig wäre, um ihn vom Untergang zu bewahren, ist etwas, was er noch nie gethan hat – nämlich inne zu halten und zu denken. Aber freilich wird das Geschäft des Denkens Leuten, die nicht daran gewöhnt sind, nicht so leicht, wie es sich Diejenigen denken, die – denken!

»Das halte ich nicht aus,« sagte Frank plötzlich und sprang auf. »Diese Frau, ich kann sie nicht aus dem Kopfe bringen. Ich sollte zu meinem Vater hinunter; aber dann, wenn er leidenschaftlich wird und seine Einwilligung verweigert, was ist's dann mit mir? und er wird es thun, fürchte ich. Ich wollte, ich würde klug daraus, was Randal eigentlich räth. Er scheint mir zu empfehlen, ich solle Beatrice auf der Stelle heirathen und die Bereinigung der ganzen Angelegenheit dem Einflusse meiner Mutter überlassen. Aber wenn ich ihn frage: ›Ist dies dein Rath?‹ so weicht er mir aus. Nun, er hat darin wohl Recht. Ich begreife, daß der gute Junge mir nichts empfehlen möchte, was mein Vater mißbilligen würde. Und doch –«

Hier hielt Frank in seinem Selbstgespräch inne und machte die erste verzweifelte Anstrengung, zu – denken!

Nun setze ich natürlich voraus, mein lieber Leser, daß du zu derjenigen Klasse gehörst, welche mit dem Denken vertraut ist, und vielleicht hat dir meine Bemerkung über die Schwierigkeit des Denkens, welche Frank Hazeldean's Selbstgespräch vorausging, ein verächtliches oder ungläubiges Lächeln entlockt. Bist du aber auch ganz sicher, daß dir deine Versuche, zu denken, immer geglückt sind? Hat dich nicht oft jenes bleiche, wesenlose Scheinbild des Gedankens, das man Träume nennt, zum Besten gehabt?

Der ehrliche alte Montaigne Michel de Montaigne (1533-92), Begründer der Essayistik. gestand, daß er den Prozeß des Niedersitzens, um zu denken, über welchen manche Leute so geläufig zu sprechen wissen, nicht begreife. Er konnte nicht denken, ohne die Feder in der Hand und einen Bogen Papier vor sich zu haben, und so mittelst einer manuellen Operation die Glieder, welche zur Schlußfolgerung führen, zu erfassen und an einander zu reihen. Sehr oft, wenn ich meinem Denkvermögen entschieden erklärte: »Rühre dich – ein ernster Gegenstand liegt vor dir – erwäge ihn wohl – denke darüber nach,« ist es mir selbst begegnet, daß eben dieses Denkvermögen sich so widerspenstig und rebellisch wie möglich benahm und, statt seine Strahlen in einen einzigen Lichtstrahl zu vereinigen, sich in alle die unstäten Farben des Regenbogens verflüchtigte und ohne weiteres in den siebenten Himmel enteilte, bis ich, nachdem ich eine gute geschlagene Stunde dagesessen war, als wollte ich die Quadratur des Zirkels messen, plötzlich entdeckte, daß ich eben so gut ganz gemüthlich hätte schlafen gehen können: ich hatte nichts gethan, als geträumt, und zwar das unsinnigste Zeug!

Als daher Frank Hazeldean bei jenem tiefsinnigen »Und doch« inne hielt und, den Arm auf den Kamin gelehnt, das Gesicht auf die Hand gestützt, sich bei der ernsten Krisis des Lebens angelangt sah und sich einbildete, er sei auf dem Wege, »darüber nachzudenken«, waren es nichts, als eine Reihe schattenhafter Bilder, die vor ihm aufstiegen: Randal Leslie mit einem Gesichte, welches ihm gar nicht gefiel, und aus dem er nichts zu machen mußte; der Squire, der in seinem Studirzimmer zu Hazeldean wie ein schwarzes Donnerwetter aussah; seine Mutter, die für ihn bitten wollte und für ihre Bemühungen Scheltworte erntete; und dann entwischte das Irrlicht, welches sich den Namen des Denkens angemaßt hatte, und tanzte um das reizende Gesicht von Beatrice di Negra in dem Salon zu Curzon Street und wiederholte mit zarter Elfenstimme Randal Leslie's Versicherung vom Tage vorher: »Was ihre Neigung für dich betrifft, Frank, so ist hieran nicht zu zweifeln; nur fängt sie an zu glauben, du treibest dein Spiel mit ihr.« Und dann vergegenwärtigte sich ihm das entzückende Schauspiel eines jungen Gentleman auf den Knien neben dem schönen, sonst so blassen, jetzt aber über und über erröthenden Antlitze, und eines Geistlichen, der am Altare stand, und eines Postzuges mit vier weißen Rossen vor der Kirchenthüre, und eines Honigmonats, dessen Honigsegen alle Bienen des Hymettus Der Hymettos ist ein bis zu 1.026 m hoher Bergrücken auf der Halbinsel Attika in Griechenland; in der Antike war er berühmt für seinen Honig (»Hymettosbienen«). in Erstaunen gesetzt haben würde. Und in Mitte dieser Nebelbilder, deren Betrachtung Frank zärtlich »einen Entschluß fassen« nannte, machte sich von der Hausthüre her das elegante Rat-tat-tat zweier Füße hörbar.

»Nicht einen Augenblick hat man für sich zum Denken!« rief Frank, und: »Nicht zu Hause!« herrschte er seinem Bedienten zu.

Aber es war zu spät. Lord Spendquick war im Oehren Hausflur. und gleich darauf im Zimmer. »Wie geht's?« hieß es von beiden Seiten, während man sich die Hände drückte.

Lord Spendquick. – »Ich habe ein Billet für dich, Hazeldean.«

Frank (schläfrig). – »Von wem?«

Lord Spendquick. – »Von Levy. Komme eben von ihm – habe ihn nie in einer solchen Unruhe gesehen. Er wollte eben in die City – wahrscheinlich um zu sehen – warf dieses Billet für dich hin und würde es dir durch einen Diener geschickt haben, ich sagte ihm aber, ich wolle es dir bringen.«

Frank (mit einem erschrockenen Blick auf das Billet). – »Ich hoffe, er braucht sein Geld noch nicht. › Privat und vertraulich‹ – das sieht schlimm aus.«

Spendquick. – »Ja wohl, verteufelt schlimm.«

Frank öffnet das Billet und liest halblaut: »Mein lieber Hazeldean –‹«

Spendquick (ihn unterbrechend). – »Gutes Zeichen! Er ›Spendquickt‹ mich immer, wenn er mir Geld leiht, und wenn er es zurück haben will, so heißt es: ›Mein theurer Lord‹. Vortreffliches Zeichen!«

Frank liest weiter, aber für sich und mit veränderter Miene.

»Mein lieber Hazeldean, – ich bedaure sehr, Ihnen sagen zu müssen, daß ich in Folge des plötzlichen Falls eines Hauses in Paris, mit welchem ich bedeutende Geschäfte machte, gedrungen bin, so viel wie möglich baares Geld aufzubringen. Ich möchte Sie nicht in Verlegenheit setzen; aber versuchen Sie es doch, ob Sie nicht die Wechsel, die ich von Ihnen in Händen habe, und die, wie Sie wissen, seit einiger Zeit verfallen sind, einlösen können. Es war mir ein Mittel, Ihre Angelegenheiten in's Reine zu bringen, beigefallen; als ich aber davon sprach, schien Ihnen der Gedanke nicht zuzusagen; und Leslie hat mir seitdem mitgetheilt, daß Sie gewichtige Bedenken haben, Ihr voraussichtliches Eigenthum als Sicherheit einzulegen. Also nichts mehr davon, mein lieber Freund. Ich werde rasch abgerufen, um zu sehen, was ich für eine reizende Clientin thun kann, die in großer pekuniärer Bedrängniß ist, obgleich sie einen ausländischen Grafen, reich wie ein Crösus, zum Bruder hat. In ihrem Hause wird exequirt Exequieren: vollziehen, vollstrecken; durch Exekution Schulden eintreiben, auspfänden.. Ich will hinunter zu dem Handwerksmann, auf dessen Veranlassung es geschieht, habe aber keine Hoffnung, ihn zu beschwichtigen, und ich fürchte, ehe der Tag herum ist, sind noch mehr da. Ein weiterer Grund, der Geld nöthig macht, wenn Sie mir helfen können, mon cher! Eine Exekution in dem Hause einer der glänzendsten Damen in London – eine Exekution im Curzon Street, May Fair! Die ganze Stadt wird es erfahren, wenn ich nicht Einhalt thun kann. Der Ihrige, in Eile.

Levy.

Nachschrift. – Lassen Sie sich, was ich Ihnen gesagt habe, nicht zu sehr anfechten. Ich würde Sie nicht behelligen, wenn Spendquick und Borrowell mir etwas bezahlen wollten.Vielleicht können Sie sie dazu bewegen.«

Betroffen von Frank's Stillschweigen und Blässe legte Lord Spendquick voll Theilnahme seine Hand auf die Schulter des jungen Gardeoffiziers und blickte mit jener Freiheit, welche sich Gentlemen in schwierigen Lagen hinsichtlich ihrer vertraglichen Privatcorrespondenz gegen einander erlauben, in das Billet. Sein Auge fiel auf die Nachschrift. »O, daß dich der Kukuk –« rief Spendquick, »das ist doch zu schlecht – dich zu benützen, daß du mich zum Bezahlen bewegen sollst! Solch fürchterliche Verrätherei. Beruhige dich, mein lieber Frank, nie würde ich dir eine so unschöne Handlung zutrauen; ebenso gut könnte ich mich selbst im Verdacht haben – daß ich ihn bezahlen wolle –«

»Curzon-Street! Graf,« murmelte Frank, wie aus einem Traum erwachend. »Es muß so sein.«

In die Stiefel hineinfahren – seinen Schlafrock gegen einen Ueberrock vertauschen – nach Hut, Handschuhen und Stock greifen – Spendquick stehen lassen – mit Einem Sprunge die Treppe hinunter, zur Hausthüre hinaus stürzen und sich in ein Cabriolet werfen – das alles war geschehen, ehe der erstaunte Besuch soweit zu Athem kommen konnte, um zu fragen: »Was gibt's?«

In solcher: Weise allein gelassen, schüttelte Lord Spendquick den Kopf – schüttelte ihn zum zweiten Male, als wolle er zur vollen Ueberzeugung kommen, daß nichts darin sei. Dann rückte er vor dem Spiegel seinen Hut zurecht, ging, während er bedächtig seine Handschuhe anzog, die Treppe hinunter und schlenderte mit verblüffter und zerstreuter Miene White's Hotel Siehe Anm. 488. »White's« ist kein Hotel, sondern ein Gentleman's Club. zu. In brütendem Stillschweigen stand er einige Minuten vor dem berühmten Bogenfenster Und redete zuletzt einen außerordentlich cynischen, skeptischen alten Roué folgendermaßen an:

»Glauben Sie, daß an den Geschichten von Leuten, die sich in früheren Zeiten dem Teufel verkauft haben, etwas Wahres sei?«

»Puh!« erwiderte der Roué, der viel zu weise war, um je von etwas überrascht zu sein. »Haben Sie ein persönliches Interesse bei der Frage?«

»Ich! – Nein; aber einer meiner Freunde hat eben einen Brief von Levy bekommen und flog in ganz außergewöhnlicher Weise aus dem Zimmer – gerade wie es die Leute in jenen Tagen zu machen pflegten, wenn ihre Zeit um war! Und Levy ist, wie Sie wissen –«

»Kein ganz so großer Dummkopf, wie der andere schwarze Gentleman, mit dem Sie ihn vergleichen möchten. Die Zeit um! Ohne Zweifel ist sie das. Ich möchte nicht in den Stiefeln Ihres Freundes stecken.«

»Stiefel!« sagte Spendquick mit einer Art Schauder. »Sie sahen nie einen hübscheren Jungen, nie einen, der, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, mehr Zeit auf seinen Anzug verwendet, als er im Allgemeinen. Und da von Stiefeln die Rede ist – er stürzte hinaus mit dem rechten Stiefel an dem linken Fuß und mit dem linken Stiefel an dem rechten Fuß. Sehr geheimnißvoll.«

Und zum dritten Male schüttelte Lord Spendquick den Kopf – und zum dritten Male kam ihm dieser Kopf wunderbar leer vor.


Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Frank war in Curzon-Street angelangt, aus dem Cabriolet gesprungen und hatte an der Thüre geläutet, welche von einem fremdartig aussehenden Menschen in hellgelber Weste und hohen Strümpfen geöffnet wurde. Frank warf einen kurzen Blick auf diese Person, schob sie bei Seite und eilte die Treppe hinauf in den Salon – keine Beatrice. – Ein schmächtiger ältlicher Mann mit einem Schreibbuch in der Hand schien damit beschäftigt, die Möbel zu besichtigen und mit Hülfe von Madame di Negra's Kammerdiener ein Inventar aufzunehmen. Der schmächtige Mann starrte Frank an und berührte den Hut, der auf seinem Kopfe saß.

Der Diener, ein Ausländer, näherte sich Frank und sagte in gebrochenem Englisch, die gnädige Frau nehme nicht an, sie sei unwohl und befinde sich auf ihrem Zimmer. Frank drückte ihm ein Goldstück in die Hand und bat ihn, Madame di Negra zu sagen, daß Mr. Hazeldean dringend um die Ehre bitte, vorgelassen zu werden.

Sobald sich der Diener mit diesem Auftrag entfernt hatte, faßte Frank den schmächtigen Mann am Arme – »Was ist dies? – Eine Exekution?«

»Ja, Sir.«

»Für welche Summe?«

»Fünfzehnhundert und siebenundvierzig Pfund. Wir sind die Ersten, welche die Hand darauf legen«

»Also sind noch Andere da?«

»Sonst, Sir, hätten wir nicht zu diesem Mittel gegriffen. Sehr peinlich für unsere Gefühle, Sir; aber diese Ausländer sind heute hier und morgen fort. Und –«

Der Diener trat wieder ein. Madame di Negra wollte Mr. Hazeldean sehen. Ob er sich herausbemühen wolle? Frank leistete dieser Aufforderung eilig Folge.

Madame di Negra befand sich in einem kleinen, zu ihrem Boudoir eingerichteten Zimmer. Ihre Augen zeigten Spuren eben erst getrockneter Thränen, ihr Gesicht dagegen vollkommene Fassung, ja sogar Härte in seinem stolzen, obgleich kummervollen Ausdrucke. Aber Frank hatte nicht Zeit, auf ihre Haltung zu achten und ihren würdevollen Gruß zu hören. Alle seine Schüchternheit war verschwunden. Er sah nur die Frau, die er liebte, in Noth und Erniedrigung.

Als sich die Thüre hinter ihm schloß, warf er sich ihr zu Füßen. Er ergriff ihre Hand – den Saum ihres Kleides.

»O! Madame di Negra! – Beatrice!« rief er mit Thränen in den Augen und mit in edelmüthiger Erregung halb erstickter Stimme. »Vergeben Sie – betrachten Sie mich nicht als bloßen Bekannten. Zufällig erfuhr ich oder vielmehr vermuthete ich – diese – diese auffallende Beleidigung, welcher Sie so unverdient ausgesetzt sind. Nun bin ich hier. – Denken Sie an mich – nur als einen Freund – Ihren treusten Freund. Beatrice,« (und er beugte das Haupt über die Hand, die er hielt) »nie wagte ich bisher diese Sprache – noch jetzt klingt sie wie Anmaßung – aber ich kann nicht anders. Ich liebe Sie – ich liebe Sie mit der ganzen Kraft meiner Seele – Ihnen zu dienen – nichts, nichts verlange ich, als Ihnen dienen zu dürfen!« und das warme, thörichte junge Herz konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken.

Die Italienerin fühlte sich tief ergriffen. Sie war nicht eine schmutzige Abenteurerin. So viel Liebe und so viel Vertrauen! Sie war nicht darauf vorbereitet, das eine zu errathen und der anderen eine Falle zu legen.

»Stehen Sie auf – stehen Sie auf!« sagte sie weich. ›Ich danke Ihnen aus vollem Herzen. Aber glauben Sie nicht, daß ich–«

»Stille – stille! Sie sollen mich nicht abweisen. Stille! – Lassen Sie nicht Ihren Stolz sprechen.«

»Nein, es ist nicht mein Stolz. Sie stellen sich, was hier vorgeht, schlimmer vor. Sie vergessen, daß ich einen Bruder habe. Ich habe nach ihm geschickt. Er ist der Einzige, an den ich mich wenden kann. Ah, das ist sein Tritt! Aber nie werde ich vergessen, daß ich Ein großmüthiges, edles Herz in dieser hohlen Welt gefunden habe.«

Frank wollte antworten, aber er hörte die Stimme des Grafen auf der Treppe, und hatte nur noch Zeit, sich zu erheben und nach dem Fenster zurückzuziehen, indem er mit aller Macht seine Aufregung zu bemeistern und seine Fassung wieder zu gewinnen suchte.

Graf di Peschiera trat ein – trat ein als die leibhaftige Verkörperung der Schönheit und der Pracht sorglosen, verschwenderischen überfließenden, selbstsüchtigen Reichthums. Sein mit dem kostbarsten Zobelpelz besetzter Ueberrock war von der kraftvollen Brust zurückgeschlagen. In den Falten des glänzenden Atlasses, der sich um seinen Hals schlang, blitzte ein Türkis von solchem Werth, daß er bei einem Juwelier fünfzig Jahre hätte liegen bleiben können, bis sich Jemand fand, der reich genug war, ihn zu kaufen. Sogar der Knopf seines Stockes war ein Meisterwerk der Kunst, und der Mann selbst so elegant, ungeachtet seiner Stärke, und so frisch, ungeachtet seiner Jahre! – Es ist unglaublich, wie gut man sich erhält, wenn man an Niemand, als an sich selbst, denkt!

»Pr–rr! sagte der Graf, der Frank hinter den Fenstervorhängen nicht bemerkte. »Pr–rr! Es scheint mir, du hast eine sehr unangenehme Viertelstunde durchgemacht. Und nun – Dieu me damne – quoi faire

Beatrice deutete nach dem Fenster und glaubte vor Scham in den Boden sinken zu müssen. Aber da der Graf französisch redete und Frank diese Sprache nicht besonders gut verstand, so entgingen ihm die Worte, obgleich eine gewisse satyrische Leichtfertigkeit im Ton sein Ohr mißfällig berührte.

Frank trat hervor. Der Graf bot ihm die Hand hin und sagte, Ton und Wesen rasch ändernd: »Wer von meiner Schwester in einem solchen Augenblick vorgelassen wird, muß auch ein Freund von mir sein.«

»Mr. Hazeldean,« sagte Beatrice mit Bedeutung, »wollte in der That höchst edelmüthig mit Anerbietungen eines Beistandes in mich dringen, welchen ich nicht mehr brauche, da du hier bist, mein Bruder!«

»Allerdings,« entgegnete der Graf mit der gnädigen Miene eines grand seigneur; »ich will hinunter und dein Haus von dieser unverschämten Canaille säubern. Aber ich war der Meinung, Baron Levy besorge deine Angelegenheiten. Er sollte hier sein.«

»Ich erwarte ihn jeden Augenblick. Adieu, Mr. Hazeldean!« Beatrice reichte ihrem jungen Verehrer die Hand mit einer Freimütigkeit, die nicht ohne eine gewisse pathetische und herzliche Würde war. Durch des Grafen Anwesenheit von weiteren Erklärungen abgehalten, beugte sich Frank schweigend über die schöne Hand und entfernte sich. Er war auf der Treppe, als ihn Peschiera einholte.

»Mr. Hazeldean,« sagte Letzterer in leisem Ton, »wollen Sie in den Salon kommen?«

Frank gehorchte. Der Mann, welcher die Besichtigung der Möbel vornahm, war noch an seiner Arbeit, zog sich aber, nachdem ihm der Graf einige Worte zugeflüstert hatte, zurück.

»Mein theurer Sir,« sagte Peschiera, »ich bin so unbekannt mit Ihren englischen Gesetzen und der Art und Weise, wie man hier zu Lande Verlegenheiten von so herabwürdigender Natur in's Reine bringt, und Sie haben solch' freundliche Teilnahme für die Bedrängniß meiner Schwester an den Tag gelegt, daß ich die Bitte wage, Sie möchten hier bleiben und mir bei der Berathung mit Baron Levy zur Seite stehen.«

Frank wollte eben seine ungeheuchelte Freude, irgend wie von Nutzen sein zu können, ausdrücken, als man Levy an der Hausthüre läuten hörte, und dieser gleich darauf eintrat.

»Uff!« sagte Levy, sich die Stirne trocknend und in einen Stuhl sinkend, als hätten ihn Arbeiten der erschöpfendsten Art in Anspruch genommen. »Uff! das ist ein sehr trauriges Geschäft sehr; und nichts, mein theurer Graf, nichts, als baares Geld, kann uns hier retten.«

»Sie kennen meine Verhältnisse, Levy,« erwiderte Peschiera, kummervoll den Kopf schüttelnd, »und daß ich zwar wohl in einigen Monaten, vielleicht auch Wochen, mit Leichtigkeit die Schulden meiner Schwester, wie hoch sie sich immer belaufen mögen, tilgen könnte, aber in diesem Augenblick und in einem fremden Lande es außer Stande bin. Das Geld, welches ich mitbrachte, ist nahezu aufgebraucht. Können Sie mir nicht die nöthige Summe vorstrecken?«

»Unmöglich! – Mr. Hazeldean weiß, welcher Unstern mich selbst getroffen hat.«

»In diesem Falle,« versetzte der Graf, »können wir für heute nichts thun, als meine Schwester von hier fortbringen und der Execution ihren Lauf lassen. Unterdessen will ich meine Freunde aufsuchen und sehen, was ich von ihnen entlehnen kann.«

»Leider,« sagte Levy, indem er sich erhob und zum Fenster hinausblickte – »leider können wir die Marchesa nicht von hier fortbringen – das Schlimmste kommt erst. Dort – Sie sehen die drei Männer? Sie haben einen Haftbefehl gegen Madame di Negra; sobald sie den Fuß über die Schwelle setzt, wird sie fest genommen.« Damals galt noch das law of mesne process. [ Anm.d.Verf. – mesne process bedeutet: jeglicher Prozess zwischen dem ursprünglichen und der Vollstreckung]

»Festgenommen!« riefen Peschiera und Frank in Einem Athem.

»Ich habe mein Bestes gethan, diese Schmach abzuwenden, aber umsonst,« sagte der Baron, eine sehr betrübte Miene annehmend. »Sie sehen, diese englischen Gewerbsleute bilden sich ein, Ausländern gegenüber fehle ihnen jede Handhabe. Aber wir können Bürgen bekommen; sie darf nicht in's Gefängniß –«

»Gefängniß!« wiederholte Frank. Er eilte auf Levy zu und zog ihn bei Seite.

Der Graf schien gelähmt vor Scham und Schmerz. Er warf sich in den Sopha zurück und bedeckte das Gesicht mit den Händen. »Meine Schwester!« stöhnte er, »die Tochter eines Peschiera, die Wittwe eines di Negra!« Es lag etwas Ergreifendes in dem stolzen Wehe dieses hochgeborenen Patriziers.

»Was ist die Summe?« frug der junge Gardeoffizier in flüsterndem Tone, damit ihn der arme Graf nicht hören sollte; und in der That schien dieser Letztere in seiner Betäubung höchstens noch für Donnerschlag ein Ohr zu haben.

»Wir könnten alle Verbindlichkeiten mit fünftausend Pfund bereinigen. So viel wie nichts für Peschiera, der ungeheuer reich ist. Entre nous, ich traue seiner Versicherung, er habe kein baares Geld, nur halb. Möglich ist es, aber –«

»Fünftausend Pfund! Wie kann ich eine solche Summe aufbringen!«

»Sie, mein theurer Hazeldean? Was sprechen Sie da? Zwei Mal so viel könnten Sie mit einem einzigen Federzug aufbringen, und damit noch Ihre eigenen Schulden los werden. Aber – eine solche Großmuth gegenüber einer Bekannten!«

»Bekannten! – Madame di Negra! – Das höchste Ziel meines Ehrgeizes ist, sie meine Gattin zu nennen!«

»Und diese Schulden schrecken Sie nicht ab?«

»Wenn ein Mann liebt,« antwortete Frank einfach, »so fühlt er es am lebhaftesten, wenn die Frau, welche er liebt, in Bedrängniß ist. Und,« fügte er nach einer Pause hinzu, »obschon diese Schulden Fehler sind, wird es mir vielleicht durch freundliches Entgegenkommen möglich, uns Beide für immer von diesen Fehlern zu heilen. Ich kann dieses Geld mit einem Federzug aufbringen! Wie?«

»Mit dem Casinogut.«

Frank that einen Schritt zurück.

»Auf keine andere Weise?«

»Natürlich nicht. Aber ich kenne Ihre Bedenken; lassen Sie uns sehen, ob sie zu entfernen sind. Sie möchten Madame di Negra heirathen; sie wird an ihrem Hochzeitstag zwanzigtausend Pfund erhalten. Warum es nicht so einrichten, daß von dieser Summe sofort die auf dem Casino lastende Schuld bezahlt wird. Diese Belastung wird dann in Wirklichkeit nur wenige Wochen dauern. Die Beschreibung wird dann in meinen Schreibtisch eingeschlossen bleiben – die Sache kann nie zur Kenntniß Ihres Vaters kommen und seine Gefühle nicht verletzen. Und wenn Sie sich verheirathen, so werden Sie, sobald Sie sich nur in der Zwischenzeit klug benehmen, aller Schulden ledig sein.«

Hier fuhr der Graf plötzlich auf.

»Mr. Hazeldean, ich bat Sie, zu bleiben und uns mit Ihrem Rathe beizustehen; ich sehe jetzt, daß mit Rath hier nicht zu helfen ist. Dieser Schlag muß auf unser Haus niederfallen. Ich danke Ihnen, Sir – ich danke Ihnen. Leben Sie wohl. Levy, kommen Sie mit mir zu meiner armen Schwester und bereiten Sie sie auf das Schlimmste vor.«

»Graf,« sagte Frank, »hören Sie mich an. Meine Bekanntschaft mit Ihnen ist nur kurz, aber schon lange kannte ich und – und verehrte ich Ihre Schwester. Baron Levy hat mir einen Weg angegeben, wie ich die Ehre und das Glück haben kann, diese vorübergehende, aber peinliche Verlegenheit zu beseitigen. Ich kann das Geld vorstrecken.«

»Nein – nein!« rief Peschiera. »Wir können Sie glauben, daß ich auf einen solchen Vorschlag hören werde? Ihre Jugend und Herzensgüte leitet Sie irre und macht Sie blind. Unmöglich, Sir – unmöglich! Und selbst wenn ich keinen Stolz und kein Zartgefühl besäße, so würde der gute Ruf meiner Schwester –«

»Allerdings Noth leiden,« unterbrach ihn Levy, »wenn Jemand anders, als ihr Verlobter, eine solche Verpachtung auferlegte. Noch würde ich, bei aller Achtung vor Ihnen, Graf, dulden, daß mein Klient, Mr. Hazeldean, diesen Vorschuß gegen eine weniger gute Sicherheit leiste, als diejenige, welche ihm Madame di Negra's rechtmäßiges Vermögen bietet.«

»Ha! Steht es so? Sie sind ein Bewerber um die Hand meiner Schwester, Mr. Hazeldean?«

»Aber nicht in diesem Augenblick – nicht Dankbarkeit soll es sein, was mir ihre Hand zuführt,« erwiderte der Gentleman Frank.

»Dankbarkeit! So kennen Sie nicht ihr Herz? Sie wissen nicht –« der Graf hielt inne und fuhr nach einer Pause fort: »Mr. Hazeldean, ich brauche nicht zu sagen, daß wir den ersten Häusern Europa's ebenbürtig sind. Mein Stolz hat mich seiner Zeit zu dem Mißgriffe verleitet, über die Hand meiner Schwester zu Gunsten eines Mannes zu verfügen, welchen sie nicht liebte – einzig und allein, weil er im Range ihr gleich stand. Ich will einen solchen Mißgriff nicht zum zweiten Male begehen; auch würde mir Beatrice nicht zum zweiten Male gehorchen, wenn ich sie zwingen wollte. Verheirathet sie sich, so liebt sie auch. Wenn sie Ihrer Bewerbung Gehör schenkt – und ich glaube, sie wird es thun – so geschieht es aus reiner Neigung. Dann trage ich kein Bedenken mehr, dieses Darlehen anzunehmen, ein Darlehen von einem Schwager, ein Darlehen an mich, und nicht auf Abrechnung an ihrem Vermögen. So, Sir,« (sich mit seiner vornehmen Miene an Levy wendend) »werden Sie für Bereinigung der Sache Sorge tragen. Nimmt sie Ihre Hand an, Mr. Hazeldean, so kann von dem Darlehen, ich wiederhole es, keine Rede sein. Entschuldigen Sie mich, wenn ich Sie verlasse. Dies muß in der einen oder andern Weise auf der Stelle erledigt werden.«

Der Graf neigte mit vieler Würde das Haupt und verließ das Zimmer. Man hörte ihn die Treppe hinauf gehen.

»Wenn der Graf die Schulden bezahlt,« sagte Levy im Tone des reinen Geschäftsmannes, »und auf dem Vermögen der Dame nur Ihre Schulden haften, so ist es in den Augen der Welt gar keine schlechte Parthie und sollte es auch in den Augen Ihres Vaters nicht sein. Glauben Sie mir, Mr. Hazeldean wird noch seine Einwilligung geben, und zwar mit Freuden.«

Frank hörte nichts; er hörte nur auf seine Liebe, nur auf das laute Pochen seines zwischen Furcht und Hoffnung schwebenden Herzens.

Levy ließ sich an dem Tische nieder und setzte mit zierlicher Hand eine lange Reihe von Zahlen auf – über zwei Abrechnungen, welche durch die Postobit-Verschreibung des Casino's bereinigt werden sollten.

Nach Verfluß einiger Zeit, welche Frank endlos vorkam, erschien der Graf wieder. Er nahm Frank bei Seite mit einer Handbewegung gegen Levy, welcher sich erhob und in den Salon begab.

»Mein theurer junger Freund,« sagte Peschiera, »wie ich vermuthete, gehört das Herz meiner Schwester ganz Ihnen. Halt – lassen Sie mich ausreden. Aber unglücklicherweise erwähnte ich Ihres großmüthigen Erbietens; es war höchst unvorsichtig, höchst unklug von mir und hätte beinahe alles verdorben; ihr Stolz, ihre Furcht, Sie möchten sich zu einer Unbesonnenheit verleitet wähnen, die Sie später bereuen könnten, ist so groß, daß ich überzeugt bin, sie wird Ihnen sagen, daß sie Sie nicht liebe, daß sie Ihre Hand nicht annehmen könne, und so weiter. Liebhaber, wie Sie, sind nicht so leicht zu täuschen. Richten Sie sich nicht nach Ihren Worten; aber Sie sollen sie selbst sehen und urtheilen. Kommen Sie.«

Mechanisch folgte Frank dem Grafen, welcher die Treppe hinauf ging und die Thüre zu Beatricen's Zimmer aufstieß. Die Marchesa kehrte ihnen den Rücken zu; aber Frank konnte sehen, daß sie weinte.

»Ich habe meinen Freund gebracht, damit er selbst für sich bitte,« sagte der Graf auf Französisch; »laß dir rathen, Schwester, und wirf nicht jede Aussicht aus wahres, dauerndes Glück weg, einem eingebildeten Bedenken zu lieb. Nimm dich in Acht!«

Er zog sich zurück und ließ Frank mit Beatrice allein.

Jetzt wandte die Marchesa, wie es schien, mit großer Anstrengung – so plötzlich war ihre Bewegung, und so wild ihr Blick – das Antlitz gegen den jungen Mann, und kam auf die Stelle zu, wo er stand.

»O!« sagte sie, die Hände ringend, »ist das wahr? Sie wollen mich retten von Schande, vom Gefängniß? Und was kann ich Ihnen dagegen bieten? Meine Liebe! Nein, nein. Ich will Sie nicht täuschen. So jung, so schön, so edel Sie sind – ich liebe nicht, wie Sie geliebt zu werden verdienen. Gehen Sie; verlassen Sie dieses Haus; Sie kennen meinen Bruder nicht. Gehen Sie, gehen Sie – so lange ich noch Kraft, noch Tugend genug besitze, zurückzuweisen, was mich vor ihm schützen könnte! Was auch – noch – o – gehen Sie – gehen Sie!«

»Sie lieben mich nicht,« sagte Frank. »Ich wundere mich nicht darüber; Sie sind so glänzend, mir so weit überlegen. Ich will jede Hoffnung aufgeben – ich will Sie verlassen, wie Sie mir gebieten. Aber von meinem Rechte, Ihnen zu dienen, will ich mich wenigstens nicht trennen. Im Uebrigen – müßte ich mich schämen, wenn ich schlecht genug sein könnte, in einem solchen Augenblicke mit Liebe zu prahlen und meine Bewerbung aufzudrängen.«

Frank wandte sein Gesicht ab und schlich leise hinaus. Er hielt seine Schritte vor dem Salon nicht an; er ging in das Vorzimmer, schrieb ein Paar Worte an Levy, worin er ihn anwies, die Execution aufzuheben, und mit den nöthigen Urkunden auf sein Zimmer zu kommen und vor allem, dem Grafen nichts zu sagen. Dann verließ er das Haus und ging in seine Wohnung zurück.

An jenem Abend kam Levy zu ihm, und die Abrechnungen wurden vorgenommen, und die Papiere unterzeichnet; und am andern Morgen war Madame di Negra von ihren Schulden befreit; und mit der Anwartschaft auf das Casino waren bedeutende Ansprüche verbunden; und am darauf folgenden Mittag war Randal mit Beatrice eingeschlossen; und noch vor Abend kam ein hastig hingeworfenes Billet von Madame di Negra, die Buchstaben von Thränen halb verwischt, welches Frank nach Curzon-Street entbot.

Und als er in den Salon der Marchesa trat, saß Peschiera neben seiner Schwester und sagte, indem er sich erhob: »Mein lieber Schwager!« und legte Frank's Hand in die Beatricens.

»Sie nehmen meine Bewerbung an – Sie nehmen Sie an – und aus eigener, freier Wahl?«

Und Beatrice antwortete: »Haben Sie ein wenig Geduld mit mir, und ich will versuchen, Ihnen zu vergelten nach allen meinen – allen meinen –«

Sie hielt plötzlich inne und schluchzte laut.

»Nie hätte ich sie eines so tiefen Gefühls, einer solch' innigen Neigung fähig gehalten,« flüsterte der Graf.

Frank hörte, und sein Gesicht strahlte. Allmälig gewann Madame di Negra ihre Fassung wieder, und sie vernahm – wie ihr junger Verehrer wähnte, mit zärtlichem Interesse – in Wahrheit aber mit kummervoller, demüthiger Ergebung sein fröhliches Geplauder von künftigen Zeiten. Für ihn entschwanden die Stunden rasch und beseligend, wie ein Sonnenblick. Und seine Träume, als er sich zur Ruhe begab, waren so golden! Als er jedoch am andern Morgen erwachte, stieg die bange Frage in ihm auf: »Was – was werden sie in der Halle sagen?«

Um dieselbe Stunde wandte sich Beatrice, das Gesicht in ihre Kissen begrabend, von dem verhaßten Tageslichte ab und hätte um den Tod beten mögen.

Um dieselbe Stunde entließ Giulio Franzini, Graf di Peschiera, ein Paar dürre, hagere Italiener, mit welchen er geheime Berathung gepflogen hatte, und machte sich auf, das Haus, welches Violante barg, in Augenschein zu nehmen.

Um dieselbe Stunde saß Levy vor seinem Schreibtische und warf eine ganze Schlachtordnung von Zahlen aus, deren Ueberschrift lautete: »Abrechnung mit dem sehr Ehrenwerthen Audley Egerton, M. P., Dr. und Cr.« Cr. ist eine Abkürzung des engl. Titels »Councillor« (Ratsmitglied, Regierungsrat)., während Verschreibungen zerstreut um ihn her lagen, in deren Gesellschaft Frank's Postobit sich durch sein frisches Aussehen als neuangekommenen Gast kennzeichnete.

Um dieselbe Stunde hatte Audley Egerton eben einen Brief von dem Vorsitzenden seines Comite's in der Stadt, welche er repräsentirte, zu Ende gelesen, der ihn benachrichtigte, daß er keine Aussicht habe, wieder gewählt zu werden. Und die Linien seines Gesichtes waren so glatt, wie gewöhnlich, und sein Fuß ruhte noch eben so fest auf der grimmigen eisernen Kiste; aber die Hand war auf das Herz gedrückt, und sein Auge hing an der Uhr, und er flüsterte leise: »Doktor F*** sollte hier sein!«

Und um dieselbe Stunde ging Harley L'Estrange, der am Abend vorher die Hofkreise durch seine heitere Laune bezaubert hatte, in dem Zimmer seines Hotels mit rastlosen Schritten und manchem schweren Seufzer auf und ab.

Und Leonard stand vor dem Springbrunnen in seinem Garten und verfolgte die winterlichen Sonnenstrahlen, die sich in dem Wasserschaume spiegelten.

Und Violante lehnte sich auf Helenen's Schulter und suchte sie mit unschuldiger List von Leonard sprechen zu machen; und Helene sah unverwandt zu Boden und antwortete einsylbig.

Und Randal Leslie wandelte zum letzten Male auf sein Bureau hinunter und las, während er durch Green Park ging, einen Brief aus der Heimath – von seiner Schwester; und dann, plötzlich den Brief in seiner schmalen Hand zerknitternd, sah er in die Höhe und erblickte in der Ferne die Thürme der großen National-Abtei und sagte die Worte unteres Helden Nelson vor sich hin: »Sieg und Westminster, aber nicht die Abtei!« Der Sieger von Trafalgar hatte gerufen: »Sieg oder Westminster!«, d.h. Sieg oder ein ehrenvoller Tod mit der Bestattung in der Westminster Abbey; Nelson ist in dieser dann später jedoch nicht bestattet worden. und Randal Leslie fühlte, daß er in den letzten Tagen seinem Ehrgeize mächtig vorgearbeitet hatte: – die alten Leslie-Ländereien in Griffweite – Frank Hazeldean verlobt und möglicherweise enterbt – und im Hintergrunde Dick Avenel, welcher ihm, dem verhaßten Lansmere'schen Einfluß zum Trotze, den gleichen Parlamentssitz aufschloß, mit dem Randal's zu Grunde gerichteter Gönner sein öffentliches Leben begonnen hatte. Aber

»Der Eine lacht, der Andere weint;
Das ist der Lauf der Welt!«



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