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Neuntes Buch.


Einleitungskapitel.

Hier folgt im englischen Original der Untertitel »On public life.«

Jetzt, da ich bei dem Knotenpunkte meiner Geschichte angekommen bin, müssen sich diese vorbereitenden Kapitel in einen verhältnißmäßig kleinen Raum zusammendrängen, um nicht den verschiedenen Personen den Platz zu versperren, deren Bekanntschaft ich zufällig da und dort machte, und die jetzt Alle auf mich hereinstürmen, gleich armen Verwandten, welche man unvorsichtiger Weise in eine allgemeine Einladung eingeschlossen hat, und nun gegen Weihnachten gleichzeitig auf den Hals bekömmt. Was mit ihnen angefangen und wo sie aufgehoben werden sollen, weiß der Himmel; indessen wird der Leser bereits bemerkt haben, daß die Caxtonfamilie selbst aus ihren Zimmern verdrängt und verjagt worden ist, um den neuen Ankömmlingen Platz zu machen.

Und jetzt, da ich eben von dieser ehrenwerthen Familie rede, werde ich die Gelegenheit ergreifen, ohne alle weitere Metaphern einen Zweifel anzudeuten, nämlich: ob ich nicht für den Fall, daß diese Papiere gesammelt und von Neuem veröffentlicht würden, die Einleitungskapitel, in welchen die Caxtons sich dem Publikum wieder zeigen dürfen, vollständig umändern sollte. Sie selbst versichern mich, daß sie halb und halb den beschämenden Vorwurf fürchten, ihre ungehörigen Nasen in Dinge gesteckt zu haben, die sie als eine ungemein schüchterne Race, in dem früheren Verlaufe ihrer Unschuldigen und abgeschiedenen Existenz sorgfältig vermieden haben.

In der That ist auch diese Besorgniß einigermaßen begründet, denn vor nicht langer Zeit war in einem sogenannten kritischen Journale dieser Meiner Novelle oder Wechselformen des englischen Lebens fälschlicher Weise die kränkende Bezeichnung einer »Fortsetzung der Caxtons« beigelegt worden – eines biographischen Werkes, mit welchem dieselbe (abgesehen von den gedachten Einleitungen zu früheren Büchern der vorliegenden mannigfaltigen und gedrängten Erzählung) gerade so viel zu schaffen hat, wie ich mit Hekuba oder Hekuba mit mir. Das hier angedeutete Bedenken reiferer Erwägung vorbehaltend, gehe ich nunmehr zu meinem neuen Einleitungskapitel über, und zwar werde ich den hier zur Behandlung kommenden Gegenstand auf einen kurzen Commentar über das öffentliche Leben beschränken.

Hast Du Dich je im öffentlichen Leben bewegt, mein lieber Leser? Ich meine damit nicht, ob Du je Lordkanzler, Premierminister, Führer der Opposition oder auch nur Mitglied des Unterhauses gewesen seiest? Ein Schriftsteller hofft weit über diesen hervorragenden, aber sehr kleinen Theil des großen Ganzen hinaus Leser zu finden. Saßest Du je im Kirchenconvent oder im Gemeinderath oder in einem Comitee zu Förderung der Interessen eines erleuchteten Canditaten Deiner Vaterstadt oder Deines Bezirks? Mit Einem Wort, hast Du je Deine Privatbequemlichkeit als Mensch den öffentlichen Mühen und Plagen des Menschengeschlechts zum Opfer gebracht? Wenn Du je die lukrezische Philosophie so weit abgeschüttelt hast, so blick einmal zurück. War das Leben, das Du lebtest, wirklich Leben? Warst Du das und das bestimmte Individuum – ein Passagier auf der Eisenbahn – oder warst Du nur ein unbestimmter Theil der gemeinsamen Flamme, welche den Kessel erhitzte und den Dampf erzeugte, von welchem der Riesenzug getrieben wurde? Sehr heiß, sehr wirksam, sehr förderlich ohne Zweifel; aber Dein eigenes Ich von der Flamme verzehrt und all' Deine Kräfte in Gas aufgelöst.

Und meinst Du, das Volk in den Waggons kümmere sich um Dich? Meinst Du, jener Gentleman mit dem wollenen Shawl sage zu seinem Nachbar mit der gestreiften Decke auf seinen behaglichen Knieen: »Wie dankbar müssen wir doch jenem Feuertheilchen sein, das unter dem Kessel knistert und zischt! Es bringt uns von Vauxhall nach Putney um eines Daumens Breite vorwärts?« Keine Rede davon! Zehn gegen Eins ist zu wetten, er sagt – »Nicht einmal sechzehn Meilen in der Stunde? Zum Kukuk, was treibt denn der Heizer?«

Betrachte unsern Freund Audley Egerton. Du hast soeben einen Blick in das wirkliche Leben gethan, das unter dem mächtigen Kessel sich abmüht; hast den hohlen Klang gehört, den Baron Levy's freundschaftliche Finger den Koffern und Kisten des reichen Mannes entlockten – hörtest Du den dumpfen Warnerruf, den das Herz des starken Mannes dem wissenschaftlichen Ohre des Doktor F. ertönen ließ. Und wieder verschwindet die individuelle Existenz, sich von Neuem in der Flamme verlierend, die den Kessel heizt, und in den Rauchwolken, die das schmutzige Kamin in die Lüfte sendet.

Sieh' da hin, öffentlicher Mann, wer und in welcher Stellung Du auch seist – sieh', ob Du es nicht soweit bringen kannst, daß Dir ein kleines Eckchen für Dein Privatleben, das heißt für Deine Person, bleibt! Laß nicht den ganzen Smith oder Johnson, oder wie Du heißest, in der großen Popkinsfrage Gemeint ist die Protestschrift, die ein Autor namens Popkins 1846 öffentlich an das Unterhaus in Bezug auf die Korngesetze richtete. Diese 1815 verabschiedeten Gesetze protegierten den heimischen Getreideanbau, damit besonders auch den landbesitzenden Adel. Die hohen Getreidepreise führten allerdings in der Folge immer wieder zu Unruhen. 1846 wurden die Korngesetze schließlich abgeschafft, wobei es zu einer Spaltung der Konservativen kam, was im achten Buch auch angesprochen ist. – Im Einleitungskapitel des ersten Buches bildet das Problem des Freihandels inklusive der Abschaffung der Korngesetze gewissermaßen den Hintergrund; »Meine Novelle« ist nicht zuletzt ein Familienprojekt, um den Haupternährer, Pisistratus Caxton, von seiner Trübsal über diese Dinge abzulenken. aufgehen. Verzehre Dich nicht so vollständig unter diesem unersättlichen Kessel, daß, wenn Dein armes kleines Ich dem rußigen Kamine enteilt, und bei den Sternen ankömmt, Du dort am Ende keinen Beruf findest und Dich das Gefühl anwandelt, als habest Du nichts zu thun inmitten der stillen Pracht des Unendlichen. Ich will Dir die Nützlichkeit des » öffentlichen Lebens« nicht absprechen; ich gebe zu, daß es viel heißen will, bei der Abwickelung dieser großen Popkinsfrage mitgeholfen zu haben; aber das Privatleben, mein Freund, ist das Leben Deiner innersten Seele, und hier kann es sich um Dinge handeln, die, wie Du bei einiger Ueberlegung selbst zugeben wirst, mit der großen Popkinsfrage nicht so durchaus vermengt werden dürfen, und die noch nicht erledigt sind, wenn Du ausrufen kannst: »Ich habe nicht umsonst gelebt – die Popkinsfrage ist endlich abgewickelt!« O unsterbliche Seele, nur für eine Viertelstunde täglich entpopkinsire Deine Unsterblichkeit!


Zweites Kapitel.

Es hatte Jackeymo's ganzer Ueberredungskunst bedurft, um Riccabocca zu Annahme der Wohnung, die ihm Randal empfohlen hatte, zu bewegen. Nicht als ob der Verbannte gegen den jungen Mann irgend einen Argwohn gehegt hätte, mit Ausnahme desjenigen, welchen er vielleicht mit Jackeymo theilte, nämlich, daß Randal's Interesse für den Vater in der sehr natürlichen und verzeihlichen Bewunderung für die Tochter weitere Nahrung finde. Nein; allein der Italiener besaß jenen Stolz, der mit dem Unglück so häufig verbunden ist – er liebte es nicht, Anderen verpflichtet zu sein, und schrak vor dem Mitleid Derer zurück, welchen bekannt war, daß er einst in seinem Heimathlande eine höhere Stellung eingenommen hatte.

Diese Bedenken wichen der Gewalt der Liebe zu seiner Tochter und der Furcht vor seinem Feinde. Ein guter Mensch, der durch die Schlechtigkeit Anderer gelitten hat, ist, so erfahren und muthig er auch sein mag, doch zu geneigt, sich von der Macht, die gegen ihn die Oberhand gewonnen, übertriebene Vorstellungen zu machen. Jackeymo hegte eine abergläubische Furcht vor Peschiera; und Riccabocca, obwohl dem Aberglauben nicht zugänglich, empfand ein Gefühl von Eiseskälte, wenn er an seinen Feind dachte.

Aber Riccabocca, der mit seltenem physischen Muthe eine ebenso große moralische Schüchternheit verband, fürchtete den Grafen weniger als Feind, denn als Freier. Er erinnerte sich der ausnehmenden Schönheit seines Verwandten, seiner Macht über das weibliche Geschlecht. Er wußte, wie gewandt er in allen Künsten der Verführung war, und wie wenig er auf die Stimme des Gewissens hörte. Und unglücklicher Weise hatte sich Riccabocca nach und nach eine so geringe Meinung von dem weiblichen Charakter beizubringen gewußt, daß er nicht einmal in Violanten's reiner und stolzer Natur eine hinlängliche Bürgschaft gegen die List und Entschlossenheit eines geübten und schonungslosen Intriguanten erblickte.

Von allen Vorsichtsmaßregeln, die er ergreifen konnte, schien ihm übrigens keine ihren Zweck sicherer zu erreichen, als die Unterhaltung freundschaftlicher Beziehungen mit einem Manne, der seiner Versicherung nach alle Plane und Bewegungen des Grafen überwachen und Riccabocca sofort benachrichtigen konnte, wenn sein Zufluchtsort in Gefahr war, entdeckt zu werden. »Bei Zeiten gewarnt ist bei Zeiten gerüstet,« sagte er zu sich selbst in einem der Sprüchwörter, die sich bei allen Nationen finden.

Als er indessen mit gewohntem Scharfsinn über die beunruhigende Neuigkeit, die ihm durch Randal zugekommen, daß nämlich der Graf nach der Hand seiner Tochter strebe, nachsann, muthmaßte er sofort, daß diesem Ehrgeize irgend ein starkes persönliches Interesse zu Grunde liege; und welches andere Interesse konnte dies sein, als die Aussicht auf schließliche Begnadigung Riccabocca's und das Verlangen des Grafen, sich die Nachfolge in Ländereien zu sichern, die er voraussichtlich nicht länger behalten durfte?

Allerdings kannte Riccabocca die von der sonstigen Politik der östreichischen Regierung abweichende Bedingung nicht, unter welcher der Graf die Domänen besaß. Er wußte nicht, daß sie nur widerruflich verliehen worden waren; aber er kannte Peschiera's Charakter zu gut, um vorauszusetzen, daß er sich um ein Mädchen ohne Mitgift bewerben, oder aus Gewissensbissen Schritte der Versöhnung thun würde.

Zudem – und dies vermehrte seine Befürchtungen – war er fest überzeugt, daß Peschiera sich nie zu der Bitte um eine Zusammenkunft erdreisten, sondern alle seine Anschläge auf Violante im Dunkeln und auf Schleichwegen betreiben würde.

Außerdem quälte den Doktor die Ungewissheit, ob er Violante seine Besorgnisse und die Natur der Gefahr mittheilen solle oder nicht. Er hatte ihr nur im Allgemeinen gesagt, daß er ihretwegen Verborgenheit wünsche. Allein das konnte alles Mögliche heißen; und galt nicht jede Gefahr, die ihm drohte, auch ihr? Und sich weiter auszulassen, hätte er mit seinen italienischen Ansichten und macchiavellistischen Grundsätzen nimmermehr vereinigen können.

Einem jungen Mädchen zu sagen: »Da ist ein Mann, der nach England herüberkam in der Absicht um Dich zu freien und Dich zu gewinnen. Nimm Dich um Gotteswillen vor ihm in Acht, er ist teufelmäßig schön; nichts schlägt ihm fehl, was er sich einmal in den Kopf gesetzt.« – » Cospetto!« rief der Doktor laut, als sich diese Ermahnungen in der camera obscura Ein dunkler Raum mit einem Loch in der Wand, als Metapher für die menschliche Wahrnehmung und für die Herstellung von Bildern. Seit Descartes und John Locke Metapher des menschlichen Bewusstseins an sich. seines Gehirns zu Worten gestaltet hatten; »eine solche Warnung hatte eine Cornelia geliefert, als sie noch ein unschuldiges Mägdlein gewesen.«

Nein, er entschloß sich, mit Violante über die Absichten des Grafen nicht zu sprechen, nur Wache zu halten, und im Verein mit Jackeymo ganz Auge und ganz Ohr zu sein.

Das Haus, welches Randal ausgewählt, behagte Riccabocca auf den ersten Blick. Es stand allein auf einer kleinen Anhöhe, und die oberen Fenster beherrschten die Landstraße. Es war früher eine Schule gewesen, und rings mit hohen Mauern eingefaßt, innerhalb deren sich ein Hof und Garten befanden, groß genug, um sich darin Bewegung zu machen. Die Gartenthore waren mit starken Schließhaken und einer kleinen vergitterten Oeffnung versehen, die beliebig auf oder zu gemacht werden konnte und Jackeymo in den Stand setzte, jeden Besucher einer genauen Musterung zu unterwerfen, bevor er ihn einließ. Eine alte Frau aus der Nachbarschaft wurde zur Bedienung gemiethet. Riccabocca verzichtete auf seinen italienischen Namen und entsagte seiner Abkunft. Er glaubte das Englische gut genug zu sprechen, um für einen Engländer gelten zu können, und nannte sich Mr. Richmouth (eine freie Uebersetzung von Riccabocca). Er kaufte sich eine Muskete, zwei Paar Pistolen und einen mächtigen Haushund. Nach diesen Vorbereitungen erlaubte er Jackeymo, einige Worte an Randal zu schreiben, und ihm seine Ankunft zu melden.

Randal verlor keine Zeit, vorzusprechen. Mit seiner gewohnten Geschmeidigkeit und Verstellungskunst brachte er es leicht dahin, Mrs. Riccabocca für sich zu gewinnen, und die gute Meinung zu verstärken, die der Verbannte schon vorher für ihn zu hegen geneigt war. Er knüpfte mit Violante eine Unterhaltung über Italien und seine Dichter an. Er versprach, sie mit Büchern zu versehen. Er begann, obwohl abgemessener, als er gewünscht hätte – denn ihre anmuthige Würde flößte ihm eine unwillkürliche Scheu ein – den Act der Werbung in Scene zu setzen. Sein Benehmen war das eines Hausfreundes; er ritt täglich nach den Mühen seines Amtes in der Abenddämmerung hinaus, und zog sich zurück, wenn die Nacht hereinbrach. Nach vier oder fünf Tagen glaubte er bei allen Gliedern der Familie bedeutende Fortschritte gemacht zu haben. Riccabocca beobachtete ihn genau und verfiel nach jedem solchen Besuche in tiefes Nachdenken. Endlich eines Abends, als sich Violante zur Ruhe begeben, und er mit Mrs. Riccabocca allein war, hub er, seine Pfeife stopfend, folgendermaßen an:

»Glücklich ist der Mann, der keine Kinder hat! Dreimal glücklich der, der keine Mädchen hat!«

»Mein theurer Alphonso!« sagte die Gattin, von dem Preischen »Die breiten Säume oder Einfassungen an einem Hemde, sowohl oben am Hals als auch vorn an den Ärmeln.« (Nach Theodor Heinsius, Wörterbuch der deutschen Sprache, 1830, Bd. 3, S. 462) aufblickend, an welches sie eben ein zierliches Perlmutterknöpfchen befestigte. Weiter sagte sie nichts; es war dies der schärfste Verweis, welchen sie ihres Gatten cynischen und gehässigen Bemerkungen entgegenzuhalten gewohnt war.

Riccabocca zündete sich die Pfeife mit einem Stückchen Papier an, that drei tüchtige Züge und fuhr fort:

»Eine Muskete, vier Pistolen und ein Haushund, Pompejus genannt, der aus Julius Cäsar klein gehacktes Fleisch gemacht hätte.«

»Er frißt allerdings viel, der Pompejus!« sagte Mrs. Riccabocca unschuldig. »Aber wenn er nur zu Deiner Beruhigung dient!«

»Von Beruhigung ist ganz und gar keine Rede,« ächzte Riccabocca; »und eben das war es, was ich meinte. Dies ist ein höchst ermüdendes Leben, und ein höchst ungesegnetes Leben. Und ich, der den Himmel um nichts, als eine gesegnete Ruhe gebeten habe! Aber wenn Violante einmal verheirathet wäre, so brauchte ich keine Muskete und keine Pistole und keinen Pompejus mehr. Und das ist es, was mein Herz erleichtern würde, cara mia; – Pompejus erleichtert nur meine Speisekammer!«

Riccabocca war jetzt gegen Jemima mittheilender geworden, als Violanten gegenüber. Nachdem er ihr einmal ein Geheimniß anvertraut, hatte er keinen Grund zu andern Verheimlichungen und sprach daher mit ihr von seinen Befürchtungen wegen des Grafen von Peschiera. Ihre Arbeit weglegend und des Gatten Hand zärtlich ergreifend, antwortete sie:

»Wahrhaftig, mein Geliebter, wenn du diesen schlechten, gefährlichen Mann so sehr fürchtest (obschon ich gestehe, daß ich eigentlich keinen triftigen Grund hiefür sehen kann), so wäre es ja der größte Segen, das theure Mädchen glücklich verheirathet zu wissen; denn, siehst Du, wenn sie an Einen verheirathet ist, kann sie es nicht auch an einen Anderen sein; und alle Furcht vor diesem Grafen würde, wie Du sagst, ein Ende haben.«

»Du könntest Dich gar nicht besser ausdrücken. Es ist doch ein rechter Trost, einer Gattin sein Herz auszuschütten!« versetzte Riccabocca.

»Aber,« sagte die Gatten nach einem dankbaren Kusse – »aber wo und wie sollen wir einen Mann finden, der dem Range Deiner Tochter angemessen wäre?«

»Da – da – da haben wir's wieder,« rief Riccabocca, mit seinem Stuhle bis an das andere Ende des Zimmers zurückfahrend – »so geht es mit dem Herzausschütten! Fort ist das Geheimniß, gerade als öffnete man den Deckel von Pandora's Büchse; man ist verrathen, ruinirt, verloren!‹

»Warum denn? Weit und breit ist ja keine Seele, die uns hören kann!« sagte Mrs. Riccabocca beschwichtigend.

»Reiner Zufall, Ma'am! Haben Sie einmal die Gewohnheit angenommen, ein Geheimniß auszuplaudern, wie um des Himmels willen wollen Sie der Versuchung widerstehen, wenn Sie die angenehme Aufregung haben können, es der ganzen Welt zu erzählen? Eitelkeit – Eitelkeit – weibliche Eitelkeit! Nie wird ein Weib den Lockungen des Ranges widerstehen – nie!«

So schmähte der Doktor eine Viertelstunde lang fort und ließ sich nur mit Widerstreben durch Mrs. Riccabocca's wiederholte, thränenreiche Versicherungen beruhigen, sie wolle nie mehr, nicht einmal sich selbst zuflüstern, daß ihr Gatte je einen anderen Rang, als den eines Doktors gehabt habe. Mit einem zweifelnden Kopfschütteln begann Riccabocca von Neuem:

»Prunk und Ansprüche haben mit mir nichts mehr zu schaffen. Ueberdies ist der junge Mann von Geburt Gentleman; er scheint in guten Verhältnissen; er hat Energie und geheimen Ehrgeiz; er ist mit L'Estrange's Busenfreund verwandt; er scheint Violanten zugethan. Ich halte es nicht für wahrscheinlich, daß wir etwas Besseres finden werden. Ja, wenn Peschiera fürchtet, ich könnte meinem Vaterlande wieder zurückgegeben werden, und ich erfahre durch diesen jungen Mann das Warum und die geeigneten Schritte, die zu thun sind – welche Tugend steht dem Edlen besser an, als Dankbarkeit!«

»Du sprichst demnach von Mr. Leslie?«

»Nun freilich, von wem sonst?«

Mrs. Riccabocca stützte ihre Wange gedankenvoll auf die Hand.

»Nun Du mir dies gesagt hast, will ich ihn mit anderen Augen beobachten.«

» Anima mia, ich sehe nicht ein, wie diese anderen Augen den Gegenstand, welchen sie betrachten, verändern sollten!« brummte Riccabocca, die Asche aus seiner Pfeife klopfend.

»Der Gegenstand ändert sich je nach dem Gesichtspunkte, von dem aus wir ihn betrachten!« erwiderte Jemima bescheiden. »Dieser Faden genügt vollkommen, wenn ich ihn in der Absicht, einen Knopf damit festzunähen, betrachte, aber er würde wohl schwerlich genügen, um Pompejus an seine Hütte festzubinden.«

»Eine Logik in Bildern, bei meiner Seele!« rief Riccabocca erstaunt.

»Und,« fuhr Jemima fort, »wenn es sich um einen Mann handelt, der das Lebensglück dieses theuren Kindes begründen soll, kann ich diesen alsdann wieder mit denselben Augen betrachten, wie einen unterhaltenden Gast, der uns den Abend angenehm ausfüllt? O, glaube mir, Alphonso – ich mache keinen Anspruch darauf, so weise zu sein, wie Du – aber wenn eine Frau erwägt, was wohl ein Mann einer Frau zu bieten vermag – seine Aufrichtigkeit – seine Ehrenhaftigkeit – sein Herz – o, glaube mir, da ist sie weiser als der weiseste Mann!«

Noch immer blickte Riccabocca mit dem Ausdruck tiefer, ungeheuchelter Bewunderung auf Jemima. Und in der That, seitdem er, um mich seiner eigenen Worte zu bedienen, sein Herz gegen seine bessere Hälfte ausgeschüttet – seit er ihr vertraut, sie zu Rathe gezogen hatte, schien ihre Auffassungsgabe an Raschheit gewonnen, ihr geistiges Leben sich erweitert zu haben.

»Meine Theure,« sagte der Weise, »ich erkläre feierlichst, daß Macchiavelli gegen Dich nur ein Dummkopf ist. Und ich war so kurzsichtig, wie der Stuhl, auf dem ich sitze, mich so viele Jahre des Trostes und des Rathes zu berauben, einer so – aber, Corpo di Bacco! vergiß alle diese Ranggeschichten; und so jetzt zu Bette!«

»Kein Hallo, ehe man auf dem Wald heraus ist,« murmelte der undankbare argwöhnische Bösewicht, als er sein Licht anzündete.


Drittes Kapitel.

Riccabocca konnte es nicht über sich bringen, sich selbst auf die Grenzen innerhalb des ummauerten Raumes zu beschränken, zu welchen er Violante verurtheilt hatte. Mit seiner Brille bewaffnet und in seinen Mantel gehüllt, machte er gelegentlich einen Ausfall zur Recognoscirung, wobei er sich jedoch nur an die nächste Nachbarschaft hielt und sein Haus nie ganz aus den Augen verlor.

Sein Lieblingsgang war nach einem kleinen, mit Gebüsch überwachsenen Hügel. Dort konnte er oft brütend sitzen, bis der Hufschlag von Randal's Pferd von der in Krümmungen sich hinziehenden Landstraße herübertönte, wenn die Sonne über welken Blättern roth und dunstig an dem herbstlichen Himmel niederging.

Am Fuße des Hügels, keine zweihundert Schritte von seiner eigenen Wohnung entfernt, stand ein zweites Hans, das einzige in der Nähe – eine niedliche, durch und durch englische Hütte Engl. cottage; hier: kleines Landhaus., obwohl ein wenig nach Art der Schweizerhäuschen – mit einem Giebeldach von Stroh und hübschen, vorspringenden, von Schlinggewächsen und Rosen eingefaßten Fenstergesimsen. Von seiner Anhöhe aus beherrschte er den Garten dieser Hütte, und sein Künstlerauge war gleich beim ersten Anblicke über die Schönheit entzückt, womit ein auserlesener Geschmack den Boden angelegt hatte. Selbst in dieser trübseligen Jahreszeit trug der Garten ein sommerliches Lächeln. Das Immergrün glitzerte so mannigfaltig, und die wenigen, noch vorhandenen Blumen blühten so kräftig. Gegen Süden zu war eine Colonnade oder bedeckte Gallerie aus rohem Holze errichtet, und erst vor kurzem gesetzte Schlingpflanzen begannen bereits die Säulen zu umranken.

Dieser Colonnade gegenüber befand sich ein Springbrunnen, der den Doctor an seinen eigenen in dem verlassenen Casino erinnerte. Die Aehnlichkeit war in der That auffallend: die nämliche Kreisform, der nämliche Blumengürtel rings herum. Aber sein Strahl wechselte jeden Tag – launisch und vielgestaltig, wie das Spiel einer Najade – bald gerade aufsteigend, bald blüthenförmig sich ausbreitend, bald eine Scharlachblume, bald eine goldene Frucht auf dem Silberstrahl emportragend – wie ein glückliches Kind, das sich mit seinem Spielzeug vergnügt.

Neben dem Springbrunnen stand ein großes Vogelhaus, groß genug, einen Baum zu umschließen. Der Italiener konnte gerade noch die Farbenpracht der Fittige erschauen, wie sie bald da, bald dort durch das Netzwerk hindurch schimmerten, und den Gesang des Völkchens hören – im Gegensatz zu dem Angesichts des nahenden Winters eingetretenen Verstummen der freien Bewohner der Lüfte.

Riccabocca's Auge, für alles Schöne so offen, schwelgte in dem Anblick dieses Gartens. Die Lieblichkeit desselben übte einen Zauber, der ihn von seinen langen Befürchtungen und wehmüthigen Erinnerungen leise abzog.

Er hatte immer nur zwei Gestalten auf jenem Besitzthum gesehen, ohne jedoch ihre Gesichtszüge unterscheiden zu können. Die eine war eine Frau – wie es schien, von gesetztem Wesen und einfachem Aeußern: sie zeigte sich nur selten; die andere ein Mann, der oft die Colonnade durchschritt und häufig vor dem Springbrunnen oder vor den Vögeln stehen blieb, die seine Nähe jedes Mal mit lauterem Gezwitscher begrüßten. Diese letztere Gestalt pflegte dann in einem Zimmer zu verschwinden, dessen Glasthüre sich am äußersten Ende der Colonnade befand; und wenn die Thüre offen blieb, bemerkte Riccabocca, wie sich der Unbekannte über einen mit Büchern bedeckten Tisch beugte.

Immer vor Sonnenuntergang wurden seine Bewegungen rascher, und er begann in dem Garten zu arbeiten, oft so frisch und munter, daß man wohl sah, es gehöre dies zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Zuweilen kam dann auch die Frau heraus, stellte sich zu ihrem Gefährten und schien mit ihm zu reden. Riccabocca's Neugierde war geweckt. Er beauftragte Jemima, sich bei der alten Magd zu erkundigen, wer in dem Häuschen wohne, und so erfuhr er, der Besitzer sei ein Mr. Oran, ein ruhiger Gentleman, der nur in seinen Büchern lebe.

Während sich Riccabocca in dieser Weise unterhielt, ließ sich Randal weder durch seine amtlichen Geschäfte, noch durch seine Anschläge auf Violanten's Herz und Vermögen in der Förderung seines Planes, Frank Hazeldean und Beatrice di Negra zusammenzubringen, aufhalten.

Was Ersteren betraf, so reichte ein Funke von Hoffnung hin, um den glühenden und arglosen Liebhaber in Feuer und Flammen zu setzen. Und Randal's kunstfertige Entstellung des Inhalts seiner Unterredung mit Mr. Hazeldean entfernte jede Furcht vor dem väterlichen Mißfallen aus einem Gemüthe, das nur zu geneigt war, momentanen Lockungen nachzugeben.

Andererseits fanden bei Beatrice, obwohl ihre Gefühle gegen Frank keineswegs die der Liebe waren, Randal's Gründe und Vorstellungen immer mehr Gehör, besonders da ihr Bruder mürrisch wurde, ja sogar Drohungen fallen ließ, nachdem Tage entschwunden waren, ohne daß sie ihm einen Schlüssel zu Entdeckung des Zufluchtsorts der Gesuchten an die Hand geben konnte. Außerdem waren ihre Schulden höchst dringend. Wie Randal's tiefe Kenntniß der menschlichen Schwäche schlau berechnet hatte, begannen die im Ehrgefühl und Stolz wurzelnden Bedenklichkeiten, welche sie zu der Erklärung veranlaßt hatten, ihrem Gatten nicht ihre eigenen Lasten zubringen zu wollen, dem Drucke der Nothwendigkeit zu weichen.

Ihre Einwendungen wurden immer schwächer, wenn Randal in sie drang, nicht die ungewisse Entdeckung, wodurch ihre Mitgift gesichert werden sollte, abzuwarten, sondern sich durch eine heimliche Vermählung mit Frank auf einmal Freiheit und Sicherheit zu erringen. Ferner, während er anfangs dem jungen Hazeldean Beatricen's Mitgift als Rechtfertigungsgrund dem Squire gegenüber bezeichnet hatte, war es noch viel leichter, diesen Grund fallen zu lassen, der ohnedies auf den stolzen Geist und das großmüthige Herz des armen Gardeoffiziers eher niederschlagend, als aufmunternd, gewirkt hatte, und Randal konnte mit gutem Gewissen sagen, daß der Squire auf seine Frage, ob er bei Franks Braut Vermögen voraussetze, geantwortet habe: »Darum kümmere ich mich nicht.«

So durch seinen Freund, sein eigenes Herz und das gewinnende Benehmen einer Frau ermuthigt, die manchen Kältern zu bezaubern und manchen Vernünftigeren zu bethören im Stande gewesen wäre, ließ sich Frank rasch in den zu seinem Verderben gelegten Schlingen fangen. Und obwohl er bis jetzt noch ehrenhafter Weise zurückschrak, Beatricen oder nur sich selbst eine Heirath ohne Einwilligung, ja ohne Wissen seiner Eltern vorzuschlagen, so war Randal doch vollkommen zufrieden, eine zwar edle, aber jedem Impulse sich blindlings hingebende Natur von den Einflüssen der ersten heftigen Leidenschaft, die sie je gekannt, beherrscht zu sehen. Auch gehörte nicht viel dazu, Frank zu überzeugen, daß er zu Hause jede Anspielung auf die Sache vermeiden müsse.

»Denn,« sagte der verschmitzte Verräther, »wenn wir auch Mrs. Hazeldean's Einwilligung und der Gewalt, welche sie über Deinen Vater besitzt, wenn der Schritt einmal gethan ist, sicher sind, so können wir doch nicht auf den Squire mit Zuverlässigkeit rechnen, – er ist so aufbrausend und hitzig. Er könnte in die Stadt eilen – Madame di Negra aufsuchen und mit leidenschaftlichen, unzarten Ausdrücken gegen sie herausplatzen, die sie kränken würden und den sofortigen Abbruch aller Beziehungen zwischen Euch Beiden zur Folge hätten. Und nachträgliche Reue seinerseits, die ja nicht ausbleiben könnte, dürfte leicht zu spät kommen.«

Indessen gab Randal Leslie im Clarendon Hotel ein Diner (eine bei ihm sonst ungewohnte Verschwendung) und lud dazu Frank, Mr. Borrowell und Baron Levy ein.

Aber diese Kreuzspinne, die in aller Ruhe durch so zahlreiche und verwickelte Gewebe ihren Fliegen nachkroch, hatte noch Madame di Negra mit Versicherungen, daß die gesuchten Flüchtlinge früher oder später gefunden werden würden, hinzuhalten. Zwar hatte Randal ihren Verdacht, als sei er mit den Verbannten schon bekannt, auf jede Weise zu nichte zu machen versucht (»die Personen, an die er gedacht,« sagte er, »passen nicht auf die Beschreibung der Flüchtlinge,« und einmal stellte er ihr sogar einen alten Singlehrer und seine bleichsüchtige Tochter als die Italiener vor, welche diesen Irrthum veranlaßt); allein Beatrice mußte ihrem Bruder beweisen, daß es ihr mit dem Beistande, den sie ihm zugesagt, Ernst sei, und demgemäß Randal mit dem Grafen bekannt machen. Und nicht weniger wünschenswerth war es für Randal, diesen Mann – seinen Nebenbuhler – kennen zu lernen und selbst sein Vertrauen zu gewinnen.

Die Beiden trafen sich in Madame di Negra's Hause. Es liegt etwas Eigentümliches, beinahe Magnetisches in der Wechselbeziehung zwischen zwei schlimmen Naturen. Man bringe zwei ehrenhafte Charaktere zusammen, und es ist zehn gegen eins zu wetten, sie erkennen sich nicht als solche. Verschiedenheit des Temperaments, des Benehmens, ja der politischen Ansichten kann dazu beitragen, daß sie sich irrig beurtheilen. Treffen sich aber zwei grundsätzliche Schelme, die, wären sie in einem Keller geboren worden, Futter für den Galgen oder für die Galeeren abgegeben hätten – im Moment werden sie sich instinktmäßig durchschauen.

Die Augen Franzini's, Grafen von Peschiera, waren nicht sobald denen Randal Leslie's begegnet, als aus beiden ein Blitz gegenseitigen Verständnisses schoß. Sie sprachen über gleichgültige Dinge – über das Wetter, über Stadtneuigkeiten, über Politik und dergleichen. Sie verbeugten sich und lächelten; aber die ganze Zeit belauerten sie sich und sondirten gegenseitig; Jeder maß seine Kraft mit der des Andern; Jeder sagte bei sich: »Dies ist wirklich ein merkwürdiger Schurke; ob ich ihm wohl gewachsen bin?«

Sie trafen sich bei Tisch, und der englischen Sitte gemäß ließ sie Madame di Negra bei ihrem Weine allein.

Jetzt zum ersten Male rückte der Graf von Peschiera mit einem verdeckten Schachzuge dem Gegenstand ihrer Zusammenkunft behutsam und geschickt näher.

»Sie waren nie auswärts, mein theurer Sir? Sie müssen sehen, daß Sie mich in Wien besuchen. Ich ziehe den Glanz Ihres Londoner Lebens nicht in Abrede; aber aufrichtig gesprochen fehlt die Freiheit, die bei uns zu Hause ist und Fröhlichkeit mit seiner Sitte verbindet. Denn gemischt, wie die hiesige Gesellschaft ist, macht sich bei Denjenigen, welche nicht herein gehören, Anspruchsfülle und Vordrängen – bei Denen, welche untergeordnetere Personen in einer gewissen Entfernung zu halten haben, erkünstelte Herablassung und erkaltender Hochmuth bemerklich. Bei uns, die wir unseren bestimmten Rang und anerkannte Geburt haben, ist Vertraulichkeit bald hergestellt. Deßhalb« – setzte der Graf mit seinem lebhaften, französischen Lächeln bei – »deßhalb gibt es für einen jungen Mann keine zweite Stadt, wie Wien – keine zweite Stadt, wie Wien für bonnes fortunes

»Diese sind das Paradies des Müßiggängers,« versetzte Randal, »aber die Hölle für den an ein thätiges Leben Gewohnten. Ich bekenne Ihnen offen, mein theurer Graf, daß ich eben so wenig die den bonnes fortunes-Candidaten benöthigte Muße, wie die persönlichen Vorzüge besitze, mit deren Hülfe sie ohne Anstrengung gewonnen werden.« Und er neigte wie in Anerkennung seinen Kopf.

»So,« dachte der Graf, »Weiber sind nicht seine schwache Seite? Was denn eigentlich?«

» Morbleu! Himmelsakrament! mein theurer Mr. Leslie – hätte ich immer gedacht, wie Sie, ich hätte mir manche Unlust erspart. Uebrigens ist Ehrgeiz die beste Geliebte, die man wählen kann, denn in ihrem Gefolge ist stets die Hoffnung, nie der Besitz.«

»Ehrgeiz, Graf,« erwiderte Randal, sich noch immer hinter trockenen Phrasen verschanzend, »ist Wollust für den Reichen, Notwendigkeit für den Armen.«

»Aha,« dachte der Graf, »das läuft wie ich mir von Anfang an dachte, auf Bestechung hinaus.«

Er schob den Wein Randal hin, indem er sein eigenes Glas füllte und nachlässig ausschlürfte: » Sur mon âme, mon cher«,‹ sagte der Graf, »Wollust ist immerhin besser, als Notwendigkeit; und ich bin entschlossen, den Ehrgeiz wenigstens einmal auf die Probe zu stellen – je vais me réfugier dans le sein du bonheur domestique – verheiratetes Leben, eigener Hausstand. Peste! Wäre es nicht des Ehrgeizes wegen, man möchte sterben vor langer Weile. Apropos, mein theurer Sir, ich habe Ihnen noch für das meiner Schwester gegebene Versprechen zu danken, mir bei Auffindung eines nahen und theuern Verwandten, der in Ihrem Lande ein Asyl gesucht hat und sich sogar vor mir verbirgt, behülflich zu sein.«

»Es wird mich überaus glücklich machen, Sie in Ihren Nachforschungen zu unterstützen. Bis jetzt habe ich indessen nur zu bedauern, daß alle meine guten Wünsche fruchtlos sind. Uebrigens sollte man denken, daß ein Mann von solchem Range leicht zu finden wäre – ich meine durch Vermittlung Ihres Gesandten.«

»Unsern Gesandten kann ich gerade nicht zu meinen intimeren Freunden zählen. Und der Rang würde keinen Schlüssel an die Hand geben; denn es ist klar, daß mein Verwandter keinen Gebrauch davon machte, seit er sein Vaterland verlassen hat.«

»Er verließ es, wenn ich Sie recht verstehe, nicht ganz aus freier Wahl,« sagte Randal lächelnd. »Entschuldigen Sie meine Freiheit und meine Neugierde, aber wollten Sie mir wohl etwas deutlicher, als das Gerücht in England es thut (welches selbst wichtigere Begebenheiten im Auslande nur ungenau wiedergibt), erklären, wie ein Mann, der durch eine Revolution so viel zu verlieren und so wenig zu gewinnen hatte, sich mit einer Schaar unbesonnener Abenteurer und träumender Professoren in Ein und dasselbe gebrechliche Boot setzen konnte?«

»Professoren!« wiederholte der Graf. »Ich meine, Sie haben schon die Antwort auf Ihre Frage; nicht, daß Männer von hoher Geburt so toll wären, wie die Canaille. Ich bin um so mehr Willens, Ihre Neugierde zu befriedigen, als dies vielleicht dazu beiträgt, Ihnen in Ihren freundlichen Nachforschungen für mich als Leitfaden zu dienen. So wissen Sie denn, daß mein Verwandter nicht als Erbe des Rangs, in dessen Besitz er kam, geboren ward. Er stand mit dem Haupte des Hauses, welches er später repräsentirte, nur in entfernter Verwandtschaft. Auf einer italienischen Universität erzogen, zeichnete er sich durch sein Wissen und seine Excentricitäten aus; damals setzte er sich wahrscheinlich auch, über alte Weibermährchen von Freiheit und dergleichen brütend, seine chimärischen Carbonari-Ideen Carbonari: der bedeutendste der Geheimbünde in den italienischen Staaten des 19. Jh., die an der Fortentwicklung der italienischen Einigungsbewegung des Risorgimento beteiligt waren von der Unabhängigkeit Italiens zusammen. Plötzlich wurde er in Folge von drei Todesfällen beinahe noch als Kind zu einer Stellung und zu Ehren erhoben, die Jeden, der seine fünf Sinne hat, zufrieden gestellt hätten.

Que diable! Was konnte Italiens Unabhängigkeit für ihn thun! Er und ich waren Vettern; wir hatten als Knaben zusammen gespielt; allein unsere Lebenspfade gingen auseinander, bis seine Erhebung zum Haupt der Familie uns nothwendig wieder zusammen führte. Wir standen auf ungemein vertrautem Fuße. Und Sie mögen sich einen Begriff von meiner Liebe zu ihm machen,« sagte der Graf, seine Augen leicht von Randal's ruhigem beobachtendem Blicke abwendend, »wenn ich beifüge, daß ich ihm den Genuß einer Erbschaft verzieh, die ohne ihn mein gewesen wäre.«

»Ah, Sie waren der nächste Erbe?«

»Und es ist eine harte Prüfung, einem großen Vermögen nahe zu sein und es sich vor der Nase wegschnappen zu lassen.«

»Wahr!« rief Randal beinahe ungestüm. Jetzt erhob der Graf die Augen, und wiederum sahen sich die beiden Männer gegenseitig in das Innerste ihrer Herzen.

»Noch schwerer vielleicht,« begann der Graf nach einer kurzen Pause von Neuem, »noch schwerer möchte es Manchem geworden sein, dem Nebenbuhler ebenso, wie dem Erben, zu verzeihen.«

»Dem Nebenbuhler! In wie ferne?« ›

»Eine Dame, die ihre Eltern mir bestimmt hatten, obwohl wir allerdings nie förmlich verlobt waren, wurde die Gattin meines Verwandten.«

»Wußte er von Ihren Ansprüchen?«

»Ich lasse ihm die Gerechtigkeit widerfahren, zu sagen, daß er nichts davon wußte. Er sah und liebte die junge Dame, von der ich rede. Ihre Eltern waren geblendet. Ihr Vater ließ mich holen. Er entschuldigte sich, gab Erklärungen, hielt mir, allerdings in zarter Weise, gewisse jugendliche Unbesonnenheiten oder Verirrungen vor, die er als Grund seiner Sinnesänderung bezeichnete, und bat mich, nicht nur jede Hoffnung auf seine Tochter aufzugeben, sondern auch ihrem neuen Freier nie zu entdecken, daß ich je zu hoffen gewagt.«

»Und Sie versprachen es?«

»Ich versprach es.«

»Das war großmüthig. Sie müssen in der That sehr anhänglich an Ihren Verwandten gewesen sein. Vom Standpunkte des Liebhabers aus kann ich dies nicht begreifen, vielleicht aber von dem des Mannes von Welt aus, wenn Sie mich hierüber des Näheren belehren wollen.«

»Gut,« sagte der Graf mit seiner vollendetsten roué-Miene; »ich denke, wir sind beide Männer von Welt?«

» Beide – gewiß,« versetzte Randal ganz in demselben Tone, in welchem Peachum um Lockit's Hauptfiguren in »The Beggar's Opera« (1728) von John Gay. Vertrauen gebuhlt haben mochte.

»Als Mann von Welt denn bekenne ich,« sagte der Graf, mit den Ringen an seinen Fingern spielend, »daß, wenn nicht ich die Dame heirathen konnte (und dies schien mir klar), ich sie selbstverständlich am liebsten mit meinem reichen Verwandten verheirathet sah.«

»Sehr natürlich. Es mußte Sie und Ihren reichen Verwandten noch näher zusammen bringen.«

»Wirklich ein sehr gescheidter Bursche dies!« dachte der Graf, gab aber keine direkte Antwort.

» Enfin, um eine lange Geschichte in wenig Worte zu fassen, mein Vetter wurde später in Anschläge verwickelt, deren Mißlingen weltbekannt ist. Seine Pläne wurden entdeckt, er selbst denunzirt. Er floh, und der Kaiser, seine Ländereien mit Beschlag belegend, geruhte vermittelst eines Aktes seltener, außerordentlicher Gnade, mich als seinen nächsten Verwandten auf die Dauer kaiserlichen Beliebens in den Genuß der Hälfte der Einkünfte aus jenen Ländereien zu setzen. Auch die andere Hälfte wurde nicht förmlich confiscirt. Es war ohne Zweifel Seiner Majestät Wunsch, einen großen italienischen Namen nicht ganz erlöschen zu lassen; und sollten mein Vetter und sein Kind in der Verbannung sterben – nun, so wäre ich dieses Namens Repräsentant – ich, Franzini, Graf von Peschiera, ein getreuer Unterthan Oesterreichs. Die gleiche Politik hat schon in ähnlichen Fällen Rußland polnischen Insurgenten gegenüber befolgt.«

»Ich verstehe vollkommen; und ich kann auch begreifen, daß Sie durch die großen, wenn auch vollkommen gerechtfertigten Vortheile, welche Ihnen der Sturz Ihres Verwandten brachte, viel von Unpopularität, selbst von peinlichem Argwohn zu leiden hatten.«

» Entre nous, mon cher, ich gebe keinen Deut um Popularität, und was den Argwohn betrifft – wo ist Der, welcher der Verleumdung des Neides entgehen kann? Indessen wäre es ohne Frage höchst wünschenswerth, die getrennten Glieder unseres Hauses zu vereinigen; und diese Vereinigung kann ich jetzt bewirken, indem der Kaiser zu meiner Verheirathung mit der Tochter meines Verwandten seine Zustimmung gegeben hat. Sie ersehen hieraus, warum ich an dieser Nachforschung ein so großes Interesse habe.«

»Durch die Ehepakten könnten Sie sich ohne Zweifel den festen Besitz der Hälfte, die Sie bereits inne haben, sichern und, überleben Sie Ihren Verwandten, so setzt Sie dies in den Genuß des Ganzen. Eine höchst wünschenswerte Heirath; und wenn sie zu Stande kömmt, so würde dies wohl genügen, Ihres Vetters volle Begnadigung herbeizuführen?«

»So ist es.«

»Vielleicht aber, da des Kaisers Gnade sich auf so viele Verbannte erstreckte, ist auch ohne diese Heirath anzunehmen, daß Ihr Vetter in seine Rechte wieder eingesetzt würde?«

»Einst schien mir dies möglich,« sagte der Graf mit Widerstreben; »seitdem ich in England bin, nicht mehr. Die neuste Revolution in Frankreich Siehe Anm. 491., der demokratische Geist, der in Europa das Haupt erhebt, ist nur dazu geeignet, die Sache eines verbannten Rebellen zu verschlimmern. England steckt voll Revolutionsmänner; meines Vetters Aufenthalt in diesem Lande ist an sich schon verdächtig. Der Verdacht wird durch seine befremdende Abgeschlossenheit noch vermehrt. Es gibt hier viele Italiener, die bezeugen würden, daß sie mit ihm zusammengetroffen seien und er noch immer revolutionäre Umtriebe mache.«

»Bezeugen – fälschlich?«

» Mafoi – die Sache bleibt immer dieselbe; les absents ont toujour tort. Abwesende sind immer im Unrecht. Ich spreche mit einem Weltmanne. Nein; ohne eine solche Garantie für seine Treue, wie sie seiner Tochter Verheirathung mit mir selbst geben würde, ist seine Zurückberufung unwahrscheinlich. Bei Gott, sie soll unmöglich sein.‹

Der Graf erhob sich, als er dieses sagte – und die Maske der Verstellung schien von dem Antlitz des Verbrechers hinweg genommen – er erhob sich hoch und gewaltig, ein Bild männlicher Kraft neben der schmächtigen, niedergebeugten Gestalt und dem kränklichen Gesichte des schlauen Ränkeschmieds. Randal war betroffen; dann sich gleichfalls erhebend, sagte er leichthin:

»Wie aber, wenn diese Garantie nicht länger gegeben werden könnte? Wie, wenn Ihr Vetter, an seiner Rückkehr verzweifelnd und in seine veränderten Vermögensverhältnisse sich schickend, seine Tochter bereits an irgend einen englischen Freier vergeben hätte?«

»Ah, das wäre nächst meiner eigenen Verbindung mit ihr das größte Glück, das mir widerfahren könnte.«

»Wie? Ich begreife nicht!«

»Nun, wenn mein Vetter so sein Geburtsrecht und seinen Rang abgeschworen hätte – wenn diese Erbschaft, die ihrer Größe wegen so gefährlich ist, im Falle seiner Begnadigung an irgend einen unbekannten Engländer käme – an einen Fremden – an den Angehörigen eines Landes, welches mit dem unsrigen durch keine Bande verknüpft – eines Landes, welches so recht der Zufluchtsort der Socialisten und Carbonari ist – mort de ma vie – glauben Sie, das würde nicht jede Hoffnung auf meines Vetters Zurückberufung vernichten und sogar in den Augen Italien's die förmliche Uebertragung der mit Beschlag belegten Ländereien auf einen Italiener rechtfertigen? Es müßte denn sein, daß das Mädchen einen Engländer von solchem Namen, solcher Geburt und solchen Verbindungen heirathen würde, daß sie in sich selbst schon eine Garantie böten – und wie ist dies bei ihrer Armuth denkbar? Wahrhaftig mit leichtem Herzen kehrte ich nach Wien zurück, wenn ich sagen könnte: ›Meine Verwandte ist die Gattin eines Engländers – sollen ihre Kinder die Erben eines durch seine Abstammung so berühmten und durch seinen Reichthum so furchtbaren Hauses sein?‹ Parbleu! Wäre mein Vetter nur ein Abenteurer oder nichts weiter, als ein Professor, er wäre längst zurückberufen. Die Großen erfreuen sich der Ehre, nicht so rasch begnadigt zu werden.«

Randal versank einen Moment in tiefes Nachsinnen. Der Graf beobachtete ihn, nicht, indem er ihm offen ins Gesicht blickte, sondern durch einen gegenüber befindlichen Spiegel.

»Dieser Mann weiß etwas; dieser Mann überlegt; dieser Mann kann mir helfen,« dachte der Graf.

Aber Randal sagte nichts, diese Vermuthungen zu bestätigen. Aus seinem Sinnen sich aufraffend bezeugte er höflich seine Freude über die nach jeder Seite hin günstigen Aussichten des Grafen.

»Und,« fügte er bei, »da Sie allem nach es mit Ihrem Vetter so gut meinen, so fällt mir bei, daß Sie ihn auf einem in England gebräuchlichen, sehr einfachen Wege entdecken könnten.«

»Wie?«

»Setzen Sie in die Zeitung, daß, wenn er sich an einem bestimmten Orte einfinden würde, er eine ihm vorteilhafte Nachricht erführe.«

Der Graf schüttelte den Kopf.

»Er würde mich im Verdacht haben und nicht kommen.«

»Aber er stand ja mit Ihnen auf vertrautem Fuße. Er betheiligte sich an einem Aufstande – Sie waren klüger. Sie thaten ihm kein Unrecht an, wenn Sie auch Ihr eigenes Interesse im Auge gehabt haben mochten. Warum sollte er Sie meiden?«

»Verschwörer vergeben nie Denjenigen, die sich nicht mit ihnen einlassen; überdies, offen gestanden, meint er, ich hätte ihm ein Unrecht angethan.«

»Könnten Sie ihn nicht durch seine Gattin versöhnen, die Sie ihm abgetreten?«

»Sie ist todt – gestorben, ehe er sein Heimathland verließ.«

»O, was für ein Unglück! Ich glaube aber doch, daß eine Aufforderung in der Zeitung von Nutzen sein könnte. Gestatten Sie mir, über den Gegenstand nachzudenken. Wollen wir die Frau Marquise wieder aufsuchen?«

Als die beiden Herrn in das Wohnzimmer traten, fanden sie Beatrice in voller Toilette beim Feuer sitzen und so in Lesen vertieft, daß sie ihr Eintreten nicht bemerkte.

»Was interessirt dich so sehr, ma soeur? Die letzte Novelle von Balzac, ohne Zweifel?«

Beatrice schrak zusammen, und als sie aufblickte, schwammen ihre Augen in Thränen.

»O nein! Kein Bild des erbärmlichen, lasterhaften Pariser Lebens. Dies hier ist schön – hier ist Seele

Randal nahm das Buch, welches die Marchesa weglegte. Es war dasselbe, welches den Cirkel in Hazeldean, welches unschuldige, frische Gemüther bezaubert hatte und jetzt seinen Zauber auch auf das müde, heimgesuchte Weltkind ausübte.

»Hm,« murmelte Randal; »der Pfarrer hat Recht – das ist Macht, eine Art von Macht.«

»Was gäbe ich darum, den Verfasser zu kennen! Wer kann es sein – haben Sie irgend eine Vermuthung?«

»Ich nicht. Irgend ein alter Pedant mit einer Brille auf der Nase.«

»Ich glaube nicht – ganz gewiß nicht. Hier schlägt ein Herz, nach dem ich immer geseufzt und das ich nie gefunden habe.«

» O, la naïve enfant!‹ rief der Graf; » comme son imagination s'égare en rêves enchantés. Wie seine Phantasie sich in verzauberten Träumen verirrt. Und während sie wie eine Arkadierin Arkadien: siehe Anm. 332. spricht, ist sie wie eine Prinzessin geputzt!«

»Ach, ich vergaß – beim östreichischen Gesandten. Ich gehe heute nicht hin. Dieses Buch macht mich für die künstliche Welt untauglich.«

»Wie du willst, meine Schwester. Ich werde gehen. Der Mann ist mir zuwider – und ich ihm; allein die Etiquette muß vor allem beobachtet werden!«

»Sie gehen zum östreichischen Gesandten?« frug Randal. »Auch ich werde dort sein. Wir werden uns treffen.« Und er verabschiedete sich.

»Dein junger Freund sagt mir ausnehmend zu,« bemerkte der Graf gähnend. »Ich müßte mich sehr täuschen, wenn er nicht um die verlorenen Vögel wüßte, und er wird hinstehen wie ein Jagdhund, sobald es mir gelingt, sein eigenes Interesse hereinzuziehen. Wir werden sehen.«


Viertes Kapitel.

Randal war vor dem Grafen bei dem Gesandten und suchte sich hier die Gesellschaft der jungen Edelleute aus, welche der Gesandtschaft beigegeben waren und ihn kannten. Unter ihnen befand sich ein auf Reisen befindlicher junger Oestreicher voll hoher Geburt und jenem vornehmen Anstande, der dem Ideale altdeutscher Ritterlichkeit entspricht. Randal wurde ihm vorgestellt und ließ, nachdem sie einige Worte über allgemein Gegenstände gewechselt, die Bemerkung fallen:

»Beiläufig, Prinz, einer Ihrer Landsleute ist gegenwärtig in London, mit welchem Sie ohne Zweifel näher bekannt sind – der Graf von Peschiera.«

»Er ist kein Landsmann von mir. Er ist ein Italiener. Ich kenne ihn nur vom Sehen und dem Namen nach,« versetzte der Prinz steif.

»Er ist von sehr altem Adel, glaube ich.«

»Unfraglich. Seine Vorfahren waren Edelleute von Auszeichnung.«

»Und sehr reich.«

»Wirklich? Ich habe das Gegentheil gehört. Allerdings bezieht er bedeutende Einkünfte.«

Ein junger Attaché, weniger zurückhaltend, als der Prinz, dem merkte jetzt: »O, Peschiera! Armer Bursche, er ist ein zu großer Freund des Spiels, um reich zu sein.«

»Und für seinen Verwandten, dessen Einkünfte er bezieht, ist Aussicht auf Begnadigung und Wiedereinsetzung in den Besitz seines Vermögens – so höre ich wenigstens,« sagte Randal arglistig.

»Es freut mich, wenn es so ist,« sagte der Prinz bestimmt, »und wie ich, so denkt ganz Wien. Dieser Verwandte ist ein edler Mann und wurde, wie ich glaube, zuerst bethört und dann verrathen. Entschuldigen Sie mein Herr aber wir Oestreicher sind nicht so schlimm, wie man uns macht. Sind Sie in England je mit dem Verbannten, von dem Sie sprechen, zusammengetroffen?«

»Nie, obwohl er hier wohnen soll. Wie mir der Graf sagt, hat er eine Tochter.«

»Der Graf – ha! Ich hörte etwas von einem Plane – einer Wette dieses – dieses Grafen. Eine Tochter – armes Mädchen! Ich hoffe, sie entgeht seiner Verfolgung; denn daß er sie verfolgt, ist kein Zweifel.«

»Möglicher Weise hat sie schon einen Engländer geheirathet.«

»Ich hoffe nicht,« sagte der Prinz ernst; »dies würde im gegenwärtigen Augenblick ihres Vaters Rückkehr ein gewichtiges Hinderniß in den Weg legen.«

»Sie meinen?«

»Darüber kann gar kein Zweifel herrschen,« mischte sich hier wieder der Attaché mit vornehmer, entschiedener Miene in das Gespräch; »wenn ihr nicht der Engländer an Rang gleich ist.«

Jetzt machte sich an der Thüre eine leichte Bewegung und ein Gemurmel bemerkbar; denn der Graf von Peschiera in Person wurde angemeldet, und als er eintrat, war seine Erscheinung so frappant und seine Schönheit so blendend, daß, mochte man nun hinsichtlich seines Charakters Vorurtheile haben, welche man wollte, sie sofort in Folge jener unwiderstehlichen Bewunderung, die nur durch persönliche Vorzüge erzeugt wird, zu nichte gemacht oder wenigstens vergessen wurden.

Der Prinz krümmte leicht die Lippen, als sich die Gruppen um den Grafen sammelten, dann wandte er sich zu Randal mit den Worten:

»Können Sie mir sagen, ob ein ausgezeichneter Landsmann von Ihnen in England ist – Lord L'Estrange?«

»Nein, Prinz – er ist noch nicht zurück. Sie kennen ihn?«

»Genau.«

»Er ist mit dem Verwandten des Grafen befreundet, und vielleicht haben Sie sich durch ihn eine so hohe Meinung über diesen Verwandten gebildet?«

Der Prinz nickte und versetzte im Weggehen: »Wenn ein Mann von hoher Ehrenhaftigkeit für einen Anderen einsteht, so muß ihm Jeder glauben«

»Wahrhaftig,« sagte Randal für sich, »ich darf nicht zu voreilig sein. Ich war sehr nahe daran, in eine greuliche Falle zu gehen. Wenn ich das Mädchen heirathete und nichts davon hätte, als daß ich die Erbschaft Peschiera zuwendete! – Wie schwierig ist es doch, in dieser Welt vorsichtig genug zu sein!«

Während er so bei sich überlegte, klopfte ihm ein Parlamentsmitglied auf die Schulter.

»Melancholisch, Leslie! Ich wette, ich errathe Ihre Gedanken.«

»Rathen Sie,« versetzte Randal.

»Sie dachten an den Posten, den Sie so bald verlieren werden.«

»So bald verlieren!«

»Nun, wenn die Minister abtreten, werden Sie ihn, wie ich mir einbilde, schwerlich inne behalten können.«

Dieses unheilbringende, fürchterliche Parlamentsmitglied, ein von Squire Hazeldean besonders bevorzugter Grafschaftsangehöriger, Sir John, war einer jener den Beamten besonders verhaßter Gesetzgeber – ein unabhängiger, weitbegüterter Mann, der ebenso wenig ein Amt angenommen, als die Eichen in seinem Parke umgehauen hätte, und in seinem Innern keine Spur menschlichen Gefühls für Diejenigen nährte, die anderen Geschmack und weniger glänzende Mittel hatten.

»Hm!« sagte Randal finster. »Für's Erste, Sir John, treten die Minister nicht ab.«

»Doch, doch, sie werden es thun. Sie wissen, ich stimme gewöhnlich mit ihnen und möchte sie gerne auf ihrem Platze lassen, allein, sie sind Männer von Ehre und Geist; und wenn sie ihre Vorlagen nicht durchsetzen können, so müssen sie ihren Abschied nehmen; sonst, beim Zeus, mache ich linksum und votire sie selbst hinaus!«

»Das bezweifle ich keinen Augenblick, Sir John; Sie sehen mir ganz darnach aus; Sie haben dies mit sich und Ihren Wählern auszumachen. Aber selbst wenn die Minister abtreten sollten, so bin ich nur ein armer, untergeordneter Beamter im öffentlichen Dienste. Ich bin nicht Minister – warum sollte ich mit ihnen gehen?«

»Warum? Zum Teufel, Leslie, Sie treiben Ihren Spott mit mir! Ein junger Bursche, wie Sie, wird doch nicht so schlecht sein, zu bleiben – unter denselben Männern, welche Ihren Freund Egerton hinausgedrängt haben!«

»Es ist nicht gebräuchlich, daß Diejenigen, welche öffentliche Aemter bekleiden, bei jedem Ministerwechsel gleichfalls gehen.«

»Gewiß nicht; aber jedenfalls die Verwandten eines abtretenden Ministers – jedenfalls Diejenigen, die für Politiker gelten und selbst in das Parlament treten wollen, was bei der nächsten Wahl natürlich Ihre Absicht ist. Aber das wissen Sie so gut, wie ich – Sie, der Sie eine so ausgesprochene, politische Ansicht haben, der Verfasser jener bewundernswürdigen Flugschrift! Ich möchte meinem Freunde Hazeldean, der für Sie ein aufrichtiges Interesse empfindet, nicht erzählen, daß Ihnen in einem Ehrenpunkte, der so einfach ist, wie das ABC, die Wahl zweifelhaft wurde.«

»Wahrhaftig, Sir John,« sagte Randal, sich fassend und mit gewohnter Glätte, während er innerlich eine greuliche Verwünschung gegen sein Grafschaftsmitglied ausstieß – »ich bin in diesen Dingen noch ein solcher Neuling, daß ich an das, was Sie mir eben sagten, bis jetzt gar nicht dachte. Ohne Zweifel haben Sie Recht; übrigens darf ich mich ja nur an Mr. Egerton selbst wenden, einen besseren Führer und Rathgeber kann ich nicht finden.«

»Nein, sicherlich nicht – durch und durch ein Gentleman, dieser Egerton! Ich wollte, es ließe sich zwischen ihm und Hazeldean vermitteln.«

Randal (seufzend). – »Ach, wenn das möglich wäre!«

Sir John. – »Wer weiß, ob nicht gerade jetzt möglich! Denn die Zeit naht, in welcher alle Getreuen der alten Schule fest zusammenhalten müssen.«

Randal. – »Weise – bewunderungswürdig gesprochen, mein theurer Sir John. Aber entschuldigen Sie, ich muß dem Gesandten mein Compliment machen.«

Randal entwischte und weiter gehend sah er im anstoßenden Zimmer den Gesandten mit Audley Egerton in einer Ecke sprechen. Der Gesandte schien sehr ernst – Egerton ruhig und undurchdringlich, wie gewöhnlich. In diesem Augenblick ging der Graf vorüber, und der Gesandte verbeugte sich gegen ihn sehr steif. Als Randal einige Zeit später unten seinen Mantel suchte, trat Audley Egerton unerwartet zu ihm.

»Ah, Leslie,« sagte der Minister in herzlicherem Tone als sonst, »wenn Sie nicht die Nachtluft fürchten, so könnten wir zusammen zu Fuß nach Hause gehen. Ich habe den Wagen fortgeschickt.«

Diese Herablassung seines Gönners war ihm etwas so Neues, daß Randal förmlich erschrak und nichts Gutes ahnte. Als sie die Straße erreicht hatten, begann Egerton nach einer Pause:

»Mein theurer Mr. Leslie, ich hoffte und glaubte, Ihnen für jetzt eine sorgenfreie Existenz gesichert zu haben und später vielleicht eine noch glänzendere Laufbahn eröffnen zu können. St! Ich zweifle nicht an Ihrer Dankbarkeit; lassen Sie mich fortfahren. Es ist nicht undenkbar, daß nach gewissen Entscheidungen, die die Regierung zu treffen haben wird, wir im Hause der Gemeinen geschlagen werden und dann natürlich abtreten. Ich sage Ihnen dies zum Voraus, denn ich möchte Ihnen Zeit lassen, zu überlegen, welchen Weg Sie solchen Falls am besten einschlagen würden. Mit meiner Macht, Ihnen zu nützen, ist es dann wahrscheinlich vorbei. Man wird ohne Zweifel (Angesichts unserer nahen Verwandtschaft und meiner genugsam bekannten Pläne für Ihre Zukunft) – man wird erwarten, daß Sie Ihre Stelle aufgeben und Ihr Geschick unbedingt an das meinige heften. Da ich aber unter der Gegenpartei keine persönlichen Feinde habe und meine Stellung in der Welt der Art ist, daß ich Ihrer Wahl, wie sie auch ausfallen möge, die nöthige Geltung verschaffen kann, so sagen Sie es mir aufrichtig, wenn Sie es für klüger halten, Ihre Stelle zu behalten, und ich denke, es wird mir gelingen, Ihnen solches zu ermöglichen, ohne daß Ihre Ehre oder Ihr Charakter darunter Noth leidet. In diesem Falle bezähmen Sie Ihren Ehrgeiz so weit, daß Sie sich auf ein allmäliges Vorrücken in Ihrem Amte beschränken und sich nicht weiter in Politik mischen. Auf der andern Seite – wenn Sie es vorziehen sollten, meine Wiederberufung in das Cabinet abzuwarten, sich Ihres Postens zu begeben, und demgemäß eine Politik zu verfolgen, die vielleicht nicht nur oppositionell, sondern auch unpopulär sein wird, so will ich es mir angelegen sein lassen, Sie in das parlamentarische Leben einzuführen. Ich kann jedoch nicht sagen, daß ich Ihnen zu Letzterem rathe.«

Randal war es zu Muthe, wie nach einem schweren Fall – er war buchstäblich betäubt. Endlich stotterte er:

»Können Sie glauben, Sir, daß ich je Ihren Stern – Ihre Partei – Ihre Sache verlassen werde?«

»Mein theurer Leslie,« erwiderte der Minister, »Sie sind zu jung, um irgend einer Person oder irgend einer Partei gegenüber eine Verantwortung zu haben, jene unselige Flugschrift allerdings ausgenommen. Dies ist eine Sache, wo nicht das Gefühl, sondern nur der Verstand zu Rathe gezogen werden darf. Für heute genug hierüber; aber überlegen Sie sich die Pro und Contra, und Sie werden dann, wenn Sie plötzlich eine Wahl zu treffen haben, besser in der Lage sein, die richtige zu finden.«

»Aber ich hoffe, diese Zeit wird nicht kommen.«

»Auch ich hoffe es, und zwar von ganzem Herzen,« sagte der Minister mit absichtlicher, ungekünstelter Betonung.

»Was könnte dem Lande Schlimmeres begegnen!« rief Randal. »Wie es mir scheint, liegt es ganz außer aller menschlichen Berechnung, daß Sie und Ihre Partei je abtreten.«

»Und sind wir einmal abgetreten, so wird es eine Menge superkluge Köpfe geben, die behaupten, es liege außer aller menschlichen Berechnung, daß wir je wieder eintreten werden. Hier sind wir an der Thüre.«


Fünftes Kapitel.

Randal verbrachte eine schlaflose Nacht; viel Schlaf war ihm aber auch nicht Bedürfniß, er hatte sich nie daran gewöhnt. Erst gegen Morgen, zu der Zeit, da die Träume, wie man sagt, prophetisch werden, versank er in einen äußerst ergötzlichen Schlummer – Rood Hall stieg vor ihm auf, gekrönt mit den Thürmen von Belvoir oder Raby Belvoir Castle ist ein Schloss in der Grafschaft Leicestershire im Zentrum Englands im Vale of Belvoir. – Raby Castle ist eine mittelalterliche Burg beim Dorf Staindrop im englischen County Durham., auf unterworfene Schlösser und Ländereien niederschauend, die der schändlichen Räuberei der Thornhills und Hazeldeans entrissen worden – Audley Egertons Geld und Macht, die Zimmer in Downingstreet In Downing Street Nr. 10 befindet sich seit gut 200 Jahren der offizielle Amts- und Wohnsitz des ersten Lords des Schatzamtes und somit auch des Premierministers, da beide Ämter von ein und derselben Person bekleidet werden., die Salons in Grosvenor Square waren auf den lächelnden Träumer übergegangen, wie das Reich der Chaldäer auf Darius den Meder Dareios der Meder war ein im biblischen Buch Daniel erwähnter Herrscher. Nach der Eroberung Babylons (539 v.u.Z.) durch das Heer des Persers Kyros II. soll er der Chaldäische König geworden sein.. Warum Träume, welche die vorausgegangenen düsteren und beklommenen Gedanken so sehr Lügen straften, Randal Leslie's Kissen heimsuchten, vermag meine Philosophie nicht zu ergründen.

Er konnte sich nicht entschließen, ihren Zauber zu brechen, und erschrak, die Glocke elf Uhr schlagen zu hören, als er zum Frühstück herunterkam. Er war über die späte Stunde ärgerlich, denn er hätte gerne von Egertons ungewöhnlicher Weichheit Nutzen gezogen und einige Zusagen oder Anerbieten für sich herausgeschlagen, um den Aussichten, welche der Minister am Abend vorher so erkältend vor ihm ausgebreitet hatte, eine heiterere Färbung zu geben. Und nur beim Frühstück konnte er Gelegenheit finden, seinen viel beschäftigten Gönner unter vier Augen zu sprechen.

Audley Egerton mußte jetzt schon ausgegangen sein – und so war es auch – nur wunderte sich Randal, als er hörte, daß derselbe nicht wie sonst, zu Fuß, sondern zu Wagen das Haus verlassen habe. Randal beendigte rasch sein einsames Mahl, und mit einer neuen, plötzlichen Liebe für sein Amt lenkte er eben dahin seine Schritte.

Als er durch Piccadilly ging, vernahm er hinter sich eine Stimme, mit der er in letzter Zeit nähere Bekanntschaft gemacht hatte, und sich umwendend sah er Baron Levy an der Seite – jedoch nicht Arm in Arm – eines Gentlemans, beinahe so elegant, wie er selbst, aber der Schritt elastischer und die Geberden lebhafter – ein Schritt, gleich demjenigen Diomeds, der, wie ihn Shakespeare schildert –

»Sich auf den Zehen hebt; deß Geist
Hochathmend strebt von dieser Erd' empor.« Troilus und Cressida, Akt IV, Szene 5.

Man kann in der That den Charakter und die Sinnesart eines Menschen am Gange und an der Haltung erkennen. Wer sich mit abstraktem Denken zu beschäftigen pflegt, sieht zu Boden. Wer sich vom Moment hinreißen läßt oder irgend etwas Nothwendiges in die Erinnerung zurückrufen möchte, wirft den Kopf mit einem plötzlichen Ruck in die Höhe. Der gesetzte, vorsichtige, lediglich praktische Mann geht bedächtig, die Augen gerade aus, und gibt, er mag noch so gedankenvoll sein, auf die Dinge rings um ihn hinreichend Acht, um dem Karren eines Dienstmannes oder dem Korbe eines Fleischerjungen auszuweichen.

Aber der Mann mit starken Nerven, von unternehmendem, lebhaftem Temperamente, praktisch und spekulativ zugleich, der Mann, der von Wetteifer und Thatkraft beseelt, beständig vorwärts strebt sanguinisch, behende, kühn – dieser geht nicht, er springt, sieht über die Köpfe der Andern mit einer raschen Wendung des eigenen, der leicht zwischen den Schultern sitzt, hinweg; sein Mund ist ein wenig geöffnet, sein Auge glänzend, rastlos, aber durchdringend; seine Haltung hat etwas Herausforderndes, seine Gestalt ist aufrecht, aber nicht steif. So war die Erscheinung von Baron Levy's Begleiter.

Und als sich Randal bei dem Tone von Levy's Stemme umwandte, sagte der Baron zu seinem Gefährten:

»Ein junger Mann, der in den ersten Cirkeln zu Hause – Sie sollten ihn für die Gesellschaften Ihrer schönen Gemahlin gewinnen. Wie geht's, Mr. Leslie? Gestatten Sie mir, Sie mit Mr. Richard Avenel bekannt zu machen.‹

Dann seinen Arm in den Randals legend, flüsterte er:

»Mann von eminentem Talente – enorm reich – hat zwei oder drei Parlamentssitze in seiner Tasche – Frau gibt Gesellschaften – ihre schwache Seite.«

»Stolz, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir,« sagte Mr. Avenel, seinen Hut lüpfend. »Schöner Tag.«

»Etwas kalt,« erwiderte Leslie, der, wie die meisten schmächtigen Personen mit schwacher Verdauung, von Natur frostig war; überdies hatte er genug auf dem Herzen, um auch den Leib frieren zu machen.

»Um so gesünder – stählt die Nerven,« sagte Mr. Avenel. »Aber Ihr junges Volk werdet schlaff durch heiße Zimmer und späte Stunden. Freund vom Tanzen, natürlich?« Dann, ohne Randals Nein abzuwarten, fuhr Mr. Richard schnell fort:

»Mrs. Avenel gibt Donnerstag eine soireé dansante Festliche Abendveranstaltung mit Tanz. –wird sich glücklich schätzen, Sie in Eaton Square zu sehen. Halt! ich habe eine Karte.«

Und er zog ein Dutzend großer Einladungskarten heraus, von denen er eine auswählte und dem jungen Manne anbot. Der Baron drückte Randals Arm, und Letzterer erwiderte artig, daß es ihm großes Vergnügen machen würde, Mrs. Avenel vorgestellt zu werden. Da es ihm aber keineswegs darum zu thun war, unter Baron Levy's Fittichen – gleich der Taube unter denen des Habichts – gesehen zu werden, so machte er sich sachte los und ging, große Eile vorschützend, rasch seinem Bureau zu.

»Dieser junge Mann wird eines Tags eine Rolle spielen,« sagte der Baron. »Ich kenne keinen einzigen seiner Altersgenossen, der so wenig Vorurtheile hätte. Er ist verwandt mit Audley Egerton, der –«

»Audley Egerton!« rief Mr. Avenel; »verd–t sei dieser hochmüthige, aristokratische, widerwärtige, undankbare Mensch!«

»Warum? Was wissen Sie denn von ihm?«

»Seinen ersten Parlamentssitz verdankte er den Stimmen zweier naher Verwandten von mir, und als ich ihn neulich auf seinem Bureau aufsuchte, ließ er mir förmlich die Thüre weisen. Zum Teufel mit seiner Unverschämtheit; kann ich es ihm je heimzahlen, so soll es, schätz' ich, an gutem Willen bei mir gewiß nicht fehlen!«

»Ihnen die Thüre gewiesen? Das sieht Egerton nicht gleich; er ist – wenigstens sonst – immer höflich, wenn auch förmlich. Sie müssen eine seiner schwachen Seiten empfindlich berührt haben.«

»Wer vom Volk so schön bezahlt wird, darf keine schwachen Seiten haben. Welches ist diejenige Egertons?«

»O, er legt Werth darauf, durch und durch ein Gentleman zu sein – ein Mann von mackelloser Ehre,« sagte Levy spöttisch. »Sie müssen ihn hier angepackt haben. Was war es denn?«

»Ich weiß es nicht mehr,« antwortete Mr. Avenel, der London seit seiner Vermählung zu gut kennen gelernt hatte, um zu wissen, wie man über Titel dachte Übertragung hier unglücklich; »… zu wohl wußte, wie man in London die Titel sah, um nicht mit Erröthen …« (so die Stelle in der Übersetzung Carl Kolbs)., und jetzt mit Erröthen auf den Wunsch, Ritter zu werden, zurücksah. »Es nützt zu nichts, uns wegen der Federn eines vorlauten Papagaien die Köpfe zu erhitzen. Um auf den Gegenstand unserer Unterredung zurückzukommen – Sie müssen sicher sein, mir das Geld in der nächsten Woche verschaffen zu können«

»Verlassen Sie sich darauf«

»Und Sie geben meine Wechsel nicht auf den Markt, halten sie unter Schloß und Riegel.«

»So haben wir's ausgemacht.«

»Es ist nur eine vorübergehende Stockung – Hoftrauer, welcher Unsinn – panischer Schrecken im Handel, diese kostbaren Minister könnten abtreten. Ich werde bald wieder flott sein auf dem unruhigen Wasser.«

»Mittelst eines Papierboots,« sagte der Baron lachend.

Die beiden Gentlemen schüttelten sich die Hände und schieden.


Sechstes Kapitel.

Unterdessen war Audley Egerton von seinem Wagen an Lord Lansmere's Thüre in Knightsbridge abgesetzt worden. Er frug nach der Gräfin und wurde in das Besuchszimmer geführt, welches er leer fand. Egerton war blässer als sonst, und als sich die Thüre öffnete, wischte er den ungewohnten Schweiß von der Stirne, und seine festen Lippen zuckten unmerklich. Auch die Gräfin, die sich sonst wohl zu beherrschen wußte, vermochte ihre Aufregung beim Eintritte kaum zu bemeistern. Schweigend drückte sie Audley's Hand und suchte, während sie sich neben ihn setzte, ihre Gedanken zu sammeln.

Endlich begann sie:

»Wir sehen uns selten, Mr. Egerton, ungeachtet Ihrer vertrauten Beziehungen zu Lansmere und Harley. Ich suche so wenig Ihre Welt auf, und Sie kommen aus eigenem Antrieb nicht zu mir.«

»Madame,« erwiderte Egerton, »ich könnte Ihrem für mich so gütig klingenden Vorwurf mit der Bemerkung ausweichen, daß ich über meine Zeit nicht frei zu verfügen habe; aber ich thue das nicht – ich antworte Ihnen die volle Wahrheit: uns zu sehen, muß uns Beiden schmerzlich sein.«

Die Gräfin erröthete und seufzte, ohne die Bemerkung zu bestreiten.

»Und deßhalb,« fuhr Audley fort, »vermuthe ich, daß Sie mich rufen ließen, um mir etwas von Wichtigkeit mitzutheilen.«

»Es betrifft Harley,« sagte die Gräfin, gleichsam entschuldigend; »ich möchte Sie zu Rathe ziehen.«

»Harley! sprechen Sie, ich beschwöre Sie!«

»Mein Sohn wird Ihnen mitgetheilt haben, daß er ein junges Mädchen sich herangezogen hat und ausbilden ließ in der Absicht, sie zur Lady L'Estrange und seiner Zeit zur Gräfin von Lansmere zu machen.«

»Harley hat vor mir keine Geheimnisse,« sagte Egerton gedrückt.

»Diese junge Dame ist in England angekommen – ist hier – in diesem Hause.«

»Und Harley auch?«

»Nein, sie kam mit Lady N*** und ihren Töchtern. Harley sollte bald nachfolgen, und ich erwarte ihn täglich. Hier ist sein Brief. Sie sehen, noch hat er dem jungen Mädchen, das jetzt meiner Obhut anvertraut ist, seine Absichten nicht mitgetheilt – noch nie mit ihr als Liebhaber gesprochen.«

Egerton nahm den Brief und las ihn rasch Wort für Wort durch.

»Ganz recht,« sagte er, als er das Schreiben zurückgab, »und ehe er es thut, ist es sein Wunsch, daß Sie Miß Digby sehen und selbst über sie urtheilen – ist es sein Wunsch, zu wissen, ob Sie seine Wahl billigen und segnen.«

»Eben hierüber wollte ich Sie zu Rathe ziehen – ein Mädchen ohne Rang – der Vater, was nicht in Abrede zu ziehen, ein Gentleman, obgleich ein etwas zweideutiger – aber von der Mutter weiß ich gar nichts. Und Harley, für den ich auf eine Verbindung mit den ersten Familien Englands hoffte!« Die Gräfin preßte ihre Hände krampfhaft zusammen.

Egerton. – »Er ist kein Knabe mehr. Seine Talente sind vergeudet, sein Leben das eines Wanderers. Er bietet Ihnen die Hand dazu, sein Gemüth wieder zur Ruhe zu bringen, die ihm innewohnenden Kräfte wieder zu wecken, eine Heimath neben Ihrer eigenen zu gründen. Lady Lansmere, Sie können keinen Augenblick zaudern!«

Lady Lansmere. – »Doch, doch! Nach all den geträumten Erwartungen, nach all den Anstrengungen, um zu verhindern« –

Egerton (sie unterbrechend) – »sind Sie ihm jetzt eine Sühne schuldig: in Ihrer Macht steht es, in der meinigen nicht.«

Die Gräfin drückte wieder Audley's Hand, und die Thränen stürzten aus ihren Augen.

»Es sei so. Ich willige ein – ich willige ein. Dies stolze Herz soll verstummen, soll sich beugen. Ach! beinahe brach es das seinige! Ich bin froh, daß Sie so reden; es freut mich, zu denken, daß er meine Einwilligung Ihnen verdankt. Hierin liegt Sühnung für uns Beide – Beide.«

»Sie sind zu edelmüthig, Madame,« sagte Egerton, sichtlich bewegt, obschon er, wie immer, kämpfte, der Bewegung Meister zu werden. »Und jetzt darf ich wohl die junge Dame sehen? Diese Unterredung ist für mich schmerzlich; selbst meine starken Nerven beben, und ich habe gegenwärtig viel durchzukämpfen – bedarf aller meiner Kraft und Festigkeit.«

»Ich höre allerdings, daß das Ministerium sich wahrscheinlich zurückziehen wird. Allein es geschieht mit Ehren: es wird von der Stimme der Nation bald wieder zurückgerufen werden.«

»Lassen Sie mich die zukünftige Gattin Harley L'Estrange's sehen,« sagte Egerton, ohne diese tröstenden Worte der Beruhigung zu beachten.

Die Gräfin erhob sich und verließ das Zimmer. In wenigen Minuten kam sie mit Helene Digby zurück.

Das bleiche, zarte Kind mit dem sanften Lächeln und den klugen Augen, das wir an Leonards Seite in dem Dachstübchen sitzen sahen hatte sich wunderbar entwickelt. Helene war von mittlerer Größe, von schmächtigem, aber seinem Wuchse, mit jenen weichen, vollkommen proportionirten Formen, die in ihrer wellenförmigen, schmiegsamen Anmuth dem Ideale eines Weibes entsprechen – gemacht, das Leben zu verschönern und seine rauhen Ecken abzuschleifen – als Verschönerungs-, nicht als Schutzmittel. Ihre Züge mochten vielleicht ein kritisches Künstlerauge nicht befriedigen – sie waren nicht durchaus regelmäßig, aber der Ausdruck derselben hatte etwas unendlich Edles und Einnehmendes; und Wenige wären wohl gewesen, die nicht ausgerufen hätten: »Welch liebliches Antlitz!« Auf ihrer milden Stirne lag ein Hauch von Schwermuth – die reifere Jugend hatte die Spuren der Kindheit nicht verwischen können. Ihr Schritt war langsam, ihr Wesen scheu, unterwürfig und ängstlich.

Audley betrachtete sie mit ernstem Auge, als sie auf ihn zu kam; und dann näher tretend nahm er ihre Hand und küßte sie.

»Ich bin der treue Freund Ihres Gönners,« sagte er und zog sie sanft auf einen Sitz neben sich in einer Fensternische. Ein rascher Blick seiner Augen schien der Gräfin den Wunsch auszudrücken, mit Helene bei Seite zu sprechen. So verstand es wenigstens die Gräfin; sie setzte sich daher in einiger Entfernung nieder und beugte sich über ein Buch.

Es war rührend, zu sehen, wie es sich der strenge Geschäftsmann angelegen sein ließ, das Gemüth dieses ruhigen, zaghaften Mädchens zu erforschen; und wer zuhörte, begriff, wie es kam, daß er in der Gesellschaft einen solchen Einfluß erlangte, und wie er in verschiedenen Perioden seines Lebens gelernt hatte, sich dem weiblichen Geschlechte anzupassen.

Zuerst redete er von Harley L'Estrange – mit Takt und Zartgefühl. Helenens Antworten waren anfangs nur einsylbig, nach und nach bekundeten sie dankbare, offene Anhänglichkeit. Audley's Stirne umschattete sich. Dann redete er von Italien; und obwohl Niemand eine weniger poetische Natur besaß, so lenkte er doch mit der Gewandtheit eines Mannes, der lange in der Welt gelebt hatte und gewöhnt war, sich über Charaktere, die dem seinigen gerade entgegengesetzt waren, Gewißheit zu verschaffen, das Gespräch auf Gegenstände, die geeignet sein konnten, das Poetische in anderen Naturen zu erschließen.

Helenens Antworten zeugten von einem gebildeten Geschmack und einem bezaubernden weiblichen Gemüthe – einem Gemüthe jedoch, welches gewohnt war, sein Colorit von Anderen zu entlehnen, das Schöne und Hehre zu schätzen, zu bewundern, zu verehren, aber demüthig und bescheiden. Keine lebhafte Begeisterung, keine originellen Bemerkungen, kein Aufleuchten eines aus sich selbst schöpfenden Geistes.

Zuletzt kam Egerton auf England zu sprechen, auf die kritischen Zeitumstände, auf die Ansprüche, die das Land an alle Diejenigen machen könne, welche die Fähigkeiten besitzen, seine wirren Geschicke zu ordnen und zu leiten. Er verweilte mit Wärme auf Harley's natürlichen Talenten und freute sich, daß er nach England zurückgekehrt, vielleicht, um eine große Laufbahn zu beginnen.

Helene schien überrascht, aber eine verwandte Gluth vermochte Audley's Beredtsamkeit in ihrem Gesichte nicht anzufachen. Er erhob sich, und ein Ausdruck von Enttäuschung glitt über seine ernsten, schönen Züge, verschwand jedoch eben so rasch wieder.

»Leben Sie wohl, meine theure Miß Digby; ich fürchte, ich habe Sie ermüdet, besonders mit meiner Politik. Leben Sie wohl, Lady Lansmere; Harley werde ich ohne Zweifel sehen, sobald er zurückkömmt.«

Eilend verließ er das Zimmer, erreichte seinen Wagen und hieß den Kutscher nach Downingstreet fahren. Er zog die Fenstervorhänge zu und lehnte sich in die Kissen zurück. Seine Züge zeigten eine gewisse Erschlaffung, und ein oder zweimal drückte er die Hand mechanisch auf das Herz.

»Sie ist gut, liebenswürdig, verständig – wird ohne Zweifel eine ausgezeichnete Gattin geben,« murmelte er. »Allein fühlt sie für Harley diejenige Liebe, von welcher er geträumt hat? Nein! Hat sie die Macht und die Energie, seine Fähigkeiten wach zu rufen und der Welt den Harley von ehedem wiederzugeben? Nein! Vom Himmel dazu bestimmt, der Schatten von eines Anderen Sonne – nicht die Sonne selbst – zu sein, wird dieses Kind niemals die Vergangenheit versöhnen, nie die Zukunft erhellen.«


Siebentes Kapitel.

Am Abend dieses Tages langte Harley L'Estrange im Hause seines Vaters an. Die wenigen Jahre, die verflossen, seit wir ihn zuletzt gesehen, hatten in seiner äußeren Erscheinung keine merkliche Veränderung hervorgebracht. Es war noch immer dieselbe jugendlich elastische Gestalt, dieselbe Mannigfaltigkeit in dem stets wechselnden Ausdruck seiner Züge. Er schien aufrichtig erfreut, seine Eltern wiederzusehen, und hatte etwas von der Fröhlichkeit und der Zärtlichkeit eines Knaben, der von der Schule zurückkommt.

Sein Benehmen Helenen gegenüber offenbarte den ritterlichen Sinn, der alle die verwickelten Labyrinthe seines Charakters durchdrang. Es war zärtlich, aber achtungsvoll; das ihrige unterwürfig – aber voll unschuldiger Freundlichkeit und sanfter Herzlichkeit.

Harley führte hauptsächlich das Wort. Die Zeitlage war so kritisch, daß er die Besprechung politischer Fragen nicht umgehen konnte, und er legte hiebei wirklich ein bisher nie bewiesenes Interesse an den Tag. Lord Lansmere war entzückt.

»So, Harley, du liebst doch noch dein Vaterland?«

»Wenn ich es in Gefahr glaube – ja!« entgegnen der Patrizier; und der Sybarite Siehe Anm. 276. – »Zum Athener werden« meint, zu einem Menschen mit politischem Interesse. schien zum Athener zu werden. Dann erkundigte er sich eifrig nach seinem alten Freunde Audley, und nachdem seine Neugierde befriedigt war, wollte er auch die Neuigkeiten in der literarischen Welt wissen. Er hatte viel von einem erst kürzlich erschienenen Buche gehört. Er nannte dasselbe, welches von Pfarrer Dale seinem Freunde Professor Moß zugeschrieben worden war; Keines der Anwesenden hatte es gelesen.

Harley tadelte sie darob und beschuldigte sie Alle in sinnreicher, bildlicher Redeweise des Stumpfsinnes und der Gleichgültigkeit. Dann fuhr er fort: »Und Stadtgeklatsch?«

»Es kömmt uns nie welches zu Ohren,« sagte Lady Lansmere.

»Von einem neuen Pfluge wird bei Boodle Boodle's: ein 1762 gegründeter Genleman's Club mit Sitz in Pall Mall, London. – Der danach erwähnte White's Club ist einer der ältesten und renommiertesten britischen Clubs (seit 1736). viel gesprochen,« bemerkte Lord Lansmere.

»Der Himmel lasse ihn gedeihen. Aber wird nicht von einem neuen Manne in White's Club viel gesprochen?«

»Ich gehöre nicht zu White's Club.«

»Dessenungeachtet könnten Sie von ihm gehört haben – es ist ein Ausländer, ein Graf von Peschiera.«

»Ja,« antwortete Lord Lansmere, »er wurde mir in dem Park gezeigt – ein schöner Mann für einen Ausländer; trägt seine Haare so geschnitten, wie es sich gehört; sieht aus wie ein Gentleman und wie ein Engländer.«

»Aha! So ist er hier!« und Harley rieb sich die Hände.

»Welchen Weg nahmst du? Ueber den Simpson?«

»Nein; ich komme direkt von Wien.«

Er gab nun eine äußerst lebendige Schilderung seiner Reiseabenteuer und entzückte Lord Lansmere immer mehr durch seine Fröhlichkeit, bis es Zeit war, sich zur Ruhe zu begeben.

Sobald sich Harley in seinem Zimmer befand, suchte ihn seine Mutter auf.

»Nun,« sagte er, »ich brauche nicht zu fragen, ob dir Miß Digby gefällt? Wem gefiele sie nicht?«

»Harley, mein innigst geliebter Sohn,« rief die Mutter, in Thränen ausbrechend, »sei glücklich auf deine Art; nur sei glücklich, das ist alles, um was ich bete.«

Harley, tiefbewegt, beantwortete diesen liebevollen Ausruf in Ausdrücken zärtlichen Dankes. Dann allmälig auf Helene das Gespräch lenkend, frug er abgebrochen:

»Und in Beziehung auf unser Glück – das ihrige so gut wie das meinige – was ist deine Meinung? Sprich offen.«

»Daß sie glücklich wird, kann keinem Zweifel unterliegen,« entgegnete die Mutter stolz. »Du – wie kannst du mich fragen? Hast du nicht selbst für dich entschieden?«

»Aber der Beifall Anderer erfreut und ermuthigt bei jedem noch so wohl überlegten Versuche. Helene hat gewiß das edelste Gemüth.«

»So vermuthe ich. Allein ihr Geist –«

»Ist reichlich ausgerüstet.«

»Sie spricht so wenig –«

»Ja. Ich möchte wissen, warum? Sie ist doch ein Weib!«

»Pah!« sagte die Gräfin, indem sie ein schwaches Lächeln nicht unterdrücken konnte. »Aber erzähle mir mehr davon, wie es mit deinem Versuche gegangen. Du nahmst sie als Kind zu dir und beschlossest, sie nach deinem eigenen Ideal zu erziehen. War das leicht?«

»So schien es. Ich wollte ihr Liebe zur Wahrheit einprägen – sie war schon von Natur so wahr wie der Tag; Sinn für die Natur und für alles, was in der Natur ist, schien ihr angeboren; das Verhältniß der Kunst zur Natur, daß letztere durch erstere ihre Erklärung finde – dies ihr begreiflich zu machen, war schon schwieriger. Das Verständniß wird, denke ich, noch kommen. Du hast sie spielen und singen hören?«

»Nein«

»Du wirst erstaunt sein. Weniger Talent hat sie für's Zeichnen. Was durch Unterricht erreicht werden konnte, ist erreicht – mit Einem Wort, sie ist auf das Sorgfältigste ausgebildet. Gemüth, Herz, Geist – alles das ist vortrefflich.« Harley hielt inne und unterdrückte einen Seufzer. »Gewiß, ich sollte sehr glücklich werden,« sagte er und begann seine Uhr aufzuziehen.

»Natürlich muß sie dich lieben!« sagte die Gräfin nach einer Pause. »Wie könnte sie nicht?«

»Mich lieben? Meine theure Mutter, eben das ist es, was ich noch zu fragen habe.«

»Zu fragen? Liebe enthüllt sich durch einen einzigen Blick; da bedarf es keines Fragens.«

»Dann hat sie sich mir noch nicht enthüllt, dessen bin ich sicher. Die Sache ist, daß ich sie, wie du dir wohl denken kannst, noch während ihrer Kinderjahre aus dem Hause gab. Sie lebte bei einer italienischen Familie, in der Nähe meiner Wohnung. Ich besuchte sie oft, leitete ihre Studien, verfolgte die Fortschritte, die sie machte –«

»Und drücktest dir Amor's Pfeil in die Brust?«

»Ein Pfeil ist gar ein scharfes Ding. Nein, ich erinnere mich nicht eines solchen Pfeils. Alles ging seinen ruhigen, geweisten Weg »A smooth inclined way«: »ein glatte, geneigte Ebene« (Carl Kolb), bis ich endlich bei mir sprach: ›Harley L'Estrange, deine Zeit ist gekommen. Die Knospe hat sich zur Blume entfaltet. Nimm sie an deine Brust.‹ Und ich antwortete mir demüthig: ›So sei es.‹ Dann erfuhr ich, daß Lady N*** mit ihren Töchtern in nächster Zeit nach England zurückkehren werde. Ich ersuchte Mylady, dir meine Mündel zu bringen. Ich schrieb dir und bat um deine Einwilligung; und nachdem diese gegeben, wußte ich, daß du auch die meines Vaters erlangen würdest. Ich bin hier – du zollst mir den Beifall, um den es mir zu thun war. Ich will morgen mit Helene sprechen. Aber wer weiß, am Ende bescheidet sie mich doch abschlägig.«

»Seltsam – seltsam, du sprichst so kühl, so leichthin – du, dessen Herz einer so glühenden Liebe fähig ist!«

»Mutter,« sagte Harley ernst, »laß dir das genügen! Mir genügt es. Die Liebe von früher – das fühle ich nur zu gut – kann bei mir nie mehr einziehen. Aber eine sanfte Gefährtin, zarte Freundschaft, das sonnige, alles erwärmende Lächeln eines Weibes – später fröhliche Kinderstimmen, eine Musik, deren Echo in den Herzen der Eltern die dauerndsten und reinsten Sympathien weckt, das sind meine Hoffnungen. Sind sie so gering anzuschlagen, meine zärtliche Mutter?«

Wieder weinte die Gräfin, und ihre Thränen waren noch nicht getrocknet, als sie ihren Sohn verließ.


Achtes Kapitel.

Helene, schöne Helene, in der sich die ruhige, heitere, unbeachtete, tief empfundene Vortrefflichkeit des Weibes verkörpert! Des Weibes, nicht wie es der Dichter als sein Ideal aus den Lüften herabbeschwört, sondern als Genossin eines Dichters auf Erden! Des Weibes, welches dessen Mängel durch eine klare Anschauung des Alltagslebens mit seinem Takte ergänzt, während sein Fuß auf der Erde strauchelt, weil sein Auge zu fest an den Sternen haftet! Des sorgenden, tröstenden Weibes – des Engels, dessen Fittige das Herz umschließen, zum Schutze des göttlichen Springquells gegen die eisigen Winde dieser Welt! Helene, sanfte Helene, bist du wirklich das Wesen, in welchem der wilde, glänzende »Herr des behaglichen Ueberflusses« die Wiedergeburt seines Lebens, die Wiedertaufe seiner Seele finden soll? Was helfen deine bescheidenen, vernünftigen, häuslichen Tugenden ihm, den sein Reichthum vor herben Prüfungen bewahrt? – dessen Sorgen außerhalb deines Gesichtskreises liegen? – dessen unruhigem, bald emporstrebendem, bald verzagendem Geiste zu folgen, einen feineren Blick erfordert, als der deinige ist, und eine Kraft, welche der Vernunft, wenn sie zu sinken droht, die Schwingen der Begeisterung und der Leidenschaft zu unterbreiten versteht?

»Und du selbst, scheues, anspruchsloses Naturkind, das aus der Verborgenheit herausgelockt und in der ruhigen, warmen Atmosphäre heiliger, seliger Liebe zur Entwickelung gebracht werden mußte – kann dir die Zuneigung, welche dir Harley L'Estrange zu bieten hat, genügen? Werden die Blüthen, die noch vom Kelche umschlossen sind, nicht dahin welken unter dem Schirme, welcher sie vielleicht gegen den Sturm schützt, aber zugleich auch gegen die Sonne abschließt? Du, die, wo sie Liebe gibt, schüchtern Gegenliebe sucht – die Demjenigen, welchem all' deine Treue, all' deine Hingebung gehört, der Seele süße Notwendigkeit, die unzertrennliche Lebensgefährtin sein will – kannst du auf die Quellen der Freude und des Leids in einem Herzen einwirken, das bei Nennung deines Namens nicht rascher schlägt? Besitzest du die Zauberkraft des Mondes, daß Ebbe und Fluth dieser launischen See deinem Willen gehorchen?

Und doch, wer kann sagen – wer vermuthen, wie nahe sich zwei Herzen kommen können, wenn keine Schuld zwischen ihnen liegt, und die Zeit allein die Bande knüpft? Das Seltsamste auf dieser Welt ist eine Verbindung, in welcher beide Theile durch die Gegensätze in ihren Naturen ein harmonisches Ganzes bilden, indem sie gegenseitig ihre Mängel ausgleichen und durch Verschmelzung Eine starke Menschenseele schaffen! Es ist schon Glück, wenn da, wo sogar der Friede nur selten einkehrt, Jedes, wenn auch nicht die Flamme, doch wenigstens den Weihranch zum Altare bringen kann. Wo der Sinn des Mannes edel und hochherzig, der der Frau sanft und keusch ist, wird Liebe mit der Zeit vielleicht kommen, wenn sie nicht vorher schon da ist; anderen Falls – wenn die Rosen im Kranze fehlen, mag man nach der Rose seufzen, hat aber auch keine Dornen zu fürchten.

Der Morgen war mild, ungeachtet des Nebels, der in London den herannahenden Winter anzeigt, und Helene ging nachdenklich unter den Bäumen spazieren, welche den Garten von Lord Lansmere's Hause umgaben. Viele Blätter hingen noch an den Aesten; aber sie waren dürr und welk. Und die Vögel zwitscherten bisweilen; aber ihre Weise klang traurig und klagend.

Das Leben in diesem Hause war für Helenen's schüchternes, unterwürfiges Gemüth bis zu Harley's Ankunft fremd und drückend gewesen. Lady Lansmere hatte sie zwar freundlich, aber mit einer gewissen Zurückhaltung empfangen, und ihr gemessenes Benehmen, welches die Gräfin nur Harley gegenüber ablegte, hatte dem verwaisten Mädchen große Scheu eingeflößt. Sogar Lady Lansmere's Interesse an Harley's Wahl – ihre Versuche, Helene mittheilsamer zu machen – die Aufmerksamkeit, mit der sie jedem Worte aus ihrem Munde, jeder ihrer Bewegungen folgte – alles das ängstigte das arme Kind, so daß sie gegen sich selbst ungerecht wurde.

Auch die Dienerschaft, welche gesetzt, ernst und respektvoll war, wie es sich für einen würdevollen, altväterischen Haushalt ziemte, bildete zu dem freundlichen Willkommlächeln und dem Geplauder des italienischen Gesindes einen peinlichen Gegensatz. Die Erinnerung an das gemächliche Leben auf dem Festlande, welches sogar die Blödigkeit überwinden hilft, machte die ruhige, eiskalte Präcision in allem, was um sie her vorging, doppelt feierlich und entmuthigend.

Lord Lansmere selbst, der von Harley's Absichten noch nichts wußte und sich nicht träumen ließ, daß er in dem jungen Mädchen, welches, wie er sich einbildete, von Harley in einem Anfall romantischer Großmuth als Mündel angenommen worden, seine künftige Schwiegertochter vor sich habe, war in seinem Benehmen gegen sie leutselig und artig, wie es sich für ihn als Wirth gehörte. Aber er sah in Helene noch das reine Kind und überließ sie demgemäß der Gräfin.

Das dunkle Gefühl ihrer zweideutigen Stellung – ihrer im Vergleich mit ihrer Umgebung verhältnismäßig niedrigen Geburt lag wie ein Alp auf ihrer Seele; und sogar ihre Dankbarkeit gegen Harley wurde ihr in Folge eines Gefühls von Hülflosigkeit drückend. Die Dankbarkeit sehnt sich nach Vergeltung. Und was könnte sie je für ihn thun?

In solchen Gedanken wandelte sie durch die geschlängelten Wege, und diese erzwungene Nachbildung einer ländlichen Gegend – das laute, über die hohen, düsteren Mauern hinweg sichtbare London, welchem nicht einmal von den Fenstern des regelrecht viereckigen Gebäudes aus zu entgehen war – erschien ihr, deren Herz nach der einfachen liebenden Natur verlangte, so recht als das Bild der fesselnden Schranken des Ranges.

Helenen's Träumereien wurden durch Nero's freudiges Bellen unterbrochen. Er hatte sie gesehen, kam in lustigen Sprüngen auf sie zu und drückte seinen mächtigen Kopf in ihre Hand. Während sie sich bückte, um das Thier zu liebkosen, glücklich über seinen ehrlichen Gruß, und Thränen, die ihr längst in den Augen gestanden, stumm auf sein Gesicht herabfielen (denn nichts rührt uns mehr, als die herzliche Zutraulichkeit eines Hundes, wenn uns die Menschen verletzt oder zurückgestoßen haben), hörte sie Harley's musikalische Stimme hinter sich. Hastig trocknete und unterdrückte sie ihre Thränen, als ihr Gönner zu ihr trat und ihren Arm in den seinigen legte.

»Ich hatte gestern Abend so wenig von Ihrer Unterhaltung, meine theure Mündel, daß ich Sie jetzt wohl ganz in Beschlag nehmen darf, selbst auf Nero's Kosten. So wären Sie also wieder in dem Lande Ihrer Geburt!«

Helene seufzte leise.

»Darf ich nicht hoffen, daß Sie unter glücklicheren Auspicien zurückkehren, als diejenigen waren, welche Ihre Kindheit kannte?«

Helene erhob die Augen mit inniger Dankbarkeit zu ihrem Gönner, und die Erinnerung an alles, was sie ihm schuldete, vergegenwärtigte sich ihrer Seele.

Mir wehmüthig ernstem Tone fuhr Harley fort:

»Helene, Ihr Auge dankt mir; aber hören Sie mich an, ehe Sie reden. Ich verdiene keinen Dank. Ich bin auf dem Punkte, Ihnen ein eigentümliches Geständniß abzulegen, das von meiner Selbstsucht zeugt.«

»Sie! O, unmöglich!«

»Urtheilen Sie selbst und dann entscheiden Sie, wer von uns Beiden Ursache hat, dankbar zu sein. Helene, als ich kaum Ihr Alter erreicht hatte – den Jahren nach ein Knabe, aber im Herzen, wie ich glaube, mehr ein Mann mit der Vollkraft und dem erhabenen Streben eines Mannes, als ich es je seither war – liebte ich, und tief –«

Er hielt einen Augenblick inne, sichtbar mit sich kämpfend. Helene lauschte in stummer Ueberraschung; aber seine Aufregung theilte sich ihr mit; ihr weiches Mädchenherz sehnte sich, zu trösten. Ohne daß sie es wußte, ruhte ihr Arm weniger leicht auf dem seinigen.

»Tief und kummervoll. Es ist eine lange Geschichte, die besser später einmal erzählt wird. Die Welt würde meine Liebe Wahnsinn nennen. Ich habe damals die Vernunft nicht darüber zu Rathe gezogen, und kann es auch jetzt nicht thun. Genug, der Tod traf plötzlich, fürchterlich und mir unerklärbar sie, die ich liebte. Die Liebe lebte fort. Vielleicht zu meinem Glücke fand ich bald Zerstreuung, nicht für den Schmerz, aber dafür, daß ich mich nicht unthätig darin verzehrte. Ich wurde Soldat; ich trat in unsere Armee. Man nannte mich tapfer. Schmeichelei! Ich war feige angesichts des Gedankens an das Leben. Ich suchte den Tod; gleich dem Schlafe kommt er nicht, wenn er gerufen wird. Es wurde Friede. Wie die Segel fallen, wenn der Wind sich legt, so erschien mir, nachdem die Aufregung vorüber war, alles schal und gleichgültig. Schwer, schwer war mein Herz.Vielleicht wäre der Kummer weniger hartnäckig gewesen, wenn ich nicht gefürchtet hätte, mir selbst Vorwürfe machen zu müssen. Seitdem bin ich ein Wanderer gewesen – ein freiwillig Verbannter. Der Ehrgeiz des Knaben ist spurlos verschwunden. Flammen, die das Innerste des Herzens erreichen, zehren fort und fort, bis alles Asche ist. Lassen Sie mich kurz sein: nicht unmännliche Klage beabsichtigte ich – ich, dem der Himmel so viele Segnungen verliehen! Die alltäglichen Interessen und Freuden der Menschen berührten mich nicht mehr. Ich erschrak vor den wunderlichen Launen, die – ich fühlte es – nach und nach in mir Wurzel faßten. Ich beschloß, mich wieder an ein lebendes Herz anzuschließen – nur hierin sah ich Hoffnung, mein eigenes wieder aufzuwecken. Aber die Eine, die ich geliebt hatte, blieb für mich als Urbild der Weiblichkeit; und sie war verschieben von allen, die ich sah. Da sagte ich zu mir selbst: ›Ich will ein junges, frisches Leben von zarter Kindheit auf zu meinem Ideal heranbilden!‹ Während mich dieser Gedanke beschäftigte, führte mich der Zufall mit Ihnen zusammen. Die Romantik Ihrer Kinderjahre, Ihr Muth, Ihr gutes Herz rührte und bezauberte mich, und ich sagte mir: ›Hier ist, was ich suche!‹ Helene, als ich mich zu Ihrem Vormund machte, als mir die Ausbildung meiner gelehrigen Mündel am Herzen lag, war ich, ich wiederhole es, nur Egoist. Und jetzt, nachdem Sie in ein Alter getreten sind, welches mir erlaubt, zu sprechen, und Ihnen, mich anzuhören – jetzt, da Sie sich unter dem geheiligten Dache meiner Mutter befinden – jetzt frage ich Sie: Können Sie dieses Herz annehmen so, wie vergeudete Jahre und allzu nachgiebig genährter Kummer es gelassen haben? Können Sie wenigstens meine Trösterin sein? Können Sie mir dazu helfen, das Leben als eine Pflicht zu betrachten und mich wieder für jenes Streben zu begeistern, welches einst die armseligen Schranken unseres kleinlichen Alltaglebens überflügelte? Helene, hier frage ich Sie, können Sie mir alles dieses sein als – meine Gattin?«

Vergeblich wäre es, die raschen, wechselnden, unerklärbaren Empfindungen zu beschreiben, welche, während Harley sprach, auf das Herz seiner jugendlichen Zuhörerin einstürmten. Er hatte die Springfedern der Ueberraschung, des Mitleids, der zarten Verehrung, der Theilnahme und kindlichen Dankbarkeit in einer Weise in Bewegung gesetzt, daß sie, als er innehielt und sanft ihre Hand ergriff, in sprachloser Verwirrung vor ihm stand. Lächelnd blickte er auf ihr erröthendes, niedergebeugtes, ausdrucksvolles Antlitz. Er überzeugte sich sofort, daß der Gedanke an solche Vorschläge ihr nie in den Sinn gekommen war; daß sie in ihm nie einen Freier vermuthet, ja ihr Herz noch nicht einmal über die Natur der Gefühle, welche sein Bild in ihr geweckt, ausgeforscht hatte.

»Meine Helene,« nahm er mit ruhigem Pathos in seiner Stimme wieder auf, »wir sind in den Jahren etwas ungleich, und vielleicht darf ich nicht mehr auf diejenige Liebe hoffen, welche die Jugend von der Jugend empfängt. Gestatten Sie mir einfach eine Frage, die Sie mir offen beantworten werden: Können Sie während unseres ruhigen Lebens in der Fremde oder unter dem Dache unserer italienischen Freunde Jemand gesehen haben, den Sie mir vorziehen?«

»Nein, o nein!« murmelte Helene; »wie wäre das möglich? Wer gleicht Ihnen?«

Dann, sich plötzlich aufraffend – denn ihr angeborner Wahrheitssinn wurde unruhig, und gerade ihre kindliche, ehrerbietige Zuneigung zu Harley machte ihr bange, sie könnte ihn täuschen – trat sie ein wenig bei Seite und sagte:

»O mein theurer Gönner, edelster aller Menschen – wenigstens in meinen Augen – vergeben Sie, vergeben Sie mir, wenn ich undankbar, unentschlossen scheine; aber unmöglich, unmöglich kann ich mich Ihrer würdig halten. Nie erhob ich meine Augen so hoch. Ihr Rang, Ihre Stellung –«

»Warum müssen sie mein ewiger Fluch sein? Vergessen Sie dieselben, und fahren Sie fort.«

»Es ist nicht blos dies,« sagte Helene, beinahe schluchzend, »obgleich es schon viel ist; aber ich Ihr Ideal! – ich! – unmöglich! O, wie kann ich je einem Manne gleich Ihnen Nutzen, Hülfe, Trost bringen!«

»Sie können es, Helene – Sie können es!« rief Harley, bezaubert durch ihre freimüthige Bescheidenheit. »Darf ich diese Hand nicht behalten?«

Und Helene ließ ihre Hand in der seinigen, wandte ihr Gesicht ab und weinte. Langsame Schritte nahten sich zwischen den winterlichen Bäumen.

»Meine Mutter,« sagte Harley L'Estrange aufblickend, »ich stelle dir meine zukünftige Gattin vor.«


Neuntes Kapitel.

Langsam und mit zerstreuter Miene richtete Harley L'Estrange nach dieser bedeutungsvollen Unterredung mit Helene seine Schritte Egerton's Wohnung zu. Er war gerade in eine der Straßen getreten, welche nach Grosvenor Square führten, als ein junger Mann, aus der entgegengesetzten Richtung kommend, gegen ihn anstieß und mit einer kurzen Entschuldigung ausweichen wollte, ihn aber sofort erkannte und ausrief:

»Was! Sie in England, Lord L'Estrange! Empfangen Sie meinen Glückwunsch zu Ihrer Rückkehr. Aber Sie scheinen sich meiner kaum zu erinnern.«

»Ich bitte um Entschuldigung, Mr. Leslie. Jetzt erkenne ich Sie – an Ihrem Lächeln; aber Sie stehen in einem Alter, in welchem mir die Bemerkung wohl gestattet ist, daß Sie älter aussehen, als bei unserem letzten Zusammentreffen.«

»Und doch scheint es mir, Lord L'Estrange, als sehen Sie jünger aus.«

Diese Erwiderung war insofern richtig, als die Verschiedenheit der Jahre zwischen Beiden in der That weniger, als früher, hervortrat; denn die Runzeln in dem Herzen des Ränkeschmieds drückten sich in seinem Gesichte aus, während die von Harley träumerisch verehrten Göttinnen der Wahrheit und der Schönheit ihrem Jünger ewige Jugend verliehen zu haben schienen.

Harley nahm das Kompliment mit einer Gleichgültigkeit auf, die eines Stoikers würdig gewesen wäre, aber bei einem Gentleman, der so eben einer viel jüngeren Dame seine Hand angeboten hatte, kaum natürlich erschien.

Leslie begann von Neuem: »Vielleicht sind Sie auf dem Wege zu Mr. Egerton. In diesem Falle würden Sie ihn nicht zu Hause finden; er ist auf seinem Bureau.«

»Ich danke. So muß ich zurück und ihn dort aufsuchen.«

»Ich bin gleichfalls auf dem Wege zu ihm,« sagte Randal zögernd.

Das Wenige, was L'Estrange von Mr. Leslie gesehen, hatte ihn nicht für diesen Gentleman eingenommen; allein Randal's Bemerkung schloß eine Berufung an seine gewohnte Höflichkeit in sich, und er erwiderte deßhalb mit der Bereitwilligkeit des Mannes von Bildung:

»Gehen wir zusammen.«

Randal nahm den ihm angebotenen Arm, und Lord L'Estrange hatte, wie gewöhnlich, wenn man lange auswärts war, in dem nun folgenden Zwiegespräch die Rolle des Fragenden.

»Egerton ist wohl immer der gleiche – zu beschäftigt, um Krankheit, und zu fest, um Sorgen aufkommen zu lassen?«

»Wenn er auch das eine oder das andere fühlt, so wird man doch nie einen Laut der Klage von ihm vernehmen. Aber in der That, mein theurer Lord, ich möchte sehr gerne hören, was Sie von seiner Gesundheit denken.«

»Wie? Sie erschrecken mich!«

»Nein, das war nicht meine Absicht; und ich bitte, lassen Sie ihn nicht wissen, daß ich so weit gegangen bin. Aber es kam mir vor, als ob er ein wenig angegriffen und leidend aussehe.«

»Armer Audley!« sagte L'Estrange im Tone tiefen Mitgefühls. »Ich will ihn ausforschen und, seien Sie versichert, ohne Sie zu nennen; denn ich weiß recht gut, wie wenig er es liebt, ein menschliches Gebrechen bei ihm vermuthen zu lassen. Ich bin Ihnen verbunden für Ihren Wink verbunden für Ihr Interesse an einem mir so theuern Freunde.«

Und Harley's Stimme klang gegen Randal herzlicher, als je zuvor. Dann erkundigte er sich, was Randal von den bis zu ihm gedrungenen Gerüchten hinsichtlich einer möglichen Niederlage der Regierung halte, und wie weit eine solche Möglichkeit auf Audley's Gemüthsstimmung Einfluß übe. Allein in diesem Punkte war Randal, wohl bemerkend, daß ihm Harley nichts mittheilen konnte, vorsichtig und zurückhaltend.

»Der Verlust des Amtes kann einen Mann, wie Egerton, doch gewiß nicht anfechten,« bemerkte Lord L'Estrange. »Er wäre auf den Bänken der Opposition eben so groß – vielleicht noch größer; und was die Einkünfte betrifft –«

»Die Einkünfte sind beträchtlich,« unterbrach ihn Randal mit einem halben Seufzer.

»So beträchtlich, daß sie, wenn ich nicht irre, ungefähr den zehnten Theil von demjenigen decken, was unseren verschwenderischen Freund seine Stellung kostet. Nein, Eines muß man den englischen Staatsmännern lassen: reicher ist durch seinen Posten keiner geworden.«

»Und daß Mr. Egerton's Privatvermögen bedeutend ist, halte ich für ausgemacht,« warf Randal nachlässig hin.

»Das muß es sein, wenn er Zeit hat, danach zu sehen.«

Eben gingen sie an dem Hotel vorüber, in welchem der Graf von Peschiera wohnte.

Randal blieb stehen.

»Wollen Sie mich einen Moment entschuldigen? Da wir gerade an diesem Hotel vorbeikommen, so möchte ich hier meine Karte zurücklassen.«

Mit diesen Worten übergab er einem Kellner, der unter der Thüre lungerte, seine Karte.

»Für den Grafen von Peschiera,« sagte er laut.

L'Estrange war betroffen; und nachdem Randal von Neuem seinen Arm genommen, sagte er:

»So, dieser Italiener wohnt hier? und Sie kennen ihn?«

»Nur oberflächlich, wie man jeden Fremden kennt, der Aufsehen erregt.«

»Er erregt Aussehen?«

»Natürlich; denn er ist schön, witzig, und wie man behauptet, sehr reich – das heißt, so lange er die Einkünfte seines verbannten Vetters bezieht.«

»Ich sehe, Sie sind gut unterrichtet, Mr. Leslie. Und was, glaubt man, hat den Grafen von Peschiera hieher geführt?«

»Ich hörte etwas, was ich nicht ganz verstand – von einer Wette, die er einging, daß er die Tochter seines Vetters heirathen werde, wodurch er sich die ganze Erbschaft sichern würde. Der Zweck seines hiesigen Aufenthalts soll deßhalb auch sein, eben diesen Vetter aufzusuchen und die Erbin zu gewinnen. Aber ohne Zweifel kennen Sie die Geschichte besser und können mir sagen, ob an dem Gerede etwas Wahres ist.«

»Ich weiß wenigstens so viel, daß, wenn er eine solche Wette angeboten hat, ich Ihnen rathen würde, jede Summe gegen ihn zu halten, und wäre es Hundert gegen Eins,« sagte L'Estrange trocken; und während seine Lippe vor Entrüstung bebte, blitzte sein Auge voll feiner Ironie.

»Sie glauben also, daß dieser arme Verwandte ein solches Bündniß nicht braucht, um seine Güter wieder zu bekommen?«

»Ja; denn bis jetzt habe ich keinen Schurken getroffen, gegen den ich nicht wetten würde, wenn er sein Schurkenglück gegen Vorsehung und Gerechtigkeit einsetzt.«

Randal stampfte mit dem Fuße, und es war ihm, als hätte ein Pfeil sein Herz geritzt; aber bald faßte er sich wieder.

»In der That geht auch noch ein anderes Gerücht: nämlich, die fragliche junge Dame sei bereits verheiratet – mit einem Engländer.«

Dieses Mal war es Harley, der mit dem Fuße stampfte. »Gütiger Himmel, das kann nicht wahr sein, das würde alles verderben! Einen Engländer gerade in diesem Augenblick! Aber doch einen Engländer von entsprechendem Rang oder wenigstens mit politischen Ansichten, die erwiesenermaßen das Gegentheil von dem sind, was man in Oestreich revolutionäre Doctrinen nennt?«

»Ich weiß nichts. Allein man sprach nur von einem gewöhnlichen Privatmann aus guter Familie. Würde das nicht genügen? Kann der östreichische Hof der Tochter eine Heirath als Bedingung für die Begnadigung Ihres Vaters vorschreiben?«

»Nein – das nicht!« sagte Harley in großer Unruhe. »Aber denken Sie sich selbst in die Lage eines Ministers in einer der großen europäischen Monarchien. Denken Sie sich einen wegen seiner Stellung und seines Reichthums zu fürchtenden politischen Insurgenten Aufrührer, Rebell., der geächtet worden ist; denken Sie sich auf der einen Seite alle die Verwendungen für ihn, auf der andern Seite eine mächtige Partei, die ihren Einfluß gegen ihn benützt; und gerade, wenn der Minister geneigt wäre, Nachsicht zu üben, hört er, daß die Erbin dieses Reichthums und dieser Stellung mit dem Angehörigen eines Landes verheirathet ist, in welchem eben jene Ansichten, welche die Verbannung des Insurgenten zur Folge gehabt hatten, die kräftigste Unterstützung finden, daß mithin das zurückerstattete Vermögen leicht zu Störung der Sicherheit der Nation, der bestehenden Ordnung der Dinge, angewendet werden könnte – noch dazu in einer Zeit, da in Frankreich eine Volksrevolution ausgebrochen ist Wahrscheinlich ist hier die Revolution gemeint, welche Louis Philipp an die Stelle Karls X. auf den Thron setzte. [ Anm.d.Verf. – D.h. die Julirevolution 1830. Im Original heißt es allerdings bestimmter und mit Personenbezug: »Harley no doubt alludes ...«] und ihre Wirkungen gerade im Heimathlande des Verbannten am fühlbarsten macht. Denken Sie sich alles das und sagen Sie selbst, ob irgend etwas für die Hoffnungen des Verbannten ungelegener kommen oder seinen Gegnern stärkere Beweisgründe für Nichtausfolge seines Vermögens an die Hand geben könnte? Aber weg damit! Das muß ein Hirngespinst sein! Wäre es wahr, so hätte ich davon gehört.«

»Ich bin ganz mit Ihnen einverstanden, mein Lord – es kann an einem solchen Gerede nichts Wahres sein. Vielleicht hat irgend ein Engländer, der, die wahrscheinliche Begnadigung des Verbannten in Aussicht nehmend, auf eine Erbin rechnete, das Gerücht verbreitet, um andere Bewerber ferne zu halten. So, wie Sie die Sachlage schilderten, würde er jedoch in der Braut, wie es scheint, keine Erbin finden?«

»Sicher nicht. Es möchte verabredet werden, was wollte, so kann ich mir nicht vorstellen, daß ihm das Vermögen ausgefolgt werden würde, wenn man auch den Kindern die Anwartschaft darauf vorbehält. Aber es gehört wahrhaftig so sehr zu den Seltenheiten, wenn eine Italienerin von hoher Geburt einen Ausländer heirathet, daß wir den Gedanken hieran mit einem Lächeln über das lange Gesicht des vorausgesetzten Glücksjägers fallen lassen können. Der Himmel helfe ihm, wenn er existirt!«

»Amen,« echote Randal andächtig.

»Ich höre, daß Peschiera's Schwester nach England zurück gekommen ist. Kennen Sie sie gleichfalls?«

»Ein wenig.«

»Mein theurer Mr. Leslie, entschuldigen Sie, wenn ich mir eine Freiheit nehme, zu der mich unsere Bekanntschaft an sich nicht berechtigt. Gegen die Dame sage ich nichts. Ja, ich habe sogar Manches vernommen, was ihr einen Anspruch auf Mitleid und Achtung gibt. Allein was Peschiera betrifft, so vermuthet jeder Ehrenmann hinter ihm einen Schurken – ich weiß, daß er einer ist. Nun däucht mich, daß, je länger wir uns jenen Abscheu vor jedweder Buberei, der einem unverdorbenen Jünglingsherzen angeboren ist, bewahren, um so schöner unser Mannes- und um so ehrwürdiger unser Greisenalter sein wird. Nicht wahr?«

Und indem sich Harley plötzlich umwandte, fielen seine Augen gleich einem Lichtmeer auf Randal's bleiches, verflossenes Antlitz.

»Gewiß,« murmelte der Ränkeschmied.

Harley betrachtete ihn, dann wich er mechanisch zurück und machte seinen Arm los.

Zum Glück für Randal, der die falsche Stellung, in die er gerathen war, recht wohl durchfühlte, ohne sich indessen über das Wie und Warum klar zu werden, faßte Jemand seinen Arm, und eine helle, offene, männliche Stimme rief:

»Wie geht es dir, mein lieber Junge? Ich sehe, du bist jetzt beschäftigt; aber suche mich im Laufe des Tages in meiner Wohnung auf, wenn du es machen kannst.«

Und mit einer Verbeugung gegen Lord L'Estrange, welche für die Unterbrechung um Entschuldigung bitten sollte, ging der Sprechende weiter, als Harley sagte:

»Nein, ich will Sie nicht Ihrem Freunde entziehen, Mr. Leslie. Auch eilt Ihr Besuch bei Egerton durchaus nicht, denn als sein älterer Freund werde ich das Recht des Vortritts in Anspruch nehmen.«

»Es ist Mr. Egerton's Neffe, Frank Hazeldean.«

»Bitte, rufen Sie ihn zurück und stellen Sie mich ihm vor. Er hat ein Gesicht, das beinahe Timon mit Athen ausgesöhnt haben würde Die Tragödie von William Shakespeare, Timon von Athen, handelt von der Rache des freigebigen Timon an seinen undankbaren Freunden.

Randal gehorchte; und nachdem Harley mit Frank einige freundliche Worte gewechselt, bestand er darauf, die beiden jungen Leute zu verlassen, und ging lebhafteren Schrittes Downingstreet zu.


Zehntes Kapitel.

» Dieser Lord L'Estrange scheint ein sehr guter Kamerad zu sein.«

»So so – ein verweichlichter Humorist – schwatzt das dümmste Zeug und bildet sich ein, es sei gescheidt. Laß ihn laufen. Du wolltest mit mir sprechen, Frank?«

»Ja; ich bin dir so dankbar, daß du mich mit Levy bekannt machtest. Ich muß dir erzählen, wie schön er sich benommen hat.«

»Halt; erlaube mir, dir in das Gedächtniß zurückzurufen, daß ich dich mit Levy nicht bekannt machte; du hattest ihn, wenn ich mich recht erinnere, vorher bei Borrowell getroffen, und er speiste mit uns in Clarendon-Hotel – das ist alles, was ich that, Euch zusammenzubringen. Im Gegentheil habe ich dir eher Vorsicht ihm gegenüber anempfohlen. Ich bitte, du wollest nicht glauben, daß ich dich mit einem Manne bekannt machte, der, so angenehm und vielleicht ehrenwerth er auch sein mag, doch immerhin ein Geldverleiher ist. Dein Vater würde mir mit Recht zürnen, wenn ich mich hiezu hergegeben hätte.«

»O pfui! Du hast gegen den armen Levy Vorurtheile. Aber höre mich an. Ich saß in einer kläglichen Stimmung in meinem Zimmer, über diesen verwünschten Wechseln brütend, und wie zum Kukuk ich sie verlängern könnte, als Levy eintrat; und nachdem er mir von seiner langjährigen Freundschaft mit meinem Onkel Egerton, von der Bewunderung, die er für dich empfinde, und (gib mir deine Hand, Randal) von deiner liebevollen Theilnahme an meinen Verlegenheiten, die ihm förmlich zu Herzen gegangen sei, erzählt hatte, öffnete er sein Taschenbuch und zeigte mir die Wechsel gut und sicher aufgehoben in seinem Besitze.«

»Wie?«

»Er hatte sie aufgekauft. ›Es müsse mir so unangenehm sein,‹ sagte er, ›wenn sie auf dem Londoner Geldmarkt herumwandern, und diese Juden würden sicherlich früher oder später sich an meinen Vater wenden. Ich,‹ fügte Levi bei, brauche das Geld im Augenblick nicht, und für die Zinsen müssen wir billigere Bedingungen machen.‹ Kurz, sein Benehmen hätte nicht liberaler sein können und er sagt, er wolle sehen, daß er mich wieder ganz flott mache, und in einigen Tagen, wenn sein Plan reif sei, wieder vorsprechen. Im Grunde danke ich das alles doch dir. Ich wollte darauf schwören, du hast es ihm eingegeben.«

»O nein, nein! Im Gegentheil, ich bleibe dabei: ›Sei im Verkehr mit Levy vorsichtig.‹ Ich weiß wahrhaftig nicht, was er dir vorzuschlagen gedenkt. Hast du in letzter Zeit Nachrichten aus der Halle bekommen?«

»Ja heute. Denke dir nur, die Riccabocca's sind verschwunden. So schreibt meine Mutter – ein eigentümlicher Brief. Sie vermuthet, wie es scheint, daß ich ihren Aufenthalt kenne, und macht mir wegen meiner ›Geheimnißkrämerei‹ Vorwürfe – völlig räthselhaft. Aber Eine Stelle ist in ihrem Briefe – sieh', hier ist sie, in der Nachschrift – welche sich offenbar auf Beatrice bezieht: ›Ich verlange nicht, daß du mich in deine Geheimnisse einweihst, Frank, aber Randal wird dir ohne Zweifel die Versicherung gebracht haben, daß ich in erster Linie immer dein Glück im Auge haben werde, sobald dein Herz wirklich betheiligt ist!‹«

»Ja,« versetzte Randal langsam; »ohne Zweifel bezieht sich dies auf Beatrice. Aber wie ich dir sagte, deine Mutter will sich weder auf die eine, noch auf die andere Weise in die Sache mischen – es würde ihren Einfluß auf den Squire schwächen. Ueberdies kann es, wie sie mich versicherte, nicht ihr Wunsch sein, daß du eine Ausländerin heirathest; obgleich sie, wenn du einmal verheirathet wärest – aber wie stehst du jetzt mit der Marchesa? Hat sie in deine Wünsche eingewilligt?«

»Nicht ganz; einen förmlichen Antrag habe ich ihr eigentlich noch gar nicht gemacht. Einen Anhaltspunkt für eine solche Kühnheit konnte ich bis jetzt in ihrem Benehmen, wenn es auch freundlicher geworden ist, nicht finden; auch muß ich doch, ehe ich mich bestimmt erkläre, nach der Halle gehen und wenigstens mit meiner Mutter reden«

»Darüber mußt du selbst entscheiden, aber nur keinen übereilten Schritt! Sprich zuerst mit mir. Da ist mein Bureau. Adieu, und – und ich bitte dich, glaube, daß, was du auch mit Levy zu schaffen haben magst, ich nicht die Hand dabei im Spiele habe.«


Elftes Kapitel.

Gegen Abend ritt Randal in raschem Trabe Norwood zu. Harley's Ankunft und die Unterredung, die er mit diesem Edelmann gehabt hatte, machte es in seinen Augen dringend, sich darüber zu vergewissern, in wie weit Riccabocca wohl in der Lage sein dürfte, von L'Estrange's Rückkehr nach England Kenntniß zu erhalten und mit ihm zusammen zu treffen. Denn er fühlte, daß, wenn Letzterer erfahren sollte, Riccabocca habe sich in seinem Handeln durch Randal's Rath bestimmen lassen, Harley Randal's Doppelzüngigkeit sofort auf die Spur kommen mußte, und anderseits Riccabocca, wenn ihn Lord L'Estrange unter seine freundschaftliche Obhut nähme, Randal Leslie nicht mehr bedurfte, um ihn gegen Peschiera's Anschläge zu schützen.

Einem Leser, der glücklicher Weise nicht gewohnt ist, in die geheimen und verwickelten Tiefen eines ränkevollen Geistes zu tauchen, mag es scheinen, als wäre Randal's Interesse, das Vertrauen des Verbannten sich zu erhalten, zu Ende, nachdem er von mehr als Einer Seite die Versicherung erhalten hatte, daß voraussichtlich Violante am Tage ihrer Vermählung mit ihm aufhören würde, eine Erbin zu sein. »Aber vielleicht,« hält mir irgend ein junges, argloses Gemüth entgegen – »vielleicht liebt Randal Leslie dieses schöne Wesen.« Randal verliebt! Nein! Für diese beseligende Thorheit hatte sein von rauheren Leidenschaften erfülltes Inneres keinen Raum. Und hätte er sich je verlieben können, so wäre es nicht in Violanten's Macht gestanden, dieses finstere, verschlossene Herz zu fesseln; ihr angeborener Adel, ihre würdevolle Schönheit imponirten ihm. Männer von diesem Schlage lieben vielleicht irgend eine sanfte Sklavin – zu einer Königin können sie ihre Augen nie erheben. Sie können vielleicht abwärts schauen – aufwärts nie.

Aber einerseits vermochte Randal die Möglichkeit, sich eine Mitgift zu sichern, die seine kühnsten Träume verwirklichen würde, auf blose Versicherungen hin, so glaubwürdig sie auch sein mochten, nicht ganz aufzugeben; und andererseits, wenn er wirklich jeden Gedanken an eine solche Verbindung sich aus dem Sinne schlagen müßte, kam zu bedenken, daß, obgleich er die erbärmliche Verrätherei einer thatsächlichen Unterstützung der offen dargelegten Pläne Peschiera's noch nicht förmlich in's Auge gefaßt hatte, möglicher Weise Frank's Verheirathung mit Beatrice nur dann, wenn ihr Bruder Violanten's Zufluchtsort erführe, zu Stande kommen und diese Heirath seinen Interessen in der von ihm vorausgesetzten Weise förderlich werden könnte – und in diesem Falle – er zog seine Schlußfolgerungen damals nicht weiter, selbst ihm erschienen sie gar zu schwarz; aber ein schwerer Seufzer, der sich seiner Brust entrang, prophezeite den schwachen Rückhalt, welchen Ehrenhaftigkeit und Rechtschaffenheit im Kampfe mit Habsucht und Ehrgeiz haben würden.

Unter allen Umständen war hienach Riccabocca eine Karte in einer Sequenz, welche ein so berechnender Spieler nicht aus der Hand geben durfte: im schlimmsten Falle konnte man mit ihr überstechen – sie konnte aber auch das Spiel gewinnen machen. Ein vertrautes Verhältniß mit dem Italiener war noch immer ein Glied in jener Kette des Wissens, welches für ihn Macht bedeutete.

Während der junge Mann auf seinem Wege nach Norwood solchen Gedanken nachhing, pflog Riccabocca im Wohnzimmer mit seiner Jemima eifrige Berathung. Und hättest du sie dort sehen können, freundlicher Leser, Staunen und Neugierde würden dich ergriffen haben, denn ganz außergewöhnliche Mittheilungen mußten sie sich gemacht haben. Riccabocca war augenscheinlich in hohem Grade, mehr als man sonst an ihm zu bemerken pflegte, erregt. Thränen standen in seinen Augen, und zu gleicher Zeit schwebte ein Lächeln, durchaus nicht cynisch oder satyrisch, um seine Lippen, während seine Gattin, ihre Hand in der seinigen, das Haupt an seine Schulter lehnte, und der Ausdruck ihres Gesichtes auf ein sehr befriedigendes Compliment aus seinem Munde schließen ließ, das ehrlicher und aufrichtiger gemeint war, als diejenigen, welche sonst seine gewohnte hohle, gleisnerische Galanterie charakterisirten. Aber gerade in diesem Augenblick trat Jackeymo herein, und mit ächt englischer Sittsamkeit verließ Jemima rasch ihren schützenden Standpunkt.

»Padrone,« sagte Giacomo, der viel zu viel Takt besaß, um sein Erstaunen über die Stellung, in welcher er die Ehegatten überrascht hatte, zu verrathen – »Padrone, ich sehe den jungen Engländer auf das Haus zureiten, und ich hoffe, wenn er kommt, werden Sie die beruhigende Mittheilung nicht vergessen, die ich Ihnen heute Morgen gemacht habe.«

»Ah – ah!« sagte Riccabocca mit langem Gesichte.

»Wenn die Signorina nur verheiratet wäre!«

»Das ist es ja eben, was auch mich beständig verfolgt!« rief Riccabocca. »Und du glaubst, daß sie der junge Engländer liebt?«

»Warum sonst sollte er denn kommen, Excellenz?« frug Giacomo höchst naiv.

»Ganz richtig; warum sonst?« sagte Riccabocca. »Jemima, ich kann die Angst, die ich um dieses armen Kindes willen durchmachte, nicht länger ertragen. Ich will Randal Leslie mein Herz öffnen. Und jetzt wird auch das, was im Falle meiner Rückkehr nach Italien vielleicht Gegenstand ernsterer Erwägung gewesen wäre, uns nicht länger im Wege stehen, Jemima.«

Mit einem leisen Lächeln auf ihren Zügen flüsterte Jemima ihrem Gatten etwas zu, worauf er entgegnete:

»Unsinn, anima mia. Ich weiß, es wird so kommen – gar kein Zweifel. Ich sage dir, nach den genannten Berechnungen ist Neun gegen Eins zu wetten. Ich will auf der Stelle mit Randal reden. Er ist zu jung, zu schüchtern, um selbst mit der Sprache herauszurücken.«

»Sicherlich,« schaltete Jackeymo ein; »wie könnte er den Muth haben, zu sprechen, und wenn er noch so verliebt ist?«

Jemima schüttelte den Kopf.

»O, fürchte nichts,« sagte Riccabocca, diese Geberde bemerkend; »ich will ihm auf den Zahn fühlen. Hat er nur habsüchtige Absichten, so werde ich sie bald heraus bekommen. Ich kenne die menschliche Natur, denke ich, meine Liebe; und Giacomo – hole mir meinen Macchiavell – gut. Verlaß mich jetzt, meine Theure, ich muß nachdenken und mich vorbereiten.«

Als Randal in das Haus trat, führte ihn Giacomo mit einem Lächeln von ganz besonderer Freundlichkeit in das Wohnzimmer. Er fand Riccabocca allein, vor dem Kamine sitzend, das Gesicht auf die Hand gestützt, den großen Folioband des Macchiavel offen vor sich auf dem Tische.

Der Italiener empfing ihn so artig, wie gewöhnlich; aber in seinem Benehmen lag eine gewisse ernste, sinnige Würde, die vielleicht um so größeren Eindruck machte, weil er sie selten annahm. Nach einigen einleitenden Bemerkungen erzählte Randal, Riccabocca's Verschwinden habe, wie er von Frank Hazeldean gehört, in der Halle große Verwunderung erregt, und frug gleichgültig, ob der Doctor wegen Nachsendung etwaiger Briefe im Casino Weisung hinterlassen habe.

»Briefe,« sagte Riccabocca einfach – »ich bekomme nie welche, oder wenigstens so selten, daß es sich nicht der Mühe lohnte, einen so unwahrscheinlichen Fall im Voraus in's Auge zu fassen. Nein, wenn Briefe im Casino einlaufen, so warten sie dort.«

»Dann ist meiner Ansicht nach jede Möglichkeit, Ihrer Adresse auf die Spur zu kommen, abgeschnitten.«

»Das ist auch meine Ansicht.«

So weit beruhigt und wohl wissend, daß Riccabocca Zeitungen, die ihm L'Estrange's Ankunft in London melden könnten; nicht zu lesen pflege, erkundigte sich Randal scheinbar mit vieler Theilnahme nach Violanten's Befinden – hoffte, die Gefangenschaft werde ihrer Gesundheit nicht schaden u. s. w. u. s. w

Riccabocca beobachtete ihn mit ernstem Auge, während er sprach, dann erhob er sich plötzlich, und das Würdevolle in seiner Erscheinung, dessen vorhin erwähnt worden, trat noch mehr hervor.

»Mein junger Freund,« sagte er, »hören Sie mir aufmerksam zu, und antworten Sie mir offen. Ich kenne die menschliche Natur –« und ein leichtes Lächeln voll stolzen Wohlgefallens spielte um die Lippen des Weisen, während sein Auge über seinen Macchiavell hinglitt. »Ich kenne die menschliche Natur – wenigstens habe ich sie studirt,« nahm er ernster und mit weniger zu Tag tretendem Eigendünkel wieder auf; »und ich glaube, daß, wenn ein mir vollkommen Fremder an meinen Angelegenheiten ein Interesse zeigt, das ihm nicht geringe Mühe verursacht – ein Interesse« (fuhr der weise Mann fort, indem er seine Hand auf Randal's Schulter legte), »wie es kaum ein Sohn nehmen könnte – ich glaube, daß ein Solcher unter dem Einflusse eines gewichtigen persönlichen Beweggrundes stehen muß.«

»O Sir!« rief Randal stotternd, und sein Gesicht wurde um einen Schatten blässer.

Riccabocca blickte auf ihn mit der Zärtlichkeit eines höheren Wesens und verfolgte seine Theorie der Schlußfolgerungen weiter.

»Was ist dieser Beweggrund in Ihrem Falle? Kein politischer, denn ich vermuthe, daß Sie die Ansichten Ihrer Regierung theilen, und diese Ansichten sind der meinigen nicht hold. Ebensowenig die Aussicht auf Geld oder auf Befriedigung des Ehrgeizes; denn was hätten Sie in diesen Beziehungen von einem zu Grunde gerichteten Flüchtlinge zu hoffen? So bleibt nur Eines übrig. Der Beweggrund, der in Ihrem Alter der natürliche und stärkste ist. Ich tadle Sie nicht. Macchiavell selbst gibt zu, daß ein solcher Beweggrund die weisesten Geister beherrscht und Staaten mit den festesten Grundlagen umgestürzt hat. Mit Einem Wort, junger Mann, Sie lieben, und zwar meine Tochter Violante.«

Randal war so bestürzt über diesen direkten und unerwarteten Angriff gegen seine eigenen maskirten Batterien, daß er nicht einmal den Versuch einer Vertheidigung machte. Sein Haupt sank auf seine Brust, und er blieb sprachlos.

»Ich zweifle nicht,« nahm der tiefe Kenner der menschlichen Natur von Neuem das Wort, »daß Sie sich durch lobenswerthe und edle Bedenken, das Vorrecht Ihres glücklichen Alters, abhalten ließen, mir den Zustand Ihres Herzens aufzudecken.Vielleicht setzen Sie voraus, daß ich, stolz auf die Stellung, die ich ehedem einnahm, oder unerschütterlich im Vertrauen auf Wiedergewinnung meines Erbes, bei der Verheirathung meiner Tochter übermäßig ehrgeizige Absichten verfolge; oder daß Sie, in der festen Hoffnung auf meine Wiedereinsetzung in Rang und Vermögen, in den Verdacht kommen könnten, von Beweggründen bestimmt zu werden, welche Liebe und Jugend am wenigsten beeinflussen. Deßhalb, mein theurer junger Freund, bin ich von der in England gebräuchlichen Sitte abgegangen und halte mich an die meines Vaterlandes. Bei uns erklärt sich ein Freier selten, ehe er der Zustimmung des Vaters versichert ist. Ich habe nur das zu sagen: ist meine Vermuthung gegründet, lieben Sie meine Tochter, so ist meine erste Sorge, sie in guten Händen und geborgen zu wissen; und mit Einem Worte – Sie verstehen mich.«

Wahrlich für uns gewöhnliche Sterbliche, die ganz besondere Weisheit und Fähigkeit nicht beanspruchen, ist es ein ungemein beruhigendes und tröstendes Gefühl, die ungeheueren Mißgriffe zu sehen, welche diese beiden scharfsinnigen Personen begingen – Doctor Riccabocca, der sich auf seine genaue Kenntniß der Charaktere etwas zu gut that, und Randal Leslie, der gewöhnt war, die Gedanken und Handlungen Dritter bis auf ihre letzten Ursachen zu ergründen, um hieraus jenes Wissen zu ziehen, welches Macht ist! Denn während der Weise, an die Jugendzeit seines eigenen Herzens, sowie an den Einfluß, den die stärkste aller Leidenschaften im Allgemeinen auf die Jugend auszuüben pflegt, anknüpfend, Randal Gefühle zugeschrieben hatte, welche dieser geschickten Diplomatennatur vollständig fremd waren, hatte Riccabocca seine Rede kaum zu Ende gebracht, als Randal, gleichfalls sein eigenes Herz, sowie die Gesetze, von denen sich ein Mann von reiferen Jahren und so viel gerühmter macchiavellistischer Weltweisheit im Allgemeinen leiten läßt, zum Maßstab nehmend, sofort mit sich darüber im Reinen war, daß Riccabocca seine Jugend und Unerfahrenheit benützen und ihn höchst frevelhafter Weise einziehen wolle.

»Der arme Jüngling!« dachte Riccabocca, »wie wenig vorbereitet ist er auf das Glück, welches er aus meinen Händen empfängt!«

»Der spitzbübische alte Jesuit!« dachte Randal. »Gewiß hat er, seit wir uns das letzte Mal gesehen, erfahren, daß ihm jede Aussicht auf Wiedergewinnung seines väterlichen Erbtheils genommen ist, und will mir jetzt ein Mädchen ohne einen Kreuzer Geld anhängen. Welchen anderen denkbaren Grund könnte er haben? Bliebe seiner Tochter auch nur noch ein Schimmer von Wahrscheinlichkeit, die größte Erbin Italiens zu werden, würde es ihm im Traume einfallen, sie mir so kurzweg anzutragen? Das sagt Jedem der gesunde Menschenverstand.«

Im ersten Gefühle der Entrüstung über die ihm gelegte Falle wollte sich Randal eben gegen die uneigennützige und abgeschmackte Neigung, die man ihm zutraute, entschieden verwahren, als ihm einfiel, daß er den Italiener damit tödtlich beleidigen würde – weil ein Spitzbube Demjenigen, der sich nicht betrügen lassen will,« nie verzeiht – und daß es sein Interesse noch immer erheischen könnte, mit Riccabocca auf möglichst vertrautem Fuße zu bleiben. Deßhalb bezwang er sich und rief:

»O allzu edler Mann! Vergeben Sie mir, wenn ich so lange unfähig war, mein Erstaunen, meine Dankbarkeit in Worte zu fassen; aber ich kann nicht – nein, ich kann nicht, so lange Ihre Aussichten so unsicher bleiben, mir Ihre – Ihre unüberlegte Großmuth zu Nutzen machen. Ihr seltenes Benehmen kann meine Bedenken nur verdoppeln; wenn Ihnen, wie ich fest hoffe und glaube, ihre großen Besitzungen zurückerstattet werden – so würden Sie selbstverständlich höhere Ansprüche erheben. Sollten sich diese Hoffnungen nicht erfüllen, dann allerdings wäre der Fall ein anderer; und selbst dann – welche Stellung, welches Vermögen, ihrer Tochter würdig, hätte ich anzubieten?«

»Sie sind von guter Geburt: alle Gentlemen sind sich ebenbürtig,« sagte Riccabocca mit einer Art vornehmer Leutseligkeit. »Sie besitzen Tugend, Talent, Kenntnisse – der sichere Weg zu Reichthum in diesem glücklichen Lande – und zudem mächtige Verbindungen. Ueberdies, wenn es Liebe ist, was Sie zum Heirathen bestimmt, so bin ich zufrieden; wo nicht, so sprechen Sie offen. Was die Rückerstattungen meiner Besitzungen betrifft, so ist hieran bei Lebzeiten meines Feindes kaum zu denken. Und sollte es auch so weit kommen – seitdem ich Sie das letzte Mal sah, ist,« fügte Riccabocca mit einem eigentümlichen Lächeln, welches Randal ganz besonders unheilsvoll und bösartig vorkam, bei, »etwas vorgefallen, das alle Schwierigkeiten beseitigen dürfte. Inzwischen halten Sie mich ja nicht für so übertrieben großmüthig – unterschätzen Sie nicht die Beruhigung, die es mir gewährt, Violante gegen Peschiera's Anschläge gesichert zu wissen – gesichert, und zwar für immer, unter dem Dache eines Gatten. Es gibt ein italienisches Sprüchwort, das eine fürchterliche, aber unumstößliche Wahrheit enthält:

›Hai cinquanta Amici? – non basta.

Hai un Nemico? – è troppo.‹ Hast du fünfzig Freunde? – es ist nicht genug. Hast du Einen Feind? – es ist zu viel. [ Anm.d.Verf.]

»Es ist etwas vorgefallen!« echote Randal, der den letzten Theil dieser Rede gar nicht mehr beachtete und das Sprüchwort kaum hörte, welches der Weise im tragischsten Pathos vortrug. »Es ist etwas vorgefallen! Mein theurer Freund, erklären Sie sich deutlicher. Was ist vorgefallen?«

Riccabocca blieb stumm.

»Etwas, das Sie zu dem Entschluß gebracht hat, mir Ihre Tochter zu geben?«

Riccabocca nickte und ließ ein leises Kichern hören.

»Ganz das Lachen eines Feindes,« murmelte Randal. »Etwas, das der Gabe jeden Werth nimmt. Er verräth sich selbst. Allen Spitzbuben geht es so.«

»Entschuldigen Sie,« sagte endlich der Italiener, »wenn ich Ihre Frage nicht beantworte; Sie werden es später erfahren; aber bis auf Weiteres ist es Familiengeheimniß. Und nun muß ich einen anderen beunruhigenderen Punkt berühren, der meine Offenheit Ihnen gegenüber veranlaßt hat.«

Riccabocca's Züge veränderten sich und drückten jetzt Zorn und Furcht zugleich aus.

»Sie müssen wissen,« fuhr er mit gedämpfter Stimme fort, »daß Giacomo gesehen hat, wie ein fremder Mann sich um das Haus herumschlich und an den Fenstern hinauf blickte; und er hat nicht den geringsten Zweifel – und ich ebenso wenig – daß dies ein Spion oder sonstiger Abgesandter Peschiera's ist.«

»Unmöglich; wie hätte er Sie entdecken können?«

»Ich weiß es nicht; aber wie sollte Jemand anderes zu einem so auffallenden Benehmen kommen? Der Mensch hielt sich in einiger Entfernung, so daß Giacomo sein Gesicht nicht sehen konnte.«

»Vielleicht war es irgend ein Landstreicher. Ist das alles?«

»Nein; die alte Frau, welche uns bedient, erzählte, man habe sie in einem Laden gefragt, ob wir nicht Italiener seien.«

»Und sie gab zur Antwort?«

»›Nein;‹ aber sie gestand zu, daß wir einen ausländischen Diener hätten, Giacomo.«

»Ich will dies untersuchen. Verlassen Sie sich darauf, wenn Peschiera Sie entdeckt hat, so erfahre ich es. Ja, auf der Stelle will ich fort und Erkundigungen einziehen.«

»Ich kann Sie nicht zurückhalten. Darf ich annehmen, daß uns künftig Ein und dasselbe Interesse leiten wird‹«

»O – natürlich! Aber – aber – Ihre Tochter! Wie kann ich träumen, daß ein so schönes, so unvergleichliches Wesen die Hoffnungen, die Sie vor mir ausgebreitet haben, erfüllen werde?«

»Die Tochter eines Italieners weiß nicht anders, als daß der Vater das Recht hat, über ihre Hand zu verfügen.«

‹»Aber das Herz!«

» Cospetto!« sagte der Italiener, treu seinen abscheulichen Vorstellungen von dem weiblichen Geschlechte – »das Herz eines Mädchens ist wie ein Kloster; je heiliger die Zelle, desto barmherziger die Schwelle.«


Zwölftes Kapitel.

Kaum hatte Randal das Haus verlassen, als Mrs. Riccabocca, zärtlich besorgt in allem, was Violante betraf, ihren Gatten aufsuchte.

»Der junge Mann gefällt mir sehr gut,« sagte der Weise – »ja wohl, sehr gut. Er entspricht vollkommen der Kenntniß, die ich im Allgemeinen von der menschlichen Natur habe; denn die Erfahrung lehrt, daß, wie Liebe und Jugend, so Bescheidenheit und Talent Hand in Hand gehen. Er ist jung, ergo ist er verliebt; er hat Talent, ergo ist er bescheiden – bescheiden und offenherzig.«

»Und du glaubst, in keiner Weise von eigennützigen Beweggründen geleitet?«

»Gerade das Gegentheil; und um ihn noch stärker zu prüfen, habe ich nicht mit Einer Silbe der weltlichen Vortheile gedacht, welche ihm auf jeden Fall aus einer Verbindung mit meiner Tochter erwachsen. Auf jeden Fall. Denn, wird mir die Rückkehr in meine Heimath gestattet, so ist ihr Vermögen gesichert; wo nicht, so hoffe ich –« und der arme Verbannte richtete das Haupt mit majestätischem Stolze in die Höhe – »daß ich meines Kindes und meine eigene Würde zu gut kenne, um irgend Jemand zu bitten, meine Tochter zu heirathen, wenn er dadurch seinen weltlichen Interessen im Wege stünde.«

»Wie! Ich verstehe dich nicht ganz, Alphonso. Allerdings hast du, um für sie eine Mitgift zu ermöglichen, dein theures Leben versichern lassen; allein –«

» Pazzie – Unsinn!« fiel ihr Riccabocca ungezogen in die Rede; »ihre Mitgift wäre für einen jungen Mann von Randal's Geburt und Aussichten gleich Null. Das ist es nicht, was ich meine. Höre vielmehr: ich willigte nie ein, aus Harley L'Estrange's Freundschaft zu meinen Gunsten Vortheil zu ziehen; auf meinen Eidam würden sich meine Bedenken nicht erstrecken. Dieser edle Freund verbindet mit hohem Rang bedeutenden Einfluß – Einfluß bei der Regierung – Einfluß bei Randal's Gönner, der, unter uns gesagt, sich um den jungen Mann nicht so anzunehmen scheint, wie er wohl könnte – wenigstens nach Randal's Aeußerungen zu schließen. Ich würde also, ehe irgend etwas fest gemacht wird, L'Estrange schreiben und ihm einfach sagen: ›Ich habe Sie nie gebeten, mich vor Dürftigkeit zu schützen, aber ich bitte Sie, eine Tochter meines Hauses vor Demüthigung zu bewahren. Ich kann ihr keine Mitgift geben; wird aber ihr Gatte meinem Freunde das Erschließen einer ehrenvollen Laufbahn – eines Wirkungskreis für Energie und Talent verdanken dürfen, was für einen edlen Ehrgeiz mehr ist, als eine Mitgift?‹«

»O, umsonst verbirgst du deinen Rang,« rief Jemima begeistert, »jedes Wort aus deinem Munde verräth dich, wenn deine Leidenschaften erregt sind!«

Dem Italiener schien diese Lobrede nicht sonderlich zu schmeicheln.

»Pfui,« sagte er, »da haben wir's! Wieder der Rang!«

Aber Jemima hatte Recht. Eine gewisse fürstliche Größe war an ihrem Gatten immer zu bemerken, wenn er seinen verwünschten Macchiavell vergaß und seinem Herzen freien Lauf ließ.

Und er brachte die nächsten Stunden damit zu, bei sich zu überlegen, was er alles für Randal thun könnte, und für seinen Schwiegersohn angenehme Ueberraschungen auszudenken, während Randal zu gleicher Zeit sein noch gescheiteres Gehirn abmühte, um dieselben zu vereiteln.

Nachdem diese Pläne gehörig zur Reife gediehen, schloß Riccabocca seinen Macchiavell und durchstöberte seine bescheidene Bibliothek nach Buffon's Georges-Louis Leclerc de Buffon (1707-1788), frz. Naturforscher der Aufklärung. Die Geschichte des Menschen ist Teil seiner Naturgeschichte (1749ff.) Abhandlung über den Menschen und verschiedenen anderen psychologischen Werken, in die er sich bald vertiefte. Warum bildeten diese Bücher den Gegenstand seines Studiums? Vielleicht theilt er es uns in Bälde mit; denn es ist offenbar ein Geheimniß, das seine Gattin kennt; und daß sie das eine Geheimniß bisher treu bewahrt hat, ist eben der Grund, warum Riccabocca nicht ihre Verschwiegenheit durch ein zweites in zu große Versuchung führen möchte.


Dreizehntes Kapitel.

Randal kam gerade noch zu rechter Zeit nach Hause, um sich zu einem späten Diner bei Baron Levy anzukleiden.

Die Lebensweise des Barons hatte jenen Charakter, welchen damals die erklärtesten Löwen des Tags und, man muß es gestehen, die ersten unter den Parvenu's für sich in Anspruch nahmen. Denn es ist Thatsache, daß der Parvenu in Sachen des Tons sich nach Außen beinahe immer ebenso gibt, wie der Löwe.

Der Parvenu ist in dem Schnitt seines Rocks, in der Wahl seiner Equipage, in den Details seiner Haushaltung höchst vorsichtig und überlegt. Diejenigen, welche zwischen dem Parvenu und dem Löwen ihren Platz einnehmen, welche ihre eigene Bedeutung kennen und auf solider Grundlage stehen, folgen nicht so rasch jeder Laune der Mode und verhalten sich vollkommen gleichgültig gegen alle jene kleinlichen Spitzfindigkeiten, die ihnen weder andere Ahnen, noch ein weiteres Tausend in dem Buche ihres Bankiers verschaffen – ja, was den letzteren Punkt betrifft, sogar das Gegentheil zur Folge haben!

In dem Hause und in den Diners des Barons sprach sich entschiedene Eleganz aus. Wäre er ein rechtmäßiger König der Löwen gewesen, so hätte alles gerufen: »Welch' vollkommener Geschmack!« Aber so ist die menschliche Natur, daß die Löwen, die bei ihm speisten, zu einander sagten: »Er läßt sich einfallen, es D*** nachzumachen! Der gemeine Mensch!« Es lag nichts Gezwungenes in seinem prunkhaften Reichthum. Die Möbel in den Zimmern waren anscheinend einfach, in Wirklichkeit aber durch ihre üppige Behaglichkeit kostspielig, die Verzierungen und die Porzellansachen, welche auf den Commoden herumstanden, von bemerkenswerther Seltenheit und großem Werthe, und die Gemälde an den Wänden wahre Juwelen. Während der Tafel durfte kein Silberzeug auf den Tisch kommen. Die russische Mode, damals weniger gebräuchlich, als heut' zu Tage, war angenommen – Früchte und Blumen in alten Sèvrevasen von unschätzbarem Werthe und in funkelndem Glase aus böhmischen Fabriken. Keine Bedienten in Livrée warteten bei Tische auf. Hinter jedem Gaste stand ein Gentleman, gerade wie der Gast selbst angethan, in feinem Weißzeug und einfacher schwarzer Kleidung, so daß Gast und Lakai Einer und derselben Platte entnommene Stereotypen zu sein schienen.

Die Gerichte waren auserlesen; der Wein kam aus den Kellern längst verstorbner Erzbischöfe und Gesandten. Die Gesellschaft war gewählt – nicht mehr, als acht Personen; vier derselben, die ältesten Söhne von Peers (vom Baron bis zum Herzog), ferner ein Witzling von Profession, welchem die Einladung mindestens einen Monat vorher zugestellt und, wenn der Gastgeber zu Parvenü's zählte, noch weiter die Zusicherung gegeben werden mußte, daß grüne Erbsen und Pfirsiche außer der Jahreszeit erscheinen würden; der sechste war, zu Randal's Erstaunen, Mr. Richard Avenel; er selbst und der Baron machten die Zahl voll.

Die ältesten Söhne nickten sich mit einem vielsagenden Lächeln zu; der jugendlichste unter ihnen (es war sein erstes Jahr in London) hatte sogar die Gnade, zu erröthen und ein Schafsgesicht zu machen. Die Anderen waren schon verhärteter; aber Alle waren darin einig, daß sie Randal und Dick Avenel verwundert anstarrten. Ersterer war den Meisten von ihnen persönlich bekannt, und bei Allen galt er als ein ernster, gescheidter, vielversprechender junger Mann, den seine Vorsicht bisher vor Verschwendung und, wie man vermuthete, auch vor Verlegenheiten bewahrt hatte. Was zum Kukuk that er hier?

Aus Mr. Avenel wurden sie noch weniger klug. Ein Mann in mittleren Jahren, dem Vernehmen nach ein Geschäftsmann, welchen sie schon da und dort gesehen hatten (denn sein Gesicht und seine Figur vergaß man nicht so leicht) – bald im Parke zu Pferd, bald in der Oper auf einem Sperrsitz behaglich ausgestreckt, aber nie in einem der anerkannten Clubs oder in den Coterien ihrer Clique – ein Mann, dessen Frau greuliche Gesellschaften dritten Ranges gab, welchen die Morning Post eine volle halbe Spalte widmete unter Aufzählung der »anwesenden Geladenen,« wobei aus der Mode gekommene Wittwen und ein oder zwei ausländische Titel die Finsterniß, in welche die dunkleren Namen gehüllt waren, nur noch verdoppelte.

Warum Baron Levy, dessen Speichelleckerei und Sucht nach Exclusivität bekannt war, diesen Mann zugleich mit ihnen gebeten hatte, das war ein Punkt, der alle ihre geistigen Sinne in die angestrengteste Thätigkeit versetzte. Der Witzling, welcher, obwohl der Sohn eines kleinen Handelsmanns, sich in den ersten Gesellschaften bewegte und noch weit vornehmer that, als die jungen Lords, löste das Geheimniß in einer höchst ungezogenen Weise.

»Verlassen Sie sich darauf,« flüsterte er Spendquick zu, »verlassen Sie sich darauf, unser Mann ist der X. Y. in den Times, welcher jede Summe Geldes, von zehn Pfund bis zu einer halben Million auszuleihen sich erbietet. Er ist es, in dessen Tasche sich alle Ihre Wechsel befinden. Levy ist nur sein Werkzeug.«

»Bei meiner Seele;« sagte Spendquick in einiger Unruhe, »wenn dem so ist, so wird nichts übrig bleiben, als höflich gegen ihn zu sein.«

»Für Sie – gewiß,« sagte der Witzling. »Ich für meine Person habe noch nie einen X. Y. gefunden, der Lust bezeugt hätte, mir die Pfunde und Schillinge vorzuschießen; und ich werde mithin X. Y. kein Bischen mehr Achtung bezeugen, als irgend einer sonstigen unbekannten Größe.«

Nach und nach, als der Wein kreiste, wurde die Gesellschaft lebhaft und mittheilsam. Levy war wirklich ein unterhaltender Wirth; er kannte allen Stadtklatsch und besaß außerdem das hübsche Talent, von Abwesenden boshafte Geschichten zu erzählen, was die Anwesenden immer freut.

Auch Mr. Richard Avenel rückte jetzt mit der Sprache heraus, und da die geflüsterte Bemerkung, er sei der X. Y., um die Tafel die Runde gemacht hatte, so hörte man ihm mit tiefem Respekte zu, was seine heitere Stimmung ungemein erhöhte. Ja, als der Witzling einmal den Versuch machte, sich auf seine Kosten zu belustigen, und ihm Dick hierauf mit nicht zu leugnender Grobheit wieder diente, wurde dessen Erwiderung von Lord Spendquick und den anderen Gentlemen, die sich hinsichtlich des Geldpunktes in ähnlicher Lage befanden, so ergötzlich gefunden, daß sie das Lachen gegen den Witzling kehrten und ihn für den Rest des Abends stumm machten – ein Umstand, der die Gemütlichkeit des Beisammenseins wesentlich förderte.

Nach dem Diner drehte sich die Unterhaltung wie gewöhnlich bei Junggesellen, leicht und ungezwungen um Pferde, Ballettänzerinnen und den letzten Skandal, bis endlich die Politik an die Reihe kam; denn die Zeiten waren von der Art, daß überall Politik verhandelt wurde, und drei der jungen Lords vertraten ihre Grafschaft im Parlamente.

Randal sprach wenig, hörte dagegen, wie immer, aufmerksam zu, und vernahm mit Schrecken, wie allgemein der Glaube verbreitet war, es habe für das Ministerium die letzte Stande geschlagen. Ans Rücksicht für ihn und mit dem, einer gewissen Klasse der Gesellschaft eigenen Zartgefühl der guten Erziehung wurde Egerton nicht persönlich angegriffen; nur Avenel platzte mit einigen rohen Bemerkungen über diesen Minister hinaus, wurde jedoch auf der Stelle von dem Baron unterbrochen.

»Schonen Sie meinen Freund und Mr. Leslie's nahen Verwandten,« sagte er mit artigem, aber ernstem Lächeln.

»O,« sagte Avenel, »öffentliche Männer, die wir bezahlen, sind öffentliches Eigenthum – nicht wahr, mein Lord?« sich an Lord Spendquick wendend.

»Gewiß,« erwiderte Spendquick in großem Eifer – »öffentliches Eigenthum, warum sonst sollten wir sie bezahlen? Es müssen sehr triftige Gründe sein, die uns bewegen können, dies zu thun. Ich hasse alles Bezahlen. Wahr und wahrhaftig,« fügte er vor sich hin brummend bei, »ich thue es nie.«

»Uebrigens,« nahm Mr. Avenel gnädig wieder auf, »ist es nicht meine Absicht, Ihre Gefühle zu verletzen, Mr. Leslie. Und was die Gefühle unseres Wirthes, des Barons, betrifft, so schätze ich, sind sie durch fortwährendes Drillen gehörig zäh geworden.«

»Und doch,« sagte der Baron, in das Gelächter einstimmend, welches jede lebhafte Aeußerung des vermeintlichen X. Y. unfehlbar begleitete – »und doch: ›Liebst Du mich, so liebst Du auch meinen Hund.‹ Lieben Sie mich, so lieben Sie auch meinen Freund Egerton.«

Randal war betroffen, denn sein scharfes Ohr und sein feines Verständniß glaubte in dem Tone, mit welchem Levy diese doppelsinnige Vergleichung vorbrachte, etwas Finsteres und Feindseliges zu entdecken, und sein Auge flog nach dem Baron hinüber. Allein dieser war eben in Betrachtung einer Olive versunken, die er behaglich verzehrte.

Bald nachher erhob sich die Gesellschaft. Die vier jungen Edelleute hatten sich schon anderweitig versagt und waren dafür, aufzubrechen, ohne in den Salon zurückzugehen. Wie nach Göthe's Theorie wahlverwandte Seelen sich unwiderstehlich anziehen Bulwer bezieht sich hier auf Goethes Roman »Die Wahlverwandtschaften« (1809), der zwar Personenkonstellationen durchspielt, aber keine Theorie verkündet., so traten diese heiteren Jünger der Freude nach der Tafel vermöge eines gemeinsamen Antriebs zusammen und bildeten eine Gruppe um das Kamin. Randal stand nachdenklich ein wenig bei Seite; der Witzling musterte durch sein Augenglas die Gemälde, und Mr. Avenel zog den Baron an einen Nebentisch, wo er mit ihm eine flüsternde Berathung hielt. Letzteres entging den jungen Gentlemen am Kamine keineswegs; fragend begegneten sich ihre Blicke.

»Festsetzung der Verlängerungsprozente,« sagte Einer sotto voce Mit gedämpfter Stimme..

»X. Y. scheint kein so ganz schlimmer Bursche zu sein,« bemerkte ein Zweiter.

»Auftreten und Sprechen ist das eines reichen Mannes,« sagte ein Dritter.

»Eine entschiedene, unabhängige Art, seine Ansicht preiszugeben; man trifft es meistens bei diesen Geldmenschen.«

»Barmherziger Himmel!« rief Spendquick, der in banger Besorgniß die Beiden nicht aus dem Auge gelassen hatte; »seht! X. Y. zieht wahrhaftig seine Brieftasche heraus; er richtet seine Schritte hieher. Verlaßt Euch darauf, er hat unsere Wechsel an sich gebracht – der meinige ist morgen verfallen!«

»Auch der meinige,« sagte ein Anderer, sich bei Seite schiebend.

»Das ist ja eine förmliche Falle, die man uns gelegt hat!«

Während dem war Mr. Avenel plötzlich vor dem Baron, der ängstlich bemüht schien, ihn zurückzuhalten, und, als ihm dieß nicht gelang, sich bei Seite wandte, offenbar, um Dick's Bewegungen nicht zu sehen – ein Umstand, der den vier jungen Herrn nicht entging und alle ihre Vermuthungen bestätigte – hinweggetreten und schritt langsam, mit ernster, gedankenvoller Miene auf die Gruppe zu.

Und gewiß war die Verwirrung, die der große römische Feldherr einst in den Taubenschlägen von Corioli anrichtete Shakespear, Coriolan, Akt V, Szene 6: »If you have writ your annals true, 't is there That, like an eagle in a dove-cote, I flutter'd your Volscians in Corioli: Alone I did it.« (»Wenn richtig ihr geführt die Jahresbücher, so steht d'rin verzeichnet, daß, wie der Adler ich im Taubenschlag, die Volscer in Corioli gescheucht, – ich! und allein!« Nach der Übersetzung von Schlegel, Benda u. Voß, 1825) So äußert sich die Titelfigur, Gnaeus Marcius Coriolanus, ein römischer Held und Feldherr; seinen Beinamen Coriolanus erhielt er wegen seiner außergewöhnlichen Tapferkeit im Kampf um die volskische Stadt Corioli, die direkt zur Einnahme der Stadt führte (493 v.u.Z.)., nicht stärker, als das Herzklopfen, welches Lord Spendquick und seine, von den gleichen Gefühlen bewegten Freunde bei dem Näherkommen des vermeintlichen X. Y empfanden. Die Brieftasche in der Hand und in deren geheimnißvollen Tiefen augenscheinlich nach etwas Schrecklichem suchend, kam Dick Avenel mit jedem Schritte dem Kamine näher. Die Gruppe rührte sich nicht, festgebannt von Entsetzen.

»Hm,« sagte Mr. Avenel, sich räuspernd.

»Dieses Hm gefällt mir durchaus nicht,« brummte Spendquick.

»Stolz, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, Gentlemen,« sagte Dick, indem er sich verneigte.

Die so angeredeten Gentlemen verneigten sich ihrerseits tief. »Mein Freund, der Baron, hält den Zeitpunkt nicht eben für passend, um –‹«

Dick hielt einen Moment inne. Es wäre ein Leichtes gewesen, diese vier jungen Gentlemen, obwohl keine Aristokratie Europa's schönere Exemplare der menschlichen Race aufzuweisen gehabt hätte, mit einer Feder zu Boden zu schlagen!

»Aber,« begann Avenel von Neuem, ohne den angefangenen Satz zu vollenden, »ich habe es mir zur Lebensregel gemacht, eine günstige Gelegenheit nie unbenützt entschlüpfen zu lassen, kurz den Moment möglichst auszubeuten. Und,« fügte er mit einem Lächeln, welches das Blut in Lord Spendquick's Adern gefrieren machte, bei, »diese Lebensregel hat ihre sehr guten Procente getragen. Deßhalb, Gentlemen, überreiche ich Ihnen hier mit Ihrer Erlaubniß je eine dieser –« jede Hand fuhr nach dem Rücken ihres Eigenthümers zurück, als Dick zur unaussprechlichen Erleichterung Aller seine Rede mit den Worten: »Eine kleine soirée dansante!« schloß und ihnen vier Einladungskarten hinbot.

»Wird mir ein ganz besonderes Vergnügen gewähren!« rief Spendquick. »Ich tanze gewöhnlich nicht, aber aus Gefälligkeit für X. –, das heißt, um mit Ihnen, Sir, noch näher bekannt zu werden, würde ich sogar auf dem Seile tanzen.«

Ein lautes, herzliches Gelächter folgte auf Spendquick's begeisterten Ausbruch; man drückte sich der Reihe nach die Hände, und die Einladungskarten wanderten in die Taschen.

»Sie sehen nicht wie ein Tänzer aus,« sagte Avenel, sich zu dem Witzling wendend, der wohlbeleibt und etwas gichtisch war, wie alle Witzlinge, die fünf Mal in der Woche auswärts diniren; – »aber das Souper wird um Ein Uhr stattfinden.«

Auf's Aeußerste gekränkt und angewidert versetzte der Witzbold trocken, »er könne für den Nest der Saison nicht über Eine freie Stunde mehr verfügen,« machte dem Baron eine steife Verbeugung und ging. Die Uebrigen suchten heiter gestimmt ihre verschiedenen Cabriolets auf, und Leslie war im Begriffe, ihnen zu folgen, als Levy ihn mit den Worten zurückhielt:

»Bleiben Sie, ich möchte mit Ihnen sprechen.«


Vierzehntes Kapitel.

Der Baron begab sich, von Leslie gefolgt, in den Salon zurück. »Angenehme junge Leute, das,« sagte Levy mit leichtem Spott, während er sich in einen Lehnstuhl warf und in dem Feuer stürte. »Und durchaus nicht stolz; aber allerdings sind sie mir tief verpflichtet. Ja, sie sind mir viel schuldig. Apropos, ich habe eine lange Besprechung mit Frank Hazeldean gehabt – netter junger Mann – merkwürdiger Sinn für Geschäftssachen. Ich kann seine Angelegenheiten für ihn ordnen. Ein Gang auf die Testamentsregistratur hat mich überzeugt, daß Sie ganz Recht hatten; das Casino ist Frank vermacht. Er bekommt das Lehen bedingungslos und kann über dessen Weitervergabung unbeschränkte Verfügung treffen. Auf diese Art wird sich die Sache ohne die geringste Schwierigkeit machen lassen.«

»Aber ich sagte Ihnen auch, daß Frank Anstand nähme, Geld auf den Fall des Todes seines Vaters zu entlehnen.«

»Ja, so sagten Sie. Kindesliebe! In Geldsachen nehme ich diese nie in Berechnung. Solche kleine Bedenklichkeiten, die ohne Zweifel an der menschlichen Natur höchst achtungswerth sind, verschwinden bald Angesichts des Schuldgefängnisses. Und außerdem ist, wie Sie sehr weise bemerkten, unser gescheidter junger Freund in Madame di Negra verliebt.«

»Sagte er Ihnen das?«

»Nein, aber Madame di Negra sagte es mir.«

»Sie kennen sie?«

»Ich kenne die meisten Personen aus der guten Gesellschaft, welche dann und wann einen Freund zu Regelung ihrer Angelegenheiten brauchen. Und nachdem ich mir in dem von Ihnen berührten Punkte, die Bestimmungen hinsichtlich des Hazeldean'schen Vermögens betreffend, Gewißheit verschafft hatte (Sie entschuldigen meine Vorsicht), habe ich Madame di Negra ihrer Verlegenheiten enthoben und ihre Schulden aufgekauft.«

»Aufgekauft – Sie setzen mich in Erstaunen!«

»Das Erstaunen wird sich bei einigem Nachdenken verlieren. Aber die Welt ist Ihnen noch sehr neu, mein theurer Leslie. Beiläufig, ich hatte eine Unterredung mit Peschiera –«

»Wegen der Schulden seiner Schwester?«

»Auch. Ein Mann von unbefleckter Ehre ist Peschiera.«

Randal, der Levy's Gewohnheit kannte, an den Leuten gerade diejenigen Eigenschaften zu rühmen, welche sie auch nach dem Urtheil weniger scharfblickender Köpfe am wenigsten besaßen, begnügte sich mit einem Lächeln über diese Lobesspendung und wartete, bis Levy fortfuhr. Allein der Baron blieb stumm und nachdenklich einige Minuten sitzen und wechselte dann den Gegenstand des Gesprächs.

»So viel ich weiß, hat Ihr Vater in ***shire Besitzungen, und wahrscheinlich können Sie mir über gewisse Ländereien eines Mr. Thornhill Auskunft geben – Ländereien, die wie ich bei Untersuchung der Besitzurkunden gefunden habe, einst Ihrer Familie gehörten.« Der Baron blickte in ein sehr elegantes Notizbuch – »Die Grundherrschaften Rood und Dulmonsberry mit verschiedenen Meierhöfen darauf. Mr. Thornhill wünscht sie zu verkaufen, sobald sein Sohn volljährig ist – ein alter Client von mir, Thornhill. Er hat sich in dieser Sache an mich gewendet. Glauben Sie, daß die Güter rentabler gemacht werden können?«

Leichenblaß und klopfenden Herzens hörte Randal zu. Wir haben gesehen, daß, wenn seine Berechnungen Einen ehrgeizigen Plan in sich schlossen, der, obgleich nicht unbedingt edel und groß, doch bis zu einem gewissen Grade die Sympathie eines unverdorbenen Gemüthes gewinnen konnte, dies die Hoffnung auf Wiederherstellung der gesunkenen Größe seines alten Hauses und auf Rückerwerbung der lange entfremdeten Ländereien war, welche die traurige Oede der zerbröckelnden Halle umgaben. Und jetzt zu hören, daß diese Ländereien in die unerbittlichen Krallen Levy's fallen sollten! Bittere Thränen füllten seine Augen.

»Thornhill,« fuhr Levy fort, der das Gesicht des jungen Mannes beobachtete – »Thornhill sagt mir, daß dieser Theil seiner Besitzungen – die früheren Leslie'schen Ländereien – jährlich zweitausend Pfund tragen und noch mehr tragen könnten. Er will sie um fünfzigtausend Pfund hergeben – zwanzigtausend Pfund baar, und der Rest mit dreißigtausend Pfund bliebe zu vier Procent verzinslich auf Grund und Boden stehen. Dies scheint mir ein sehr guter Kauf zu sein. Was meinen Sie?«

»Fragen Sie mich nicht,« sagte Randal, von seinen Gefühlen zu ungewohnter Aufrichtigkeit gedrängt: »denn ich hatte den Tag zu erleben gehofft, an dem ich selbst wieder in den Besitz dieser Ländereien kommen würde.«

»Ah, wirklich! Es würde Ihrer Stellung in der Welt wesentlichen Vorschub leisten, weniger wegen des Umfangs der Besitzungen, als um der sich forterbenden Erinnerungen willen. Und wenn Sie irgend wie daran denken, sie anzukaufen – glauben Sie mir, ich will Ihnen nicht im Wege stehen.«

»Wie kann ich daran denken?«

»Aber ich dachte, Sie bezeugten so eben Lust dazu.«

»Ich hörte, diese Ländereien könnten nicht eher verkauft werden, als bis Thornhill's Sohn volljährig wäre und seine Zustimmung zu deren Entäußerung gäbe.«

»Ja, so glaubte auch Thornhill, bis ich bei Prüfung der Besitzurkunden den Irrthum entdeckte. Diese Ländereien werden von der Bestimmung, mit welcher der alte Jasper Thornhill die übrigen Güter vererbte, nicht betroffen. Das Eigenthum an denselben ist ein volles. Thornhill möchte die Sache gern gleich in's Reine bringen – Verluste auf der Rennbahn, Sie verstehen. Ein rascher Käufer würde noch bessere Bedingungen herausschlagen. Ein gewisser Sir John Spratt wäre zum Ankauf bereit; aber der Besitz dieser Ländereien würde den Spratt'schen Gütern in der Grafschaft mehr Bedeutung geben, als die Thornhill's hatten. So möchte sie mein Client lieber um einige Tausend weniger an Jemand verkaufen, der sich nicht zu seinem Nebenbuhler aufwürfe. Gleichmäßige Vertheilung der Macht in den Grafschaften, gerade wie bei den Nationen.«

Randal schwieg.

»Ich sehe, ich thue Ihnen wehe,« fuhr Levy mit großer Freundlichkeit fort, »und obwohl ich das bin, was meine äußerst liebenswürdigen Gäste einen Parvenu nennen würden, so begreife ich doch die Gefühle, welche sich Ihnen, einem Gentleman von alter Geburt, aufdrängen müssen. Parvenu! Ist es nicht seltsam, Leslie, daß weder Reichthum, noch Zutritt in die erste Gesellschaft, nach Berühmtheit diesen Flecken wegwaschen können? Sie heißen mich einen Parvenu und entlehnen von mir mein Geld. Sie heißen unsern Freund, den witzigen Kopf, einen Parvenu, und lassen ihm alle seine Unverschämtheiten hingehen – wenn sie sich je herablassen, von seiner Geburt überhaupt nur Notiz zu nehmen – in der Hoffnung, ihn zu einem Diner zu bekommen. Sie heißen den schlagfertigsten Mann im Parlamente von England einen Parvenu und werden ihm eines schönen Tags den Posten eines Premierministers aufdrängen und Sterne und Ordensbänder abbetteln. Eine wunderliche Welt – und kein Wunder, daß die Parvenüs sie umkehren möchten.«

Randal hatte bisher angenommen, dieser notorische Speichellecker – dieser modisch herausgeputzte Capitalist – dieser Geldverleiher, der sein ganzes Vermögen der Aristokratie mit ihren verrückten Bedürfnissen abgerungen hatte, sei naturgemäß ein Anhänger der bestehenden Ordnung der Dinge – wie konnte es für Männer wie Baron Levy einen besseren Zustand geben? Aber dieser unerwartete Ausbruch demokratischer Grillen Seitens des Wucherers überraschte Randal's frühreife und scharfe Beobachtungsgabe nicht. Er hatte die Bemerkung gemacht, daß immer Diejenigen, welche um die Aristokratie am meisten herumschwänzeln und aus diesem Herumschwänzeln den meisten Vortheil ziehen, im Herzen die bittersten Gefühle gegen dieselbe hegen. Warum dies? Weil die Eine volle Hälfte des demokratischen Geistes aus Neid zusammengesetzt ist, und weil Gegenstand des Neides nur Dasjenige sein kann, was wir mit unseren Augen sehen, und, während es stets vor uns liegt, doch nie erreichen können. Kein Mensch beneidet einen Erzengel.

»Aber,« sagte Levy, sich in seinen Stuhl zurückwerfend, »eine neue Ordnung der Dinge beginnt; wir werden sehen. Leslie, es ist ein Glück für Sie, daß Sie nicht unter dem gegenwärtigen Ministerium in's Parlament getreten sind, es wäre Ihr politischer Ruin auf Lebenszeit.«

»Sie glauben also, daß sich die Minister keinenfalls halten können?«

»Natürlich glaube ich es; ja, noch mehr, ich halte die Bildung eines Ministeriums von der nämlichen Färbung für unmöglich. Sie sind ein junger Mann von Talent und Geist. Ihre Geburt ist nichts im Vergleich zu dem Range der herrschenden Partei, im demokratischen Lager aber würde sie eine Bedeutung gewinnen. Ich meine, Sie sollten gegen Avenel höflicher sein; er könnte Sie bei der nächsten Wahl in's Parlament bringen.«

»Bei der nächsten Wahl? In sechs Jahren! Wir haben erst allgemeine Wahl gehabt.«

»Wir werden eine neue haben vor Ablauf des Jahres – vielleicht in einem halben, vielleicht auch schon in einem Vierteljahr.«

»Was veranlaßt Sie zu dieser Annahme?«

»Leslie, Vertrauen gegen Vertrauen! Wir können uns gegenseitig helfen. Wollen wir Freundschaft schließen?«

»Herzlich gern. Aber, während Sie allerdings mir helfen können, wie kann ich Ihnen helfen?«

»Sie haben mir schon geholfen zu Frank Hazeldean – und dem Casino. Alle gescheidten Leute können mir helfen. Also abgemacht, wir sind Freunde, und was ich sage, ist Geheimniß. Sie fragen mich, warum ich glaube, daß es sobald wieder eine allgemeine Wahl geben werde? Ich will Ihnen offen antworten. Von allen Staatsmännern, die mir je vorgekommen sind, besitzt keiner einen so klaren Blick in die augenblickliche Lage, wie Audley Egerton.«

»So nimmt man allgemein an. Keinen weiten, aber einen klaren Blick bis zu einem gewissen Punkte.«

»Ganz richtig. Niemand kennt folglich die öffentliche Stimmung und deren momentane Schwankungen besser.«

»Einverstanden.«

»Nun denn! Egerton rechnet auf eine allgemeine Wahl binnen drei Monaten; und ich habe ihm das Geld dazu geliehen.«

»Ihm das Geld geliehen? Egerton leiht Geld von Ihnen – der reiche Audley Egerton?«

»Reich!« wiederholte Levy in einem Tone, der sich unmöglich beschreiben läßt, und schlug dazu mit dem Daumen und Mittelfinger, was man sagt, ein »Schnippchen« – der Ausdruck tiefster Verachtung.

Er sagte nichts weiter. Randal saß betäubt da. Endlich murmelte Letzterer:

»Aber wenn Egerton wirklich nicht reich ist – wenn er seinen Posten verliert, und ohne die Hoffnung, ihn wieder zu bekommen« –

»Dann ist er ruinirt!« erwiderte Levy kalt; »und deßhalb, aus Rücksicht für Sie, und weil mir Ihre Zukunft am Herzen liegt, sage ich – Setzen Sie auf Audley Egerton keine Hoffnungen, weder was eine etwaige Laufbahn, noch was Vermögen betrifft. Behalten Sie vor der Hand Ihre Stelle, aber seien Sie bei der nächsten Wahl gerüstet, volkstümliche Grundsätze zu vertreten. Avenel soll sie in's Parlament bringen, und das Weitere hängt von Glück und Energie ab. Und jetzt will ich Sie nicht länger aufhalten,« sagte Levy, indem er sich erhob und läutete.

Der Bediente trat ein.

»Ist mein Wagen da?«

»Ja, Herr Baron.«

»Kann ich Sie irgendwo absetzen?«

»Nein, ich danke Ihnen. Ich ziehe es vor, zu Fuß zu gehen«

»Adieu dann. Und vergessen Sie die soirée dansante bei Mrs. Avenel nicht.«

Randal schüttelte mechanisch die ihm dargebotene Hand und stieg die Treppe hinab. Die frische, eisige Luft weckte seinen durch Levy's verhängnißvolle Worte nahezu gelähmten Geist wieder zu gewohnter Thätigkeit.

Und die erste Frage, welche sich der kluge Ränkeschmied stellte, war:

»Aber welche Beweggründe kann der Mann haben, mir alles das zu sagen?«

Die zweite –

»Egerton ruinirt! Und ich?«

Die dritte –

»Und jene schönen Parzellen des alten Leslie'schen Eigenthums! Zwanzigtausend Pfund baar – wie die Summe bekommen? Aus welchem denkbaren Grunde kann Levy mit mir hierüber gesprochen haben?«

Und zuletzt kam sein Selbstgespräch wieder auf die erste Frage zurück –

»Des Mannes Beweggründe! Seine Beweggründe!«

Während dem warf sich der Baron in sein Coupé – das bequemste Coupé, das man sich denken kann – ein Junggesellencoupé – vollendeter Geschmack – kein verheiratheter Mann hat ein solches Coupé – und in wenigen Minuten war er in ***'s Hotel und stand vor Giulio Franzini, Graf von Peschiera.

» Mon cher,« sagte der Baron in vortrefflichem Französisch und in einem Tone, dessen Vertraulichkeit die vollkommene Gleichstellung mit dem Abkömmling von Fürsten und Helden des großen mittelalterlichen Italiens ausdrückte –

» Mon cher, geben Sie mir eine Ihrer vorzüglichen Cigarren. Ich denke, ich habe alles in Gang gebracht.«

»Haben Sie heraus bekommen« –

»Nein; so rasch geht's nicht,« sagte der Baron, die ihm dargebotene Cigarre anzündend. »Sie erklärten ganz zufrieden sein zu wollen, wenn es Sie nur zwanzigtausend Pfund kosten würde, um Ihre Schwester zu vermählen (welche diese Summe gesetzlich anzusprechen hat) und selbst die Erbin zu heirathen.«

»Das sagte ich, ja.«

»Dann zweifle ich nicht, daß ich mit dieser Summe beide Zwecke erreichen werde, wenn Randal Leslie wirklich weiß, wo die junge Dame ist, und wenn er Ihnen behülflich sein kann. Ein vielversprechender, fähiger Mann ist Randal Leslie – aber unschuldig, wie ein neugeborenes Kind.«

»Ha, ha! Unschuldig? Que diable

»Unschuldig, wie diese Cigarre, mon cher – stark, ja, aber sehr leicht zu rauchen. Soyez tranquil! Bleiben Sie ruhig!«


Fünfzehntes Kapitel.

Wer sah nicht – wer bewunderte nicht jenes herrliche Bild von Daniel Maclise Daniel Maclise (1806-1870), irischer Maler., welches den unsterblichen Namen meines Vorfahren Caxton in die Erinnerung zurückruft Caxton Showing the First Specimen of His Printing to King Edward IV at the Almonry, Westminster. – In »The Caxtons« ging der Streit zwischen den Brüdern Caxton, Austin, Pisistratus' Vater, und Roland, darum, ob, wie Austin meinte, der Vorfahr der auf dem Bild verewigte Buchdrucker war oder ein Edelmann des Schwertes, wofür verbissen Roland eintrat. – Siehe im Anhang das Bild von Maclise.? Und während ich selbst mit nationalem Stolz das bewundernde Gemurmel der Fremden vernahm, die sich um dasselbe sammelten (denn nichts, worauf unsere Nation stolzer sein könnte, hatte sich in dem Krystallpalaste ihre Blicken dargeboten) – während ich mit nicht geringerem Stolze auf den hochsinnigen Geist der Kunstgenossen den warmen Beifall berühmter Meister vernahm, womit sie der Begeisterung der Menge die Weihe gaben – schien mir mehr noch, als der von dem Künstler, wie immer, auf die Zeichnung verwendete Fleiß und die reiche, erst seit kurzem von ihm angewandte Farbenmischung, die Tiefe der Auffassung in die Augen zu springen, welcher dieses Werk seine meisterhafte Ausführung verdankt.

Dieser Mönch mit dem mürrischen Blick auf den Buchdrucker, den Rücken der Bibel zugewendet, auf welche seine Gestalt einen Schatten wirft – der ganze Uebergang von dem mittelalterlichen Christenthum der Klosterzelle zu dem neueren Christentum, welches sich des Tageslichts freut, ist hier wieder gegeben in dem Schatten, welcher das Buch verdunkelt, in dem scheelen Blick, der sich auf den Bücherverbreiter heftet; – dieses finstere, nachsinnende Antlitz Richards, Herzogs von Gloucester, das, schön wie ein Napoleon mit dem schwarzen Ausdruck des bösen Feindes, lange in die ferne Zukunft schaut, als erblicke es dort bereits den Widerstand, der sich gegen die Anschläge geheimen Verbrechens und unerbittlicher Gewalt vorbereitete; – der ritterliche Kopf Rivers, des vollendeten Hofmannes, nur im Profil unter seinem Helme sichtbar, als wäre die Zeit, da das Ritterthum seine edeln Attribute in Stahl vertheidigen muß, schon halb vorüber; – und, nicht weniger groß, als alles Andere: die rauhen Sehnen und Muskeln des Handwerkers, der zum Dienste an der Presse gezwungen worden, und der Strahl des Verständnisses, der, drohende Revolutionen ankündigend, über die groben Züge und die niedere, gerunzelte Stirne hinzuckt.

Alle diese Belege für die Gründlichkeit, mit welcher der Künstler die guten und schlimmen Folgen der neuen Erfindung – auf der einen Seite rettendes Licht, auf der anderen gefährliche Stürme – erforscht hatte, übten auf mich jenen Zauber, welcher durch den vollständigen Einklang zwischen Gedanke und Ausführung – die ebenso wahre als seltene Vollendung des Idealen in der Kunst – hervorgebracht wird. Während so durch die genannten Personen der Gruppe die tieferen und ernsteren, mit der herrlichen, aber furchtbaren Erfindung zusammenhängenden Verwicklungen dargestellt sind, bemerken wir, wie wenig sich die oberflächlichen Epicuräer des Moments um den scheelen Blick des Mönchs, um die Rastlosigkeit Richards, um das unruhige Glitzern in dem Auge des Handwerkers kümmern – König Eduard, der schöne Poco curante Sorglose, gleichgültige Person; als »Pococurante« eine Figur in »Candide« (1759) von Voltaire., in seinem kindlichen Entzücken über ein neues Spielzeug, und Clarence mit seinen neugierigen, vertrauensvollen Augen, während Caxton selbst, ruhig, heiter, ohne sich stören zu lassen, nur an Erklärung seiner Erfindung denkt, unbekümmert, ob die ersten Proben derselben einem Rivers oder einem Eduard, einem Richard oder einem Heinrich, einem Plantagenet oder einem Tudor gewidmet werden sollen – das alles ist dem Mann mit den einnehmenden, sanften Zügen gleichgültig.

So ist es immer mit der abstrakten Wissenschaft! Nicht ein Jota kümmert sich ihre leidenschaftslose Logik um das Wohl oder Wehe der nachfolgenden Generationen. Der Strom, der aus seiner Quelle hervorgebrochen, treibt fort in die große See der Intelligenz und lächelt über den Bejammernswerthen, den er begräbt, oder unter dem Kiel des Schiffes, dessen Sklave er ist.

Jetzt, da ich im Begriffe bin, das gegenwärtige Kapitel über die Wechselformen des Lebens zu beginnen, drängt sich dieses Meisterstück denkender Kunst meiner Erinnerung auf zur bildlichen Veranschaulichung dessen, was ich zu sagen beabsichtige. Jedes Zeitalter birgt etwas in seinem Schooße, das für den Augenblick nur zur Unterhaltung der gewöhnlichen Kinder der Lust und des Vergnügens, eines Eduard's und eines Clarence's (mögen sie nun Könige und Herzoge oder die niedersten der Unterthanen sein) dient, später größere Dimensionen annimmt und zur ernsten Epoche in der Geschichte wird.

Blicken wir zurück, so weit wir denken können – die Schriftsteller sind es, auf welche, als die Hauptgrenzsteine der Vergangenheit, sich das Auge richtet. Man legt den Zeitaltern des Augustus, der Elisabeth, Ludwigs des Vierzehnten, der Königin Anna weltgeschichtliche Bedeutung bei. Warum? Weil ihre Geschichtschreiber ihnen dieselbe verliehen haben. Die Zwischenräume zwischen den verschiedenen Schriftstellerperioden liegen unbeachtet da, wie gewöhnliches flaches Land eines unbebauten geschichtlichen Bodens. Und doch, so seltsam es auch klingt, beschäftigen diese Schriftsteller, wenn sie unsere Zeitgenossen sind, unsere Gedanken nur zum kleinsten Theile und füllen nur da und dort die Löcher in den Kalk- und Tuffsteinen aus, womit wir das Babylon unseres Lebens aufbauen! So ist es, und vielleicht mit Fug und Recht, mag es nun den Leuten von der Feder behagen oder nicht. Thätigkeit soll die Seele des Lebens sein, und Bücher, wenn sie auch der Nachwelt die That übergeben, sind in der Gegenwart nur für die Feiertage.

Mit dieser langen Vorrede kehre ich mit Einem Mal den Randals und den Egertons, den Levy's, Avenels und Peschiera's – den Intriguen und Leidenschaften des praktischen Lebens den Rücken und versetze den Leser in eine jener verborgenen Stätten, wo der Gedanke aus unbeachteten Momenten ein neues Band in die Kette webt, welche die Zeitalter mit einander verbindet.

In einem kleinen Zimmer, dessen einziges Fenster gegen den oben beschriebenen, wunderlich angelegten, feenhaften Garten sieht, saß ein junger Mann allein. Er hatte geschrieben. Die Tinte auf dem Manuscripte war noch nicht trocken, aber seine Gedanken hatten sich plötzlich von der Arbeit abgewendet, und seine Augen, die sich jetzt von einem Briefe, dem Gegenstande der Unterbrechung, erhoben, strahlten vor Entzücken.

»Er wird kommen,« rief der junge Mann; »hieher kommen, in die Heimath, welche ich ihm verdanke. Ich bin seiner Freundschaft nicht unwürdig gewesen. Und sie« – seine Brust hob sich, aber die Freude wich aus seinem Antlitz. »Seltsam, seltsam, daß mich der Gedanke, sie wieder zu sehen, traurig macht. Sie wiedersehen! – O nein! – Meine Trost spendende Helene – mein kindlicher Engel! Sie kann ich nie wiedersehen! Die erwachsene Jungfrau – sie ist nicht meine Helene. Und doch – und doch« nahm er nach einer Pause wieder auf »wenn sie je diese Blätter liest, in welchen der Gedanke fluthete und zitterte unter ihrem fernen Sternenlichte – wenn sie je sieht, wie ihr Bild in mir fort lebte, und wenn sie fühlt, daß, was Andere für Gebilde der Phantasie halten, der Erinnerung entnommen ist – wird sie dann nicht, wenigstens für einen Augenblick, wieder meine Helene sein – wieder in Gedanken mit ihrem Herzen an meiner Seite stehen auf der einsamen Brücke – Hand in Hand – Beide Waisen, wie wir dort standen in jenen kummervollen und doch, wenn ich sie mir zurückrufe, so süßen Tagen! – Helene in England, es ist ein Traum!«

Er erhob sich halb unbewußt und ging an das Fenster. Der Springbrunnen spielte lustig vor seinen Augen, und der laute Gesang der Thierchen in dem Vogelhause schlug an sein Ohr.

»Und in diesem Hause,« murmelte er, »sah ich sie zuletzt! Und dort, wo jetzt der Springbrunnen seinen Strahl in die Höhe sendet, dort sagte mir ihr und mein Wohlthäter, daß ich sie verlieren müsse und – Ruhm gewinnen solle. Ach!«

In diesem Augenblick trat eine Frau in das Zimmer, deren Kleidung zu ihrem ganzen Wesen nicht recht paßte, indem letzteres bei aller Ehrbarkeit in hohem Grade an das Leben auf dem Lande erinnerte. Sie blieb stehen, als sie den jungen Mann in Gedanken vertieft am Fenster erblickte; denn sie kannte seine Gewohnheiten und hatte sie, seit er sich eine gewisse Stellung errungen, achten gelernt. Deßhalb störte sie seine Träumerei nicht, sondern begann leise das Zimmer in Ordnung zu bringen, indem sie mit dem Zipfel ihrer Schürze von verschiedenen Gegenständen den Staub abwischte, ein Paar Stühle, die im Wege standen, an ihren Platz stellte, aber nicht Ein Papier anrührte. Vortreffliche Frau – und eben so selten, als vortrefflich!

Endlich wandte sich der junge Mann mit einem tiefen, jedoch nicht eben schmerzlichen Seufzer um.

»Meine theure Mutter, guten Tag. Ah, du hast Recht, daß du dem Zimmer ein möglichst freundliches Aussehen zu geben suchst. Frohe Neuigkeiten! Ich erwarte Besuch!«

»Mein Gott, Leonard, soll etwas gerichtet werden? Frühstück oder sonst etwas?«

»Nein, ich glaube nicht, Mutter. Er, dem wir alles verdanken, kommt – haec otia fecit Diese Ruhe hat er uns geschaffen. (Nach Virgil, Buc., I, 6)! Entschuldige mein Latein. Der Besuch ist Lord L'Estrange.«

Das Gesicht der Mrs. Fairfield (der Leser hat wohl längst den Namen errathen) veränderte sich plötzlich und zeigte ein nervöses Zucken aller Muskeln, was ihr eine Familienähnlichkeit mit der alten Mrs. Avenel gab.

»Beunruhige dich nicht, Mutter. Er ist der gütigste« –

»Sprich nicht so, ich kann es nicht ertragen!« rief Mrs Fairfield.

»Kein Wunder, daß die Erinnerung an alle seine Wohlthaten dein Herz bewegt. Aber sobald du ihn gesehen hast, wirst du dich beruhigt fühlen und es auch bleiben. Also, bitte, lächle und sieh' so gut und freundlich aus, wie du bist; denn ich bin stolz auf dein offenes, treuherziges Gesicht, wenn du zufrieden bist, Mutter. Und er soll dein Herz in deinem Gesichte lesen, wie ich.«

Damit schlang Leonard den Arm um den Nacken der Wittwe und küßte sie. Sie schmiegte sich einen Augenblick zärtlich an ihn, und er fühlte, wie sie vom Kopf bis zu den Füßen zitterte. Dann riß sie sich aus seinen Armen los und verließ rasch das Zimmer. Leonard dachte, sie habe sich vielleicht entfernt, um ein besseres Kleid anzuziehen oder mit hausmütterlicher Emsigkeit die anderen Zimmer zum Empfange herzurichten; denn das Haus war Mrs. Fairfield's Steckenpferd und Leidenschaft; und jetzt, da sie nur zu ihrer Unterhaltung arbeitete, bildete dasselbe den Hauptgegenstand ihrer Beschäftigung. Wie sie es anfing, sich Stunden lang in diesen kleinen Zimmern zu schaffen zu machen und, wie es schien, alles darin genau auf dem alten Platze zu lassen, das gehörte zu jenen Wundern im Leben, die Leonard's Genius nie begriff. Aber sie war immer so erfreut, wenn Mr. Norreys oder ein anderer seltener Besuch kam und sagte (Mr. Norreys versäumte nie, es zu sagen): »Wie hübsch hier alles gehalten ist! Was sollte aus Leonard ohne Sie werden, Mrs. Fairfield!«

Und zu Mr. Norreys' unendlicher Belustigung gab Mrs. Fairfield jedes Mal die nämliche Antwort:

»Gewiß, Sir, und danke Ihnen schönstens; aber meine Meinung ist, das Besuchzimmer werde schrecklich staubig sein.«

Als Leonard wieder allein war, versank er von Neuem in den früheren träumerischen Zustand, und seine Züge nahmen den Ausdruck an, den sie jetzt beinahe immer zeigten. Er hatte sich, seit wir ihn zuletzt gesehen, sehr verändert. Seine Wangen waren bleicher und schmäler, seine Lippen fester geschlossen, sein Blick sicherer und ernster. Man sah, um mich eines treffenden französischen Ausdrucks zu bedienen, daß »Kummer darüber hingegangen war.«

Aber die Schwermuth in seinen Zügen war unaussprechlich sanft und ruhig, und auf seiner hohen Stirne thronte jene Kraft, die man in diesem Alter so selten trifft – die Kraft, welche gesiegt hat und ihre Siege nur durch Ruhe verkündet. Die Zeit des Zweifels, des Kampfes, des Trotzes war vorüber für immer; Genius und Seele hatten sich mit der Menschheit ausgesöhnt. Es war ein liebliches Antlitz – der Charakter desselben so edel und friedlich. Nicht, daß das Feuer gefehlt hätte – im Gegentheil, das Feuer brannte so hell und stetig, daß man es für Licht halten mochte.

Die Offenherzigkeit des Knaben, die Einfachheit des Dorfkindes war noch immer da, aber verfeinert durch Erkenntniß, welche die Bahn des Wissens nicht durch schritten, sondern durchf logen zu haben schien – unbefleckt von dem Schmutze der Erde – den Sternen zustrebend – in den verschiedenen Abstufungen des Seins nur die reizenderen Formen des Wahren und Guten suchend – zu Hause, wie es der, das Schöne zur höchsten Vollkommenheit entwickelnden Kunst geziemt.

»In den heitern Regionen,
Wo die reinen Formen wohnen.« Bulwer zitiert hier (auch im Original auf deutsch, mit englischer Übersetzung als Fußnote) aus Friedrich Schiller, »Das Ideal und das Leben«.

Aus diesen Träumen raffte sich Leonard nicht eher auf, als bis die Glocke an der Gartenthüre laut und scharf erklang. Jetzt richtete er sich rasch empor und eilte in die Halle – als er seine Hand plötzlich von der Harley's umschlossen fühlte.


Sechzehntes Kapitel.

Eine volle glückliche Stunde verging mit Harley's Fragen und Leonard's Antworten – die natürlichste Art der Conversation bei dem ersten Wiedersehen nach jahrelanger, für den jüngern der beiden Männer so ereignißreicher Abwesenheit.

Leonard's Geschichte während dieses Zeitraums war beinahe ausschließlich eine innere, der Kampf des Geistes mit seinen eigenen Hemmnissen, die Wanderungen der Phantasie durch ihre eigenen abenteuerlichen Welten. Das erste, worauf Norreys bei Vorbereitung seines Zöglings für dessen Beruf sein Augenmerk richtete, war die Herstellung des Gleichgewichts der geistigen Kräfte desselben, die harmonische Sammlung der durch die Prüfungen und Leidenschaften des früheren, strengen, äußern Lebens rauh durch einander geworfenen Elemente.

Norreys' Theorie war kurz folgende: die Erziehung eines höher begabten menschlichen Wesens besteht einzig und allein in der Entwicklung von Ideen in einem Individuum zum Besten seiner Mitmenschen. Zu diesem Ende ist die Aufmerksamkeit zu richten – erstens auf den Werth der gesammelten Ideen, zweitens auf das Ordnen, und drittens auf das Wiedergeben derselben. Numero Eins erfordert Fähigkeit; Numero Zwei Schule; Numero Drei Kunst.

Erstere begreift in sich ein intellectuelles Wissen, sei es aus Beobachtungen, Erlebnissen oder Vergleichungen, aus Büchern oder Menschen, aus Aristoteles oder Fleet-Street gezogen. Die zweite verlangt Erziehung, nicht blos intellectuelle, sondern auch sittliche, die Läuterung und Veredlung der Beweggründe, die Regelung der Gewohnheiten – und hier ist die Methode nur ein Theil einer göttlichen, harmonischen Symmetrie: Die Vereinigung der Intelligenz und des Gewissens.

Hat man einen Schatz von werthvollen Ideen durch den ersten Prozeß errungen, durch den zweiten gekräftigt und gehöriger Leitung unterstellt, so bleibt es dem dritten vorbehalten, sie der Welt in der anziehendsten oder empfehlenden Form vorzulegen. Dies kann durch Thaten nicht minder, als durch Worte, geschehen: allein, die Mittel dem Zweiten anzupassen, den Ideen eines Menschen Eingang in das Leben und die Seele Aller, durch Thaten oder Bücher, zu verschaffen, erfordert Studium. Die That hat so gut ihre Kunst, wie die Literatur.

Norreys hatte es nur mit dem Berufe des Gelehrten, mit der Bildung des Schriftstellers zu thun und demgemäß die Wahrnehmungen zu jenen Abwechslungen im Erhabenen und Schönen hinzuführen, deren richtige Vereinigung sofort das Schaffen ist. Der Mensch selbst ist nichts, als eine Vereinigung von Elementen. Wer in der Natur zu vereinigen versteht, zeigt sich eben damit schaffend in der Kunst.

So ungefähr, wie ich es hier mit wenigen Worten und nur annähernd beschrieben habe, war das System, nach welchem Norreys bei Regelung und Vervollkommnung der angeborenen Kräfte seines Zöglings verfuhr; und wenn mir auch der Leser einwendet, daß kein System, welches seine Grundlage von einem Dritten empfangen, den Genius bilden oder die Art seines Wirkens vorschreiben könne, so haben doch gewiß neun Zehntheile der anerkanntesten Zierden unseres Geschlechts, ohne es zu wissen – denn die Selbsterziehung achtet selten auf die verschiedenen Stadien, in welche sie nach und nach tritt – jeden dieser Prozesse durchgemacht. Und nicht Einer, der sich die Mühe gibt, darüber nachzudenken, wird läugnen, daß diese Theorie, welche ein Mann von reichen Erfahrungen, gründlichen Kenntnissen und vorzüglichem Geschmack aufgestellt hat, dem Genius seine Kämpfe unendlich erleichtert, seinen Blick klärt und stärkt und den Abstand zwischen Ringen und Erringen nicht unwesentlich abkürzt.

Norreys war übrigens ein viel zu tiefer Denker, um in den Wahn der modernen Lehrer zu verfallen, Erziehung sei ohne eigene Arbeit möglich. Die Arbeit muß streng, aber richtig geleitet sein. Alles, was wir hier thun können, ist: zu vermeiden, daß die Zeit durch Kraftvergeudung auf Abwegen nutzlos verschwendet werde.

Der Meister hatte daher seinen Jünger zuerst mit Ordnen und Zusammentragen von Material zu einem großen kritischen Werke beschäftigt, an welchem Norreys selbst arbeitete. In diesem Stadium des vorbereitenden Lernens kam Leonard von selbst auf die Nothwendigkeit, sich fremde Sprachen, für welche er großes Talent hatte, anzueignen, wodurch eine solide Grundlage für eine umfassende, vielseitige Bildung gewonnen wurde. Er zog mit der Pflugschaar die Mauern der künftigen Stadt. Pünktlichkeit und das nöthige Generalisiren wurden ihm zur Gewohnheit, ohne daß er es bemerkte; und die schätzenswerthe Gabe, aus einem Haufen von Material das für den jeweiligen Zweck Dienliche herauszuziehen – eine Gabe, welche die Kräfte, durch deren Concentrirung auf Einen Punkt, vervielfältigt – verlieh, einmal in Thätigkeit gesetzt, jeder Arbeit ein bestimmtes Ziel und der Auffassung größere Schärfe. Aber Norreys beschränkte seinen Zögling keineswegs auf die stumme Welt einer Bibliothek; er machte ihn mit einigen hervorragenden Meistern in Kunst und Wissenschaft, in der Literatur und im Gebiete des praktischen Lebens bekannt.

»Dies,« sagte er, »sind die lebendigen Ideen der Gegenwart, welche den Stoff zu den Büchern für die Zukunft abgeben werden. Studiren Sie dieselben; hier, wie in den Bänden der Vergangenheit, ist viel, was sorgfältig gesammelt und gelesen zu werden verdient.«

Nach und nach leitete Norreys diesen jungen, feurigen Geist von der Auswahl der Ideen zu der ästhetischen Analyse, von der Kompilation zur Kritik; aber zu einer strengen, eingehenden, logischen Kritik, zu einer Begründung jedes Wortes des Lobs oder des Tadels. In diesem Stadium seiner Ausbildung auf die Erforschung der Gesetze des Schönen hingewiesen, ging seiner Seele plötzlich ein neues Licht auf; mitten aus den Marmormassen, die er um sich her aufgehäuft hatte, erhob sich das Haupt der Statue.

Und so sagte Norreys eines Tages unvermuthet zu ihm:

»Ich brauche nicht länger einen Kompilator – bringen Sie sich durch eigene Schöpfungen weiter.«

Und Leonard schrieb, und ein Werk erblühte aus der tief eingegrabenen Saat und aus dem für die Strahlen der Sonne und für den heilsamen Einfluß der frischen Luft gehörig gelockerten Boden.

Dieses erste Werk fand noch keinen sehr großen Leserkreis – nicht wegen eines bemerkbaren inneren Mangels; denn zu allem gehört Glück. Das erste anonyme Werk eines originellen Genius erringt selten mit Einem Male bedeutende Erfolge. Aber die Erfahreneren erkannten, was das Buch versprach. Verleger, welche instinktmäßig ein zu verwertendes Talent herausfinden und das künftige Urtheil des Publikums voraus berechnen, machten aus freien Stücken liberale Anerbietungen.

»Dieses Mal müssen Sie Ihres Erfolgs sicher sein,« sagte Norreys; »denken Sie weder an Vorbilder, noch an den Styl. Klopfen Sie geradezu an das menschliche Herz – fort mit den Ankertauen, kühn hinaus in die hohe See. Noch ein Wort – schreiben Sie nie eine Seite, ohne vorher einen Gang nach Temple Bar Grenzpunkt, der die westlichste Ausdehnung der City of London an der Straße nach Westminster markiert, wo die Fleet Street zum Strand wird. Bis 1878 wurde diese Grenze von einem steinernen Tor markiert. gemacht zu haben; mischen Sie sich unter die Leute, lesen Sie in dem menschlichen Antlitz und lernen Sie daraus, warum sich große Dichter meistens in Hauptstädten aufgehalten haben.«

Leonard schrieb wieder und erwachte eines Morgens als ein berühmter Mann. Soweit sich bei einem Berufe, dessen Ausübung Gesundheit erfordert, etwas vorher bestimmen läßt, war für den Augenblick Unabhängigkeit und, bei Vorsicht und Sparsamkeit, auch für die Zukunft ein hinlängliches Auskommen gesichert.

»Und ich hoffe,« schloß Leonard seine weniger kurz, aber einfacher als hier gefaßte Erzählung, – »ich hoffe, gleich jetzt mir eine Summe erwerben zu können, die mich für den Rest meines Lebens in den Stand setzt, mir meine Thema's selbst zu wählen, ohne daß ich genöthigt bin, mir wegen der Honorirung Sorge zu machen. Das erst nenne ich die einzige wahre (und ach! vielleicht so seltene) Unabhängigkeit des Schriftstellers. Norreys, der einen Entwurf aus meiner Knabenzeit über gewisse Verbesserungen der Dampfmaschinen sah, verlangte, ich solle einen großen Theil meiner Zeit auf Mechanik verwenden. Das Studium, welches mir früher so großes Vergnügen gewährt hatte, erschien mir jetzt geistlos; aber ich machte mich guten Muthes daran, und ich habe in Folge dessen meine ursprüngliche Idee soweit verbessert, daß mein Plan bei einem der erfahrensten Ingenieurs Beifall gefunden hat. Ich bin überzeugt, der Verkauf des Patentes wird mir eine Summe Geldes eintragen, deren Größe Ihnen zu nennen mich in Verlegenheit setzt – wegen des Mißverhältnisses, in dem sie zu einer so einfachen Erfindung steht. Indessen bin ich schon jetzt so reich, daß ich zwei Träume meines Herzens verwirklichen konnte: eine eigene Heimath in dem Häuschen, in welchem ich Sie und Helene – Miß Digby, wollte ich sagen – zuletzt gesehen, und Theilung dieser Heimath mit ihr, die über meiner Kindheit wachte.«

»Ihre Mutter – wo ist sie? Ich möchte sie sehen.«

Leonard eilte fort, die Wittwe zu holen, erfuhr aber zu seinem Erstaunen und Verdrusse, daß sie vor L'Estrange's Ankunft das Haus verlassen hatte.

Er kam zurück, unschlüssig, wie er dieses anscheinend unhöfliche und undankbare Benehmen erklären sollte; zögernd, mit glühender Wange sprach er von der angeborenen Schüchternheit der Wittwe, von ihrer steten Erinnerung an ihre niedere Herkunft.

»Und,« fügte Leonard bei, »sie ist von dem Bewußtsein, wie viel wir Ihnen verdanken, so sehr überwältigt, daß sie Ihren Namen nie ohne Aufregung oder Thränen hören kann, und bei dem Gedanken, Sie zu sehen, wie Espenlaub zittert.«

»Ha!« rief Harley, sichtlich bewegt. »Wirklich?«

Er senkte den Kopf und beschattete sein Gesicht mit der Hand.

»Und,« nahm er nach einer Pause wieder auf, »ohne emporzublicken, »und Sie schreiben diese Furcht, mich zu sehen, diese Aufregung bei Nennung meines Namens einzig und allein einer krankhaft gesteigerten Erinnerung an – an die Umstände zu, welche sich auf meine Bekanntschaft mit Ihnen beziehen?«

»Und vielleicht einer Art von Scham, daß die Mutter Desjenigen, welchen Sie zu ihrem Stolz gemacht haben, nur eine Bäuerin ist.«

»Das ist alles?« sagte Harley ernst, indem er aufsah und seine Augen, in welchen Thränen standen, auf Leonard's offenes Antlitz richtete.

»O, mein theurer Lord, was sonst könnte es sein? Urtheilen Sie nicht hart über sie.«

L'Estrange erhob sich plötzlich, drückt Leonard's Hand, murmelte einige unverständliche Worte, zog dann den Arm seines jungen Freundes in den seinigen, führte ihn in den Garten und lenkte das Gespräch auf den früheren Gegenstand zurück.

Leonard's Herz sehnte sich, nach Helene zu fragen, und doch hielt ihn ein gewisses Etwas davon zurück, bis er endlich, da Harley immer noch nicht auf sie zu sprechen kam, seinem Verlangen nicht länger zu widerstehen vermochte.

»Und Helene – Miß Digby – ist sie sehr verändert?«

»Verändert? Nein – ja, sehr.«

Sehr! – Leonard seufzte.

»Werde ich sie wieder sehen?«

»Gewiß,« sagte Harten in einem Tone der Ueberraschung. »Wie können Sie daran zweifeln? Und Ihnen bleibt das Vergnügen vorbehalten, ihr zu sagen, daß Sie berühmt sind. Sie erröthen; gut, dann will ich es für Sie thun. Aber Ihre Bücher müssen Sie ihr geben.«

»So hat sie dieselben noch nicht gelesen – auch nicht das letzte? Das erste verdient ihre Aufmerksamkeit nicht,« sagte Leonard enttäuscht.

»Sie ist eben erst in England angekommen. Ich erhielt zwar Ihre Bücher in Deutschland, allein damals war sie nicht bei mir. Sobald ich ein Geschäft, welches mich auswärts ruft, bereinigt habe, werde ich Sie ihr und meiner Mutter vorstellen.«

Harley's Stimme klang befangen, als er so sprach; und sich rings umschauend, rief er aus.

»Sogar hier haben Sie Poesie entwickelt. Ich hätte nie gedacht, daß einem der gewöhnlichen Vorstadtgärten so viel Schönheit entlockt werden könnte. Wahrhaftig, wenn ich mich nicht täusche, so stand da, wo jetzt diese reizende Fontäne spielt, die rohe Bank, auf der ich Ihre Verse las.«

»So ist es; ich wünschte hier alles, was mir im Leben Glückliches begegnete, zu vereinigen. Ich glaube, ich theilte Ihnen, mein Lord, in einem meiner Briefe mit, daß ich eine sehr glückliche, wenn auch an Kämpfen reiche Zeit meines Knabenalters der seltenen Freundlichkeit und edelmüthigen Unterweisung eines Ausländers verdankte, in dessen Diensten ich stand. Dieser Springbrunnen ist einem andern nachgebildet, welchen ich damals in seinem Garten anlegte, und an dessen Rande ich manchen Sommertag gesessen und von Ruhm und Wissen geträumt habe.«

»Richtig, das sagten Sie mir; und Ihren Ausländer wird es freuen, von Ihren Erfolgen zu hören, wie von Ihrer dankbaren Erinnerung. Uebrigens nannten Sie mir seinen Namen damals nicht.«

»Riccabocca.«

»Riccabocca! Dieser mir so theure edle Freund! Ist es möglich? Mit ihm hängt theilweise meine Rückkunft nach England zusammen. Sie müssen mich begleiten und ihn sehen. Ich hatte vor, heute Abend aufzubrechen.«

»Mein theurer Lord,« sagte Leonard, »ich glaube, Sie können sich eine so weite Reise ersparen. Ich habe Grund zu der Vermuthung, daß Signor Riccabocca mein nächster Nachbar ist. Vor zwei Tagen war ich im Garten, als ich, von ungefähr nach jenem Hügel dort blickend, die Gestalt eines Mannes gewahrte, der unter dem Gebüsche saß; und obgleich ich seine Züge nicht unterscheiden konnte, so gemahnte mich doch etwas in den Umrissen seiner Figur und in seiner eigentümlichen Haltung unwiderstehlich an Riccabocca. Ich eilte aus dem Garten und stieg den Hügel hinan; er war jedoch verschwunden. Meine Neugierde war in einem Grade erregt, daß ich in den verschiedenen Läden Erkundigungen einziehen ließ, wobei ich erfuhr, daß eine Familie, bestehend aus einem Gentleman mit seiner Gattin und Tochter, vor Kurzem ein Haus bezogen habe, an welchem Sie auf Ihrem Wege hieher vorbei gekommen sein müssen – es steht von der Straße etwas seitwärts, von hohen Mauern umgeben – und obgleich sie Engländer sein sollen, so läßt mir doch die von einem Augenzeugen gemachte Beschreibung der Person des Gentleman, der Umstand, daß sie einen ausländischen Diener haben, und der von den Ankömmlingen geführte Name ›Richmouth‹ kaum mehr einen Zweifel übrig, daß es die von Ihnen gesuchte Familie ist.«

»Und Sie sind nicht hingegangen, um Gewißheit zu bekommen?«

»Ich bitte Um Entschuldigung, aber da sich die Familie augenscheinlich jeder Beobachtung entzieht (außer dem Herrn des Hauses wurde nie Jemand außerhalb der Mauern gesehen) und noch dazu einen andern Namen angenommen hat, so schloß ich hieraus, daß Signor Riccabocca einen triftigen Grund habe, verborgen zu bleiben; Und jetzt, da ich das Leben besser kenne, muß ich Angesichts seines frühern Verhaltens annehmen, daß Riccabocca nicht dasjenige war, wofür er sich ausgab. Deßhalb nahm ich Anstand, mich in seine Geheimnisse, worin sie auch bestehen mögen, förmlich einzudrängen, und wollte lieber die Gelegenheit erspähen, ihm auf seinen Spaziergängen zu begegnen.«

»Sie thaten wohl, mein lieber Leonard; aber vor den Gründen, die ich habe, meinen alten Freund zu sehen, müssen alle Bedenklichkeiten des Zartgefühls weichen, und ich will ihn sogleich aufsuchen.«

»Sie werden mir sagen, mein Lord, ob ich Recht habe.«

»Ich hoffe, ich werde das thun dürfen. Bitte, bleiben Sie zu Hause, bis ich zurückkomme. Und jetzt noch eine Frage: Sie hegen in Betreff Riccabocca's Vermuthungen, weil er seinen Namen geändert hat – warum haben Sie den Ihrigen aufgegeben?«

»Ich wünschte keinen Namen zu haben,« sagte Leonard tief erröthend, »als denjenigen, welchen ich mir selbst schaffen kann.«

»Stolzer Dichter, ich begreife das. Aber aus welchem Grund wählten Sie den seltsamen und phantastischen Namen Oran?«

Die Röthe auf Leonards Stirne wurde tiefer. – »Mein Lord,« sagte er mit leiser Stimme, »es ist eine kindische Grille von mir; es ist ein Anagramm.«

»Ah!«

»In einer Zeit, als mein Durst nach Wissen nahe daran war, auf Abwege zu gerathen, ja, mich vielleicht zu Grunde zu richten, fielen mir einige Gedichte in die Hände, die plötzlich meine ganze Seele ergriffen und sie höheren, reineren Regionen zuführten. Diese Gedichte sollen in jungen Jahren geschrieben worden sein – von einem Wesen, welches Schönheit und Genie besaß – von einem Wesen, das längst in seinem Grabe lag – einer Verwandten von mir, und ihr Name war Nora –«

»Ah!« rief Lord L'Estrange abermals, und sein Arm preßte den Leonard's fester.

»So – ich weiß selbst nicht mehr recht, wie es kam,« fuhr der junge Schriftsteller mit unsicherer Stimme fort, »entstand in mir der Wunsch, daß, wenn ich als Dichter einen Namen erringen sollte, er, wenigstens für mein Herz, zu dem Namen Nora in einer Beziehung stehen möchte – zu ihr, welcher der Tod den Namen entrissen hatte, den sie sonst sich errungen hätte – zu ihr, die –«

Er hielt inne, mächtig erregt.

Harley war es nicht weniger. Aber wie von einem plötzlichen Drange getrieben, beugte der Krieger sein männliches Haupt hernieder und küßte des Dichters Stirne; dann eilte er nach dem Pförtchen, warf sich auf sein Pferd und ritt von dannen.


Siebzehntes Kapitel.

Lord L'Estrange begab sich nicht auf der Stelle nach Riccabocca's Wohnung. Er stand unter dem Eindrucke einer zu tief gehenden und gewaltigen Erinnerung, um den lauwarmen Ansprüchen der Freundschaft so schnell gerecht werden zu können. Er ritt rasch und weit; und es wäre unmöglich, die Gefühle zu beschreiben, welche sein den leisesten Empfindungen zugängliches, in allen seinen Neigungen so hartnäckig ausdauerndes Herz durchzogen. Als er endlich, seiner Pflichten gegen den Italiener sich erinnernd, umkehrte und wieder Norwood zuritt, war der langsame Schritt seines Pferdes bezeichnend für seinen eigenen erschöpften Geist; die fieberhafte Aufregung hatte einer tiefen Niedergeschlagenheit Platz gemacht.

»Vergebliches Beginnen,« murmelte er, »mich der Gedanken an die Todte entwöhnen zu wollen. Dennoch bin ich jetzt mit einer Anderen verlobt, und sie mit allen Vorzügen ist nicht das Wesen, das –«. Er hielt inne; aus seiner Seele klang es wie ein Vorwurf. »Zu spät, hieran zu denken! Alles, was mir jetzt noch übrig bleibt, ist: das Glück desjenigen Lebens zu sichern, welchem ich das meinige verpfändet habe. Aber –«

Er seufzte, während er so sprach. Als er in die Nähe von Riccabocca's Wohnung kam, stellte er sein Pferd in einer kleinen Schenke ein und ging zu Fuß über die Haide auf das schwerfällige viereckige Gebäude zu, welches sich ihm nach Leonard's Beschreibung als des Verbannten neue Heimath kenntlich machte. Es dauerte lange, bis auf sein Begehr um Einlaß eine Antwort erfolgte. Erst nachdem er drei Mal geläutet hatte, vernahm er innen auf dem Kiese einen schweren Tritt, dann wurde der auf der innern Seite des Thores befindliche Schieber theilweise zurückgeschoben, ein dunkles Auge zeigte sich in der Oeffnung und eine Stimme frug in gebrochenem Englisch, wer da sei.

»Lord L'Estrange; und wenn ich hier recht bin, so wird dieser Name mir sofort die Thüre öffnen.«

Das Thor flog auf, wie das der Zauberhöhle bei den Worten »Sesam, öffne dich!« – und Giacomo, beinahe weinend vor freudiger Aufregung, rief in italienischer Sprache:

»Der gute Lord! Heiliger Sankt Giacomo! Du hast mich endlich erhört! Jetzt sind wir geborgen.«

Und die Muskete fallen lassend, mit welcher er sich aus Vorsicht bewaffnet hatte, führte er Harley's Hand nach der zärtlichen Begrüßungsweise seiner Heimath an seine Lippen.

»Und der Padrone?« frug Harley, als er die eifersüchtigen Außenwerke betrat.

»O, er ist eben weg gegangen; aber er wird nicht lange ausbleiben. Sie warten auf ihn?«

»Gewiß. Wer ist die Dame dort ganz am Ende des Gartens?«

»Gott segne sie! Es ist unsere Signorina. Ich will zu ihr eilen und ihr sagen, daß Sie gekommen sind.«

»Daß ich gekommen bin? Aber sie kann mich ja kaum dem Namen nach kennen.«

»Ah, Excellenza, können Sie das glauben? Oft und viel hat sie mir von Ihnen gesprochen, und ich habe gehört, wie sie zur heiligen Madonna gebetet hat, sie möge Sie in ihren Schutz nehmen, und mit einer so süßen Stimme –«

»Halt! Ich will mich ihr selbst vorstellen. Geh' in das Haus, wir wollen außen auf den Padrone warten. Ja, ich muß Luft haben, mein Freund.«

Mit diesen Worten ließ er Giacomo stehen und ging auf Violante zu.

Das arme Kind war auf ihrem einsamen Spaziergang in den dunkleren Theilen des Gartens der Aufmerksamkeit Giacomo's entgangen, als ihn das wiederholte Läuten an das Thor rief; und, unbekannt mit den Besorgnissen, deren Gegenstand sie war, hatte sie bei dem Ton der Glocke und bei dem Anblick eines Fremden, mit dem sich der ungesellige Giacomo in ein eifriges, freundliches Gespräch einließ, etwas wie jugendliche Neugierde empfunden.

Als jetzt Harley mit der ihm eigenen Anmuth der Bewegungen näher trat, durchzuckte es ihr Herz – sie wußte nicht, warum. Sie entdeckte keine Aehnlichkeit mit der Skizze, welche ihr Vater von Harley in dessen früher Jugend aus der Erinnerung entworfen hatte. Es fehlte ihr jede Muthmaßung, wer er sei, und doch fühlte sie, daß sie erröthete, und, obgleich sonst von Natur furchtlos, wandte sie sich mit einem unbestimmten Gefühle von Furcht ab.

»Entschuldigen Sie mein Beiseitesetzen des üblichen Ceremoniells, Signorina,« sagte Harley auf italienisch, »aber ich bin ein so alter Freund Ihres Vaters, daß ich mich auch Ihnen gegenüber unmöglich als ein Fremder fühlen kann.

Jetzt schlug Violante ihr dunkles Auge, so voll Geist und Unschuld, überrascht, aber nicht unangenehm überrascht, zu ihm auf. Und Harley selbst stand erstaunt, beinahe beschämt da vor der reichen, wunderbaren Schönheit, die ihm hier entgegen strahlte.

»Ein Freund meines Vaters,« sagte sie zögernd, »und ich habe Sie doch nie gesehen.«

»Ah, Signorina,« erwiderte Harley, und etwas von seinem natürlichen Humor, halb schalkhaft, halb traurig, spielte um seine Lippen – »hierin täuschen Sie sich; Sie haben mich schon gesehen, und damals empfingen Sie mich um vieles freundlicher, als –«

»Signor!« unterbrach ihn Violante, während ihr Erstaunen wuchs und die Röthe auf ihren Wangen sich immer tiefer färbte.

Harley, der sich jetzt von dem ersten Eindruck ihrer Schönheit erholt hatte und in ihr, wie gewöhnlich Männer von seinem Alter und seinem Charakter in jungen Damen zwischen zehn und zwanzig Jahr, mehr das Kind, als die Jungfrau sah, konnte nicht umhin, sich an ihrer Verwirrung zu weiden; denn es lag in seiner Natur, daß, je schwerer und kummervoller sein Herz war, er um so mehr seinen Grillen und Launen freien Lauf ließ.

»Wahrhaftig, Signorina,« sagte er mit verstecktem Ernste, »Sie bestanden damals darauf, eine dieser schönen Hände in die meinige zu legen; die andere (verzeihen Sie mir die Treue meines Gedächtnisses) war liebevoll um meinen Nacken geschlungen.«

»Signor!« rief Violante wieder; aber dieses Mal drückte ihre Stimme ebensowohl Unwillen als Staunen aus, und nichts konnte reizender sein, als ihr Blick voll Stolz und Entrüstung.

Harley lächelte, aber so sanft und freundlich, daß sie ihren Unwillen mit Einem Mal vergaß oder vielmehr über sich selbst unwillig wurde, weil sie es über ihn nicht mehr sein konnte. Aber sie hatte in ihrem Unwillen so schön ausgesehen, daß sich Harley vielleicht das nämliche Schauspiel noch einmal wünschte. Das versöhnende Lächeln verschwand deßhalb von seinen Lippen und er nahm im ernstem Tone wieder auf:

»Ihre Schmeichler werden Ihnen sagen, Signorina, daß Sie seit jener Zeit sehr gewonnen haben, aber mir gefielen Sie damals besser, was indeß nicht heißen soll, daß ich dasjenige, was Sie mir damals so großmüthig aufdrängten, nicht eines Tages zurückzugeben hoffe.«

»Ihnen aufgedrängt! Ich? Signor, Sie befinden sich in einem seltsamen Irrthum.«

»Ach nein, aber das weibliche Herz ist so launisch und wandelbar! Sie drängten es mir auf, ganz gewiß. Ich gestehe, es that mir gar nicht leid, es anzunehmen.«

»Ich drängte es auf! Was drängte ich auf?«

»Ihren Kuß, mein Kind,« sagte Harley und fügte mit ernster Zärtlichkeit bei: »Und ich wiederhole, daß ich ihn eines Tages zurückzugeben hoffe, wenn ich Sie an der Seite Ihres Vaters und Ihres Gatten in Ihrem Heimathlande sehe – die schönste Braut, über welcher Italiens Himmel jemals lächelte! Und jetzt verzeihen Sie einem Einsiedler und Soldaten seine rauhen Scherze und reichen Sie zum Zeichen der Vergebung Ihre Hand – Harley L'Estrange.«

Violante, die bei den ersten Worten dieser Anrede zurückgewichen war, halb und halb fürchtend, der Fremde sei seiner Sinne nicht ganz mächtig, eilte bei dessen letzten Worten auf ihn zu, drückte mit der ganzen Lebhaftigkeit ihrer Natur die nach ihr ausgestreckte Hand und rief: »Harley L'Estrange – der Lebensretter meines Vaters!« und dabei hefteten sich ihre Augen mit so sichtlicher Dankbarkeit und Verehrung auf die seinigen, daß sich Harley verwirrt und entzückt zugleich fühlte. In diesem Augenblick dachte sie nicht an den Helden ihrer Träume – sie dachte nur an ihn, der ihren Vater gerettet hatte.

Als sich aber seine Augen vor den ihrigen senkten und sein unbedecktes Haupt sich über die Hand beugte, die er fest hielt, da erkannte sie die Aehnlichkeit mit den Zügen, in deren Betrachtung sie sich so oft vertieft hatte. Die erste Blüthe der Jugend war vorüber, aber noch war Jugend genug übrig geblieben, die entschwundenen Jahre auszugleichen und dem Mannesalter jene Anziehungskraft zu verleihen, die das Auge bezaubert. Unwillkürlich entzog sie ihre Hand dem warmen Drucke der seinigen und blickte nun ihrerseits zu Boden.

Während dieser beiderseitigen Pause der Verlegenheit öffnete Riccabocca mit seinem eigenen Schlüssel die Gartenthüre und eilte, erschrocken, an Violanten's Seite einen Mann zu sehen, mit einem kurzen, zornigen Ausruf vorwärts. Harley hörte es und wandte sich um.

Als hätte das Bewußtsein von ihres Vaters Gegenwart Violante all' ihren Muth und ihre Fassung zurückgegeben, ergriff sie von Neuem die Hand des Gastes. »Vater,« sagte sie einfach, »er ist es – er ist endlich gekommen!« – dann, einige Schritte zurücktretend, betrachtete sie die Beiden; und ihr Gesicht strahlte von Glückseligkeit – als wäre etwas lange und stille Vermißtes und Ersehntes eben so stille gefunden – als bliebe im Leben kein Wunsch mehr übrig – im Herzen kein leeres Plätzchen mehr auszufüllen.



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