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Viertes Buch.


Erstes Kapitel.

Leila in der Burg. – Die Belagerung.

 

Die ruhigern Betrachtungen und heiligern Sorgen Leilas wurden endlich durch eine Nachricht unterbrochen, deren furchtbarer Inhalt das ganze Gemüth jedes Bewohners der Burg in Anspruch nahm. Boabdil el Chico war an der Spitze eines zahlreichen Heeres ins offene Feld gerückt. Rasch das Land überflutend war er in ununterbrochenem Lauf vor den Hauptfesten angelangt, die Ferdinand, mit starker Besatzung versehen, in der unmittelbaren Nachbarschaft zurückgelassen. Der Triumph des Mauren war eben so schnell, als glänzend; noch einmal begann der Schrecken seiner Waffen sich fern und nah zu verbreiten; jeder Tag vermehrte seine Reihen mit neuen Einstehern; von den beschneiten Gipfeln der Sierra Nevada strömte in wilden Horden das kühne Bergvolk herab, das, an ewigen Winter gewöhnt, durch sein verwittertes Ansehn, seine rauhe Kleidung einen wunderlichen Gegensatz zu dem schimmernden, civilisirten Heere Granadas bildete.

Mohrische Städte, die sich Ferdinanden unterworfen, brachen den Gehorsam und sendeten ihre feurige Jugend, ihre erfahrenen Veteranen der Fahne des Halbmondes zu. Das panische Grausen der Spanier noch zu mehren, geschah es, daß ein furchtbarer Zauberer, der eher von dem Blutdurst eines Dämons als der Tapferkeit eines Menschen beseelt zu seyn schien, plötzlich in den Reihen der Moslems erschien. Wo immer die Mohren von einem Bollwerk oder einem Thurm zurückwichen, von denen herab siedendes Pech strömte oder das tödtliche Geschütz der Belagerten flammte, stellte sich dieser Zauberer – mitten in die Weichenden stürzend und mit wilden Geberden ein weißes Banner schwingend, das bei Mohren und Christen für das Gebilde übernatürlicher Zauberei galt – jeder Gefahr blos und entging jeder Waffe; mit seiner Stimme, seinem Zuspruch, seinem Beispiel entflammte er die Kämpfer zu einer Begeisterung, welche die ersten Tage mohammedanischer Siegeszüge zurückzuführen schien, und Burg um Burg in der langen Reihe der Gebirgskette ward durch das Wehen des immer siegreichen Banners genommen. Nur der alte Mendo de Quexada, der mit einer Besatzung von zweihundert und fünfzig Mann das Schloß Alhendin hielt, war durch das unerwartete Glück Boabdils noch nicht eingeschüchtert. Des herannahenden Sturmes gewärtig, benutzte er die Tage der ihm zugestandenen Ruhe, um jede Vorbereitung für die bevorstehende Belagerung zu machen. Boten wurden an Ferdinand entsendet, neue Außenwerke dem Schloß angebaut, reicher Mundvorrath eingebracht und keine Vorsicht vergessen, um den Spaniern stets noch eine Feste zu erhalten, welche durch ihre Nähe bei Granada und ihre Beherrschung der Vega und der Alpuxarrasthäler der stechendste Dorn im Siegeskranze der Mohren zu werden drohte.

Eines Morgens stand Leila am Fenster ihres hohen Gemaches und blickte mit gemischten Empfindungen hinaus auf die fernen Dome Granadas, die im stillen Sonnenscheine ruhten. Ihr Herz durchwogten in diesem Augenblick die Gedanken an die Heimat, und die Gefahren und Möglichkeiten der Gegenwart waren vergessen.

Plötzlich brach der Klang ferner kriegerischer Musik in ihre Träume; sie fuhr auf und horchte athemlos hin; der Klang ward deutlicher und heller. Das Klingen der Zimbel, das Rasseln der afrikanischen Trommel, das wilde, barbarische Geschmetter des mohrischen Hornes unterschieden sich kennbar von einander, und endlich zeigten sich der Lauschenden die glänzenden Speere und Federbüsche des den Berg herauf ziehenden Vortrabs der Moslems. Noch ein paar Sekunden, und das ganze Schloß war auf den Beinen.

Mendo de Quexada begab sich, schnell in die Waffen geworfen, selbst in die Außenwerke, und Leila wurde ihn, von ihrem Fenster aus, von Zeit zu Zeit gewahr, wie er seine Handvoll Leute in den bestmöglichen Vortheil zu stellen suchte. Nach wenigen Minuten gesellte sich Donna Inez zu ihr, begleitet von den übrigen Bewohnerinnen des Schlosses, die sich ängstlich an ihre Gebieterin andrängten, aber nichts desto weniger darauf aus waren, die Leidenschaft ihres Geschlechtes durch einen verstohlenen Blick auf das prachtvolle Gepränge des Maurenheeres zu befriedigen.

Die Fenster in Leilas Zimmer eigneten sich besonders zu einer sichern und umfassenden Uebersicht der feindlichen Bewegungen; und mit klopfendem Herzen und gerötheter Wange glaubte das jüdische Mädchen, taub gegen die Stimmen um sie her, bereits unter den Reitern die edle Haltung und das weiße Gewand Musa's Ben Abil Gasan zu unterscheiden.

In welcher Lage befand sie sich! Konnte sie, bereits eine Christin, den Sieg der Ungläubigen wünschen? Stets noch ein liebendes Weib, konnte sie die Besiegung des Geliebten ersehnen? Doch die Zeit zur Ueberlegung war kurz; die Abtheilung der mohrischen Reiterei langte jetzt eben vor den Mauern des Städtchens an, welches das Schloß umgab, und das laute Horn der Herolde forderte die Besatzung zur Uebergabe auf.

»So lange noch ein Stein auf dem andern steht, nicht!« lautete Quexedas kurze Antwort, und zehn Minuten nachher rollte der Donner des Geschützes von Mauer und Thurm über die Thäler hin.

Jetzt sahen die Frauen von Leilas Zimmer aus, wie sich die ganze Macht und Pracht des Belagererheeres langsam aus einander wand. Dicht, gedrängt, Reihe hinter Reihe, Colonne auf Colonne, breiteten sie sich unten am Berge aus. Die Sonne funkelte in dem prunkenden Zug, als er tosend daher wogte, gleich den Wellen der flimmernden See. Bald sah man die königliche Fahne über dem Zelt Boabdils wehen, und erkannte den König selbst, auf seinem milchfarbenen, mit Goldstoff bedeckten Rosse, mitten unter dem Fußvolk, das den Angriff zu eröffnen hatte.

»Bete mit uns, meine Tochter!« rief Inez und fiel auf die Kniee. – Ach! für Wen konnte Leila beten?

Vier Tage und vier Nächte verflossen in fortdauerndem Kampf, denn der eben im Voll-Licht befindliche Mond ließ selbst während der Nacht keine Ruhe zu. Ihre Menge und die Nähe Granadas gab den Stürmenden den Vortheil, sich fortwährend ablösen zu können, und Truppen folgten auf Truppen, so daß, sobald eine Partie müde geworden, eine andere mit neuer Kraft nachrückte.

Am fünften Tag befand sich das ganze Städtchen und die ganze Burg, mit Ausnahme der Landshut (eines ungeheuren Thurmes) in der Gewalt der Moslems. In diese letzte Verschanzung, die letzte Hoffnung des tapfern Verzweiflungskampfes, hatte der ermattete, dürftige Ueberrest der Besatzung sich zurückgezogen.

Quexada erschien, mit Schweiß und Staub bedeckt – die Augen von Blut unterlaufen, die Wangen hager und hohl, die Locken von plötzlichem Greisenthum gebleicht, – in der Halle des Thurmes, wo die Weiber, halb todt vor Angst, versammelt waren.

»Etwas zu essen,« rief er, – »etwas zu essen und Wein! – es mag wol unser letztes Banket seyn!«

Seine Gattin schlang die Arme um ihn. »Jetzt noch nicht!« sprach er, »jetzt noch nicht; umarmen wollen wir uns, eh wir von einander scheiden!«

»Ist denn also keine Hoffnung?« fragte Inez mit bleicher Wange, doch festem Auge.

»Keine; falls nicht die nächste Morgensonne die Speere von Ferdinands Heer auf den Bergen dort drüben vergoldet! Bis morgen können wir uns noch halten.« Mit diesen Worten schlang er hastig einige Bissen Speise hinab, leerte einen großen Becher Weins und verließ das Gemach schnell wieder.

In diesem Augenblick vernahmen die Frauen deutlich das laute Geschrei der Mohren, und Leila, die ans Fenster getreten, sah etwas wie eine wandelnde Mauer gegen sich herkommen.

Bedeckt von sinnreichen Gerüsten aus Holz und dicken Häuten, nahten die Belagerer dem Fuße des Thurmes, und waren so einigermaßen geschützt gegen die brennenden Ströme, die noch immer, rasch und zischend, von den Zinnen herabflossen, während aus dem Hintergrund ein Hagel von Pfeilen und Bolzen zum Schutz der unter dem Gerüste Befindlichen aufflog und fast durch jede Schießscharte und Spalte in den Thurm drang.

»Beim heiligen Grab!« rief der heldenhafte Befehlshaber des Schlosses zähneknirschend, »sie unterminiren den Thurm und wir werden unter seinen Trümmern begraben! Schaut einmal, Gonsalvo! bemerkt Ihr keinen Speerflimmer dort drüben auf den Bergen? Meine Augen sind vom Wachen stumpf geworden.«

»Ach, braver Mendo, es ist blos der Schein der Sonne auf dem Schnee – aber immer ist noch Hoffnung …«

Die Worte endigten mit einem plötzlichen, gellenden Todesschrei, und entseelt stürzte der Antwortende neben Quexada nieder, das Gehirn von einem Bolzen aus einer maurischen Armbrust zerquetscht.

»Mein bester Krieger!« sagte Quexada; »Friede sei mit ihm! Holla! seht ihr, wie jener wüthende Ungläubige die Minirer antreibt? Beim Himmel, es ist Der mit dem weißen Banner! – es ist der Zauberer! Zielt nach ihm! er befindet sich außerhalb des Schirmdaches!«

Zwanzig Wurfspieße, von schwachen, entnervten Armen geschleudert, fielen unschädlich um Almamen her, und als er, das berüchtigte Banner schwingend, wieder hinter dem Gerüste verschwand, war es den Spaniern beinah, als könnten sie sein satanisches Hohngelächter hören.

Der sechste Tag kam und das Werk des Feindes war vollendet. Der Thurm, gänzlich untergraben, ruhte nur noch auf hölzernen Stützen, die, mit einer Boabdil bezeichnenden Menschlichkeit, angebracht worden waren, damit die Belagerten vor dem Zusammensturz ihres letzten Bollwerkes sich noch retten könnten.

Es war jetzt Mittag; die ganze maurische Macht hatte, die Ebenen verlassend, den Abhang unterhalb des Thurmes in dichten Reihen und sprachloser Erwartung besetzt. Die Minengräber standen aufrecht, die Spanier lagen erschöpft und ausgestreckt auf den Absätzen des Thurms, wie Schiffer, die nach jeder Anstrengung gegen den Sturm, endlich, resignirt und fast gleichgültig, das Hereinfluten der Todeswoge erwarten.

Plötzlich wichen die Reihen der Mohren auseinander, und Boabdil selbst, Musa zu seiner Rechten, Almamen zur Linken, näherte sich dem Fuße des Thurmes. Zugleich stellten sich die äthiopischen Leibwächter, jeder eine Fackel tragend, langsam hinter ihm auf, und mitten unter ihnen schritt der königliche Herold und ließ die letzte Warnung durch das Schlachthorn ertönen. Die Stille der ungeheuren Menschenmenge, – der Schein der Fackeln, der die schwarzen Gesichter und riesigen Gestalten ihrer Träger anglühte, – das majestätische Ansehn des Königs selbst, – die Heldengestalt Musas, – das blose Haupt und schimmernde Banner Almamens: – Alles vereinte sich mit den Verhältnissen des Augenblicks, um dem Schauspiel etwas seltsam Schauderhaftes, vielleicht Erhabenes zu geben.

Quexada sah stumm auf die gespensterhaften Züge seiner Krieger und gab immer noch nicht das Zeichen. Seine Lippen murmelten, – seine Augen glänzten, als er auf Einmal von unten herauf das Gewimmer der Frauen vernahm; der Gedanke an Inez, die Braut seiner Jugend, die Gesellin seines Alters, kam über ihn, und mit zitternder Hand senkte er die noch immer unerschütterte Fahne Spaniens. Da brach aus der Stille drunten ein mächtiges Geschrei, das den grimmen Thurm bis in seine unstäten Grundlagen erschütterte.

»Auf! meine Freunde,« sprach er mit einem bittern Seufzer; »wir haben gefochten wie Männer – und unser Vaterland wird nicht für uns erröthen.«

Er stieg die Wendeltreppe hinab – die Krieger folgten ihm mit wankenden Schritten; die Thore der Landshut gingen auf und die tapfern Christen ergaben sich an die Mohren.

»Thu mit uns wie Du willst,« sagte Quexada, indem er die Schlüssel Boabdils Berberrosse vor die Hufe legte; »aber es sind Frauen bei der Besatzung, die –«

»Geheiligt sind,« unterbrach ihn der König. »Wir geben ihnen sogleich Freiheit und ungehinderten Durchzug, wohin Ihr wollet. Sprich denn, nach welchem Sicherheitsort sollen sie gebracht werden?«

»Edelmüthiger König,« erwiederte der alte Quexada und wischte sich die Thränen mit dem Rücken der Hand weg, »Du ziehst den Stachel aus unserer Schmach. Wir nehmen Dein Erbieten in demselben Geiste an, in welchem es gemacht worden. Drüben über den Bergen, wo die Ebene von Olfadez beginnt, besitze ich ein kleines Schloß, unbemannt und unbewehrt. Von dort, falls der Krieg seine Richtung dahin nähme, können die Frauen leicht freies Geleite zu der Königin nach Cordova erhalten.«

»Sei es so,« antwortete Boabdil. Mit orientalischem Zartgefühl las er sofort die ältesten unter seinen Offizieren aus, beauftragte sie, sich in das Schloß zu begeben, und mit einer starken Wache für die Sicherheit der Frauen während des von Quexada angegebenen Zuges zu sorgen. Einem anderen Offizier überlieferte er die gefangenen Spanier und gab das Zeichen zum Aufbruch, nachdem er nur eine kleine Abtheilung zurückgelassen, um die Zerstörung der Burg zu vollenden.

Begleitet von Almamen und seinen ersten Kriegsbeamten eilte der König sodann nach Granada, und während Quexada mit seinen Gefährten unter starker Bedeckung langsamer durch die Vega dahin zog, brachte ihnen eine plötzliche Windung der Straße noch einmal den Thurm vors Gesicht, den sie so tapfer vertheidigt hatten. Da stand er noch, stolz und starr, unter dem angeschwärzten, zerrissenen Getrümmer um ihn her, und strebte dunkel und trotzig hoch gegen den Himmel auf. Ein zweiter Augenblick, und ein mächtiger Donner krachte in das Ohr; der Thurm stürzte zu Boden unter Säulen wirbelnden Rauchs und Wolken von Staub, die durch die Erschütterung bis zu dem Ort getragen wurden, wo Jene den Abschiedsblick auf die stolzeste Feste geworfen, auf welcher man von Granada aus das Banner Arragoniens und Castiliens flattern gesehen.

Zur gleichen Zeit setzte Leila – so seltsam in den Bereich ihres Vaters und ihres Geliebten gelangt, und, durch ein geheimnißvolles Schicksal doch, wie zuvor, von Beiden getrennt – mit Donna Inez und den übrigen Frauen der Burg ihren traurigen Pfad am Gebirge hin fort.

Zweites Kapitel.

Almamens Vorschlag. – Die drei Israeliten. – Die Umstände machen auf jeden Charakter einen Eindruck von eigenthümlicher Farbe.

 

Boabdil ließ auf seinen letzten Sieg eine Reihe glänzender Angriffe auf die benachbarten Festungen folgen. Granada, gleich einem starken, zu Boden gebeugten Mann, riß ein Band nach dem andern los, das seine Freiheit und Kraft gefesselt hatte. Endlich, nachdem ein beträchtlicher Theil des umgebenden Landes wieder gewonnen, beschloß der König den Seehafen Salobrena zu belagern. Konnte er dieses Ortes sich bemeistern, so sah er sich durch die wiederhergestellte Verbindung zwischen Granada und dem Meere sowol im Stand, den Beistand seiner afrikanischen Verbündeten zu erlangen, als die Spanier an der Abschneidung des Proviants für die Hauptstadt zu hindern, sollte letztere abermals belagert werden. Dorthin also trug er, begleitet von Musa, seine siegreiche Fahne.

Am Abend vor seinem Aufbruch trat Almamen vor Boabdil. Seit dem Abmarsch Ferdinands war eine große Veränderung über den Santon gekommen; die gewohnte Festigkeit seiner Züge war dahin; seine Augen eingesunken und hohl; sein Benehmen zerstreut und träumerisch. Wirklich bildete die Liebe zu seiner Tochter den einzigen hellen Punkt in seinem Charakter, und diese Tochter befand sich in der Gewalt des Königs, der den Vater zu der Folter der Inquisition verurtheilt hatte! Welchen Gefahren konnte sie nicht ausgesetzt seyn durch den unduldsamen Bekehrungseifer! und mochte diese zarte Gestalt, dieses milde Herz den furchtbaren Werkzeugen trotzen, die man ihr vielleicht zur Einschüchterung vorgewiesen? »Besser,« dachte er, »sie stirbt, selbst durch die Folter, als daß sie diesen verhaßten Glauben annimmt.« In grimmiger Qual knirschte er mit den Zähnen, mochte er sich nun diesen oder jenen Fall als eingetreten vorstellen. Seine Träume, seine Bestrebungen, sein Rachedurst, seine Ehrbegierde – alles verließ ihn: eine einzige Hoffnung, ein einziger Gedanke bemeisterte sich gänzlich seiner stürmischen Leidenschaften und seines ränkevollen Verstandes.

In dieser Stimmung kam der vorgebliche Santon zu Boabdil. Er stellte dem Könige, auf welchen sein Einfluß seit den letzten Siegen der Mohren wundersam zugenommen hatte, die Nothwendigkeit vor, die Heere Ferdinands in der Entfernung zu beschäftigen. Zur Förderung dieser Maßregel schlug er vor, er selber wolle sich nach Cordova wagen, dort, in ihrem alten Königreiche, die Mauren, deren Hoffnungen durch die neuen Triumphe Boabdils wahrscheinlich entflammt worden wären, insgeheim aufzuwiegeln suchen und mindestens eine solche Gährung hervorrufen, daß der König hinlängliche Zeit gewänne, seine Entwürfe zur Ausführung zu bringen und seine Macht durch Hülfe seiner Verbündeten zu stärken.

Die Vorstellungen Almamens trugen endlich über Boabdil, der sich von seinem geheiligten Führer nur mit Widerstreben trennte, den Sieg davon, und es ward zuletzt beschlossen, der Israelite sollte augenblicklich abreisen.

Als er seinen einsamen Weg nach Hause zurückkehrte, hörte er sich plötzlich in hebräischer Sprache anreden. Schnell wendete er sich um und erblickte einen alten Mann in jüdischer Tracht: er erkannte in ihm Elias, einen der Reichsten und Angesehensten vom Stamme Israels.

»Verzeih mir, weiser Landsmann!« sagte der Jude, und beugte sich bis zur Erde, »aber ich vermag der Versuchung nicht zu widerstehen, mein Verwandtschaftsrecht mit Jemanden geltend zu machen, durch welchen das Horn Israels so triumphirend erhöht werden kann.«

»Still, Mensch!« erwiederte Almamen heftig und blickte scharf umher; »ich Dein Landsmann? Bist Du nicht, wie Deine Sprache beweist, ein Israelite?«

»Ja,« versetzte der Jude, »von einerlei Stamm von Deinem verehrten Vater – Friede sey mit seiner Asche! Ich erinnerte mich Deiner sogleich wieder, obwol Du noch ein Knabe warst, als Deine Füße den Staub Granadas abschüttelten. Ich erinnerte mich Deiner, sag' ich, als Du zurück kehrtest, gleich wieder, aber ich bewahrte Dein Geheimniß, im Vertrauen, daß durch Deine Seele und Deinen Geist Deine gestürzten Brüder Sack und Asche von sich werfen und auf den Söllern ihrer Häuser Freudenfeste feiern würden.«

Almamen sah fest auf die scharfen, vorspringenden, arabischen Zügen des Juden, und fragte endlich: »Und wie kann Israel wieder aufgeholfen werden? willst Du für dasselbe kämpfen?«

»Ich bin zu alt, Sohn Isaschars, um die Waffen zu tragen; aber unsers Stammes sind Viele, und unsre Jugend ist stark. Unter diesen Händeln zwischen Hund und Hund …«

»Kann der Löwe das Seinige wieder gewinnen?« unterbrach ihn Almamen mit voller Seele; »laß uns das hoffen. Hast du von den neuen Verfolgungen gegen uns gehört, die der falsche Nazarenerkönig in Cordova bereits begonnen? – Verfolgungen, die das Herz krank und das Blut zu Eis machen!«

»Ach freilich, erwiederte Elias, »konnte es nicht fehlen, daß dieses Wehe auch mir zu Ohr kommen mußte; und ich habe Verwandte, nahe und geliebte Vettern, reiche und geehrte Männer, weit herum in jenem Land.«

»Wär' es nicht besser, daß sie auf dem Schlachtfeld stürben, als auf der Folterbank?« rief Almamen grimmig aus. »Gott meiner Väter, wenn noch ein Funke von Mannheit übrig ist in Deinem Volke, so laß ihn durch Deinen Diener zu einer Flamme anfachen, die brennen möge wie das Feuer die Stoppeln brennt, so daß die Erde nackt wird von der Lohe!«

»O,« entgegnete Elias, eher erschreckt als begeistert durch die Heftigkeit seines Gefährten, »sey nicht vorschnell, Sohn Isaschars, sey nicht vorschnell: Du könntest gar leicht bloß den Zorn der Beherrscher aufregen und unsere Habe würde dadurch völlig zu Schanden.«

Almamen wandte sich um, legte dem Juden ruhig die Hand auf die Schulter, sah ihm fest ins Antlitz und ging mit erbarmungsvollem Lachen weiter.

Elias suchte ihn nicht aufzuhalten. »Unausführbar,« murmelte er, »unausführbar und gefährlich! So dacht' ich immer. Er kann uns schaden: Wär' er nicht so stark und wild, ich stäch' ihm mein Messer ins Herz. Wahrlich, Gold ist eine große Sache und – – daß Dich! Die Schurken zu Haus werden mir's Oel vergeuden, da sie wissen, daß der alte Elias nicht um den Weg ist!« Damit schlug der Jude den Mantel um sich und verdoppelte seinen Schritt.

Almamen setzte unterdessen auf jenen dunkeln, unterirdischen Gängen, die nur ihm bekannt waren, den Pfad nach seinem Hause fort. Einen großen Theil der Nacht brachte er allein zu; und ehe der Morgenstern den Gipfeln der Berge das Aufsteigen der Sonne verkündete, stand er, zur Reise bereitet, in seinem geheimen Gewölbe am Thor zu den unterirdischen Gängen; neben ihm der alte Ximen.

»Ich gehe, Ximen,« sprach er, »einem zweifelhaften Ziel entgegen; mag ich meine Tochter finden und es mir gelingen, sie unversehrt aus diesen befleckten Händen wegzutragen, oder mag ich in ihre Schlingen gerathen und untergehen, in jedem Falle ist es gleich möglich, daß ich nicht mehr nach Granada zurückkehre. Sollte dieß der Fall seyn, so bist Du der Erbe aller Schätze, die ich hier zurücklasse; ich weiß Dein Alter tröstet sich über den Verlust der Kinder, wenn Dein Auge auf das Lachen des Goldes blickt.«

Ximen beugte sich tief und murmelte einige unhörbare Weigerungen und Dankbezeugungen. Almamen sah im Gemach umher und seufzte tief. »Ueble Vorzeichen,« sprach er, »stehen in meiner Seele, und üble Prophezeiungen in meinen Büchern. Doch das Schlimmste ist hier,« fügte er bei, und griff bedeutsam an die Schläfe, »die Sehne ist straff gespannt – noch ein Druck, und sie reißt!«

Mit diesen Worten öffnete er die Thür und verschwand durch jenes Labyrinth von Gängen, durch die er jederzeit unbemerkt sowol zur Alhambra, als in die Gärten außerhalb der Stadtthore gelangen konnte.

Ximen blieb einige Minuten in tiefen Gedanken stehen. »Alles mein, wenn er stirbt!« sprach er; »alles mein, wenn er nicht zurückkehrt! Alles mein! alles mein! und, ich habe weder Kind noch Verwandten, der es von mir reißen könnte!« Damit verschloß er das Gewölbe und kehrte nach Oben ins Freie zurück.

Drittes Kapitel.

Der Flüchtling und die Begegnung.

 

Die einander bekämpfenden Könige waren bei ihren verschiedenen Zwecken gleich glücklich. Salobrena, erst neuerer Zeit von den Christen erobert, ward durch den ersten Schimmer von Boabdils Fahnen in mächtige Bewegung gesetzt. Das Volk erhob sich, schlug seine christlichen Wächter zurück und öffnete dem Letzten aus dem Geschlecht seiner Könige die Thore. Nur das Schloß, nach welchem sich die Spanier zurückgezogen, widerstand Boabdils Waffen, und stellte, vertheidigt durch unersteigbare Mauern, eine harte und blutige Belagerung in Aussicht.

Unterdessen war Ferdinand nicht so bald in Cordova angelangt, als sein ausgedehnter Plan der Confiscation und frommen Verfolgung den Anfang nahm. Nicht nur, daß mehr denn fünfhundert Juden unter dem heimlichen Griff des Großinquisitors den Geist aushauchten, sondern mehrere Hundert der vermöglichsten Christenfamilien, in deren Blut man die angeerbte jüdische Färbung entdeckt zu haben glaubte, wurden ebenfalls in den Kerker geworfen, und man gehörte zu den Glücklichsten, wenn man sein Leben mit dem Opfer des halben Besitzthums zu erkaufen im Stande war. Um diese Zeit brach jedoch plötzlich eine furchtbare Empörung unter diesen elenden Sklaven, den Messeniern des iberischen Sparta's, aus. Die Juden waren durch allmächtige Verzweiflung aus ihrer langen Schmach dermaßen aufgerüttelt, daß ein einziger Funke, der in die Asche ihres alten Geistes fiel, die volle Flamme der Abkömmlinge des heldenhaften Palästinas wieder anfachte. Sie wurden ermuthigt und unterstützt von den verdächtigten Christen, die in dieselbe Verfolgung mit verwickelt worden, und an der Spitze des Ganzen stand ein Mann, der plötzlich unter ihnen auftrat und durch seine wilde Beredsamkeit und seine kriegerische Seele in diesem Augenblick die glühendste Begeisterung hervorrief. Unglücklicherweise sind wir aller nähern Züge dieses merkwürdigen Aufstandes beraubt; nur durch behutsame Winke und versteckte Anspielungen thun uns die spanischen Chronisten die Existenz und Gefährlichkeit desselben kund. Offenbar wurde jeder Bericht über ein Ereigniß, das zu den furchtbarsten Nachahmungen führen konnte, und eben so sehr den Stolz und Geiz des spanischen Königs, als den frommen Eifer der Kirche beunruhigte, streng verboten, und die Verschwörung ging in der grauenhaften Stille der Inquisition, in deren Hände die Häupter der Verschworenen zuletzt fielen, unter. Wir erfahren bloß, ein hartnäckiger, blutiger Widerstand sey von Ferdinand siegreich überwunden worden und habe mit der gänzlichen Vernichtung der Verrätherei geendet.

An einem Abend sah man einen einsamen Flüchtling, hart verfolgt von bewaffneten Brüdern der heiligen Hermandad, aus einer wilden Felsenschlucht hervorkommen, die plötzlich in die Gärten einer kleinen und, wie es bei dem Nichtvorhandenseyn von Befestigungen und Wachen schien, verlassenen Burg einmündete. Hinter sich hörte der Fliehende, in der ausnehmenden Stille, welche die Luft der spanischen Abenddämmerung bezeichnet, in beträchtlicher Ferne das Blasen von Hörnern und das Stampfen von Hufen. Seine Verfolger, in mehrere Abtheilungen geschieden, besetzten rings das Land hinter ihm, wie Fischer ihr Netz von Bank zu Bank ziehen, wohl wissend, daß die Beute, die sie vor dem Netz her treiben, ihnen zuletzt nicht entgehen könne. Der Flüchtling hielt zweifelhaft an und blickte umher; er war beinahe erschöpft, seine Augen mit Blut unterlaufen; große Tropfen rollten ihm schnell von der Stirn; seine ganze Gestalt zitterte und bebte wie ein Hirsch, welcher vor der Meute steht. Vor der Burg breitete sich, so weit das Auge reichte, eine freie Ebene aus, ohne Busch oder Höhle, die ihn hätte bergen können; Flucht über eine seinen Nachsetzern so günstige Oertlichkeit hin war augenscheinlich umsonst. Keine Wahl blieb, als entweder auf dem von den Reitern umschwärmten Pfad zurückzukehren, oder sich dem dürftigen und gefahrvollen Versteck, das ihm die Gebüsche im Burggarten bieten mochten, anzuvertrauen. Er entschloß sich zu Letzterem, überstieg die niedere Mauer des Platzes, und sprang in ein Dickicht überhangender Eichen und Haselnüsse hinab.

In dem Garten saßen um eben die Stunde zwei Damen neben einem kleinen Brunnen: die eine von etwas vorgerückten Jahren, die andere in der Blüte jungfräulichen Alters. Aber die Blüte war allzufrüh verwelkt, und weder der Glanz noch das Wellenspiel des Fleisches, das ihrem Alter entsprochen hätte, zeigte sich in der Marmorblässe und nachdenklichen Trauer ihres schönen Gesichtes.

»Ach, meine junge Freundin,« sprach die ältere Dame, »in diesen Stunden der Einsamkeit und Stille fühlen wir die Nichtigkeit des Lebens am tiefsten. Du, meine theure Bekehrte, bist nicht mehr der Gegenstand meines Mitleids, sondern meines Neides, und ich fühle im Innersten die gesegnete Ruhe, welche Dein Geist im Schoße der Mutter Kirche genießen wird. Selig sind Die, welche jung sterben; aber dreimal selig Die, welche nicht sowol im Fleisch, als im Geist sterben; welche todt sind für die Sünde, aber nicht für die Tugend; für die Angst, aber nicht für die Hoffnung; für die Menschen, aber nicht für Gott.«

»Theure Senhora,« erwiederte das junge Mädchen trauervoll, »wär' ich allein auf Erden, so ist der Himmel mein Zeuge, mit welch' tiefer und dankbarer Selbstentäußerung ich das heilige Gelübde thun und der Vergangenheit abschwören würde; aber das Herz bleibt menschlich, so göttlich auch die Hoffnung seyn mag, die es nährt. Oft schrecke ich zusammen und denke an meine Heimat, meine Kindheit, meinen räthselhaften aber geliebten Vater, der verlassen und kinderlos in hohem Alter dastehen wird.«

»Du trägst nur die Schmerzen, Leila,« entgegnete die ältere Senhora, »welche die Bestimmung unserer Natur sind. Was liegt daran, ob Abwesenheit oder Tod die Herzen trennt! Du klagst um einen Vater, ich um einen Sohn, der in der Blüte der Jugend und Schönheit starb – um einen Gatten, der in den Fesseln der Mohren schmachtet. Tröste Dich über Deine Schmerzen durch den Gedanken, daß Schmerzen das Erbtheil Aller sind.«

Ehe Leila antworten konnte, wurden die Orangenzweige über ihnen weggezogen, und zwischen den Frauen und der Fontäne stand die dunkle Gestalt Almamens, des Israeliten. Leila fuhr empor, stieß einen Schrei aus, und warf sich bewußtlos an seine Brust.

»O Gott Israels!« rief Jener im Ton tiefster Qual, »finde ich endlich wieder mein Kind und drück' es an mein Herz? und soll es bloß für diesen Augenblick seyn, wo ich am Rand des Todes stehe? Leila, mein Kind, schau empor! lächle auf Deinen Vater! laß ihn an seiner wirren, brennenden Stirn den süßen Odem der Letzten seines Hauses fühlen, und ihn wenigstens Einen heiligen und freundlichen Gedanken mit ins dunkle Grab nehmen.«

»Mein Vater! ist es wirklich mein Vater?« fragte Leila, wieder zu sich kommend und etwas zurückbeugend, um sich der bekannten Züge zu vergewissern. »Ja Du bist's! Du bist's! – Welches segenvolle Geschick bringt uns zusammen?«

»Das Geschick, das mich jetzt ins Grab führt!« erwiederte Almamen ernst. »Horch! hörst Du nicht das Geräusch ihrer daherstürzenden Rosse? – ihre ungeduldigen Stimmen? Sie sind an mir!«

»Wer? Von Wem sprichst Du?«

»Meine Verfolger! – Die spanischen Reiter!«

»O Senhora, rettet ihn!« rief Leila und wendete sich an Donna Inez, welche, von Vater und Kind bisher vergessen, mit erstauntem, ängstlichem Blick auf Almamen schaute. »Wohin kann er fliehen? Die Schloßgewölbe können ihn bergen! Dorthin – schnell!«

»Halt!« entgegnete Inez zitternd und nahe zu Almamen tretend. »Seh' ich recht? erkenne ich unter dieser dunkeln Veränderung durch Jahre und Leiden jene stattliche Gestalt, die einst vor dem trauernden Auge einer Mutter so mächtig gegen das welke, hinsinkende Bild ihres einzigen Kindes abstach? Bist Du nicht Der, welcher meinen Sohn von der Pest errettete, ihn an die Küste Neapels begleitete, und diesen Armen übergab? Sieh mich an! erkennst Du nicht die Mutter Deines Freundes?«

»Ich erinnere mich Deiner Züge trüb und wie in einem Traum,« erwiederte der Hebräer; »und während Du sprichst, stürzt das Bild einer früheren Zeit auf mich herein, eines Landes, wo Leila zuerst das Licht erblickte, und ihre Mutter mir bei der untergehenden Sonne, am Rauschen des Euphrat und auf der Stätte hingegangener Reiche, ihre Lieder sang. Dein Sohn – ich erinnere mich jetzt: ich hatte damals eine Freundschaft mit einem Christen – denn ich war noch jung.«

»Verliert die Zeit nicht – Vater – Senhora!« rief Leila ungeduldig, sich noch immer an die Brust des Alten klammernd.

»Du hast recht; und Dein Vater, in dem ich so wunderbar meines Sohnes Freund erkenne, soll nicht verloren seyn, wenn ich ihn retten kann.«

Damit führte Inez ihren seltsamen Gast durch ein Thürchen auf der Hinterseite des Schlosses, und nachdem sie ihn durch ein paar größere Gemächer gebracht, ließ sie ihn in einer Garderobe neben ihrem eigenen Zimmer, deren Eingang durch eine Tapete bedeckt war, allein. Mit Recht hielt sie dies für einen bessern Versteck, als die Gewölbe unter dem Schloß, indem ihr weit verbreiteter Name und ihre bekannte Intimität mit Isabellen jeden Verdacht, daß sie dem Entkommen des Flüchtlings Vorschub leiste, entfernen, und folglich diejenigen Orte zu den sichersten machen mußte, an welchen er sich, ohne solchen Vorschub, nicht verbergen konnte.

Nach wenigen Minuten langten mehrere von den Soldaten im Schloß an, begnügten sich jedoch, sobald sie den Namen seines Eigenthümers erfuhren, mit Durchsuchung des Gartens und der zu ebener Erde liegenden Gelasse. Nachdem sie der Dienerschaft ein wachsames Auge empfohlen, setzten sie sich wieder zu Pferde und sprengten weiter, die Ebene zu durchstreifen, über welcher jetzt langsam Sternenlicht und Dämmerung aufstiegen.

Als Leila sich endlich in das Gemach stahl, in welchem Almamen verborgen war, fand sie ihn auf seinem Mantel ausgestreckt in tiefem Schlafe. Bei der Erschöpfung durch Alles, was er ausgestanden und der Sänftigung seiner starren Nerven durch das Zusammentreffen mit seiner Tochter, war der Schlummer des wilden Wanderers so ruhig, wie der eines Kindes. Und fast schien ihr gegenseitiges Verhältniß umgekehrt, und die Tochter zur Mutter geworden, die bei ihrem jungen Sprößling wacht, wenn sich Leila jetzt neben den Vater niedersetzte und die Augen, in welche die Thränen trotz allem Wegwischen immer wiederkehrten, auf seine abgemühten aber stillen Züge heftete, die bei dem ruhigen, durchs Fenster schimmernden Licht noch stiller wurden. Und so verstrichen die Stunden der Nacht, und Vater und Kind, die sanfte Neubekehrte und der rachedurstige Schwärmer, – waren unter demselben Dache.

Viertes Kapitel.

Almamen hört und sieht, aber will nicht glauben; denn ein überangestrengtes Gehirn wird selbst bei den stärksten Naturen schwindlig.

 

Die Morgendämmerung brach langsam in das Zimmer und Almamen schlief immer noch. Es war ein Sonntag der Christen – der Tag, an welchem der Heiland von den Todten auferstanden, von der frühern Kirche so ausdrucksvoll und erhaben »der Tag des Herrn« genannt. Als das Licht der Sonne im Osten flammte, fiel es, wie eine Glorie, auf ein Crucifix, das in der Vertiefung des gothischen Fensters stand, und brachte plötzlich vor Leilas Augen das Antlitz, auf welchem jenen erhabenen, mystischen Verband der Todesqual des sterbenden Menschen mit der erhabenen Geduld des Gottes auszudrücken, in der Regel selbst den schwächsten katholischen Bildnern noch gelingt. Es blickte sie an, dieses Antlitz; es lud ein und ermuthigte, während es zugleich durchschauerte und überwältigte. Sie schlich sachte von ihrem Vater weg und warf sich vor dem heiligen Bild auf die Knie nieder.

»Stärke mich, mein Erlöser,« flüsterte sie – »stärke Deine Kreatur! kräftige ihren Schritt auf dem Pfade des Heils, wenn derselbe sie auch unwiderruflich von Allem trennt, was sie auf Erden liebt; und liegt ein Opfer in ihrem heiligen Entschluß, so nimm es, Gekreuzigter, als einigen Ersatz für das Verbrechen ihres halsstarrigen Volkes an, und laß die Lippen eines Mädchens aus Judäa Dich nicht umsonst um Milderung des furchtbaren Fluches anrufen, der mit Recht auf ihren Stamm gefallen ist!«

Indem sie, unterbrochen durch leises Schluchzen und mit stammelndem Tone dies Gebet sprach, wurde sie plötzlich durch einen tiefen Seufzer erschreckt, und sah, als sie bestürzt herumfuhr, daß Almamen erwacht war und, auf den Arm gestützt, seine dunkeln Augen auf sie heftete, die noch einmal ganz vom alten Feuer glühten.

»Sprich!« hob er an, indem sie ängstlich ihr Gesicht verbarg; »sprich zu mir, oder ein furchtbarer Gedanke erstarrt mich zu Stein. Kniest Du vor diesem Bilde in Anbetung? mein Verstand verwirrt sich, wenn ich wahrnehme, daß Deine gebrochenen Worte dem Dienst eines Abtrünnigen gelten! Um der Barmherzigkeit willen, sprich!«

»Vater,« begann Leila; aber ihre Lippen vermochten nicht mehr als dieses rührende, heilige Worte hervorzubringen.

Almamen stand auf, zog ihr die Hände vom Gesicht, und sah sie eine Zeit lang fest an, als wollte er in ihre tiefste Seele dringen. Leila gewann während dieser Pause allmälig ihren Muth wieder, und ihr Blick traf unerschüttert mit dem seinigen zusammen – ihre reine, kindliche Stirn erhob sich zu der seinigen, und Trauer, aber nicht Schuld, sprach aus jeder Linie des holden, mädchenhaften Antlitzes.

»Du zitterst nicht,« sprach Almamen, das Schweigen endlich brechend, – »und ich habe geirrt. Du bist nicht die Frevlerin, für welche ich Dich gehalten. Komm in meine Arme!«

»Ach!« rief Leila, indem sie, dem natürlichen Instinkt folgend, sich an dieses rauhe Herz warf, »ich will mindestens den Muth haben, meinen Gott nicht zu verleugnen. Vater, durch den grauenhaften Fluch, der auf unserem Volk liegt, und uns heimath- und machtlos hinstellt – als Auswürflinge und Fremde des Landes –; durch die Verfolgung und Qualen, die wir erduldet haben, laß Dein hoheitvolles Herz sich überzeugen, daß wir mit Recht bestraft sind für die Verfolgung und Qual, zu welcher wir Den verurtheilt, dessen Fußtritt unsere Heimat heiligte! Zuerst in der Geschichte der Welt befleckten die strengen Hebräer die Menschheit mit dem grausigen Frevel der Verfolgung um des Glaubens willen. Der Same, den wir gesäet, hat die furchtbare Frucht erzeugt, die wir essen. Verhärte nicht Dein Herz, höre auf Dein Kind; so weise Du auch bist und so schwach mein weibischer Geist, höre doch auf mich!«

»Verstumme!« rief Almamen mit einem Laut, der aus dem Grabe hätte kommen können, so geisterhaft war sein hohler Klang; dann trat er ein paar Schritte zurück, legte beide Hände an die Schläfen und murmelte: »verrückt, verrückt! ja, ja – das ist nur ein Wahnsinn, und ein Satan versucht mich! O mein Kind!« begann er dann wieder in einem unbeschreibbar zärtlichen und flehenden Tone – »ich bin furchtbar ermattet und träumte einen fieberhaften Traum der Wuth und Rache. Dein Mund und Deine sänftigende Hand sollen mich aus demselben erwecken. Laß uns auf immer aus diesen verhaßten Ländern fliehen; wir wollen diesen elenden Ungläubigen ihren blutigen Zwist lassen, unbekümmert, welche Partei fallen soll. Nach einem Boden, den kein ehrner Fuß betritt, in eine Luft, wo das Gebet des Menschen in Einsamkeit zum großen Jehovah aufsteigt, laß uns die müden Schritte lenken! Komm! so lange das Schloß noch schläft, laß uns ungesehen forteilen – der Vater und das Kind. Wir wollen süße Zwiesprache unterwegs halten. Und, hörst Du Leila,« setzte er mit leisem, plötzlichem Flüstern hinzu: »sprich mir nicht von jenem Gekreuzigten; denn Dein Gott ist ein verborgener Gott, und es gibt kein Bild von ihm.«

Wär' er minder erschöpft durch lange Mühen und marternde Gedanken gewesen, so würde die Sprache eines so strengen Menschen vielleicht ganz anders gelautet haben. Aber die Umstände unterwerfen sich auch dem härtesten Stoff, und trotz seinem angeborenen Verstand und seiner stets erstrebten Uebermacht über Andere, war Niemand vielleicht menschlicher Schwäche so unterworfen in seiner Weichheit und Kraft, seiner Leidenschaft und seinen Bestrebungen, als dieser seltsame Mann, der es in seinem anmaßenden Eigenwillen gewagt hatte, über die Menschheit hinaus zu ringen.

Es war wirklich ein gefährlicher Moment für die Neubekehrte. Die unerwartete Milde ihres Vaters überwältigte sie gänzlich, und jener Alles verleugnende Eifer katholischer Glaubensbegeisterung, welchem jedes menschliche Band und jede Erdenpflicht nicht selten zum Opfer gebracht worden sind auf dem Altar verzückter, überschwänglicher Frömmigkeit, hatte von Leilas Herzen noch keineswegs vollen Besitz genommen. Was auch ihre Ansichten, ihr neuer Glaube, ihre geheime Sehnsucht nach dem Kloster, – genährt durch die erhabene, wenn auch irrige Vorstellung, als ob durch ihre Bekehrung und Opferung vielleicht die Sünden ihres Volkes abgebüßt werden könnten in den Augen Dessen, der durch seinen Tod für eine ganze Welt gebüßt hatte, – was immer auch dergleichen höhere Gedanken und Gefühle seyn mochten, sie wichen in diesem Augenblick dem unwiderstehlichen Andrang der gewöhnlichen Natur und der kindlichen Pflicht. Sollte sie ihren Vater verlassen, und konnte solche Verlassung eine Tugend seyn? Ihr Herz that und beantwortete beide Fragen mit Blitzesschnelle: sie trat auf Almamen zu, faßte ihn bei der Hand und sagte ruhig und fest: »Vater, wohin Du auch gehst, will ich mit Dir.« Aber der Himmel bestimmte ihnen Beiden ein anderes Loos, als wol eingetreten seyn würde, wäre die Stimme jenes Naturimpulses befolgt worden.

Eh' Almamen antworten konnte, ertönte ein lauter Trompetenstoß vor dem Thore.

»Horch!« sprach er und griff nach dem Dolch, plötzlich wieder von dem Gefühl der ihn umgebenden Gefahren durchzuckt. »Sie kommen, meine Verfolger und Mörder; doch diese Glieder haben noch einen Schutz gegen die Folter!«

Selbst der Gefahr kündende Schall war beinah eine Erleichterung für Leila. »Ich will fort,« sagte sie, »und hören, was das Blasen bedeutet; bleib hier – sey auf der Hut – ich komme gleich wieder.«

Allein es verstrichen mehrere Minuten, bis Leila wieder kam. Sie war von Donna Inez begleitet, deren Blässe und Hast ihre Bestürzung hinlänglich kund gaben. Ein Eilbote hatte sich vor dem Thor angekündigt, die Königin anzumelden, die mit einer starken Heeresabtheilung auf dem Weg war, um zu Ferdinand zu stoßen; denn dieser lag mit der gewohnten Schnelligkeit seiner Bewegungen bereits vor einer der mohrischen Städte, die sich gegen seine Oberherrschaft aufgelehnt. Unmöglich konnte Almamen mit Sicherheit im Schlosse bleiben, und die einzige Aussicht zum Entkommen lag in unverweiltem Abgang unter der Hülle einer Verkleidung.

»Ich habe,« sprach Inez, »einen zuverlässigen und treuen Diener im Schlosse, dem ich ohne Besorgniß Eure Rettung anvertrauen kann; und solltet Ihr unterwegs auch Verdacht erregen, so wird mein Name und die Begleitung meines Dieners jedes Hinderniß wegräumen; es ist keine starke Tagereise von hier bis nach Guadix das sich bereits mit den Mohren verbündet hat; dort mögt Ihr, bis Ferdinands Heere die Mauern einschließen, eine sichere Zuflucht finden.«

Almamen blieb einige Augenblicke in düsteres Schweigen versunken. Endlich aber winkte er dem vorgeschlagenen Plan seine Beistimmung zu, und Donna Inez eilte, seinem Führer die nöthigen Anweisungen zu geben.

»Leila,« hob der Hebräer wieder an, als er sich mit seiner Tochter allein sah, »glaube nicht, daß ich um meiner eigenen Sicherheit willen zu dieser Flucht von Dir mich erniedrige. Nein: aber nie, bis Du mir durch mein eigenes vorschnelles Vertrauen zu einem Andern verloren gingst, wußt' ich, wie theuer meinem Herzen der letzte Sprößling meines Hauses, das letzte Andenken an die Liebe Deiner Mutter sey. Nun ich Dich wieder gefunden, öffnet sich ein neues, mildes Leben vor meinem Blick, und die Erde scheint, wie durch einen plötzlichen Zauberschlag, vom Winter in den Lenz übergesprungen. Um Deinetwillen verspreche ich alle Mittel, die menschlicher Scharfsinn erdenken kann, zu meiner Errettung von den Feinden anzuwenden. Unterdessen wird meine Seele hier bleiben; hieher werde ich nach Verfluß einer Woche – gleichviel, durch welche Gefahren mein Pfad geht – zurückkehren, und Dein Versprechen in Anspruch nehmen. Ich will Alles für unsere Flucht bereiten, und kein Stein soll Deinen Fuß unterwegs beleidigen. Der Gott Israels sey mit Dir, mein Kind, und stärke Dein Herz! Aber!« fügte er hinzu und riß sich, da er Tritte die Treppe herauf kommen hörte, aus ihrer Umarmung, »glaube nicht, daß ich in diesem Erguß der väterlichen Zärtlichkeit vergesse, was ich mir und Dir schuldig bin. Glaube nicht, meine Liebe sey blos das rohe, gedankenlose Gefühl des Erzeugers für die Erzeugte: ich liebe Dich um Deiner Mutter willen, – liebe Dich um Deiner selbst – liebe Dich noch mehr um Israels willen. Gehst Du verloren, Du, die letzte Tochter des Hauses Isaschars, so ist das edelste Geschlecht aus Gottes großem Volke erloschen.«

Hier erschien Inez an der Thür, trat aber, bei der unwilligen, hoheitvollen Bewegung Almamens wieder zurück, und dieser fuhr, ohne weiter auf Unterbrechung zu achten, fort:

»In Dir und Deinen Nachkommen sehe ich die Wiedergeburt voraus, die ich einst selbst noch zu erleben thöricht genug hoffte. Doch lassen wir Das; Du bist unter dem Dache der Nazarener. Ich kann nicht glauben, daß Künste, die umsonst mit Feuer und Schwert gegen uns auftraten, gegen Dich etwas vermögen werden. Irre ich jedoch, so wird die Strafe furchtbar seyn! Erführ' ich je, daß Du den Glauben Deiner Väter verlassen, und ständen Krieger und Priester um Dich, und wären Tausend und zehn Tausende zu Deiner Hülfe bereit, dennoch würde dieser Stahl das Haus Isaschars von seiner Beschimpfung retten. Hüte Dich! Du weinst; aber, Kind, ich warne blos, ich drohe nicht. Gott sey mit Dir!«

Er drückte die kalte Hand seines Kindes, wendete sich nach der Thür und, nachdem er sich so weit verkleidet, als die kurze Zeit ihm gestattete, verließ er das Schloß mit seinem spanischen Führer, der, an die Mildherzigkeit seiner Gebieterin gewöhnt, ihrem Befehl ohne Verwunderung, jedoch nicht ohne Verdacht, folgte.

Kaum war eine Viertelstunde verstrichen, und die Sonne noch nicht über die Berggipfel vorgerückt, als Isabella anlangte.

Sie erschien mit der Nachricht, daß bei der Empörung der mohrischen Städte in der Nachbarschaft das halb befestigte Schloß ihrer Freundin kein sicherer Aufenthalt mehr sey, und beehrte die spanische Dame mit dem Befehl, sie mit ihrem weiblichen Gefolge in Ferdinands Lager zu begleiten.

Leila empfing diese Kunde in einer Art Betäubung. Ihr Gespräch mit dem Vater, der furchtbare Kampf des Gefühls, den dieses Gespräch herbeigeführt, hatten sie halb besinnungslos gemacht, und als sie sich mit dem Abendstern abermals unter Isabellens Begleitung fand, war die einzige Empfindung, die durch ihr verwirrtes Gemüth selbstständig durchdrang, die, daß die Hand der Vorsehung sie aus einer Versuchung errettet habe, die, wie der Kenner aller Herzen wissen mußte, für ein Weib und eine Tochter zu stark war.

Am fünften Tage nach seinem Abgang kehrte Almamen zurück – um das Schloß verlassen und sein Kind fortgegangen zu finden.

Fünftes Kapitel.

In dem Gährungsgefäße der großen Ereignisse fängt die Hefe an zu steigen.

 

Die Israeliten beschränkten ihren Kampf nicht auf die dunkle Verschwörung, die bereits angedeutet worden. In einigen der von Ferdinand abgefallenen mohrischen Städte traten sie aus der Neutralität, die sie bisher zwischen Christ und Moslem beobachtet. Mochten sie durch die furchtbaren Barbareien Ferdinands und der Inquisition gegen ihr Volk entflammt seyn, oder wurden sie durch einen Mann ihres eigenen Stammes, in welchem sie das Haupt ihrer geheiligsten Familie anerkannten, aufgewiegelt, oder vereinten sich, wie am wahrscheinlichsten, beide Ursachen: gewiß ist, daß sie Gefühle zeigten, welche von dem gewöhnlichen Benehmen dieses friedliebenden Volkes gänzlich abwichen. Sie lieferten große Beiträge in den öffentlichen Schatz, – sie forderten Waffen und wurden, unter ihren eigenen Anführern, obwol mit großer Vorsicht und Eifersucht, unter die Truppen der herabblickenden, verachtungsvollen Moslems aufgenommen.

Bei dieser Conjunction feindlicher Planeten nahm Ferdinand seine Zuflucht zu seiner Lieblingsmaßregel, zu Ränken und List. Eben jenen Vertrag, den Almamen einst zu Gunsten seines Volkes zu erhalten gesucht, nunmehr als Mittel gegen dasselbe gebrauchend, sorgte der Fürst, daß das Gerücht im Umlauf kam, als hätten die Juden, um ihren Frieden mit ihm zu erkaufen, sich anheischig gemacht, die mohrischen Städte, und Granada selbst, zu verrathen. Das Papier, das er bei jener Unterredung mit Almamen unterzeichnet und in dessen Besitz er sich bei der Gefangennehmung des Hebräers wieder gesetzt hatte, gab er einem Spion und schickte ihn, als Jude verkleidet, damit in eine der empörten Städte.

Der mohrische Anführer bekam Wind von der Ankunft dieses Abgesandten; er ward ergriffen und das Dokument bei ihm gefunden. Die Worte, wie sie Almamen niedergesetzt, (der sorgfältig vermieden hatte, weder seinen angenommenen, noch den ihm von Geburt gebürenden Namen zu nennen), stellten blos den Pakt auf, daß wenn innerhalb vierzehn Tage von dem dort genannten Datum an Granada durch einen Juden dem Christenkönig überliefert werde, die Juden gewisser Freiheiten und Rechte genießen sollten.

Die Entdeckung dieses Dokumentes erfüllte die Mohren in der Stadt, wohin der Spion gesendet worden, mit einer Wuth, die Worte nicht zu beschreiben vermögen. Von vornherein mißtrauisch gegen ihre Verbündeten, glaubten sie jetzt den einzigen Grund von deren plötzlicher Begeisterung, von ihrem Verlangen nach Waffen, zu durchschauen. Der Pöbel erhob sich: die angesehensten Juden wurden ergriffen und ohne Verhör in Stücke gehauen, während Andere unter der langsamern Folter der Obrigkeit erlagen. Man entsendete Boten in die empörten Städte, und vor Allem nach Granada selbst, um den Moslems Vorsicht gegen die unseligen Feinde beider Parteien anzuempfehlen. Eben so geldgierig als blutdürstig kamen die Mohren der Inquisition in der Grausamkeit, Ferdinanden in den Erpressungen gleich.

Es war das düstere Schicksal Almamens, wie so manches andern voreiligen und hitzigen Befreiers aus der Sklaverei, die Schrecken und Leiden, die er lindern gewollt, zu mehren. Die Warnung vor den Juden traf in Granada ein, eben als der Wessir Jussuf von seinem stets noch vor dem Schloß von Salobrena liegenden Herrn den Befehl erhalten hatte, jedes Mittel zu gebrauchen, um den schwindenden Schatz wieder zu füllen. Neue Erpressungen unter den Mohren selbst scheuend, sah Jussuf einen so gerechten Vorwand zu abermaligen, angemessenen Auflagen unter den Juden wie eine Botschaft des Himmels an. Gewaltthätigkeiten durch den Pöbel wurden verhindert, weil die Obrigkeit an der Spitze stand, die weise dafür sorgte, daß der Staat keinen Genossen bei dem nöthigen Raub habe, und so ward das Werk der Confiscation und Plünderung mit einer imposanten, ruhigen Ordnung durchgeführt, die in gleichem Maß das Ansehn des Wessirs hob, worin sie die Kassen des Königes füllte.

Spät an einem Abend machte Ximen seine gewöhnliche Runde durch die Gemächer in Almamens Hause. Indem er sich die verschiedenen Gegenstände des Reichthums und der Ueppigkeit besah, brach er dann und wann in ein leises, stoßweises Kichern aus, rieb sich die dürren Hände und murmelte: »wenn mein Herr stirbt! wenn mein Herr stirbt!«

Unter dieser Beschäftigung vernahm er einen verwirrten fernen Lärm; er horchte aufmerksam und unterschied das, neuester Zeit so häufig gewordene, Geschrei: »Es lebe Jussuf der Gerechte! – nieder mit den verrätherischen Juden!«

»Ah,« sagte Ximen, und der Ausdruck seines Gesichtes wechselte, »eine neue Plünderung an unserem Volk. Und das ist Dein Werk, Sohn Isaschars! Wahnsinniger der Du warst, weiser seyn zu wollen als Deine Väter, und zu glauben, Du könnest die Götzendiener überlisten im Rathszimmer und Kriegslager, ihrem angewiesenen Felde, wie der Bazaar und Marktplatz das unsrige ist. Niemand argwöhnt, daß der mächtige Santon der verrätherische Jude sey; aber ich weiß es! ich könnte Dich der Bogensehne überliefern, und wenn Du todt wärest, gehörte all Dein Gut und Gold bis zum Esel an der Krippe dem armen Ximen!«

Er hielt bei diesem Gedanken an, schloß die Augen und lächelte bei der Aussicht, die er sich vormalte; nachdem er sofort seinen Rundgang beendigt, kehrte er in sein eigenes Gemach zurück, das durch ein Thürchen in einen der hintern Hofräume öffnete. Kaum war er in diesem Zimmer angekommen, als er ein leises Klopfen am äußern Thor vernahm und an der dreimaligen Wiederholung desselben erkannte, daß es von einem seiner jüdischen Brüder herrührte. Denn Ximen, in welchem Alter, Vereinzelung und Geiz längst weggefressen, was von bessern Gesinnungen in einem von Natur armen und harten Herzen seine dürftigen Wurzeln geschlagen – behielt wenigstens noch ein menschliches Gefühl gegen seine Landsleute. Es war das Band, das alle Verfolgte vereinigt; ja Ximen liebte seine Stammgenossen, weil er ihr Glück nicht zu beneiden hatte. Das Ansehn – die Kenntnisse – die stolzen, wenn auch wilden Entwürfe seines Herrn demüthigten ihn: er haßte ihn heimlich, weil er ihn nicht bemitleiden oder verachten konnte. Die gebeugte Gestalt dagegen, die knechtische Stimme, die zaghaften Nerven seiner unterdrückten Brüder erregten in dem Alten nur die Vorstellung an Wesen, die nicht über ihn zu triumphiren vermochten. Gedemüthigt, bejahrt, einsam, wie er war, empfand er eine Art winterlicher Wärme bei dem Gedanken, daß selbst Er die Macht habe, zu beschützen!

Aus diesem Grunde unterhielt er einen Verkehr mit den übrigen Israeliten, und hatte denselben in ihren Gefahren oft eine Zuflucht in den zahlreichen Gewölben und Gängen gewährt, deren Getrümmer man noch jetzt unter den verwitternden Grundlagen jenes geheimnißvollen Gebäudes wahrnimmt. Und da das Haus allgemein als das Eigenthum eines abwesenden Emirs galt, und der Obhut der Kadi's von Boabdil ausdrücklich empfohlen war, welcher letztere allein unter den Mohren wußte, daß es einer der Aufenthaltsorte des Santons sey, dessen ostensible Wohnung die ihm im Palast selbst angewiesenen Gemächer bildeten – so mochte dasselbe allerdings vielleicht der einzige Ort in Granada seyn, der den umhergejagten Israeliten eine sichere, unbeargwohnte Freistatt lieferte.

Als Ximen das gewohnte Zeichen seiner Brüder erkannte, kroch er zur Thür, und nachdem er zur Vorsicht noch ein hebräisches Losungswort gesprochen, auf welches ihm in der gleichen Sprache geantwortet wurde, öffnete er, und herein trat die hagere, vorgebeugte Gestalt des reichen Elias.

»Werther und trefflicher Herr!« sprach Ximen, sobald er den Eingang wieder verschlossen, »was kann den geehrten und reichen Elias ins Gemach des armen Knechtes führen?«

»Mein Freund,« erwiederte dieser, »nenn mich weder reich noch geehrt. Jahre lang hab' ich in der Stadt gewohnt, sicher und in Ansehn, selbst bei den Moslemin; denn ich habe erkauft mit edeln Gesteinen und Schätzen den Schutz des Königes und der Großen. Aber jetzt in diesem plötzlichen Zorne der Heiden, – die sich immer nichtige Dinge in den Kopf setzen – bin ich in die Gegenwart ihres obersten Rabbi entboten worden, und der Folter nur durch eine Summe entgangen, welche zehn Jahre der Arbeit und des Schweißes nicht ersetzen können. Ximen, der bitterste Gedanke ist, daß die Verrücktheit eines unserer eigenen Leute diese Trauer über Israel gebracht hat.«

»Mein Herr spricht in Räthseln!« entgegnete Ximen, mit wohl erkünsteltem Erstaunen in seinen gläsernen Augen.

»Was wendest und drehst Du Dich, guter Ximen?« fragte der Jude kopfschüttelnd; »Du weißt wol auf Wen meine Worte gehen. Dein Herr ist der sogenannte Almamen, und dieser abtrünnige Israelite (wenn Der noch ein Israelite, der verlassen hat Brauch und Weise seiner Väter) ist es, der die Juden in Cordova und Guadix aufgewiegelt und dessen Thorheit diese schrecklichen Dinge über uns gebracht hat. Heiliger Abraham! Dieser Jude hat mir mehr gekostet, als fünfzig Nazarener und hundert Mohren!«

Ximen blieb still, und Elias, dessen Zunge durch den Gedanken an seine verdrießliche Einbuße gelöst war, fuhr fort: »Sogleich als der Sohn Isaschars wieder kam und ein Rathgeber ward am Hofe des Königs, erkannte ich, der ihn als ein Kind in die Synagoge geführt – denn der alte Isaschar war mir werth wie ein Bruder – erkannt ich ihn an seinen Augen und seiner Stimme wieder. Aber Jubel war in mir über seine List und Verkleidung; – ich glaubte, er würde große Dinge thun für seine armen Brüder, und dem Freund seines Vaters auswirken die Lieferung der Kleider und kostbaren Zeuge für des Königs Weiber und Kebsweiber. Allein Jahre sind verflossen: Er hat unsere Lasten nicht leichter gemacht, und durch die Narrheit, die zuletzt über ihn kam, als er sich an die Spitze des Heidenheeres stellte und unsere Leute in Gefahr und Verderben stürzte, hat er verdient den Fluch der Synagoge und den Zorn unseres ganzen Volkes. Ich vernehme von unsern Leuten, die durch Verzicht auf ihr Vermögen der Inquisition entronnen sind, daß jene thörichten und verrückten Entwürfe den Hauptvorwand hergaben für die Leiden der Gerechten unter den Nazarenern, und eben wieder jene Entwürfe bringen über uns die gleiche Verfolgung durch die Mohren! Verflucht sey er und möge untergehen sein Name!«

Ximen seufzte, blieb aber still, begierig, zu welchem Ende wol die Schmähreden des Juden führen würden. Er hatte nicht lange zu warten. Nach einer Pause nahm Elias in einem veränderten, ruhigern Tone wieder das Wort: »Er ist reich, dieser Sohn Isaschars, wunderhaft reich.«

»Seine Schätze sind mindestens über die Hälfte der Städte Afrikas und des Morgenlandes hin ausgestreut.«

»Du siehst denn, mein Freund, daß Dein Herr ein schweres Loos über mich gebracht hat. Ich bin Herr seines Geheimnisses; ich könnt' ihn preisgeben dem Zorn des Königes; könnt' ihm zuführen den Tod. Aber ich bin gerecht und mild: er zahle meinen Schaden und ich will meinen Aerger vergessen.«

»Du kennst ihn nicht,« erwiederte Ximen, erschreckt durch den Gedanken an einen Ersatz, der seine Anwartschaft auf die in Granada befindlichen Güter Almamens vielleicht bedeutend herabsetzen mochte.

»Aber wenn ich ihm mit Angabe seines Geheimnisses drohe?«

»So würdest Du nur ein Futter der Fische im Darro werden,« unterbrach ihn Ximen. »Ja, erfährt Almamen überhaupt nur, daß Dir seine Geburt und sein Name bekannt sind, so zittere! Deine Tage im Lande sind gezählt!«

»Wahrlich!« rief der Jude in großer Bestürzung, »dann bin ich in die Schlinge gefallen; denn mein Mund hat ihm verrathen, daß ich damit bekannt bin.«

»Dann ist der gerechte Elias innerhalb der nächsten zehn Tage von der Zurückkunft Almamens in Granada an ein verlorner Mann. Ich kenne meinen Herrn; er ist ein furchtbarer Mensch. Blut ist ihm wie Wasser.«

»Verderben treffe den Verdammten!« rief Elias mit den Füßen stampfend, und Feuer flammte aus seinen dunkeln Augen; denn der Instinkt der Selbsterhaltung setzte ihn in Wuth. »Doch nicht von mir,« fügte er ruhiger hinzu, »wird seine Gefahr kommen. Wisse, daß mehr als hundert Juden in der Stadt sind, die seinen Tod geschworen haben. Juden, die von Cordova hierher geflohen sind, dort ihre Verwandte ermorden und ihre Habe rauben sahen, und im Sohne Isaschars den Ursächer des Mordes und Raubes erkannten. Sie haben den Betrüger entdeckt und hundert Messer werden im Augenblick für ihn geschliffen: mög' er sich vorsehen! Ximen, ich habe zu Dir gesprochen wie Thoren sprechen; Du kannst mich Deinem Herrn angeben; aber auf die Schilderung unserer Leute von Dir hin, hab' ich mein Herz ohne Furcht ausgeschüttet. Willst Du Israel verrathen, oder uns den Verräther niederschmettern helfen?«

Ximen dachte einen Augenblick nach, und sein Nachdenken richtete sich auf die Schätze seines Herrn. Er gab dem Elias die Rechte, und als die Beiden von einander schieden, waren sie Freunde.

Sechstes Kapitel.

Boabdils Zurückkehr. – Wiedererscheinen Ferdinands vor Granada.

 

Am dritten Morgen nach diesem Gespräch kam das Gerücht nach Granada, Boabdil sey von seinem Angriff auf die Citadelle von Salobrena mit schwerem Verluste zurückgeschlagen worden; es sey Hernando del Pulgar gelungen, den Belagerten ein beträchtliches Hülfscorps zuzuführen, und das Heer Ferdinands befinde sich auf dem Marsch gegen den Mohrenkönig. Mitten in der Aufregung, welche durch diese Nachricht herbeigeführt wurde, langte ein Eilbote an, der die Richtigkeit derselben bestätigte und Boabdils Zurückkunft verkündete.

Bei Einbruch der Nacht traf der König, dem Heere voran, in der Stadt ein, und eilte sich in die Alhambra einzuschließen. Als er sich niedergeschlagenen Sinnes in die Gemächer der Frauen begab, trat seine strenge Mutter zu ihm.

»Mein Sohn,« sprach sie bitter, »kehrst Du zurück, und nicht als Sieger?«

Ehe noch Boabdil antworten konnte, eilte ein leichter, schneller Schritt durch die schimmernden Arkaden, und freudeweinend und über alles orientalische Ceremoniell sich wegsetzend, stürzte Amine an seine Brust. »Mein Geliebter, mein König, Licht meiner Augen, Du kehrst zurück! Willkommen! – denn Du bist unverletzt.«

Die verschiedene Art dieser beiden Begrüßungen machte einen mächtigen Eindruck auf Boabdil. »Du siehst, Mutter,« sprach er, »wie groß der Gegensatz zwischen Denen ist, die uns aus Zärtlichkeit, und Denen, die uns aus Stolz lieben. Im Unglück behüte mich Gott vor Deiner Zunge, o Mutter!«

»Aber auch ich liebe Dich aus Stolz,« flüsterte Amine; »und aus diesem Grunde ist mir Dein Unglück theuer, denn es entreißt Dich der Welt, um Dich mehr mein eigen zu machen, und ich bin stolz auf die Leiden, die mein Held mit seiner Sklavin theilt.«

»Lichter her und das Banket!« rief der König, sich von der harten Mutter abwendend. »Wir wollen ein Fest halten und fröhlich seyn, so lange wirs können. Meine angebetete Amine, küß mich.«

So stolz, so düster und so zartfühlend Boabdil auch war, empfand er in dieser Stunde doch keine Trauer: solchen Balsam hat die Liebe für unsere Schmerzen, wenn ihre Schwingen von der Taube geborgt sind! Und obwol die Gesetze orientalischen Lebens die Sphäre von Amine's freundlichem Einfluß auf die engen Wände eines Harems beschränkten; obwol uns, selbst in einem Roman, der natürliche Gang der Ereignisse nöthigt, nur in einem schwachen, schnellen Umriß das lebenvolle, reiche Farbenbild dieser Seele festzuhalten, so bleiben für diesen Umriß doch die zwei lieblichsten und edelsten Züge der Weiblichkeit: – die Macht, uns zur That anzufeuern, und die Milde, uns beim Unterliegen zu trösten.

Während Boabdil und die Hauptmasse des Heeres in der Stadt blieben, durchschwärmte Musa mit einer auserlesenen Abteilung Reiterei die Gegend, um die neu erworbenen Städte zu besuchen und ihren Muth aufrecht zu erhalten.

Von diesem Geschäft ward er durch die Armee Ferdinands abgerufen, die auf einmal die Vega überflutete, die Erndten gänzlich zerstörte, und dann sich zurückzog, um die Wiedereroberung der empörten Städte zu Stande zu bringen. Auf diese Unterbrechung folgte eine Zwischenzeit der Ruhe – die Stille vor dem Sturm. Aus allen Theilen Spaniens strömten die Ritterlichsten und Entschlossensten unter den Mohren, die Kampfespause benützend, nach Granada, und diese Stadt wurde der Brennpunkt für die Gesammtheit aller tapfern, gefahrtrotzenden Herzen, welche der Mohammedanismus in Europa besaß.

Endlich, nachdem er seine Wiedereroberungen vollendet und seinen Schatz neu angefüllt, musterte Ferdinand die ganze ihm zu Gebot stehende Macht – vierzigtausend Fußgänger und zehntausend Reiter; und wieder, und zum letztenmal erschien er vor den Mauern Granadas. Eine zukunftahnende, begeisternde Entschlossenheit erfüllte Belagerer und Belagerte: Beide fühlten, daß der entscheidende Wendepunkt vor der Thür sey.

Siebentes Kapitel.

Der Brand. – Die Majestät eines Kampfes für die eigene Sache mitten unter tausend Kämpfern für eine fremde.

 

Es war am Vorabend eines großen, allgemeinen Sturmes auf Granada, der von den Anführern des Christenheeres mit Umsicht entworfen worden. Das spanische Lager – das prächtigste, welches die Christenheit je gesehen – wurde allmälig still und ruhig. Die Dämmerung nahm zu – die Sterne traten heiterer und klarer hervor. Schimmernd in der dunkelblauen Luft blähten sich die seidenen Zelte des Hofes, gestickt mit heraldischen Sinnbildern und gekrönt durch bunte Fahnen, die, von einem lebhaften, flüsternden Bergwind angefüllt, lustig auf den vergoldeten Schäften flatterten. In der Mitte des Lagers erhob sich das Gezelt der Königin – ein förmlicher Palast. Lanzen bildeten seine Säulen; Goldstoff und bunte Teppiche seine Wände; und in dem Raum, den seine zahlreichen Abtheilungen einnahmen, würde ein gewöhnliches Schloß mit seinen Hallen und Außenwerken Platz gefunden haben. In der That verwirklichte der Pomp des Lagers die ausschweifendsten Träume eines gothisch-orientalischen Geschmacks; etwas, das der dichterischen Erfindung eines Tasso, der äußern Darstellung eines Beckford würdig gewesen wäre. Dabei verlor der Effekt der zum Hoflager gehörigen Zelte keineswegs durch den Anblick der umgebenden Soldatenbaraken, deren viele aus Zweigen erbaut waren, an welchen das Laub noch hing – kunstlose, malerische Hütten, als hätten, wie man in manchen alten Legenden liest, wilde Waldmänner das Kreuz genommen und wären den christlichen Kriegern gefolgt gegen die sonnegebräunten Anhänger Termagaunts und Mahoms. – So breitete sich denn das mächtige Lager in tiefer Ruhe aus, als die herannahende Mitternacht dichtere und längere Schatten von den Zeltgassen auf den Rasen warf. Um diese Stunde war es, daß Isabella im geheimsten Gemach ihres Zeltes dem Gebet für die Sicherheit des Königs und den Ausgang des Krieges oblag. Vor dem Altar ihrer Feldkapelle knieend, erhob sie ihren Geist im Feuer ihrer Andacht von der Erde, und im ganzen Lager waren, mit Ausnahme der Wachen, die Augen der frommen Königin vielleicht die einzigen ungeschlossenen. Ueberall tiefe Stille; Leibwächter und Bediente hatten sich zur Ruhe begeben, und der Schritt der Schildwache außerhalb des ungeheuren Gezeltes ward durch die seidenen Wände hindurch nicht vernommen.

Da fühlte Isabella plötzlich einen nervigen Griff an der Schulter. Ein schwacher Schrei entfuhr ihren Lippen; sie wendete sich, und das breite, gekrümmte Messer eines morgenländischen Kriegers blitzte hart vor ihren Augen.

»Still! ein einziger Schrei, ein einziger lauterer Athemzug als gewöhnlich, und, ob Du immer eine Königin, umschwärmt von vielen Tausenden, Du stirbst!«

Dies waren die leis geflüsterten Worte, die aus dem Munde eines Mannes von strengem und gebietendem, obwol zergrämtem Ansehn, in das Ohr der Castilianerin drangen.

»Was willst Du? willst Du mich ermorden?« fragte die Königin, vielleicht zum erstenmal vor der Gegenwart eines Sterblichen zitternd.

»Fürchte nichts; Dein Leben ist gesichert, sobald Du meiner Frage nicht ausweichen oder mich täuschen willst. Unsere Zeit ist kurz – antworte. Ich bin Almamen, der Hebräer. Wo ist die Geisel, die ich Deinen Händen übergab? Ich fordere mein Kind. Sie ist bei Dir – ich weiß es. In welchem Winkel Deines Zeltes?«

»Rauher Fremdling,« erwiederte die Königin, etwas erholt von ihrem Schrecken – »Deine Tochter ist, wie ich hoffe, auf immer aus Deinem ruchlosen Bereich weggenommen. Sie befindet sich nicht im Lager.«

»Lüge nicht, Königin von Castilien,« entgegnete Almamen und erhob das Messer, »Tage und Wochen lang habe ich Deine Spur verfolgt, bin Deinem Marsch nachgezogen, habe selbst Deinen Schlaf umlauert, obwol Männer von Eisen als Wächter um ihn herstanden, und ich weiß, daß meine Tochter bei Dir ist. Wer solcher Gefahr trotzt, hat, glaub es mir, die Entschlossenheit zum Furchtbarsten. Antworte mir, wo ist mein Kind?«

»Seit vielen Tagen,« antwortete Isabella, trotz allem Widerstreben durch ihre seltsame Lage mit Schauder erfüllt, »seit vielen Tagen hat Deine Tochter das Lager mit dem Hause Gottes umgetauscht. Es war ihr eigener Wunsch. Der Erlöser hat sie aufgenommen in seine Heerde.«

Hätten tausend Lanzen sein Herz durchbohrt, die Kraft des Lebens hätte nicht plötzlicher von Almamen weichen können. Die straffen Muskeln seines Gesichtes erschlafften auf Einmal, von dem Ausdruck der Entschlossenheit und Drohung zu einem Bild des Grauens, des Schmerzes und der Verzweiflung übergehend, das sich nicht in Worten ausdrücken läßt. Er taumelte mehrere Schritte zurück; seine Kniee zitterten heftig; er schien von einem Todesstoß durchfahren zu seyn. Isabella, die Kühnste und Stolzeste ihres Geschlechts, benutzte diesen freien Augenblick; sie sprang auf, stürzte durch die Vorhänge in die von ihren Begleiterinnen eingenommenen Gemächer, und in einem Nu ertönte das Zelt von ihrem Hülferuf. Die Wachen wurden aufgeschreckt; die Diener fuhren von ihren Kissen auf; sie vernahmen die Ursache des Alarms und stürzten nach dem Orte zu; aber ehe sie die seidene Scheidewand erreichten, strömte ihnen eine lichte, prasselnde Flamme entgegen. Das Zelt stand in Feuer. Der Stoff nährte den Brand wunderhaft. Einige der Wachen behielten gleichwol den Muth, vorzudringen, aber Rauch und Glast trieben sie verblendet und schwindlig zurück. Isabella selbst fand kaum Zeit zum Entkommen, so schnell nahm die Brunst überhand. Besorgt für ihren Gemahl, stürzte sie nach dessen Zelt, traf ihn aber, wie er, durch den Lärm geweckt, das bloße Schwert in der Rechten, ihr am Eingang bereits entgegen kam. Der Wind, der wenige Minuten zuvor nur mit den siegreichen Bannern gespielt hatte, trieb jetzt die zerstörende Flamme wild umher. Sie verbreitete sich von Zelt zu Zelt, fast einem Blitzstrahl gleich, der durch an einander gedrängte Wolken hinschießt. Das ganze Lager stand in Einer Lohe, eh irgend Jemand an Abwehr auch nur denken konnte.

Ohne den verwirrten Bericht der Königin ganz anzuhören, rief Ferdinand: »Das haben die Mohren gethan – sie sind an uns!« Damit ließ er Trommeln und Trompeten ertönen und eilte in eigener Person, blos in seinen langen Mantel gehüllt, die Anführer zu wecken. Während die wohl disciplinirte, diensterfahrene Armee, jeden Augenblick besorgend, vom Feind angefallen zu werden, versuchte, sich in einer gewissen Ordnung aufzustellen, fuhr die Flamme in ihrem Lauf fort, bis der ganze Himmel ein Lichtspiel darbot, dessen grellen, blendenden Glanz zu schildern selbst ein Dante unvermögend seyn dürfte. Helme und Panzer glühten wie in einem Schmelzofen, und die bewaffneten Männer erschienen eher wie lebenähnliche, gespenstische Meteore, denn wie wirkliche Menschengebilde. Die Stadt Granada ward ihnen durch die mächtige Beleuchtung nahe gerückt, und als eine Abtheilung Reiterei aus dem Lager vorsprengte, dem vermeintlichen Ueberfall der Heiden entgegen, erblickte sie auf Mauern und Dächern die Moslems dicht gedrängt mit glänzenden Speeren. Aber eben so erstaunt, als die Christen, und wie diese eine Kriegslist vermuthend, kamen jene nicht aus den Thoren. Unterdessen wurde die Feuersbrunst, eben so schnell im Erlöschen wie im Beginnen, schwach und vereinzelt, und die Nacht schien mit trauerndem Dunkel auf die Trümmer der seidenen Stadt zurückzusinken.

Ferdinand berief seinen Kriegsrath. Er hatte jetzt durchschaut, daß hier kein angelegter Plan der Mohren vorwalte. Die Erzählung Isabellens, die er endlich faßte; die seltsame, fast wunderhafte Art, womit Almamen seine Wachen umgangen und ins königliche Zelt Eingang gefunden, hätte, während sie seine Besorgnisse vor natürlichern Gefahren beschwichtigte, leicht seinen Aberglauben aufregen dürfen, wäre ihm nicht im Gedächtniß gewesen, mit welcher außerordentlichen, aber keineswegs übernatürlichen Gewandtheit orientalische Krieger, ja Räuber, die Vorkehrungen der höchsten Vorsicht zu Schanden machen, und den aufmerksamsten Wachen entgehen; und so stellte sich denn heraus, daß das Feuer, welches das Lager eines Heeres in Asche gelegt, blos angezündet worden war, um die Rache eines Einzelnen zu befriedigen, oder dessen Flucht zu begünstigen. Ferdinand schüttelte daher von seiner königlichen Seele das Grauen ab, welches die Größe des Unglücks, mit dem Namen eines Zauberers in Zusammenhang gebracht, anfangs hervorgerufen, und beschloß aus dem Unstern selbst seinen Glücksstern zu machen. Die Aufregung, die Wuth der Truppen boten eine zur entscheidenden That höchst günstige Stimmung.

»Gott,« sprach der König zu den versammelten Rittern und Häuptlingen, »hat durch diesen Brand den Kämpfern des Kreuzes angedeutet, daß fortan die Paläste Granadas ihr Lager seyn sollen! Wehe dem Moslem mit der Morgensonne!«

Waffen klangen und Schwerter fuhren aus den Scheiden, als die christlichen Ritter den Fluch nachriefen: »Wehe dem Moslem!«


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