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Zweites Buch.


Erstes Kapitel.

Das spanische Königszelt. – Der König und der Dominikaner. – Der Besuch und die Geißel.

 

Unsere Erzählung führt uns jetzt zu dem christlichen Heer und in das Zelt, worin der spanische König mit einigen seiner vertrautern Krieger und Freunden nächtlichen Rath hielt. Ferdinand war mit einer Pracht und Fülle ins Feld gezogen, die eher für ein Turnier als einen Kriegszug paßte, und sein Zelt schimmerte im wörtlichen Sinn von Purpur und Goldstoff.

Der König saß zu oberst an einem Tisch, worauf Landkarten und Papiere umher lagen, und weder in Miene noch Haltung erschien dieser große, staatskluge Fürst der glänzenden Ritterschaar, die ihn umgab, unwerth. Sein schwarzes, reich parfümirtes und gesalbtes Haar fiel in langen Locken auf beiden Seiten einer hohen Herrscherstirn herab, auf deren ruhiger, wenn auch nicht faltenloser Fläche ein Gesichtskundiger umsonst das unerforschbare Herz der Könige zu lesen gesucht haben würde. Seine Züge waren regelmäßig und hoheitsvoll, und sein durch ein einziges, höchst kostbares und glänzendes Juwel zusammengehaltener Mantel, dem auf der Brust ein silbernes Kreuz eingewirkt war, wallte über eine männliche, kräftige Gestalt hinab, die durch die Gewohnheit des Befehlens in nicht geringerem Grad jene ruhige, gesetzte Würde erhalten hatte, als dieselbe manchen Rittern in seiner Umgebung aus einem hohen Wuchs und breiten, mächtigen Leibesverhältnissen erwuchs. Zu seiner Rechten saß Prinz Juan, sein Sohn, in der ersten Jugendblüte; zu seiner Linken der berühmte Rodrigo Ponce de Leon, Marqueß von Cadix; weiter den Tisch hinab, nach Ordnung ihres kriegerischen Ranges, sah man den glänzenden Herzog von Medina Sidonia, gleich edel dem Ansehn wie dem Namen nach; das verwitterte, nachdenkliche Gesicht des Marqueß de Villena (des Bayards der Spanier); die melancholische Stirn des heldenhaften Alonso de Aguilar, und die Riesengestalt, die belebten Züge und funkelnden Augen des kühnen Hernando del Pulgar, genannt »der Ritter der Schlachten.«

»Ihr sehet, Sennores,« sprach der König, eine Rede fortsetzend, auf welche seine Feldherren mit ehrerbietiger Aufmerksamkeit zu horchen schienen, »unsere beste Hoffnung, der Stadt in Kurzem Meister zu werden, liegt mehr in der Uneinigkeit der Mohren selbst, als in unsern geheiligten Waffen. Die Mauren sind stark, die Bevölkerung noch immer zahlreich, und unter Musa Ben Abil Gasan wird, man muß es gestehen, die Taktik des feindlichen Heeres mit solcher Geschicklichkeit geleitet, daß dem Zeitpunkt unserer Eroberung ein noch sehr bedeutender Aufschub droht. Die ungewisse Entscheidung einer geordneten Schlacht vermeidend, hält die Reiterei der Ungläubigen unser Lager durch unaufhörliche Scharmützel fortwährend in Unruhe, und in den Gebirgspässen vermögen es unsere Geschwader mit jenen leichten Pferden und verrätherischen Hinterhalten nicht aufzunehmen. Allerdings könnten wir durch Länge der Zeit, durch gänzliche Zerstörung der Vega und durch Abschneidung aller Zufuhr aus den Seestädten die Stadt endlich so aushungern, daß sie sich ergeben müßte. Aber, meine Ritter, unsere Feinde sind weit verbreitet und zahlreich, und Granada ist nicht der einzige Ort, vor welchem Spaniens Banner entfaltet werden sollte. In solcher Lage verschmäht es der Löwe nicht, sich des Fuchses zu bedienen, und glücklicherweise haben wir jetzt in Granada einen Verbündeten, der für uns kämpft. Ich besitze genaue Kunde von Allem, was in der Alhambra vorgeht. Der König sitzt noch immer unentschlossen und träumerisch in seinem Palast, und ich hoffe eine List, durch welche seine Eifersucht gegen seinen Feldherrn Musa angeregt wird, werde entweder mit dem Untergange dieses geschickten Führers oder mit offener Empörung und mit Bürgerkrieg enden. Verrätherei im Innern Granada's wird uns dessen Thore öffnen.«

»Gnädigster,« entgegnete Ponce de Leon nach einer Pause, »wo Ihr uns berathet, zweifle ich so wenig daran, daß unser Banner über den Rothen Thürmen wehen wird, als ich am Aufgehen der Sonne über den Bergen dort zweifle; und wenig liegt daran, ob wir durch List oder durch Gewalt siegen. Aber ich brauche Eurer Hoheit nicht zu sagen, daß wir uns sorgsam hüten müssen, nicht durch Erfindungen des Feindes zum Besten gehalten zu werden und auf Verschwörungen zu hoffen, die vielleicht nur Märchen sind, um unsere Schwerter abzustumpfen und unsere Wirksamkeit zu lähmen.«

»Wacker gesprochen, weiser Leon!« rief Hernando del Pulgar hitzig aus. »Gegen diese Ungläubigen, welchen die List des Satans zu Hülfe kommt, liegt meines Bedünkens unsere beste Auskunft in unserem Arme. Gut sagt unser altes kastilisches Sprichwort:

Verfluche sie fromm
Und hämmre sie krumm.«

Der König lächelte leicht über das Feuer, womit der Liebling des Heeres geantwortet, blickte aber suchend nach durchdachteren Rathschlägen umher.

»Gebieter,« sprach Villena, »fern sey es von uns, die Gründe untersuchen zu wollen, auf welche Eure Majestät ihre Hoffnung auf Uneinigkeit unter den Feinden baut; aber indem wir das höchste Vertrauen in eine nicht zu täuschende Klugheit setzen, ist es gleichwol klar, daß wir andererseits in keiner uns möglichen Kraftanwendung nachlassen dürfen, sondern kämpfen müssen, während wir zur List greifen, und nach Besiegung im offenen Feld trachten sollen, während wir es nicht versäumen, den Boden desselben zu untergraben.«

»Wohl gesprochen, Ritter,« entgegnete Ferdinand nachdenklich, »Ihr selbst sollt noch morgen eine starke Abtheilung zum Verwüsten der Vega abführen. Kommt in zwei Stunden wieder zu mir, für jetzt ist der Kriegsrath abgebrochen.«

Die Ritter erhoben sich, und traten mit den gewöhnlichen ernsten und prunkenden Ceremonien der Ehrerbietung ab, die Ferdinand von seinem Hof forderte, aber auch gegen denselben beobachtete. Der junge Prinz blieb zurück.

»Sohn,« sprach der König, als sie allein waren, »früh und bei Zeiten sollten die Infanten Spaniens in der Kunst der Herrscherweisheit unterrichtet werden. Diese Edeln gehören zu den glänzendsten Juwelen der Krone; aber nur in der Krone und für die Krone darf ihr Licht funkeln. Du siehst, wie heiß, wild und kriegerisch die Häuptlinge Spaniens sind – vortreffliche Eigenschaften, so lange sie gegen unsere Feinde sichtbar werden: Aber hätten wir keine Feinde, Juan, so dürften uns diese Tugenden gewaltige Unruhe schaffen. Bei St. Jago, ich habe eine mächtige Monarchie gegründet, lerne also, wie sie zu erhalten ist: durch Umsicht, Juan, durch Umsicht! und Umsicht ist so weit entfernt von roher Gewalt, als dieses Schwert von einem Hebebaum. Du scheinst verwirrt und erstaunt, mein Sohn; Du hast gehört, daß ich Granada durch Zwietracht unter den Mohren selbst zu gewinnen suche; ist einmal Granada erobert, so erinnere Dich, daß die Edeln selbst ein Granada sind. Ave Maria! gepriesen sey die heilige Mutter, unter deren Augen die Herzen der Könige stehen!«

Ferdinand kreuzte sich andächtig, stand dann auf, zog einen Theil des Zeltgehänges zurück und rief mit leiser Stimme den Namen Perez. Ein ernster Spanier, etwas über die mittleren Jahre hinaus, erschien.

»Perez,« sprach der König, indem er wieder Platz nahm, »ist die Person, die wir von Granada erwarteten, bereits angelangt?«

»Ja, Gebieter, begleitet von einem Mädchen.«

»Er hat Wort gehalten; laß sie herein. – Ha, heiliger Vater, Eure Besuche sind immer wie Balsam für das Herz.«

»Heil Euch, mein Sohn!« erwiederte ein Mann im Gewand eines Dominikanermönchs, der schnell und ohne Förmlichkeit an einem andern Theil des Zeltes eingetreten war, und sich jetzt mit unverrückter Miene in geringer Entfernung vom König niedersetzte.

Todesstille herrschte einige Sekunden; Perez verweilte noch immer im Zelt, als wär' er im Zweifel, ob nicht der Eintritt des Mönchs die Ausführung des königlichen Befehls rückgängig machen oder mindestens aufschieben dürfte. Auf dem ruhigen Gesichte Ferdinands selbst erschien ein leichter Schatten von verlegener Unentschlossenheit. Jener jedoch nahm also das Wort:

»Meine Gegenwart, mein Sohn, wird hoffentlich Eure Unterredung mit dem Ungläubigen nicht stören – da Ihr doch einmal der Ansicht seyd, die Weltklugheit fordere ein Gespräch mit den Männern Belials.«

»Durchaus nicht, – durchaus nicht,« entgegnete der König rasch, und flüsterte dann vor sich hin: »wie wunderbar doch dieser heilige Mann in all' meine Regungen und Entschlüsse dringt!« Laut setzte er hinzu: »Laß den Boten eintreten, Perez.«

Perez verbeugte sich und verschwand.

Diese Zeit über saß der junge Prinz in lautlosem Schweigen auf seinem Stuhl, und auf den zarten Zügen lag ein Ausdruck von Ueberdruß, der kein günstiges Vorzeichen für seine Tauglichkeit zu dem strengen Geschäft abwarf, für welches der weise Vater ihn heranzubilden bemüht war. Freilich neigte sich sein Alter noch eben so sehr als seine Seele dem Vergnügen zu; der Lärm des Lagers war für ihn noch eine bloße Feiertagsprozession – der Marsch eines Heeres ein erheiterndes Schaugepränge, der Hof ein Bankett, der Thron der beste Sitz an der Tafel. Das Leben des präsumtiven Nachfolgers zum Leben des regierenden Königs verhält sich wie der Zauber der Hoffnung zum satten Ueberdruß.

Die kleinen grauen Augen des Mönchs liefen über seine beiden königlichen Gesellschafter mit scharfem, durchdringenden Blick hin, und ließen sich dann mit dem Ansehn der Demuth auf die reichen Teppiche nieder, die den Boden bedeckten. Von da schlug er sie nicht wieder auf, bis Perez abermals erschien und den Israeliten Almamen hereinführte, begleitet von einer weiblichen Gestalt, deren langer, bis auf die Füße hinabreichender Schleier weder ihre schönen Verhältnisse, noch ihre zitternde Bewegung verhüllen konnte.

»Als ich das letztemal in Deine Gegenwart zugelassen ward, großer König,« sprach Almamen, »stelltest Du die Aufrichtigkeit und Treue Deines Dieners in Frage; Du fordertest ein Pfand für meine Zuverlässigkeit und brachst bis dahin jede weitere Unterredung ab. Sieh, ich stelle unter Deine königliche Obhut dieses Mädchen – das einzige Kind meines Hauses – ich vertraue Dir ein Leben, das mir theurer ist, als mein eigenes.«

»Du hast uns Wort gehalten, Fremdling,« erwiederte der König mit jener sanften, melodischen Stimme, die seine tiefe List und seinen unbeugsamen Willen so wohl verbarg; »das Mädchen, das Du mir anvertrauest, soll unter die Frauen meiner königlichen Gemahlin gereiht werden.«

»Herr,« antwortete Almamen mit Ernst, »Du hast jetzt die Gewalt über Leben und Tod von all Dem, wofür, ausgenommen mein Volk und meine Religion, mein Herz ein Gebet aussprechen, oder eine Hoffnung nähren kann. Ohne Bedenken, ohne Furcht übergeb' ich Dir dieses feierliche Pfand. Dir überliefre ich eine Geißel, von Dir hab ich blos ein Versprechen.«

»Aber es ist das Versprechen eines Königs – eines Christen und eines Ritters,« entgegnete Ferdinand mit eher sanfter als stolzer Würde; »welches Pfand könnte unter Fürsten geheiligter seyn? Doch nichts mehr hievon: wie geht es in der empörerischen Stadt?«

»Darf dieses Mädchen sich entfernen, eh' ich meinem Herrn, dem König, Antwort gebe?« fragte Almamen.

Der junge Prinz sprang auf. »Soll ich die Neuverpfändete meiner Mutter zuführen?« sprach er zu Ferdinand mit leiser Stimme.

Der König lächelte halb: »Der heilige Vater wäre ein besserer Führer,« erwiederte er in gleichem Ton. Aber obwol der Dominikaner es gehört, behielt er seine bewegungslose Stellung dennoch bei, und der König wendete sich nach einem kurzen Blick auf den Mönch von diesem wieder ab. »Gut, Juan,« sprach er, mit einem Vorsicht empfehlenden Winke des Augs, »Perez soll Dich zur Königin begleiten: kehre zurück, sobald Dein Auftrag vollzogen ist; wir bedürfen Deiner Gegenwart.«

Während dieses Gesprächs zwischen Vater und Sohn flüsterte der Hebräer in seiner heiligen Sprache Worte des Trostes und der Beruhigung in das Ohr des Mädchens, die jedoch nur wenig von der gewünschten Wirkung zu haben schienen, denn plötzlich warf sich Jene an seine Brust, schlang ihre Arme um ihn und rief im höchsten Affekt, in der gleichen Sprache: »O mein Vater, was hab' ich gethan? – warum mich von Dir weisen? – warum Dein Kind dem Fremden anvertrauen? – Schone meiner – schone meiner.«

»Kind meines Herzens,« erwiederte der Hebräer mit feierlichem, aber liebevollen Ton, »wie Abraham seinen Sohn darbrachte, muß ich Dich darbringen auf den Altären unsres Glaubens; aber, o Leila, wie der Engel des Herrn das Opfer von sich wies, so soll Deine Jugend verschont und Deine Jahre aufbehalten werden für die Herrlichkeit noch ungeborner Geschlechter. König von Spanien,« fuhr er schnell und lebhaft in spanischer Sprache fort, »Du bist ein Vater: vergib meine Schwäche und beschleunige unsern Abschied.«

Juan näherte sich und wollte mit ehrerbietiger Verbeugung die Hand des Mädchens fassen.

»Du?« rief der Israelite mit düstrem Stirnfalten. »O König, der Prinz ist jung.«

»Die Ehre kennt keinen Unterschied des Alters,« antwortete Ferdinand. »He, Perez, begleite dieses Mädchen und den Prinzen nach dem Zelte der Königin.«

Das gesetzte Alter und ehrbare Aussehn des Begleiters schien den Hebräer wieder zu beruhigen. Er umfaßte Leila und drückte einen Kuß auf ihre Stirn, ohne den Schleier zu lüften; dann gab er sie dem Perez beinah auf den Arm, wendete sich schnell ans andere Ende des Zeltes, und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Der König schien gerührt, der Dominikaner aber sah dem ganzen Auftritt mit saurer Miene zu.

Leila hielt noch einen Augenblick an und sagte dann, als gewänne sie jetzt ihre Selbstbeherrschung wieder, laut und deutlich: »Die Menschen verlassen mich, aber ich will nicht vergessen, daß Gott über Allen ist.«

Die Hand des Spaniers von sich weisend, sprach sie: »Geh voran, ich folge Dir!« und verließ das Zelt mit sicherem, ja majestätischem Schritt.

»Und nun,« fragte der König, als er mit dem Dominikaner und Almamen allein war, »wie stehts mit unsern Hoffnungen?«

»Boabdil,« entgegnete der Israelite, »ist sowol gegen sein Heer, als gegen dessen Führer Musa aufgebracht; er will die Alhambra nicht verlassen, und diesen Morgen, eh' ich aus der Stadt ging, befand sich Musa selbst im Kerker des Palastes.«

»Wie?« rief der König, von seinem Sitz auffahrend.

»Mein Werk!« fuhr der Hebräer kalt fort. »Diese Hände sind es, die für Ferdinand von Spanien die Schlüssel fertigen, womit er Granada aufschließt.«

»Und königlich soll Deine Belohnung seyn,« erwiederte der Monarch. »Einstweilen empfange diesen Erstling unserer Gunst.«

Damit nahm er eine massivgoldene Kette von der Brust, deren Ringe künstlich mit Edelsteinen besetzt waren, und reichte sie dem Israeliten hin. Almamen rührte sich nicht. Eine dunkle Röthe auf seinen Zügen sprach die Gefühle aus, die er mit Schwierigkeit unterdrückte.

»Ich verkaufe meine Feinde nicht um Gold, großer König,« sprach er mit strengem Lächeln. »Ich verkaufe sie, um das Lösegeld für meine Freunde zu gewinnen.«

»Uebermüthiger!« erwiederte Ferdinand beleidigt. »Doch sprich, Mensch; sprich!«

»Wenn ich, eh zwei Wochen vorüber, Granada Dir übergebe, was soll mein Dank seyn?«

»Du sprachst, als wir das letztemal beisammen waren, von Immunitäten der Juden.«

Der ruhige Dominikaner blickte, als der König diese Worte sprach, empor, bekreuzte sich und nahm dann seine demüthige Stellung wieder ein.

»Ich fordere für das Volk Israels,« entgegnete Almamen, »freie Befugniß in der Stadt Handel zu treiben und zu wohnen, seinem Beruf nachzugehen und blos denjenigen Gesetzen und Abgaben unterworfen zu seyn, welchen auch die christliche Bevölkerung Folge zu leisten hat.«

»Die gleichen Gesetze und Abgaben! Hm! Ein solches Zugeständniß unterliegt Schwierigkeiten. Wenn wir es abschlügen?«

»So ist unsre Unterhandlung abgebrochen. Gib mir das Mädchen zurück – Du bedarfst fortan des geforderten Pfandes nicht mehr. Ich kehre in die Stadt zurück und sehe Dich nie wieder.«

Bei aller Staatsklugheit und all dem kalten Blut Ferdinands hatte er doch die gebieterische, stolze Art eines sieggekrönten, von einer Reihe von Königen abgestammten Fürsten. Unwillig über den entschlossenen Ton des Fremden biß er sich in die Lippen.

»Du brauchst der unverhohlenen Rede, Freund,« sprach er. »Ich kann meine Worte auch rauh hinwerfen. Du bist in meiner Gewalt und kannst blos mit meiner Erlaubniß zurückkehren.«

»Ich habe Dein königliches Wort für freien Eintritt und Ausgang,« erwiederte Almamen. »Brich es, und Granada bleibt den Mauren, bis der Darro roth vom Blut seiner Helden fließt, und seine Bewohner die Thäler decken, wie das Laub im Herbste.«

»Bist Du denn selbst von jüdischem Glauben?« fragte der König. »Wenn Du es nicht bist, warum ist Dir der Auswurf der Welt so theuer?«

»Meine Väter waren dieses Glaubens, königlicher Ferdinand, und wenn ich ihren Glauben, so hab' ich darum nicht ihre Sache verlassen. O König, werden meine Bedingungen verworfen oder angenommen?«

»Ich nehme sie an, gesetzt Du bringest erstens die Verbannung oder den Tod Musa's zu Stande, und Du überlieferest mir zweitens von heute in zwei Wochen, begleitet von den Häuptlingen Granada's, die unterschriebene Capitulation und die Schlüssel der Stadt. Thu Dies, und, obwol ich der einzige König in der Christenheit, der so etwas wagt, ich biete den Israeliten in ganz Andalusien die gewöhnlichen Gesetze und Rechte spanischer Bürger, Dir aber eine Würde, wie sie Deiner Ehrbegier genügen wird.«

Der Hebräer verbeugte sich ehrfurchtsvoll und zog ein Papier aus dem Busen, das er vor dem König auf den Tisch legte.

»Dieses Schreiben, mächtiger Ferdinand, enthält die Artikel unseres Vertrags.«

»Ha, Mensch, willst Du uns der Gefahr aussetzen, daß die ganze Welt erfahre, wie unsere königliche Unterschrift unter Verhandlungen mit Deines Gleichen stehe? Des Königs Wort ist des Königs Verbindlichkeit.«

Der Hebräer nahm die Rolle mit unzerstörbarer Ruhe zurück. »Mein Kind,« sprach er – »will Deine Majestät mein Kind zurückrufen lassen? wir wollen scheiden.«

»Ein hartnäckiger Bettler, dies, bei der heiligen Jungfrau,« murmelte der König, und setzte dann laut hinzu: »gib mir das Papier, ich will seinen Inhalt prüfen.«

Die Worte hastig mit dem Auge überlaufend, schwieg Ferdinand einen Moment, zog dann das Schreibzeug zu sich, unterzeichnete und gab die Rolle an Almamen zurück.

Der Israelite küßte sie dreimal mit orientalischer Ehrfurchtsbezeugung, und steckte sie dann wieder in den Busen.

Ferdinand blickte ihn fest und forschend an. Er las tief in den Charakteren der Menschen; aber über denjenigen seines Gastes kam er nicht ins Reine.

»Und wie, Fremdling, wie kann ich Dir trauen, der selbst dem einen Könige nicht traut und den andern verkauft?«

»König,« erwiederte Almamen (seit seiner Jugend gewöhnt mit den Inhabern noch absoluterer Throne zu verkehren und sie zu beherrschen), »König, wenn Du glaubst, ich handle bei diesem unserm Vertrage nach persönlichen und selbstischen Interessen, so darfst Du nur den Dienst, den ich Dir leiste, mein eigenes Interesse befördern lassen, und die Kenntniß des menschlichen Herzens muß Dir sagen, daß Du einen eifrigen und unterwürfigen Sklaven an mir gewonnen hast. Glaubst Du aber, ich habe minder niedrige Gesinnungen an den Tag gelegt und höhere Eigenschaften entwickelt, als wer blos schmutzigen Gewinn zu erhandeln strebt: solltest Du Dich dann nicht freuen, daß der Zufall Dir Jemand in den Weg geworfen, dessen Geist und Talente zu Deinem Werkzeuge gemacht werden können? Betrüge ich den andern König, so ist dieser Andere mein Todfeind. Betrügst nicht auch Du, der Beherrscher ganzer Heere, Deinen Gegner? Der Mohr ist ein schlimmerer Feind von mir als von Dir. Bin ich, weil ich einen Feind betrüge, unwürdig einem Freund zu dienen? Wenn ich, ein einzelner Mensch und dem Mohren durch kein Band der Verwandtschaft angehörig, dennoch über die Geheimnisse des Palastes gebieten und die Beschlüsse der bewaffneten Macht vereiteln kann, habe ich damit nicht beurkundet, daß ich Jemand bin, aus dem ein weiser König einen nützlichen Diener zu machen vermag?«

»Du bist ein gewandter Schlußmacher, mein Freund,« sagte Ferdinand mit freundlichem Lächeln. »Friede sey mit Dir! Unsere Unterhaltung ist für heute beendigt. He da, Perez!«

Der Gerufene erschien.

»Du hast das Mädchen bei der Königin gelassen?«

»Herr, Euer Wille ist geschehen!«

»Führe diesen Fremden zu der Wache, die ihn durchs Lager geleitet hat. Er verläßt uns unter gleichem Schutze. Leb wohl. Doch halt! – weißt Du gewiß, daß Musa Ben Abil Gasan sich in den Gefängnissen des Mohren befindet?«

»Ja.«

»Gepriesen sey die heilige Jungfrau!«

»Du hast unsere Unterredung gehört, Vater Thomas?« fuhr der König angelegen fort, als sich der Hebräer zurückgezogen.

»Ich hab' es, Sohn.«

»Schaudertest Du?«

»Nur als mein Sohn das Papier unterzeichnete. Es war mir als säh' ich den Pferdefuß des Versuchers.«

»Still, Vater! der Versucher würde klüger gewesen seyn, als daß er sich auf eine Treue verlassen hätte, die weder Tinte noch Pergament festigen können, wenn die Kirche den Vertrag aufhebt. Du verstehst mich, Vater?«

»Ich versteh Euch. Ich kenne Euer frommes Herz und Euern einsichtigen Geist.«

»Du hattest Recht,« nahm der König nachdenklich wieder das Wort, »als Du sagtest, diesen jüdischen Lumpenhunden schwelle der Kamm zu hoch. Gesetzesgleichheit wollen sie – die unverschämten Gotteslästerer!«

»Sohn!« sprach der Dominikaner im Tone der Beschwörung, »Gott, der Euern Waffen und Beschlüssen Glück verliehen, wird Rechnung über die Euch anvertraute Macht fordern. Soll kein Unterschied stattfinden zwischen seinen Freunden und seinen Feinden? – seinen Jüngern und seinen Kreuzigern?«

»Priester,« entgegnete Ferdinand, indem er die Hand auf die Schulter des Mönchs legte, mit einem finstern Lächeln in der Miene, »schwiege die Religion in dieser Angelegenheit, so wäre die Stimme der Staatsweisheit laut genug, schon allein gehört zu werden. Die Juden verlangen gleiche Rechte: wenn die Menschen Gleichheit mit ihren Beherrschern verlangen, so ist der Verrath an der Arbeit und die Gerechtigkeit schärft ihr Schwert. Gleichheit! diese reichen Wucherer! heilige Jungfrau! sie hätten uns in Kurzem unsere Königreiche abgeschachert!«

Der Dominikaner sah den König fest an. »Sohn, ich traue Dir,« sprach er mit leiser Stimme und schlich aus dem Zelt weg.

Zweites Kapitel.

Der Hinterhalt, das Gefecht, die Gefangenschaft.

 

Die Tagesdämmerung brach leise an über dem weiten Thal von Granada, als Almamen seinen einsamen Pfad auf manchem Umweg nach der Stadt fortwandelte. Er befand sich jetzt eben in einer dunkeln, vielfach gewundenen Schlucht, aus deren Gebüsch hie und da einzelne Bäume düster und bewegungslos in die stille Morgenluft emporragten. Als beim Austritt aus diesem Schlupfwinkel die Thürme Granada's ihm entgegenschimmerten, blickte ein Menschengesicht aus dem Dunkel, und Almamen fuhr zusammen, denn zwei schwarze Augen starrten fest in die seinigen.

Er hielt schnell an und legte die Hand an den Dolch, als ein unterdrückter, scharfer Pfiff, den der Mensch vor ihm ertönen ließ, von allen Seiten her beantwortet wurde, und eh er Athem holen konnte, war der Israelite von einem Haufen Mauren in der Tracht von Landleuten umringt.

»Nun, ihr Herren,« fragte Almamen ruhig, als er sich von den wilden Gesichtern anstieren sah, »glaubt ihr es sey Etwas zu fürchten von dem einsamen Santon?«

»Es ist der Zauberer,« flüsterte Einer seinem Nachbar zu; »laßt ihn gehen.«

»Nein,« war die Antwort, »bringt ihn vor den Herrn; wir haben Befehl zu fassen, was wir treffen.«

Diese Meinung fand das Uebergewicht, und mit heimlichem Zähneknirschen mußte Almamen den Bauern durch den dickesten Theil des Gehölzes folgen. Endlich hielt der Zug auf einem halbrunden, üppigen Rasenplatz an, wo einiges Vieh ruhig grasete und eine noch größere Zahl von Landleuten auf dem Boden lag.

»Wen bringt ihr da?« fragte eine Stimme, welche das Blut aus Almamens Wange zurückscheuchte, und ein Maure von gebietendem Ansehn erhob sich aus der Mitte seiner Brüder. »Beim Bart des Propheten, es ist der falsche Santon! Was thust Du außerhalb Granada's um diese Stunde?«

»Edler Musa,« gab ihm Almamen zurück, welcher, bei aller Betroffenheit, daß Derjenige, den er für sein Opfer gehalten, so räthselhafterweise sein Richter geworden, mindestens den Schein der Fassung beibehielt – »nur meinem Herrn, dem König, hab' ich hierüber Rede zu stehen; auf seinen Befehl bin ich hier.«

»Du weißt,« entgegnete Musa mit finsterer Stirne, »daß Dein Leben ohne Widerspruch verwirkt ist? Jeder Bewohner Granada's, der sich zwischen Sonnenunter- und Aufgang vor den Mauern betreten läßt, stirbt den Tod des Verräthers und Ueberläufers.«

»Ausgenommen die Diener der Alhambra,« antwortete der Israelite, ohne die Züge zu verändern.

»Ah!« flüsterte Musa vor sich hin, und ein schmerzlicher Gedanke schien ihn plötzlich zu durchfahren, »wär' es möglich, daß das Gerücht der Stadt Recht hätte, und Granada's Beherrscher mit dem Feinde unterhandelte?« Er hielt einen Augenblick an, winkte hierauf den Mauren sich zu entfernen, und fuhr sodann mit lauter Stimme fort: »Almamen, antworte mir die Wahrheit: hast Du das christliche Lager mit irgend einem Auftrage vom König aufgesucht?«

»Nein.«

»Bist Du mindestens außerhalb der Mauern auf Auftrag des Königs?«

»Bin ich es, so wär' ich ein Verräther am König, wenn ich sein Geheimniß enthüllte.«

»Du gibst mir starken Verdacht, Santon,« versetzte Musa nach einer Pause; »ich weiß, Du bist mein Gegner, und ich glaube, Deine Einflüsterungen haben des Königs Ohr gegen mich, gegen sein Volk und seine Pflicht vergiftet. Doch gleichviel; Dein Leben ist Dir für jetzt geschenkt; Du bleibst bei uns, und mit uns sollst Du zum Könige zurückkehren.«

»Doch, edler Musa …«

»Ich hab' es ausgesprochen! Bewachet den Santon; setzt ihn auf eines unserer Thiere; er muß mit uns in unserem Hinterhalt bleiben.«

Während Almamen sich fruchtlos gegen seine Gefangenhaltung ereiferte, war im christlichen Lager Alles noch still. Endlich als die Sonne über die Berge aufzusteigen begann, deutete erst ein Gemurmel und dann ein Getöse auf kriegerische Vorbereitungen. Mehrfache Reiterhaufen, unter tapfern, erfahrenen Anführern, bildeten sich zu verschiedenen Geschwadern und gingen auf verschiedenen Wegen ab, theils um Futter zu holen, theils in der Aussicht auf ein Scharmützel mit den umher schwärmenden feindlichen Streifern. Das bestausgerüstete dieser Geschwader war vom Marqueß von Villena und dessen heldenhaftem Bruder, Don Alonso de Pacheco, befehligt. Viele vom besten Blut Spaniens hatten sich diesem Trupp angeschlossen, denn in dem ritterlichen Heer der Christen eiferten die Offiziere miteinander, wer die gemeinen Soldaten durch Thaten persönlichen Muthes am meisten verdunkeln könne, und Villena's Name bildete einen Anziehungspunkt für die feurigen Gemüther, die aus der allgemeinen Unthätigkeit in Ferdinands staatsklugem Feldzug herauszukommen sich sehnten.

Die jetzt hoch gestiegene Sonne schimmerte in den glänzenden Waffen und prachtvollen Wimpeln von Villena's Zug, als derselbe in einen fruchtbaren, waldigen Bezirk einbeugte, der die Bergwand der Vega säumt, und die Reinheit des Tages, die Reize der Umgebung, die Hoffnung und Aufregung, welche das Unternehmen einflößte, belebten den ganzen Haufen. Die strenge Kriegszucht ward bei dergleichen Expeditionen oft nachgelassen, in der Gewißheit, daß sie nöthigenfalls sogleich wieder auferlegt werden könne. Fröhliches, lautes Gespräch, unterbrochen hie und da von kurzen Liedern, ertönte aus den Reihen der Soldaten, und selbst in der edlern Gruppe um Villena her bemerkte man jetzt den sprüchwörtlichen Ernst der Spanier weniger.

»Nun, Marqueß,« sagte Don Estevon de Suzon, »was soll die Wette gelten, wessen Lanze heut eine schöne Mohrin um die größte Zahl ihrer Anbeter bringt?«

»Mein Schwert gegen Euern Zelter,« versetzte Don Alonso de Pacheco, die Ausforderung annehmend.

»Gut. Doch da wir eben von Schönheit sprechen, waret Ihr vorigen Abend im Zelte der Königin, edler Marqueß? Es ist um ein neues Mädchen reicher geworden, deren plötzliche Erscheinung sich Niemand zu erklären weiß. Ihre Augen würden den Glanz der Cava verdunkelt haben, und wär' ich Rodrigo, so hätt' ich um ihr Lächeln eine Krone preisgegeben.«

»Ja,« versetzte Villena, »ich hörte von ihrer Schönheit; ein Pfand von einem der Mohrenverräther, mit welchen der König (die Heiligen wollen ihn segnen!) um die Stadt feilscht. Man sagt mir, der Prinz sey von der Königin wegen der Aufmerksamkeiten, die er dem Mädchen erwies, hart getadelt worden.«

»Und diesen Morgen sah ich den furchtbaren Vater Thomas allein in des Prinzen Zelt. Wohl bekomme Don Juan die Lektion. Die Vorlesungen des Mönchs gleichen der Algarroba Eine in Spanien gewöhnliche Hülsenfrucht.; getrocknet mag sie recht gesund seyn, aber frisch genommen ist sie gewaltig hart und bitter.«

In diesem Augenblick sprengte einer von den untergeordnetern Offizieren zu dem Marqueß und sagte ihm Etwas ins Ohr.

»Ha!« rief Villena, »gepriesen sey die Jungfrau! meine Ritter, die Beute ist zur Hand. Still, schließt die Reihen!«

Damit ritt er auf eine kleine Anhöhe, überschaute, die Augen mit der Hand beschattend, die Ebene vor ihm, und nahm in einiger Entfernung einen Haufen maurischer Bauern wahr, die einige Stücke Vieh in ein dichtes Gehölz trieben. Hastig ward Befehl gegeben, das Geschwader stürzte vorwärts, jede Stimme war verstummt, und nur das Rasseln der Panzerhemden und das Stampfen der Hufe brach das liebliche Schweigen der im Mittagslichte ruhenden Landschaft. Noch ehe man das Gehölz erreicht hatte, waren die Bauern bereits darin verschwunden. Der Marqueß ließ die Bäume nach vorne zu in einem Halbkreis umgeben und sendete eine Abtheilung nach hinten, um jeden Ausgang abzuschneiden. Sobald dies geschehen, sprengte der Trupp ins Dickicht. Für die ersten Schritte war der Raum offener, als man vorausgesetzt hatte; bald aber ward der Boden uneben, rauh, und beinahe abschüssig, so daß das Terrain selbst, so gut als die ineinander verwundenen Bäume, die Pferde an jeder schnellen Bewegung hemmte. Don Alonso de Pacheco, dessen rasches, lenksames Roß für jede Art der Kriegführung eingeschult war, während er selbst, von leichtem Gewicht, zu den vortrefflichsten Reitern gehörte, flog den Uebrigen voraus. Die Bäume verbargen ihn für einen Augenblick; plötzlich aber wurde ein wildes, gellendes Geschrei gehört, und als dieses nachließ, ertönte vereinzelt der Ruf des Spaniers: » Santiago y cierra Espana!« – »St. Jago, und drauf los, Spanien!«

Jeder Ritter gab die Sporen, als mit Einemmal ein Hagel von Spießen und Pfeilen auf die Rüstungen niederrasselte, und aus Busch und Gras und Fels hervor stürzte ein Haufe Mauren, mit wildem Geschrei die Spanier umschwärmend.

»Zurück, so lieb euch euer Leben ist!« rief Villena, »wir sind in einem Hinterhalt – zurück nach der freien Ebene!«

Er wendete, sprengte aus dem Dickicht und sah die Ungläubigen Zug hinter Zug aus dem Gehölz herausdringen; Jeder führte seinen leichten, feurigen Hengst am Zügel und sprang in den Sattel, sobald er aus den Bäumen heraus war. Bis zur Sohle gepanzert, das Visier herabgelassen, die Lanze eingelegt, stürmte Villena, begleitet von denjenigen seiner Ritter, denen es gelungen, sich von den maurischen Fußkämpfern loszumachen, gegen den Feind an. Minuten gingen im heftigen Anprall vorüber; auf dem Boden lag mancher Maure, durchbohrt von der christlichen Lanze, und bereits ertönte jenseits der feindlichen Linie die Stimme Villena's: »St. Jago, zu Hülfe!« Aber der tapfere Marqueß stand, ausgenommen seinen treuen Diener Solier, fast allein; mehrere seiner Ritter waren vom Pferd gestürzt, und Schwärme von Mauren sammelten sich mit emporgehaltenen Messern um die Liegenden, nach den Fugen der Rüstung suchend, wo eine tödtliche Wunde beigebracht werden könnte. Allmälig jedoch fanden sich viele der Gefährten bei ihrem Führer wieder ein, endlich sah man auch den grünen Mantel Don Alonso's de Pacheco außerhalb des Gehölzes wehen, und Villena wünschte sich Glück zur Rettung seines Bruders. Gerade in diesem Augenblick jedoch setzte ein maurischer Ritter in vollem Rennlauf auf Pacheco an. Der Maure trug, gegen die Sitte der saracenischen Edeln, nicht die schwere christliche Rüstung, sondern das leichte Panzerhemd der alten Helden von Arabien oder Fez. Sein durch Kettchen vom feinsten Stahl geschützter Turban war von blendendem Weiß, und von gleicher Farbe erschien sein Leibrock und kurzer Mantel; an seinem linken Arm hing ein kleiner, runder Schild, in der rechten Hand schwebte eine lange, dünne Lanze. Als dieser Reiter auf einem Pferd, aus dessen Rabenfarbe nicht ein einziges weißes Härchen vorschimmerte, gegen Pacheco heranflog, hielt Christ und Mohr den Athem an. Beide Nationen achteten es für einen Frevel, den Kampf zwei so berühmter Helden zu durchkreuzen.

»Gott stehe meinem braven Bruder bei!« murmelte Villena ängstlich. »Amen« sprach seine Umgebung, denn Alle, welche Zeugen der wildesten Tapferkeit in diesem Kriege gewesen, zitterten, als sie das weiße Gewand und das schwarze Roß Musa's Ben Abil Gasan erkannten. Und andrerseits stand kein unwürdiger Feind dem Ungläubigen entgegen. »Der Stolz des Turniers und der Schrecken des Kriegs« war der schmeichelhafte Titel, den Kastiliens Ritter und Damen an Don Alonso de Pacheco ertheilt hatten.

Als der Spanier den furchtbaren Gegner herankommen sah, hielt er einen Moment an, warf dann sein Roß herum und nahm einen weitern Anlauf, um seinem Stoß größere Kraft zu geben. Der Mohr, auf diese Absicht gefaßt, hielt ebenfalls und wartete den Moment des Anpralls ab; dann stürzte er von Neuem vorwärts und die beiden Kämpfer trafen mit einer Gewandtheit aufeinander, die den Christen selbst einen unwillkürlichen Ruf des Beifalls entlockte. Musa fing den gewichtigen Speer Alonso's mit seinem kleinen Schilde auf, während seine eigene leichte Lanze nach dem Helm des Christen flog, und mehr durch die Richtigkeit, womit sie den ihr bestimmten Punkt traf, als durch die Wucht ihres Stoßes Jenen im Sattel erschütterte.

Die Lanzen wurden bei Seite geworfen und das lange, breite Schwert des Christen, der krumme Damascener des Mauren funkelten in der Luft. In ernstem, überlegtem Schweigen trieben sie ihre Rosse einander entgegen.

»Ergib Dich, Ritter,« rief Musa, »der Spruch auf meinem Säbel sagt, wenn sein Streich Dich treffe, so seyen Deine Tage gezählt. Das Schwert des Gläubigen ist der Schlüssel des Himmels und der Hölle.«

»Falscher Heide,« versetzte Alonso mit einer Stimme, die hohl aus seinem Helm ertönte, »ein christlicher Ritter ist einem ganzen maurischen Heer gewachsen.«

Musa gab keine Antwort, sondern ließ seinem Renner den Zügel schießen; das edle Thier verstand das Zeichen und sprang mit einem kurzen, ungeduldigen Schrei vorwärts. Alonso empfing den Angriff mit aufgehobenem Schwert, den ganzen Leib von seinem Schilde bedeckt; der Mohr beugte sich, – die Spanier erhoben Jubelruf – er schien vom Pferd herab gehauen zu seyn. Aber der Streich des schweren Schwertes hatte ihn nicht berührt, und scheinbar spielend fuhr die krumme Klinge seines eigenen Säbels an derjenigen Stelle, wo der Helm seines Gegners an den Harnisch anschloß, still und unwiderstehlich durch die Fugen. Alonso fiel ohne einen Seufzer vom Pferd – die Rüstung, wie es das Ansehn hatte, unversehrt, während das Blut langsam und rieselnd aus einer tödtlichen Wunde quoll.

»Allah il Allah!« rief Musa, als er bei seinen Freunden wieder anlangte. »Lelilies! Lelilies!« hallten die Mauren zurück, und ehe die Christen von ihrem Entsetzen wieder zu sich gekommen, befanden sie sich im Handgemenge mit ihren wilden, schwärmenden Feinden. Wirklich war es ein furchtbarer Kampf, und fast ein Wunder dünkte es den Spaniern, wie die Mohren im Stande gewesen, ihre Anzahl in einem so kleinen Raum zu verstecken. Reiterei und Fußvolk zugleich stürmte auf Villena's bereits sehr geschmolzene Begleitung an, und während die Fußgänger mit wilder, todttrotzender Kühnheit bis unter die Körper der Pferde vordrangen, sich dem Schlag der Hufe wie der Lanze des Reiters gleich blosstellend, um eine verwundbare Stelle für das scharfe maurische Messer zu finden, ermatteten die Reiter, das gefährliche Handgemenge mit den spanischen Kriegern vermeidend, dieselben mit Pfeil und Lanze, indem sie mit jener der morgenländischen Reiterei eigenen Schnelligkeit bald angriffen, bald sich zurückzogen. Leben und Seele seiner Partei war jedoch der unermattbare Musa. Mit einer Raschheit, die den abergläubischen Spaniern auf Zauberei zu deuten schien, spornte er seinen verhängnißvollen schwarzen Renner mitten in die geschlossene Phalanx, die Villena um sich her zu bilden bemüht war, die Reihe durch seinen alleinigen Angriff durchbrechend, und von Zeit zu Zeit einen Ritter aus dem Haufen durch den geräuschlosen, kaum sichtbaren Hieb seines Säbels niederstreckend.

Villena, an Leben und Ehre verzweifelnd und das Herz zerrissen über den Verlust seines Bruders, entschloß sich endlich, die letzte Hoffnung des Gefechts auf seinen einzigen Arm zu setzen. Er gab das Zeichen zum Rückzug und blieb, um seine Schaar zu schützen, allein und bewegungslos auf seinem Pferde, wie ein Bild aus Eisen. Obwol nicht von bedeutendem Wuchs, galt er im Heer für den besten Führer des Schwertes, dem nur Hernando del Pulgar und Gonsalvo de Cordova einigermaßen gleich kämen; eben so geübt im schweren Angriff der Christen, als in der schnellen, gewandten Fechtart der maurischen Reiterei. So stand er denn, allein und grimmig, ein Löwe vor der Meute, während sein Trupp sich langsam durch die Vega entfernte und die Trompeten laute Hülfssignale bliesen, falls etwa einige ihrer Brüder in der Gehörweite seyn möchten. Villena's Rüstung trotzte den Lanzen der Mauren, und Wenige von Denen, die Mann für Mann mit gehobenem Säbel ihn schnell ansprengten, entkamen ungestraft seinem eben so schnellen Aug und seiner furchtbaren Waffe. Mit Einnemmal wehte eine Staubwolke gegen ihn heran, und Musa, noch eben vorher am andern Ende des Schlachtfeldes, schimmerte weiß durch die Wolke. Villena erkannte ihn, biß die Zähne übereinander und stürzte ihm, sein Thier anspornend, gerade entgegen. Musa beugte aus, eben als das schwere Schwert über seinem Haupt schwirrte, schnitt mit einem Rückhieb seines Säbels durch den Harnisch gerade über dem Hüftgelenk, und das Blut folgte dem Hieb. Die tapfern Ritter sahen die Gefahr ihres Führers; drei sprengten zurück und langten noch eben recht an, um die beiden Kämpfer zu trennen.

Musa wartete nicht auf die Verstärkung, sondern flog über die Ebene, um seine zerstreute Reiterei zu sammeln und, in ein Ganzes vereint, auf den dürftigen Ueberrest der Spanier loszulassen.

»Unser Tag ist gekommen,« sprach der brave Ritter Villena mit bitterer Unterwerfung. »Nichts bleibt uns, meine Freunde, als unser Leben theuer zu verkaufen – ein Beispiel, wie spanische Krieger leben und sterben sollen. Möge uns Gott und die heilige Jungfrau unsere Sünden vergeben und uns das Fegefeuer abkürzen.«

Noch sprach er, als ein Horn in der Entfernung gehört ward, und das angestrengte Ohr der Ritter vernahm nahenden Hufschlag.

»Wir sind gerettet,« rief Estevon de Suzon, und erhob sich in den Bügeln. Während seiner Worte brach ein Strom arabischer Rosse über die kleine Schaar herein, und Estevon sah die dunkeln Augen und die bebende Lippe Musa's Ben Abil Gasan gegen sich herannahen. Nie vielleicht bis jetzt hatte der edle Ritter Furcht gekannt; jetzt aber, diesem unwiderstehlichen Feind gegenüber, stand ihm das Herz still.

»Der Satan leitet seine Klinge,« dachte de Suzon, »aber erst gestern Morgen ward ich gefeit.« Dieser Gedanke stellte seinen gewohnten Muth wieder her, und er sprengte dem Säbel des Mohren entgegen.

Der Angriff kam Diesem unerwartet. Sein Pferd glitt auf dem von Blut schlüpfrigen Boden aus, und sein aufgehobener Säbel konnte nicht mehr thun, als die Kraft von Suzons riesigem Arm etwas brechen; doch das Schwert des Ritters fuhr, den Säbel abschlagend, auf den Turban des Mohammedaners nieder, drang mitten durch dessen Falten, und ward nur durch die bewundernswürdige Festigkeit der ihn schützenden Stahlkettchen gehemmt. Der Stoß warf den Mauren zu Boden. Er rollte unter den Sattelgurt seines Gegners.

»Sieg und St. Jago!« rief der Ritter. »Musa ist –«

Der Satz blieb auf ewig unbeendet. Die Klinge des gefallenen Mauren war bereits durch eine unbeschirmte, todbringende Stelle in Suzons Roß gedrungen. Es fiel, und der Reiter mit ihm. Ein Augenblick, und die zwei Kämpfer lagen ringend im Staub; ein zweiter Augenblick, und das kurze Messer, das der Mohr im Gürtel trug, war durch des Christen Visier in dessen Gehirn gesenkt.

Seinen Hengst wieder besteigen, der demüthig und bewegungslos stehen geblieben war, und abermals im dichtesten Getümmel erscheinen, war ein Werk von nicht minder staunenswerther Schnelligkeit, als es die Tödtung des unglücklichen Estevon de Suzon gewesen. Aber jetzt wurde das bisher für die Mauren so siegreich fortschreitende Geschick des Tages in seinem Lauf angehalten.

Rasch über die Ebene hereinsprengend gewahrte man die schimmernden Reiter einer christlichen Verstärkung, und etwas weiter entfernt zeigte das königliche Banner Spaniens, undeutlich durch Staubsäulen gesehen, an, daß Ferdinand selbst seinen Rittern zu Hülfe komme.

Indeß waren die Mauren, die sich selbst auf eine Art verstärkt hatten, die fast ans Wunderbare streifte – so schnell und unerwartet strömte ihnen die Hülfe aus dem Gehölz zu – nicht unvorbereitet für einen neuen Feind. Auf Befehl des wachsamen Musa stellten sie sich in Ordnung, setzten sich noch zu rechter Zeit in den Vortheil, welchen die Unebenheit des Bodens und der Schutz durch die Bäume ihren Wurfspießen und schnellen Rossen gewährte, und bildeten so eine Linie, die selbst der jetzt ankommende Ponce de Leon nicht anzugreifen für klüglich fand. Während Villena mit einer vor Wuth fast unverständlichen Stimme den Marqueß von Cadix zum Vorrücken trieb, langte Ferdinand, umgeben von der Blüte seines Hofes, im Hintergrund an, und gab nach wenigen mit Ponce de Leon gewechselten Worten das Zeichen zum Rückzug.

Als die Mauren die Truppen sich nach dem Lager umwenden sahen, vermochte Musa selbst ihr Feuer nicht mehr zu zügeln. Sie stürzten vor, durchjagten den Rückzug, und verlängerten das Treffen durch mehrfache Scharmützel.

Damals war es, wo der ungestüme Muth Hernando's del Pulgar, der mit Ponce de Leon angekommen, sich durch Thaten auszeichnete, die noch jetzt in Spaniens Gesängen fortleben. Auf einem ungeheuern Hengst, er selbst von riesenhafter Stärke, sprengte er ganz allein den Anstürmenden entgegen, und streckte mit dem Hieb seines gewaltigen Zweihändlers ganze Reihen zu Boden. Mit lauter Stimme lud er Musa zum Kampfe; doch Dieser, vom Gefecht ermüdet und vom Stoß, den er beim Zusammentreffen mit de Suzon erlitten, kaum wieder erholt, sparte einen so furchtbaren Feind für ein künftiges Treffen auf.

Um diese Zeit, als das Feld mit scharmutzirenden Streifparteien überdeckt war, traf eine kleine Anzahl Spanier, die sich zu dem Hauptkorps ihrer Landsleute durch eines der zahlreichen, vom Feind besetzten Gebüsche Bahn brach, an der Umgrenzung dieses Gehölzes mit einer gleichen Zahl Mauren zusammen, und gerieth mit ihnen in ein verzweifeltes Handgemenge. Unter den Ungläubigen befand sich Ein Mann, der keinen Theil an dem Gefecht nahm. In geringer Entfernung sah er einige Minuten der blutigen Schlächterei zwischen Mohammedanern und Christen mit einem grimmigen, wohlgefälligen Lächeln zu; dann ritt er, die allgemeine Verwirrung benützend, langsam und, wie er hoffte, unbemerkt vom Schauplatz weg. Aber es war ihm nicht bestimmt, so ruhig zu entkommen. Ein Spanier erblickte ihn, schloß aus etwas Fremdem und Ungewöhnlichen in seiner Kleidung, er müsse zu den Häuptlingen der Mohren gehören, und im Nu sah Almamen – denn Dieser war es – das emporgehobene Schwert eines Gegners vor sich, der weder geneigt schien Pardon zu geben, noch mit sich unterhandeln zu lassen. Bei allem persönlichen Muth des Hebräers vereinigten sich doch mehrfache Gründe, ihn von einem Kampf mit dem spanischen Soldaten abzuhalten; so gab er denn, wohl sehend, daß hier keine Möglichkeit sich zu erklären, seinem Pferde tüchtig die Fersen und sprengte über die Ebene. Der Spanier jedoch verfolgte ihn, kam ihm zuvor und Almamen wendete sich endlich in Verzweiflung und im Grimm seiner stolzen Natur gegen ihn.

»So habe denn Deinen Willen, Thor!« knirschte er zwischen den Zähnen, griff nach dem Dolch und bereitete sich zum Kampf. Derselbe hielt lange und hartnäckig an, denn der Spanier war gewandt, und der Hebräer, ohne Harnisch und ohne andere Waffe als einen scharfen, wohl gestählten Dolch, sah sich genöthigt, nur vertheidigend zu Werk zu gehen. Endlich rangen beide Kämpfer miteinander, und durch einen geschickten Stoß durchfuhr Almamens kurze Klinge die Kehle seines Gegners, der alsbald der Länge nach zu Boden fiel.

»Ich bin gerettet,« dachte er, indem er sein Pferd wendete; aber siehe da! die Spanier, die er hinter sich gelassen, waren jetzt mit ihren Feinden fertig geworden und bereits hart an ihm.

»Ergib Dich oder stirb!« rief der Anführer.

Almamen blickte umher; keine Hülfe war zur Hand. »Ich bin nicht Euer Feind,« sprach er plötzlich und senkte die Waffe – »bringt mich in Euer Lager.«

Ein Soldat faßte seine Zügel und in schnellem Rennlauf hatten die Spanier bald das zurückziehende Heer erreicht.

Mittlerweile war es Abenddämmerung geworden, Geschrei und Lärm nahmen mälig ab – das Gefecht hatte aufgehört, die Streifparteien sich bei ihren verschiedenen Fahnen wieder eingefunden, und beim Licht des ersten Sternes rückte die Schaar der Mauren, ihre verwundeten Brüder tragend, und durch ihren Sieg freudig erhoben, wieder durch die Thore Granada's, bis endlich das schwarze Roß des Helden des Tages, das den ganzen Zug der Reiter schloß, mit seinem Herrn in der dunkeln Pforte verschwand.

Drittes Kapitel.

Der Held in der Gewalt des Träumers.

 

In demselben Gemach und ungefähr zu derselben Stunde, worin wir Boabdil El Chico dem Leser zuerst vorgeführt, treten wir auch jetzt wieder in die Gegenwart des einem schlimmen Stern verfallenen Monarchen. Er war diesmal nicht allein. Seine Lieblingssklavin, Amine, saß auf einer Ottomane und schaute mit ängstlicher Zärtlichkeit in sein gedankenvolles Gesicht, während er, neben dem Fenster an die schimmernde Wand gelehnt, tief bewegt auf die Scene draußen hinab blickte.

Fernher vernahm er das Geschrei der Menge bei Musa's Zurückkunft, und der Donner schweren Geschützes bestätigte die Siegesnachricht, die bereits an des Königs Ohr gedrungen.

»Hoch lebe mein Gebieter für und für!« sprach Amine furchtsam; »Seine Heere sind dem Sieg entgegen gezogen.«

»Aber ohne ihren König,« erwiederte Boabdil bitter; »und angeführt von einem Verräther und Feind. Ich bin in den Netzen eines unentwirrbaren Schicksals verstrickt.«

»O,« rief die Sklavin mit plötzlichem Kraftanflug, und sprang, die Hände faltend, von ihrem Ruhebett auf – »o mein Gebieter, dürften diese demüthigen Lippen andere Worte sprechen, als diejenigen der Liebe!«

»Und welch weisen Rath möchten sie mir ertheilen?« fragte Boabdil mit schwachem Lächeln. »Sprich.«

»So will ich Dir denn gehorchen, selbst wenn ich Dein Mißfallen errege,« rief Amine und erhob sich – die Wange glühend, die Augen leuchtend, die schöne Gestalt gleichsam größer geworden. »Ich bin eine Tochter Granada's, ich bin die Geliebte eines Königs; ich will meiner Geburt und meines Glückes würdig seyn. Boabdil El Chico, Letzter eines Heldengeschlechtes, wirf diese düstern Fantasien, diese Zweifel und Träume, die das Feuer einer großen Natur und einer königlichen Seele ersticken, von Dir! Erwach – steh auf – beraube Granada seines Musa's – sey selbst sein Musa! Glaubst Du an Zauber und Talismane? So grabe sie auf Deinen Harnisch, schreib sie auf Dein Schwert, und lebe nicht länger als der Träumer der Alhambra; werde der Retter Deines Volks!«

Boabdil wendete sich und blickte mit einer Mischung von Staunen und Scham auf die begeisterte, schöne Gestalt vor ihm. »Aus dem Mund eines Weibes kommt meine Zurechtweisung!« sprach er traurig. »Es ist gut!«

»Verzeih, verzeih mir!« rief die Sklavin und fiel ihm demuthsvoll zu Füßen; »aber tadle mich nicht, daß ich Dich gerne würdig Deiner selbst sähe. Wärest Du nicht glücklicher, wäre Dein Herz nicht leichter, Deine Hoffnung kräftiger, wenn an der Spitze Deiner Heere Dein eigener Säbel Deine Feinde schlüge und der Schrecken des Heldenkönigs von den Bergen zu den Meeren dränge? Boabdil, so theuer Du mir bist, so gewiß ich Dich gleich geliebt haben würde, und wärest Du als niedriger Fischer des Darro geboren, – da Du einmal ein König, möchte ich daß Du als König stürbest, sollte auch mein Herz brechen, wenn ich Dich zum letzten Kampfe waffnete.«

»Du weißt nicht was Du sagst, Amine, und kannst Das nicht aussprechen, was Geister, die nicht von der Erde sind, dem Thun der Völkerbeherrscher vorschreiben. Wenn ich säume, wenn ich zaudre, so geschieht Dies nicht aus Angst, sondern aus Klugheit. Die Wolke muß sich ansammeln, dunkel und langsam, ehe der Augenblick für den Blitz herangekommen ist.«

»Auf Dein Haus wird der Blitz fallen, weil Du die Wolke sich über Deinem Hause ansammeln lässest,« sprach eine ruhige, strenge Stimme.

Boabdil fuhr zusammen; im Gemach stand eine dritte Person, in Gestalt einer Frau etwas über den mittleren Jahren, von gebietender Haltung und Miene. Auf ihr lang herabwallendes Gewand von gesticktem Purpur waren Juwelen von königlichem Werth dicht eingewirkt, und ihr schwarzes, leicht von Grau angeflogenes Haar theilte sich über einer hoheitvollen Stirn, während ein kleines Diadem über die Falten des Turbans empor ragte.

»Mutter,« sprach Boabdil mit etwas stolzer Zurückhaltung im Ton, »Deine Gegenwart kommt unerwartet.«

»Ja,« erwiederte Ayxa la Horra, denn wirklich war es diese berühmte und stolze, aber hochherzige Königin, »ja, und unwillkommen. Dies ist der Fall bei all Deinen treuen Freunden. Nicht so unwillkommen war die Gegenwart Deiner Mutter, als ihr Geist und ihre Hand Dich aus dem Kerker befreiten, in welchen Dein strenger Vater Deine Jugend gebannt hatte, aus dem Kerker, wo Dolch oder Gift die einzigen Schlüssel schienen, Deine Zelle aufzuschließen.«

»O besser, Du hättest den unglücklichen Sohn Deines Leibes also in der Jugend, geehrt und beklagt, sterben lassen, als ihn zum Mannesalter herangezogen, wo er mit einem bösen Stern und einem erbarmungslosen Schicksal ringen muß.«

»Sohn,« sprach die Königin, und sah ihn mit halb verächtlichem Mitleid an, »des Menschen Thun selbst schafft seine Schicksale; Unglückliche sind nie tapfer und weise.«

»Königin,« entgegnete Boabdil mit zornigem Erröthen, »noch bin ich König und dulde nicht solche Beschimpfung – hinweg!«

Eh die Mutter antworten konnte, trat ein Eunuch ein und flüsterte Boabdil ins Ohr.

»Ha!« rief Dieser freudig und stampfte mit dem Fuß, »kommt er, dem Löwen in seiner Höhle Trotz zu bieten? Der Empörer sehe sich vor! Ist er allein?«

»Allein, großer König.«

»Laß meine Wache draußen sich bereit halten; beim geringsten Zeichen trete sie ein. Amine fort! Mutter –«

»Sohn,« unterbrach ihn Ayxa la Horra in sichtbarer Bewegung, »vermuthe ich recht? ist der tapfere Musa – das einzige Bollwerk Granada's – den Du vorige Nacht ungerechter Weise in Ketten legen wolltest – (Ketten! großer Prophet! belohnt ein König also seine Helden? –) ist, sag' ich, Musa hier? und willst Du ihn zum Opfer seines eigenen edelmüthigen Vertrauens machen?«

»Zurück Weib!« rief Boabdil streng.

»Ich will nicht; nur Gewalt bringt mich von hier weg! Ich trotzte einer grimmigern Seele, denn der Deinen, als ich Dich von Deinem Vater errettete.«

»So bleib denn, wenn Du willst, und sieh wie Könige Verräther strafen können. Misnur, laß den Helden Granada's ein.«

Amine hatte sich entfernt. Boabdil nahm auf einem Sopha Platz, das Gesicht bleich aber ruhig. Die Königin stand hoch aufgerichtet in geringer Entfernung von ihm, die Arme über die Brust gekreuzt, entschlossenen, festen Blickes. Nach wenigen Sekunden trat Musa ohne Begleitung ein. Er näherte sich dem König mit der tiefen Verbeugung des orientalischen Gehorsams, und blieb dann mit gesenkten Augen in einer Stellung vor ihm stehen, von welcher alle Unterwürfigkeit doch eine natürliche Würde und einen gewissen Stolz der Haltung nicht zu trennen vermochte.

»Prinz,« hob Boabdil nach kurzem Schweigen an, »als ich gestern Morgen nach Dir schickte, trotztest Du meinem Befehl. In meiner eigenen Alhambra brachen Deine Günstlinge in Meuterei aus. Sie umgaben die Feste, worin Du Dich, um meinen Willen zu erwarten, befandest; sie verhöhnten und verjagten meine Leibwache; sie stürmten die Thürme, worauf das Banner Deines Königs weht. Der Schloßvogt, eine Memme oder ein Verräther, gab Dich der meuterischen Rotte zurück. War Dies genug? Nein, beim Propheten! Du, mein rechtmäßiger Gefangener, verließest das Gefängniß nur, um Dich an die Spitze meiner Heere zu stellen. Gestern warst Du der verrätherische Unterthan, der heimliche Feind, der Führer des Volkes, das einem König trotzt, und jetzt kommst Du unaufgefordert zu mir. Du fühlst Dich selbst in meinem Palast sicher vor meinem gerechten Zorn. Deine Frechheit blendet Dich. Mensch, Du bist in meiner Gewalt. He da!«

Damit stand der König auf und Augenblicks waren die Arkaden im Hintergrund des Saales von langen Reihen der äthiopischen Leibwächter angefüllt, deren Körpergröße, selbst wenn man den kleinen Wuchs der Mauren nicht in Anschlag brachte, ans Riesenhafte reichte; stumpfe, leblose Werkzeuge, bereit ohne Gedanken die blutigste wie die unbedeutendste Grille des Despotismus zu vollziehen. Hier standen sie; die silbernen Brustharnische und langen Ohrringe hell abstechend gegen die dunkle Haut; auf den Schultern ungeheure, mit Nägeln beschlagene Keulen. Etwas weiter vorne ihr Anführer, die grauenhafte Bogensenne nachlässig an den Arm gehängt, und aufmerksam auf die geringste Bewegung des Königs lauernd.

»Schau!« sprach Boabdil zu seinem Gefangenen.

»Ich schaue,« versetzte Musa, »und bin auf Das, was ich vorausgesehen, gefaßt.«

Die Königin ward blaß, brach aber das Schweigen nicht.

Musa nahm wieder das Wort:

»Herr der Gläubigen,« sprach er, »wenn ich gestern früh anders gehandelt hätte, so wär' es zum Verderben Deines Throns und unsres gemeinsamen Geschlechts gewesen. Die wilden Zegris argwöhnten und erfuhren meine Verhaftung. Sie wiegelten die Truppen auf, sie befreiten mich, ich leugne es nicht. Hätt' ich in diesem Moment Vernunft zu ihnen gesprochen, so wäre dies ein Tropfe ins Feuer gewesen. Sie gingen damit um, Deinen Palast zu belagern, vielleicht Deine Abdankung zu verlangen. Ich konnte ihre Wuth nicht ersticken, aber ich konnte sie leiten. Im Augenblick der Leidenschaft führte ich sie von der Empörung gegen den gemeinsamen König weg zum Sieg gegen den gemeinsamen Feind. Nachdem ich diese Pflicht vollzogen, kam ich, unverletzt vom Schwert der Christen, meinen Hals der Bogensenne meines Freundes zu entblösen. Allein, ungefordert, unbeargwöhnt bin ich in Deinen Palast getreten, dem Gebieter Granada's zu beweisen, daß der Vertheidiger seines Thrones kein Rebell gegen seinen Willen ist. Jetzt rufe Deine Wachen – ich habe Alles gesagt.«

»Musa!« sprach Boabdil mit gemilderter Stimme, indem er das Gesicht mit der Hand bedeckte, »wir spielten zusammen als Kinder, und ich liebte Dich sehr: mein Königreich geht mir vielleicht verloren, aber ich könnte mich mit diesem Verlust fast versöhnen, wüßte ich, daß Deine Treue nicht von mir gewichen.«

»Hattest Du wirklich Argwohn gegen die Treue Musa's Ben Abil Gasan?« fragte der Prinz mit Erstaunen und Schmerz. »Unglücklicher König! meine Dienste, nicht meine Untreue, hielt ich für mein Verbrechen.«

»Weßhalb haßt mich mein Volk? weßhalb droht mein Heer?« sprach Boabdil ausweichend; »weßhalb ist ein Unterthan im Besitz jener Ergebenheit, die ein König nicht zu erhalten vermag?«

»Weil,« erwiederte Musa kühn, »der König einem Unterthan den Befehl übergeben hat, den er selbst führen sollte. O Boabdil, Freund meiner Knabenjahre, ehe die schlimmen Tage über uns kamen – gern würde ich unter den dunkeln Wellen jenes Stromes zur Ruhe sinken, wenn Dein Arm und Geist meinen Platz unter den Kriegern Granada's ersetzte. Und glaube nicht, ich spreche so blos aus Erinnerung an meine Knabenjahre; glaube nicht, ich habe mein Leben in Deine Hände gestellt blos aus jener knechtischen Unterwürfigkeit gegen einen einzelnen Menschen, welche das falsche Ritterthum der Christen den Rittern und Edlen als heilige Pflicht einschärft. Ich spreche und handle blos aus Einer Triebfeder: – die Religion meiner Väter und das Land meiner Geburt zu retten: dafür hab' ich mein Leben dem Feind entgegengeworfen; dafür übergeb' ich mein Leben dem Beherrscher meines Landes. Noch immer kann Granada fortdauern, falls Herr und Volk sich vereinen. Auf ewig ist Granada verloren, wenn seine Kinder in dieser verhängnißvollen Stunde miteinander zerfallen. Bin also ich, o Boabdil, das wahre Hinderniß gegen Deinen Bund mit Deinen Unterthanen, so überliefre mich unverweilt der Bogenschnur, und mein einziges Gebet soll für diesen letzten Rest des Mauren-Namens und den letzten König des maurischen Herrschergeschlechtes seyn!«

»Mein Sohn, mein Sohn, bist Du endlich überzeugt?« rief die Königin, mit ihren Thränen ringend; denn sie war eine Frau, die leicht über heldenhafte Gesinnungen weinte, nie aber über kleine Sorgen oder weibliche Regungen.

Boabdil erhob das Haupt mit einem fruchtlosen Versuch stolz auszusehen; sein Auge lief von der Mutter nach dem Freund, und seine bessern Gefühle stürzten mit unwiderstehlicher Gewalt über ihn herein: er warf sich in Musa's Arme.

»Vergib mir,« sprach er mit gebrochener Stimme, »vergib mir! Wie konnt' ich Dir also Unrecht thun? Ja,« fuhr er fort, indem er sich von der edeln Brust erhob, an der er sich einen Augenblick einer nicht unmännlichen Weichheit hingegeben; »ja, Prinz, Dein Beispiel beschämt mich, aber es feuert mich an. Granada soll fortan zwei Führer haben, und bin ich neidisch auf Dich, so soll es in Folge einer Nacheiferung seyn, die Du nicht tadeln kannst. Zurück Wachen! Misnur, he, Misnur! Verkünde mit Tagesanbruch, daß ich selbst die Truppen in der Vivarrambla mustern werde. Doch halt« – und seine Stimme schwankte und ein Schatten zog über seine Stirn – »doch halt; komm Du vielmehr mit Tagesanbruch zu mir und ich werde Dir meine Befehle ertheilen.«

»O mein Sohn, warum zaudern?« rief die Königin, »warum schwanken? Führe Deinen königlichen Entschluß aus und …«

»Still, Mutter,« entgegnete Boabdil, seine gewöhnliche Fassung wieder gewinnend, »und weil Du jetzt mit Deinem Sohne zufrieden, so laß mich allein mit Musa.«

Die Königin seufzte tief auf; aber in Boabdils Ruhe lag etwas, das sie eher einschüchterte, als die Ausbrüche seines Affektes. Sie schlug den Schleier um sich und schritt langsam und widerstrebend aus dem Zimmer.

»Musa,« sprach Boabdil, als er allein mit dem Prinzen war, und heftete seinen großen, gedankenvollen Blick auf die dunkeln Augen des Gefährten, »erinnerst Du Dich, wie oft in unsern jüngern Tagen unser Gespräch auf jene geheimnißvollen Gegenstände fiel, welchen die Weisen unseres Ahnenlandes ihre tiefste Wissenschaft weiheten? – die Räthsel der Sterne, die Kunde des Schicksals, die Forschungen in der verhüllten Zukunft, aus welcher die Geschicke der Völker und Einzelnen geboren werden? Du erinnerst Dich, Musa, daß für solche Studien mich die Wechselfälle und Schmerzen meines eigenen Lebens schon in der Kindheit, – daß mich für diese Studien die seltsamen Schicksale, die mir in der Wiege den Namen El Zogoybi gaben, geneigt machen mußten. Auch Du verachtetest dergleichen Beschäftigung und die Wissenschaft unserer Ahnen nicht, obwol Du, mir ungleich, stets mehr zur That als zur Betrachtung Dich neigtest; was Du auch im Innern glauben mochtest, es hatte wenig Einfluß auf Deine Unternehmungen. Mit mir war es anders: jedes Lebensereigniß trug dazu bei, meine früh gefaßten Ansichten zu bestärken, und auf dem jetzigen Wendepunkt meines Geschicks habe ich mich und meinen Thron eher unter die Hut von Geistern als von Menschen gestellt. Dies allein hat mich für die Unthätigkeit – den Lebensschlummer der Alhambra – die Meutereien meines Volkes entschädigt. Ich lächelte wenn Feinde mich umgaben, Freunde mich verließen, denn ich war mindestens – wenn ich nur die glückliche Stunde nicht versäumte – des Zaubers der Schutzgeister und der Schwerter der unsichtbaren Schöpfung gewiß. Du wunderst Dich, wohin Dies endlich führen soll. Höre mich. Vor zwei Nächten« (der König schauderte zusammen) »war ich bei den Todten. Mein Vater erschien mir – nicht wie ich ihn im Leben gekannt, gewaltig und furchtbar, in voller Kraft der Gesundheit und der Herrschermacht – sondern blaß, still, schattenhaft. Mit den Lippen, worauf Asrael sein Sigel gedrückt, gebot er mir, mich zu hüten vor Dir.«

Boabdil hielt plötzlich an und suchte auf Musa's Antlitz die Wirkung seiner Worte zu lesen. Aber die stolzen, gebräunten Züge des Mohren deuteten auf kein getroffenes Gewissen; ein leichtes Lächeln des Mitleids mochte über seine Lippe hingezuckt seyn, aber es verschwand, ehe der König es bemerken konnte. Dieser fuhr fort:

»Auf diese Warnung hin gab ich den Befehl Deiner Verhaftung. Doch berühren wir Dies nicht weiter und laß mich in meiner Erzählung fortfahren. Ich wollte mich dem Gespenst zu Füßen werfen – es entglitt mir, bewegungslos und unfaßbar. Ich fragte den Todten, ob er seinem unglücklichen Sohn die Sünde der Empörung vergebe. Und abermals ertönte seine Stimme und hieß mich, als einzige Sühne für das Geschehene, die erlangte Krone behalten. Dann fragte ich, ob die Stunde zur That jetzt gekommen, und das Gespenst sprach, indem es mälig in die Luft zerfloß: ›Nein.‹ O, rief ich, eh Du mich verlässest, sey mir ein Zeichen gewährt, daß diese Erscheinung kein Traum war, und gib mir Kunde, wann Boabdils böser Stern seinen Einfluß verliert und ich, ohne Widerstreben der Mächte da oben, für Ruhm und Thron fechten darf. ›Das Zeichen und die Kunde sey Dir gegönnt,‹ sprach das gespenstische Bild. Es verschwand – dichte Finsterniß umhüllte mich, und als der Schimmer der Lampen wieder durchdrang, stand ein Gerippe vor mir im Königsmantel Granada's, und auf seinem schauderigen Haupt ruhte das Sultansdiadem. Mit der einen Hand wies es nach der gegenüber stehenden Wand, woran wie eine Scheibe glühenden Feuers ein breites Zifferblatt brannte, auf welchem die Worte »Hüte Dich,« »Fürchte nichts,« »Waffne Dich« standen. Der Zeiger des Blattes fuhr rasch umher und blieb auf den Worten »Hüte Dich« stehen. Von da an bis zur Stunde wo ich zum Letztenmal nach ihm gesehen, hat sich der Zeiger nicht weiter bewegt. Musa, ich bin fertig; willst Du mit mir in das bezauberte Gemach treten und sehen, ob die Stunde gekommen?«

»Gebieter der Gläubigen,« antwortete Musa, »Deine Geschichte ist furchtbar und schaudererregend. Aber verzeihe Deinem Freund – warst Du allein, oder war der Santon Almamen bei Dir?«

»Weßhalb diese Frage?« erwiederte Boabdil ausweichend und sichtbar erröthend.

»Ich habe Argwohn gegen seine Treue,« entgegnete Musa. »Der Christenkönig besiegt mehr Feinde durch List als durch Gewalt, und seine Spione sind gefährlicher als seine Krieger. Weßhalb diese Verdächtigung meiner, als (verzeihe mir) zu Deinem eigenen Untergang? Wär' ich wirklich ein Verräther, hätte dann Ferdinand selbst Deine Krone in so unmittelbare Gefahr setzen können, als die Rache Deines Heerführers Dies gethan haben würde? Weßhalb ferner dieser Wunsch, Dich unthätig zu erhalten? Für den Tapfern läßt jede Stunde dem Glück Raum; für uns aber vergrößert jede Stunde unsere Gefahr. Benutzen wir nicht die Gegenwart, so wird uns die Zufuhr abgeschnitten und der Hunger ist ein Feind, dem all unser Muth nicht zu widerstehen vermag. Dieser Derwisch – wer ist er? ein Fremder, nicht von unserem Stamm und Blut. Noch diesen Morgen fand ich ihn außerhalb der Mauern, unfern dem spanischen Lager.«

»Ha!« rief der König schnell, »und was sagte er?«

»Weniges und nur andeutungsweise, indem er sich durch diese Andeutungen unter Deinen Namen zu bergen suchte.«

»Und was deutete er an? – worin bestanden seine Winke?«

Hier berichtete Musa seine Unterredung mit Almamen, dessen Verhaftung, dessen Unthätigkeit im Gefecht und endlich die Gefangennehmung durch die Spanier. Der König hörte aufmerksam zu und gewann seine Ruhe wieder.

»Es ist ein seltsamer, furchtbarer Mann,« sprach er nach einer Pause. »Wachen und Ketten werden ihn nicht zurückhalten. In Kurzem wird er wieder da seyn. Aber mindestens Du, Musa, bist fortan gesichert gegen die Beargwöhnung der Lebenden, wie die Warnungen der Todten. Nein, es ist besser eine Krone, ja das Leben selbst, zu verlieren, als das Vertrauen auf ein Herz, wie das Deinige. Komm, laß uns von der magischen Tafel Einsicht nehmen; vielleicht – und wie klopft meine Brust, indem ich diese Hoffnung ausspreche, – ist die Stunde endlich gekommen!

Viertes Kapitel.

Tieferer Blick in Boabdils Charakter. – Musa in den Gärten seiner Geliebten.

 

Musa Ben Abil Gasan kehrte mit gedankenvollem und bedrücktem Gemüthe von Boabdil zurück. Seine Vorstellungen hatten den König nicht dahin zu bringen vermocht, daß er dem Gebot der magischen Tafel trotzte, die ihm einen persönlichen Kampf gegen die Belagerer noch stets untersagte; und wenn ihm die königliche Gunst auch nicht länger entzogen blieb, so fühlte er doch wohl, daß diese Gunst sehr eigensinniger und unsicherer Art blieb, so lange sein Gebieter der Sklave eines Aberglaubens oder einer Betrügerei war. Doch der edle Krieger, dessen Charakter das Unglück seines Landes, während es seinen natürlichen Muth steigerte, wunderbar erhoben und verschönert hatte, dachte weniger an sich, als an die Uebel, welche des Königs fortwährende Unentschlossenheit über Granada selbst bringen mußte.

»So muthvoll und doch so schwach,« sprach er; »so schwach und doch so eigensinnig; so richtig im Denken und doch ein so leichtgläubiges Spielwerk Anderer! Unglücklicher Boabdil! wirklich scheinen die Sterne gegen dich zu kämpfen; ihr Einfluß auf deine Geburt verdarb alle deine Gaben und Tugenden durch entgegenwirkende Schwäche und Befangenheit.«

Musa ließ – mehr vielleicht als irgend ein Unterthan in Granada, – dem wirklichen Charakter des Königs Gerechtigkeit widerfahren, aber selbst er vermochte nicht, in all dessen verwickelte Geheimnisse einzudringen. Boabdil war kein gewöhnlicher Mensch; sein Herz war warm und edel, seine Natur still und freundlich, und hatten auch frühe Gewalt und die schmerzlichen Erfahrungen, die er an einem meuterischen Volke und einem undankbaren Hofe gemacht, dieser Natur eine Reizbarkeit und eine Neigung zum Argwohn mitgetheilt, die ihrem sonstigen Wesen nicht angehörten, so ließ er sich doch leicht zum Edelmuthe und zur Gerechtigkeit zurückführen. So hitzig sein Zorn, so großmüthig zeigte sich sehr oft sein Verzeihen. Tief eingeweiht in die ganze Bildungssphäre seiner Zeit und seines Volkes war er – mindestens so lang er las – ein Philosoph, und wirklich lag in seiner Neigung zu den abstraktern Studien eine der Hauptursachen, die ihn für seine jetzige Stellung untauglich machten. Freilich aber waren es nur die besonderen Verhältnisse seiner Geburt und Kindheit, was seinen scharfen, schönen Geist zur krankhaften Schwelgerei in mystischen Träumen und zu all den Zweifeln, zu jener Furcht und Unentschlossenheit eines Menschen verzerrt hatte, der in die übernatürliche Welt einzudringen strebt. Dunkle Prophezeiungen sammelten sich über seinem Haupt; einhellig betrachtete man ihn als geboren für ein unglückliches Geschick. So oft er sich bestrebt hatte, gegen feindliche Umstände anzukämpfen, war durch irgend eine scheinbar zufällige, plötzlich hereinbrechende Ursache seine kräftigste Anstrengung, die Frucht seiner überlegtesten Klugheit, zu Schanden geworden. So setzte sich allmälig eine düstere Wolke über seinem Gemüth fest; aber im Geheimen an dem mohammedanischen Glauben zweifelnd, und zu stolz und zu lebendig, um sich gänzlich und widerstandlos der Lehre einer unvermeidlichen Vorausbestimmung hinzugeben, suchte er sich gegen die Plane feindlicher Dämonen und die Verkündung der Sterne nicht durch menschliche, sondern durch geistige Waffen zu vertheidigen. Die Seher und Magier, denen der orientalische Fanatismus huldigt, um sich versammelnd, lebte er in den Visionen einer anderen Welt, und geschmeichelt durch die Verheißungen von Betrügern oder Träumern, getäuscht durch seine eigene spitzfindige, brütende Geistesart, vermeinte er durch Zauber und Kabala des großen Geheimnisses theilhaftig zu werden, das ihn aus den Netzen seiner übernatürlichen Feinde erretten, und ihm die Freiheit der anderen Menschen geben sollte, die gegen Gefahr und Widerwärtigkeiten kämpfen dürfen, ohne im Voraus zum Unterliegen bestimmt zu seyn. Dadurch hatte Almamen die Herrschaft über Boabdils Gemüth gewonnen, denn dieser, der in Dingen von gewöhnlichem und irdischem Belang oder von gesunder Wissenschaft mit Weisen streiten konnte, konnte, wo der Aberglaube ins Spiel kam, von einem Kind geäfft werden. Er war hierin eine Art Hamlet: geschaffen, um unter glücklichen und heitern Verhältnissen Segen zu verbreiten und Ruhm zu erndten, war er unter den erstarrenden Schatten einer andern Welt gefallen, war seine Seele in sich selbst zurück gekrümmt, sein Leben von demjenigen der großen Heerde geschieden, durch Zweifel und Beklommenheit rückwärts gedrängt, während ihn die Umstände vorwärts stießen; in Folge eines ungewöhnlichen Schicksals von einer seltsamen Philosophie beherrscht, die sich nicht an menschliche Wirkungen und menschliches Thun hielt, wurde er bei allen Gaben, die veredeln und schmücken können, immer wieder zu jener moralischen Imbecillität eingeschüchtert, welche fast jederzeit das Ergebniß ist, wenn Sterbliche in den unheimlichen Regionen des Geisterhaften und Unbekannten forschen wollen. Ueberdies hatten die trübern Färbungen seines Geistes ihre Schatten auch durch heimliche Reue bekommen. Um das eigene, von seinem unnatürlichen Vorgänger beständig bedrohte Leben zu retten, war er früh zur Empörung gegen seinen Vater getrieben worden. Alt, schwach und blind wurde dieser Wütherich von seinem Bruder, El Zagal, dem Theilnehmer an Boabdils Aufstande, in Salobrena zum Gefangenen gemacht, und da er schnell starb, argwöhnte man in El Zagal seinen Mörder. Hatte Boabdil an diesem Frevel auch keinen Theil, so fühlte er sich doch als Mitschuldigen der Ursachen, welche den Mord nach sich gezogen, und diese düstre Erinnerung, die auf seinem Gewissen haftete, trug dazu bei, seine Superstition zu nähren, und die Kraft seiner Entschlüsse zu schwächen; denn unter Allem, was einen Menschen zum Träumer macht, ist nichts so wirksam, als Reue, die auf ein nachdenkliches Gemüth drückt.

Den Charakter seines Gebieters überdenkend und den Fall seines Landes trübe vorausahnend, setzte der junge Held Granadas seinen Weg fort, bis seine Schritte, beinah ohne daß er selbst darum wußte, ihn zu Leilas Wohnung geführt hatten. Wie früher, stieg er über die Gartenmauer und näherte sich dem Haus. Alles war still und öde; sein Zeichen blieb unbeantwortet, sein leiser Gesang zog kein dankendes Licht an das Fenster, keinen leisen Fußtritt auf den Balkon. Niedergeschlagen und schweren Herzens verließ er den Ort und warf sich, heimgekehrt, auf ein Lager, dem alle Mühen des vergangenen Tages die Vergessenheit des Schlafes nicht zuzuführen vermochten. Das Geheimniß, welches den Gegenstand seiner Huldigungen einhüllte, die Seltenheit der gegenseitigen Zusammenkünfte, und die romantische Poesie, die einen Grundzug im Ritterthum der spanischen Mauren bildete, hatten der Liebe Musas zu Leila eine Tiefe der Leidenschaft mitgetheilt, die in der heutigen Zeit und unter den entnervendern Himmelsstrichen den mohammedanischen Liebhabern unbekannt geworden ist. Seine schärfsten Forschungen hatten den Schleier, der über Geburt und Stand der Geliebten ausgebreitet war, nicht zu lüften vermocht. In der Nachbarschaft wußte man wenig über die Bewohner jenes einsamen, wohl gehüteten Hauses zu sagen; die einzige Person, die man häufig außerhalb seiner Mauern sah, war ein alter Mann jüdischen Glaubens, den man für den Aufseher der »fremden« Sklaven hielt (denn keinem mohammedanischen Sklaven würde die Schmach zugemuthet worden seyn, sich unter einen Juden zu stellen); und wenn auch Gerüchte von dem ungeheuren Reichthum und der üppigen Pracht, die im Innern des Gebäudes bemerklich seyen, umherliefen, so galt dasselbe doch allgemein als Wohnung eines abwesenden Emirs, und das Interesse der Plauderer war im Augenblick durch wichtigere Dinge in Anspruch genommen, als die Angelegenheiten eines Nachbars. Als jedoch am folgenden und am nächstfolgenden Abende Musa abermals fruchtlos zu dem Ort zurückkehrte, konnte er seine Ungeduld und Angst nicht länger bemeistern. Er beschloß, das Thor des Hauses Tag und Nacht zu belauschen, bis er irgend Jemand von dessen Bewohnern entdecken würde, den er um die Geliebte befragen und vielleicht zur Förderung seiner Zwecke erkaufen könnte. Als er mit diesem Entschluß um das Gebäude her schlich, sah er eine gebeugte, abgelebte Gestalt aus dem Thörchen eines Seitenflügels schleichen: sie unterstützte ihre Schritte durch einen Stab, und als sie sofort den Garten betretend neben einem Brunnen anhielt, um beim Mondlicht Blumen und Kräuter zu pflücken, glaubte er beinah einen Ghul oder Vampir zu erblicken, wie sie an den Gräbern herumspucken. Er lächelte über seinen eigenen Schauder, eilte mit schnellem, leisen Tritt durch die Bäume, und hatte dem greisen, abwärts gebeugten Mann die Hand auf die Schulter gelegt, ehe seine Gegenwart von diesem bemerkt wurde.

Ximen, denn er war es, sah empor, und ein schwacher Ausruf des Schreckens entfuhr ihm.

»Still,« sagte Musa, »fürchte Dich nicht; ich bin ein Freund. Du bist alt, Mensch – Geld ist den Bejahrten immer willkommen.« Damit warf er mehrere große Münzen in den Busen des Juden, dessen gespensterhafte Züge sich beim Empfang der Gabe zu einem noch gespenstischern Lächeln verzogen.

»Wohlthätiger junger Mann,« murmelte er, »großmüthiger, trefflicher junger Mann!«

»Nun denn,« erwiederte Musa, »so sag mir – du gehörst diesem Hause an – Leila, das Mädchen da drinnen – sag mir von ihr – ist sie wohl?«

»Hoffentlich, edler Herr, hoffentlich!«

»Hoffentlich? weißt Du nichts Gewisses über ihr Befinden?«

»Nein; habe sie seit mehreren Tagen nicht gesehen, vortrefflicher Herr. Hat Granada verlassen, ist fort. Ihr verliert Eure Zeit und verderbt Eure kostbare Gesundheit in diesem Nachthau; ist ungesund, sehr ungesund zur Zeit des Neumonds.«

»Fort! Granada verlassen! – und wohin? – Da! da! noch mehr Gold, Alter! sag mir wohin?«

»Ach! ich weiß es nicht, höchst großmüthiger junger Mann; ich bin bloß ein Knecht, ich weiß nichts.«

»Kehrt sie zurück?«

»Kann es nicht sagen.«

»Wer ist Dein Herr? wem gehört dieses Haus?«

Ximen schlug die Augen nieder; er blickte zweifelhaft und ängstlich umher und antwortete nach kurzem Stillschweigen; »ein reicher Mann, guter Herr, ein Maure aus Afrika; aber auch er ist fort; er kommt nur selten zu uns; Granada ist kein so friedlicher Aufenthalt mehr, wie ehedem. Ich ginge auch, wenn ich könnte.«

Musa ließ Ximens Arm los, der in das bewegte Antlitz seines Befragers mit boshaftem Lächeln sah – denn Ximen haßte alle Menschen.

»Du bist fertig mit mir, junger Krieger? Angenehme Träume unter dem Neumond! – Du thätest am besten, Dich zur Ruhe zu legen. Leb wohl! Segen über Deine Milde gegen den armen alten Mann!«

Musa hörte ihn nicht; bewegungslos blieb er einige Zeit stehen, dann sprach er halblaut mit einem tiefen Seufzer, wie Jemand, der die Herrschaft über sich selbst nach hartem Kampf wieder gewonnen: »Allah sey mit Dir, Leila! Granada ist jetzt meine einzige Geliebte!«

Fünftes Kapitel.

Boabdils Versöhnung mit seinem Volke.

 

Mehrere Tage waren ohne irgend ein Zusammentreffen zwischen Mohren und Christen verflossen, denn Ferdinands kalte, nüchterne Regentenklugheit, gewarnt durch den von Musa ihm beigebrachten Verlust, hielt jetzt die feurigen Gemüther, die er befehligte, unter der strengsten Vorsicht. Er verbot alle Scharmützel, in welchen die Mauren bisher wirklich fast immer die Oberhand gewonnen hatten, und begnügte sich, alle Pässe zu besetzen, auf welchen der belagerten Stadt Mundvorrath zukommen konnte. Um das Lager ließ er starke Befestigungen aufwerfen, und forderte so, während er einen Angriff auf die Mauren untersagte, diese zu einem solchen gegen sich heraus.

Mittlerweile war Almamen nicht nach Granada zurückgekehrt. Keine Nachricht über sein Schicksal gelangte zu dem König, und seine fortdauernde Abwesenheit fing an heilsame Wirkungen auf die lange in Schlummer gelegene Kraft Boabdils zu üben. Die Rathschläge Musas, die Ermahnungen der Königin Mutter, und die Begeisterung Amine's, durch keine Kunstgriffe des Zauberers im Schach gehalten, weckten den Löwen, der in der Natur des Monarchen schlief. Aber immer noch murrten sein Heer und seine Unterthanen gegen ihn, und sein Erscheinen in der Vivarrambla mochte immer noch das Zeichen zu einer Empörung werden. In diesem Augenblick führte ihm ein höchst glücklicher Umstand auf Einmal das Vertrauen und die Liebe seines Volkes wieder zu. Sein wilder Oheim – El Zagal – einst der Nebenbuhler um seine Krone, dem Kühnheit, reifes Alter und kriegerischer Scharfblick eine mächtige Partei in der Stadt gewonnen hatten – war vor einigen Monaten von Ferdinand unterworfen und für sein den Spaniern abgetretenes Land mit einer unfruchtbaren Gegend als Lehn entschädigt worden. Seine Besiegung, weit entfernt, dem Boabdil einen Nutzen zu bringen, hatte vielmehr die Mauren gegen ihren König erbittert. »Denn,« rief man mit fast Einer Stimme, »der tapfre El Zagal würde nicht unterlegen seyn, wäre ihm Boabdil gehörig zu Hülfe gekommen!« Und in der That war es die Wuth des Volkes über El Zagals Niederlage, was dem Boabdil bisher noch als die vernünftigste Entschuldigung für sein Einschließen in die feste Alhambra gedient hatte. Jetzt geschah es aber, daß El Zagal, dessen Hauptleidenschaft in dem Haß gegen seinen Neffen bestand, und dessen unbändige Natur gegen seinen engen Käfig tobte, beschloß, in seinem hohen Alter allen frühern Ruhm durch unverhohlenen Verrath gegen sein Vaterland zu zerstören. Alles über der Rachelust gegen den Neffen, der seinen Fall theilen sollte, vergessend, waffnete er seine Untertanen, durchzog das Land und erschien an der Spitze einer stattlichen Schaar im spanischen Lager, ein Verbündeter Ferdinands gegen Granada. Als die Mauren dies wahrnahmen, war ihre Entrüstung unbeschreiblich; der Frevel El Zagals rief eine plötzliche Reaktion zu Gunsten Boabdils hervor; die Menge umringte die Alhambra und flehte mit Bitten und Thränen um die Verzeihung des Königes. Dieses Ereigniß vollendete den Sieg des Zaudernden über seine eigene Unentschlossenheit. Er ließ eine Versammlung des ganzen Heeres auf dem großen Platz der Vivarrambla ansagen, und als er hier mit Tagesanbruch in voller Rüstung erschien, Musa an der Hand führend, er selbst in der Blüte jugendlicher Schönheit und stolz sich wieder einmal einen Helden und König zu fühlen, kannte die Freude des Volkes keine Grenzen mehr; die Luft erhallte vom Geschrei: »Hoch lebe Boabdil el Chico;« und der junge Fürst rief, sich gegen Musa wendend, seine ganze Seele auf den begeisterten Zügen, aus: »die Stunde ist gekommen – ich bin nicht mehr El Zogoybi!«

Sechstes Kapitel.

Leila. – Ihr neuer Verehrer. – Bild des ersten spanischen Inquisitors. – Der Schmerzenskelch kehrt zu den Lippen Almamens zurück.

 

Während die Ereignisse in Granada sich also gestalteten, versetzt uns der Gang unserer Erzählung ins christliche Lager zurück. In einem der Zelte, die in langer Reihe das Gezelt Isabellens umgaben, einem Zelte, welches den Frauen im Dienste der Königin angehörte, saß ein junges Mädchen allein. Bereits ließ sich die Abenddämmerung nieder und nur die Umrisse der Gestalt und der Züge blieben sichtbar. Aber schon diese, nur undeutlich gesehen, – das gebeugte Haupt, die auf den Knieen zusammengefalteten Hände – reichten zum Belege hin, daß die Träumerei, worin die Einsame versunken schien, von melancholischer Natur sey.

»Ach,« dachte sie, »welcher Gefahr bin ich ausgesetzt! Könnten mein Vater, mein Geliebter von den Verfolgungen träumen, denen ihre arme Leila preisgegeben ist!«

Ein paar große, bittere Thränen brachen aus ihren Augen und schlichen unbeachtet ihre Wangen herab. In diesem Momente ließ sich das tiefe, wohllautende Geläute einer Glocke hören, welche die Führer des Heeres zum Gebet rief; denn Ferdinand überkleidete all seine weltlichen Pläne mit dem Mantel der Religion, und suchte seinem staatsklugen Krieg den imponirenden Charakter eines heiligen Kreuzzuges zu geben.

»Dieser Klang,« dachte sie, und sank auf die Kniee, »lädt die Nazarener in die Gegenwart ihres Gottes. Er erinnert mich, eine Gefangene an den Wassern Babylons, daß Gott immer mit den Freundlosen ist. O hilf mir und schirme mich, Du der auf Ruth schautest, als sie unter den Aehren stand, und über Dein erwähltes Volk wachtest in der hungrigen Wüste und im Lande der Fremden.«

In stumme, inbrünstige Andacht versenkt blieb Leila lange in ihrer rührenden Stellung. Die Glocke hatte aufgehört; Alles draußen war still und lautlos, als der Vorhang vor dem Eingange in das Zelt weggeschoben wurde und ein junger Spanier, von Kopf zu Fuß in einen Mantel gehüllt, hereintrat. Schweigend blickte er auf das kniende Mädchen, und erst als sie sich erhob, machte er seine Gegenwart bemerklich.

»Ah Reizendste,« rief er und suchte ihre Hand zu fassen, »Du willst meine Briefe nicht beantworten – so sieh mich denn zu Deinen Füßen. Du bist es, die mich das Knien lehrt!«

»Ihr, Prinz?« fragte Leila bewegt und in augenscheinlicher, großer Angst; »warum mich also beunruhigen und beleidigen? Bin ich nicht ein geheiligtes Wesen – ein Pfand und eine Geisel? und sollen mir Name, Ehre, Friede, Alles was einem Weib für das Theuerste gilt, also geraubt werden unter dem Titel einer Liebe, die entehrend für Euch und eine Schmach für mich selbst ist?«

»Süße,« erwiederte Don Juan mit leichtem Lachen, »Du hast in den Mauern da drüben eine Sittenlehre erhalten, wovon sonst die Mohrenmädchen, falls das Gerücht ihnen nicht Unrecht thut, wenig wissen. Erlaub mir, Dich eine leichtere Moral und eine gesündere Logik zu lehren. Es ist nicht entehrend für einen christlichen Prinzen, eine Schönheit, wie Du, anzubeten; es ist keine Schmach für ein als Geisel gegebenes Mädchen, wenn der Infant Spaniens ihr die Huldigung seines Herzens darbringt. Doch wir verlieren Zeit. Aufpasser, neidische Zungen und wachsame Augen sind um uns her, und nicht oft kann ich sie so vermeiden, wie ich jetzt gethan habe. Schönste, höre mich!« – und diesmal gelang es ihm, die Hand zu fassen, die vergebens gegen seine Umschlingung ankämpfte – »warum so spröde? was kann ein weibliches Herz wünschen, das ich, mein Liebchen, nicht auf Dich ausschütten könnte? Sprich nur ein Wort, und ich will Dich aus dieser Umgebung wegtragen, die für Deine zarten Augen sich nicht gebührt, zauberisches Mädchen. Unter dem Zelt von Fürsten sollst Du ruhen, und in Gärten von Orangen und Rosen auf die Schwüre Deines Anbeters horchen. In diesen Armen wirst Du Dich nach keiner Barbarenheimat, keiner dem Schicksal verfallenen Stadt zurücksehnen. Und macht Dich Dein Stolz taub gegen die Stimme der Natur, so wisse, daß die edelsten Frauen Spaniens sich in eifersüchtiger Demuth vor der Geliebten ihres künftigen Beherrschers beugen werden. Diese Nacht – höre mich – höre sag' ich – diese Nacht will ich Dich von hier wegbringen! Sey nur die Meine, und gleichviel, ob Du ketzerisch oder ungläubig seyest, oder wie der Priester Dich nennen mag: weder Kirche noch König sollen Dich von der Brust Deines Freundes reißen.«

»Wohl gesprochen, Sohn des allerchristlichsten Königs!« bemerkte eine tiefe Stimme, und der Dominikaner Thomas de Torquemada stand vor dem Prinzen.

Juan, wie von einem Donnerstreich getroffen, ließ die Hand fahren, taumelte einige Schritte zurück und schien sich beschämt und gedemüthigt vor dem Auge des Priesters verkriechen zu wollen.

»Prinz,« hub der Mönch nach einer Pause wieder an, »nicht Euch wird unsere heilige Kirche diesen Frevel zurechnen; Euer frommes Herz ist durch Zauberkunst geblendet worden. Entfernt Euch.«

»Vater,« erwiederte der Prinz mit einem Ton, in welchen sich, trotz seiner Scheu vor diesem furchtbaren Manne, dem ersten Großinquisitor Spaniens, sein leichtfertiger Geist in halb verstecktem Spotte unwillkührlich mit eindrängte, »Zauberei aus Augen, wie diese, blendete den weisen Sohn eines noch frömmern Vaters, als selbst Ferdinand von Arragonien.«

»Er lästert Gott,« murmelte der Mönch. »Prinz, hütet Euch, Ihr wißt nicht, was Ihr thut.«

Der Prinz zauderte; dann, wie sich erinnernd, daß er hier nachgeben müsse, hüllte er den Mantel um sich und verließ das Zelt ohne eine Antwort.

Blaß und zitternd – mit einer vielleicht nicht minder empfindlichen, wenn auch unbestimmtern und verwirrtern Angst, als diejenige, aus welcher sie so eben befreit worden, – stand Leila vor dem Mönch.

»Setze Dich, Tochter des Ungläubigen,« sprach Torquemada, »wir möchten uns mit Dir unterreden, und, so lieb Dir – ich sage nicht Deine Seele, denn ach, von dem Werth dieses Schatzes weißt Du nichts – aber merk mich, Weib, so lieb Dir die Erhaltung dieser zarten Glieder und dieser gehaltlosen Schönheit ist, beantworte mir wahr, was ich Dich fragen werde. Der Mann, der Dich hierher gebracht hat – ist er Dein Vater?«

»Ach,« entgegnete Leila fast ohnmächtig vor Schrecken über diese rauhe, drohende Anrede, »er ist in Wahrheit mein einziger Verwandter.«

»Und sein Glaube – seine Religion?«

»Ich habe ihn nie beten sehen.«

»Hm! er betet nie – ein bemerkenswerther Umstand! Aber zu welcher Sekte, welchem Glauben bekennt er sich?«

»Das kann ich Dir nicht beantworten.«

»He, es gibt Mittel, die Dir eine Antwort abtrotzen können. Mädchen, sey nicht so hartnäckig; sprich! glaubst Du, er diene dem Tempel des Mohammedaners?«

»O nein, nein!« rief die arme Leila lebhaft aus, glaubend, in diesem Punkt mindestens werde ihre Antwort angenehm seyn. »Er verwirft, er verachtet, er verabscheut den Maurenglauben, mit« (setzte sie bei) »fast allzuwildem Eifer.«

»Du theilst also diesen Eifer nicht? Nun, verehrt er im Geheimen die christlichen Gebräuche?«

Leila senkte den Kopf und antwortete nicht.

»Ich verstehe Dein Stillschweigen. Und in welchem Glauben, Mädchen, wurdest Du unter seinem Dach aufgezogen?«

»Ich weiß nicht, wie man denselben unter den Menschen nennt,« erwiederte Leila mit einiger Festigkeit, »aber es ist der Glaube an den Einen Gott, der seine Erwählten beschützt und ihre Leiden rächen wird – den Gott, der Erde und Himmel geschaffen und in einer götzendienerischen und umnachteten Welt die Kunde von sich und seinen heiligen Geboten von Jahrhundert zu Jahrhundert durch den Mund eines einzigen Volkes in den Ebenen Palästina's und an den Bächen des Hebron fortgeleitet hat.«

»Und in diesem Glauben wardst Du von Deinem Vater erzogen, Mädchen?« bemerkte der Dominikaner ruhig. »Ich habe genug. Bleib hier in Frieden, wir sehen uns vielleicht bald wieder.«

Die letzten Worte wurden mit einem sanften, ruhigen Lächeln gesprochen, – einem Lächeln, worin starrende Augen und brechende Herzen oft das Vorzeichen der Folter und des Holzstoßes gesehen hatten.

Von der unglücklichen Leila scheidend, schlug der Mönch seinen Weg zu dem benachbarten Zelt Ferdinands ein. Eh er jedoch dasselbe erreicht hatte, schien ein neuer Gedanke den heiligen Mann zu durchzucken; er änderte die Richtung seiner Schritte und nahte einem jener kleinen, in katholischen Ländern gewöhnlichen Feldaltäre, der inmitten eines Gebüsches, neben einem murmelnden Bach, hinter dem königlichen Zelt, schnell von Holz aufgeführt worden war. Nur eine einzige Wache, am Eingang in den Busch, hütete den heiligen Ort, dessen ausnehmende Einsamkeit und Stille einen angenehmen Gegensatz mit der belebten Welt des umgebenden Lagers bildeten. Der Mönch trat vor den Altar und fiel vor einem rauh geschnitzten, aber reich geschmückten Bild der heiligen Jungfrau auf die Kniee nieder.

»Ach heilige Mutter,« seufzte dieser seltsame Mensch, »stärke mich in der Prüfung, die mir bestimmt ist. Du weißt, daß der Ruhm Deines gebenedeiten Sohnes der einzige Zweck ist, für den ich lebe und webe und mein Daseyn habe; aber zuweilen wird der Geist von der Schwäche des Fleisches angesteckt. Ora pro nobis, o Mutter der Gnade! Wahrlich, oft entsinkt mir der Muth, wenn es meines Amtes ist, die Ehre Deiner heiligen Sache an Jugend und Zartheit, an Alter und Schwäche zu rächen. Doch was sind Schönheit und Jugend, graue Haare und zitternde Kniee in den Augen des Schöpfers? Elende Würmer sind wir Alle, und nichts ist wohlgefällig vor dem Angesicht Gottes, als die Herzen der Gläubigen. Jugend ohne Glauben, Alter ohne Frömmigkeit, Reinheit ohne Gnade, Tugend ohne Heiligkeit sind durch ihre scheinbare Schönheit nur um so abscheulicher – angeweißte Gräber, glänzender Moder! Ich weiß das, ich weiß das, und doch ist der irdische Mensch mächtig in mir. Kräftige mich, daß ich ihn ausreiße; also daß durch unablässigen Kampf mit dem schwachen Adam Dein Knecht zu einer bloßen Maschine umgewandelt werde, die Gottlosen zu bestrafen und die Kirche zu fördern.«

Hier erstickten Seufzer und Thränen die Rede des Dominikaners; er krümmte sich in den Staub, er zerriß sein Haar, er heulte laut; der Kampf war grimmig in ihm. Endlich zog er eine Geißel, bestehend aus mehrfachen, mit kleinen scharfen Nägeln besetzten Schnüren, aus dem Gewand hervor, streifte dieses und das unter demselben befindliche härene Hemd über die Schultern hinab und ließ die Peitsche mit einer Wuth auf das nackte Fleisch fallen, welche bald den grünen Rasen mit dicken Blutklumpen bedeckte. Die Erschöpfung, welche dieser furchtbaren Buße folgte, schien die Sinne des wilden Schwärmers wieder ins Gleichgewicht zu bringen; ein Lächeln flog über seine Züge, welche nur körperlicher Schmerz von dem angstvollen Ausdruck geistiger Krämpfe befreite; und als er sich erhob und das härene Hemd über das zerrissene, bebende Fleisch zog, sprach er: »Jetzt hast Du mich zu trösten und bei mir einzukehren gewürdigt, erbarmungsreiche Mutter, und wie durch diese Strenge gegen meinen elenden Leib der Geist erlöst und beruhigt worden, so gibst Du ein Zeichen und Sinnbild, daß die Leiber der Menschen von Denen nicht geschont werden dürfen, welche Seelen zu retten und die Völker der Erden in Deinen Pferch zu bringen sich angelegen seyn lassen.«

Damit nahm Torquemadas Gesicht den gewohnten strengen und affektlosen Ausdruck wieder an, und die noch mit Blut besprühte Geißel wieder in den Busen schiebend verfolgte er seinen Weg zum Zelt des Königs.

Er fand Ferdinand über der Kostenberechnung seines Kriegszuges, die ihm der Schatzmeister so eben überbracht hatte, und die Stirne des bei aller Liebe zum Schaugepräng sehr haushälterischen Fürsten war durch die Ueberlesung ziemlich düster geworden.

»Bei den Bullen Guisandos!« rief er ernst, »ich erkaufe das Seelenheil meines Heeres in diesem heiligen Krieg um einen verzweifelt hohen Preis! Leisten die Ungläubigen noch länger Widerstand, so werden wir unser ganzes Arragonien verpfänden müssen.«

»Sohn,« erwiederte der Dominikaner, »bei Zwecken, wie der Deinige, liefert die Vorsehung die weltlichen Mittel nicht. Aber was zweifelst Du? Liegen die Mittel nicht in Deinem Bereich? Es ist billig, daß Du nicht allein den Krieg bestreitest, durch welchen die ganze Christenheit verherrlicht wird. Gibt es nicht noch Andere als Dich?«

»Ich weiß, was Du sagen willst, Vater,« unterbrach ihn schnell der König, »Du willst andeuten, daß die andern Regenten mich mit Waffen und Geld unterstützen sollten. Sehr billig! Aber sie sind geizig und scheelsüchtig, Thomas, und Mammom hat sie befleckt.«

»Nein, nicht auf Könige ging mein Gedanke.«

»Nun, so wolltest Du mir denn bemerklich machen,« entgegnete Ferdinand eifrig, »daß meine eigenen Ritter und Edeln ihre Kassen darbieten und ihre Besitzungen verpfänden sollten. Und freilich sollten sie's; aber schon jetzt murren sie über das, was sie unserem Bedürfnisse dargebracht.«

»Und wirklich,« antwortete der Mönch, »sollten diese edeln Krieger eines Glanzes nicht beraubt werden, der den tapfern Verteidigern der Kirche wohl geziemt. Nein, höre mich, Sohn, und ich will Dir ein Mittel eingeben, wodurch nicht die Freunde, sondern die Feinde des katholischen Glaubens zum Sturz des Heidenthumes beitragen werden. In Deinen Besitzungen, besonders den neu gewonnenen, in Andalusien, im Königreich Cordova, gibt es Leute von ungeheurem Reichthum; bis in die Tiefen der Erde hinab sind die Schätze ausgesät, die sie christlichen Händen geraubt haben und, ihre Unthat fortsetzend, jetzt verzehren. König, ich spreche von dem Volk, das den Herrn gekreuziget hat.«

»Den Juden – ja, aber die Rechtfertigung …«

»Liegt vor Dir. Dieser Verräther, mit welchem Du Unterhandlungen gepflogen, welcher Dir gelobte, Granada zu übergeben und schon am Morgen darauf als Kampfgenosse der Mohren, seine Hände noch roth vom Blut eines spanischen Märtyrers, erfunden ward: gestand er nicht, daß seine Väter diesem verhaßten Volke angehört hätten? schacherte er nicht mit Dir über die Erhebung seiner Brüder zum Range eines Christen? ließ er nicht unter lügenhaften Vorwänden eine Buhlerin seines Glaubens bei Dir, die durch Zauberkunst und die Hülfe des Bösen das Herz des Erben des allerchristlichsten Königs zu wahnsinniger Leidenschaft verführt hat?«

»Ha! so bringt dieser leichtsinnige Knabe doch immer Aergerniß über uns!« rief Ferdinand bitter.

»Nun also,« fuhr der Dominikaner fort, ohne die Unterbrechung zu beachten, »hast Du hier nicht Rechtfertigung genug, dem ganzen Geschlechte das Lösegeld seines Lebens abzudrängen? Merk auf die sonnenklaren Beweise dieser Verschwörung der Hölle. Die Auswürflinge der Erde gebrauchten diesen listigen Unterhändler, um mit Dir wegen ihrer Erhebung einen Vertrag zu schließen; und um ihrem Frevel die Krone aufzusetzen, werden die Künste, die Salomon verführten, gegen Deinen Sohn angewendet. Die Schönheit des fremden Mädchens bewältigt seine Sinne, auf daß, vermittelst des künftigen Beherrschers von Spanien, jüdische List ein Judenreich zu Stande bringe! Weißt Du« (setzte er hinzu, wahrnehmend, daß Ferdinand ihm sehr aufmerksam zuhöre), »weißt Du, ob nicht der nächste Schritt Deine geheime Ermordung gewesen wäre, und das Opfer der Zauberkunst, der Liebling der Jüdin, statt des mächtigen und unbesiegbaren Ferdinand, jetzt regierte?«

»Jedenfalls,« erwiederte der König nachdenklich, »sehe ich Grund genug, um eine Steuer, die ich auf diese Knechte des Mammon legen würde, zu entschuldigen.«

»Aber obwol uns schon der gemeine Menschenverstand sagt,« fuhr Torquemada fort, »daß dieser verkappte Israelite für einen so umfassenden Plan nicht ohne Anreizung seiner Brüder, nicht nur in Granada, sondern in ganz Andalusien, gehandelt haben konnte, – wär' es nicht gut, von ihm und dem Mädchen ein förmliches Geständniß zu erhalten, so daß wir unläugbare Beweise vor uns hätten, um jede üble Nachrede nicht nur von den Gottlosen, sondern selbst von dem allzuzarten Gewissen der Gottesfürchtigen, zum Stillschweigen zu bringen? Selbst die Königin – welche die Heiligen ewig behüten mögen! – hat stets ein zu weiches Herz für diese Ungläubigen, und …«

»Allerdings!« rief der König, Jenen abermals unterbrechend, »die Königin von Castilien muß von der Gerechtigkeit all' meiner Handlungen genügend überzeugt werden.«

»Und sollte es sich herausstellen, daß Dein Thron oder Leben wirklich gefährdet waren, und Zauberkunst angewendet wurde, um Euern königlichen Sohn zur Liebe für ein Judenmädchen zu verführen, eine Liebe, welche die Kirche für einen schon an sich der Excommunikation werthen Frevel hält, so würde Isabelle gewiß unsern Absichten zu Hülfe kommen, statt ihnen entgegen zu wirken.«

»Heiliger Freund,« erwiederte Ferdinand mit Kraft, »Dir, stets einem Tröster für diese Welt wie für jene, und dem neuen Amt, das Dir übertragen worden, übergeben wir dieses Geschäft; vollzieh' es sogleich; die Zeit drängt, Granada leistet hartnäckigen Widerstand, der königliche Schatz schmilzt tief hinab.«

»Sohn, Du hast genug gesagt,« erwiederte der Dominikaner, die Augen schließend und eine kurze Dankbezeugung hermurmelnd. »Jetzt an meine Arbeit.«

»Nein, halt!« rief der König mit geänderter Miene; »folge mir ins Oratorium: mein Herz ist beladen und mich verlangt nach den Tröstungen des Beichtstuhls.«

Der Mönch gehorchte, und während Ferdinand, dessen bewundernswerthe Geisteskräfte mit der schwächsten Superstition verbunden waren, – der aus Staatsklugheit die Ungläubigen verfolgte, aber glaubte, er strafe sie blos aus Frömmigkeit: – während er mit reuigen Thränen die Sünden, einige Ave's vergessen, einige Rosenkränze nicht gezählt zu haben, beichtete; während der Dominikaner ermahnte, strafte, tröstete, fiel es weder dem Fürsten, noch dem Mönch ein, daß in der Grausamkeit, die einen Mitmenschen folterte, in der Habsucht, die Vorwände zu erlangen strebte, um ein ganzes Volk auf die Folter zu spannen, irgend eine zu beichtende Sünde liege, irgend eine Buße dafür aufzulegen sey. Und doch sagen uns manche Philosophen, das Gewissen sey ein hinreichender Führer für den Menschen!

Siebentes Kapitel.

Das Tribunal und das Wunder.

 

Es war in tiefer Nacht, – das Heer lag in tiefem Schlafe – als vier Krieger, welche der »heiligen Brüderschaft« angehörten, zwischen sich einen Mann, dessen Handfesseln ihn als einen Gefangenen zu erkennen gaben, still und gesetzt auf ein großes Zelt in der Nähe des königlichen Aufenthaltes zuschritten. Ein tiefer Graben, furchtbare Verschanzungen und häufige Wachen deuteten an, wie hoch man die Sicherheit dieses Theiles des Lagers halte. Das Zelt, welchem sich die Krieger näherten, war dem Umfang nach größer, als selbst das königliche – ein Haus von Segeltuch, umgeben von einer Mauer aus massiven Steinen; auf seinem Gipfel ward im hellen Sternlicht ein schwarzes Fähnchen mit weißem Kreuz sichtbar. Die Soldaten hielten an der Thür in der Mauer und übergaben ihren Gefangenen unter leise ausgesprochenem Erkennungswort an zwei gewaltige Schildwachen, die denselben abführten, während sie selbst, die Stelle Jener einnehmend, stumm und bewegungslos stehen blieben; denn strenges Schweigen und spartanische Mannszucht waren die Abzeichen der Brüderschaft der heiligen Hermandad.

Der Gefangene hielt, als er auf das Zelt zutrat, einen Augenblick still, sah festen Blicks umher, als ob er sich die Gelegenheit des Ortes einprägen wollte, und folgte dann mit unwilliger, doch stolzer Geberde seinen Hütern. Er kam durch zwei dämmerig beleuchtete und dem Ansehn nach menschenleere Abtheilungen des Zeltes. Sofort erschien ein Mann in einem langen schwarzen Gewand mit einem weißen Kreuze auf der Brust; einige Zeichen wurden durch die Finger gewechselt, und im nächsten Moment stand Almamen, der Hebräer, in einem großen Gemach (wenn man eine Zeltabtheilung so nennen kann), das mit schwarzem Tuch behangen war. Im Hintergrund befand sich eine Erhöhung, auf welcher, an einem langen Tisch, drei Männer saßen, und zwar nahm das ruhige, strenge Antlitz Torquemadas die oberste Stelle ein. Der Eingang war von zwei Kriegern gehütet, deren Kleidung an Farbe und Zuschnitt derjenigen der beiden Wachen glich, welche Almamen hereingebracht hatten; Jeder hielt eine lange Lanze und hatte ein langes zweischneidiges Schwert an der Seite. Andere Zeugen waren in dem unheimlichen Gelasse nicht zugegen.

Der Israelit blickte mit bleichem Gesicht aber blitzendem, hohnvollem Auge umher, und als er das Aug des Dominikaners traf, war es beinah, als ob jeder dieser beiden Menschen, die durch die Starrheit ihrer Natur und die Kraft ihrer Leidenschaften so weit über ihrem Mitgeschlecht standen, blos durch seinen Blick sich seiner Uebermacht zu vergewissern und seinen Feind zu zermalmen suchte. In der That jedoch ließ Keiner dem Andern Gerechtigkeit widerfahren und die zornige Verachtung Almamens ward durch den kalten, eisigen Hohn des Dominikaners zurückgegeben.

»Gefangener,« hob Torquemada an, der zuerst sein Auge von dem Andern niederschlug, »ein minder hochfahrendes und halsstarriges Benehmen möchte wohl Deiner Lage besser angestanden haben; doch gleichviel; unsere Kirche ist sanft und demüthig. Wir haben in erbarmungsvoller und väterlicher Hoffnung nach Dir geschickt; denn obwol Dein Leben, als eines Spions und Verräthers, bereits verwirkt ist, möchten wir dasselbe doch gern erhalten und der Buße aufsparen. Diese Hoffnung magst Du immer nähren, denn die Natur in uns Allen ist schwach und klammert sich an das Leben, – diesen Strohhalm des untersinkenden Schiffers.«

»Priester, wenn Du ein solcher bist,« antwortete der Hebräer, »ich habe bereits, als ich in das Lager gebracht wurde, die Gründe angegeben, aus welchen man mich unter dem Moorenheere fest hielt. Mein Eifer für Spaniens König war es, der mich in diese Gefahr brachte. Kann, nachdem ich dieser um seinetwillen über mich gekommenen Gefahr entronnen, der König von Spanien mein Ankläger und Richter seyn? Strebt man jedoch, als Dank für die Anerbietung unschätzbarer Dienste, nach meinem Leben, so bin ich bereit, es zu opfern. Thu Dein Aergstes und sage dann Deinem Herrn, daß er durch meinen Tod mehr verliert, als er durch das Leben von dreißigtausend Kriegern gewinnen kann.«

»Laß dieses eitle Gerede,« entgegnete der Großinquisitor verächtlich, »und glaube nicht, Du könnest mit leeren Worten den hohen Verstand Ferdinands von Spanien täuschen. Du hast Dich jetzt gegen den Verdacht noch gewichtigerer Frevel, als des Verrathes an dem Könige, dem Du zu dienen behauptest, zu vertheidigen. Ungläubiger, Du hast Dich über Deine Lästerung des Gottes, den Du anbeten solltest, zu rechtfertigen. Gesteh die Wahrheit: Du gehörst zum Volk und Glauben Israels?«

Der Hebräer zog die Stirn in düstre Falten. »Der Mensch,« sprach er feierlich, »ist ein Richter der Thaten des Menschen, aber nicht seiner Meinungen. Ich werde Dir nicht antworten.«

»Bedenke Dich. Wir haben Mittel, denen die stärksten Nerven und das festeste Herz nicht zu trotzen vermochten. Bedenke Dich – gesteh.«

»Deine Drohungen schrecken mich nicht; aber ich bin ein Mensch und weil Du die Wahrheit wissen willst, so magst Du sie ohne Folter erfahren. Ich gehöre demselben Volk an, dem die Gründer Deiner Kirche angehörten – ich bin ein Jude.«

»Er gesteht – schreibt seine Worte nieder. Gefangener, Du hast wohl gethan, und wir bitten den Herrn, daß Du, so fortfahrend, der Folter und dem Tod entgehen mögest. In dem nämlichen Glauben ward Deine Tochter erzogen? Sprich.«

»Meine Tochter? gegen sie liegt keine Anschuldigung vor. Bei dem Gott Sinais und Horebs, Ihr dürft kein Haar dieses unschuldigen Hauptes berühren!«

»Antworte!« wiederholte der Inquisitor kalt.

»Ich antworte. Sie ward nicht als Verläugnerin des Glaubens ihres Vaters erzogen.«

»Schreibt das Geständniß nieder. Gefangener, nur noch wenige Fragen sind übrig; beantworte sie wahr, und Dein Leben ist gerettet. In Deiner Verschwörung, um Deine Brüder in Andalusien zu Macht und Ansehn, – oder, wie Du es listig nanntest, zur Gesetzesgleichheit mit den Verehrern unsers gebenedeiten Herrn zu erheben; – in der Verschwörung (durch was für dunkle Künste, will ich hier nicht wissen – protege nos, beate Domine!) in der Verschwörung, in eitler Liebe zu Deiner Tochter das Herz des Infanten von Spanien zu verstricken – still! sag ich, schweig! – in dieser Verschwörung wurdest Du durch gewisse Juden in Andalusien unterstützt, bestärkt oder angereizt …«

»Halt, Priester!« rief Almamen ungestüm; »Du nanntest mein Kind. Hör' ich recht? Unter die geheiligte Obhut eines Königs und Ritters gestellt, ist ihr – o antworte mir, ich beschwöre Dich – durch die frevelhafte Zudringlichkeit eines Abkömmlings des Königes selbst eine Unbild widerfahren? Antworte! ich bin ein Jude – aber auch ein Vater und ein Mensch!«

»Dieser vorgebliche Affekt täuscht uns nicht,« sprach der Dominikaner, der, selbst abgeschnitten von den Banden des Lebens, nichts von deren Macht kannte. »Erwiedere mir blos auf die Dir vorgelegte Frage: nenne Deine Mitschuldigen.«

»Ich habe Dir Alles gesagt. Du hast mir Antwort verweigert. Ich biete Dir Trotz: meine Lippen sind verschlossen.«

Der Großinquisitor sah seine Amtsgenossen an und erhob die Hand. Die Collegen flüsterten einander etwas zu; einer erhob sich und verschwand hinter der Zeltwand. Augenblicklich flogen die Vorhänge des Zeltes empor und der Gefangene sah ein anderes Gemach, mit verschiedenen Instrumenten behangen, deren Bestimmung sich hinlänglich durch ihre Gestalt aussprach, während neben der in der Mitte stehenden Bank eine lange, schaudrige Figur stand, die Arme entblößt, die Augen gleichsam instinktartig auf den Verhafteten gerichtet.

Almamen schaute mit festem Blick auf diese furchtbaren Vorkehrungen. Die Wächter am Eingang des Zeltes näherten sich, nahmen dem Hebräer die Fesseln von Händen und Füßen und führten ihn zu der angedeuteten Folterstätte.

Plötzlich hielt Jener an.

»Priester,« sprach er in demüthigerem Tone, als er bisher angenommen, »die Nachrichten, die Du mir über das einzige Kind meines Hauses und meiner Liebe mitgetheilt, verwirrten mich einen Augenblick. Laß mir nur einen Moment, um wieder zu Sinn zu kommen, und ich will ohne Zwang Alles beantworten, was Du mich fragen magst. Vergönne mir, daß Deine vorige Frage mir wiederholt werde.«

Der Dominikaner, der für seine Grausamkeit gegen Andere eine Entschuldigung in seiner eigenen Unempfindlichkeit gegen die Furcht und in seiner Verachtung körperlicher Schmerzen fand, lächelte mit bitterm Hohn auf diese anscheinende Schwäche des Gefangenen herab; da er jedoch an der Quälerei um der bloßen Qual willen kein Gefallen fand, so winkte er den Wachen, den Israeliten los zu lassen, und erwiederte mit ungewöhnlich milder Stimme:

»Gefangener, könnten wir Dich, selbst durch die härteste Qual unsres eigenen Fleisches, vom Schmerz erretten, so würden wir, der Himmel ist unser Zeuge, gern die Folter auf uns selbst nehmen, die wir mit Pein und Kummer gegen Dich bereitet haben. Halt an – schöpfe Athem – sammle Dich. Drei Minuten sollst Du Bedenkzeit haben, welchen Weg Du einschlagen willst, eh wir unser Verhör wieder vornehmen. Dann aber hüte Dich, mit unserer Nachsicht kein Spiel zu treiben.«

»Das ist genug – ich danke Dir,« sprach der Hebräer mit einem Anklang von Dankbarkeit in der Stimme, und neigte das Gesicht gegen die Brust, die er, wie in tiefem Nachdenken, mit den Falten seines langen Gewandes bedeckte. Kaum war die Hälfte der ihm zugestandenen Frist verstrichen, als er das Haupt wieder erhob und zugleich seinen Mantel zurückschlug. Der Dominikaner stieß einen lauten Schrei aus; die Wachen fuhren scheu zurück. Eine wundervolle Veränderung war über das beabsichtigte Schlachtopfer gekommen; er schien buchstäblich in Feuer gehüllt zu seyn; Flammen brachen aus seinen Lippen, und spielten mit seinen langen Locken, welche, die Gluth auffassend, wie Schlangen aus brennendem Lichtstoff über seine Schultern hinabschlichen: blutroth waren Brust und Glieder, waren der hohe Hut und der ausgestreckte Arm, und als er so, eine einzige Sekunde lang, mit den schaudernden Blicken seiner Richter zusammentraf, schien er wirklich den ausschweifendsten Aberglauben seiner Zeit zu rechtfertigen – nicht mehr der zitternde Gefangene, sondern der mächtige Dämon oder der furchtbare Magier!

Der Dominikaner war der Erste, der seine Fassung wieder gewann. »Greift den Zauberer!« rief er, aber Niemand rührte sich. Eh noch der Ruf verhallt war, zog Almamen ein Fläschchen aus der Brust und warf es auf den Boden. Es zerbrach in tausend Stücke: ein Nebel stieg in dem Gemach auf – verbreitete sich, ward dicht, schwarz, eine plötzliche Nacht; die Lampen vermochten sie nicht zu durchdringen. Die leuchtende Gestalt des Hebräers wurde düster und dämmerig, bis sie ganz in den Schatten verschwand. Auf jedes Auge schien Blindheit zu fallen. Todesstille herrschte, unterbrochen durch einen Schrei und einen Seufzer, und als nach einigen Minuten die Finsterniß mälig wieder abnahm, war Almamen weg. Einer von den Wächtern lag in Blut gebadet auf dem Boden. Man hob ihn auf: er hatte den Gefangenen greifen wollen und eine tödtliche Wunde davon getragen. Mit dieser stammelnd abgegebenen Erklärung starb er. In der Verwirrung und Angst bemerkte man erst eine ziemliche Zeit nachher, daß der Flüchtling sich lange genug aufgehalten, um den sterbenden Wächter seines weiten Mantels zu berauben, ein Beweis, daß er besorgte, seine geheimen Künste möchten ohne Anwendung eines natürlichem Stratagems nicht genügen, ihn sicher aus dem Lager zu bringen.

»Der Satan ist unter uns gewesen!« rief der Dominikaner feierlich, und fiel auf die Kniee, – »lasset uns beten!«


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