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Erstes Buch.


Erstes Kapitel.

Der Zauberer und der Krieger.

 

Es war im Sommer des Jahres 1491, und die Stadt Granada von den Heeren Ferdinands und Isabella's umschlossen.

Die Nacht war nicht weit vorgeschritten; ruhig schien der Mond aus Andalusiens durchsichtiger Luft auf das ungeheure, dumpf tosende Lager der Spanier herab und strömte sein Dunstlicht auf die Schneekuppen der Sierra Nevada, die mit dem üppigen, durch keine Verwüstung ganz verdrängbaren Grün des reizenden Thales einen eigenthümlichen Gegensatz bildeten.

In den Straßen der maurischen Stadt verweilte noch manche Gruppe. Einige horchten, als wüßten sie nichts von der Belagerung, ganz ruhig auf die Saiten der Laute, oder die Erzählungen irgend eines arabischen Improvisators; Andere unterhielten sich mit einer Lebhaftigkeit des Geberdenspiels, die nur eine außerordentliche Aufregung der würdevollen Stille, die man bei jedem orientalischen Volke trifft, abgewinnen konnte. Allein die öffentlichen Plätze, auf welchen sich diese verschiedenen Gruppen gesammelt hatten, hoben das öde, feierliche Schweigen, das auf der übrigen Stadt brütete, nur um so eindringlicher hervor.

Um diese Stunde sah man einen Mann, niedergeschlagenen Blicks und die gekreuzten Arme in das wallende, bis auf die Füße hinab reichende Gewand gehüllt, einsam und achtlos auf Alles um ihn her, durch die Straßen gehen. Diese Achtlosigkeit wurde jedoch von den Menschenhaufen, an welchen er von Zeit zu Zeit nachdenklich vorüberstreifte, keineswegs getheilt.

»Gott ist groß!« bemerkte ein Mann; »das ist der Zauberer Almamen!«

»Er hat die Mannheit Boabdil's el Chico mit dem Schlüssel seines Zaubers verschlossen,« sagte ein Anderer, den Bart streichend; »ich möchte ihn verfluchen, wenn ich dürfte!«

»Aber er habe ja versprochen, wenn die Menschen unterlägen, so würden die Geister für Granada streiten,« entgegnete halb ungläubig ein Dritter.

»Allah Akbar! was ist, ist; was werden soll, wird!« rief ein Vierter mit all der feierlichen Weisheit eines Propheten.

Mochten jedoch ihre Empfindungen Ehrfurcht oder Verwünschung, Schrecken oder Hoffnung seyn, jede Gruppe wich zurück, wenn Almamen vorbeikam und hielt das Geflüster, das er nicht hören durfte, an. Ueber den Zacatin (die den großen Bazar durchschneidende Straße) hin wandelnd näherte sich der sogenannte Zauberer einer engen, sich aufwärts windenden Gasse, und gelangte endlich vor die Mauer, welche den befestigten Palast Alhambra umschloß.

Die Wache am Thor grüßte und ließ ihn schweigend ein; und nach ein paar Augenblicken hatte sich seine Gestalt unter dem Baumdickicht verloren, durch dessen zahlreiche Oeffnungen das Perlenspiel der arabischen Springbrunnen im Mondlicht flimmerte, während weiter oben die bewehrten Höhen der Alhambra und rechts die »Rothen Thürme« aufstiegen, deren Ursprung sich in die früheste Zeit phönizischer Unternehmungen verhüllt.

Almamen hielt an und sah um sich. »War das Paradies lieblicher?« murmelte er; »und soll ein so schöner Ort vom Fuß des Nazarenischen Siegers getreten werden? Doch was liegt daran? Glaube verdrängt Glauben, Geschlecht Geschlecht, bis die Zeit zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt, und den Herrscherthron an die älteste Religion und das älteste Volk zurückgegeben sieht. Das Horn unsrer Kraft soll noch erhöht werden.«

Bei diesem Gedanken sank der Seher in sein Stillschweigen zurück und blickte lange und aufmerksam auf die Sterne, deren Strahlen, zahlreicher und glänzender mit jedem Schritt der vorrückenden Nacht, auf die spielenden Fontänen fielen und das mannigfache, von keinem Hauch bewegte Laub in Silber hüllten. So unverrückt war sein Emporschauen, so tief sein Nachdenken, daß er die Annäherung eines Mauren nicht bemerkte, dessen glänzende Waffen und schneeweißer, reich mit Smaragden besetzter Turban in dem Gehölz widerschimmerten.

Der Ankömmling war über den gewöhnlichen Wuchs seines im Durchschnitt kleinen und schmächtigen Volksstammes, ohne doch die hohe Gestalt, die mächtigen Verhältnisse der Stärkern unter den spanischen Kriegern zu erreichen. Aber in seiner Person und seinem Benehmen lag Etwas, das ihm in der stolzesten Versammlung christlicher Ritter noch das Ansehn emporragender Herrschaft gegeben haben würde. Sein Tritt war zugleich leicht und stolz, als ob er die Erde verachtete, und in der Haltung des kleinen, aufrechten Kopfes und schlanken Halses sprach sich jene nicht näher zu bezeichnende Würde aus, die so gut zu unserer Vorstellung von dem Sprößling eines Heldengeschlechtes und einem edlen, wenn auch gebieterischen, Geiste paßt. Der Fremde näherte sich und blieb plötzlich wenige Schritte vor dem Zauberer stehen. Schweigend blickte er ihn ein paar Sekunden an, und als er endlich die Stimme erhob, geschah es mit kaltem, spöttelndem Tone.

»Eindringling in die dunkeln Geheimnisse,« sprach er, »liesest Du in den Sternen jene Geschicke der Menschen und Völker, die der Prophet durch Feldherrngeist und Kriegerarm herbeiführte?«

»Fürst,« erwiederte Almamen, sich langsam umwendend und den Störer seiner Betrachtungen erkennend, »ich bedachte nur, wie viele Umwälzungen, welche die Erde bis ins Herz erschütterten, diese leuchtenden Kreise theilnahmlos und unverändert mit angesehen haben.«

»Theilnahmlos!« entgegnete Jener, »und doch glaubst Du an ihren Einfluß auf die Erde?«

»Du thust mir Unrecht,« antwortete Almamen mit leichtem Lächeln; »Du verwechselst Deinen Diener mit dem nichtigen Volk der Sterndeuter.«

»Ich rechnete die Sterndeutekunst unter die Künste der zwei Engel Harut und Marut.« Die Künste der Zauberei nämlich, worin diese beiden Engel nach dem Glauben der Mohammedaner die Menschen unterrichteten, für welche Sünde sie in einen Brunnen des alten Babels gebannt wurden, wo man sich noch immer Raths bei ihnen erholen kann.

»Möglich; aber ich kenne diese Kunst nicht, obwol ich Mitternachts im alten Babel gewandelt bin.«

»So lügt also das Gerücht?« versetzte der Maure mit einiger Verwunderung.

»Das Gerücht macht nie Ansprüche auf Wahrheit,« erwiederte Almamen ruhig und seines Weges gehend; »Allah sey mit Dir, Prinz; ich begebe mich zum König.«

»Halt! eben komm' ich von ihm, und hab' ihn, wie ich hoffe, in Gedanken gelassen, wie sie dem Beherrscher von Granada ziemen; Gedanken, die ich von einem Menschen, dessen Waffen nicht Speer und Schild sind, keineswegs störend unterbrochen haben möchte.«

»Edler Musa,« gab ihm Almamen zurück, »fürchte nicht, daß meine Stimme die Begeisterung schwäche, welche die Deinige in Boabdils Brust gehaucht. Ach! würde auf meinen Rath geachtet, so würdest Du Granada's Krieger weniger von Musa und mehr vom König sprechen hören. Aber das Schicksal oder Allah haben auf den Thron eines schwankenden Geschlechts einen Mann gesetzt, der, wenn auch tapfer, schwach, wenn auch weise, ein Träumer ist, und Du wirfst Verdacht auf den Rathgeber, wenn Du die Schwäche der Natur in dem Berathenen findest. Ist Dies gerecht?«

Musa schaute lange und streng in Almamens Gesicht; dann legte er sanft die Hand auf seine Schulter und sprach:

»Fremdling, wenn Du falsches Spiel mit uns spielest, so bedenk, daß dieser Arm den Helm manches Feindes gespalten hat und den Turban eines Verräthers nicht schonen wird.«

»Und bedenk Du, stolzer Fürst,« erwiederte Almamen unerschüttert, »daß ich blos Allah über mein Inneres Rechenschaft gebe, gegen Menschen aber meine Handlungen vertheidigen kann.«

Mit diesen Worten wickelte der Zauberer das lange Gewand um sich und verschwand im Gebüsche.

Zweites Kapitel.

Der König im Palaste.

 

In einem jener Gemächer, deren wollüstiger Zauber nur den Bewohnern eines milden Himmelstriches bekannt ist – halb Zimmer, halb Grotte – saß zurückgelehnt ein junger Maure, gedankenvollen Ansehens.

Den in Gold und Himmelblau schimmernden Plafond aus Cedernholz trugen dünne Säulen vom weißesten Alabaster, zwischen welchen sich offene Bögen, leicht und grazienhaft wie die Rebengänge Italiens, und ausgefüllt mit jenem, der arabischen Architektur allgemein zukommenden, zarten Filigran-Geflechte, hinzogen. Durch diese Arkaden gewahrte man im Licht der Alabasterlampen das Perlen von Fontänen, deren liebliches Geplätscher in erfrischenden, musikalischen Takten ins Ohr fiel. Die eine Seite des Zimmers öffnete sich ihrer ganzen Breite nach auf einen ausgedehnten Balkon, der über dem Ufergewinde des vom Mond erleuchteten Darro schwebte, und in der Klarheit der weichen Nacht konnte man deutlich die wellenförmigen Hügel, die Gehölze und Orangegruppen unterscheiden, die noch jetzt die unvergleichliche Landschaft Granadas bilden.

Das Gemach füllten Ottomanen und Ruhebetten vom reichsten Himmelblau, mit seltsamen Stickereien aus Gold und Silber wunderhaft verziert, und über dem Lager, worauf der Maure ruhte, – dem Balkon gerade gegenüber – hingen an einem Pfeiler der runde Schild, der leichte Wurfspieß und der gekrümmte Säbel der maurischen Kriegstracht. So dicht besetzt mit kostbaren Juwelen waren diese Waffen, daß sie allein schon den Rang ihres Besitzers genugsam angedeutet haben würden, wäre derselbe auch nicht durch dessen prachtvolle Kleidung verrathen worden. Ein offenes Manuscript lag auf einem silbernen Tischchen ungelesen vor dem Manne, der, das Haupt auf die Hand gestützt, mit träumerischen Augen auf die Berggipfel hinausschaute, die dämmernd aus dem wolkenlosen, fernen Horizont hervortraten.

Niemand hätte auf das Gesicht des Dasitzenden blicken können, ohne sich von demselben mit einer gewissen traurigen Empfindung angesprochen zu fühlen. Es lag viel von jener Vorahnung des Unglücks darin, die wir auf den Zügen unseres Karl des Ersten Der bekannte, unter Cromwell enthauptete englische König. zu erkennen glauben.

Seiner Schönheit drückte eine ernste, gehaltene Trauer ein eigenthümliches Gepräge auf, das durch die Jugend und ungewohnte Zartheit des Antlitzes noch stärker hervortrat. Ungleich den Abzeichen maurischen Volksstammes waren das Haar und der gekräuselte Bart von tiefem Goldblond, und in der breiten Stirn, den großen Augen lag eine ruhige, nachdenkliche Milde, die man sonst auf den gebräunten Gesichtern der feurigen Kinder der Sonne selten findet. So die äußere Erscheinung von Boabdil el Chico, dem letzten Maurenfürsten in Spanien.

»Diese Rollen arabischer Weisheit,« sprach er zu sich selbst, »was lehren sie? Reichthum und Macht zu verachten, das Herz für den wahren Thron der Herrschaft zu halten. Das also wäre Weisheit. Doch wollte ich diesen Grundsätzen folgen, wär' ich weise? Ach! die ganze Welt würde mich für einen Träumer, einen Rasenden erklären. So ist's immer. Die Weisheit der Vernunft gibt uns Lehren, in deren Verachtung die Weisheit des handelnden Lebens besteht. Heiliger Prophet, welche Narren wären die Menschen, ginge ihre Schurkerei nicht noch über ihre Narrheit!«

Auf seine Kissen zurück warf sich der junge König bei diesen Worten, die für einen Fürsten, dem die Krone so lose auf dem Haupt saß, etwas zu philosophisch klangen.

Nach wenigen Momenten des Nachdenkens, die ihn zu mißstimmen schienen, fuhr er wieder unruhig auf. »Meine Seele verlangt nach dem Bade der Musik,« sprach er; »diese Wanderungen in ein pfadloses Land haben sie ermattet; die Ströme des Wohllauts erfrischen den müden Pilger wieder.«

Er klatschte in die Hände und aus einer der Arkaden stürzte ein bisher unsichtbar gewesener Knabe hervor; nach einem leichten, kaum bemerkbaren Zeichen des Königs verschwand er wieder und nach wenigen Sekunden kamen, hell durch die reizenden Pfeiler und perlenden Springbrunnen glänzend, die kleinen, lichtschimmernden Füße arabischer Mädchen. Wie diese mit ihren durchsichtigen Tuniken und weißen Armen echolos durch das kühle, üppige Gemach daher schritten, hätten sie wohl für die Peris der morgenländischen Märchenwelt gelten können, aufgeboten den Ueberdruß eines jugendlichen Salomon zu verscheuchen. Mit ihnen kam eine Jungfrau von höherer Schönheit, obwol kleinerem Wuchs als die Uebrigen, die eine maurische Laute trug, und ein leichtes, müdes Lächeln zuckte über Boabdils schönes Gesicht, als seine Augen auf dieser anmuthigen Gestalt und dem dunkellichten Glanz ihrer orientalischen Züge ruhten. Sie allein trat bis zum König heran, küßte schüchtern seine Hand und begann sofort, sich wieder ihren Gefährtinnen zugesellend, folgenden Gesang, nach dessen Melodie sie ihre Füße im Tanz bewegten, während die Silberglöckchen des musikalischen Instruments, das jede Tänzerin trug, mit dem Chor der Stimmen erklangen.

Leit', o Klang, auf leisen Wogen,
Leit' dies Blütenblatt, gezogen
Aus des Liedes voller Rose,
In der Abendlüfte Schooße,
Daß der duftige Gesandte
An des Freundes Herzen lande,
Flut' ihn fort!

Sieh! wir tragen Wohllauts Keime,
Wie des Paradieses Bäume, Nach dem Glauben der Mohammedaner hangen musikalische Glöckchen an den Bäumen des Paradieses, und werden durch einen von Gottes Thron her wehenden Wind in Bewegung gesetzt.
Wenn der Hauch von Gottes Throne
Sie bewegt mit süßem Tone;
Horch! wie wir in Wechsel-Reihen
Der Akkorde Knospen streuen!
Wo du bist, ist Paradies!

Holde Saite, die ich rührte,
Daß auch ich zum Klange würde,
Hinzufliehn an seine Brust!
Schmeichelnd um sein Lächeln werben,
Dann, wie du, beglückend sterben
Ihm am Herzen, welche Lust!

Die Musik verhallte; die Tänzerinnen blieben bewegungslos in ihren anmuthigen Stellungen, als wären sie in Bildsäulen von Alabaster verwandelt, und die junge Sängerin warf sich auf einen Pfühl zu Füßen des Königs, von wo sie zärtlich, obwol schweigend, in seine noch immer traurigen Augen blickte, als man einen Mann, dessen Eintritt nicht bemerkt worden, im Gemach stehen sah.

Er war von mittlerem Wuchs – hager, nervig und kraftvoll, obgleich dünne gebaut. Ein einfaches, schwarzes Gewand, einigermaßen der Tracht der Armenier ähnelnd, floß lang und lose über ein scharlachrothes Unterkleid, von dessen breitem Gurt ein kleiner goldner Schlüssel herabhing, während auf der linken Seite der Juwelengriff eines gekrümmten Dolches hervorsah. Seine Züge waren nach größern, mächtigern Verhältnissen gebildet, als die spanischen Mauren in der Regel zeigten: die Stirne breit, massiv und ausgezeichnet hoch; die schwarzen Augen von ungewöhnlichem Schnitt und Feuer; der kurze, dunkelglänzende Bart verbarg den untern Theil des Gesichtes ganz, so daß man nur den festen, entschlossenen Ausdruck des vollen, gewölbten Mundes sehen konnte; die Nase war hoch, adlerhaft und wohl gebildet, und der Gesammt-Charakter des Kopfes (der im Verhältniß zur übrigen Gestalt fast zu groß und gigantisch schien) deutete auf außerordentliche Energie und Macht. Auf den ersten Blick mochte der Fremdling kaum an der Grenze des mittlern Alters angekommen seyn; bei genauerer Besichtigung jedoch verriethen die tiefen Linien und Falten auf der Stirn und um die Augen eine vorgerücktere Lebensperiode. Die Arme über der Brust gefaltet, stand er neben dem König, schweigend des Augenblicks harrend, wo seine Gegenwart bemerkt werden würde.

Er wartete nicht lange. Augen und Bewegung des zu Boabdils Füßen sitzenden Mädchens leiteten die Aufmerksamkeit des Erstern nach dem Ort, wo der Ankömmling stand: des Königs Blick leuchtete, als er auf denselben fiel.

»Almamen,« rief Boabdil lebhaft, »sey mir willkommen.« Damit winkte er den Tänzerinnen, sich zu entfernen.

»Darf ich nicht bleiben? Herz meines Herzens, Dein Vogel ist in seinem Neste!« flüsterte die Sängerin zu des Königs Füßen.

»Süße Amine,« entgegnete Boabdil, indem er ihr zärtlich die Locken zurückstrich und sich niederbeugte, um sie auf die Stirne zu küssen; »sey Du nur die Zeugin meiner frohen Stunden; Mühe und Geschäft haben nichts mir Dir Verwandtes; ich werde bei Dir seyn, ehe die Nachtigall dem Mond ihr letztes Lied gesungen hat.« Amine seufzte, stand auf und verschwand mit den Gefährtinnen.

»Freund,« hob der König an, als er allein mit Almamen war, »Dein weiser Rath hat mir oft lindernde Ruhe gebracht; doch in solchen Stunden ist Ruhe ein Frevel. Allein was thun? – wie kämpfen? – wie handeln? Ach, mit Recht fügte man Boabdils Namen in der Stunde seiner Geburt das Beiwort El Zogoybi Der Unglückliche. bei. Das Unglück drückte sein dunkles Siegel auf meine Stirn, eh meine Lippen noch ein Gebet gegen seine Macht ertönen lassen konnten. Mein grimmer Vater, dessen finsterer Blick wie der Blick Asraels Der Todesengel. war, haßte mich in der Wiege; in meiner Jugend ward mein Name gegen meinen Willen von Empörern zum Werkzeug gebraucht, und eingekerkert von dem Vater, den Giftbecher oder Dolch jede Stunde vor den Augen, wurde ich nur durch die List meiner Mutter gerettet. Als Alter und Gebrechlichkeit das eiserne Scepter des Königs gebrochen, setzte man mein Recht auf den Thron hintan, und mein Oheim, El Zagal, maßte sich der mir zustehenden Befugniß an. Unter offenem Krieg und heimlichem Verrath kämpfte ich um meine Krone; und jetzt, da ich Granada's einziger Beherrscher bin, jetzt endlich, wo, wie ich zu schnell geglaubt, mein Oheim durch seine Unterwerfung unter den Christenkönig und die Annahme eines Lehens von ihm, jeden Anspruch auf die Liebe meines Volkes verloren haben sollte, finde ich, daß meine unglücklichen Unterthanen eben das Verbrechen El Zagals mir selbst aufbürden und behaupten, nur meine Thatlosigkeit sey schuld, daß er unterlegen. Im Augenblick, wo ich von meinem Nebenbuhler befreit werde, seh' ich mich von den Meinen mit Verwünschungen empfangen und darf, in meine Burg Alhambra zurückgetrieben, es nicht wagen, mich an die Spitze meiner Heere zu stellen oder meinem Volk ins Antlitz zu schauen; und doch nennt man mich schwach und unentschlossen, während Stärke und Entschlossenheit mir unmöglich gemacht sind. Wie das Wasser von jenem Felsen fließt, der keine Kraft hat, es zurückzuhalten, so seh' ich den Strom der Herrschaft meinen Händen entfluten.«

Der junge König sprach warm und bitter, und maß im Aufruhr seiner Gedanken mit schnellen, unregelmäßigen Schritten das Gemach. Almamen sah seiner Bewegung mit starrer Ruhe in Blick und Mund zu.

»Licht der Gläubigen,« begann er, als Boabdil geschlossen, »die Mächte über uns bestimmen einen Menschen nie zu fortwährender Qual oder fortwährender Lust; Wolken und Sonnenschein gehören dem Himmel unseres Schicksals gleich wesentlich an; hast Du in der Jugend gelitten, so hast Du die Bitterkeit des Geschickes ausgetrunken, und Dein Mannesalter wird glückstrahlend, Deine Greisenzeit heiter seyn.«

»Du sprichst als ob Ferdinands Heere nicht bereits um meine Mauern ständen,« entgegnete Boabdil ungeduldig.

»Die Heere Sanheribs waren eben so mächtig,« gab ihm Almamen zurück.

»Weiser Seher,« erwiederte der König in halb spottendem, halb feierlichem Ton, »wir, die Moslemin Spaniens, sind nicht die blinden Fanatiker des Morgenlandes. Das Licht der Philosophie und Wissenschaft hat uns beschienen, und wenn die Hellsehendern unter uns äußerlich immer noch die Formen und Fabeln der Menge verehren, so geschieht Dies aus weiser Klugheit, nicht in thörichtem Glauben. Führ' mir daher keine Beispiele aus verjährten Religionsbüchern an; die Boten Gottes für diese Welt sind, gegenwärtig mindestens, Menschen und keine Engel, und warte ich bis Ferdinand das Loos Sanheribs theilt, so warte ich nur bis das Banner des Kreuzes auf den Rothen Thürmen weht.«

»Aber,« erwiederte Almamen, »wenn mein Herr, der König, den Fanatismus des Glaubens verwirft, verwirft er auch den Fanatismus der Verfolgung? Du glaubst nicht an die Geschichten der Hebräer, aber Du lässest die Hebräer selbst, diesen alten, blutsverwandten arabischen Stamm, in Staub treten, verurtheilt und gefoltert von Deinen Richtern, Deinen Räthen, Deinen Kriegern, Deinen Unterthanen?«

»Die niedrigen Knauser! sie verdienen ihr Schicksal,« antwortete ihm Boabdil stolz. »Gold ist ihr Gott und der Marktplatz ihr Vaterland; unter den Thränen und Seufzern der Völker haben sie blos Mitempfindungen für die Zu- und Abnahme des Handels; was Wunder, daß, während diese Diebe der ganzen Welt ihre Hand in Jedermanns Kassen haben, sie die Hand Jedermanns gegen ihre Kehlen reizen? Schlimmer als der Stamm Hanifa's, der seinen Gott nur zur Zeit der Hungersnoth aß, Der Stamm Hanifa's betete einen Klumpen Teig an. würde das Geschlecht Moisa's Moses. die sieben Himmel um den Strich auf dem Dattelkern Ein im Koran vorkommendes Sprichwort, um etwas möglichst Kleines und Unbedeutendes zu bezeichnen. verkaufen.«

»Eure Gesetze,« entgegnete Almamen, »lassen ihnen keinen andern Spielraum sich emporzuheben, als durch die Liebe des Geldes; und wie die Pflanze ihren Stengel krümmt und verzerrt, um das Haupt durch jedes Hinderniß zur Sonne emporzuwinden, so verzerrt und verkehrt sich das Menschengemüth da, wo die gesetzlichen Wege ihm verschlossen sind, um zu Ansehn und Macht, seinem natürlichen Element, zu gelangen. Diese Hebräer waren keine knauserige Krämer in ihrem heiligen Land, als sie Eure Ahnen, die Heere des alten Arabiens, niederwarfen und sich lieber das Fleisch vor Hunger von den Knochen nagten, ehe sie eine schwächere Stadt als Granada einem stärkern Feind, als diese Sonntagsherren Spaniens, ergeben hätten. Doch lassen wir Das. Glaubt mein Herr, der den Glauben an die Wirksamkeit der Engel verwirft, noch an die Weisheit der Menschen?«

»Ja!« versetzte Boabdil rasch; »denn von jener weiß ich nichts, über diese aber kann ich selbst urtheilen. Almamen, mein tapferer Vetter Musa war heute Abend bei mir. Er lag mir an, die Besorgniß vor meinem Volke, die meinen sehnsüchtigen Muth in diese Mauern fesselt, wegzuwerfen; er lag mir an, jenen Säbel umzugürten und in der Vivarrambla an der Spitze der Edeln Granada's zu erscheinen. Mein Herz schlägt hoch bei diesem Gedanken! und kann ich als König nicht leben, so will ich als solcher mindestens sterben!«

»Edel gesprochen!« erwiederte Almamen kalt.

»Du billigest also mein Vorhaben?«

»Freunde des Königs können es nicht billigen, wenn der König seinen Ehrgeiz darein setzt zu sterben.«

»Ha!« rief Boabdil mit veränderter Stimme, »so glaubst Du denn, mir sey es bestimmt, in diesem Kampf zu fallen?«

»Wie die Stunde erwählt wird, wirst Du fallen oder siegen.«

»Und diese Stunde?«

»Ist noch nicht gekommen.«

»Liesest Du die Stunde in den Sternen?«

»Laß maurische Juden diesen Aberwitz des Kinderglaubens üben; Dein Diener sieht in den Sternen mächtigere Welten, als diese kleine Erde, Welten, deren Licht nicht blinzen würde, wenn die ganze Erde aus den Unendlichkeiten des Raumes wegschwände.«

»Geheimnißvoller Mensch, woher dann Deine Kunde der Zukunft?«

Almamen trat zu dem König, der auf den Balkon zugegangen war.

»Sieh,« sprach er und zeigte auf die Fluten des Darro, »dieser Fluß ist von einem Element, worin der Mensch nicht athmen kann; droben in der dünnen, unfaßbaren Luft finden unsere Füße keinen Halt. Und doch helfen vermittelst einer geringen Kunst die Bewohner der Luft und des Wassers unsern gewöhnlichsten Bedürfnissen ab, tragen zu unsern alltäglichsten Genüssen bei. So ist's mit der wahren Kunst der Zauberei. Glaubst Du, während die kleine Oberfläche der Welt von Leben wimmelt, in den Tiefen der Erde und im unendlichen Aether sey keines? Wie der Fischer seinen Raub ködert, der Vogler seine Beute beschleicht, so können wir durch die Kraft des Menschengeistes die luftigen Bewohner derjenigen Regionen, die unsere groben Leiber nicht zu betreten, unsere groben Sinne nicht zu durchblicken im Stande sind, uns unterwerfen. Dies ist daher meines Wissens Beschaffenheit: Von andern Welten weiß ich nichts, aber über die Dinge dieser Welt, seyen sie Menschen wie Du, oder Gule und Geister, wie Eure Sagen sie nennen, hab' ich Einiges in Erfahrung gebracht. Für die Zukunft bin ich selbst blind, aber ich kann Denen gebieten, deren Augen schärfer, deren Naturen begabter sind.«

»Beweise mir Deine Macht,« sagte Boabdil, minder durch die Worte, als durch die durchdringende Stimme und das imposante Ansehn des Zauberers mit Scheu erfüllt.

»Ist nicht des Königs Wille mein Gesetz? Es soll befolgt werden. Morgen Nacht erwarte ich Dich.«

»Wo?«

Almamen schwieg einen Augenblick und raunte dann dem König ein Wort ins Ohr. Boabdil fuhr zusammen und ward blaß.

»Ein furchtbarer Ort!«

»Das ist die Alhambra auch, großer Boabdil, wenn Ferdinand vor den Mauern und Musa innerhalb derselben ist.«

»Musa! Wagst Du Verdächtigung meines tapfersten Kriegers?«

»Welcher weise König wird dem Abgott seines Heeres trauen? Fiele Boabdil morgen in der Schlacht, wen würden Edle und Krieger auf seinen Thron setzen? Braucht es des Buchs des Zauberers Deinem Herzen den Namen Musa zuzuflüstern?«

»Unseliger Staat, unglücklicher König! Einen Vater hatt' ich nie; ein Volk hab' ich nicht mehr; in Kurzem werd' ich auch kein Land mehr haben. Soll mir wenigstens ein Freund nicht bleiben?«

»Ein Freund? Welcher König hatte je Einen?« erwiederte Almamen trocken.

»Hinweg! Mensch! hinweg!« rief Boabdil, und der Geist seines Geschlechtes und seiner Würde schoß gefährliche Blitze aus seinen Augen; »Deine kalte, blutlose Weisheit friert die Adern meiner Mannheit ein! Ruhm, Vertrauen, Menschengefühl – Alles vernichten Deine Rathschläge. Verlaß mich! Ich will allein seyn!«

»Wir treffen uns morgen um Mitternacht, mächt'ger Boabdil!« entgegnete Almamen mit seinem gewöhnlichen affektlosen Tone. »Es lebe der König für immer!«

Der König wendete sich, aber bereits war sein Ermahner verschwunden. Er ging wie er gekommen: – geräuschlos und schnell wie ein Geist!

Drittes Kapitel.

Die Liebenden.

 

Als Musa von Almamen geschieden war, hatte er die Schritte dem Hügel zugewandt, der jenseits der mit den Thürmen der Alhambra gekrönten Höhe aufsteigt; ein Ort, wo der reichere Theil von Granada's Bevölkerung hausete. Jener wählte die abgelegenern Pfade und gelangte endlich, auf halber Höhe des Hügels, vor eine niedere Mauer von beträchtlicher Ausdehnung, welche die Gärten eines vermöglichen Bewohners der Stadt umschloß. Lange und aufmerksam blickte er umher: Alles war einsam, und nur wenn ein vorüberfliegendes Lüftchen von den schneeigen Höhen der Sierra Nevada in den duftigen Blättern der Citronen und Granaten säuselte, oder der Silberlaut der Fontänen melodisch durch die Gärten tönte, wurde das Schweigen gebrochen. Dem Mauren schlug das Herz hoch; im nächsten Augenblick hatte er die Einfriedigung überstiegen und befand sich auf einem grünen Rasengrund, über den die reichen Farben mancher schlummernden Blume glänzten, und Gruppen und Alleen üppigen Laubes und goldener Früchte ihre Schatten warfen.

Nicht lange und er stand vor einem Haus, dessen Bauart über das maurische Reich hinaus zu gehen schien. Es war über niedrigen Kreuzgängen, die durch schwere, verwitterte Pfeiler getragen wurden, aufgeführt, und eine Fülle von Rosen und Schlinggewächsen hielt es beinah ganz versteckt; die Gitterläden überhalb der Kreuzgänge öffneten auf große, vergoldete Balkons, die der maurische Geschmack dem Ganzen zugefügt hatte. Nur hinter Einem Fenster schimmerte ein Licht; der Rest des Gebäudes war dunkel, als ob, jenes Eine Gemach ausgenommen, im Innern allenthalben der Schlaf herrschte. Zu diesem Fenster schlich sich der Maure, und nach kurzem Stillschweigen sang oder vielmehr flüsterte er – so leise war sein Ton – folgende einfache Verse, die mit geringer Abänderung einem alten arabischen Dichter nachgebildet sind.

Erwach, erwach, mein süßes Glück!
Zum Himmel kam mit holdem Blick
Dein freundlich Schwesterlicht zurück.
Es fehlt dein Blick!
Die Nacht sucht bang nach deinem Blick.

Der heil'ge Vers auf meinem Schwert,
Dein Nam' in meiner Brust,
Zwei heil'ge Zeilen, gleich verehrt,
Mir immer gleich bewußt!

Doch nein! ich fühlt' es tausendmal,
Die Brust mahnt ems'ger als der Stahl.
Schein auf mich, holdes Mondsgesicht;
Aus trüber Nacht ein Sternkranz bricht,
Beneidend deiner Augen Licht,
Ihr süßes Licht:
Welch Stern gleicht diesem Zauberlicht?

Leise öffnete sich das Fenster als er geendigt, und eine weibliche Gestalt erschien auf dem Balkon.

»Ah Leila!« sprach der Maure, »ich sehe Dich und ich bin beglückt.«

»Still!« erwiederte Leila, »sprich leise und bleib nicht lange. Ich fürchte, man argwöhnt unsere Unterredungen, und dies,« setzte sie mit bebender Stimme hinzu, »ist vielleicht das letztemal, daß wir uns sehen.«

»Heiliger Prophet!« rief Musa leidenschaftlich, »was hör' ich? Warum dies Geheimniß? Warum darf ich Deine Abkunft, Deinen Rang, Deine Eltern nicht erfahren? Glaubst Du, schöne Leila, Granadas höchststrebendes Haus würde die Verbindung mit Musa Ben Abil Gasan verschmähen? und,« – fügte er bei, den stolzen Ton zur mildesten Zärtlichkeit herabstimmend – »wenn Niemand so hoch steht, daß er mich verachten dürfte, was könnte dann noch streiten gegen unsre Liebe und Vermählung?«

»Ach,« antwortete Leila weinend, »das Geheimniß, über welches Du klagst, ist mir selbst so dunkel, als Dir. Wie oft hab' ich Dir gesagt, daß ich keine weitere Spur von meiner Geburt und den Schicksalen meiner Kindheit habe, als eine dämmernde Erinnerung an ein ferneres, heißeres Land, wo aus Sand und Wüste die ewige Ceder sproßt und das Kameel auf kümmerlichem, in der heißen Luft welkendem Gras waidet? Auch ist mirs, als hätte ich eine Mutter gehabt: liebevolle Augen blickten auf mich und sanfte Lieder lullten mich in Schlaf.«

»Deiner Mutter Seele ist in die meinige übergegangen,« sagte der Maure zärtlich.

Leila fuhr fort: »Hieher gebracht, ging ich in diesen Wänden vom Kind zur Jungfrau über. Sklavinnen kommen meinen leisesten Wünschen nach, und Diejenigen, die den Unterschied von Reichthum und Armuth gesehen haben, – ich selbst kenne ihn nicht – sagen mir, Schätze und Pracht, die einen König erfreuen könnten, seyen verschwenderisch um mich her zerstreut; von Verwandten jedoch, von Banden des Bluts weiß ich wenig. Mein Vater, ein strenger, stiller Mann, besucht mich selten – oft vergehen Monate, ohne daß ich ihn zu sehen bekomme; aber ich fühle, er liebt mich, und eh' ich Dich kannte, Musa, waren meine liebsten Stunden diejenigen, wo ich auf den Tritt dieses einzigen Freundes horchen und in seine Arme fliegen konnte.«

»Kennst Du seinen Namen nicht?«

»Weder ich noch irgend Jemand im Hause, ausgenommen vielleicht Ximen, der Aufseher der Sklaven, ein alter, abgelebter Mann, dessen bloßer Blick mich ängstlich und stumm macht.«

»Seltsam! – doch weßhalb hältst Du unsre Liebe für entdeckt und eine Trennung für nahe?«

»Still! Ximen kam heute zu mir: ›Mädchen,‹ sprach er, ›die Fußstapfen eines Mannes sind im Garten; erfährt dies Dein Vater, so hast Du zum letzten Mal auf Granada geblickt. Wisse,‹ setzte er in milderem Ton hinzu, als er mich zittern sah, ›daß Du eher Erlaubniß erhalten würdest, Dich dem wilden Tiger zu vermählen, als selbst den stolzesten Häuptling der Morisca zum Gatten zu erlesen. Hüte Dich.‹ Damit ging er. O Musa! mein Herz ist mir tief gesunken, und Ahnung und Schicksal stehen schwarz vor mir auf.«

»Bei meines Vaters Haupt! diese Hindernisse feuern meine Liebe nur an, und ich würde zu Dir emporklimmen, bestünde auch jede Sprosse in der Leiter aus den Leibern von hundert Feinden!«

Kaum hatte der feurige, hochherzige Maure gesprochen, als von unsichtbarer Hand aus dem Gebüsch ein Wurfspieß an ihm vorbeischwirrte, so daß die sausende Luft hart seine Wange streifte, und der schwankende Schaft sich bis an die Mitte in den Stamm eines Baumes grub.

»Flieh! flieh! rette Dich! O Gott, schütze ihn!« rief Leila und verschwand in das Gemach.

Der Maure wartete nicht ob ein besser gezielter Wurf nachfolgen würde; aber dem Instinkt seiner tapfern Natur gemäß, wendete er sich nicht von dem Feind ab, sondern nach ihm zu. Den gezogenen Säbel in der Hand, den halb unterdrückten Schrei der Wuth auf den Lippen, sprang er nach der Richtung zu, aus welcher der Spieß gekommen. Mit Augen, die an maurischen Hinterhalt gewöhnt waren, suchte er emsig, doch vorsichtig, im dunkeln, säuselnden Laub. Auf nichts Lebendiges traf sein Blick, und endlich verließ er, grimmig und zögernden Schrittes, den Garten; aber eben als er von der Mauer gesprungen war, tönte ihm von innen eine niedergehaltene, aber scharfe, schrille Stimme nach:

»Du bist entkommen,« rief sie, »aber vielleicht nur für ein noch kläglicheres Loos aufgespart.«

Viertes Kapitel.

Vater und Tochter.

 

Das Zimmer, wohin sich Leila zurückgezogen, entsprach der Beschreibung, die sie vom Innern des Hauses gemacht. Die Art des Ausschmuckes und der Verzierung eignete der bei den Mauren von Granada herrschenden Sitte nicht. Es entfaltete eine massivere, wenn wir den Ausdruck gebrauchen dürfen, egyptische Pracht. An den Wänden hingen orientalische Zeuge herab, auf welchen schwere goldene Stickerei auf einem Grund vom tiefsten Purpur prangte. Wunderliche Charaktere einer fremden Sprache waren in dem eingelegten Karnieß und dem schweren Plafond angebracht, um dessen viereckige Tragpfeiler sich Schlangen von Gold und Email wanden, deren Augen vermittelst ungeheurer Smaragde einen grünen, lebenähnlichen Schimmer bekamen. Verschiedene Schriftrollen und musikalische Instrumente lagen auf Marmortischen umher, und eine einzige Lampe aus gediegenem Silber warf ein dämmeriges, unterdrücktes Licht ins Gemach. Der Eindruck des Ganzen war, trotz des Prunks, düster, seltsam und beengend, und paßte eher für den kalten Himmel des Normannen, oder für jene dicke, höhlenartige Architektur, welche einst die Bewohner von Theben und Memphis gegen die Strahlen der afrikanischen Sonne schützte, als für den durchsichtigen Himmel und die leichten Zelthäuser der Orientalen Granada's.

Bleich und odemlos, die Lippen geöffnet, die Hände gefaltet, die ganze Seele in dem hinhorchenden Ohr, stand Leila in diesem Gemach, und nicht möglich wär' es gewesen, ein vollkommeneres Ideal irgend einer zarten, glänzenden Peri, die im Palast eines feindlichen, düstern Geistes gefangen ist, zu entwerfen. Ihre Gestalt verband mit der höchsten Schlankheit und Leichtigkeit die runden Formen des weiblichen Umrisses. Die üppigen Locken waren zwar dunkel, aber ein purpurner, schimmernder Anhauch befreite sie von jener düstern Schwere, die bei den Haaren der Asiaten nur allzuhäufig ist, und die Hautfarbe, von Natur blaß, aber klar und licht, wurde selbst im Norden für reizend gegolten haben. Das Profil, die Nase leicht dem römischen Bogen annähernd, war in der vollendetsten Symmetrie gehalten und die vollen, zart gewölbten Lippen zeigten Zähne, durch welche Perlen hätten beschämt werden mögen. Der Hauptreiz lag jedoch in einem Ausdruck von Milde und Reinheit und jenem vergeistigten Gefühl, welches diese Art von Lieblichkeit selten begleitet und vollends der wollüstigen, träumerischen Schlaffheit der maurischen Mädchen ganz fremd war. – Leila aber hatte eine geistige Erziehung, die Statue eine Seele erhalten.

Nach einigen Minuten peinlicher Ungewißheit schlich sie wieder an den Gitterladen, schloß ihn sachte auf und schaute hinaus. Fern, durch eine Oeffnung zwischen den Bäumen, entdeckte sie, obwol nur für einen Moment, die aufrechte, stattliche Gestalt des Geliebten, wie er einen dunkeln Schatten auf den mondbeglänzten Rasen warf und jetzt eben, vom fruchtlosen Nachforschen abstehend, den Blick wieder und wieder ihrem Fenster zuwendete. Schnell verbarg ihn das dichte Laubgeflechte ihren Augen aufs Neue; aber sie hatte genug gesehen – sie trat ins Innere, dankbare Thränen träufelten von ihren Wangen, und auf die hohen Kissen des Zimmers niederknieend sprach sie: »Gott meiner Väter, sey mir gelobt! – er ist gerettet!«

»Und doch« – fügte sie bei, indem ein qualvoller Gedanke sie durchfuhr – »wie kann ich für ihn beten? Wir knieen nicht vor demselben Gotte, und man hat mich gelehrt mich vor Musas Glauben schaudernd abzuwenden! Ach, wie wird Das enden? Unglücklich war die Stunde, als er mich zuerst in diesem Garten sah und über die Mauer sprang und der Leila sagte, sie sey die Geliebte des Helden, dessen Arm der Schild, dessen Name der Segenswunsch Granada's ist. – Weh mir, weh mir!«

Das junge Mädchen bedeckte das Gesicht mit den Händen und sank in schmerzliches Nachdenken, das nur durch ihr Schluchzen unterbrochen wurde. Einige Zeit hatte sie sich ihrem Kummer auf diese Art ungestört hingegeben, als der Vorhang sanft auf die Seite geschoben ward und ein Mann von auffallender Tracht und Haltung ins Zimmer trat. Beim Gewahrwerden ihrer gramvollen Stellung blieb er stehen und betrachtete sie mit einem Blick, worin Mitleid und Zärtlichkeit gegen angewöhnte Strenge und Rauheit zu kämpfen schienen.

»Leila!« sprach er endlich.

Leila fuhr zusammen und ein tiefes Roth überfloß ihr Antlitz. Sie wischte die Thränen aus den Augen und trat, mit einem schwachen Versuch zu lächeln, dem Eingetretenen entgegen.

»Mein Vater, willkommen!«

Dieser ließ sich auf ein Kissen nieder und winkte Leila neben sich.

»Die Thränen sind frisch auf Deiner Wange,« sprach er ernst; »sie sind das Abzeichen Deines Stammes! Unsere Töchter werden geboren um zu weinen, und unsre Söhne um zu seufzen; Asche liegt auf dem Haupt der Mächtigen, und die Brunnen der Schönheit strömen von Galle! O daß wir nur kämpfen könnten – daß wir wagen dürften – daß wir die Häupter erheben könnten und uns vereinen gegen die Fesseln der Uebelthäter! Es ist unmöglich – doch Ein Mann soll eine Nation rächen!«

Das dunkle Gesicht des Vaters, sehr geeignet um mächtige Regungen auszudrücken, ward fürchterlich im Affekt des Zornes. Stirn und Lippe arbeiteten krampfhaft; doch der Anfall dauerte kurz und Leila hatte nur eben über dessen Höhe geschaudert, als er bereits wieder zur Ruhe gekommen war.

»Genug von diesen Gedanken, zu deren Zeugin Du, ein Weib und Kind, nicht geschaffen bist. Leila, mit Zärtlichkeit bist Du genährt, mit Liebe unterrichtet worden. Hart und lieblos mag ich Dir geschienen haben, aber die besten Tropfen meines Herzens hätt' ich hergegeben, um von Deinen jungen Jahren den leisesten Schmerz abzuwenden. Nein, hör' mich ruhig an. Daß Du einst würdig seyest Deines Volkes, und Deine Stunden nicht verrinnen mögen in fühlloser, matter Trägheit, ist Dir Unterricht in solchem Wissen gegeben worden, das Deinem Geschlecht nur selten zu Theil wird. Dein sind nicht die üppigen Künste der maurischen Mädchen, Dein nicht ihre buhlerischen Lieder und ihre Tänze unzüchtiger Lust; Deinen zarten Gliedern ward blos diejenige Stellung gelehrt, welche die Natur für die Verehrung Gottes festgesetzt hat, und der Wohllaut Deiner Stimme ward den Gesängen Deines gefallenen Landes angepaßt, die da trauern ob der Erinnerung seiner Leiden, die beseelt sind von den Namen seiner Helden, und heilig durch die Weihe seines Gebets. Diese Schriftrollen und die Lehren unserer Propheten haben Dir genug von unserer Weisheit und unserer Geschichte mitgetheilt, um Deinen Geist emporzuheben, Deinem Herzen Empfindung für eine heilige Sache zuzuströmen. Hörst Du mich, Leila?«

Verwirrt und erstaunt, denn noch nie hatte ihr Vater in solchem Ton zu ihr gesprochen, antwortete Leila mit einem Ernst in den Zügen, der dem Fragenden zu gefallen schien. Mit veränderter, hohler, feierlicher Stimme nahm er von Neuem das Wort.

»So fluche Deinen Verfolgern! Tochter des großen Hebräer-Geschlechtes, steh auf und fluche dem maurischen Frohnvogt und Räuber.«

Damit erhob sich der Beschwörende selbst und streckte die rechte Hand nach oben, während die linke die Schulter des Mädchens faßte. Sie aber, nachdem sie einen Moment in wildem, scheuem Erstaunen in sein Gesicht geblickt hatte, stürzte sich krümmend zu seinen Füßen, und stöhnte, indem sie dieselben bittend umschlang, mit kaum artikulirten Lauten:

»Schone, schone meiner!«

Der Hebräer, denn ein solcher war er, sah sie, als sie so zu seinen Füßen bebte, mit einem Blick der Wuth und Verachtung an. Seine Hand fuhr nach dem Dolch; er zog ihn halb aus der Scheide, stieß ihn mit einem leise geflüsterten Fluch wieder zurück, und warf ihn dann bedächtlich neben sie auf den Boden.

»Entartetes Geschöpf,« rief er mit einer Stimme, die umsonst nach Ruhe rang, »hast Du einen unwürdigen Gedanken an einen maurischen Ungläubigen in Dein Herz eingelassen, so grabe tief und rotte ihn aus, selbst mit dem Messer und vermittelst des Todes – dann wirst Du meiner Hand diese schändende Arbeit ersparen.«

Schnell riß er sich von ihrer Umschlingung los und ließ das unglückliche Mädchen allein und bewußtlos zurück.

Fünftes Kapitel.

Ehrbegierde durch Staatseinrichtungen zum Frevel verzerrt.

 

Beim Hinabsteigen der breiten, zu Leila's Zimmer führenden Treppe traf der Hebräer auf einen alten, in weite Gewänder von Seide und Pelz gehüllten Mann, auf dessen verwelkten, faltenreichen Zügen das Leben kaum noch gegen den vordringenden Tod zu kämpfen schien – so mager, fahl und leichenähnlich war die Gestalt.

»Ximen,« sprach der Israelite, »treuer und geliebter Knecht, folge mir in die Höhle.« Er wartete nicht auf Antwort, sondern setzte seinen Weg raschen Schrittes durch mehrere Höfe und Alleen fort, bis er endlich zu einem engen, dunkeln, dunstigen Gang gelangte, der in massiven Felsen gehauen zu seyn schien. An der Mündung befand sich ein starkes Gitterthor, das auf den Druck an einer Feder aufsprang, obwol die vereinte Kraft von hundert Männern es nicht aus den Angeln gehoben haben würde. Eine kupferne Lampe ergreifend, die innerhalb in einer Nische brannte, harrte der Hebräer ungeduldig, bis der schwache Alte ihn eingeholt hatte, verschloß dann das Thor wieder, und setzte den vielfach gewundenen Weg ziemlich weit fort, bis er vor einem gewissen Punkt der Felsenwand, der sich in keiner Weise von dem übrigen Gestein zu unterscheiden schien, stehen blieb; und wirklich war die Thür, die er jetzt öffnete, so künstlich eingesetzt und versteckt, und so schnell gab sie seiner Hand nach, daß es in wörtlichem Sinn wie ein Zauberwerk aussah, als der Fels plötzlich gähnte und eine runde Höhle zeigte, erleuchtet von kupfernen Lampen und bedeckt mit Teppichen und Kissen von dichtem Pelz. An rauhen, dem Ansehen nach von der Natur selbst gebildeten steinernen Pfeilern hingen verschiedene alterthümliche, verrostete Waffen; in weiten Nischen lagen mit eisernen Ringen umschlossene Schriftrollen, und eine Menge seltsamer, schwerfälliger Instrumente und Maschinen (worin die Wissenschaft heutiger Zeit vielleicht die Anfänge zu den Erfindungen der Chemie entdeckt haben würde) gab dem wunderlichen Ort ein zauberrüchiges, ominöses Gepräge.

Der Hebräer warf sich auf ein Pelzlager; »Ximen,« sprach er, als der Alte eingetreten war und die Thür verschlossen hatte, »schenke mir Wein ein – er ist ein beruhigender Rathgeber und ich bedarf seiner.«

Aus einer der Vertiefungen der Höhle einen Krug und einen Becher hervorbringend, reichte Ximen seinem Herrn einen reichlichen Trank von dem funkelnden Necktar der Vega, der ihn zu stärken und wiederherzustellen schien.

»Alter,« sagte er, den Becher mit einem tiefen Seufzer leerend, »gieße Dir auch ein; trink bis Deine Adern Jugend fühlen. Beim heiligen Tempel! ich wollte der Trank wäre Feuer!«

Ximen vollzog das Gebot nur unvollkommen; der Wein berührte nur seine Lippen und der Becher ward sogleich bei Seite gesetzt.

»Ximen,« nahm Jener wieder das Wort, »wie viele von unserem Geschlecht sind durch den Geiz der maurischen Könige geschlachtet worden seit Du zum erstenmal Deinen Fuß in die Stadt gesetzt?«

»Dreitausend – die Zahl wurde vorigen Winter auf Befehl des Wessirs Jussuf voll; ihre Habe ward zu Lanzen und Säbeln gegen die Hunde Galiläas verwandelt.«

»Dreitausend – nicht mehr! nur dreitausend! Ich wollte die Zahl wäre dreifach so groß, denn der Zins daraus ist jetzt verfallen!«

»Mein Bruder und mein Sohn und mein Enkel sind unter der Zahl,« sprach der Alte, und sein Gesicht ward noch todtenähnlicher.

»Ihre Grabmäler sollen in Hekatomben ihrer Zwingherren bestehen. In der Rache wenigstens soll man die Juden keine Knauser nennen.«

»Aber verzeihe mir, edler Herr eines gefallenen Volks, glaubst Du, wir werden von jenen stolzen, hoch herab schauenden Nazarenern minder ausgeplündert und mit Füßen getreten werden, als von den arabischen Ungläubigen?«

»Zwar sind Beide verflucht,« erwiederte der Hebräer, »aber die Einen verheißen uns mehr als die Andern. Ich habe diesen Ferdinand und die stolze Königin gesehen; sie haben sich verbindlich gemacht, uns größere Rechte und Freiheiten zuzugestehen, als wir bisher irgendwo in Europa gehabt.«

»Und sie werden nicht an unsern Handel, unsern Gewinnst, unser Gold rühren?«

»Weh über Dich!« rief der ergrimmte Israelite und stampfte auf den Boden. »Wäre doch alles Gold der Erde in den ewigen Abgrund gesunken! Dieser niedrige, klägliche, eckelhafte Krebs des Geizes ist es, was den Menschen unseres Stammes Herz, Seele, ja das Menschenansehn selbst wegfrißt! Oft, wenn ich die königlichen Züge der Abkömmlinge Salomos und Josuas von kleinen, ärmlichen Sorgen abgemagert und durchfurcht sah, – sah, wie die Gestalt des kraftvollen Mannes sich wie ein kriechend Gewürm zu einem hockenden Seide- oder Salbenkrämer zusammenwand, – hörte, wie die Stimme, die den Schlachtruf erheben sollte, sich zu den knechtischen Tönen niederer Furcht oder noch niedrigerer Hoffnung verdünnte, oft hab' ich mich gefragt, ob ich wirklich vom Blute Israels sey, und habe dem großen Jehovah gedankt, daß er wenigstens von mir den Fluch abgewendet, der meine Brüder zu Wucherern und Sklaven entartet hat.«

Ximen vermied klüglicher Weise die Antwort auf einen Gefühlsausbruch, den er weder theilte, noch begriff; nach kurzer Stille kehrte jedoch der Fluß des Gespräches zurück.

»Du bist denn, um Rache an den Mauren zu nehmen, entschlossen, jedem möglichen Treubruch dieser Nazarener Dich auszusetzen?«

»Ja, der Dunst des Menschenblutes ist zum Himmel aufgestiegen, und hängt, zu Donnerwolken verdichtet, über der ihrem Schicksal verfallenen Stadt. Und jetzt hab' ich noch einen neuen Grund des Hasses gegen die Mauren: die Blume, die ich aufgezogen und gehütet, wollte ein Räuber mir vom Herzen reißen. Leila – Du hast sie schlecht bewacht, Ximen, und wärest Du mir nicht gerade um Deiner Bosheit und Verdorbenheit willen werth, so würde die aufgehende Sonne Deinen Rumpf in den Fluten des Darro erblickt haben.«

»Gebieter,« antwortete Ximen, »konntest Du, der Weiseste unseres Volkes, ein Mädchen nicht vor der Liebe hüten, wie kannst Du Dies den dämmernden Augen und dumpfen Sinnen eines elenden alten Mannes als Frevel zurechnen?«

Der Israelite erwiederte nichts, und schien diese entschuldigende Gegenbemerkung gar nicht zu hören. Es war als sey er in die eigenen Gedanken vertieft, und zu sich selbst flüsterte er also: »Es muß so seyn; das Opfer ist hart – die Gefahr groß, aber hier wäre sie wenigstens noch unmittelbarer. Es soll geschehen. Ximen,« fuhr er wieder mit lauterem Tone fort, »weißt Du gewiß, daß selbst meine eigenen Landsleute, mein eigener Stamm, mich nicht als einen der Ihrigen kennen? Würden meine verachtete Geburt und Religion bekannt, so würde ich als ein Betrüger in Stücke zerrissen, und alle Künste der Kabala vermöchten mich nicht zu retten.«

»Zweifle nicht, großer Gebieter; Niemand in Granada als Dein treuer Ximen kennt Dein Geheimniß.«

»Das sey auch mein Glaube und meine Hoffnung! Und jetzt ans Werk; diese Nacht muß in Arbeit zugebracht werden.«

Der Hebräer stellte einige der erwähnten seltsamen Instrumente vor sich und nahm aus den Vertiefungen der Felsenwand mehrere Schriftrollen. Der Alte saß zu seinen Füßen, bereit seinen Winken zu gehorchen, aber allem Anschein nach starr und bewegungslos wie ein Leichnam, dem seine gebleichten Farben, seine eingeschrumpfte Gestalt vollkommen ähnelten. Wirklich glich die Gruppe ganz dem Bild eines in seinem Werk begriffenen Zauberers, der irgend einen alten Mann aus dem Grab beschworen hätte, um seine Befehle zu vollziehen.

In der vorhergegangenen Unterredung blickten genugsame Zeichen durch, um den Leser zu überzeugen, daß der Hebräer, in welchem er bereits den Almamen der Alhambra entdeckt hat, nicht den gewöhnlichen Charakter seines Volkes trug. Aus einem Geschlecht, das bis in das Dunkel seiner geheimnißvollen Nation zur Zeit ihrer Macht hinaufragte, und im Besitz ungeheurer Reichthümer, gegen welche die Einkünfte gothischer Fürsten Armuth waren, – verfloß die Jugend dieses merkwürdigen Mannes nicht unter Schachern und Feilschen, sondern unter Reisen und Studien.

Als Kind war Granada seine Heimath gewesen. Er hatte seinen Vater durch den vorigen König, Muley Abdalla, um keines andern Verbrechens, als seiner berufenen Schätze willen, hinschlachten und seinen Leib aufschneiden sehen, um die Juwelen aufzuspüren, die er verschlungen haben sollte. Er hatte es gesehen, und, so jung er war, Rache geschworen. Ein entfernter Verwandter brachte den Verwaiseten nach einem vor Verfolgung gesichertern Lande, und der Kunstgriff, mit welchem die Juden ihren Reichthum zu verstecken wußten, indem sie denselben in verschiedenen Städten zerstreuten, rettete dem Geflüchteten die Kostbarkeiten, wonach Granada's Tyrann die Hand ausgestreckt.

Der größere Theil der damals bekannten Welt war von Almamen besucht und mehrere Jahre am Hof des Sultans von Egypten zugebracht worden, das immer noch in dem Ruf dunkler Wissenschaft und magischer Künste stand. Nicht fruchtlos hatte der Reisende selbst sich auf diese verführerischen, wilden Forschungen gelegt, und mehrere der Geheimnisse erkundet, die jetzt der Welt vielleicht auf immer verloren sind. Wir wollen damit nicht andeuten, als habe er sich Das zu eigen gemacht, was Märchen und Aberglauben uns als Zauberkunst überliefern möchten. Er konnte weder den Elementen befehlen, noch den Schleier der Zukunft durchschauen – weder Heere mit einem Wort auseinander jagen, noch sich durch Aussprechen einer magischen Formel an einen entfernten Ort versetzen. Allein Männer, die Jahrhunderte lang ihr Leben damit zugebracht, alles Mögliche zu versuchen, was die Menge in Erstaunen und Angst setzen kann, mußten nothwendig manche Geheimnisse lernen, welche die ganze nüchternere Weisheit der neuern Zeit umsonst zu lösen oder wieder ins Leben zu rufen suchen würde. Viele dieser, oft ganz handwerksmäßig erworbenen Künste – (ihre Entdeckung häufig das Werk eines zufälligen Zusammentreffens chemischer Agentien!) – konnten Diejenigen selbst, welche sie ausübten, nicht immer erklären, und von den hervorgebrachten Erscheinungen keine Rechenschaft geben, so daß die Macht ihrer Täuschungen sie selbst täuschte und sie sich oft für die Meister der Natur hielten, wenn sie nur ihre irrenden, wirren Schüler waren. Zu diesen Menschen gehörte Almamen. Er wußte, daß er ein Betrüger war; gleichwol war er selbst gewissermaßen das betrogene Spielwerk seines verirrten Wissens und der Glut seiner hochfliegenden, enthusiastischen Einbildungskraft. Seine eigene großartige Eitelkeit benebelte ihn, und wenn es eine geschichtliche Thatsache ist, daß die Könige des Alterthums, verblendet durch ihre eigene Gewalt, Augenblicke hatten, in welchen sie sich für mehr als Menschen hielten, so erscheint es keineswegs unglaublich, daß Weise, die noch über den Königen stehen, auf einen so schwachsinnigen oder, vielleicht, so erhabenen Wahn gerathen und sich selbst einbilden konnten, sie hätten ein wirkliches Recht auf den unheimlichen Namen, welchen der Glaube der Menge ihren Talenten und Gaben beilegte.

Obwol übrigens der Zufall der Geburt, der Almamen von jedem Feld der Thatkraft und Ehrbegierde ausschloß, ihn zur stillen Betrachtung und zu den Studien geführt, hatte die Natur doch so mächtige Leidenschaften keineswegs für die ruhige, wenn auch schwärmerische Beschäftigung bestimmt, der er sich hingab. Unter seinen Schriftrollen und Prophetenbüchern hatte er nach That und Ruhm geschmachtet, und durch den allgemeinen Bann, welcher auf der Religion, der er angehörte, in jedem Land und von Seiten jedes Glaubens lastete, an jedem gesunden Ausweg gehemmt, bildeten seine ganz sich selbst überlassenen Geisteskräfte riesige aber bodenlose Entwürfe, die, als einer nach dem andern wieder in Nichts zerstäubte, endlich nur das Gefühl dunkeln Menschenhasses und heißer Rachbegierde nach sich ließen.

Hätte seine Religion in Ansehn und Macht gestanden, so wär' er vielleicht ein Skeptiker geworden; Verfolgung und Leiden machten ihn zum Schwärmer. Doch treu jenem Grundzuge des alten Hebräerstammes, der in seinem Messias nur einen Krieger und Fürsten suchte, und alle Hoffnungen und Aussichten nur an weltlichen Sieg und Rang anknüpfte, wollte Almamen seine Religion lieber weltlich fördern, als ihr gehorchen. Er kümmerte sich wenig um ihre Vorschriften und dachte wenig an ihre Lehren; aber Nacht und Tag wälzte er die Plane zu ihrer irdischen Wiederherstellung in sich um.

Damals waren die Mauren in Spanien viel mörderischere Verfolger der Juden, als die Christen. In den spanischen Küstenstädten hatte dieses Handelsvolk kommerzielle Verbindungen mit den Christen eingegangen, die für die Einzelnen wie für die Gemeinheit so vielen Nutzen abwarfen, daß den Juden daraus nicht nur Duldung, sondern sogar eine Art persönlicher Freundschaft an jedem Ort erwuchs, wo gekauft und verkauft wurde. Der düstre Fanatismus, der später den Ruhm des großen Ferdinand befleckte, und die Schrecken der Inquisition einführte, war kaum nur in vorübergehenden Launen sichtbar geworden. Die Mauren dagegen hatten das unglückliche Volk mit vollendeter, erbarmungsloser Barbarei behandelt. In Granada, unter der Regierung von Boabdils grausamem Vater – »diesem König mit dem Tigerherzen,« – waren die Juden im wörtlichen Sinne als keine Menschen betrachtet worden, und selbst unter dem milden, beschaulichen Boabdil hatte man sie ohne Gnade ausgeplündert, und, wenn sie im Verdacht verheimlichter Schätze standen, ohne Bedenken niedergehauen; die Bedürfnisse des Staates blieben immer noch ihre nicht zu erweichenden Ankläger, – ihr Reichthum immer noch ihr unsühnbares Verbrechen.

In den Zeiten dieser Gräuel war Almamen zum erstenmal seit dem Tod seines Vaters wieder nach Granada zurückgekehrt. Er sah das ungemilderte Elend seiner Brüder, und er erneuerte seinen Schwur. Da sein Name umgeändert, sein Geschlecht ausgestorben war, so erkannte Niemand in dem Manne Almamen den Knaben Isaschars, des Juden. Wirklich hatte derselbe seit lange für klüglich erachtet seinen Glauben zu verbergen, und war in den Ländern Afrika's nur als der mächtige Santon, oder der weise Magier bekannt.

Dieser Ruf hob ihn in Granada bald hoch in der Gunst des Hofes. Ins enge Vertrauen Muley Abdalla's gezogen, hatte er mit der Königin Mutter gegen diesen Fürsten sich verschworen und es erlebt, daß er endlich seinen ermordeten Vater an dem königlichen Mörder rächen konnte. Nicht weniger vertraut stand er mit Boabdil; aber, gestählt gegen jedes brüderliche Gefühl außer den Grenzen seines Glaubens, sah er in dem Vertrauen des Königs nur die Blindheit eines Opfers.

Schlangenartig, wie er war, kümmerte es ihn nicht, durch welchen Schlamm der Verrätherei und des Betrugs er seine verderblichen Windungen zog, wenn er nur endlich den Satz auf seine Beute thun konnte. Von der Natur war ihm Schlauheit und Kraft gegeben worden. Der Fluch seiner Verhältnisse hatte ihn zum Staub herabgedrückt, aber auch dem Staub angepaßt. Kroch er wie ein Gewürm, so hatte er auch dessen Gift und Zahn.

Sechstes Kapitel.

Der Löwe im Netz.

 

In der darauf folgenden Nacht, nicht lange vor Anbruch des Tages, berief der König von Granada plötzlich Jussuf, den Wessir, vor sich. Der alte Mann fand Boabdil in höchster Aufregung; aber beinah für verrückt hielt er seinen Herrn, als er von ihm den Befehl erhielt, sich der Person des Musa Ben Abil Gasan zu versichern, und ihn in den stärksten Kerker des Rothen Thurmes zu werfen. Auf Boabdils natürliche Milde bauend wagte der Wessir Gegenvorstellungen, Winke über die Gefahr, gewaltsame Hand an einen so beliebten Häuptling zu legen, und wollte fragen, welcher Grund für einen solchen Schimpf denn angegeben werden möchte.

Die Adern schwollen wie Stricke auf Boabdils Stirn; seine Antwort war kurz und gebietend:

»Bin ich noch König, daß ich einen Unterthan fürchten, oder über meinen Willen Rechenschaft geben soll? Du hast meine Befehle; hier ist mein Siegel und der Firman: Gehorsam oder die Bogensenne.« Zum Erdrosseln.

Nie zuvor hatte Boabdil seinem gefürchteten Vater in Sprache und Benehmen so geglichen; der Wessir zitterte an allen Gliedern und zog sich schweigend zurück. Boabdil sah dem Abgehenden aufmerksam nach, preßte dann die Hände in großer Bewegung zusammen und rief: »O Lippen des Todten, ihr habt mich gewarnt, und euch opfre ich den Freund meiner Jugend.«

Der Wessir nahm, als er Boabdil verließ, einige jener ausländischen Serailsklaven mit, die außerhalb ihrer Mauern für nichts Menschliches Mitgefühl oder Erbarmen haben, und verfolgte seinen Weg in qualvoller Verlegenheit und Verwirrung nach Musa's Palast. Er wagte es jedoch nicht, sich dem Tumult auszusetzen, der wol in der ganzen Nachbarschaft entstehen durfte, wenn er zu so ungewohnter Stunde gewaltsam einzudringen versuchte, sondern zog es vor, mit seinen Begleitern in einiger Entfernung zu warten, bis mit dem Morgengrauen die Pforten aufgeschlossen und es im Innern lebendig würde.

Demzufolge verbarg sich Jussuf, seine Sterne anklagend und sich fortwährend über seinen Auftrag wundernd, mit seinen schweigenden Gefährten in einem kleinen Buschwerk neben dem Palast, bis das Tageslicht über die Stadt herein brach; dann erst trat er ein und wurde in eine Halle geführt, wo er den gefeierten Moslem bereits aufgestanden und im Gespräch mit einigen Zegris-Offizieren über das Verfahren bei einem auf heute festgesetzten Ausfall fand.

Jussuf näherte sich dem Fürsten mit so auffallendem Widerstreben und Bedenken, daß die wilden, scharfsichtigen Zegris sogleich eine üble Absicht bei dem Besuch witterten; und als Musa, erstaunt, der Bitte des Wessirs um eine Privataudienz Folge leistete, ließen die Krieger nur mit gekrümmten Brauen und funkelnden Augen den geliebten Führer allein mit dem Boten des Königs.

»Beim Grab des Propheten!« rief Einer, als er aus der Halle trat, »der furchtsame Boabdil traut unsrem Ben Abil Gasan nicht. Ich bemerkte Dies schon früher.«

»Still!« sagte ein Andrer, »sehen wir zu. Krümmt der König ein einziges Haar in Musa's Bart, so habe Allah Erbarmen mit seinen Sünden.«

Mittlerweile zeigte der Wessir dem Fürsten schweigend den Firman und das Siegel, und bat ihn dann, ohne daß ers gewagt hätte den Ort zu nennen, wohin er ihn führen sollte, ihm unverweilt zu folgen. Musa entfärbte sich, aber nicht aus Furcht.

»Wie!« sprach er im Ton tiefer Bekümmerniß, »ist's möglich, daß ich das Mißfallen oder den Verdacht meines königlichen Verwandten erregen konnte? Doch gleichviel; stolz darauf, Granada ein Beispiel des Muths gegeben zu haben, wie es sich vertheidigen soll, will ich ihm auch eines geben, wie es seinem Könige gehorchen müsse. Geh – ich folge Dir. Doch halt, Du brauchst keiner Wachen; laß uns durch ein geheimes Pförtchen austreten. Die Zegri's möchten unruhig werden, sähen sie mich den Palast um diese Stunde mit Dir verlassen, wo das Heer sich in der Vivarrambla sammelt und meiner Ankunft harrt. Hier hinaus!«

Damit ging der Prinz, der bei aller Tapferkeit jedem Impuls folgte, den orientalische Unterthanentreue gegen den König fordert, von der Halle auf ein Thörchen zu, das nach dem Garten führte, und begleitete den Wessir in gedankenvollem Schweigen nach der Alhambra. Als sie an dem Gehölz vorbeikamen, worin Musa vor zwei Nächten auf Almamen gestoßen, bemerkte Jener bei einer schnellen Wendung des Kopfes die dunkeln Augen des Zauberers, der eben aus den Bäumen heraus trat. Er glaubte in diesen Augen eine boshafte, feindselige Freude wahrzunehmen; Almamen jedoch ging, ihn ernst grüßend, durch das Gebüsch vorüber. Der Prinz würdigte ihn keines Nachsehens, widrigenfalls er noch einmal jenen giftigen Blick bemerkt haben dürfte.

»Uebermüthiger Heide!« flüsterte Almamen vor sich hin; »Dein Vater füllte seine Schatzkammern mit dem Gold manches gefolterten Hebräers, und Du selbst, zu stolz um ein Knicker zu seyn, warst wenigstens blutdürstig genug, um den Fanatiker zu spielen. Dein Name ist ein Fluch in Israel; doch wenn Dich nach einer Tochter unsres verachteten Stammes lüstet und vereitelte Lust Dir ein Stachel ist, so bin ich gerächt. Ja, zieh nur hin mit Deinem stattlichen Schritt und hohen Federbusch – Du gehst den Ketten, vielleicht dem Tode zu.«

Indem Almamen also seiner bittern Stimmung Luft machte, entschwand der letzte Schimmer von Musa's weißem Gewand seinem Blicke. Er blieb einen Moment stehen, wendete sich dann plötzlich um und sagte halblaut: »Rache, nicht an einem einzigen Mann, sondern an einem ganzen Volke! Jetzt zu dem Nazarener.«


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