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Drittes Buch.


Erstes Kapitel.

Isabella und das Judenmädchen.

 

Während dieses Auftrittes vor Torquemada's Tribunal war Leila mitten aus den Schreckbildern der Angst, gegen welche anzukämpfen ihre zarte Natur wie ihre phantastische Erziehung ihr gleich schwer machten, in die Gegenwart der Königin abgerufen worden. Zwar klebten auch dieser begabten, hochgesinnten Fürstin, deren Tugenden ihr selbst, deren Fehler ihrer Zeit angehörten, der Aberglaube und etwas von dem unduldsamen Geist ihres königlichen Gemahls an; aber auch wo ihr Glaube den Verfolgungen beistimmte, neigte sich ihr Herz immer zum Erbarmen, und ihre Stimme allein war es, die dem grausen Eifer Torquemada's entgegen wirkte, und die Leiden der Unglücklichen, die unter den Verdacht der Ketzerei fielen, milderte. Glücklicherweise hatte sie überdies ein eben so starkes Gerechtigkeitsgefühl, als sie dem Mitleiden offen war, und oft, wenn sie einen Angeklagten nicht zu retten vermochte, verhinderte sie wenigstens, daß die Folgen des ihm zur Last gelegten Verbrechens nicht auf die schuldlosen Glieder seines Hauses oder Stammes fielen.

Zwischen seinem Gespräche mit Ferdinand und dem Verhör Almamens hatte der Dominikaner die Königin aufgesucht, und ihr in glühenden Farben nicht nur den Verrath des Hebräers, sondern auch die Folgen der ruchlosen Liebe ihres Sohnes zu Leila geschildert. Damals galt jede Verbindung zwischen einem christlichen Ritter und einer Jüdin für eine kaum sühnbare Sünde, und Isabella faßte all den Abscheu vor dem Vergehen ihres Sohnes, der in einer frommen Mutter und einer stolzen Königin natürlich war. Gleichwol konnte sie trotz aller Argumente des Mönchs nicht bewogen werden, Leila dem Inquisitionstribunal zu übergeben, und dieser nur eben erst errichtete furchtbare Gerichtshof wagte es noch nicht, ohne ihre Einwilligung Jemand zu greifen, der unter ihrem unmittelbaren Schutze stand.

»Seyd unbesorgt, Vater,« sprach Isabella mit ruhiger Festigkeit – »ich will es auf mich selbst nehmen, das Mädchen zu untersuchen, und werde sie mindestens jeder Möglichkeit zu verführen, oder von diesem gottlosen Knaben verführt zu werden, entziehen. Aber sie ward als Pfand und Geisel unter des Königs und meine eigene Obhut gestellt; wir nahmen die Geisel an und unsere königliche Ehre ist also für die Sicherheit des Mädchens verpfändet. Der Himmel verhüte, daß ich das Daseyn von Zauberkünsten läugnen sollte, da wir wissen, daß dieselben ein Ausfluß des Satans sind: aber ich fürchte, daß bei dieser Grille Juan's mehr gegen das Mädchen gesündigt wurde, als daß sie selbst die Sündige wäre; gleichwol weiß mein Sohn ohne Zweifel nichts von dem unglücklichen Glauben der Jüdin; die Kunde von demselben wird schon allein hinreichen, ihn von seinem Irrthum zu heilen. – Ihr schüttelt den Kopf, Vater; aber, ich wiederhole es, ich werde in dieser Angelegenheit so handeln, daß ich mich des gefoderten Vertrauens würdig zeige. Geht, guter Thomas; wir haben nicht so lange regiert, ohne mindestens die Ueberzeugung davon zu tragen, mit einem schlichten Mädchen allein fertig werden zu können.«

Die Königin reichte dem Mönch die Hand mit einem bei aller Würde so lieblichen Lächeln hin, daß selbst dieses rauhe Herz besänftigt wurde. Mit einem widerstrebenden Seufzer und einem hingemurmelten Gebet, daß Isabellens Entschlüsse zum Besten geleitet werden möchten, schied Torquemada aus ihrer Gegenwart.

»Das arme Kind!« dachte diese; »so zarte Glieder, eine so zerbrechliche Gestalt taugen nicht für jenes Mönches strenge Obhut. Sie scheint von milder Natur und ihr Antlitz zeigt die ganze nachgebende Sanftheit unsres Geschlechtes: ohne Zweifel kann sie durch gelinde Mittel bewogen werden, ihren unseligen Glauben abzuschwören, und die Mauern irgend eines heiligen Klosters dürften sie eben so sehr vor dem leichtfertigen Blick meines Sohnes, wie vor dem eisernen Gemüth des Inquisitors verbergen.«

Als Leila das königliche Zelt betrat, bemerkte Isabella, die sich allein daselbst befand, mitleidig den zitternden Schritt; und als Jene, dem Befehl der Königin gehorchend, den Schleier aufschlug, sprachen die Blässe ihres Gesichtes und die frischen Thränenspuren mit mehr Erfolg zu ihren Gunsten im Gemüth der hohen Frau, als all die frommen Schmähungen Torquemada's gewirkt hatten, um gegen die Verlassene einzunehmen.

»Mädchen,« sprach Isabella ermuthigend, »Du bist wol durch die Tollheit des gedankenlosen jungen Prinzen sehr geängstiget worden. Denk nicht mehr daran. Bist Du aber wirklich so, wie ich mir Dich vorzustellen gewagt, und für welche ich Dich gegen Andere bereits mit Bestimmtheit ausgegeben habe, so unterwirf Dich ohne Zaudern den Mitteln, die ich Dir nennen will, um in Zukunft Annäherungen zu verhüten, die Dich um Deinen guten Namen bringen müßten.«

»Ach, meine Gebieterin,« rief Leila, indem sie neben der Königin auf ein Knie niedersank, »mit höchster Freude und Dankbarkeit will ich jede Freistätte annehmen, die mir Friede und Einsamkeit bietet.«

»Die Freistätte, zu der ich Deine Schritte leiten möchte,« erwiederte Isabella sanft, »ist wirklich eine solche, deren Einsamkeit heilig, deren Friede der Friede des Himmels ist. Doch hievon später. Du willst also nicht zaudern, das Lager dem Prinzen unbewußt und eh er Dich wieder suchen kann, zu verlassen?«

»Zaudern? ach wie soll ich vielmehr meinen Dank ausdrücken?«

»Nicht falsch hab' ich in diesem Gesicht gelesen,« dachte die Königin, und nahm dann wieder das Wort: »Sey es denn so; wir wollen nicht die nächste Nacht erwarten. Zieh Dich dort ins Innere des Zeltes zurück: die Sänfte soll sogleich für Dich bereitet werden, und eh es Mitternacht, sollst Du in Sicherheit unter dem Dach eines der bravsten Ritter und einer der edelsten Frauen schlafen, deren unser Königreich sich rühmen kann. Du wirst einen Brief mitbekommen, der Dich der Sorge Deiner Wirthin ausdrücklich anempfiehlt – Du wirst sie von liebevoller, mütterlicher Natur finden. Und, Kind,« setzte die Königin mit wohlwollender Wärme hinzu, »verhärte Dein Herz nicht gegen sie; höre mit lernbegierigem Sinn auf ihr freundliches Bedeuten, und mögen Gott und sein Sohn den Rath dieser frommen Frau segnen, so daß ein neuer Verirrter für die Flur der Unsterblichkeit gewonnen werde.«

Leila hörte mit Staunen zu, antwortete aber nichts; erst am Eingang in die innere Abteilung des Zeltes blieb sie plötzlich stehen und sprach:

»Verzeiht mir, gnädige Königin, aber darf ich Eine Frage an Euch thun? – sie betrifft nicht mich selbst.«

»Sprich und fürchte nichts.«

»Mein Vater – ist etwas über ihn verlautet? Er versprach, vor Verfluß des fünften Tages sein Kind wieder zu sehen; ach, diese Frist ist um, und noch immer bin ich allein im Hause des Fremden.«

»Unglückliches Kind,« sprach Isabella zu sich selbst, »Du weißt weder von seinem Verrath, noch seinem Schicksal – doch wozu auch? Unkundig dessen, was später hoffentlich zu Deinem Segen ausschlagen soll, bleib auch unkundig über das, was Dir jetzt Schmerz bereiten würde.« – »Habe guten Muth, Mädchen,« fuhr sie ausweichend mit lauter Stimme fort. »Ohne Zweifel haben genügende Gründe seine Ankunft verhindert. Dir aber sollen die Freunde nicht fehlen im Hause des Fremden.«

»Ah, edle Königin, verzeiht mir: noch ein einziges Wort. Mehr als einmal ist ein rauher, alter Mann bei mir gewesen, dessen Stimme mir das Blut in den Adern einstarrt; er befragt mich im Ton eines Feindes, der dem Kind etwas zum Nachtheil des Vaters entlocken möchte. – Dieser Mann – Ihr kennt ihn, gnädige Königin – hat doch nicht die Gewalt, meinem Vater zu schaden?«

»Sey ruhig, Kind! Der Mann, von dem Du sprichst, ist ein Priester Gottes, und der Unschuldige hat nichts von seinem ehrwürdigen Eifer zu besorgen. Für Dich selbst sey, ich wiederhol' es, guten Muthes; an dem Ort, den ich Dir bestimme, wirst Du jenen Mann nicht wieder sehen. Sey getrost, armes Mädchen – weine nicht: Jeder hat seine Sorgen; unsere Pflicht ist, in diesem Leben zu dulden, und die Hoffnung blos für das nächste aufzusparen.«

Die Königin, in ihrer eigenen Person jenen häuslichen Bedrängnissen bestimmt, welche weder Pomp und Macht zu mildern noch zu beschwichtigen im Stande sind, sprach mit prophetischer Trauer, die das durch ihren freundlichen Blick und Ton bereits besänftigte Herz noch mehr rührten; und mit dem natürlichen Impuls eines Wesens, das in dem strengen Ceremoniell des Hofes noch nie geschult worden, trat Leila schnell vor, fiel auf ein Knie nieder, ergriff die Hand ihrer Beschützerin und drückte ihr mitten durch die Thränen heiße Küsse auf.

»Seyd Ihr auch unglücklich?« fragte sie – »ich will für Euch zu meinem Gott beten.«

Die Königin, überrascht und bewegt durch eine Handlung, die, wären Zeugen da gewesen, vielleicht – denn so ist die Menschennatur – nur ihre castilianischen Vorurtheile verletzt haben würde, ließ ihre Hand in Leilas dankbarer Umschlingung, und sprach, indem sie die andere auf die auseinander wallenden, üppigen Locken des knienden Mädchens legte, mit sanfter Stimme: »Und Dein Gebet soll Dir Früchte tragen, wenn Dein und mein Gott derselbe sind. Er segne Dich, Kind! ich bin eine Mutter, Du bist mutterlos – er segne Dich!«

Zweites Kapitel.

Prüfung des Judenmädchens – wobei die Geschichte vom Aeußern zum Innern übergeht.

 

Zur selben Stunde, beinah zur selben Minute, wo Almamen seine geheimnißvolle Flucht aus dem Inquisitionszelt bewerkstelligte, hielt das aus einigen erlesenen Kriegern von Isabellas eigner Leibwache bestehende Geleite für Leilas Sänfte, nachdem es denjenigen Theil des Gebirgpasses, der sich in der Gewalt der Spanier befand, durchzogen und nun eben eine hohe, steile Anhöhe erstiegen hatte, vor den Thoren eines stark befestigten Schlosses an, welches in der Geschichte dieses denkwürdigen Krieges sehr berufen ist. Das trotzige »Wer da?« der Wache, das Knarren der Thorflügel, der Hufschlag auf dem rauhen Pflaster der Schloßhöfe, das flatternde Licht der Fackeln, das auf strenge, bärtige Gesichter fiel, und die mondbeglänzten Pfeiler und Zinnen der Burg wild und seltsam anstrahlte, weckten Leila eher aus einer Art Betäubung, als aus wirklichem Schlaf, worin die Mühen und Aufregungen des Tages ihre Sinne gesenkt hatten. Ein alter Seneschall führte sie durch große, düstre Hallen (wie ungleich den schimmernden Gemächern und phantastischen Arkaden ihres maurischen Hauses!) in ein mächtiges, mit flandrischen Tapeten behangenes Zimmer gothischer Bauart. Nach wenigen Augenblicken drängten sich hastig aus dem Schlaf geweckte Mädchen mit einer Ehrerbietung um sie her, die ihr gewiß nicht zu Theil geworden wäre, hätten sie ihre Geburt und Religion gekannt. Mit Verwunderung blickten sie auf ihre außerordentliche Schönheit und fremdartige Tracht, und betrachteten augenscheinlich den neuen Gast als eine willkommene Zugabe für die eng begrenzte Gesellschaft im Schloß. Unter jedem andern Verhältniß würde der seltsame Anblick alles Dessen, was die Ankömmlingin wahrnahm, und die unheimliche Düsterheit des ihr zugewiesenen Gemachs, das Gemüth einer jungen Person, deren Schicksal so plötzlich von der tiefsten Ruhe zur gewaltigsten Aufregung übergegangen, ziemlich herabgestimmt haben. Allein jeder Ortswechsel war hier eine Erleichterung gegen den Lärm des Lagers, die Zudringlichkeit des Prinzen und die unheilkündende Stimme und Miene Torquemada's; und so blickte denn Leila mit der Empfindung um sich, daß das Versprechen der Königin erfüllt sey, und sie sich bereits unter den Segnungen des Schutzes und der Ruhe befinde. Gleichwol dauerte es lange, ehe der Schlaf von Neuem auf ihre Auglider sank, und als sie wieder erwachte, schien die Mittagsonne breit durch den Gitterladen. An ihrem Bette saß eine in Jahren schon vorgerückte Matrone von milden, einnehmenden Zügen, die durch einen Ausdruck sanfter, zur Gewohnheit gewordener Melancholie noch anziehender wurden. Sie war in Schwarz gekleidet, aber die reichen, in Aermel und Mieder eingestickten Perlen, das Juwelenkreuz, das an einer Kette von massivem Gold um ihren Nacken hing und mehr noch ein gewisses Ansehn von Würde und Herrschaft deuteten selbst Leilas ungeübtem Auge auf einen ausgezeichneten Rang der Dasitzenden hin.

»Du hast lange geschlafen, Tochter,« sprach die Dame mit wohlwollendem Lächeln; »möge der Schlaf Dich gestärkt haben! Zu meinem Bedauern hab' ich erst diesen Morgen Deine Ankunft vernommen, widrigenfalls ich die Erste gewesen seyn würde, das mir von meiner königlichen Gebieterin anvertraute Pfand zu begrüßen.«

Mehr noch im Blick, als in den Worten der Donna Inez de Quexada drückte sich eine tröstende, zärtliche Theilnahme aus, die ein Balsam für Leilas Herz war; wirklich befand sich Letztere vielleicht bei der einzigen spanischen Dame von reinem und christlichem Blut, welche den Volksstamm ihres Gastes nicht verachtete, oder vor dessen Namen schauderte. Donna Inez selbst nämlich stand gegen einen Juden in einer Verpflichtung, die sie gegen das ganze jüdische Geschlecht abzuzahlen suchte. Viele Jahre vor der Zeit unserer Erzählung hatten ihr Gemahl und sie sich, in Folge einer wichtigen Staatsmission, in Neapel aufgehalten, das damals mit der Politik Spaniens enge verflochten war. Sie hatten einen einzigen Sohn, einen Jüngling von wildem, unstäten Character, den ein Hang zu Abenteuern nach dem Orient trieb. In einem jener heißen Länder ward der junge Quexada durch das Karavanserai eines reichen Reisenden aus Räuberhänden befreit. Mit diesem Fremden trat er sofort in jene Intimität des Vertrauens, das zwischen wandernden und romantisch gesinnten Menschen oft ohne weitere Sympathie als diejenige des gleichen Lebensverhältnisses entsteht. Später jedoch entdeckte er, daß sein Reisegefährte jüdischen Glaubens sey, bebte, mit dem gewöhnlichen Vorurtheil seines Standes und Zeitalters, vor der Freundschaft die er gesucht, zurück, und verließ, die schuldige Dankbarkeit vergessend, den Begleiter. Müde endlich des Umherwanderns hatte er die Heimreise angetreten, als er von einem sehr heftigen Fieber ergriffen wurde, das man fälschlicher Weise für die Pest hielt; Alles floh vor der vermeintlichen Ansteckung und einsam sah er sich dem Tode preisgegeben. Ein einziger Mensch jedoch, der von seinem Zustand gehört, kam zu ihm, wartete ihm ab, pflegte ihn und verhalf ihm, erfahren in den Geheimnissen der Heilkunst, wieder zu Leben und Gesundheit: es war derselbe Jude, der ihn von den Räubern errettet. Bei dieser zweiten und noch unschätzbareren Verbindlichkeit schwanden die Vorurtheile des Spaniers dahin; er faßte eine tiefe, dankbare Anhänglichkeit für seinen Erhalter; sie lebten eine Zeit lang beisammen, und der Israelite begleitete endlich den jungen Quexada nach Neapel zurück. Inez hatte schon vorher ein sehr lebhaftes Gefühl für den ihrem einzigen Sohn erwiesenen Dienst in sich genährt, und diese Empfindung war verstärkt worden, nicht nur durch das Aeußere des Juden selbst, das, stattlich und würdevoll, nichts von der kriechenden Servilität seiner Brüder zeigte, sondern auch durch die auffallende Schönheit und den feinen Anstand seiner ihm damals neu angetrauten Gattin, die er aus dem Lande, das Christen und Juden gleich heilig ist, heimgeführt. Der junge Quexada überlebte seine Rückkehr nicht lange; seine Constitution war durch die weite Reise und die jener heftigen Krankheit nachgefolgte Schwäche gebrochen. Auf seinem Sterbebette hatte er die Mutter, die er kinderlos zurückließ, und deren Religionsvorurtheile minder hartnäckig als diejenigen seines Vaters waren, beschworen, nie die Liebe zu vergessen, die ihm ein Jude bewiesen, und die einzige ihr mögliche Erwiederung – die einzige, welche der Jude selbst gefordert – dadurch auszusprechen, daß sie keine Gelegenheit vorbei ließe, das Elend zu trösten oder zu lindern, dem der Aberglaube der Zeit das unterdrückte Geschlecht seines Wohlthäters so oft aussetze. Donna Inez hatte das Versprechen, das sie dem letzten Sprößling ihres Hauses gethan, getreulich gehalten, und sich, nach ihrer Rückkehr ins Vaterland, durch die Macht und den Ruf ihres Gemahls und durch ihre eigenen Verbindungen, so wie noch mehr in Folge einer schon in der Jugend geschlossenen Freundschaft mit der Königin, häufig im Stand gesehen, manche Verfolgung und manche falsche Beschuldigung zu hintertreiben, zu welcher der Reichthum irgend eines Sohns Israels der Grund war, während dessen Glaube den Vorwand hergab. Ja, bei allen Gefühlen einer strengen Katholikin war sie ernstlich bemüht gewesen, die Gunst, die sie sich also bei den Juden gewonnen, zugleich als Mittel ihres frommen Eifers zu gebrauchen, denselben ein mehr als blos zeitliches Glück zu verschaffen. Auf sanften Wegen hatte sie die Bekehrungen versucht, welche die rauhe Gewalt nicht durchzusetzen vermocht, und in mehreren Fällen gelang ihr Bemühen. Auf diese Art war die gute Senhora in einen hohen Ruf der Heiligkeit gekommen, und Isabella hatte richtig erwogen, daß sie keine Beschützerin für Leila auslesen könne, die deren Jugend freundlicher in Obhut nehmen, oder emsiger an deren Seelenrettung arbeiten würde. Wirklich ergab sich somit eine gefährliche Lage für dieses Mädchens Anhänglichkeit an einen Glauben, den zu erhalten und zu fördern ihr racheheißer Vater so viele Opfer gebracht.

Nur Schritt um Schritt suchte Donna Inez die Festung, die sie mit geistigen Verbündeten zu besetzen hoffte, nicht sowol zu stürmen, als zu unterminiren, gerieth jedoch in ihren häufigen Unterredungen mit Leila nicht selten durch die einfache und erhabene Natur des Glaubens, gegen den sie Krieg führte, in Verlegenheit und Erstaunen. Denn, sey es nun der Wunsch gewesen, Leila so viel als möglich von der Berührung mit den Juden selbst abzuhalten, auf deren Charakter im Allgemeinen – verdorben, wie er war, durch die Gemeinheit erzeugende Unterdrückung und die zum Geiz verleitenden Erpressungen – Almamen mit stolzer obwol heimlich gehaltener Abneigung herab sah; oder sey das jüdische Bekenntniß von diesem erleuchtetern Geiste anders ausgelegt worden, als von der großen Heerde: – die in Leilas Brust gesenkte Religion wich von derjenigen sehr ab, welch Inez bisher unter ihren Proselyten angetroffen. Der Glaube ihrer Schützlingin war minder weltlich und materiell – ein Deismus mehr des Herzens als der Metaphysik, der dem großen Einen zwar viele menschliche Sympathien und Attribute beilegte, zugleich ihn aber ganz als den erhabenen, furchtbaren Gott der Genesis auffaßte, den Vater des Weltalls, wenn auch nebenher den besondern Beschützer einer kleinen, gefallenen Sekte. Die Aufmerksamkeit der jungen Schülerin war minder auf das gelenkt worden, was einem oberflächlichen Blicke hart und erbarmungslos im Charakter des hebräischen Gottes erscheint, und was von der Religion Christi so schön gemildert, so erhaben verfeinert worden ist, als vielmehr auf diejenigen Stellen, wo die Liebe Jehovahs über seinem erwählten Volke wacht und seine Langmuth Nachsicht hatte mit den Uebertretungen seiner Gebote. Die Vernunft des Mädchens hatte dieselbe geheimnißvolle, heilige Führung für ihren Glauben gehabt, durch welche, während die ganze Welt umher sich dem Dienst unzähliger Gottheiten und der Verehrung menschlicher Gebilde beugte, in einem kleinen, abgelegenen Fleck der Erde, unter einem bei Weitem minder civilisirten und philosophischen Volk, als manche seiner Nachbarn, sich allein ein reiner, erhabener Theismus erhielt, der jede Vergleichung zwischen den Dingen des Himmels und der Erde verwarf. Leila wußte wenig von den engern, exclusiven Dogmen ihrer Brüder; eine Jüdin dem Namen nach, war sie dem Glauben nach eher eine Deistin; Anhängerin eines Deismus, wie ihn etwa die Schulen Athens den phantasiereichen Zöglingen Plato's verkünden mochten, ausgenommen, daß bei ihr ein zu dunkler Schatten auf den Hoffnungen für eine jenseitige Welt lag. Ohne die Unsterblichkeit nach Art der Sadducäer unbedingt zu läugnen, trug Almamen doch wahrscheinlich viel von dem ruhigen Skepticismus mancher Sekten des ältern Judenthumes in sich, der noch jetzt der Weisheit der Weisesten unter Denjenigen anklebt, welche die Lehre der Offenbarung verwerfen; und wenn Jener aus der Brust seiner Tochter die unbestimmte Sehnsucht, die auf ein Jenseits hinweist, auch nicht auszurotten gesucht, so hatte er mindestens ihre Gedanken und Bestrebungen nie dieser hehren Zukunft zugewendet. Eben so wenig fand sich in dem heiligen, ihr zum Unterricht gegebenen Buch, das die Einheit des höchsten Wesens so strenge aufrecht erhält, eine so positive und unzweideutige Nachweisung eines Lebens »über dem Grab,« daß sie das Mangelhafte in den Belehrungen des Vaters hätte ersetzen können. Vielleicht daß Letzterer, die Ansicht über den verschiedenen Werth der Geschlechter, die seit den ältesten Zeiten in seinem geliebten Orient vorgeherrscht hatte, theilend, für sich selbst Hoffnungen unterhielt, die er nicht auf sein Kind ausdehnte. So entfaltete sich und erstarkte denn jede schöne Kraft der Seele in Leila ohne einen Gedanken, ohne mehr als dämmerige, schattenhafte Vermuthungen über jenes ewige Land, wohin der trauernde Pilger der Erde bestimmt ist. An dieser Stelle fand der schnelle Blick der Donna Inez den Glauben ihrer Zöglingin verwundbar: wer, wenn der Glaube vom Willen abhinge, möchte nicht glauben an eine zukünftige Welt? Leilas Wißbegier und Theilnahme waren aufgeregt; willig hörte sie auf die neue Führerin – willig fügte sie sich Folgerungen, die ihr nicht durch Drohung, sondern durch Ueberzeugung eingesenkt wurden. Frei von den hartnäckigen Glaubensbegriffen, den sektenhaften Vorurtheilen und den eigenthümlichen Ueberlieferungen und Sagen, an welchen die Gelehrteren unter ihrem Volke hingen, fand sie kein Aergerniß an dem Buche, das nur eine Fortsetzung der ältern Schriften ihres eigenen Bekenntnisses zu seyn schien. Die Leiden des Messias, seine erhabene Reinheit, sein mildes Verzeihen, sprach an ihre Frauenbrust; seine Lehren erhoben und entzückten ihren Geist, und in dem Himmel, den eine göttliche Hand für Alle öffnete, – für den Demüthigen wie für den Stolzen, für den Unterdrückten wie für den Unterdrücker, für das Weib wie für den Herrn der Erde – fand sie einen Hafen aus all den Zweifeln, die sie kennen gelernt, und aus der Verzweiflung, die neuester Zeit ihr das Antlitz der Erde verdüstert hatte. Nachdem ihr die Heimat verloren, die schöne, tiefe Liebe ihrer Jugend zerstört war – mußte da nicht ein Glaube fast unwiderstehlich werden, der ihr sagte, der Schmerz sey nur für einen Tag und ewig sey die Freude? Dazu kam noch, daß sie, weit entfernt in ihrem Stolz als Hebräerin sich gekränkt zu fühlen, vielmehr in der Geburt des Messias im hebräischen Lande den Triumph ihres Volks, als des von Jehovah erwählten, vollendet sah, und während sie über die Juden, welche den Heiland verfolgt, trauerte, hob sich ihre Brust entzückt über Diejenigen, deren Glaube den Namen und die Verehrung eines Abkömmlinges von David über die fernsten Regionen der Welt verbreitet hatten. Oft verwirrte und erschreckte sie die würdige Inez durch den Ruf: »Euer Bekenntniß ist dasselbe wie das meinige, nur mit Zufügung der Lehre von der Unsterblichkeit – das Christenthum ist nur das hüllenlose Judenthum.«

Indessen ließ sich die weise und zartfühlende Leiterin von Leilas Bekehrung nicht auf jene mehr katholischen Ansichten ein, welche die Flügel der herabkommenden Taube verschüchtert haben dürften. Sie vermied es, allzustark auf die Unterschiede der Glaubensbekenntnisse hinzuweisen und ließ dieselben eher unmerklich in einander verschmelzen: Leila war eine Christin, während sie sich noch immer eine Jüdin wähnte. Doch, bei der liebenden und liebenswerthen Schwäche sterblicher Empfindungen, blieb ihr noch immer ein bitterer Gedanke, der oft und oft den Frieden zu stören kam, welcher sich sonst in ihrer Seele gesenkt haben würde. Ihr Vater, für dessen strenges Herz und geheimnißvolles Schicksal sie die einzige Sänftigerin war: mit welchen Qualen mußte er dereinst die Kunde von ihrer Bekehrung erfahren! Und Musa, dieses helle Heldengebild ihrer Jugendträume: – drückte sie nicht auf jede Hoffnung, sich mit dem Abgott der Mohren dereinst noch zu verbinden, das letzte Scheidungssiegel? Doch ach! war sie denn nicht bereits von ihm geschieden, waren ihr und sein Glaube nicht von vornherein Gegner gewesen? Von dergleichen Betrachtungen fuhr sie mit Seufzern und Thränen auf; dann stand vor ihr das Crucifix, das bereits Einlaß in ihrem Gemach gefunden hatte, während es aus den Betsälen mancher strengen Christengemeinden, nicht sehr weise, verbannt bleibt. Denn die Vergegenwärtigung dieser göttlichen Resignation, dieses Todeskampfes, dieses wundervollen Opfers, – wie beredt spricht sie zu unsern Schmerzen, welche Lehre enthält dies Bild für die Eitelkeit unserer Wünsche, für unser unzufriedenes Sehnen!

Allmälig, wie ihr neuer Glaube sich stärkte, neigte sich Leila inbrünstig jenen Schilderungen von der Heiligkeit und Ruhe des Klosterlebens zu, die ihr Inez so gerne vorhielt. Bei der Reaction ihrer Gedanken, bei ihrer Verzichtleistung auf alles Erdenglück schien dem jungen Mädchen ein unaussprechlicher Zauber in einer Einsamkeit zu liegen, die sie für immer von jeder menschlichen Liebe befreien und heiligen Anschauungen und unvergänglichen Hoffnungen ganz hingeben sollte. Mit dieser mehr eigennützigen verband sich eine edlere, erhabenere Empfindung: Konnten doch vielleicht die Gebete einer Bekehrten für die noch Umnachteten erhört und der auf ihrem verworfenen Stamm ruhende Fluch durch das Flehen eines demüthigen Herzens erleichtert werden! Zu allen Zeiten, unter jedem Glauben, hat eine wunderbare, geheimnißvolle Ansicht von der Kraft der Selbstopferung für die Erlösung, selbst eines ganzen Volkes, geherrscht; diese Ansicht, so lebendig im alten Orient und in der Religion der Griechen und Römer, wurde durch das Christenthum, eine Religion, die sich auf das größte aller geschichtlichen Opfer gründet, noch mehr hervorgehoben; ja die erhabene Lehre derselben erhält im Herzen jedes Gläubigen die Pflicht der Selbstopferung, wie das Vertrauen auf die Macht des Gebets, gleichviel wie groß der Gegenstand desselben, wie gering die Person des Beters sey, fort und fort. In dergleichen Gedanken verlor sich Leila, bis Gedanken die Stärke der Leidenschaft erhielten, und die Bekehrung der Jüdin war vollbracht.

Drittes Kapitel.

Die Stunde und der Mann.

 

Am dritten Morgen, nachdem der König von Granada, wieder versöhnt mit seinem Volke, sein tapfres Heer in der Vivarrambla gemustert hatte, als er jetzt eben, umringt von seinen Anführern und Edeln, den Plan zu einer Schlacht entwarf, die durch Angriff auf das christliche Lager entscheidend werden sollte, wälzte sich plötzlich ein tausendfaches, athemloses Geschrei vor die Pforten des Palastes, die unerwartete, freudige Kunde bringend, Ferdinand habe in der Nacht sein Lager abgebrochen, und ziehe über die Berge gegen Cordova zu. Wirklich hatte der Ausbruch einer furchtbaren Verschwörung des Königs Gegenwart auf Einmal anderswo nöthig gemacht, und da seine Intrige mit Almamen vereitelt worden, zweifelte er an einer schnellen Eroberung der Stadt. So beschloß er denn, nachdem die Vega jetzt vollends verwüstet war, die förmliche Belagerung, die allein Granada in seine Hände liefern konnte, aufzuschieben, bis seine Aufmerksamkeit nicht mehr durch andere Feinde abgelenkt würde, und bis er, muß beigesetzt werden, seinen erschöpften Schatz wieder gefüllt hätte. Er hatte mit Torquemada einen ausführlichen Verfolgungsplan nicht nur gegen die Juden, sondern auch gegen solche Christen entworfen, die von jüdischen Vorfahren abstammten, und im Verdacht standen, sich wieder den jüdischen Gebräuchen zuzuneigen. Die beiden Schöpfer dieses großen Entwurfs handelten dabei aus verschiedenen Motiven: der Eine wollte den Frevel ausrotten, der Andere sich die Verzeihung desselben um Gold abkaufen lassen. Und Torquemada bequemte sich der Geldgier des Königs, weil dieselbe ihm und der jungen Inquisition eine Macht und Autorität gab, die, wie der Dominikaner voraus sah, bald größer, als diejenige der Königswürde selbst werden mußte, und welche, seiner Meinung nach, indem sie die Erde geißelte, die Zwecke des Himmels förderte.

Die seltsame Entweichung Almamens, durch die Leichtgläubigkeit der Spanier zu einer höchst grauenhaften Begebenheit verdreht und hinaufgetrieben, vervollständigte die Reihe von Klagartikeln gegen die reichen Juden und Judenabkömmlinge Andalusiens, und während Ferdinand in der Einbildung bereits das Gold für ihre irdische Lossprechung festhielt, fachte der Dominikaner bereits die Flamme an, in welcher sie zu ihrer ewigen Bestrafung hinüber gehen sollten.

Boabdil und seine Häuptlinge empfingen die Nachricht vom Rückzug der Spanier anfangs mit Zweifeln, die jedoch bald der triumphirendsten Freude den Platz räumten. Boabdil nahm mit Einmal wieder die ganze Energie an, durch welche sich seine frühere Jugend, freilich nur in einzelnen Anfällen und Blitzen, ausgezeichnet hatte.

»Allah Akbar! Gott ist groß!« rief er, »wir wollen nicht hier bleiben, bis es den Feinden beliebt, den Adler wieder in sein Nest zu schließen. Sie haben uns verlassen – wir wollen ihnen nach! Ruft unsre Alfaquis, wir wollen einen heiligen Krieg verkünden! Der Herr des letzten Mohrenlandes steht im Feld. In jedem Dorf, worin ein Moslem, soll unsere Mahnung erschallen, und alle Söhne unsres Glaubens sollen sich sammeln um unsre Fahne!«

»Lange lebe der König!« riefen die Edeln mit Einer Stimme.

»Verliert keinen Augenblick!« nahm Jener wieder das Wort – »auf zur Vivarrambla, ordnet die Truppen! – Musa führt die Reiterei, ich selbst das Fußvolk. Ehe die Sonne jenen Wald erreicht, muß das Heer auf dem Marsche seyn.«

Rasch und freudig verließen die Krieger den Palast; Boabdil aber, sobald er allein, sank wieder in die gewohnte Unentschlossenheit zurück. Nachdem er einige Minuten in ängstlichen Gedanken auf- und abgeschritten, verließ er plötzlich die große Halle und durcheilte die geheimeren Gemächer des Palastes, bis er an eine stark mit Eisenbändern verwahrte Thür gelangte. Gleichwol öffnete sich dieselbe leicht einem Schlüsselchen, das er im Gürtel trug, und Boabdil befand sich in einem kleinen runden Zimmer, das dem Ansehn nach keine weitere Thür oder sonstigen Ausgang hatte; der König jedoch drückte, nachdem er behutsam umhergeblickt, an einer in der Wand verborgenen Feder, worauf sich alsbald eine Blende aufthat, in welcher eine kleine, in der reinsten Naphtha brennende Lampe und eine gelbe Pergamentrolle, bedeckt mit wunderlichen Buchstaben und Zeichen, sich befanden. Er steckte die Rolle in den Busen, nahm die Lampe in die Hand und drückte an einer andern Feder innerhalb der Nische, worauf die Wand auseinanderwich und eine enge Wendeltreppe zeigte. Der König verschloß den Eingang und stieg hinab. Die Treppe lief endlich in rauhe, dumpfige Gänge aus, und das Rauschen von Wasser, das durch die dichten Wände an sein Ohr schlug, zeigte an, daß der Ort unter der Oberfläche der Erde liege. Hell und klar brannte die Lampe in dem Dunkel, und Boabdil eilte mit solcher Ungeduld voran, daß die beträchtliche Strecke bis zu dem Ziel, auf das er los ging, rasch durchmessen war. Endlich gelangte er in eine weite Höhle, zu welcher, wie am Anfangspunkte der Gänge nach oben zu, verborgene Thüren führten. Er stand in einem der vielen Gewölbe, die den ausgedehnten Begräbnißplatz der Könige von Granada bildeten. Vor ihm ragte, mit Mantel und Krone, jenes Gerippe empor, und vor ihm glühte jene magische Tafel, deren er in seinem Gespräche mit Musa erwähnt hatte.

»Furchtbares Bild!« rief der Ankömmling, und warf sich vor dem Skelet auf die Knie nieder: »Schatten dessen, was einst ein König, weise im Rath und furchtbar im Kampf, war; wenn in diesen hohlen Gebeinen noch der unsichtbare Geist wohnt, so höre Deinen reuigen Sohn. Vergib ihm, weil es noch Zeit ist, die Empörung seiner wilden Jugend, und wolle mit Deiner kühnen Seele ihn von seiner Schwäche und Zweifelsucht kräftigen. Ich gehe in die Schlacht, ohne auf das Zeichen zu warten, das Du mir anbefohlen. Laß die Buße für eine Raschheit, zu welcher mich das Schicksal hindrängt, nicht auf mein Volk, sondern auf mich allein fallen. Und erliege ich im Kampf, so möge mein düsteres Geschick mit mir zu Grabe gehen, und ein würdigerer Herrscher, meine Fehler wieder gut machend, Granada aufrecht erhalten!«

Als Boabdil die Augen aufschlug, fröstelte das ungemilderte Grinsen des grauenhaften Hauptes, noch grausiger erscheinend durch das Leben nachäffende Diadem und Königsgewand, den Sturm und die Angst seines Herzens zu Eis ein. Er schauderte und stand mit einem tiefen Seufzer auf, aber als sein Blick mechanisch dem ausgestreckten Arm des Gerippes folgte, sah er mit einem Gemisch von Freude und Schrecken den bisher stets bewegungslos gestandenen Zeiger der Scheibe langsam weiter rücken, und auf dem so lange und ungeduldig ersehnten Wort stehen bleiben. »Waffne dich!« rief der König – »lese ich recht? Ist mein Gebet erhört?« Ein tiefer Ton, wie von einem unterirdischen Donner, wogte durch das Gemach und im gleichen Moment öffnete sich die Wand und der König sah die lang erwartete Gestalt Almamen's, des Zauberers, vor sich. Aber nicht mehr war die kräftige Mannesfigur in das weite, friedliche Gewand des morgenländischen Santons gehüllt. Eine vollständige Rüstung schirmte die breite Brust und die nervigen Glieder; nur das Haupt war unbedeckt und auf den vortretenden, ausdruckvollen Zügen flammte diesmal nicht mystische Begeisterung, sondern kriegerische Kraft. In der rechten Hand hielt er ein gezogenes Schwert – in der linken den Schaft einer schneeweißen, schimmernden Fahne.

So unvermuthet kam die Erscheinung und so aufgeregt war das Gemüth des Königes, daß selbst ein übernatürliches Wesen kaum mehr Staunen und Ehrfurcht bei ihm hervorgerufen haben würde.

»Beherrscher Granada's,« sprach Almamen, »die Stunde ist endlich gekommen: geh hin und siege! Keine Aussicht zu Frieden oder Verglich mit dem Christenkönig! Auf Deinen Wunsch war ich bei ihm, aber nur meine Zauberkunst schützte das Leben Deines Boten. Freue Dich! Dein böses Geschick ist von Dir weggewälzt, wie eine Wolke durch den Sonnenglanz. Die Genien des Morgenlandes haben dieses Banner aus den Strahlen wohlthätiger Sterne gewoben. Es soll vor Dir her leuchten in der Schlacht, es soll sich erheben über den Strömen des Christenblutes. Wie der Mond den Schoß der Fluten anschwellt, soll es die Wogen des Krieges erheben!«

»Mann des Geheimnisses! Du hast mir ein neues Leben ertheilt!«

»Und an Deiner Seite fechtend,« nahm Almamen wieder das Wort, »will ich Dir aus den Trümmern Arragoniens und Castiliens einen neuen Thron aufrichten helfen! Waffne Dich, Beherrscher Granadas! waffne Dich! Ich höre das Wiehern Deines Schlachtrosses in der Mitte Deiner vorschreitenden Gewappneten. Zu den Waffen!«


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