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Vorrede

Wenn dieses Werk so glücklich sein sollte, das Interesse des Romane lesenden Publikums zu gewinnen, so wird es vielleicht dieses Interesse nicht den gewöhnlichen Elementen der Dichtung verdanken. – Der Knoten ist außerordentlich leicht geschürzt; der Zwischenhandlungen sind es wenige, und mit Ausnahme derjenigen, welche sich auf das Schicksal Vivian's beziehen, sind sie von der Art, wie man sie häufig im gewöhnlichen Leben findet.

Als Roman betrachtet, unterscheidet sich dieser Versuch in mehrfacher Weise von den früheren Werken des Verfassers; – zum ersten Male dient hier der Humor weniger der Satyre, als der Schilderung liebenswürdiger Charaktere – zum ersten Mal auch ist der Mensch nicht sowohl in seinen thätigen Beziehungen zu der Welt, als vielmehr in seiner Ruhe am eigenen Herde in's Auge gefaßt. Mit Einem Wort, der größere Theil der Leinwand ist der Darstellung eines einfachen Familiengemäldes gewidmet. Und so treten denn auch in allen Berufungen an die Theilnahme des menschlichen Herzens die gewöhnlichen häuslichen Neigungen an die Stelle jener lebhafteren und großartigeren Leidenschaften, welche in der Regel (und nicht ohne Berechtigung) den Vordergrund in romantischen Dichtungen für sich in Anspruch nehmen.

In dem Helden, dessen Autobiographie die verschiedenen Charaktere und Begebenheiten des Werkes mit einander verbindet, beabsichtigt der Verfasser, den Einfluß der Heimath auf die Entwicklung und die Laufbahn des Jünglings zu schildern; und in dem Ehrgeiz, der Pisistratus für einige Zeit den ruhigen Beschäftigungen entfremdet, welche für den Mann der Civilisation gewöhnlich die zu Ruhm oder Reichthum führenden Lehrjahre bilden, soll nicht das Fieber des Genius, der sich überlegener Kräfte und einer hohen Bestimmung bewußt ist, dargestellt werden, sondern der natürliche Drang eines frischen und elastischen, mehr kräftigen, als beschaulichen Geistes, in welchen, das Verlangen nach Thätigkeit nur als ein Symptom der Gesundheit erscheint. – In dieser Beziehung wird Pisistratus (wie er selbst andeutet) zum Typus einer Klasse, deren Glieder bei dem unvermeidlichen Fortschreiten der modernen Civilisation sich täglich mehren; – er fühlt sich überzählig inmitten der Menge; er ist der Repräsentant der überquellenden Jugendkraft, welche sich gleichsam mit dem Instinkt der Natur für Raum und Entwicklung von der alten Welt ab- und der neuen zuwendet.

Dasjenige, was die tiefere Bedeutung des Ganzen genannt werden könnte, ist durch den Beweis zu vervollständigen gesucht, daß, welches auch unsere Wanderungen sein mögen, unser Glück stets in engeren Schranken und inmitten jener Gegenstände gefunden wird, welche am unmittelbarsten in unserem Bereiche liegen; – daß wir jedoch selten zur Erkenntniß dieser Wahrheit gelangen (wie sehr sie auch in allen philosophischen Schulen abgenutzt ist), ehe sich unsere Forschungen über ein weiteres Feld verbreitet haben. Um sich des Segens der Ruhe erfreuen zu können, bedarf es einer rascheren Bewegung, als einiger Gänge im Zimmer auf und ab. Die Zufriedenheit gleicht jener Flüssigkeit in dem Krystall, an welche Claudian Claudius Claudianus (um 370-404), namhafter lateinischer Dichter der Spätantike. die Verwunderung eines Kindes und die Phantasie eines Dichters verschwendet hat –

»Vivis gemma tumescit aquis.Das Juwel enthält in sich lebendiges Wasser.«

Kreuznach, September 1849

E. B. L.


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