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Achtes Kapitel.
Die Flucht

Es schlug Mitternacht in der Kapelle des Klosters.

Das Mondlicht schien mit ausnehmender Helle durch die großen Fenster und übergoß mit einem geisterhaften Schein von Leben die Marmorbilder der Heiligen und Märtyrer, welche ihre langen Schatten über den geheiligten Boden warfen. Nicht leicht konnte man sich etwas Traurigeres, Feierlicheres und Grabähnlicheres denken, als diesen heiligen Raum – seine gedehnten, von der Zeit geheiligten Mauern – die undurchdringliche Masse von Finsterniß, welche in den Vertiefungen gelagert war, in welche das Mondlicht nicht dringen konnte, die alten, massiven Gräber, über welchen das gemeißelte Abbild irgend einer abgeschiedenen Patronin oder Aebtissin lehnte, welche ein lebendiges Grab mit den Behausungen der Seligen vertauscht hatte. Aber hier – o wunderbares Menschenherz – selbst hier, an diesem Platz, der in der That eine Predigt und Warnung war gegen menschliche Neigungen und sterbliche Hoffnungen – selbst hier konntest du pochen in einer so heftigen, glänzenden und reinen Leidenschaft, als je eine die Brust schwellte oder in den Augen der Schönheit leuchtete in der freien Luft, welche die Guadiana kräuselt, oder unter den in der Dämmerung aufgeführten Tänzen kastilianischer Jungfrauen!

Eine schlanke Figur, vom Kopf bis zum Fuß in einen Mantel gehüllt, schritt langsam die Kirche entlang. Aber so leicht und vorsichtig der Schritt war, doch weckte er ein leises, hohles, ominöses Echo, das mehr als der Schritt selbst die Heiligkeit des Ortes zu stören schien. Sie blieb stehen gegenüber einem Beichtstuhl, der in den ihn umgebenden Schatten nur in dämmernden Umrissen sichtbar war. Und dann tauchte daraus schüchtern eine weibliche Gestalt hervor; und eine sanfte Stimme flüsterte –: »bist Du es, Fonseca?«

»Bscht!« war die Antwort, »er wartet draußen. Beeilt Euch; sprecht nicht; kommt.«

Beatriz wich in Ueberraschung und Angst bei der Stimme eines Unbekannten zurück; aber der Mann faßte sie bei der Hand, zog sie hastig aus der Kapelle und eilte mit ihr durch den Garten, durch eine Hinterthüre, welche offen stand, in eine dunkle Straße, welche an die Klostermauern stieß. Hier stand der harrende Pförtner mit einem Bündel in der Hand, das er öffnete und einen langen Mantel herausnahm, wie ihn die Frauen mittlern Standes in Madrid zur Winterszeit trugen, nebst der landesüblichen Mantilla oder Schleier. Hiermit hüllte, noch immer ohne zu sprechen, der Unbekannte hastig die Gestalt der Novize ein, und eilte wieder mit ihr weiter, bis er, etwa hundert Schritte vor dem Gartenthor, an einen Wagen kam, in welchen er Beatriz hob, dem Pförtner einige Worte zuflüsterte, sich selbst neben die Novize setzte und den Wagen rasch zufahren hieß.

Es währte einige Augenblicke, bis Beatriz sich wieder von ihrer ersten Bestürzung und Unruhe so weit erholte, daß sie die ganze Seltsamkeit ihrer Lage deutlich empfand. Sie war allein mit einem Fremden – wo blieb Fonseca? Sie wandte sich plötzlich zu ihrem Gesellschafter.

»Wer bist Du?« sagte sie; »wohin führst Du mich – und warum – –«

»Warum nicht Don Martin neben Dir sitze? Verzeih mir, Sennora; ich habe einen Brief von Fonseca für Dich; in wenigen Minuten wirst Du Alles erfahren.«

Jetzt gerieth eben der Wagen plötzlich mitten unter einen Zug von Läufern und Equipagen hinein, welcher den Weg sperrte. Es war eine glänzende Gesellschaft bei dem französischen Gesandten, und dahin strömte Alles was in Madrid vornehm und ritterlich war. Calderon ließ die Blenden herunter und schärfte Beatrizen hastig Stillschweigen ein. Es dauerte einige Minuten, bis der Fuhrmann sich wieder aus dem Gewühl herausarbeitete; und dann trieb er, wie um den Verzug hereinzubringen, die Pferde zur raschesten Eile und wählte sorgfältig die obskursten und einsamsten Straßen. Endlich erreichte das Fuhrwerk die Vorstädte, welche noch heutiges Tages der von Madrid nach Frankreich Reisende auf seinem Wege durchschneidet. Die Pferde hielten vor einem einzelnen Hause, welches ein wenig von der Straße abseits stand und das, nach dem Styl seiner Architektur, von beträchtlichem Alter zu seyn schien. Der Unbekannte stieg aus und pochte zweimal an die Thüre; sie wurde geöffnet von einem alten Mann, dessen unmäßig scharfe Züge, gebückte Haltung und langer Bart ihn als einen Genossen des Volkes Israel bezeichneten. Nach einem kurzen, flüsternd geführten Gespräch, kehrte der Unbekannte wieder zu Beatriz zurück, half ihr mit ernstem Anstand aus dem Wagen steigen, führte sie über die Schwelle und eine Flucht roher Treppen, dämmernd beleuchtet, hinauf, und trat mit ihr in ein reich eingerichtetes Zimmer. Die Wände waren mit Stoffen von prächtiger Färbung und kunstvoller Zeichnung behangen. Fußgestelle vom weißesten Marmor, in allen Ecken des Zimmers stehend, unterstützten silberne Candelaber. Die Sopha's und Pfühle waren von der schweren aber kostbaren Art, welche damals in den Pallästen Frankreichs und Spaniens Mode war, und deren ursprüngliche Erfinderin wahrscheinlich Venedig war – das eigentliche Vorbild der barbarischen Dekorationen, womit Louis XIV. den Geschmack von Paris verderbte. In einem Alkoven, unter einem seidenen Baldachin, war ein Tisch bereitet, beladen mit Weinen, Früchten und Fleisch; und durchaus stand die Eleganz und der Luxus, welche dieß Gemach auszeichneten, in auffallendem und lebhaftem Kontrast mit dem halb verfallenen Aeußern der Wohnung, dem finstern und rohen Eingang in das Gemach, und dem gemeinen und knechtischen Aussehen des Juden, der, als wartete er auf weitere Befehle, an der Thüre stand oder vielmehr kauerte. Mit einem Schütteln der Hand entließ der Unbekannte den Juden; und dann sich Beatriz nähernd, reichte er ihr Fonseca's Brief.

Während mit einer bezaubernden Mischung von Sittsamkeit und Begierde sich Beatriz, mit halb abgewandtem Gesicht, über die wohlbekannten Züge beugte, betrachtete Calderon sie mit forschendem und neugierigem Blicke.

Der Höfling war in diesem Falle nicht völlig der Schurke, wofür ihn der Leser nach dem äußern Anschein mag genommen haben. Sein Plan war der: er hatte beschlossen, sich den Wünschen des Prinzen zu fügen – seine Sicherheit hing von dieser Nachgiebigkeit ab. Aber Fonseca sollte nicht rücksichtslos geopfert werden. Bei seiner tiefen Menschenverachtung und seiner festen Ueberzeugung von ihrem natürlichen Hang zu Verrath und Trug, konnte Calderon nicht glauben, daß die Schauspielerin der Engel des Lichts und der Reinheit sey, als der sie dem verliebten Fonseca erschien. Er hatte beschlossen, sie der Probe der Bewerbung des Prinzen zu unterwerfen. Wenn sie unterlag – sollte er seinen Freund nicht davor bewahren, der Narr einer schlauen Intrigantin zu werden? – mußte er nicht den Dank Don Martins verdienen gerade für die Versuchung, welcher Beatriz jetzt sollte ausgesetzt werden? Wenn er Fonseca von ihrer Falschheit überzeugen konnte, so mußte er gerechtfertigt vor seinem Freund stehen, während er sich die Gunst des Prinzen rettete. Wenn aber im Gegentheil Beatriz fleckenlos die Probe bestand; wenn der Prinz, erbittert über ihre hartnäckige Tugend, drohen sollte, von der werbenden Huldigung zur Gewaltthat überzugehen, dann wußte Calderon wohl, daß nicht bei der ersten oder zweiten Unterredung schon eine wirkliche Gefahr für die Novize zu besorgen war; und daß er Muße haben würde, ihre Entweichung durch Mittel zu begünstigen, welche den Prinzen vollständig über seine Mithülfe zu ihrer Flucht täuschen müßten. Dieß war das Abkommen, das Calderon zwischen seinem Gewissen und seinem Ehrgeiz getroffen. Aber während er die Novize anstarrte, drängten, obgleich ihr Antlitz von ihm abgewendet und halb von der Kopfbedeckung, welche sie aufgesetzt, verschleiert war, seltsame Gefühle, beunruhigend und Unheil weissagend, wie jene Erinnerungen an die Vergangenheit, welche zuweilen in der Gestalt von Prophezeiungen der Zukunft kommen, verworren und dämmernd auf sein Herz herein. Die unbewußte, außerordentliche Anmuth ihrer Gestalt, ihre rührende Jugend, das über sie ausgegossene Wesen der Unschuld, ein Etwas in der Zartheit ihrer schönen aber feenhaften Verhältnisse, was den Schutz des Mannes für die Hülflose in Anspruch nahm, schien ihm seine Verrätherei vorzuwerfen, und was noch von Mitleid und menschlicher Sanftmut in ihm war, in seinem Herzen zu wecken.

Die Novize hatte den Brief gelesen; und wie sie sich in der Hast der Ueberraschung und Unruhe gegen Calderon, Aufklärung heischend, umwandte, sah sie zum ersten Mal seine Züge und sein Aeußeres; denn er hatte jetzt seinen Mantel und den breiten spanischen Hut mit den schweren Federn abgelegt. So begegneten sich ihre Augen, und wie dieß geschah, da fuhr Beatriz von ihrem Sitz auf und stieß einen gellenden Schrei aus:

»Und Dein Name ist Calderon – Don Rodrigo Calderon! ist es möglich! Hattest Du nie einen andern Namen?« rief sie aus; und unter diesen Worten näherte sie sich ihm langsam und schüchtern.

»Dame, Calderon ist mein Name,« versetzte der Marquis mit schwankender Stimme. »Der Deinige aber – der Deinige – ist er wirklich Beatriz Coello?«

Beatriz antwortete nicht, sondern trat ihm immer näher, bis ihr Athem seine Wange berührte; dann legte sie ihre Hand auf seinen Arm, und schaute ihm ins Angesicht mit so ernstem, innigem und stetigem Blick, daß Calderon, wäre nicht ein seltsamer und schrecklicher Gedanke – halb Staunen, halb Verdacht – gewesen, der allmälig seine Seele beschlichen hatte, und sich jetzt ihrer ganz bemächtigte, hätte können zweifelhaft werden, ob die Vernunft der armen Novize ganz in der Ordnung sey?

Nach und nach wandte Beatriz ihr Auge ab und ihr Auge fiel auf einen großen Spiegel ihr gegenüber, welcher das Antlitz Calderons und das ihrige in vollem Licht zurückwarf. Jetzt – wo ihre natürliche Blüthe einer Blässe gewichen war, nicht viel weniger statuenartig als die, welche Calderons Antlitz selbst auszeichnete, wo das holde Spiel und die Beweglichkeit der Züge einer starren, marmorhaften Ruhe des Ausdrucks Platz gemacht hatte – jetzt trat eine auffallende Aehnlichkeit zwischen diesen beiden Personen sichtbar und erschreckend hervor. Diese Aehnlichkeit fiel gleicherweise und im selben Augenblick Beatriz und Calderon auf; und Beide, in den Spiegel schauend, stießen einen unwillkürlichen, plötzlichen Ausruf aus.

Mit zitternder, hastiger Hand suchte die Novize in den Falten ihres Kleids und zog eine kleine lederne Tasche, mit silbernen Klammern geschlossen, hervor. Sie berührte die Feder und nahm ein Miniaturbild heraus, auf welches sie einen raschen, wilden Blick warf; dann, ihr Auge zu Calderon emporrichtend, rief sie: – »Es muß so seyn – es ist, es ist mein Vater!« und fiel ihm bewegungslos zu Füßen.

Calderon bemerkte einige Augenblicke den Zustand der Novize nicht; dieß Zimmer, das beabsichtigte Opfer, die Gegenwart, das Unheil der Zukunft – Alles war ihm aus der Seele gewischt; er war in die [Vergangenheit] zurückversetzt von den beiden furchtbaren Geistern: Erinnerung und Gewissen! Seine Kniee schlugen aneinander, sein Gesicht ward gelb, der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirne; er murmelte unzusammenhängende Worte und bückte sich dann wieder und nahm das Bild auf. Es war der Kopf eines Mannes in der vollen Tracht eines Studenten von Salamanca und in der ersten Blüthe der Jugend; die edle Stirne heiter und ruhig, mit dem Gepräge der Aufrichtigkeit und des Muths; die glatte Wange, prangend in den Farben der Gesundheit; die Lippen, zu einem Lächeln des Glücks sich öffnend und beredt von Wonne und Hoffnung; es war das Antlitz dieses schlauen, begehrlichen, ehrsüchtigen, gewissenlosen Mannes, als das Leben noch keine Sünden auf ihn gehäuft hatte; es war als wäre der Geist der Jugend zurückgekommen, um die Verbrechen des Mannes zu verklagen! Das Bild entfiel seiner Hand – er stöhnte laut. Dann, die ausgestreckte Gestalt der Novize anstarrend, sagte er: »Arme Unglückselige! kann ich glauben, daß Du wirklich von meinem Stamm und Blut bist; oder vielmehr, täuscht und verspottet mich nicht die Natur, welche Deinem Antlitz diese Züge aufprägte? Wenn sie, Deine Mutter, log – warum dann nicht die Natur selbst auch?«

Er hob die Novize in seinen Armen auf und betrachtete lange und mit tiefem Nachsinnen ihre leblosen aber höchst lieblichen Züge. Sie rührte sich nicht – sie schien kaum zu athmen; aber er bildete sich ein, er höre wieder die Stimme, die ihn: Vater! begrüßte. Sein Herz schlug laut, der göttliche Instinkt überwog Alles, er preßte einen leidenschaftlichen Kuß auf ihre Stirne, und seine Thränen flossen heftig und warm auf ihre Wange. Aber wieder durchzuckte ihn die dunkle Erinnerung, und er schauderte, legte die Novize hastig auf einen der Pfühle und schrie laut.

Der Jude erschien und erhielt Befehl, Jacinta zu berufen. Ein junges Weib von derselben Religion, von rauhem und unlieblichem Aeußern, trat ein, und ihrer Sorgfalt übergab Calderon mit kurzen Worten die noch bewußtlose Beatriz.

Während Jacinta ihr die Kleider aufschnürte und die Schläfe der Novize rieb, schien Calderon in düsteres Nachsinnen versunken. Zuletzt schritt er langsam fort, als wollte er das Zimmer verlassen, als er mit dem Fuß gegen das Kästchen des Gemäldes stieß und sein Auge auf ein Papier fiel, das darin gefaltet und versteckt lag. Er nahm es auf, schlug die Vorhänge zurück und eilte in ein kleines, nur von einer einzelnen Lampe erleuchtetes Gemach. Hier las Calderon, allein und ungesehen, folgenden Brief:

» An Rodrigo Nunez.

»Wird dieser Brief Dir je zu Gesicht kommen? Ich weiß nicht; aber es ist mir ein Trost, auf dem Sterbebette an Dich zu schreiben; und wäre nicht der mich gräßlich quälende Gedanke, daß Du mich – mich, deren innigstes Leben Deine Liebe war – für treulos und entehrt hältst, so wäre mir selbst der Tod nur süßer, weil er die Folge Deines Verlustes ist. Ja, eine Stimme in mir sagt mir, daß diese Zeilen nicht umsonst werden geschrieben seyn; daß Du sie einst lesen wirst, wenn diese Hand regungslos und dieß Haupt zur Ruhe ist, und daß Du dann fühlen werdest: ich hätte nicht so an Dich zu schreiben vermocht, wäre ich nicht unschuldig gewesen; daß Du in jedem Wort ein Zeugniß lesen werdest, stark wie die Stimme von Tausenden – ein einfaches aber feierliches Zeugniß der Treue und Wahrheit. Wie! wenn ich Deinetwegen Alles verließ – die Heimath, eines Vaters Liebe, Reichthum, und den Namen den ich von Mauren geerbt, welche zu ihrer Zeit Monarchen gewesen waren – konntest Du glauben, ich habe nicht meine Liebe zu Dir zum Herzen, zum Leben, zum Mark meines ganzen Wesens gemacht? – und Ein kurzes Jahr habe hingereicht, meine Treue zu erschüttern? – Ein Jahr der Ehe, und zwei Monate der Trennung? Du verließest mich, verließest die trauliche Heimath am silbernen Xenil. Denn die Liebe genügte Dir nicht; der Ehrgeiz begann in Dir rege zu werden und Du nanntest ihn Liebe. Du sagtest: es schmerze Dich, daß ich arm sey; daß Du mir nicht den Reichthum und Ueberfluß wieder verschaffen könnest, die ich verloren. (Ach! warum wandtest Du so ungläubig Dein Ohr weg von meiner Versicherung, daß in Dir, in Dir allein mein Ehrgeiz und Stolz alle ihre Befriedigung finde?) Du behauptetest, die richtigen Sterndeuter hätten an Deiner Wiege verkündigt, daß Du zu hohen Ehren und glänzender Macht geboren seyest, und daß diese Prophezeiung von selbst zur Erfüllung reifen würde. Du verließest mich, um in Madrid Deinen Verwandten aufzusuchen, der sich zur Gunst eines Ministers aufgeschwungen hatte, und von dessen Liebe Du Dir die Eröffnung einer Laufbahn für Dich versprachst. Erinnerst Du Dich noch wie wir schieden, wie Du meine Thränen wegküßtest, und wie sie von neuem hervorbrachen – wie Du wieder und immer wieder sagtest: Lebewohl! und immer und immer wieder kamest, als ob wir uns nie trennen könnten! Und ich nahm mein, erst vor wenigen Wochen gebornes Kind aus seiner Wiege, und legte es in Deine Arme und ließ Dich sehen, wie es schon Dein Lächeln kenne; und waren das die Zeichen der Untreue? Oh wie ich schmachtete nach dem Laut Deines Schrittes, als Du weg warest! wie der ganze Sommer mir verschwunden war von der Landschaft; und wie ich, zu dem Kind zurückkehrend, Dich wieder zu sehen glaubte! Den Tag, nachdem Du weg warest, pochte es an der Thüre des Landhauses; die Wärterin öffnete, und herein trat Dein früherer Nebenbuhler, den mein Vater mir aufzudrängen gesucht hatte, der Reichste unter den Abkömmlingen der Mauren, Arraez Ferrares. Warum lange verweilen bei diesem verhaßten Gegenstand? Er hatte unser Haus aufgespürt, er hatte Deine Entfernung erfahren, er kam mich mit seinen Liebesversicherungen zu quälen und zu beschimpfen. Bei der gebenedeiten Mutter, welche Du mich anbeten gelehrt hast, bei den Schrecknissen und Qualen des Todes, bei meiner Hoffnung auf den Himmel, ich bin unschuldig, Rodrigo, ich bin unschuldig! Oh! wie konntest Du Dich so täuschen lassen? Er verließ das Haus grollend und wüthend; wieder und wieder suchte er mich auf; und als ihm die Thüre verschlossen ward, lauerte er mir auf jedem Schritt und Tritt auf. Obgleich wir allein und wehrlos waren, Dein Weib und Dein Kind, mit nur Einer Dienerin, fürchtete ich ihn doch nicht; aber ich zitterte vor Deiner Rückkehr, denn ich wußte, daß Du ein Spanier, ein Castilianer seyest, und daß unter Deinem ruhigen und sanften Aeußern Stolz, Eifersucht und Rachgier laure. Dein Brief kam an, Dein einziger Brief seit Deiner Abreise, der letzte Brief von Dir über dem ich weinen, den ich an mein Herz legen darf. Dein Verwandter war todt und sein Vermögen bereicherte einen nähern Erben. Du standest im Begriff heimzukehren. Der Tag, an welchem ich Deiner Ankunft entgegensehen durfte, näherte sich – er kam. Während der letzten acht Tage hatte ich von Ferrares nichts mehr gesehen und gehört. Ich hoffte, er werde endlich die Fruchtlosigkeit seiner Bestrebungen eingesehen haben. Ich ging in das Thal, Dein Kind auf meinem Arm, Dir entgegen; aber Du kamest nicht. Die Sonne ging unter und das Licht Deiner Augen trat nicht an die Stelle des versinkenden Tages. Ich kehrte nach Haus zurück und blieb die ganze Nacht, Deiner harrend, wach; aber umsonst. Am nächsten Morgen ging ich wieder in das Thal, und wieder kehrte ich mit krankem Herzen in meine öde Behausung zurück. Es war jetzt Mittag. Als ich mich der Thüre näherte, ward ich Ferrares' ansichtig. Er drängte sich mit Gewalt ein. Ich sagte ihm von Deiner erwarteten Rückkehr und drohte ihm mit Deiner Rache. Er verließ mich; und geängstigt von tausend unbestimmten Ahnungen setzte ich mich hin und weinte. Die Wärterin, Leonarda, wachte im innern Zimmer an der Wiege unsers Kindes. Ich war allein. Plötzlich öffnete sich die Thüre. Ich hörte Deinen Schritt; ich kannte seine Musik. Ich fuhr auf; Heilige des Himmels, welche Begegnung – welche Rückkehr! Blaß, hohläugig, Hände und Kleider triefend von Blut, Deine Augen funkelnd von wahnsinnigem Feuer, ein fürchterliches Lächeln des Hohns auf der Lippe – so standest Du vor mir. Ich wollte mich an Deine Brust werfen; Du schleudertest mich von Dir; ich fiel auf meine Kniee und die Spitze Deiner Klinge ward auf mein Herz gezückt – das Herz, das so voll war von Dir! »Er ist todt!« sagtest Du in hohlem Tone, »er ist todt, Dein Buhle! Nimm jetzt Dein Bett neben ihm!« Ich weiß nicht was ich sagte, aber es schien Dich zu rühren; Deine Hand zitterte und die Spitze Deiner Waffe senkte sich. Jetzt stürzte Leonarda, Deine Stimme hörend, ins Zimmer und trug Dein Kind in ihren Armen. »Sieh!« rief ich, »sieh Deine Tochter; siehe, sie streckt ihre Händchen nach Dir aus! sie bittet für ihre Mutter!« Bei diesem Anblick wurde Dein Angesicht wieder finster, der Dämon erfaßte Dich wieder. »Mein Kind!« waren Deine grausamen Worte – sie gellen mir noch im Ohr – »nein! es ward vor der Zeit geboren – ha, ha! – Du verriethest mich von Anfang an!« Damit erhobest Du Dein Schwert; aber auch da noch (o beseligender Gedanke, auch da noch!) lähmten Gewissensbisse und Liebe Deine Hand und wandten Dein Auge weg; der Streich war nicht tödtlich. Ich sank bewußtlos zu Boden, und als ich wieder zu mir kam, warst Du weg. Fieberphantasieen traten ein; und als Besinnung und Vernunft mir wiederkehrten, sah ich einen heiligen Priester an meiner Seite, und von ihm erfuhr ich allmälig Alles was mir bisher dunkel gewesen. Ferrares war, in seinem Blute schwimmend, im Thal gefunden worden. In ein benachbartes Kloster gebracht lebte er noch ein paar Tage, während welcher er den an Dir begangenen Verrath bekannte, in seinen letzten Stunden den christlichen Glauben annahm und mit seiner eigenen Namensunterschrift sein Verbrechen bezeugte. Er beauftragte den Mönch, der ihn bekehrte und seine Beichte gehört hatte, diesen Beweis meiner Unschuld in meine Hände zu überliefern. Sieh ihn hier beigeschlossen. Wenn je dieser Brief Dir zukommt, wirst Du erkennen, wie treu Dein Weib Dir im Leben war und deßhalb das Recht hat, Dich noch im Tod zu segnen!«

Bei dieser Stelle ließ Calderon den Brief aus der Hand sinken und ward von einer Art von Lähmung ergriffen, die ihn einige Augenblicke selbst des Lebens zu berauben schien. Als er wieder zu sich kam, griff er hastig nach einem in dem Brief eingeschlossenen Papier, das er bisher außer Acht gelassen. Auch jetzt noch war seine Bewegung so heftig, daß sein Auge verdunkelt und getrübt war, und es dauerte lange bis er die ihm vor dem Auge schwimmenden Schriftzüge lesen konnte, welche die Zeit beinahe verfärbt hatte.

 

» An Inez.

»Ich habe nur noch wenige Stunden zu leben; – laß mich sie hinbringen mit Buße und Gebet, weniger für mich als für Dich. Du weißt nicht, wie wahnsinnig ich Dich liebte, und wie Dein Haß oder Deine Gleichgültigkeit jede Leidenschaft zur Marter steigerte. Lassen wir das. Als ich Dich wieder sah – die Abtrünnige von Deinem Glauben – arm, unangesehen und zum Leben einer Bäuerin verdammt – da gestalteten sich mir kühne Hoffnungen zu kecken Entwürfen. Als ich Dich unerbittlich fand, kehrte ich meine Künste und Listen gegen Deinen Gatten. Ich kannte seine Armuth und seinen Ehrgeiz; wir Mauren haben die Habsucht der Christen hinreichend kennen zu lernen Gelegenheit gehabt! Ich trug einem Mann, dem ich vertrauen konnte, auf, ihn in Madrid aufzusuchen. Schätze – reiche Schätze – Schätze die einem Spanier alle Pforten der Macht aufschließen konnten, wurden ihm geboten, wenn er Dir für immer entsagen wollte. Ja, um alle Liebe in seiner Brust zu ersticken, wurde ihm gesagt: ich habe das frühere Recht – Du habest Dich meiner Bewerbung hingegeben, ehe Du mit ihm geflohen – Du habest seine Liebe benützt, um Deiner Entehrung zu entfliehen – Dein Kind selbst sey von einem andern Vater. Ich hatte erfahren – und ich wußte diese Kunde zu benützen – daß es vor seiner Zeit geboren war. Wir hatten uns über die Wirkung dieser Vorstellungen, unterstützt und beglaubigt durch nachgemachte Briefe, verrechnet. Statt Dich zu verlassen, dachte er nur darauf, seine Schmach zu rächen. Als ich Dein Haus verließ, das letzte Mal, wo ich in Dein zürnendes Auge sah, fand ich den Rächer auf meinem Wege! Er hatte mich Dein Dach verlassen sehen – es bedurfte für ihn keiner weitern Bestätigung der ihm erzählten Geschichte. Ich fiel in die Grube, die ich Dir gegraben. Das Gewissen entnervte meine Hand und stumpfte mein Schwert; kaum kreuzten sich unsere Klingen, als seine Waffe mich zu Boden streckte. Man sagt mir, er sey vor der Ahndung des Gesetzes geflohen; er mag ohne Furcht zurückkehren. Feierlich und auf dem Sterbebette, und im Angesicht des letzten Gerichtes, bezeuge ich vor der Gerechtigkeit und vor der Welt, daß wir ehrlich gefochten und daß ich verdientermaßen sterbe. Ich habe Deinen Glauben angenommen, obgleich ich seine Geheimnisse noch nicht begreifen kann. Es genügt mir, daß er mir die einzige Hoffnung gewährt, daß wir uns wieder sehen werden. Ich will, daß diese Zeilen an Dich bestellt werden sollen – ein ewiges Zeugniß Deiner Unschuld und meiner Schuld. Ach, kannst Du mir vergeben? Ich wußte von keiner Sünde, bis ich Dich sah.

Arraez Ferrares

 

Calderon hielt inne, ehe er den Schluß von seiner Gattin Brief las; und obgleich er regungs- und sprachlos blieb, nie waren doch Todesangst und Verzweiflung furchtbarer auf dem Antlitz eines Menschen ausgeprägt.

 

Schluß von Inez' Brief.

»Und was nützt mir dieß Zeugniß meiner Treue? Du bist geflohen; man findet nirgends Deine Spuren; ich werde Dich auf Erden nicht mehr sehen. Ich sterbe schnell dahin, aber nicht an der Wunde, die ich von Dir empfing; laß nicht diesen Gedanken Deine Seele verfinstern, mein Gatte! Nein! Diese Wunde ist geheilt. Der Gedanke ist schärfer als das Schwert. – Ich habe mich im Gram verzehrt über Deinen und Deiner Liebe Verlust! Kann der Schatten leben ohne die Sonne? Und wirst Du nie Deine Hand auf meiner Tochter Stirne legen und sie segnen um ihrer Mutter willen? Ach, ja – ja! die Heiligen, die über der Menschen Schicksalen wachen, werden sie eines Tags Dir in den Weg führen; und die Stunde, welche Dir eine Tochter schenkt, wird auch das Andenken Deines Weibes Dir reinigen und heiligen ... Leonarda hat gelobt, unserem Kind eine Mutter zu seyn, es zu pflegen, für es zu arbeiten, es, wenn auch in Armuth, doch in der Tugend, aufzuziehen. Ich übergebe diese Briefe Leonarda's Verwahrung, nebst Deinem Bilde – das nicht von meiner Brust kommen soll, bis das Herz darunter hat aufgehört zu schlagen. Nicht eher als bis Beatriz (so habe ich sie getauft – es war Deiner Mutter Name!) in das Alter getreten ist, wo die Vernunft ringen kann mit dem Kummer im Herzen, soll ihre Jugend verdüstert werden durch die Kunde unseres Schicksals. Leonarda hat mich beredet, Beatriz solle nicht Deinen Namen Nunez annehmen. Unsere Geschichte hat Grausen und Abscheu erregt – denn man versteht den Zusammenhang nicht – und Du wirst der Mörder Deines Weibes genannt; und die Geschichte unseres Jammers würde immer am Leben unserer Tochter haften, und ihr zu Ohren kommen, und vielleicht ihr Geschick vergiften. Aber ich weiß, Du wirst sie dennoch auffinden, denn die Natur hat ihre eigene Vorsehung. Wenn Du sie endlich auffindest: schütze, bewahre, liebe sie – die Dir geheiligt ist und bleiben wird – das reine aber kummervolle Vermächtniß der Liebe und des Todes. Ich bin zu Ende; ich segne Dich sterbend!

Inez

 

Kaum hatte er die letzten Worte gelesen, als die Glocke schlug; es war die Stunde, wo der Prinz kommen sollte. Dieser Gedanke brachte Calderon wieder zum Bewußtseyn der Gegenwart – der drohenden Gefahr. All die kalten Berechnungen, die er in Betreff der ihm unbekannten Novize gemacht hatte, verschwanden jetzt. Er küßte leidenschaftlich den Brief, legte ihn auf seine Brust, und eilte in das Gemach, wo er sein Kind verlassen hatte. Unsere Erzählung kehrt zu Fonseca zurück.


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