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Fünftes Kapitel.
Die wahre Fata Morgana

In dem königlichen Gemach vor einem mit Papieren bedeckten Tisch saßen der König und sein Secretär. In dem gewöhnlichen Wesen Philipps III., ernst, finster und schweigsam, war wenig, was selbst dem erfahrensten Hofmann die äußern Zeichen von Gunst oder Laune zu erkennen gab. Seine Erziehung hatte ihn für das Kloster geeignet gemacht, aber die Nothwendigkeiten des Despotismus hatten dem sklavischen Aberglauben auch tückischen Scharfblick zugesellt. Das Geschäft, dessenwillen Calderon war berufen worden, war abgemacht, unter einem Schweigen, das nur einsylbige Worte des Königs und kurze Erläuterungen von Seiten des Secretärs unterbrachen; und Philipp gab aufstehend Calderon das Zeichen, sich zurückzuziehen. Jetzt richtete der König ein blödes aber stetes Auge auf den Marquis und sagte mit einer Art von Anstrengung, als ob das Reden ihm schwer fiele, zu ihm:

»Der Prinz hat mich nur eine Minute vor Eurem Eintreten verlassen – habt Ihr ihn gesprochen seit Eurer Rückkehr?«

»Euer Majestät, ja. Er beehrte mich diesen Morgen mit seinem Besuch?«

»In Staatsangelegenheiten?«

»Euer Majestät weiß, hoffe ich, daß Euer Diener über Staatsangelegenheiten einzig und allein mit Eurer erhabenen Person oder Euern bestellten Ministern verhandelt.«

»Der Prinz hat Euch seine Gunst geschenkt, Don Rodrigo.«

»Euer Majestät befahl mir diese Gunst zu suchen.«

»Es ist wahr. Glücklich der Monarch, dessen treuer Diener der Vertraute des Erben seiner Krone ist!«

»Könnte der Prinz auch nur Einen Eurer Majestät mißfälligen Gedanken hegen, ich glaube ich würde ihn entdecken und in der Geburt ersticken. Aber Euer Majestät ist mit einem dankbaren Sohn gesegnet.«

»Ich glaube es. Seine Vergnügungssucht lockt ihn vom Ehrgeiz ab – so soll es seyn. Ich bin kein strenger und mürrischer Vater. Erhaltet Euch seine Gunst, Don Rodrigo; es ist mir angenehm. Hast Du ihn in irgend etwas beleidigt?«

»Ich hoffe nicht, daß mir ein so großes Unglück zugestoßen ist.«

»Er sprach von Dir nicht mit seinen gewöhnlichen Lobeserhebungen – ich bemerkte es. Ich sage Dir das, damit Du wieder in Ordnung bringen kannst, was etwa verfehlt worden ist. Du kannst mir nicht besser dienen, als wenn Du ihn vor allen und jeden Freundschaften bewahrst, ausgenommen mit Solchen, auf deren Anhänglichkeit an mich ich bauen kann. Ich habe genug gesagt.«

»Das war immer mein Bestreben. Aber ich bin nicht so jung mehr, wie der Prinz, und die Leute reden mir Schlimmes nach, daß ich, um sein Vertrauen zu gewinnen, seine Unterhaltungen und Zerstreuungen theile.«

»Es ist gleichgültig was sie von Dir sagen. Treue Minister werden selten von dem Pöbel oder vom Hof gelobt. Du kennst meine Gesinnung; ich wiederhole Dir, verscherze die Gunst des Prinzen nicht!«

Calderon verbeugte sich tief und ging weg. Als er die Gemächer des Palastes durchschritt, kam er durch eine Gallerie, wo er den jungen Prinzen und seinen Erzfeind, den Herzog von Uzeda, an einem Fenster stehend erblickte. Im selben Augenblick trat von einer entgegengesetzten Thüre der Kardinal-Herzog von Lerma ein; und die nämliche unwillkommene Conjunctur feindseliger Planeten fiel dem ränkevollen Minister widrig ins Auge. Gerade weil Uzeda des Herzogs Sohn war, war er der Mann, den der Herzog auf der ganzen Welt am meisten fürchtete und beargwöhnte.

Wer mit der spanischen Komödie einigermaßen bekannt ist, der hat gewiß die Verschwendung von Intriken und Gegenintriken bemerkt, auf welchen das Interesse derselben beruht. Hierin war die spanische Komödie der treue Spiegel des spanischen Lebens, vorzüglich in den Cirkeln des Hofs. Die Menschen lebten da in einem vollständigen Labyrinth von Komplotten und Gegenkomplotten. Der Geist der Feinheit, des Manöuvre's, der Schlauheit und Doppelsinnigkeit durchdrang jede Familie. Kein Haus, das nicht in sich selbst getheilt gewesen wäre!

Als Lerma sein Auge wegwandte von dem unwillkommnen Schauspiel einer so plötzlichen Vertraulichkeit zwischen Uzeda und dem muthmaßlichen Thronerben – eine Vertraulichkeit, welche zu hintertreiben sein Hauptaugenmerk gewesen war – fiel sein Blick auf Calderon. Er winkte ihm stillschweigend zu, und zog sich unbemerkt von den beiden sich Unterredenden, durch dieselbe Thüre wieder zurück, durch die er eingetreten war. Calderon hatte den Wink bemerkt und folgte ihm. Der Herzog trat in ein kleines Zimmer und schloß sorgfältig die Thüre.

»Was ist das, Calderon?« fragte er, aber in scheuem Tone, denn der schwache alte Mann fürchtete sich selbst halb und halb vor seinem Günstling. »Woher dieß neue und höchst drohende, unheilverkündende Bündniß?«

»Ich weiß nicht, Euer Eminenz; bedenkt, daß ich erst gestern nach Madrid zurückgekehrt bin; es setzt mich nicht minder als Euer Excellenz in Erstaunen.«

»Suche der Sache auf den Grund zu kommen, mein guter Calderon; der Prinz gab immer vor, Uzeda zu hassen. Bringe ihn wieder auf diese Gesinnungen zurück; Du giltst Alles in Allem bei Seiner Hoheit! Wenn Uzeda wieder sein Ohr gewinnt, so bist Du verloren.«

»O nein!« rief Calderon stolz. »Mein Dienst ist dem König geweiht; ich habe ein Recht auf seinen königlichen Schutz, denn ich habe Ansprüche auf seine königliche Dankbarkeit.«

»Täusche Dich nicht selbst!« sagte der Herzog leise flüsternd. »Der König kann nicht mehr lange leben; ich hab' es von der besten Autorität, von seinem Arzt; und dieß ist noch nicht Alles – eine furchtbare Verschwörung besteht gegen Dich am Hof. Ohne mich und des Königs Beichtvater würde Philipp seine Einwilligung zu Deinem Verderben geben. Der starke Halt, den Du bei ihm hast, liegt in Deinem Einfluß auf den Infanten – ein Einfluß, der, wie er weiß, geübt wird im Interesse seiner ängstlichen und eifersüchtigen Politik; ist dieser Einfluß dahin, so vermögen weder ich noch Aliaga mehr Dich gehörig zu schützen. Genug! Verschließe Uzeda jeden Zugang zu Philipps Herz!«

Calderon verbeugte sich schweigend und der Herzog eilte in das königliche Gemach.

»Welch ein Thor war ich, daß ich glaubte, ich könnte noch auf mein Gewissen hören!« murmelte Calderon mit höhnisch verzogener Lippe; »aber, Uzeda, ich will noch Deine Plane vereiteln!«

Am nächsten Morgen fand sich der Marquis von Siete Iglesias beim Lever des Prinzen von Spanien ein.

Um den Günstling, dessen stolzer Wuchs über alle Andern emporragte, schaarten sich die untertänigen Granden herum. Das hochmütige Lächeln war noch auf seiner Lippe, als die Thüre sich öffnete und der Prinz eintrat. Die Versammelten wichen plötzlich auseinander und ließen Calderon unmittelbar dem Infanten gegenüber allein stehen; dieser, nachdem er ihn einen Augenblick finster betrachtet, kehrte sich mit auffallender Unhöflichkeit von dem ihm tiefe Ehrfurcht bezeigenden Günstling weg und knüpfte eine leise, lächelnde Unterredung mit Gonsalez de Leon, einem von Calderons offenen Feinden an.

Die Versammelten wechselten Blicke der Ueberraschung und Freude; und alle die Edeln, die zuvor so mit Höflichkeit um den Minister gebuhlt hatten, wichen ihm vorsichtig aus.

Seine Kränkung hatte nur erst angefangen. Gleich darauf erschien Uzeda, bisher fast nie in diesen Gemächern sichtbar; der Prinz eilte auf ihn zu, und in wenigen Minuten sah man den Herzog ihm in sein Privatgemach folgen. Die Sonne von Calderons Gunst schien untergegangen. So dachten die Höflinge, aber nicht so der hochmüthige Günstling. Auf seiner Lippe war sogar ein Lächeln des Triumphs sichtbar – eine sanguinische Röthe auf seiner blassen Wange, als er gleichgültig sich von dem Gewühl wegwandte, in seinen Wagen stieg und sich wieder nach Haus begab.

Kaum war er wieder in sein Kabinet getreten, als ihm Fonseca angemeldet wurde, der getreu der Verabredung sich einfand.

»Was für Zeitungen mein bester Freund?« rief der Soldat aus.

Calderon schüttelte kummervoll den Kopf.

»Mein lieber Zögling,« sagte er im Tone glücklich erheuchelter Theilnahme, »für Dich ist keine Hoffnung. Vergiß diesen eiteln Traum – begib Dich zum Heer zurück. Ich kann Dir Beförderung, Rang, Ehrenstellen versprechen; aber die Hand von Beatriz Coello liegt außer meiner Macht.«

»Wie?« sagte Fonseca erblassend und auf einen Stuhl sinkend. »Wie kommt dieß? woher dieser plötzliche Wechsel? hat die Königin – ?«

»Ich habe Ihre Majestät nicht gesehen; aber der König ist hinsichtlich dieses Punkts fest entschlossen; ebenso auch die Inquisition. Die Kirche führt Klage wegen neuerlicher, zahlreicher Fälle von unheiliger und unpolitischer Schwächung ihrer gefürchteten Gewalt. Der Hof wagt nicht sich darein zu mischen. Der Novize selbst muß die Wahl anheimgestellt bleiben.«

»Und ist keine Hoffnung?«

»Keine. Kehre zu dem aufregenden Leben Deiner tapfern Laufbahn zurück.«

»Nie!« rief Fonseca mit großer Heftigkeit. »Wenn ich zum Lohn für alle meine Dienste, mein oft gewagtes Leben, mein versprühtes Blut, nicht einmal eine mir so leicht zu gewährende Gunst erlange, so entsage ich einem Dienst, in welchem selbst der Ruhm seinen Zauber für mich verloren hat. Und hört es wohl Calderon. Ich sage Euch, daß ich dieser Bewerbung nicht entsagen will. Ein so schönes, so unschuldiges Opfer soll nicht zu diesem lebenden Grabe verdammt werden. Durch die Mauern des Nonnenklosters, durch die Spione der Inquisition wird die Liebe ihren Weg finden; und in einem fernen Land will ich noch Glück und Ehre vereinbaren. Ich fürchte die Verbannung nicht; ich fürchte keine Widerwärtigkeit; ich fürchte selbst die Armuth nicht mehr. Alle Länder, in denen der Klang der Trompete nicht unbekannt ist, bieten dem Soldaten eine Laufbahn, der vom Himmel kein anderes Gut begehrt, als seine Geliebte und sein Schwert.«

»So wollt Ihr also suchen Beatriz zu entführen?« sagte Calderon ruhig und nachdenklich. »Ja – es mag das Beste seyn was Ihr thun könnt, wenn Ihr die gehörigen Vorsichtsmaßregeln trefft. Aber könnt Ihr sie zu sehen bekommen, könnt Ihr Verabredungen mit ihr treffen?«

»Ich denke wohl. Ich hoffe schon den Weg zu einer Besprechung gebahnt zu haben. Gestern, nachdem ich Dich verlassen, suchte ich das Kloster auf; und da die Kapelle eine der öffentlichen Sehenswürdigkeiten der Stadt ist, nahm ich die Neugierde zum Vorwand. Zum Glück erkannte ich in dem Pförtner des Convents einen alten Diener meines Vaters; er hatte mich von Kind an gekannt – er hat keine Freude an seinem Beruf – er will einwilligen, uns auf unserer Flucht zu begleiten, unser Geschick zu theilen; er hat mir versprochen, einen Brief von mir an Beatriz zu bestellen, und mir ihre Antwort zu überbringen.«

»Die Sterne lächeln Dir, Don Martin. Wenn Du mehr erfahren hast, frage mich wieder um Rath. Jetzt sehe ich Mittel und Wege, Dir beizustehen.«


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