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Sechstes Kapitel.
Gewebe über Gewebe

Am nächsten Tage sah man, zum großen Verdruß der Höflinge, Calderon und den Infanten von Spanien wieder bei einander öffentlich, auf der Parade, und der Secretär war Einer der wenigen Begünstigten, welche den Prinzen ins Theater begleiteten. Seine Gunst war größer, seine Macht glänzender, als man es je früher gesehen hatte. Da kein Grund des Bruchs und der Wiederaussöhnung ruchbar wurde, schoben es die Einen auf eine Laune, Andere sahen darin den tückischen Plan des verschmitzten Calderon zur Demüthigung Uzeda's, auf den, wie es schien, man nur darum ein Lächeln der aufgehenden Sonne hatte fallen lassen, damit man ihn mit um so größerem Aufsehen wieder in den Schatten drängen konnte.

Mittlerweile gelang dem Fonseca Alles beinah über Erwarten und Hoffen. Jung, glühend, sanguinisch war die arme Novize von ihrer ruhigen Behausung und der Behaglichkeit ihrer freien Gedanken geflohen, in die erkältende Einsamkeit des Klosters – nicht ahnend die Größe dieses Wechsels. Mit einem Herzen, das von den warmen Empfindungen der Liebe und der Jugend überströmte, erschrack und entsetzte sie sich über die geisterhaften Gestalten, welche sie umschwebten; über die eisigen Formen, das starre Ceremoniell dieses Lebens, das nur eine Nachahmung des Todes ist. Daß sie gegen einen königlichen und höchst gefährlichen, weil rücksichtslosen, Anbeter ihre Treue gegen den abwesenden Fonseca behauptet hatte, war ihr einziger Trost.

Noch ein weiterer Umstand außer dem Verlust ihrer Beschützerin und der Trennung von Don Martin hatte dazu beigetragen, sie trübe zu stimmen und sie ins Kloster zu führen. An dem Sterbebette der alten Frau, die an ihr Mutterstelle vertreten, hatte sie ein Geheimniß erfahren, das man ihrer zarten Jugend bisher verhehlt hatte. Dunkel und unheilvoll waren die Einflüsse des Sterns, der über ihrer Geburt gewaltet; düster das Erbe der Erinnerungen, welche an ihrer Abstammung hafteten. Ein Brief, der jetzt ihr Geheimniß und ihr Schatz wurde – ein Brief von der Hand ihrer Mutter – entlockte ihr bittrere und tiefere Thränen, als sie je um ihrer selbst willen geweint hatte. In diesem Brief las sie die Stärke und die Treue, den Kummer und das schmerzliche Schicksal weiblicher Liebe; und eine düstere Ahnung sagte ihr, daß der Schatten des Geschicks ihrer Mutter auch auf das ihres Kinds gefallen sey. Diese Gefühle hatten ihr das Kloster willkommen gemacht, bis sie die trostlose Einsamkeit dieser Zufluchtsstätte erprobte und erkannte. Als aber durch die Vermittlung des Pförtners Fonseca's Brief an sie gelangte, da wichen alle andern Gefühle dem Ausbruch natürlicher und leidenschaftlicher Gemüthsbewegung. Der Entfernte war zurückgekehrt, warb wieder um sie, war noch treu. Das furchtbare Gelübde war noch nicht gesprochen – sie konnte noch die seinige werden. Sie antwortete; sie schalt ihn; sie sprach von Zweifel, von Gefahr, von Besorgniß für ihn; von magdlicher Schaam; aber ihre Zärtlichkeit färbte jedes Wort und der Brief war voll Hoffnung. Der Briefwechsel dauerte fort; die kräftigen und feurigen Vorstellungen Fonseca's, die reine und glühende Neigung der Novize führten immer rascher und sicherer dem unvermeidlichen Endergebniß entgegen. Beatriz gab den Bitten ihres Geliebten nach; sie willigte in den Plan der Entführung und Flucht, den er vorschlug.

Spät Abends suchte Fonseca Calderon auf. Der Marquis war im Garten seines prächtiges Hauses.

Das Mondlicht übergoß viele Reihen Orangen- und Granatbäume – manche weiße und reich gearbeitete Vasen auf dem marmornen Fußgestell – manchen Springquell, der seine leise Musik durch die athemlose Luft verbreitete. Auf einer Terrasse, welche die stattliche Aussicht auf die Thürme und Paläste von Madrid beherrschte, stand Calderon allein; neben ihm warf eine einzelne riesenhafte Aloe ihren tiefen, düstern Schatten; und seine unbewegliche Stellung, seine gefalteten Arme, sein halb zu dem sternbesä'ten Himmel emporgerichtetes Antlitz – dieß Alles verrieth den Ernst und die Innigkeit seiner Empfindungen.

»Warum kommt dieser Schauer über mich?« sagte er halb laut. »So war es auch in jener unglücklichen Stunde, welche der Erkenntniß meiner Schmach vorherging – der That einer schwarzen Rache – dem Umschwung meines ereignißreichen, wunderbaren Lebens! Ach! wie glücklich war ich einst! ein zufriedener und ruhiger Mann der Wissenschaften! voll Glauben an die Augen, die mir waren was die Sterne dem Astrologen. Aber das goldene Alter verwandelte sich in ein ehernes. Und jetzt,« setzte Calderon mit Hohnlächeln gegen sich selbst hinzu, »kommt das Zeitalter, das die Poeten noch nicht verzeichnet haben; denn Tücke, Heuchelei und Laster sind den Poeten fern!«

Fonseca's rascher Schritt unterbrach des Höflings Träumereien. Er wandte sich um, runzelte die Stirne und seufzte schwer, wie wenn er sich selbst zu einer Anstrengung stählte! aber seine Stirne war wieder glatt, sein Antlitz heiter, ehe Fonseca an seiner Seite stand.

»Wünscht mir Glück, wünscht mir Glück, lieber Calderon! sie hat eingewilligt. Und nun Euern verheißenen Beistand!«

»Könnt Ihr Euch auf die Treue Eures vertrauten Pförtners verlassen?«

»Auf Tod und Leben!«

»Ist ein Hauptschlüssel zu der Hinterthüre der Kapelle gefertigt worden?«

»Seht, hier habe ich ihn.«

»Und Beatriz kann es so veranstalten, daß sie sich zur Zeit des Abendgebets im Beichtstuhl versteckt?«

»Es ist kein Zweifel, daß sie dieß mit aller Sicherheit thun kann. Die Zahl der Novizen ist so groß, daß man Eine darunter nicht vermißt.«

»Dieß also wäre Eure Rolle bei dem Unternehmen. Nun zur meinigen. Ihr kennt das einsame Haus in der Vorstadt, an der Landstraße nach Fuencarral, das ich Euch gestern zeigte? Nun, der Eigenthümer ist eine meiner Kreaturen. Dort sollen Pferde in Bereitschaft stehen, Vermummungen sollen Eurer warten. Beatriz muß nothwendig das klösterliche Gewand ablegen; für Euch thätet Ihr gut, gemeine Kleider zu wählen. Laßt die Hidalgo's-Titel fallen, worauf Euer Vater so stolz ist und gebt Euch und die Novize für einen Notar und seine Frau aus, im Begriffe nach Frankreich zu gehen wegen eines Erbschaftsprozesses. Einer meiner Secretäre soll Euch mit einem Paß versehen. Indeß werde ich morgen der Erste seyn, der offiziell von der Flucht der Novize hört; und ich will die Verfolger schon auf eine falsche Spur bringen. Habe ich nicht Alles ganz trefflich eingeleitet, mein Fonseca?«

»Ihr seyd unser Schutzengel!« rief Don Martin feurig. »Die Gebete von Beatriz für Euch werden droben zu Buche gebracht werden – Gebete, welche den Thron des Ewigen so leicht erreichen werden von den offenen Thälern Frankreichs aus, als von den düstern Klöstern Madrids. Morgen um Mitternacht suchen wir das uns von Euch bezeichnete Haus.«

»Ja, um Mitternacht soll Alles bereit seyn.«

Mit leichtem Schritt und jauchzendem Herzen entfernte sich Fonseca aus Calderons Pallast. Von Natur sanguinisch und vertrauensvoll, schwebten ihm jetzt Träume von Hoffnung und Wonne vor dem Auge; und die Zukunft erschien ihm als ein Land, das nur den zwei Gottheiten: Ruhm und Liebe angehöre.

Er hatte etwa die Mitte der Straße erreicht, in welcher Calderons Wohnung lag, als sechs Männer, die ihn einige Augenblicke in kleiner Entfernung beobachtet, sich ihm näherten.

»Ich glaube,« sagte der Eine, welcher das Haupt der Bande schien, »ich habe die Ehre mit Sennor Don Martin Fonseca zu sprechen?«

»Das ist mein Name.«

»Im Namen des Königs, wir verhaften Euch. Folgt uns.«

»Verhaften! weßwegen? was ist mein Vergehen?«

»Es ist in diesem Verhaftbefehl bezeichnet, unterschrieben von Sr. Eminenz, dem Kardinal-Herzog von Lerma. Ihr seyd beschuldigt des Verbrechens der Desertion.«

»Du lügst, Schurke. Ich hatte freie Erlaubniß des Generals, das Lager zu verlassen.«

»Wir haben Alles gesagt – folgt uns.«

Fonseca, von Natur schon höchst ungestümer und leidenschaftlicher Gemüthsart, war in diesem Augenblick nicht in der Fassung, um alle Folgen der Widersetzlichkeit kalt zu überlegen. Verhaftung – Einkerkerung – am Vorabend des Tags, der ihn als den Befreier von Beatriz sehen sollte, das enthielt für ihn ein so verzweiflungsvolles Urtheil, daß alle andere Ueberlegungen davor verschwanden. Er biß die Zähne fest übereinander, zog sein Schwert, stieß den Alguazil beiseite, der ihm den Weg zu vertreten suchte, und schritt grimmig vorwärts, die eine geballte Hand trotzig schüttelnd, und in der andern die gute Toledoklinge schwingend, die oft in den ersten Reihen der Schlacht erglänzt hatte, unter dem Kriegsgeschrei: St. Jago und Spanien!

Die Alguazils umringten den Soldaten und schon hörte man das Klirren der Schwerter; als plötzlich hochgetragene Fackeln ihren Schimmer über die im Mondschein ruhende Straße warfen, und zwei hastige Läufer ausriefen: »Macht Platz für den sehr edeln Marquis von Siete Iglesias!« – Bei diesem Namen ließ Fonseca die Spitze seiner Waffe sinken; die Alguazils zogen sich zurück; und die schlanke Gestalt und das blasse Antlitz Calderons zeigte sich unter der Gruppe.

»Was soll dieser Hader auf offener Straße zu dieser späten Stunde?« sagte der Minister finster.

»Calderon!« rief Fonseca; »das ist wahrlich ein Glück. Diese Hunde haben sich erfrecht, Hand anzulegen an einen Soldaten Spaniens und ihrer Schurkerei fälschlich den Namen seines eigenen Vetters, des Herzogs von Lerma unterzulegen.«

»Eure Beschuldigung gegen diesen Herrn?« fragte Calderon ruhig, indem er sich gegen den Anführer der Alguazils wandte, welcher den Verhaftbefehl in des Secretärs Hand gab. Calderon las ihn mit Bedacht, und lüftete seinen Hut, als er ihn dem Alguazil zurückstellte; dann zog er Fonseca bei Seite.

»Seyd Ihr toll?« fragte er flüsternd. »Meint Ihr dem Gesetz Widerstand leisten zu können? Wäre ich nicht so zu rechter Zeit dazu gekommen, Ihr hättet eine leichte Beschuldigung zu einem Kapitalverbrechen verwandelt. Geht mit diesen Männern; fürchtet nichts; ich will den Herzog aufsuchen und Eure unverzügliche Freilassung bewirken. Morgen will ich Euch besuchen und heim begleiten.«

Fonseca, noch halb außer sich vor Wuth, wollte antworten, aber Calderon legte bedeutungsvoll den Finger an den Mund und wandte sich zu den Alguazils:

»Es ist hier ein Mißverständniß; es wird morgen ins Reine gebracht werden. Behandelt diesen Kavalier mit aller Achtung und Ehrerbietung, die seiner Geburt und seinen Verdiensten gebühren. Geht, Don Martin, geht,« setzte er in leiserem Ton hinzu; »geht, wenn Ihr nicht Beatriz für immer verlieren wollt. Nichts als Gehorsam kann Euch vor der Einkerkerung auf halbe Lebenszeit retten!«

Erschüttert und gelähmt durch diese Drohung steckte Fonseca in düsterem Schweigen sein Schwert in die Scheide und folgte finster dem Alguazils. Calderon sah sie mit nachdenklicher und zerstreuter Miene weggehen, dann fuhr er aus seiner Träumerei auf, befahl seinen Fackelträgern weiter zu gehen, und setzte seinen Weg fort zu dem Prinzen von Spanien.


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