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Siebentes Kapitel.
Das offene Gesicht, die verborgnen Gedanken

Am folgenden Tag, Vormittags, besuchte Calderon Fonseca in seiner Haft. Der junge Mann saß an einem Fenster, das die Aussicht auf einen großen öden Hofraum, mit einem vernachlässigten und zerbrochenen Brunnen in der Mitte hatte, und er stützte seine Wange auf die Hand. Sein langes Haar flatterte aufgelöst um ihn, seine Kleidung war unordentlich, und ein düstrer Groll verfinsterte eine von Natur offene und aufgeweckte Gesichtsbildung. Er sprang auf als Calderon sich ihm näherte.

»Meine Freilassung – Ihr bringt meine Freilassung – laßt uns fort!«

»Mein theurer Zögling faßt Euch, seyd ruhig. Ich habe den Herzog gesprochen; die Ursache Eurer Verhaftung ist was ich vermuthete. Einige unvorsichtige Worte, erlauscht vielleicht nur von Eurem Kammerdiener, entschlüpften Euch – Worte, die Euren Vorsatz aussprachen, Beatriz nicht aufzugeben. Ihr kennt Euern Verwandten, einen Mann voll Zweifel und Furcht, voll Formen, Ceremonien und Bedenklichkeiten. Gerade aus Liebe für seine Verwandtschaft und für Euch hat er Eure Verhaftung eingeleitet; alle meine Gegenvorstellungen sind fruchtlos gewesen. Ich fürchte Eure Einkerkerung dauert so lange, bis entweder Ihr ein feierliches Versprechen ablegt, allen Versuchen, Beatriz von dem förmlichen Gelübde abzureden, für immer zu entsagen, oder bis sie es ausgesprochen hat.«

Fonseca, wie vom Donner gerührt, starrte Calderon einen Augenblick an und brach dann in ein wildes Gelächter aus. Calderon fuhr fort –

»Dennoch verzweifelt nicht. Seyd geduldig; ich bin immer um die Person des Herzogs; ja, ich habe in Eurer Sache den Muth, mich sogar an den König selbst zu wenden.«

»Und heute Nacht erwartet sie mich – heute Nacht sollte sie frei werden!«

»Wir können ihr die Nachricht Eures Unfalls zustellen; der Pförtner wird Euch den Gefallen thun.«

»Fort, falscher Freund, oder ohnmächtiger Beschützer, der Ihr seyd! Habt Ihr dazu Eure Versprechungen von Hülfe gegeben? Aber ich frage nichts darnach; meine Sache, das Unrecht das ich erlitten, soll dem König vorgelegt werden; ich will ins Klare kommen und erforschen, ob Philipp III. so die Verteidiger seiner Krone behandelt? Don Rodrigo Calderon, wollt Ihr meine Schrift in die Hände Eures königlichen Herrn abliefern? Thut dieß und ich will Euch dankbar seyn.«

»Nein, Fonseca, ich will Euch nicht ins Verderben stürzen; – der König würde Eure Beschwerdeschrift dem Herzog von Lerma übergeben. Pah! das ist nicht der Weg, wie gescheute Männer dem Mißgeschick entgegentreten müssen. Meint Ihr, ich wäre was ich jetzt bin, wenn ich bei jeder Widerwärtigkeit getobt hätte, statt kalt zu überlegen? Setzt Euch und laßt uns bedenken, was geschehen kann.«

»Nichts, wenn nicht bis Sonnenuntergang die Gefängnißthüre sich öffnet.«

»Halt, ein Gedanke durchzückt mich. Der Endpunkt Eurer Haft tritt ein, sobald Ihr die Hoffnung aufgebt, Beatriz zu besitzen. Wie, wenn man den Herzog glauben machen könnte, Beatriz habe Euch aufgegeben? Zum Beispiel, wenn sie aus dem Kloster flöhe, wie Ihr den Plan dazu hattet, und wir den Herzog bereden könnten, sie sey mit einem Andern entflohen?«

»Ha, schweigt!«

»Nein, welche Vortheile bei diesem Plan – welche Sicherheit! Wenn sie allein, oder vorgeblich mit einem Andern entflieht, wird der Herzog kein Interesse zur Verfolgung, zur Strafe haben. Sie ist nicht von solcher Geburt, daß der Staat sich die Mühe nehmen sollte, sich sehr thätig darein zu mischen; sie kann ungekränkt Frankreich erreichen; ja, tausendmal sicherer, als wenn sie mit Euch, einem Hidalgo und Mann von Stand flöhe, welchen der Staat ein Interesse hätte, zurückzufordern, und welchem die Inquisition, den Adel hassend, das Verbrechen der Verletzung des Helligthums aufbürden würde. Es ist ein trefflicher Gedanke! Eure Einkerkerung kann Euer Beider Rettung seyn; Euer Plan kann noch besser gelingen, ohne Eure persönliche Theilnahme; und nach wenigen Tagen wird der Herzog, im Glauben, daß nothwendig Erbitterung an die Stelle Eurer Liebe treten müsse, Eure Freilassung befehlen; Ihr könnt Beatriz an der Grenze treffen und mit ihr nach Frankreich fliehen.«

»Aber,« sagte Fonseca, überrascht aber nicht überzeugt durch den Rath Calderons, »wer soll meine Stelle bei Beatriz vertreten? Wer in den Garten eindringen? Wer sie aus dem Convent wegtragen?«

»Das will ich Euch zu Liebe thun. Vielleicht,« setzte Calderon lächelnd hinzu, »kann ein Höfling eine solche Intrike selbst mit mehr Gewandtheit durchführen, als ein Soldat. Ich will sie in das Haus tragen, von dem wir sprachen; dort kann sie, weiß ich, in Sicherheit bleiben, bis die schläfrigen Nachforschungen von Beamten, die kein Interesse an der Sache haben, aufhören, und von dort kann ich leicht Mittel finden, sie unter sicherem und ehrenhaftem Geleite an jeden beliebigen Ort zu bringen, den Ihr mir nur angeben dürft.«

»Und meint Ihr, Beatriz werde mit Euch, einem Unbekannten, fliehen wollen? Unmöglich! Euer Plan gefällt mir nicht.«

»Er gefällt auch mir nicht,« sagte Calderon kalt; »die Gefahren, denen ich mich auszusetzen mich erbot, sind zu drohend, als daß man eine Freude daran haben könnte; ich danke Euch, daß Ihr mich meines Anerbietens entlaßt; auch hätte ich es gar nicht gemacht, Fonseca, ohne die Eine Besorgniß: was wird es seyn, wenn morgen der Herzog selbst (bedenkt er ist ein Mann der Kirche!) die Novize sieht? wenn er sie mit Drohungen gegen Euch ängstigt? wenn er die Aebtissin und die Kirche veranlaßt, das Noviziat abzukürzen? Wenn Beatriz durch Zwang oder Furcht gedrängt wird, den Schleier zu nehmen? wenn Ihr auch gleich nächsten Morgen frei gelassen werdet und sie für Euch verloren findet?«

»Sie können – sie dürfen das nicht!«

»Der Herzog kann und erlaubt sich Alles, wo es den Ehrgeiz gilt; Eure Vermählung mit Beatriz würde er für eine seinem Haus angethane Schmach halten. Glaubt nicht, meine Warnungen seyen grundlos – ich spreche als ein gut Unterrichteter; dieß ist die Verfahrungsweise, zu welcher der Herzog von Lerma entschlossen ist. Nichts sonst könnte mich bewogen haben zu dem Anerbieten, Euretwillen allen Gefahren einer Verletzung der Gesetze und den drohenden Schrecknissen der Inquisition zu trotzen. Aber laß uns über einen andern Plan nachdenken. Ist Eure Entweichung möglich? Ich fürchte sehr: nein! Nein, Ihr müßt meiner Aussicht vertrauen, den Herzog zu bereden, daß er die Sache nicht weiter verfolge; Ihr müßt vertrauen auf einen gewaltigen Plan, der alle seine Gedanken in Anspruch nimmt; auf eine Anwandlung von guter Laune nach seiner Siesta; oder vielleicht auf einen Anfall der Gicht oder einen Schlagfluß. Das sind am Ende die Bedingungen der Wechselfälle menschlichen Glücks, das sind die Zapfen, um welche das ernste Rad des menschlichen Lebens sich dreht!«

Fonseca antwortete einige Augenblicke nicht; er ging mit hastigen und ungleichen Schritten im Gemach auf und ab und blieb zuletzt plötzlich stehen.

»Calderon, hier bleibt keine Wahl; ich muß mich Eurem Edelmuth, Eurer Treue, Eurer Freundschaft übergeben; ich will an Beatriz schreiben; ich will ihr sagen, sie solle um meinetwillen Euch vertrauen.«

Wie er so sprach wandte sich Don Martin gegen den Tisch und schrieb ein hastiges und leidenschaftliches Billet, worin er die Novize dringend bat, sich den Anweisungen Don Rodrigo Calderons, seines besten, seines einzigen Freunds, anzuvertrauen; und wie er diesen Brief in die Hände des Höflings gab, wandte er sich ab, um seine Bewegung zu verhehlen. Calderon selbst war tief ergriffen; seine Wange flammte und seine Hand schien zu zittern, als sie den Brief nahm.

»Bedenkt,« sagte Fonseca, »daß ich Euch das Leben meines Lebens anvertraue. Wie Ihr gegen mich treu seyd, so möge der Himmel Euch barmherzig seyn!«

Calderon antwortete nicht, sondern wandte sich gegen die Thüre.

»Halt,« sagte Fonseca; »ich hatte dieß vergessen – hier ist der Hauptschlüssel.«

»Wahr; wie einfältig ich war. Und der Pförtner – wird er Deinem Stellvertreter Folge leisten?«

»Zweifelt nicht daran; redet ihn an mit dem Wort: ›Grenada‹ – aber er zählt darauf, ein Genosse der Flucht zu seyn.«

»Das läßt sich machen. Morgen sollt Ihr vom Gelingen meines Unternehmens hören. Lebt wohl!«


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