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Neunzehntes Kapitel.

An diesem denkwürdigen Tage fanden sich beim Mittagstisch nur Günther, Maria, die Tante und Wolfine ein. Mayer und Wolf Hohenecke aßen im Wirtshaus, Uglar und Susi auf ihren Zimmern. Diese zwei hatten alle Hände voll mit Einpacken zu thun.

Es war eine sehr schweigsame Tafelrunde. Niemand schien Eßlust zu haben. Die Schüsseln wurden so gefüllt hinausgetragen, wie sie hineingebracht worden waren.

Etwa eine Stunde nach dem Essen begab sich Wolfine von ihrem Zimmer nach dem Zimmer Marias, um diese zu einem Spaziergang mit dem Grafen und Doktor Mayer zu holen. So hatte sie es am Vormittag mit Wolf verabredet.

Innen wurde gesprochen? Eine Männerstimme?! – Uglars Stimme!! –

Das fehlte noch! Susis Liebhaber im Zimmer des jungen Mädchens, das ihn liebte! – Von Staunen und Empörung übernommen, riß Wolfine die Thür auf, ohne anzuklopfen.

Uglar und Maria standen in der Mitte des hübschen, einfachen »Fräuleinzimmers« einander gegenüber: Maria erregt, mit fieberigem Glanz in den Augen und roten Backen, Uglar bleich wie Linnen.

Er, als er Wolfine sah und das starre Entsetzen in ihrem Gesicht, murmelte etwas Unverständliches und stürzte, an ihr vorbei, aus dem Zimmer.

»Ich habe ihn mir rufen lassen,« erklärte Maria hoheitsvoll. – Wolfine schloß mechanisch die Thür. Sie fand keine Worte.

»Ich mußte ihn noch einmal sprechen,« fuhr Maria fort, »ich mußte es unbedingt und unter vier Augen. Meinst du, ich hätte ihn in sicheres Verderben gehen lassen können, ohne einen letzten Versuch zu seiner Rettung zu machen?«

»Wie wolltest du ihn denn retten?!«

»Ich hab' ihm gesagt, daß er sich von Susi trennen muß, es koste, was es wolle.«

»Glaubst du, dasselbe hätte ich ihm nicht wieder und wieder gesagt? Es ist ganz umsonst.«

»Du konntest es ihm nicht sagen, wie ich es ihm sagen konnte, weil du ihn nicht liebst. Wenn man liebt und aus der Liebe heraus spricht, spricht man mit tausendfacher Eindrücklichkeit.«

»Und glaubst du, daß es Eindruck gemacht hat?« fragte Wolfine sanftmütig.

»Gott geb' es! Gott geb' es!«

Wolfine schwieg ein Weilchen in tiefem Sinnen. Sie dachte, daß die Liebe dieses stumme, stille Mädchen beredt und stark machte, während sie selbst, die für gewöhnlich stark und beredt war, da wo sie liebte, schwach wurde und verstummte. Verwandelt die Liebesleidenschaft immer, wo sie die Oberstimme hat, den Menschen in sein Gegenteil?

Marias Ueberzeugtheit und ihr offenbar so reines Gewissen drängte jeden Vorwurf von seiten Wolfines zurück.

Diese sagte jetzt, wozu sie gekommen sei, und ohne zu zaudern, machte sich Maria für den Spaziergang zurecht.

Die vertrauliche Unterredung mit Uglar schien ihr außerordentlich wohl gethan zu haben.

So wanderten die beiden Mädchen mit ihren aufgespannten farbigen Sonnenschirmen zum Hofthor hinaus, wo der Graf und Mayer schon standen und auf sie warteten.

Es war zum erstenmal, daß Wolf Hohenecke die beiden Frauen, die er liebte, nebeneinander sah; ein Blick genügte aber, ihn erkennen zu lassen, daß Sympathie und Vertrauen zwischen den beiden herrschte. Da er in diesem Thatverhalt etwas für ihn sehr Bedeutungsvolles erblickte, beschäftigte es ihn so angelegentlich, daß er kaum sprechen konnte.

Auch Maria mit ihrer Herzensangst und Wolfine mit dem schweren Druck ihres neuen Wissens auf der Seele waren schweigsame Weggefährten.

Der Professor übernahm ebenso gemütsruhig wie redegewandt die Unterhaltung für alle.

Sie waren etwa zwei Stunden fort gewesen und auf dem Heimweg begriffen und überschritten eben die alte Steinbrücke, die den Fluß überwölbte, ehe er in das Mühlenthal einbog, als sie auf dem Feldweg von Mervisrode her einen Mann im Laufschritt auf sie zukommen sahen.

Die andern beachteten ihn nicht sonderlich, aber Maria blieb stehen und sagte schreckerfüllt: »Der Gottlieb vom Hofe, – er sucht uns, es ist etwas geschehen ...«

»Bangebüchse, du!« lachte der Vater sie aus.

Wolfine dagegen teilte sich Marias Bangigkeit mit, und Mayer machte ein Gesicht, als sei er auf allerlei Sensationelles vollkommen gefaßt.

Der Gottlieb keuchte heran und blieb stehen.

»Der Herr Professor ... möchten ... (er war außer Atem) geschwind kommen, 's wär' was passiert.«

»Hat jemand das Bein gebrochen?«

»Nä, nä; mit dem Herrn Baron Uglar wär' was passiert.«

»Was?« rief Wolfine aufgeregt fragend.

»Ja, so genau weiß ich das selber nicht.«

»Na, denn man los,« kommandierte der Graf.

Mayer machte lange Schritte, aber Maria lief leichtfüßig ihm weit voran.

Wolfine blieb mit ihrem Vetter zurück, und jetzt berichtete sie ihm mit verzagendem Herzen, was sie heute erst von Maria erfahren hatte.

Diese Kunde betrübte und erboste den Grafen nicht wenig, und dennoch nahm er es ruhiger, als Wolfine erwartet hatte.

Er hielt die Herzensaffairen eines neunzehnjährigen Mädchens nicht für etwas Endgültiges.

»Neue Umgebung, neue Eindrücke werden sie kurieren,« sagte er zuversichtlich. »Das arme Kind thut mir furchtbar leid, aber haben wir nicht alle 'mal so was durchmachen und überwinden müssen?«

»Was mag nur mit Uglar passiert sein?«

»Er hat sich vermutlich eine Kugel vor den Kopf geschossen,« meinte Wolf ruhig. »Es ist zu verstehen in seiner Lage.«

Wolfine dachte und fühlte immerfort nur das eine: »Maria!«

Vor dem Hofthor kam Günther ihnen entgegen und berichtete leise, mit verstörtem, grauem Gesicht, was sich inzwischen zugetragen hatte.

Er habe in seinem Zimmer, über den Rechnungsbüchern sitzend, etwas wie einen Schuß gehört. Schlimmster Befürchtungen voll sei er die Treppe hinaufgeeilt.

»Auf der Treppe stürzt Susi an mir vorüber und aus dem Haus. Ich suche Uglar – finde ihn am Boden in seinem Zimmer liegen, voll Blut, aber bei Besinnung. Er zeigt mit der Hand selbst nach der Wunde. Wir haben ihn so vorsichtig, wie wir konnten, auf sein Bett getragen, und Tante Guendelchen hat ihm einen Notverband angelegt. Ich dachte mir, daß ihr bald zurück sein müßtet. Welches Glück im Unglück, daß wir grad' eine solche Kapazität wie Doktor Mayer hier haben!«

»Glauben Sie, daß er selbst ...?« fragte Wolfine. Günther Tschirn senkte die Stimme zum Flüstern: »Nein. Susi war es. Uglar hätte das anders gemacht und einen andern Ort ausgesucht. Ueberhaupt traue ich es ihm kaum zu. Nein, es scheint zwischen den beiden wieder einmal einen heftigen Streit gegeben zu haben, und sie ist desperat geworden. In solchen Zuständen weiß sie nicht mehr, was sie thut.«

»Wo ist sie?« fragte Wolf.

»Fortgerannt, – wie gejagt, – auf der Straße nach Kauzheim, sagen die Leute. Lassen wir sie.«

Stumm und ernst gingen sie in das Haus.


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