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Erstes Kapitel.

Auf dem kleinen Bahnhof des fränkischen Fleckens Kauzheim ging Frau von Tschirn, den Zug erwartend, auf und nieder.

Der Kauzheimer Bahnhof war nicht, wie Bahnhöfe gewöhnlich sind: rauch- und kohlengeschwärzt, voll rangierender Güterwagen und berußter Backsteingebäude mit staubigen, zersprungenen Fensterscheiben. Kein Pfeifen und Dampfzischen und Aneinanderprallen von Puffern und Geklirr eiserner Schlußringe.

Sondern alles war hell und grün und still.

Der Bahnhof hätte ein Vergnügungsort für erfrischungsbedürftige Ausflügler sein können.

Dicht hinter ihm stiegen Waldberge auf.

Vor dem Bahnhof glitzerte das einzige Schienengeleise und beschrieb dieselbe schöne Kurve, die das klare Flüßchen ihm vormachte. Jenseits des Flusses und des wie ein kleiner Wasserfall rauschenden, schäumenden Wehrs lag das Wiesenthal. Die Menge seiner Frühsommerblumen umgab das Grün mit buntem Geflimmer.

Weiterhin Dörfer mit roten Dächern in Kornfeldumfassung, und hie und da eine alte Steinbrücke über den die Matten durchschlängelnden Fluß. Im Hintergrund bewaldete Höhen, Edelsitze, Burgruinen.

Frau von Tschirn war schwarz gekleidet, schwarz verschleiert, klein und zierlich. Sie hatte kleine, feine Stiefelchen und pralle schwarze Lederhandschuhchen über schmalen Händchen. Alles in allem glich sie viel mehr einer großstädtischen Modedame als einer Landedelfrau, so daß ihre Erscheinung in dieser idyllischen Umgebung beinahe wie ein Druckfehler wirkte.

Wenn sie stillstand, sah sie distinguiert aus in dem tadellos sitzenden, feinen schwarzen Promenadenanzug; ging sie aber, so war der Eindruck ein andrer.

Ihr Gang hatte zu viel Bewegung. Ein Tänzeln und Wiegen und Wippen, etwas stark Nachlässiges, Herausforderndes war dabei, das einer Tänzerin angemessener gewesen wäre, als der Gutsherrin von Mervisrode.

Nahe dem kleinen Bahnhofsgebäude hielt der Mervisroder Wagen. Der Kutscher saß in seiner einfachen Hauslivree auf dem Bock und hörte ehrerbietig auf eine Auseinandersetzung des Freiherrn von Uglar, der, an sein Fahrrad gelehnt, neben dem Wagen stand. Jedesmal, wenn Frau von Tschirn bei ihrem Hin- und Herwandern dies Ende des Bahnsteigs erreichte, schaute sie nach dem Freiherrn aus.

Ob er noch dastand?

Er stand immer noch da, und sie nickten und lachten einander zu.

Sah er einmal nicht gleich nach ihr hin, so rief sie neckisch: »Karooooo!«

Dann wandte er ihr rasch das Gesicht zu und lachte mit den Augen.

Jetzt trat der Stationsvorsteher mit der roten Mütze aus dem Stationsbureau, das gleichzeitig Telegraphenamt, Fahrkartenverkauf, Gepäckausgabe und alles, was sonst zum Stationsdienst gehörte, umschloß.

Der Telegraph hatte mit sanftem, klingendem Getön gemeldet, daß der Zug die Station vor Kauzheim durchfahren habe.

Und nun kam in weiter Bogenlinie ganz rasch und leise der Zug angeglitten, schnob beim Nahekommen etwas, pfiff und hielt.

»Kauzheim!« rief der Schaffner, »eine Minute!«

Eine einzige Wagenthür wurde geöffnet. Wolfine von Veßra stieg aus.

Frau von Tschirn ging rasch auf die vornehm aussehende Fremde zu. Sie war ganz sicher, die Erwartete vor sich zu haben, und begrüßte sie mit verbindlichen Worten, durch die jedoch ein großes Selbstgefühl schimmerte.

Die sanfte, gleichgültige Stimme Wolfines sagte in fragendem Ton: »Frau von Tschirn?«

»Ja, ich bin Frau von Tschirn. Denken Sie bloß, wenn Maria Hohenecke mit mir ist, werden wir gewöhnlich verwechselt. Sie wird für die Frau Baronin und ich für das junge Mädchen gehalten, weil sie so sehr viel größer und breiter ist als ich. Ich bin eben nur so ein dummes kleines Nichtschen. Nun aber sollen Sie sehen, wie reizend sich's bei uns leben läßt, liebe Baroneß! Und wir lassen Sie überhaupt niemals wieder fort.«

So plauderte die kleine elegante Frau. Als sie an den Wagen traten, war der Freiherr verschwunden. Wolfine trug das Gesicht dicht verschleiert gegen den Reisestaub. Sie war müde und abgespannt, lehnte sich im Wägelchen zurück, soweit es die niedrige Lehne des luftigen Sitzes erlaubte, und ließ die Augen über die liebliche Landschaft gleiten.

Dabei umtönte sie das lebhafte, heitere Geplauder der kleinen Frau wie das anmutige Geplätscher eines seichten Bächleins.

Am Hauptportal des alten, aber unschönen Mervisroder Herrenhauses empfing sie der Hausherr.

Er stand auf der Schwelle, lächelte ein wenig befangen und verbeugte sich.

»Herr von Tschirn?« fragte Wolfine leise.

»Jawohl. Gestatten Sie, daß ich ihn vorstelle. Mein Mann.«

»Dies also ist der Bruder,« sagte sie zu sich selbst, denn Günther von Tschirn interessierte sie zunächst als der Bruder der verstorbenen Annemarie, Wolf Hoheneckes Frau.

Etwas in dem Wesen dieses ernst und fein aussehenden Mannes berührte sie peinlich. Es war nichts Freies, Sicheres in seiner Haltung, nichts Zwangloses in seiner Verbindlichkeit.

Sie dachte: »Es ist, wie wenn er fühlte, daß er mich nicht als freier Herr, sondern halb als Hotelwirt begrüßt, weil er sich seine Gastlichkeit mit Geld bezahlen lassen muß. Das bedrückt ihn anscheinend. Seine edelmännischen Ueberlieferungen kommen noch in Kollision mit der neuzeitlich praktisch nüchternen Lebensauffassung.«

Eine halbe Stunde später geleitete Frau von Tschirn Wolfine in das zu ebener Erde gelegene, vornehm getäfelte Eßzimmer, wo um diese Stunde die Hausgenossen zum Nachmittagskaffee zusammenkamen.

Wolfine hatte nach einem Brief, den Wolf Hohenecke ihr zu lesen gegeben, annehmen müssen, das Haus voll von Pensionsgästen zu finden.

Zu ihrem Erstaunen fand sie nur einen solchen: ein reich gekleidetes altes Fräulein, das ihr als Stiftsdame Gräfin Truen vorgestellt wurde.

Dann waren da: ein junger Mann, den Frau von Tschirn: »mein Bruder, Baron Uglar«, nannte, die alte Großtante Guendoline und Maria.

Diese Maria, um derentwillen Wolfine hatte hierher kommen müssen, die »sein« Kind war und die den größeren Teil seiner Liebe besaß! –

Sie hatte Maria nur wenigmal und immer nur flüchtig gesehen. Aber jedesmal hatte ein dunkles, schweres Gefühl, das sie nicht zu ergründen wagte, sich wie eine Mauer zwischen ihr und dem jungen Mädchen aufgetürmt.

Wolfine gab ihrer Nichte die Hand zum Gruß und sah sie an: ein großes, gesundes Mädchen mit dem ganzen Liebreiz achtzehnjähriger Jugend; seltsam ernste, geheimnisvolle Augen und volle rote Lippen, die Augen einer Schwärmerin und ein sinnlicher Mund.

Hätte Wolfine dies Gesicht bei einer andern gesehen, so würde sie sich stark angezogen gefühlt haben. Gegen Maria hüllte sie sich, wie immer, in eine schützende Gleichgültigkeit.

Günther von Tschirn führte am Kaffeetisch den Vorsitz. Er teilte verbindlichste Redensarten aus, denen jedoch das Phrasenhafte zu deutlich abzufühlen war, und lächelte und scherzte in einer Weise, die zu den tiefen Sorgenfalten auf seiner Stirn gar nicht zu stimmen schien.

Sein kurz geschorenes Haar war bereits ergraut, seine Hautfarbe von der Sonne tief gebräunt, bis zu der Linie in der Mitte der Stirn, bis zu der der Hut geschützt hatte. Er hielt den Kopf gebückt und hob ihn auch nicht, sondern nur den Blick, wenn er zu jemand sprach oder jemand zuhörte.

Aufmerksamer als ihn beobachtete Wolfine seine Frau, die neben ihm saß. Seltsamerweise sah sie jüdisch aus. Ein feingliedriges, schmalschultriges, schmalhüftiges Figürchen war sie, mit flacher Brust und Wespentaille. Das Köpfchen klein, voll von kreppartigem Schwarzhaar, tief in die von Natur ziemlich hohe Stirn frisiert. Unter schön gezeichneten, feinen dunklen Brauen funkelten schmal geschnittene schwarze Augen, eher klein als groß; darunter ein leicht gebogenes, längliches Näschen und über dem kurzen, schwach entwickelten Kinn ein aufwärts gekrümmter, nicht eben kleiner Mund mit schmalen, ein wenig eingekniffenen Lippen. Nicht eigentlich schön, besaß Susi von Tschirn doch eine Fülle weiblicher Reize: die allerzierlichsten Oehrchen, ein zart rundes Hälschen, einen elfenbeinweißen Teint und schmale, sehr gepflegte Händchen, voll Ringen und Armbändern. Das Genie des Putzes, das einzige, das Nietzsche den Frauen zuerkennt, besaß sie offenbar.

Aber ihr Organ war scharf, und sie sprach laut, etwas gedehnt, mit einem gewissen Berliner Tonfall, der sich anhört, wie ein blasiertes, etwas hochfahrendes Sichbeschweren, auch wenn der Sprechende an dergleichen gar nicht denkt.

Im ganzen war der Eindruck auf Wolfine kein günstiger.

»Es ist nichts,« sagte sie zu sich selbst und glaubte sich bereits mit ihrer Mission am Ende.

Dagegen gefiel ihr der Bruder.

Auf der großen schönen Gestalt dieser feine zarte, blonde Rassekopf mit vornehmen Zügen und blauen Augen, die nacheinander so kalt und herrisch und so kindlich treuherzig und sonnig blicken konnten.

Er hatte gewiß ein feines Gefühl, dabei aber Trotz und Stolz und einen schwach entwickelten Intellekt.

Für diese germanische Art, die bei aller Schwerfälligkeit so tief und zart und edel ist, die aber im Alltagsleben gegen intelligentere, gröbere, flachere und beweglichere Geister so oft den kürzeren zieht, – die sich mit Worten einfach nicht zu helfen weiß, für diese Art hatte Wolfine von Veßra eine Schwäche.


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