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Ralph hatte sich vorgenommen, Helen zu suchen, nicht um sich ihr gegen ihren Willen aufzudrängen, sondern um ohne ihr Wissen bei der Hand zu sein, wenn sie Hilfe nötig hätte, weil sie jetzt allein war. Sie hatte ihm geschrieben: Ob wir uns wiedersehen liegt in der Hand des unbekannten Gottes. Das war ja ganz schön, die Hauptbedingung aber, daß sie sich trafen, war doch, allen Rätseln zum Trotz, daß ihre Wege sich kreuzten.

Das erste was Ralph tat, als er nach Agra kam, war, sich in allen vier Hotels der Stadt zu erkundigen, ob dort eine junge Dame ihres Namens gewohnt habe, oder noch wohne.

An drei Stellen sagte man gleich nein, und das Fremdenbuch enthielt keinen Namen, der als Helens gedeutet werden konnte. Im vierten Hotel aber bedachte der Portier sich einen Augenblick und fragte dann, ob es eine Witwe mit zwei kleinen Mädchen und einem Diener sei. Ralph schüttelte den Kopf und bat um das Fremdenbuch. Daß man sie für eine Witwe hielt, mochte ein naheliegendes Mißverständnis sein, da sie allein reiste. Daß sie sich einen Diener verschafft hatte, war nicht unmöglich, aber die kleinen Mädchen! – Das Buch enthielt keine Erklärung. Der Name, den der Portier als den der Witwe bezeichnete, war ganz unleserlich, offenbar von dem Diener im Namen seiner Herrin geschrieben.

Nachmittags fuhren Ralph und Davis nach Taj Mahal, um das Grabmal in Abendbeleuchtung zu sehen, ebenso wie Helen es getan hatte.

Ralph war die ganze Zeit mißmutig und schweigsam, war den Schönheiten des Grabmals nur widerstrebend zugänglich und schlug auf dem Heimweg Davis vor, der damit ganz einverstanden war, daß sie am nächsten Morgen abreisen wollten. Professor Davis, der alles schon von früher kannte, strebte vor allem Kalkutta zu, dem wichtigsten Ziel seiner Reise.

Als Ralph alle Hotels in Agra aufsuchte, hatte Davis über seinen Landsmann gelächelt, der, wie er sagte, sich persönlich davon überzeugen wollte, ob Cook ihnen auch das beste Hotel der Stadt angewiesen hätte. Als sich aber genau dasselbe in Delhi wiederholte, gab Davis seiner angeborenen Neugierde nach, fuhr zu den Hotels und forschte die Portiers aus.

Als er hörte, daß Ralph nach einer Dame gefragt hatte, beruhigte er sich. Sieh, sieh, dachte er, also verliebt! Darum seine kühle Ruhe gegen schöne und leicht zugängliche Frauen, die sie auf ihrer Reife getroffen hatten. Davis hatte sich oft darüber gewundert – ein Millionär und Junggeselle in seinen besten Jahren!

In Delhi ging es wie in Agra: Als seine Nachforschungen ein negatives Resultat ergaben, verlor Ralph alles Interesse an der Stadt. Als sie von einer Ausfahrt zu der berühmten Festung zurückkehrten, schlug er Davis vor, schon am nächsten Tag nach Benares weiterzureisen, und Davis hatte nichts dagegen.

Auch in Benares hatte Ralph kein Glück. Er erfuhr von der Witwe mit den kleinen Mädchen und dem Diener, von Helen aber keine Spur. Indessen fesselte ihn das Leben in der heiligen Stadt so sehr, daß er den Affentempel, den Weisheitsbrunnen besichtigte und zusammen mit Davis die Fahrt auf dem Fluß längs der Verbrennungs- und Badegahts machte.

Sein Auge streifte den weißen Palast mit den Teppichen auf den Balkons und den offenen Fensterbögen, sein Sinn aber war nicht empfindsam genug, um die Ausstrahlung von Helens Wesen an diesem Ort, wo ihr Gemüt einen neuen Keim getrieben hatte, nachzufühlen.

Als die Fahrt zu Ende war, und sie vom Kahn die niedrigen Stufen zu dem wartenden Wagen hinaufgestiegen waren, sah Ralph plötzlich zwischen der Schar staubiger Pilger die merkwürdige, trichterförmige Kopfbedeckung des heiligen Bettlers, den sie vor Gamâls Zimmer getroffen hatten.

»Sehen Sie dort!« Ralph zeigte auf die Stelle, wo er eben noch den Mann gesehen hatte, aber weder er noch Davis konnten ihn mehr sehen. Bevor sie den Platz erreichten, wo die Gruppe saß, hatte er sich zu einem der anderen Gahts begeben.

»Er ist ja nicht der einzige von der Sorte!« sagte Davis.

Nachdem sie zu Mittag gegessen hatten, setzten sie sich auf das Dach des Hotels und genossen ihre Abendzigarre und den Whisky in der funkelnden Nacht.

Da weckte ein leises Rascheln des Laubes unten im Garten Ralphs Aufmerksamkeit. Er beugte sich vor und blickte hinunter. Unter den Büschen am Rande eines Weges, der zu den Hotelfenstern führte, bewegte sich etwas Weißes; es war, als ob ein ungeheurer Pilz längs des Weges vorwärtskröche. Bei einer Biegung wurde der Pilz plötzlich ganz sichtbar und Ralph meinte, daß er die Kopfbedeckung des Sannyasis erkennen könne. Er berührte Davis' Arm; der aufmerksame Amerikaner aber saß bereits lautlos da, wie ein Raubtier auf dem Sprung und machte ihm mit den Brauen ein Zeichen sich nicht zu rühren. Sie wurden von der Balustrade der Terrasse verdeckt und ihre weißen Anzüge waren nicht von der weißen Mauer zu unterscheiden.

Sie sahen, wie die Gestalt zur Hotelmauer kroch, sich langsam daran entlangschlich und die niedrigen Fenster erreichte. Darauf richtete sie sich auf und guckte der Reihe nach in die Fenster hinein. Schließlich verschwand sie um die Ecke.

Davis starrte unbeweglich in die Richtung, wo die Gestalt verschwunden war, als ob er sie an die Stelle festnageln wollte. Dann begannen seine breiten Kiefer zu kauen, wie ob seine Art war, wenn er tief über etwas nachdachte.

»Ich glaube, daß wir hier nicht ganz sicher sind,« sagte er schließlich und erhob sich.

»Haben Sie Angst?« neckte Ralph.

Davis ging zur Treppe, ohne zu antworten.

Als sie sich in ihren Zimmern befanden, sagte Davis, der die Schlösser seiner Koffer prüfte, als ob Ralph jetzt erst gefragt hätte:

»Angst? Haben Sie mein Abenteuer mit den Brahmanen in Madura vergessen?«

»Meine Handtasche wurde mir gestohlen, bevor Sie Ihr Abenteuer hatten – und Kotagiri liegt mindestens hundert englische Meilen von Madura entfernt. Eine Verbindung zwischen diesen beiden Begebenheiten kann wohl nicht gut bestehen? Außerdem wurde der Diebstahl ja aufgeklärt. Sie vergessen die Korava-Bande.«

»Was wollten die elenden Räuber, die weder lesen noch schreiben konnten, mit Ihren Papieren?«

Ralph lachte.

»Viel Freude werden sie freilich nicht daran haben, selbst wenn sie sie den Brahmanen überlassen. Geheimnisse finden sie nicht darin.«

»Was wollte der Sannyasi in Gamâls Schlafzimmer?«

Jetzt begann Ralph zu verstehen.

»Ah, Sie meinen, daß diejenigen, die meine Papiere durchschnüffelten, auch Gamâl in die Karten sehen wollten, als sie erfuhren, daß ich ihn kannte. Oder – ?«

Alles, was er in Aegypten von der Mahdi-Bewegung gehört, was Gamâl und Abdul-Hassan von der Auflösung derselben und ihrer Flucht erzählt hatten, tauchte in seiner Erinnerung auf. War Gamâl solch gefährliche Bekanntschaft, daß man verdächtigt wurde, wenn man mit ihm verkehrte?

»Jetzt verstehe ich,« sagte er und lächelte. »Sie riskieren Ihre Handtasche, vielleicht auch Ihr Leben, wenn Sie mit jemand reisen, der Gamâl kennt.«

Davis biß sich in die Lippen.

»Finden Sie eigentlich, daß mein Erlebnis in Madura auf Feigheit schließen läßt? – Wie Sie darüber denken, weiß ich nicht. In meine Reisepläne aber paßt es nicht, wenn ich in einen Hinterhalt gerate und spurlos von der Welt verschwinde. In Indien ist alles möglich, sage ich Ihnen, und –«

Er hielt inne und überlegte einen Augenblick, bevor er fortfuhr.

»Es ist jetzt das dritte Mal, daß wir den Sannyasi in einer verdächtigen Situation antreffen. Der arme Asket hat offenbar Pech, denn es ist doch ein höchst fataler Zufall, daß wir ihn auf dem Korridor vor Gamâls Zimmer trafen und nun hier in der stillen Nacht wachen. Ich meine aber, daß wir es als eine wiederholte Warnung betrachten und der Vorsehung dankbar sein sollten. Ich weiß nicht, was Sie beabsichtigen, ich aber reise morgen nach Kalkutta und werde mich dort inkognito aufhalten. Die Stadt ist groß genug, daß man sich dort auch als Weißer verbergen kann. Ich will mich in meiner Reise nicht von farbigen Banditen stören lassen, die von irgendeiner unbekannten Macht auf uns gehetzt werden.«

Mit leiser Stimme fügte er hinzu, indem er jedes Wort wog:

»Die Zeiten sind heutzutage so, daß jeder Fremde verdächtigt wird, und zwar von mehreren Seiten; wer einen Schritt von dem gebahnten Weg des Touristen abmacht, setzt sich einer heimlichen Verfolgung aus, dessen Ende er nicht übersehen kann.«

Ralph überlegte eine Weile, indem er seinen hellen Blick auf Davis heftete. Dann klatschte er in die Hände und sagte:

»Inkognito in Kalkutta, ja, das ist gut. Dann bekommen wir mehr zu sehen als die Hotels. Hier meine Hand – ich reise mit.«

Im geheimen aber dachte er an Helen. Inkognito! Wenn sie ihn mit Vorsatz mied, würde er sie auf diese Weise leichter finden können.

* * *


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