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Als Ralph und Davis nach Bombay kamen, wurden sie wie verabredet auf dem Bahnhof von Abdul-Hassan und Abbas empfangen.

Der Scheik mit dem schmalen Gesicht und der lotrechten Stirnfalte stand auf den Zehen und blickte starr in die Coupéfenster, als der Zug unter dem ungeheuren Dach einfuhr, das das Geräusch der zischenden Lokomotive vielfältig zurückgab. Seine hochgezogenen Brauen zitterten im Takt mit den Stempelschlägen, die die mächtige Bahnsteighalle erzittern machten. Er meinte sich immer in Lebensgefahr, wenn er diesen Laut aus Jinns und Shaitans Welt hörte.

Als Abbas seines Herrn ansichtig wurde, schwenkte er seinen neuen hervorragenden Schmuck, einen weißen Tropenhut, der ihn dem Paradies Europa um einen Schritt nähergebracht hatte.

Abdul-Hassan blickte Ralph mit seinen weißen Zähnen strahlend an, glücklich, daß er für diesmal mit dem Leben davongekommen wäre. Abbas entfaltete seine ganze Ueberlegenheit beim Expedieren des Handgepäcks seines Herrn, dessen Anzahl und Aussehen genau in seiner Erinnerung eingeprägt stand. Er erlaubte keinem von den Kulis, ja, nicht einmal Cooks Mann, dessen Uniformmütze ihn schon lange geärgert hatte, etwas anzurühren, bevor er alles in zwei Haufen auf dem Bahnsteig geordnet hatte. Einen sorgfältig geordneten Haufen für Herrn Ralph, einen nachlässig zusammengestellten für Herrn Davis. Er sah gleich, daß die braune Handtasche fehlte und schlug die Hände zusammen vor Erbitterung, als er hörte, daß das silberbeschlagene Wunder, dessen glatte, braune Haut seine eifrigen Finger so oft gestreichelt hatten, gestohlen war.

Schließlich war alles auf den Wagen des Hotels geladen. Abbas sprang auf den Kutscherbock, nickte Cooks Vertreter, der mit den Gepäckscheinen in der Hand dastand und die Herrschaft ehrerbietig grüßte, herablassend zu, und darauf fuhr der Wagen über den dunklen Kies davon.

Unterwegs erzählte der Scheik, wie es ihm und Abbas in der fremden, wundersamen Stadt ergangen sei. Sie hatten ein gutes und billiges Logis im Arbeiterviertel, hinter dem großen Pferdebasar Bhendi gefunden, wo er, Abdul-Hassan, einige alte Schüler getroffen habe.

Sie bogen zu dem Palmenhof des Hotels Taj Mahal ein, wo hunderte von Fenstern ihnen aus den vornehmen, roten Flügeln entgegenstarrten. Der Portier führte sie persönlich zu ihren Zimmern. Nachdem sie sich durch ein Bad von dem Staub der indischen Hochebene gereinigt, der durch Fenster und Kleider dringt, und sich von Kopf bis Fuß umgekleidet hatten, traten Ralph und Davis wie neugeboren in den mächtigen Speisesaal, wo Herren und Damen aus allen Gegenden der Welt beim Frühstück saßen.

Das Orchester spielte, die Windfächer schnurrten unter der Decke, weißgekleidete Hindudiener bewegten sich lautlos zwischen befrackten Oberkellnern; es war Neuyork und London in festlich exotischer Ausgabe.

Als es dem Inspektor schließlich gelungen war, ihnen einen Tisch zu verschaffen, rieb Davis sich die Hände, zeigte seine goldschimmernden Zähne und sagte:

»Das ist etwas anderes, als das schwarze Loch in Madura.«

Er bestellte Champagner und setzte sich ein ausgesuchtes Frühstück aus der Tageskarte zusammen.

In der Halle, wo das Meer sich hinter den hohen, offenen Mauerbögen blendend blau vor ihrem Blick breitete, stieß Davis' immer spähender Blick auf einen Herrn, der in einer Ecke des Saales saß, die Beine unter sich hochgezogen.

»Sehen Sie den dort!«

Ralph drehte sich um und erkannte Gamâl-ed-din.«

Er ging ohne Umstände auf ihn zu.

»Guten Tag, Herr Gamâl, also hier trifft man sich wieder!«

Der Scheik heftete seine blaßbraunen Augen auf Ralph. Ueber das gelbliche Gesicht mit dem grauen Vollbart und den vielen Leberflecken glitt ein Schatten; er zog die Füße herunter und richtete sich halb auf.

»Ich freue mich sehr, Herr Cunning,« sagte er und drückte ihm herzlich die Hand.

»Wir erinnern uns also noch unserer Namen,« sagte Ralph mit einem Lächeln.

»Ja, ja,« sagte der Scheik ernst, »wie könnte ich den Ihren vergessen.«

Sein Blick streifte Davis, der einige Schritte von ihnen entfernt stehengeblieben war.

Ralph wandte sich ihm zu und stellte ihn vor.

»Wir haben uns zuerst auf dem Dampfer von Konstantinopel und später in Damaskus getroffen. Herr Gamâl ist ein gelehrter Mann, ein Professor-Scheik, also ein Kollege von Ihnen.«

Gamâl erkundigte sich höflich nach Davis' Fach, wandte sich dann wieder Ralph zu und fragte:

»Und Ihr liebenswürdiger Reisekamerad, die junge Dame aus dem fernen Land, werde ich das Vergnügen haben auch sie wiederzusehen?«

»Nein, wir trennten uns in Colombo und reisten in verschiedene Richtungen.«

Dasselbe hatte er vor drei Wochen Abdul-Hassan gesagt. Seltsam, daß er abermals auf eine lebendige Erinnerung an die glücklichsten Tage seines Lebens stoßen sollte.

Der Scheik blickte mit halbgeschlossenen Lidern vor sich hin. Es war unklar, ob er über Ralphs Worte grübelte oder nur von der Wärme betäubt war.

»Wissen Sie, daß Ihr Schützling, Abdul-Hassan aus El-Azhar, hier in der Stadt ist?«

Der Scheik nickte.

»Leider halten sich augenblicklich viele hier auf, die denselben Grund haben wie ich.«

»Politik?«

Die Augen des Scheiks streiften ihn unter den halbgeschlossenen Lidern. Darauf sagte er mit seiner nachsichtigen Stimme, deren Ralph sich noch so gut erinnerte:

»Ja – insofern als wir vor einer mahdistischen Bewegung geflohen sind, die sich gegen alle die gewandt hat, die nicht stark genug im Glauben sind, um die Sache Islams mit dem Schwert zu fördern. Ich bin ja sogar ein Abtrünniger, wie Sie wissen – ein Christ. Ich bin stets ein Flüchtling.«

Davis' Augen funkelten hinter der Goldbrille.

»Wer will denn Krieg?« fragte er und senkte seinen Blick in die glasbraunen Augen.

Der Scheik zog seinen Kopf zurück bei der brutalen Rücksichtslosigkeit dieser Frage und sagte nach kurzem Zögern:

»Haben Sie niemals von der mahdistischen Bewegung gehört, Professor Davis?«

»Allerdings. Ist augenblicklich etwas im Gange?«

»Das Feuer glimmt stets unter der Asche, und wenn es Nahrung findet, flammt es auf.«

»Und wer gibt ihm augenblicklich Nahrung?«

Der Scheik zuckte die Achseln und wandte sich von ihm ab.

Ralph lachte.

»Verzeihen Sie ihm, Scheik, Davis gehört zu den modernen Forschern, die vor keiner Zurückhaltung Respekt haben. Wir kennen diesen Typ zur Genüge in den Staaten. Sie sind schlimmer als Detektive.«

Bei dem Wort Detektiv fiel Ralph sein Vorhaben in Bombay ein.

»Das ist richtig,« begann er und nahm an Gamâls Tisch Platz, mit dem Rücken zu Davis, »erinnern Sie sich noch Schehannas, des Parsenmädchens, von deren Schicksal ich Ihnen erzählte?«

Der Scheik öffnete seine Augen ganz, sah ihn aufmerksam an und nickte.

»Sie sagten mir, daß ich nichts unternehmen sollte, bevor ich den Ort des Verbrechens erreicht hätte. Jetzt bin ich da, was raten Sie mir zu tun?«

Der Scheik blickte mit zusammengekniffenen Augen vor sich hin. Er strich sich über den struppigen, grauen Bart und sagte:

»Wo ist sie jetzt?«

»Ich weiß es nicht. Sie reiste mit Fräulein Helen.«

»Und was wollen Sie erreichen?«

»Die Bestrafung des Verbrechers.«

»War sie nicht in Navsari zu Hause?«

Ralph staunte über sein Gedächtnis.

»Ja, und ich nehme an, daß sie jetzt dort ist.«

»Dann würde ich an Ihrer Stelle dort hinfahren und sie aufsuchen. Mich dünkt, Ihre Bemühungen werden nutzlos sein, wenn Sie nicht ihr und der Ihrigen Einverständnis haben.«

Das war einleuchtend; er wollte bereits den nächsten Morgen hinfahren.

»Ein praktisches Resultat aber werden Sie kaum erreichen.«

Ralph blickte ihn verblüfft an.

»War es nicht ein afghanischer Pferdehändler?«

»Ja.«

»Ich kenne die Afghanen, sie sind Asiens listigster Stamm, und ein Pferdehändler ist der schlaueste Hund von allen. Der läßt sich nicht fangen.«

Der Scheik lächelte still vor sich hin, als ob Erinnerungen an seinem Auge vorbeiglitten.

»Das ist auch gleichgültig,« sagte Ralph ruhig, »ich habe nicht die Absicht, ihn verhaften zu lassen, ich will ihn nur ausfindig machen.«

Der Scheik sah ihn fragend an.

»Die Strafe werde ich selbst besorgen.«

»Selbstrache ist gegen das Gesetz!« fiel Davis ein; er war ein Mann der Ordnung, wenn es andere galt.

»Nicht gegen mein Gesetz,« sagte Ralph schlagfertig.

Der Scheik saß wieder unbeweglich und grübelte oder schlief.

»Jetzt ist gerade der große Pferdemonat, der Frühjahrsmarkt, wo frische Zufuhr aus Persien und Arabien kommt. Wenn der Afghane nicht bereits hier ist, wird er sicher in den nächsten Tagen eintreffen. In Bhendi-Bazar werden Sie sich nach ihm erkundigen können.«

»Bhendi-Bazar?«

»Ja, das ist das Viertel der Pferdehändler.«

»War es nicht dort, wo Abdul-Hassan Logis genommen hatte?«

Ralph wandte sich fragend zu Davis um, der das Kinn in die Hand gestützt hatte und seine scharfen Augen auf Gamâls unbewegliches Gesicht geheftet hielt.

Davis hörte ihn nicht.

»Wie genau Herr Gamâl über alles unterrichtet ist!« sagte er, als entschlüpfte es ihm wider Willen.

Gamâl heftete seinen Blick auf ihn und zog ihn wieder unter die gesenkten Lider zurück.

»Dessen bestrebe ich mich stets!« sagte er mit der sanften, nachsichtigen Stimme, die ihm eigen war. Es war, als ob er hinzufügte: Ich sehe wohl, daß Sie mich zu verletzen suchen, ich bin aber unverwundbar, und verzeihe Ihnen.

 

Ralph fuhr nach Navsari, ging auf gut Glück durch die lange Hauptstraße der kleinen Stadt, lächelte den Kindern mit den ernstfragenden Augen zu, und wurde durch den lautlos gleitenden Gang der jungen Frauen an Schehanna erinnert; es war, als ob sie von dem Glauben an das siegende Licht, der auf dem Grunde ihrer großen Augen schimmerte, durch die unreine Welt getragen würden. Er begegnete einem jungen Mann, der ihm der Tracht nach ein Mobed zu sein schien.

Der junge Mann schüttelte den Kopf, als Ralph nach Schehanna fragte. Vielleicht spreche ich den Namen falsch aus, dachte er, oder Schehanna ist nur ein Vorname, den hunderte von Frauen tragen – als ob ich in einer kleinen Stadt in den Staaten nach Jane oder Mary fragen würde.

Er deutete Schehannas Schicksal mit wenigen vorsichtigen Worten an; die Augen des jungen Mannes aber wurden nur größer und größer, während er mit vorgebeugtem Kopfe lauschte; es fiel ihm augenscheinlich schwer, die Sprache zu verstehen. Erst als Ralph Dasturan Dastur nannte, leuchtete sein Blick auf, sein Gesicht kam in Bewegung, und Ralph verstand, daß er ihm einen Ort in Bombay bezeichnete. Ralph ließ sich den Namen aufschreiben. »Parsee Panchayat«, stand da und ein Straßennamen.

Ralph kehrte mit dem ersten Zug zurück und noch am selben Abend suchte er die Adresse auf.

Das Haus war geschlossen, die Fenster geblendet wie ein dicht verschleiertes Gesicht. Von einem Sikh-Schutzmann, der ihm mit aufmerksamen Augen gefolgt war, als er an der Straßenecke vorbeifuhr, erfuhr er, wann das Panchayat geöffnet würde.

Am nächsten Morgen traf Ralph einen alten Mann, der in einem halbdunklen Vorzimmer an einem Pult saß. Als Ralph Schehannas Namen nannte, blitzte es seltsam in seinem öden Blick auf. Ralph deutete seine Handbewegung wie eine Aufforderung, sich zu setzen, es war aber kein Stuhl da. Der Alte verließ ihn und Ralph lauschte dem Straßengeräusch, das durch die Fenstersprossen drang. Es war unleidlich heiß im Raum, obgleich alles getan war, um das Licht auszuschließen. Ralph rührte sich nicht, und dennoch brach ihm der Schweiß in Tropfen aus und rollte ihm über die Schläfen in den Halskragen. Als eine Tür hinter seinem Rücken leise aufglitt, erwachte er aus seinem Halbschlummer. Er drehte sich um und sah die weiße Gestalt mit der hohen, schmalen Stirn, die er vor dem Adaran in Colombo gesehen hatte. Dort stand der Priester aller Priester, die Hand um den Bart, wie er in jener Nacht hochaufgerichtet unter den funkelnden Sternen gestanden hatte; jetzt aber sah Ralph auch seine Augen, die wundersam leuchtenden Augen unter den buschigen Brauen.

Ralph hatte noch nie solchen Blick gesehen; er war von solcher Hoheit und Aufrichtigkeit, daß er das Außenwerk von Miene, Haltung und Lächeln durchdrang, das Menschen über die offenen Stellen, durch die die Seele vorwärtsstürmen und wo sie getroffen werden kann, zu legen pflegen. Ralph fühlte, daß diese Augen bis in sein Innerstes sahen, und er errötete dabei, obgleich er sich nicht bewußt war, daß er etwas zu verbergen hatte. Sein Blick suchte die Hände des Priesters, um sie mit den Augen zu vergleichen; es waren schmale, fast durchsichtige Hände mit großen blauen Adern, in denen er das Blut seines starken Herzens strömen zu sehen meinte.

»Sie fragen nach Schehanna Modi,« sagte der Alte mit tiefer, ruhiger Stimme. Es war, als ob die Stimme sagte: Schehanna und Helen, Helen und Schehanna – ich weiß alles; wieviel aber verstehst du davon?

Ralph richtete sich höher auf und sagte:

»Sie kennen ihr Schicksal. Ich bin hergekommen, um den zu strafen, der ihr Unglück verschuldete.«

»Sie bedarf keiner Rache mehr.«

Eine Ahnung tauchte in Ralph auf und machte sein Herz stärker schlagen.

»Sie ist im Licht.«

Als Ralph seiner Bewegung Herr geworden war, bat er Dasturan Dastur, ihm mitzuteilen, was geschehen war.

Der Alte bedachte sich einen Augenblick, dann erzählte er von Schehannas Krankheit und Tod.

Ralph sah sie wieder vor sich, wie er sie in der Waschmühle des Sultans gesehen hatte, als sie ihr Klagelied zu ihm hinaufsang. Er hatte sie dem Leben zurückgekauft, sie hatte seines dafür gerettet. Dann war sie freiwillig seiner Hand entglitten, warum? Er sollte es nie erfahren.

Der Zorn flammte in ihm auf. Er ballte die Hände und seine Augen blitzten.

Dasturan Dasturs Blick, der ihn nicht losgelassen hatte, las seine Gedanken.

»Dunkelheit wird nicht durch Dunkelheit vertrieben,« sagte er, »sondern durch Licht.«

Ralph antwortete nicht. Das bleibt meine Sache, dachte er. Er wollte nicht mit dem alten Heiligen streiten.

»Wo ist Helen?« fragte er. Er sagte es ohne Ueberlegung, als sei es selbstverständlich, daß der Priester Bescheid wüßte.

Dasturan Dastur zögerte. Ralph war es, als ob der Blick des Priesters seine Seele faßte und sie vor sich ins Licht hielte.

»Sie ist auf dem Wege,« sagte er schließlich.

Ralph hatte das Gefühl, als ob er zu etwas erhoben würde, was weit über seinen Verstand ginge, doch wollte er sich diesem Eindruck nicht hingeben. Er spricht in Rätseln, dachte er, ich muß ihn dazu bringen, daß er sich vernünftig äußert.

»Auf dem Wege?« fragte er und versuchte zu lächeln. Sein Lächeln aber verlöschte vor dem Blick, der stärker war als seiner. Trotzdem brachte er seine Frage vor.

»Auf dem Wege – wohin?«

»Dorthin, wo kein Auge hinreicht.«

Ralph kämpfte, um seinen Kopf klar zu halten. Daß sie auf dem Wege zu ihrem Schicksal ist, dachte er, braucht mir kein Weiser zu sagen, das bin ich auch – und du – wir alle. Er wollte fragen: In welcher Stadt? aber er brachte es nicht über die Lippen.

»Ist sie allein?« fragte er statt dessen.

Der Alte schwieg, Ralph aber meinte, daß er den Kopf geschüttelt hatte.

»Wer ist bei ihr?«

»Das Licht in ihrem Herzen.«

Ralphs Augen hingen geblendet an dem Blick des Alten, der sein ganzes bewegliches Gesicht überstrahlte. Er sah nur diese Augen, vergaß Zeit und Ort, bis er den Druck seiner Hand fühlte und wieder zur Besinnung kam, wie man plötzlich erwacht und einen Traum flüchten sieht.

»Leb wohl, bis wir uns wiedersehen!«

Ralph beugte den Kopf. Obgleich er die Worte ganz deutlich gehört hatte, klangen sie in seinem Herzen, als ob Dasturan Dastur gesagt hätte: suche auch du den richtigen Weg.

»Hat er mich wirklich hypnotisiert?« fragte Ralph sich, als er nach Hause fuhr. Er heftete seinen Blick auf das, was ihm auf dem Wege begegnete, machte sich sorgfältig klar, was er sah und hörte, bis er begriff, daß er sich davon zu überzeugen versuchte, daß sein Verstand in Ordnung und er noch der richtige Ralph in der wirklichen Welt sei, keine eingebildete Person in einem Traumspiel. Er wollte nicht in eines anderen Gewalt sein, wollte los von dem Blick, der noch auf dem Grunde seiner Augen ruhte.

 

Ralph zog unter der Hand in Bhendi-Bazar Erkundigungen ein und erfuhr, daß der Afghane vor einigen Tagen mit seinem eigenen Schiff aus Karachi gekommen sei und seine Pferde ausgeschifft habe, die jeder, der kaufen wollte, im Basar besehen konnte.

Nach dem Mittagessen suchte er Gamâl auf, der sich die Zeit damit zu vertreiben schien, daß er mit hochgezogenen Beinen in der Halle saß und über das blaue Meer starrte, als ob er nirgends anders für seine Träume Platz finden könnte. Heute leistete Abdul Hassan ihm Gesellschaft. Auch er saß mit hochgezogenen Beinen da, es schien, als wetteiferten sie, wer am längsten schweigen könnte.

Ralph berichtete von seiner Reise nach Navsari und dem Besuch bei Dasturan Dastur.

Gamâl hörte aufmerksam zu und als Ralph schwieg, sagte er:

»Das Kismet holt uns alle ein.«

»Was ist Kismet?«

»Das Schicksal – nun haben Sie wohl Ihren Plan, Ihr Leben des Afghanen wegen aufs Spiel zu setzen, aufgegeben?«

»Nein,« sagte Ralph, »er hat Schehannas Leben zerstört und soll dafür büßen.«

Darauf erzählte er, was er erfahren habe, und bat Abdul-Hassan, bei einem fingierten Pferdehandel Dolmetscher zu sein. Der Scheik sah ihn entsetzt an und weigerte sich energisch. Ralph versprach ihm eine ansehnliche Belohnung und versicherte ihm, daß er nur die Rolle eines zufälligen Dritten dabei spielen sollte.

Professor Davis, dessen Abenteuerlust durch die Affäre in Madura nicht geschwächt worden war, war gleich zur Teilnahme bereit, stellte aber die Bedingung, daß Ralph nicht selbst richten, sondern den Afghanen der gerichtlichen Obrigkeit übergeben sollte.

Ralph war es recht. Nur in dem Fall, daß es dem Afghanen glücken würde, aus Mangel an Beweisen zu entkommen, behielt er sich seine Selbstrache vor.

»Bevor das indische Gericht mit dieser Sache fertig ist,« sagte Davis, »sind sowohl Sie wie ich über alle Berge.«

»Dann kehre ich zurück.«

»Wenn Sie so gerechtigkeitsdurstend sind, begreife ich nicht, warum Sie Ihre Klage gegen die Korava-Bande in Madura zurückgezogen haben.«

»Das ist eine Sache für sich,« antwortete Ralph kurz, und begann seinen Plan zu entwickeln, der in allen Einzelheiten verabredet wurde. Abdul-Hassan und Abbas bekamen auch ihre Rollen zuerteilt. Letzterer flehte, daß man ihn davon befreien solle; aber seine Anwesenheit war notwendig, weil er außer Ralph der einzige war, der den Afghanen damals gesehen und seine Identität bezeugen konnte. Davis sollte als Privatsekretär eines englischen Lords auftreten und im Namen seines Herrn Pferde kaufen.

Am nächsten Morgen, als Davis zu dem wartenden Auto kam, um mit Abdul-Hassan als Dolmetscher und Abbas als Diener zum Basar zu fahren, nahm der Chauffeur ihn beiseite und teilte ihm mit, daß weder der Scheik noch Abbas zu Hause gewesen seien, als er sie abholen wollte, wie man ihm aufgetragen hätte. Und der Wirt hatte keinen von ihnen gesehen, seit sie tags zuvor das Haus zusammen verlassen hatten.

Davis stellte ein Kreuzverhör mit dem Chauffeur an, fand aber nichts Verdächtiges an seinen Antworten. Er fragte den Portier, aber auch er hatte nichts von dem kleinen Scheik gesehen, seit er gestern nachmittag mit Herrn Cunnings Diener zusammen das Hotel verlassen hatte. In der Dienerabteilung wurde nachgefragt und der Portier telephonierte durch alle Stockwerke, aber im ganzen Hotel war kein Abbas zu finden.

Als der Tag zu Ende ging und auch der Vormittag des nächsten Tages, ohne daß der Scheik oder Abbas auftauchten, sah Ralph schließlich ein, daß er seinen Plan aufgeben müßte. Dies und jenes in Abbas' Benehmen fiel ihm jetzt wieder ein, das ihm auffällig gewesen war, ohne daß er demselben weitere Bedeutung beigelegt hatte. Er erinnerte sich Abbas' haßerfüllten Blicks, als er sich damals in der weißen Villa weinend vor Wut und Schmerz unter den Oleander geworfen hatte.

* * *


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