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Als Ralph und Davis zum Bahnhof zurückkehrten und in den Erfrischungsraum gingen, um ihren Nachmittagstee zu trinken, kam Abbas ihnen entgegen, mit einem breiten Lächeln auf seinem leichtbeweglichen Gesicht.

»Ich habe einen alten Bekannten getroffen,« sagte er, »der sehr froh wurde, als er mich sah. Er wartet nebenan, um Sie zu begrüßen, Herr Cunning.«

Im selben Augenblick öffnete sich die Tür und Abdul-Hassan kam Ralph mit ausgestreckten Armen entgegen. Die etwas glasartigen, braunen Augen leuchteten, und um die Denkerfalte auf seiner hohen Stirn zitterte es von liebenswürdigen Fältchen.

Das Wiedersehen mit dem Scheik rief alle Erinnerungen von Kairo in Ralph wach – die Tage, wo er erst dem Glück und dann dem Tode näher gewesen war als jemals. Sowohl Helen wie Schehanna lebten bei diesem Wiedersehen auf, und die Bitterkeit über das plötzliche Ende ihres Zusammenlebens griff ihm von neuem ans Herz. Man konnte es an seinen Augen und der Furche um seinen Mund sehen.

Abdul-Hassan zog seine Arme wie ein Paar Fühlhörner zurück.

Da beeilte Ralph sich, seine Hände mit einem herzlichen Willkommensgruß zu ergreifen. Er stellte ihm Davis vor und nötigte ihn zu bleiben.

Sie frischten Erinnerungen von dem Besuch in El-Azhar und dem Abenteuer in der Wüste auf. Abdul-Hassan war offenbar unterrichtet, denn er vermied es, Helen und Schehannas Namen zu nennen. Schließlich berichtete Ralph, daß sie sich getrennt hätten und jeder seines Weges gereist sei.

Offenbar waren der Scheik und Abbas während der halben Stunde, wo sie zusammen auf Ralph und Davis gewartet hatten, gute Freunde geworden. Abbas stand die ganze Zeit hinter seinem Stuhl, lächelte, wenn der Scheik lächelte und kopierte unbewußt seine Handbewegungen. Mitten in diesem schwarzen Lande, wo Abbas alles so unbekannt und unheimlich war, erschien ihm der Scheik, der ihm in Beyrut fern und fremd gewesen wäre, wie ein Genosse aus der Heimat.

Als Ralph den Scheik fragte, was ihn nach Indien geführt habe, verschwand das Lächeln in dem mageren Arabergesicht.

»Die Mahdi-Bewegung,« sagte er ernst. »Sie ist im Begriff, sich über Aegyptens Grenzen zu breiten.«

»Ich dachte, daß Sie gegen die Bewegung gesichert seien, weil Sie so viele Senussijen zwischen Ihren Schülern zählen.«

Abdul-Hassan sah mit einem hastigen Blick auf.

»Ich habe meine Tätigkeit aufgeben müssen. Meine Reise ist eine Flucht.«

»Und was machen Sie hier in Madura?«

Abdul-Hassan zögerte. Dann sagte er gedämpft:

»Ich warte und beuge vor.«

»Ist das Ende der Zeiten gekommen?« fragte Ralph mit einem heiteren Blinzeln. Aber er bereute seinen Scherz, als er sah, daß Abdul die Farbe wechselte.

»Mißverstehen Sie mich nicht!« beeilte er sich hinzuzufügen, »ich führte nur Ihre eigenen Worte von unserem Gespräch in der weißen Villa an – entsinnen Sie sich nicht?«

Abdul überlegte einen Augenblick.

»Ich kann Ihnen nichts anderes sagen,« bemerkte er darauf, »als daß es in Indien annähernd fünfundsechzig Millionen Mohammedaner gibt, und daß einige der angesehensten hier in der Gegend wohnen.«

Als Abdul-Hassan hörte, daß sie im Begriff standen, weiter nach Westen zu reisen, und daß sie durch den Brahmanen, an den Barnett sie empfohlen hatte, einen eingeborenen Diener bekommen sollten, erbot er sich, inzwischen Abbas zu übernehmen. Abbas konnte ihn nach Bombay begleiten, wohin er sich in nächster Zeit begeben wollte, um dort wieder mit Ralph und Davis zusammenzutreffen.

Abbas machte keine Mördergrube aus seinem Herzen, daß er der Reise nach Westen am liebsten aus dem Wege ging; er war kein Held, hatte nie gejagt und erblaßte, wenn von Tigern und Elefanten die Rede war. Er wand sich vor Ralph wie ein Kind, das Prügel fürchtet. Ralph ärgerte sich über seine Feigheit, sah aber ein, daß er ihnen nur beschwerlich werden würde, und willigte mit einem höhnischen Achselzucken ein; Abbas vergaß dieses Achselzucken nicht und legte es in seiner Erinnerung zu den Prügeln, die Ralph ihm einst in der weißen Villa vor Kairo gegeben hatte.

Abends meldete sich ein junger Mann, mit engliegenden Augen in einem außerordentlich schmalen Gesicht; er war vom Pandit Ramalingam geschickt worden.

Davis, der ihn zu Ralphs Erstaunen in seiner eigenen Sprache anredete, bemerkte, daß er für einen indischen Diener ein ungewöhnlich vertrauenerweckendes Aeußere habe. Er erzählte Ralph, daß die Tiyan-Kaste, der er angehörte, seit Jahrhunderten den Weißen an der Malabarküste gedient hatte, erst den Portugiesen, dann den Holländern und schließlich den Engländern, und daß es eine eurasische Bastardrasse gäbe. Davis meinte, daß Chundri – so hieß ihr neuer Diener – zu dieser gehörte, weil seine Haut so ungewöhnlich hell war.

Chundri sollte von Ramalingam Pandit grüßen und sagen, daß er es als den glücklichsten Tag seines Lebens betrachten würde, wenn die fremden Gelehrten sich morgen nachmittag um sechs Uhr vor dem östlichen Gopuram einfinden wollten. Dann würde er ihnen das Heiligtum der fischäugigen Minakshis zeigen. Ferner sollte er ihnen sagen, daß morgen früh ein Fest im Kali-Tempel bei dem großen Teppa-Kulam vor der Stadt stattfände, das sie nicht versäumen dürften. Chundri hätte den Auftrag, sie rechtzeitig an den richtigen Ort zu geleiten.

 

Voller Sonnenschein lag auf einem niedrigen, weißgekalkten Gebäude ohne Fenster, unter einem verfallenen Ziegeldach. Es war der Kalitempel.

Auf dem breiten Wege vor dem Tempel wimmelte es von Kindern. Greise und Frauen hockten unter jungen Feigenbäumen. Vom Eingang, den Ralph und Davis noch nicht sehen konnten, erklang ein ohrenbetäubender Lärm von krähenden Männerstimmen, Flöten und Trommeln.

Als ihr Wagen in einer Wolke von Staub an der Seite des Gebäudes vorfuhr, erstarrte alles Leben und die Hälse reckten sich nach den Fremden, wie ein Schwarm wilder Vögel, die plötzlich überrascht werden und sich noch nicht klar darüber sind, nach welcher Seite sie sich wenden sollen.

»Kali ist Siwas Frau,« sagte Davis, »die Göttin der Diebe, Räuber, Gaukler und Mörder. Sehen Sie sich nur die Physiognomien an, die verleugnen sich nicht.«

Es war wirklich eine ausgesuchte Sammlung von den niedrigsten Existenzen. Aus den erschrockenen Blicken leuchtete eine Mischung von neugieriger Angst, kriechender Unterwürfigkeit und verkrüppeltem Lebenswillen, typisch für diejenigen, die daran gewöhnt sind, von anderen gescheut zu werden, und die als einzige Waffe die Fähigkeit besitzen, bessere Leute mit der Unreinheit ihrer Nähe zu besudeln.

»Was sind das dort für Leute?« fragte Davis Chundri, der auf dem Kutscherbock saß.

»Die ganz Schwarzen dort hinten sind Jrulen aus den ›Blauen Bergen‹. Sie ernähren sich von Honigsammeln. Die Alten dort sind Leute aus Telugu, die herkommen, um zu betteln. Und die dort, die sich das Tuch übern Kopf geworfen haben, sind aus Kalla, Vieh- und Hühnerdiebe, die nur zur Stadt kommen, wenn für Kali ein Fest gefeiert wird. Der dort mit dem vollen, krausen Haar und den abstehenden Ohren ist wohlbekannt hier in Madura. Er ist der Häuptling der Kalla und kommt nur her, um die Diebesgelder einzukassieren, vier Annas, die arme Familien, die vor der Stadt wohnen, den Kallas im Jahr bezahlen müssen, damit sie ihnen ihre Hühner nicht stehlen.«

»Eine Risikoprämie, die die Polizei überflüssig macht,« sagte Davis. »Was würden Sie zu solchem Justizsystem in den Staaten sagen?«

»Ganz fremd ist es uns wohl nicht,« meinte Ralph trocken, »und ich glaube sogar, daß man die Rechtssicherheit auf diese Weise billiger hat.«

Ein altes abgezehrtes Weib mit weißen Haarsträhnen um die abstehenden Ohren, Augen, die in tiefen Höhlen glühten, und einem Mund wie ein verzerrter Spalt in dem durchfurchten Gesicht, kam auf den Wagen zugehinkt und streckte ihre nackten, hageren Arme zu den Fremden hinauf.

»Yeruku, Sahib, Yeruku!« krähte sie.

»Was bedeutet das?« fragte Davis.

»Wahrsagen, Herr, wahrsagen! – Es ist eine alte Korawa-Hexe,« Chundri verzog das Gesicht, als ob er sich an ihrem Anblick verbrannt habe.

Ihr auf den Fersen folgte eine Schar aufgeschossener Bengel, die nur ein schmales Lendentuch am Körper trugen. Sie umringten den Wagen, reckten die Arme und schrien mit der Alten um die Wette, die sich umdrehte und nach ihnen schlug.

»Das ist Korawa-Brut,« sagte Chundri verächtlich, »der schlimmste Räuberstamm in ganz Indien. Heute sind sie hier, morgen dort. Wenn sie einen Ohrring stehlen, reißen sie das Ohr mit ab.«

Ein Schlangenbändiger, der im Tempel gewesen war, trat jetzt vor die Tür. Als er den Wagen sah, stürzte er schreiend darauf zu und begann unter einem unaufhaltsamen Wortstrom den großen flachen Korb, den er an einem Band um den Hals trug, zu ordnen. Die Kinder schob er beiseite, hockte sich mitten im Staub nieder, stellte den Korb neben sich, wickelte sich ein schmutziges Tuch um den Arm, nahm eine Lehmflöte und begann eine unerträglich gellende Musik zu flöten. Kurz darauf hob eine Brillenschlange ihren flachen Kopf aus den Lumpen im Korb, bewegte die gespaltene Zunge mit rasender Schnelligkeit hin und her, als suche sie Linderung vor der teuflischen Musik und sprang dann mit einem Ruck in ihrer ganzen Länge aus dem Korb. Sie wand sich um das Tuch an seinem Arm, schlängelte sich um seinen bärtigen Hals und verschwand ganz plötzlich in dem Lendentuch eines Knaben, der gaffend gleich daneben stand. Der Junge machte einen Luftsprung vor Schreck, und alles lachte. Der Schlangenbändiger grinste boshaft mit seinen Zahnstummeln, sagte dem Burschen einige ermahnende Worte und befreite ihn schließlich, indem er die Schlange um den Hals faßte und in den Korb hineinzog.

Ralph warf ihm Geld zu, und der Bettler stürzte sich mit einem Strom von Danksagungen darauf.

»Yeruku, Sahib, Yeruku!« schrie die Hexe noch immer und machte Ralph Zeichen zu, daß er ihr seine Hand geben sollte; schließlich machte sie Miene, seine Hand zu greifen, Chundri aber schlug nach ihrem Arm, daß sie zur Seite taumelte, während sie ihn wie eine Katze anfauchte.

Ralph warf ihr ein Geldstück zu. Sie griff es in der Luft auf und zog sich mit einem Wortschwall zurück, indem sie sich mit den demütigsten Gebärden im Staube verbeugte, während die Jungen lachend um sie herumsprangen und ihre blitzenden Zähne zeigten.

»Sie stößt Flüche aus,« sagte Davis und sah fragend zu Chundri auf, der zustimmend nickte, über Davis' Wissen erstaunt; aber er war nicht zu bewegen, ihre Worte zu übersetzen.

»Der Schlangenbändiger ist auch ein Korawa,« sagte er. Die Hexe stand neben ihm und zeigte ihm ihr Geldstück; sie gingen zusammen zur Mauer und setzten sich zu einem Haufen Männer und Frauen, die in der Sonne lagen.

»Es ist eine ganze Korawa-Bande,« sagte Chundri, »die Kali geopfert haben. Wahrscheinlich haben sie einen größeren Streich vor.«

Ralph und Davis stiegen aus dem Wagen und begaben sich zum Eingang, vor dem eine Estrade war, die von vier grobgeschnitzten Holzsäulen unter einem Strohdach getragen wurde.

Sie wurden von den Kindern umringt, die nach Geld schrien. Auch die alten Bettler hatten sich erhoben und hinkten mit ausgestreckten Händen hinter ihnen her, ihre einförmige Betteltirade singend.

»Sahib hätte der alten Hexe nichts geben sollen,« sagte Chundri, »jetzt bekommen wir die Bande die ganze Zeit hinter uns her. Wenn man einem etwas gegeben hat, wollen alle haben.«

Vorm Eingang schlug ihnen ein strenger, erstickender Geruch entgegen; im selben Augenblick sahen sie einen blutigen Pfahl und, auf einem Stein davor, eine große Pfütze von rotem Blut, das in der Sonne dampfte.

»Pfui Teufel!« Davis hielt sich die Nase zu.

»Das ist noch von der Opferung bei Sonnenaufgang,« sagte Chundri.

»Was hat man geopfert?« fragte Ralph und betrachtete einen Haufen junger Männer, die mit entblößtem Oberkörper und vorgestreckten Händen auf der Estrade knieten. Diese Augen waren wie in Trunkenheit verdreht, die Gesichter zu einem tierischen Lächeln verzerrt. Gleich neben der Blutpfütze saß ein gebückter Greis, lange, weiße Haarbüschel fielen ihm auf die spitzen Schultern, und auf der knochigen, nackten Brust hingen gedrehte Bartsträhnen. Die blinden Augen starrten glasklar und blind unter der knorrigen Stirn hervor, wo drei wagerechte weiße Striche über der Nasenwurzel gemalt waren. Haar und Bart, Backen und Hände waren mit Blut bestrichen; hin und wieder tauchte er seine Handflächen in die Blutlache und erneuerte das Blut auf Brust und Stirn, während er seinen Gesang oder seine Rede unaufhörlich herplapperte. Jedesmal, wenn er nach einer Strophe den Kopf beugte, fielen die Jungen in krähendem Chor ein.

»So haben sie seit Sonnenaufgang dagesessen.«

»Und jetzt ist die Uhr zehn,« sagte Davis und sah auf seine Uhr.

»Was haben sie geopfert?« fragte Davis wieder.

Chundri zuckte die Achseln.

»Was weiß ich, Sahib,« er wich Davis' Blick aus, »das tägliche Opfer ist ein Zicklein. Bei den großen Festen kommt jede Familie mit ihrem Zicklein, oder, wenn sie sehr arm ist, nur mit einem Hahn.«

Davis sah sich nach allen Seiten um, um Spuren von Häuten oder Knochen zu entdecken, aber es war nur das Blut da.

»Sehen Sie dort,« sagte er und zeigte auf eine gemalte Holzfigur gleich rechts in der dunklen Türöffnung, »dort haben wir die furchtbare Göttin.«

Eine Gestalt in halber Menschengröße, ein unförmlicher Kopf mit Elefantenzähnen, stiere, rote Augen und eine langausgestreckte Zunge, die ihr bis auf die Brust hing – das war die Göttin Kali, Siwas Frau!

»In alten Zeiten«, fuhr Davis fort, »begnügte Kali sich nicht mit weniger als einem neugeborenen Kind. ›Das Blut von Menschenopfern‹, heißt es, ›erfreut Kali tausend Jahre‹. Ich kenne einen Anglo-Inder, der behauptet, daß noch heutigentags bei festlichen Gelegenheiten heimlich Menschenopfer gebracht werden.«

»Unserer weißen Kultur zum Trotz!«

»Finden Sie vielleicht, daß auch das zulässig sein sollte?« fragte Davis ärgerlich.

Ralph antwortete nicht. Durch die Türöffnung blickte er in den Tempel hinter der Estrade. Aus dem dunklen, fensterlosen Raum klang gedämpftes Murmeln und leises Schleifen. Tief drinnen flackerte eine Reihe qualmender Lichtstummel auf dem Fußboden, wie Rampenlicht in einer Jahrmarktsbude. Sie beleuchteten den geschnitzten und bemalten Fuß eines Götzenbildes, dessen Beine und Körper sich nach aufwärts in der Dunkelheit verloren. Vor dem Altar bewegte sich etwas, was bald die einen, bald die anderen Lichter beschattete. Ralph strengte seinen Blick an und wurde eines hellen Gewandes gewahr, das den Bewegungen folgte; er ahnte Arme, die sich schwangen, und einen Kopf, der sich im Takt zu dem leisen Gemurmel bewegte; und jetzt sah er auch, daß das schleifende Geräusch von nackten, tanzenden Füßen herrührte.

Er wandte sich zu Chundri um und zeigte in den Tempel.

»Das ist die Dewadasi,« sagte dieser.

Davis sah sie jetzt auch und erklärte interessiert:

»Das ist eine Tempeltänzerin, eine von denen, die wir Bajaderen nennen. Jeder Tempel und jeder Gott hat seine.«

Ralph wollte hinter den Pfahl treten, um in den dunklen Raum zu gelangen; indem er aber über die Blutlache sprang, und der Greis und die Jungen begriffen, was er vorhatte, fuhren sie wie ein Mann in die Höhe und versperrten ihm den Weg mit drohenden Gebärden.

Ralph griff nach der Tasche, wo er seinen Revolver hatte; Davis aber faßte ihn heftig am Arm und flüsterte:

»Lassen Sie! – Diese sind vom Gott besessen und zu allem fähig. Wenn Sie mit Gewalt eindringen, kommen wir nicht lebendig von hier fort.«

Auch Chundri machte ihm mit angstvollen Augen Zeichen zu.

Ralph trat zurück. Die Jungen setzten sich knurrend, manch wildrollendes Auge aber folgte Ralph und Davis, als sie zu der staubigen Landstraße zurückkehrten.

Dem Tempel gegenüber lag Teppa-Kulam, ein mächtiges Bassin, zu dessen heiligem Wasser breite Steinstufen hinabführten.

Dorthin eilten einige junge Mädchen aus dem Kali-Tempel. Sie gingen wie im Schlaf, mit matten Zügen, die Lider tief über die Augen gesenkt; als sie einigen jungen Leuten begegneten, die vom Bade zurückkehrten, ging es wie ein krampfhaftes Zucken durch die Jüngsten, und ihr Mund verzog sich wie vor Ekel.

Chundri lächelte lüstern; Davis' stets waches Auge sah es und er fragte, wer die Mädchen seien.

»Sie haben vorm Angesicht des Gottes Hochzeitsnacht gefeiert,« sagte er und sank mit einer zynischen Geste in die Knie – »man kann sehen, daß es dabei heiß hergegangen ist.«

»Hochzeitsnacht?« fragte Ralph erstaunt. »Diese schmutzigen, schlechtgekleideten Mädchen sahen nicht sehr bräutlich aus.«

Davis lachte laut auf.

»O nein, es ist auch nur Chundri, der sich poetisch ausdrückt. Das Kali-Fest wird mit Orgien niedrigster Art gefeiert, für die junge Frauen sich opfern, um ihren Gott zu ehren.«

Männer und Frauen standen bis an die Brust in dem lauwarmen Wasser. Wenn sie herausstiegen, klebte der dünne Stoff, blank und dunkel von Nässe, an ihrem Körper und zeigte ihre Formen; die Frauen verstanden es, behende den Rücken zuzukehren, so daß kein Männerblick sie kränken konnte. Ohne den Körper zu entblößen, wechselten sie sogar vor aller Augen das nasse, schmutzige Hemd mit einem trockenen, das über der Balustrade hing.

Als Ralph und Davis im Begriff waren, in den Wagen zu steigen, kamen zwei Frauen aus dem Tempel, von einer alten Frau in einem weiten, grauen Kittel begleitet.

»Sehen Sie dort die Dewadasen!« rief Chundri, »sie haben ihren Tanz jetzt beendet. Die Alte ist eine Daja, die sie behütet.«

Ein kleiner Zebu-Wagen, den Ralph noch nicht bemerkt hatte, fuhr im selben Augenblick vor. Kinder und Bettler umringten die Dewadasen, die lächelnd Geld unter sie warfen, während sie sich einen Weg zum Wagen bahnten.

Ueber ein enganschließendes Unterkleid von dunkelroter Seide war ein blendend weißes, goldgesäumtes Gewand geschlungen; die nußbraunen Arme waren bis zur Hälfte des Oberarmes entblößt, und unter dem Gewand sah man die nackten Füße bis etwas über die Knöchel. An allen Fingern trugen sie Ringe, um die Arme wickelten sich Schlangenreifen von Gold und um die Fußgelenke massive gedrehte Silberringe. Auch die Zehen waren mit Ringen geschmückt, die statt Edelsteinen blitzende Spiegelscheiben hatten; in dem blanken Haar, das in der Mitte gescheitelt und glatt über die Ohren gekämmt war, blitzte es von Gold und Perlen.

Die Aelteste trug ihren Kopf voll Selbstgefühl und Anmut wie eine Königin. Unter der schöngeformten Stirn trafen die weitgeöffneten, strahlenden Augen die Fremden mit einem Blick, der gleichzeitig anzog und fernhielt; es sprach sowohl Stolz wie Abscheu und Verlangen aus den dunklen Augen.

Davis lüftete unwillkürlich bewundernd den Hut; das junge Mädchen öffnete voller Erstaunen die dicken Lippen, die dunkel und blank waren, wie zwei reife Früchte. Sie schlug die Augen nieder und warf den Kopf zurück, indem sie in den Wagen stieg, während die andere, die kaum erwachsen war, die Fremden verstohlen mit einem neugierigen Kinderblick musterte. Die Daja murmelte allerhand, worauf niemand achtete, während sie beschwerlich auf dem Rücksitz Platz nahm.

»Sie war nicht übel,« sagte Davis und sein Blick folgte dem Wagen, der runde Staubwolken aufwirbelte, »frei und würdig wie eine Königin. Man sollte nicht glauben, daß sie nur eine Tempeltänzerin ist.«

»Wenn unsere weiße Kultur von ihr Besitz ergriffen hätte, würde sie die freie Würde schon längst verloren haben. Wenn sie unserem Wesen überhaupt zugänglich ist; ich glaube, daß das Begehren eines weißen Mannes sie ganz unberührt lassen würde.«

»Unberührt?« Davis wandte sich ihm mit funkelnden Augen zu, »sahen Sie nicht den abenteuerlustigen Blick ihrer Augen! Ich möchte auf das Gegenteil wetten, falls wir die geringste Aussicht hätten, das Experiment zu machen.«

»Haben Sie sich verliebt?« fragte Ralph und lächelte spöttisch.

* * *


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