Alfred Edmund Brehm
Die Menschenaffen
Alfred Edmund Brehm

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Unter allen Menschenaffen gelangt gegenwärtig der Schimpanse am häufigsten lebend zu uns, hält hier aber leider nur ausnahmsweise zwei bis drei Jahre aus, während er, wie man versichert, in Westafrika bis zwanzig Jahre in Gefangenschaft gelebt haben und groß und stark geworden sein soll. Bis jetzt hat man stets beobachtet, daß die Gefangenen sanft, klug und liebenswürdig waren. Grandpret sah auf einem Schiffe ein Weibchen, welches man gelehrt hatte, den Backofen zu heizen. Es erfüllte sein Amt zur allgemeinen Zufriedenheit, gab acht, daß keine Kohlen herausfielen, wußte, wann der Ofen den nötigen Grad von Hitze erlangt hatte, ging hin und berichtete den Bäcker durch sehr ausdrucksvolle Gebärden davon (?). Derselbe Affe verrichtete die Arbeit eines Matrosen mit ebensoviel Geschick wie Einsicht, wand das Ankertau auf, zog die Segel ein, band sie fest und arbeitete vollkommen zur Zufriedenheit der Matrosen, welche ihn zuletzt als ihren Maat betrachteten (?). Brosse brachte ein Pärchen junger Schimpansen nach Europa, ein junges Männchen und ein Weibchen. Sie setzten sich an den Tisch wie ein Mensch, aßen von allem und bedienten sich dabei des Messers, der Gabel und des Löffels, teilten auch alle Getränke, namentlich Wein und Branntwein mit den Menschen, riefen die Schiffsjungen, wenn sie etwas brauchten, und wurden böse, wenn diese es ihnen verweigerten, faßten die Knaben am Arme, bissen sie und warfen sie unter sich. Das Männchen wurde krank, und der Schiffsarzt ließ es deshalb zur Ader, so oft es sich unwohl fühlte, hielt es ihm stets den Arm hin. Buffon erzählt, daß sein Schimpanse traurig und ernsthaft aussah und sich abgemessen und verständig bewegte. Von den häßlichen Eigenschaften der Paviane zeigte er keine einzige, war aber auch nicht mutwillig wie die Meerkatzen, gehorchte aufs Wort oder auf ein Zeichen, bot den Leuten den Arm an und ging mit ihnen umher, setzte sich zu Tische, benutzte ein Vorstecktuch und wischte sich, wenn er getrunken hatte, damit die Lippen; schenkte sich selbst Wein ein und stieß mit anderen an, holte sich eine Tasse und Schale herbei, tat Zucker hinein, goß Tee darauf und ließ ihn kalt werden, bevor er ihn trank. Niemand fügte er ein Leid zu, sondern näherte sich jedem bescheiden und freute sich ungemein, wenn ihm geschmeichelt wurde. Traills Schimpanse hielt man einen Spiegel vor: sogleich war seine Aufmerksamkeit gefesselt; auf die größte Beweglichkeit folgte die tiefste Ruhe. Neugierig untersuchte er das merkwürdige Ding und schien stumm vor Erstaunen, blickte sodann fragend seinen Freund an, hierauf wieder den Spiegel, ging hinter diesen, kam zurück, betrachtete nochmals sein Bild und suchte sich durch Betasten desselben zu überzeugen, ob er wirkliche Körperlichkeit oder bloßen Schein vor sich habe, ganz so wie es wilde Völker tun, wenn ihnen zum erstenmal ein Spiegel gereicht wird. Leutnant Sayers erzählt von einem jungen Männchen, welches er wenige Tage nach der Gefangenschaft an der Westküste Afrikas erhielt, daß es sehr bald und im hohen Grade vertraut mit ihm wurde, noch innigere Freundschaft aber mit einem Negerknaben schloß und im höchsten Zorne zu kreischen anfing, wenn jener ihn nur für einen Augenblick verlassen wollte. Sehr eingenommen war der Affe für Kleidungsstücke, und das erste beste, das ihm in den Weg kam, eignete er sich an, trug es sogleich auf den Platz und setzte sich unabänderlich, mit selbstzufriedenem Gurgeln, darauf, gab es auch gewiß nicht ohne harten Kampf und ohne die Zeichen der größten Unzufriedenheit wieder her. »Als ich diese Vorliebe bemerkte,« fährt der Erzähler fort, »versah ich ihn mit einem Stück Baumwollenzeug, von dem er sich dann zur allgemeinen Belustigung nicht wieder trennen mochte und welches er überallhin mitschleppte, so daß keine Verlockung stark genug war, ihn auch nur für einen Augenblick zum Aufgeben des Zeuges zu bewegen. Die Lebensweise der Tiere in der Wildnis war mir völlig unbekannt; ich versuchte deshalb, ihn nach meiner Art zu ernähren, und hatte den besten Erfolg. Morgens um acht Uhr bekam mein Gefangener ein Stück Brot in Wasser oder in verdünnter Milch geweicht, gegen zwei Uhr ein paar Bananen oder Pisang, und ehe er sich niederlegte wieder eine Banane, eine Apfelsine oder ein Stück Ananas. Die Banane schien seine Lieblingsfrucht zu sein, für sie ließ er jedes andere Gericht im Stiche, und wenn er sie nicht bekam, war er höchst mürrisch. Als ich ihm einmal eine verweigerte, bekundete er die heftigste Wut, stieß einen schrillen Schrei aus und rannte mit dem Kopfe so heftig gegen die Wand, daß er auf den Rücken fiel, stieg dann auf eine Kiste, streckte die Arme verzweiflungsvoll aus und stürzte sich herunter. Alles dies ließ mich so sehr für sein Leben fürchten, daß ich den Widerstand aufgab. Nun erfreute er sich seines Sieges auf das lebhafteste, indem er minutenlang ein höchst bedeutungsvolles Gurgeln hören ließ, kurz jedesmal, wenn man ihm seinen Willen nicht tun wollte, zeigte er sich wie ein verzogenes Kind. Aber so böse er auch werden mochte, nie bemerkte ich, daß er geneigt gewesen wäre, seinen Wärter oder mich zu beißen oder sich sonstwie an uns zu vergreifen.«

Ich kann diese Berichte nach eigener Erfahrung bestätigen und vervollständigen, da ich selbst mehrere Schimpansen jahrelang gepflegt und beobachtet habe. Einen solchen Affen kann man nicht wie ein Tier behandeln, sondern mit ihm nur wie mit einem Menschen verkehren. Ungeachtet aller Eigentümlichkeiten, welche er bekundet, zeigt er in seinem Wesen und Gebaren so außerordentlich viel Menschliches, daß man das Tier beinahe vergißt. Sein Leib ist der eines Tieres, sein Verstand steht mit dem eines rohen Menschen fast auf einer und derselben Stufe. Es würde abgeschmackt sein, wollte man die Handlungen und Streiche eines so hoch stehenden Geschöpfes einzig und allein auf Rechnung einer urteilslosen Nachahmung stellen, wie man es hin und wieder getan hat. Allerdings ahmt der Schimpanse nach; es geschieht dies aber genau in derselben Weise, in welcher ein Menschenkind Erwachsenen etwas nachtut, also mit Verständnis und Urteil. Er läßt sich belehren und lernt. Wäre seine Hand ebenso willig oder gebrauchsfähig wie die Menschenhand, er würde noch ganz anderes nachahmen, noch ganz anderes lernen. Er tut eben, so viel er zu tun vermag, führt das aus, was er ausführen kann; jede seiner Handlungen aber geschieht mit Bewußtsein, mit entschiedener Überlegung. Er versteht, was ihm gesagt wird, und wir verstehen auch ihn, weil er zu sprechen weiß, nicht mit Worten allerdings, aber mit so ausdrucksvoll betonten Lauten und Silben, daß wir uns über sein Begehren nicht täuschen. Er erkennt sich und seine Umgebung und ist sich seiner Stellung bewußt. Im Umgange mit dem Menschen ordnet er sich höherer Begabung und Fähigkeit unter, im Umgange mit Tieren bekundet er ein ähnliches Selbstbewußtsein wie der Mensch. Er hält sich für besser, für höher stehend als andere Tiere, namentlich als andere Affen. Sehr wohl unterscheidet er zwischen erwachsenen Menschen und Kindern: erstere achtet, letztere liebt er, vorausgesetzt, daß es sich nicht um Knaben handelt, welche ihn necken oder sonstwie beunruhigen. Er hat witzige Einfälle und erlaubt sich Späße, nicht bloß Tieren, sondern auch Menschen gegenüber. Er zeigt Teilnahme für Gegenstände, welche mit seinen natürlichen Bedürfnissen keinen Zusammenhang haben, für Tiere, welche ihn sozusagen nichts angehen, mit denen er weder Freundschaft anknüpfen noch in irgend ein anderes Verhältnis treten kann. Er ist nicht bloß neugierig, sondern förmlich wißbegierig. Ein Gegenstand, welcher seine Aufmerksamkeit erregte, gewinnt an Wert für ihn, wenn er gelernt hat, ihn zu benutzen. Er versteht Schlüsse zu ziehen, von dem einen auf etwas anderes zu folgern, gewisse Erfahrungen zweckentsprechend auf ihm neue Verhältnisse zu übertragen. Er ist listig, sogar verschmitzt, eigenwillig, jedoch nicht störrisch; er verlangt, was ihm zukommt, ohne rechthaberisch zu sein, bekundet Launen und Stimmungen, ist heute lustig und aufgeräumt, morgen traurig und mürrisch. Er unterhält sich in dieser und langweilt sich in jener Gesellschaft, geht auf passende Scherze ein und weist unpassende von sich. Seine Gefühle drückt er aus wie der Mensch. In heiterer Stimmung lacht er freilich nicht, aber er schmunzelt doch wenigstens, d. h. verzieht sein Gesicht und nimmt den unverkennbaren Ausdruck der Heiterkeit an. Trübe Stimmungen dagegen verkündet er ganz in derselben Weise wie ein Mensch, nicht allein durch seine Mienen, sondern auch durch klägliche Laute, welche jedermann verstehen muß, weil sie menschlichen mindestens in demselben Grade ähneln wie tierischen. Wohlwollen erwidert er durch die gleiche Gesinnung, Übelwollen womöglich in eben derselben Weise. Bei Kränkungen gebärdet er sich wie ein Verzweifelter, wirft sich mit dem Rücken auf den Boden, verzerrt sein Gesicht, schlägt mit Händen und Füßen um sich, kreischt und rauft sich sein Haar. Andere Affen bekunden ähnliche Geistesfähigkeiten: beim Schimpansen aber erscheint jede Äußerung des Geistes klarer, verständlicher, weil sie dem, was wir beim Menschen sehen, entschieden ähnlicher ist als die Verstandesäußerung jener Tiere.

Der Schimpanse, welcher, während ich diese Zeilen in die schnelläufige Feder des Eilschreibers fließen lasse, in meinem Zimmer umhergeht und sich nach Herzenslust unterhält, langte in der traurigsten Verfassung an. Er war ermüdet und ermattet von der Reise, krank und leiblich und geistig herabgekommen. In dieser Lage verlangte er die sorgsamste Pflege, eine solche, wie man einem kranken Kinde angedeihen laßt, und erhielt diese und eine treffliche Erziehung durch einen der ausgezeichnetsten Tierpfleger, meinen alten Freund Seidel, in der freundlichsten Weise. Kein Wunder, daß er an diesem Manne hängt wie ein Kind an seiner Mutter, daß er sich seinen Wünschen fügt und in überraschend kurzer Zeit zu dem folgsamsten Pfleglinge unter der Sonne geworden ist. Namentlich seitdem er seine Krankheit vollständig überwunden hat, zeigt er sich als ganz anderes Geschöpf als vorher. Er ist rege und tätig ohne Unterlaß, vom frühen Morgen bis zum späten Abend, sucht sich ununterbrochen mit irgendetwas zu beschäftigen, und sollte er auch nur mit seinen Händen klatschend auf seine Fußsohlen klopfen, ganz so wie Kinder es ebenfalls zu tun pflegen. So ungeschickt er zu sein scheint, wenn er geht, so gewandt und behend ist er wirklich, und zwar bei jeder Bewegung. In der Regel geht er in der sämtlichen Menschenaffen eigenen Weise auf allen vieren, und zwar mit schiefer Richtung seines Leibes, indem er sich mit den Händen auf die eingeschlagenen Knöchel stützt und entweder ein Hinterbein zwischen den Vorderarmen und eins außerhalb derselben setzt oder beide Hinterbeine zwischen die Vorderarme schiebt. Trägt er jedoch etwas, so richtet er sich fast zu voller Höhe auf, stützt sich nur mit einer Hand auf den Boden und bewegt sich dann eigentlich ebenso geschickt wie sonst. Wirklich aufrecht, also nur auf beiden Beinen allein, ohne sich mit einem Arme zu stützen, geht er bloß dann, wenn er in besondere Erregung gerät, beispielsweise wenn er glaubt, daß sich sein Pfleger von ihm entfernen wolle, ohne ihn mitzunehmen. Bei dieser Bewegung hält er die im Armgelenk gebogenen Hände seitlich vom Kopfe ab nach oben, um das Gleichgewicht herzustellen. Der Gang auf allen vieren sieht äußerst holperig aus, fördert aber verhältnismäßig rasch genug und jedenfalls mehr, als ein Mensch zu laufen imstande ist. Eigentliche Beweglichkeit und Behendigkeit entfaltet er aber doch nur im Klettern, und hierin unterscheidet er sich, wie wahrscheinlich alle übrigen Menschenaffen, wesentlich von seinen Ordnungsverwandten, Er klettert nach Art eines Menschen, nicht nach Art eines Tieres, und turnt in der ausgezeichnetsten Weise. Mit seinen Armen ergreift er einen Ast oder sonstigen Halt und schwingt sich nun mit überraschender Gewandtheit über ziemlich weite Entfernungen weg, macht auch verhältnismäßig große Sätze, immer aber so, daß er mit einer Hand oder mit beiden einen neuen Halt ergreifen kann. Die Füße spielen beim Klettern und Turnen den Händen gegenüber eine untergeordnete Rolle, obgleich sie selbstverständlich ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen und die höchst beweglichen Zehen gebührend benutzt werden. Mit dem ihm gebotenen Turngeräte macht er sich vom Morgen bis zum Abend zu schaffen und weiß ihm fortwährend neue Seiten der Verwendung abzugewinnen. Er schaukelt sich minutenlang mit Behagen, klettert an seiner hängenden Leiter auf und ab, setzt diese in Bewegung, geht am Reck, mit den Händen festhängend, hin und her und führt andere Turnkünsteleien mit vollendeter Fertigkeit aus, ohne jemals im geringsten unterrichtet worden zu sein. So sicher er sich auf diesen ihm bekannten Turngeräten fühlt, so ängstlich gebärdet er sich, wenn er auf einen Gegenstand klettert, welcher ihm nicht fest genug zu sein scheint; ein wackeliger Stuhl z. B. erregt sein höchstes Bedenken. Den Händen fällt der größte Teil aller Arbeiten zu, welche er verrichtet. Mit ihnen untersucht und betastet, mit ihnen packt er Gegenstände, während der Fuß nur aushilfsweise als Greifwerkzeug benutzt wird. Er gebraucht seine Hände im wesentlichen ganz so wie ein Mensch und unterscheidet sich von diesem hauptsächlich darin, daß er die einzelnen Finger der Hand unter sich weniger als der Mensch bewegt, d. h. gewöhnlich mit dem Daumen und der übrigen ganzen Hand zugreift; doch wendet er bei genaueren Untersuchungen sehr regelmäßig auch den Zeige- oder Mittelfinger an.

Winwood Reade erzählt, daß ihm auf die Frage, ob sich der Gorilla auf die Brust schlage und ein Geräusch wie das einer Trommel hervorbringe, erwidert worden sei, der Gorilla habe keine Trommel, wohl aber der Schimpanse; daß man ihn dann, als er die Trommel zu sehen gewünscht, zu einem hohlen Baume geführt und ihm gezeigt habe, wie der Schimpanse diesem durch Stampfen mit den Beinen einen trommelnden Ton zu entlocken wisse. Der Bericht der Neger ist gewiß vollständig richtig; denn auch der zahme Schimpanse tut dasselbe, indem er bei heiterer Stimmung, gleichsam um seinen Übermut auszulassen, nicht bloß mit den Händen den Boden schlägt, wie andere Affen es ebenfalls tun, sondern auch mit den Beinen auf- und niedertrampelt, besonders da, wo es tönt, und damit allerdings ein trommelndes Geräusch hervorbringt. Er zeigt sich wahrhaft entzückt, wenn sich ein Mensch herbeiläßt, in derselben Weise wie er zu klopfen, ja er fordert Bekannte geradezu auf, derartig mit ihm zu spielen.


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