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Beim Tyrolerweine.

I.

Der Winter hatte seine strenge Herrschaft übernommen. Schnee lag in dichten Massen auf den Feldern, den Tannenzweigen, Hausdächern und Straßen. Der große Bahnschlitten mußte wöchentlich ein paar mal die Wege fahrbar machen und die halbe Dorfjugend beschwerte ihn, jubelnd über diese Gratis- Schlittenfahrt. Aber – o Jubel über alles – der Bach, welcher teilweise durch den Ort fließt, war eingefroren und wir besaßen nun die herrlichste Schleifbahn. So rutschten wir lustig dem Nikolaus- und Weihnachtsabende entgegen und rutschten mit neuen Kleidern in's neue Jahr hinein.

Ein jeder Tag brachte vergnügte Stunden: Schneeballen, Schneemänner, Schlittenfahrten, bald sitzend, bald stehend, wo der spitze Stock den Vorspann ersparte; dann noch die langen Abende in den Spinnstuben – dies war ganz ungemein vergnüglich.

Wir Schloßkinder hatten aber noch eines vor den Marktkindern voraus. Unsere zweite Heimat war bei Louis und Ernst Prestele, genannt »Verwalters Buben«, in der großen Wohnstube. Ihre Mutter und unsere Mutter hatten sich gar lieb, obwohl ein ziemlicher Altersunterschied herrschte; wir nannten die erstere ebenfalls »Mutter«. Es war eine große, kräftig gebaute Frau in gar schlichtem Anzuge, und was mir am erinnerlichsten von demselben geblieben, ist die hoch hinaufgebundene Schürze. Ganz deutlich aber steht vor meinem Blicke das unbeschreiblich gute, freundliche, geduldige Gesicht, welches niemals zürnend schaute, wenn wir auch das unterste zu oberst kehrten.

Wir blieben in dieser Stube oft bis spät abends und setzten uns dort zum Essen, als ob es sich von selbst verstände. Endlich kam unsere Mutter oder Nanny und holte uns nach Hause.

In dieser Stube befand sich ein Lehnstuhl mit Ohrenklappen. Sein Überzug bestand aus braunem Leder, aber er hatte längst die ursprüngliche Farbe verloren, und wo das Roßhaar sich hervordrängte, bekam er ein kunstloses Flickwerk, wobei man es mit Stoff und Farbe eben nicht genau nahm.

Es war der Sorgenstuhl von »Presteles Mutter«, wie wir die herzensgute Frau zum Unterschiede mit der unserigen nannten. Aber in ihrer selbstlosen Güte stand er jedem zum Gebrauche offen und an den erwähnten Abenden saß darin regelmäßig unser alter Freund, der Uhlan, welcher in seinem Ruhestand das ruhelose Geschäft des Nachtwächters versah. Sein grauer Schnauzbart, damal etwas Selteneres, als heut zu Tage, ferner einige militärische Abzeichen in seiner Kleidung, sowie seine lange Gestalt und straffe Haltung, flößten uns Respekt ein; andererseits erweckte in uns seine Heiterkeit das vollste Vertrauen und etwas Anziehenderes, als dessen Soldatengeschichten gab es nicht; sie füllten die langen Winterabende aus; wir lauschten mit gespannter Miene, festgekettet an den alten Lehnstuhl, bis uns die beiden Mütter wegzogen.

Der Uhlan war ein gemeinsamer Freund der ganzen Ortsjugend; er selbst aber besaß für sich einen aparten Freund, seinen »Herzbruder«, wie er denselben nannte, und dies war der Bader Heindl. Zwei verschiedenere Leute konnte es in der ganzen Welt nicht geben; es wunderte sogar uns Kinder, daß der Uhlan nicht eher den Hauptmann Stenzel – der aber kein rechter Hauptmann, sondern ein Schreiber, Krämer und Ortsvorstand war, jedoch beim Bürgermilitär den höchsten Rang einnahm - zum Herzbruder gewählt hatte. Der letztere trug auch einen Schnauzbart, der Heindl aber hatte immer ein glatt rasiertes Gesicht, er wollte wahrscheinlich seine Kunstfertigkeit an sich selber zeigen. Er war ein pedantischer, ernsthafter Mann, immer voller Wichtigtuerei; er bildete sich nicht wenig ein auf seine Doktorschaft und nannte sogar bisweilen den Doktor Bauberger in Thannhausen seinen Herrn Kollegen. Es war beinah zu verwundern, daß er den armen, lustigen, leichtsinnigen Uhlan zum Freunde hatte und hingegen auch, daß dieser an des Baders Gesellschaft Gefallen fand. Die beiden mußte etwas besonderes aneinander ketten, was? konnte niemand erfahren.

Jahrelang waren der Uhlan und der Bader die innigsten Freunde gewesen und zwar zu gegenseitigem Nutzen. Der noch in seinem Alter schwadronierende Veteran wäre ohne den gesetzten Freund vielleicht auf Bierbänken seinem Untergange verfallen, und hinwieder der letztere ohne den Kameraden grämlich geworden. So war es also gut und so hätte es bleiben sollen, bis zum Ende. Aber es wurde plötzlich ganz anders, was den eigentlichen Kern dieser Geschichte ausmacht.

Um die Ursache zu erklären, muß ich auf den Fastnachtsdienstag vor vielen Jahren und die ganz besondere Eigentümlichkeit unseres Ortes zurückgehen.

Die Fastnachtswoche, vom Donnerstage an gerechnet, ist auf dem Lande um so lebhafter, da sich auf diese sechs Tage die ganze Lustbarkeit beschränkt, und nicht, wie in den Städten, von Dreikönig angefangen ihr Unwesen treibt. Wir zupften uns am unsinnigen oder »gumpigen« Donnerstage tüchtig an den Haaren, schwärzten einander am rußigen Freitag mit Kohlen, aßen am schmalzigen Samstage so viele Kücheln, als der Magen fassen mochte, und lauschten am Sonntage der Tanzmusik, welche aus allen Wirtshäusern klang. Doch all dieses ist nichts Absonderliches und jeder Ort weist die gleiche Lustbarkeit auf. Anders verhielt es sich mit dem Montag und Dienstag, wozu schon längst zuvor die sorgsamsten Vorbereitungen getroffen worden waren. Es herrschte der uralte Gebrauch, daß am Montag Nachmittag drei junge, festtäglich geputzte Paare miteinander durch den Ort zogen; die Burschen trugen große Fahnen, mit allem nur erdenklichen Zierrat geschmückt, je nachdem die »Fahnenjungfer« Geschmack und Geld dazu hatte. Namentlich hingen da buntfarbige Seidenbänder, oft mehrer Ellen lang, an der Fahnenstange herab. Diese drei Paare zogen zuerst in den Schloßhof, um dem abwesenden Gutsherrn, dem Grafen von Stauffenberg, mit lustiger Fahnenschwenkung die Ehrfurcht und Huldigung zu bezeugen. Mein Vater repräsentierte denselben, trat mit seiner Familie während dieses Aktes unter das Tor, ließ die mit schäumendem Bier gefüllten Krüge tüchtig kreisen und überbrachte dann den drei Paaren ein ansehnliches Geldgeschenk. Hierauf zogen diese weiter zum Amt-, Pfarr-, Herrschafts- und Schulhaus; dann zu allen in diesem Jahre Neuvermählten und schließlich überall hin, wo ihre Fahnenschwenkung Geld einbrachte, jedoch mit dem strengen Vorbehalt, daß es ein »ehrenwertes« Haus sei.

Ebenso wurden nur tugendhafte Burschen zu Fahnenschwenkern auserlesen und das Los entschied jedesmal. Der Bursche hatte die freie Wahl, eine tugendhafte Fahnenjungfrau zu wählen, und o, welch ein Jubel, der »Aidi«, ein junger hübscher Sattler, eigentlich Adam getauft, erwählte unsere Nanny, unsere liebe Nanny, welche damals eine stattliche, hübsche Jungfrau war, deren Wahl und Annahme dem Burschen alle Ehre machte. Wir leerten unsere Sparbüchsen, damit die seidenen Bänder recht breit und lang gekauft werden konnten, die Mutter stickte die Enden eigenhändig mit Goldflitterchen und der Vater sah lächelnd zu, ja, er suchte in der Kasse die nagelneuesten Taler aus und legte aus eigener Tasche darauf, denn er schätzte unsere Nanny, welche uns von Jahr zu Jahr lieber geworden war, uns auf den Armen getragen hatte, und jetzt gleichsam auf den Händen trug.

Auf diesen lustigen Montag folgte jedoch ein lustigerer Dienstag, für welchen lange, geheimnisvolle Vorbereitungen vorausgegangen waren, und dabei muß ich eines ganz eigentümlichen Gebrauches erwähnen. Es ging die Sage, daß Jettingen zur Schwedenzeit ganz besonders gelitten habe. Die Felder lagen zerstört und von Rosseshufen zerstampft; der Hunger schlich von Haus zu Haus; die Ställe waren leer und ausgeraubt und als endlich der Friede eintrat, soll sich im ganzen Orte in allen Pferdeställen zusammen nur mehr ein einziger, alter Grauschimmel vorgefunden haben, der erste, welcher von neuem die Pflugschar durch die verwüsteten Felder zog.

Zum Andenken an dieses traurige und endlich freudige Ereignis wurde an jedem Fastnachtsdienstage ein großer Maskenzug veranstaltet. Voraus kam der Pflug, von einem alten Grauschimmel gezogen und nebenher ging der Bauer in der Tracht jener vergangenen Zeit. Diesem folgten nun Maskeraden, welche dazu paßten, und den Schluß bildeten die allerlustigsten Schwanke und Narreteien, bei deren Aussinnung unser Uhlan jederzeit die Hauptrolle spielte. Er tat damit sehr geheimnisvoll und keiner der Verschworenen verriet das Geringste. Dieser Zug richtete sich nun zu allererst, die Fahnenschwenker an der Spitze, gegen das Schloß. Die ganze maskierte Ortsjugend reihte sich an, auf der Schloßbrücke standen Vater und Mutter; wir Kinder natürlich maskiert, erwarteten den Zug. Feierlich lenkte er in den Hof, feierlich zog der Schimmel den Pflug rings um den großen Misthaufen, in der Nähe der Ökonomiegebäude; doch als dies geschehen war, brach der Jubel los. »Halt!« gebot der Führer; der Wagen mit der Narretei hielt vor der Brücke und das Possenspiel begann. –

Wir waren auf's höchste gespannt gewesen, denn der Uhlan tat noch geheimnisvoller, als je zuvor, er hatte gar keine Zeit mehr gehabt, uns Geschichten zu erzählen, sondern er lachte und pustete in seinen grauen Schnauzbart hinein. Selbst sein »Herzbruder« konnte nichts aus ihm herauskriegen und wir hatten doch erlauscht, daß beim Rasieren der Vater demselben den Auftrag erteilte.

Endlich war der längersehnte Nachmittag gekommen. Wir vernahmen ein Gebrause, dazwischen das Jauchzen, die Klänge der Musik und plötzlich trat Ruhe ein, der alte dürre Grauschimmel –? gewiß hatte der Ärmste zur Ehre dieses Tages eigens fasten müssen – zog den Pflug in den Hof und um den Misthaufen, der heute säuberlich mit Stroh bedeckt war. Dieser ernste kleine Teil des Ganzen war vorüber; nun brach der Jubel wieder los und der Maskeradenwagen fuhr herbei. War es möglich! Hatte der ernste, pedantische Bader

Heindl, der einzige Mann im Orte, welcher jedesmal gegen die veraltete Narretei zu Felde zog und sich während des Spektakels brummig daheim hielt, hatte dieser endlich sich hergegeben, selbst mitzumachen? Da stand er leibhaftig auf dem Wagen, man erkannte ihn an jeder Bewegung trotz der Maske vor dem Gesichte und er hatte sich nicht einmal Müh gegeben, seine Kleidung viel zu ändern, nur ein tüchtiger Haarzopf hing über seinen Rücken und schrecklich große Augengläser saßen auf seiner Nase.

Da stand er mit Rezepten überdeckt; aus seiner Rocktasche sahen die Signaturen und die Flaschen. Aber nun begann erst die Vorstellung. Ein Mann auf dem Wagen bekam einen Anfall von Raserei – er wurde gebunden, des Rockes entkleidet, der Bader nahm die fürchterlichsten Instrumente heraus, endlich ließ er den Kranken zur Ader und – o, welch ein Zurückspringen und Geschrei! – das Blut spritzte im Bogen auf die nächsten Zuschauer.

Doch ein Zwischenfall ließ die Menge verstummen. Durch's Gewühl drängte sich, bleich wie der Tod, das Original, der Bader Heindl, und wie er nun dicht vor dem Wagen stand, überzog brennende Glut sein vorher so bleiches Gesicht. Der zahme, pedantische, alte Mann war plötzlich wieder jung geworden. Mit dem Zornausrufe: »Wer untersteht sich, mich auszuspotten und nachzuahmen?« sprang er behend auf den Wagen, riß dem Verkappten die Larve vom Gesichte und sah nun – wie versteinert – in das Gesicht seines »Herzbruders«. War es Ernst, oder spielte er seine Rolle meisterlich? Er sank auf dem Wagen ohnmächtig nieder. -

Nein, es war Ernst, bitterer Ernst gewesen. Man hob den immer noch Ohnmächtigen herab und trug denselben in's Schloß. Der verkleidete Bader gab sogleich seine Rolle auf und o, wie mannigfache Verwandlungen waren damit aufgehoben: Bandit und Hanswurst, Schneider und Zigeuner. Enttäuscht und enttäuschend zog der Maskenzug von dannen. Der arme Uhlan kniete nieder vor den Freund und rief ihn bei Namen, er umfaßte ihn mit den Armen, eine Träne floß aus den vorher so schelmischen Augen auf des Ohnmächtigen Stirne; da kam dieser zum Bewußtsein, aber mit finsterem Blicke erkannte er den Freund und seine Hand stieß ihn mit Heftigkeit von sich. –

Im Orte tönte die heitere Musik aus allen Wirtshäusern; lustig schwangen sich die tanzenden Paare; viel anderer Maskeradenspaß wurde aufgeführt, aber im Schloße ging es gar nicht fastnachtsmäßig her; Nanny weigerte sich, mit ihren Fahnenschwenkern zum Sternwirt zu gehen, alle standen nur um den Patienten und suchten ihn zu beschwichtigen, der Vater sogar mit einem Ausbruche von Entrüstung über die dumme Empfindlichkeit. Vergebens! Der Bader wollte nichts mehr wissen von dem ehemaligen Herzbruder, der seine Ehre gekränkt und ihn lächerlich gemacht habe. Der Tag glich eher einem Aschermittwoch, wenigstens gebärdete sich der Uhlan, als wollte er sich die Haare ausraufen und zeigte aufrichtige Reu und Leid. Es half nichts, er mußte heimwärts gehen und schlich wie ein Verbrecher in's Gefängnis, also in seine armselige Hütte.

Von diesem Tag an war das Freundschaftsbündnis gelöst, und kein Versuch, die beiden auszusöhnen, gelang. Anfangs hatte der Uhlan sich auf alle mögliche Weise gedemütigt, endlich aber wurde er trotzig und der ehemals so lustige Geselle ging wortlos seines Wegs. Er vermied sogar den alten, braunen Lederstuhl, denn er hatte alle Geschichten seiner Jugend vergessen und wir erschienen ihm als überlästige Plagegeister. – Wenn er nachts einen Umzug hielt, rief er nur die Stunde an, mischte aber nicht mehr, wie ehedem, selbst gedichtete Verse voll Humor und Neckerei darein. Beim Bader Heindl und dessen Nachbarschaft ging er schweigend vorüber; aber der Pfarrer hatte ihn beim Mondschein, als derselbe von einem Kranken nach Hause ging, am Bache vor des ehemaligen Kameraden Haus erblickt, wie er zum Fenster emporschaute, und hatte gewartet wohl eine halbe Stunde, doch der Nachtwächter wich nicht, bis es Zeit war, von neuem die Runde zu machen.

Meine Mutter nahm sich diese Angelegenheit tief zu Herzen. Sie liebte den Frieden und hatte sich so sehr an der Freundschaft dieser Männer erfreut, denn sie besaß ein ganz besonderes Verständnis der Freundschaft überhaupt. Der immer zufriedene lustige Uhlan hatte über dem bei ihr einen Stein im Brette; er hieß Anton und das war der Name vom Großvater und Onkel, den auch ihr Erstgeborener trug. O, wie eifrig war sie nun bestrebt, alles wieder in's rechte Geleise zu bringen. So oft der Bader sein Geschäft beim Vater wöchentlich dreimal vollendet hatte, versuchte sie es, die Stoppeln der Widerhaarigkeit aus seiner erbitterten Seele zu ziehen; sie kam des Abends zu ihm und las aus der heiligen Schrift das Kapitel vom Splitter im Auge des Nächsten, von dem Gebote, die Sonne nicht untergehen zu lassen über einer Feindschaft; sie bat mit überfließenden Augen, sie machte Vorstellungen über Vorstellungen, alles vergebens! Die guten, lieben Worte prallten ab am eisernen Panzer des Stolzes und der Selbstliebe. –

So verstrich der Sommer, der Herbst und beinahe auch der Winter; dann aber kam wieder die lustige Fastnachtszeit. –


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