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II.

Weit von hier – begann Agathe – weit wenigstens für Fußgänger, ist vor vielen Jahren die Eisenbahn gebaut worden, daß man von Italien her über den großen Gebirgsstock, »Brenner« geheißen, nach Österreich und Deutschland nur so wie im Fluge hinsausen kann. Aber dazu waren viele Arbeitsleute nötig, und sie kamen auch aus allen Gegenden herbei, aus Italien, Ungarn, Böhmen, Bayern, daß man, wenn sie durcheinander plauderten, hätte denken können, es herrsche wieder die Sprachenverwirrung wie damals beim Turmbau von Babel.

Unter diesen Zugewanderten war auch ein junger Mann aus Böhmen, namens Pinterschich. Da er sich kurz zuvor verheiratet hatte, kam seine Frau auch mit, es gab genug Verdienst für sie durch Waschen und Nähen. Da der geschickte Mann voraussichtlich jahrelang in der Nähe von Kufstein, dicht an der bayerischen Grenze, zu tun hatte, so kaufte er sich in einem abgelegenen Waldwinkel ein Grundstück und erbaute sich darauf eigenhändig ein Haus, nicht viel besser und größer als eine Hütte. Aber es war doch eine Heimat in der Fremde, wo man ihn oftmals scheel ansah und nur schwer verstand.

Arbeitsam und zufrieden lebten die Fremdlinge ein ganzes Jahr seelenvergnügt und hofften auf noch vergnügtere Zeiten, als ihnen Gott ein kleines Mädchen schenkte, wodurch sie nunmehr ganz einheimisch zu werden hofften.

Aber der Mensch denkt, und Gott lenkt. Die Frau wurde krank und immer kränker; lange Zeit schwankte es hin und her, dann blieb eine Schwäche zurück, die zur Abzehrung wurde.

Nun wäre es doppelt übel um die Fremdlinge gestanden, wenn nicht im nächsten Hofe, beim »Kaiserbauern« genannt, das Dienstmädchen sich erbarmt hätte um das hilflose Kind und die beinahe ebenso hilflose Frau. Die Bauersleute gestatteten es gerne, daß Katharine jede Stunde, wo sie abkommen konnte, dorthin lief; und diese Barmherzigkeit trug ihnen auch so viel Lob und Ehre ein, daß in der ganzen Nachbarschaft von nichts anderem die Rede war und der Herr Pfarrer eigens auf seinem Weg von der Kranken dort einsprach mit Gottesdank, wie er's nannte.

Nun kam's noch schlimmer: die Böhmin starb nicht lange darauf. Katharine hielt die Totenwache, während der Mann wie in Verzweiflung zwischen Gebirg' und See herumirrte und immer nur dachte: »Sie ist im Himmel! Aber was fang ich nur an und gar noch mit dem kleinen Wurm?« – Ähnliches dachte auch Katharine, wie sie mit gefalteten Händen beim Sarge saß. Die Nachbarsleute kamen und schauten durchs Fenster und schüttelten die Köpfe, daß der Mann fortlaufe und ihr die Totenwache überlasse.

Katharine mußte sich aber etwas Gutes ausgedacht haben, denn die Traurigkeit schwand aus ihrem Gesicht. Sie ging in die Nebenstube und trug im Kissen das Kind herein. Dann hielt sie es dicht an den Sarg und sagte feierlich wie ein heiliges Gelöbnis: »Ich verspreche dir's hoch und teuer: das Kind gehört nun mir, bis sein Vater imstande ist, es mir wieder abzunehmen. Ich will es versorgen gleich einer Mutter!« Dann legte sie das Kind wieder in sein Bett und hielt die Wache, bis der Geistliche kam und der gebeugte Witwer und die Nachbarn, denen sie sich zu hinterst im Zuge anschloß.

Die Begräbnisfeierlichkeit war vorüber. Der Böhme saß vor sich hinstarrend in der Stube und dachte immer das gleiche: »Was fang' ich nur mit dem armen, kleinen Wurm an?« Da öffnete sich leise die Tür, und Katharine stand hinter ihm in ihrer Werktagskleidung und sagte: »Pinterschich, Euer Weib hat mich gern gehabt, und ihr letzter Blick, den ich erst jetzt versteh', hat mir gesagt: ich leih dir mein Kind, bis sein Vater es brauchen kann. Also laßt mich's mit fortnehmen! Ich hab' mit dem Bauern und der Bäuerin alles abgemacht, ich darf's mit heimbringen. Sie haben schon ein angenommenes Kind, den Bub von einer Verwandten, weil sie selber kinderlos sind. Im Bettchen ist aber Platz für zwei, und ich hab zwei starke Arme, die schon zwei Kinder tragen, und zwei Hände, die für sie arbeiten, zwei Ohren und zwei Augen, die sie überwachen können, und mein Herz –«

Da brach der Katharine die Stimme, sie schluchzte, daß dem starken Manne ebenfalls die Tränen kamen. Aber sie faßte sich bald, packte die wenigen Habseligkeiten des Kindes in ihre Strohtasche, nahm es auf den Arm und brach im Gärtlein die schönste Rose, die sie dem Kindchen zum Abschied von der Heimat in das festgeballte Fäustchen steckte.

Dann schlug sie ihr großes, weißes Tuch um den Kopf gegen die heiße Julisonne und eilte fort, um dem armen Manne nicht noch den Abschied zu erschweren.


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