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14. August Strindberg.

(1892)

I.

Es ist die frische, unverwüstliche Widerspruchslust August Strindberg's, die in unseren Tagen der schönen Litteratur Schwedens neues Leben eingeflösst hat.

In Norwegen hatte schon in den sechziger Jahren Henrik Ibsen, der sowohl in der »Komödie der Liebe« wie im »Bund der Jugend«, Zeitgenossen satirisch dargestellt hatte, sich auf die Behandlung moderner Stoffe eingelassen; er war jedoch nach und nach ein Liebling der konservativen Partei in Norwegen wie in Schweden geworden und wurde erst 1877 mit den »Stützen der Gesellschaft« deutlich oppositionell.

Dänemark, dessen litterarisches Interesse in den sechziger Jahren besonders von einer weitläufigen Verhandlung über die Möglichkeit, Glauben und Wissen, Orthodoxie und Forschung in Einem Bewusstsein friedlich zu vereinen, aufgenommen war, entwickelte ungefähr vom Jahre 1872 ab eine moderne Richtung in seiner schönen Litteratur.

In Schweden herrschte in den siebziger Jahren ein Zustand der Schlaffheit. In der Poesie freute man sich, den grossen finnländischen Dichter Runeberg zu besitzen, der für einen Realisten galt, und über dessen Realismus hinaus in den sechziger Jahren es nichts gab noch etwas geahnt wurde. In der Philosophie besass man Boström, den nationalen Denker, einen konservativen Idealisten, dessen Popularität bei der Jugend darauf beruhte, dass er den Muth gehabt hatte, eine Broschüre gegen die Ewigkeit der Höllenstrafen, als mit der Güte Gottes unvereinbar, zu schreiben. Von dieser Broschüre sprach man fünfzehn Jahre hindurch wie von einer Heldenthat.

Das Bewegungsprinzip in der Litteratur wurde indessen von Victor Rydberg vertreten, der auf zwei Gebieten einen Anfang gemacht hatte. In seinem Roman »Der letzte Athenienser« hatte er die Sache der abendländlichen Kultur gegenüber der Religion des Morgenlandes geführt und in der – später entfernten – Vorrede sein Buch als einen Spiess, in das Lager der theologischen Gegner geschleudert, bezeichnet; seine Verherrlichung des Hellenismus war jedoch so friedfertig, dass sie sehr gut mit der sympathischen Darstellung eines etwas phantastischen Urchristenthums ohne Fanatismus und ohne Wunderglauben vereinbar war. In einer kritischen Schrift »Die Lehre der Bibel über Christus« hatte er sich ausserdem bestrebt, das menschliche Wesen Christi aus dem Neuen Testament darzulegen, indem er den späten Ursprung oder die Fälschung derjenigen Stellen nachwies, welche dieses anscheinend bestritten. So wenig unbedingt Neues das Werkchen brachte, so machte es doch in Schweden ein ausserordentliches Aufsehen und veranlasste eine lange andauernde Fehde. Immer wieder hat es sich ja in diesem Jahrhundert gezeigt, wie wenig tief die Forschungen der denkenden Geister in das Bewusstsein der lesenden Massen eingedrungen sind. Wie wäre es sonst denkbar, dass das »Leben Jesu« von Strauss gegen sechzig Jahre nach dem Tode Voltaires ganz Deutschland empören konnte, und dass eine so wenig herausfordernde Schrift wie das »Leben Jesu« von Renan noch 1863 eine solche Bewegung in allen romanischen Ländern und mehreren germanischen hervorzurufen vermochte! Während die Arbeit Renans als ein rein künstlerischer Versuch erschien, war die schwedische, einige Jahre spätere Arbeit reine Philologie, Polemik über das richtige Verständniss von Bibelstellen. So konservativ war in Schweden der Geist, dass sogar dieses neu wirkte, die Gemüther der Jungen beunruhigte und die Aelteren in Zorn versetzte.

1879 endlich wurde ein Buch veröffentlicht, welches verrieth, dass Schweden sich nicht mit einem Zweifel an der Ewigkeit der Höllenstrafen und einem anderen Zweifel an der doppelten Natur des Gottmenschen begnügen würde. Es war der Roman August Strindbergs »Das rothe Zimmer«.

Mit einem Schlage war die Aufmerksamkeit der lesenden Welt des Nordens auf einen Geist hingeleitet, der diejenige Eigenschaft hatte, die überall zum Hervorbringen des wirklich Neuen, und ganz besonders in dem litterarisch konservativen oder gleichgiltigen Schweden, erforderlich war: Rücksichtslosigkeit dem Herkommen und den allgemein anerkannten Vorurtheilen gegenüber.

Strindberg hatte schon damals nicht wenig hervorgebracht. Aber man bemerkte ihn erst, da er als Empörer hervortrat, und lange wurde er als der aufwiegelnde Plebejer, der Fürsprecher der unteren Klassen betrachtet. Er war aber dies nur in einem begrenzten Zeitraum und ging nicht völlig darin auf. Er war ein Schwermüthiger, ein Satyriker und vor allem ein sprachlich schöpferischer Dichter von hohem Rang, oppositionell angelegt von Natur, paradoxal in seiner Form, unbändig in seinen Anklagen.

Er hat zwar einige Eigenschaften mit Henrik Ibsen gemein: das Bittere, das Misstrauische, das Schneidende, die unverzagte Gesellschaftskritik. Doch ist er Ibsen durchaus nicht ähnlich. Während der grosse Norweger sich damit begnügt, ein Dichter zu sein, und sich fast nur in der unpersönlichen dramatischen Form ausgesprochen hat, ist Strindberg ein Polyhistor mit bisweilen dilettantischen, oft fachlichen Kenntnissen in zahlreichen Wissenschaften und Sprachen. Er hat einen Begriff von Geologie und Chemie, von Staatswissenschaft und Gartenbau; er hat nicht gewöhnliche historische Kenntnisse, hat sogar eine Geschichte des schwedischen Volkes geschrieben, die trotz bedeutender, von der Kritik dargegelegter Mängel ein geistvolles und lehrreiches Werk ist. Mit einer gewissen Freilufts-Kultur vereint er seine Bildung als Bibliotheksamanuensis; als solcher studirte er in seiner Jugend die chinesische Sprache und das geschichtliche Verhältniss Schwedens zu China und den tatarischen Ländern; eine seiner gelehrten Arbeiten darüber ist in der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres zu Paris gelesen worden.

Einen solchen Ballast vielseitiger Kenntnisse hat kein norwegischer Dichter aufzuweisen. Dieser Ballast hat jedoch dem Gemüthe Strindbergs nicht das Gleichgewicht mitgetheilt, das trotz allen Pessimismus Ibsen nicht fehlt. Das geistige Leben Henrik Ibsens enthält grosse Gegensätze, aber es findet sich darin keine Unruhe und kein Schwanken. Das Leben Strindbergs dagegen ist reich an unruhigem Wechsel.

Nicht dass es derartige Veränderungen enthielte, die sonst in nordischer Litteratur typisch sind, wo der Jüngling gern mit einem naiven und hitzigen Radikalismus anfängt, deshalb von den Hütern der Gesellschaft ein wenig zwischen ihre Schilder gedrückt wird, und sobald der Radikalismus auf diese Weise schnell aus ihm herausgepresst worden, sich würdig und ernsthaft für gereift erklärt.

Bei Strindberg wechseln mit grosser Schnelligkeit die geistigen Gesichtspunkte. Er schlägt nicht wie die geringeren Geister um in seinem Verhältniss zu einzelnen Persönlichkeiten, sondern zu Ideen, zu historischen Mächten. Lange hat er leidenschaftlich für die niederen Klassen gegen die oberen für die Gleichheit gegen die Ungleichheit gekämpft. Dann wurde er ein Bekämpfer der Unterklasse als einer Klasse der Unwissenden, einer Pariakaste, und schilderte das Martyrium der hohen Intelligenz in einer Gesellschaft, wo die Mittelmässigkeit herrschend geworden, gründlich davon überzeugt, dass Gleichheit einen unfasslichen und nicht einmal erwünschbaren Zustand bedeutet, der nie dagewesen ist und nie existiren wird. Er war Jahre lang in der Litteratur ein Vertreter des Volks, d. h. der vereinten Schwachen und Kleinen; dann kam die Zeit, wo er ausschliesslich das Recht des Stärkeren verfocht und nichts in dem Masse wie die Tyrannei der Schwachen verabscheute.

Er war ein Anhänger Rousseaus gewesen, fand immer neue Beweise für die Wahrheit Rousseau'scher Gedanken und setzte die Angriffe des der Civilisation oder Uebercivilisation so feindlichen Naturanbeters fort. Er ist nach und nach so weit von diesem Ausgangspunkte abgekommen, dass er eine der wärmsten Lobreden, die überhaupt existiren, auf Rousseaus grossen Antipoden Voltaire geschrieben hat. Er verherrlicht hier Voltaire besonders als den Geistesaristokraten, und der Name Rousseaus wird in dem Aufsatz nicht einmal genannt.

In nicht wenigen seiner Schriften hatte er der Befreiung der Frauen das Wort geredet, die Möglichkeit und Nothwendigkeit ihrer Gleichstellung mit dem Manne und eines Zusammenlebens beider Geschlechter in der Freiheit behauptet. So heisst es z. B. irgendwo in dem »Rothen Zimmer«, wo der Verfasser seine Ansicht durchblicken lässt: »Mann und Weib schliessen ein freies Bündniss, keiner von den Beiden giebt seine Selbständigkeit auf, der eine respektirt die Schwächen des andern, und man hat eine Kameradschaft für das ganze Leben, die nicht durch die Ansprüche der einen oder anderen Partei auf Zärtlichkeit ermüdet wird.«

Später schlug die Stimmung Strindbergs im Laufe weniger Jahre völlig um; der Umschlag wurde vermutlich zum Theil durch persönliche Erfahrungen veranlasst, zum Theil durch die übertriebenen Forderungen, die in Schweden viele Frauen und einige von ihnen inspirirte Männer an das männliche Geschlecht stellten; so wurde z. B. ein wenig gerechter Vorschlag Gesetz, demzufolge die verheirathete Frau das alleinige Eigenthumsrecht über alles von ihr Erworbene erhält. Das entscheidende Loos in die Wagschale warf doch wahrscheinlich die männerfeindliche Haltung einiger nicht sehr bedeutender, redender oder schreibender Frauen. Strindberg begnügte sich nicht damit, ihnen energisch entgegen zu treten; er liess ihre Haltung die seinige bestimmen. Er schlug in die Tonart der barschesten und zornigsten Frauen der Frauensache ein und wurde dann nach und nach von einem einzigen Grundgedanken so befangen, dass seine Lebensansicht sich fast in der Auffassung konzentrirte: das Weib ist der Feind. Und er wird nun mehrere Jahre hindurch nicht müde, das Feminine als die den Mann überlistende, zerstörende, vernichtende Macht zu malen. Der Mann ist bei ihm stark und edelmüthig, deshalb nicht auf seiner Hut; das Weib ist im Kleinen klug, zugleich in ihrer Herrschsucht schlau, im Uebrigen lügenhaft und niedrig denkend. Er spricht die Ueberzeugung aus, dass, wenn sich der Mann jetzt nicht auf sich selbst besinnt, so wird er, so wie die Lage sich in Europa gestaltet hat, endgiltig unterliegen.

Der Kampf gegen den Feminismus wird nach und nach bei ihm zu einer so überwiegenden Idee, dass seine künstlerische Urteilskraft darunter leidet. Er hat z. B. das originelle und bittere Schauspiel Henry Becque's »Die Raben« auf höhnische Art verurteilt; nicht weil er tiefer liegende Fehler in dem Drama gefunden hat, es hat ihn nur geradezu peinlich und feindlich berührt, dass hier alles Mitleid und alles Interesse sich um vier verrathene und geplünderte weibliche Wesen, die Mutter und die drei Töchter sammelt, indem mit einer gewissen naiven Systematik dargestellt wird, wie eine aus lauter Frauen bestehende Familie, deren Versorger plötzlich stirbt, um die Erbschaft gebracht und betrogen wird.

Dennoch muss man, wenn Alles zusammen gelegt wird, Strindberg für diesen Kampf dankbar sein. Seine Polemik gegen die Befreiung der Frauen ist zwar nicht viel werth, aber seine Polemik gegen die Entmannung der Männer durch die von dem Zeitgeist ungesund aufgehetzte Herrschsucht der Frauen ist um so werthvoller und ein Wort zur rechten Zeit gewesen. Schade nur, dass es Strindberg so schwer fällt, das nun hinlänglich oft durchgespielte und variirte Thema zu verlassen.

Es wäre nicht schwierig, noch mehrere Beispiele vorzuführen, aus welchen hervorgeht, dass Strindberg im Laufe der Zeit seine Ansicht gewechselt hat. Ich begnüge mich damit, noch einen einzigen Punkt zu betonen.

Einer der von ihm früher geäusserten leitenden Gedanken ist der, dass Kunst und Poesie der heutigen Zeit unangemessen seien. Er findet besonders die erzählende und die dramatische Dichtung unnütz und veraltet. Das Schauspiel ist ihm Gaukelei, in der Regel gedankenarm, ausserdem unendlichen Missverständnissen ausgesetzt, weil der Dichter nicht einfach im eigenen Namen sagt, was er meint. Als prinzipieller Utilitarier behauptet er, dass alle dichterische Schriftstellerei sich in Journalistik, unmittelbare Agitation verwandeln müsse. Nichtsdestoweniger hat er selbst trotz seiner gelegentlichen journalistischen Versuche sich in der Regel treu an den Dichterweg gehalten, und auf seiner letzten Stufe als Geistesaristokrat muss er wohl sogar folgerecht den Utilismus ganz fallen lassen.

II.

Es würde ungerecht sein, einem so bedeutenden und wahrheitsliebenden Schriftsteller, wie Strindberg, darüber Vorwürfe zu machen, dass seine Ansichten sich geändert hätten, oder dass Theorie und Praxis bei ihm nicht immer übereinstimmten. Er lebte heftiger und stärker als die meisten anderen. Es findet in seinem Innern eine stetige Gährung statt. Es kocht und siedet immer in seinem Gehirn.

Wenn er auch zu verschiedenen Zeiten Verschiedenes gelehrt hat, so ist er erstens jedes Mal unbedingt ehrlich gewesen, zweitens hat bei ihm die eine These entweder direkt zur anderen geführt, oder, wenn es scheint, als ginge er von einer Aeusserlichkeit zur entgegengesetzten über, so liegt es nur daran, dass er mit übergrosser Schnelligkeit das mittlere Gebiet durcheilt hat. Bei ihm, der die Konzentration und die Isolirtheit des Genies hat, kann man von einer wahren Entwickelung reden, einem Worte, mit dem sonst allzu viel Humbug getrieben wird.

In den nordischen Ländern erlebt man es nämlich mehrmals im Jahre, dass ein Schriftsteller, der dies oder jenes gelehrt, diese oder jene Persönlichkeit verehrt, sich zu dieser oder jener Richtung bekannt hat, plötzlich das gerade Gegentheil des von ihm bisher Verkündeten vertritt. Die Ursachen sind, wenn sie nicht politischer Natur sind, meistens von ganz privater Beschaffenheit. Und drückt jemand sein Staunen oder seine Missbilligung über solche Wandlungen aus, so lautet die Antwort stereotyp: Ich habe mich entwickelt; und ich sollte meinen, dass ich das Recht hätte, mich zu entwickeln.

Gewöhnlich enthält die Anwendung dieses grossen Wortes »Entwickelung« keine bewusste Lüge, vielmehr zwei Drittel Ehrlichkeit und nur ein Drittel Frechheit. Aber sogar die volle Ehrlichkeit würde in vielen Fällen nicht befriedigend wirken. Der Schriftsteller ist ja gewissermassen ein Lehrer des Volks. Er kann zwar, wenn er will, heute dies, morgen das Entgegengesetzte lehren; welches Vertrauen kann aber das Volk zu seinen Ansichten fassen, wenn er sie stetig zurücknimmt! Die Lesewelt hat das Recht, von dem Schriftsteller zu erwarten, dass er nicht das Wort nehme, bevor er Reife genug besitzt, die Tragweite seiner Ansichten einigermassen übersehen zu können. Ist er völlig unbefestigt, kennt er nicht einmal, was gegen seine Meinungen eingewandt werden kann, so muss er sich schweigend zurückhalten. In Dänemark ist kein Schauspiel häufiger zu beobachten, als das folgende: Der junge Schriftsteller läuft in drei bis vier Jahren um den ganzen Umkreis des Kompasses herum, geht von wilder Opposition zur ängstlichen Pietät, von Zola zu Eichendorff, vom Kriegsgeschrei zum Psalmengesang, und wieder fast ganz zurück – alles mit anscheinender Ehrlichkeit, mit stets steigender »Reife«, nur mit ganz unnöthiger Schwatzhaftigkeit.

Und dieser Kreislauf wird »Entwickelung« genannt, wie alles heutzutage Entwickelung ist. Ich gestehe, dass dies Wort mich zuletzt krank macht. Wie man früher Aufklärung, dann Bildung sagte, so ist heutzutage »Entwickelung« das grosse Zauberwort.

Entwickelung ist ja wohl das Kernwort der ganzen Philosophie dieses Jahrhunderts, der englischen wie der deutschen. Entwickelung heisst, dass da alle Theile einer organischen Gruppe solidarisch sind und sich vervollständigen, so offenbaren sie, wenn sie auf einander folgen, selbst wo sie kontrastiren, eine innere Eigenthümlichkeit, welche sie alle vereint und hervorbringt. Indem man diese Idee auf die Natur in Anwendung brachte, kam man dazu, die Welt als eine Stufenleiter von Formen, eine Reihefolge von Zuständen zu betrachten, die in sich selbst den Grund zu ihrem Aufeinanderfolgen, ihrer Begrenzung und ihrem Aufhören haben. Auf den Menschen angewandt bringt dieser Begriff uns dazu, die Gefühle und Gedanken als natürliche und nothwendige Erzeugnisse anzusehen, die mit einander wie die verschiedenen Umwandlungen einer Pflanze oder eines Thieres verknüpft sind.

Aber auf den einzelnen, gewöhnlichen, charakterlosen Alltags-Schriftsteller angewandt, ist Entwickelung in Wahrheit ein trügerisches, irre leitendes Wort, ein Euphemismus, eine Schön-Färberei. Wer kann denn glauben, dass ein kleiner charakterloser Poet sich entfaltet wie die Eiche aus der Eichel, wie der Schmetterling aus der Puppe! Sehr viele Schriftsteller sind fremden Impulsen viel zu sehr ausgesetzt, als dass ihre Geschichte eine Entwickelungsgeschichte genannt werden könnte. Wenn man einen amerikanischen Weinstock auf einen französischen impft, so ist das Produkt nicht ein Erzeugniss der Entwickelung des französischen Weinstocks. Und viele nordische Geister sind so häufigen Impfungen, Umpflanzungen u. s. w. unterworfen gewesen, dass der einzelne fast aufgehört hat, derselbe Geist zu sein. Manch einer unter ihnen ist einem sich entfaltenden und entwickelnden Pflanzenkeim viel weniger ähnlich, als dem berühmten Lichtenberg'schen Messer, das fortfuhr, dasselbe Messer zu sein, obgleich sowohl die Klinge wie der Stiel mehrmals erneuert worden waren. – O, dies Wort Entwickelung! Wie oft ist es, auf die Geschichte und das einzelne Menschenleben angewandt, nur wie jenes Absolute Schellings, welches Hegel die Nacht nannte, in der alle Katzen grau sind.

III.

Nachdem August Strindberg einige Jahre in Upsala studirt und sich als Schauspieler, ohne es jedoch weiter als bis zum Statisten zu bringen, versucht hatte, debutirte er als Dichter mit einem kleinen Einakter In Rom, den er zur hundertjährigen Feier Thorwaldsens 1870 schrieb. In diesem kleinen Schauspiel sind die Hauptpersonen ein Thorwaldsen, der mit dem wirklichen wenig Aehnlichkeit hat, sein erdichteter Freund Pedersen, der joviale Däne, wie sich die Schweden ihn denken, und Anna Maria Magnani, die bekannte leidenschaftliche und wenig hochherzige Freundin Thorwaldsens, aus welcher hier eine Künstler-Geliebte, wie sie im Buche steht, zärtlich, bis zur Aufopferung ergeben, geworden ist.

Für Thorwaldsen sind in Rom alle Hülfsmittel ausgegangen. Er hat seine erste Statue, seinen Jason, vollendet, jedoch nicht verkauft; er hat Schulden an seinen Wirth, und da er von seinem Vater, dem alten Isländer in Kopenhagen, erfährt, dass dieser ihm einen Platz auf der Werft als Handwerker verschafft habe, will er die Bildhauerei an den Nagel hängen, noch am selben Abend von Rom abreisen und, um der Bitterkeit des Abschieds auszuweichen, nicht einmal seiner Marianne Lebewohl sagen.

Um den Charakter Thorwaldsens hat Strindberg augenscheinlich keinen Bescheid gewusst, da er ihn dergestalt beim ersten Wink das Aufgeben der Kunst und die Heimreise, noch dazu aus kindlicher Zärtlichkeit und kindlichem Gehorsam beschliessen lässt. Nichts in der Welt lag Thorwaldsen ferner und wäre er aus so weichem Thon geformt, dann würde er sicherlich nicht, aus einem kleinen Lande gebürtig, sich den Weltruhm erkämpft haben. Indessen giebt dieses Selbstaufgeben des Künstlers zu einigen Scenen Anlass, in denen der Freund sich wacker und erheiternd, die Geliebte sich treu und hingebend, schliesslich ein französischer Mäcenas sich naseweise und geizig erweist. Als dann der unverschämte, auf sein Recht pochende Hauswirth Thorwaldsen erst auf die Strasse werfen, dann die Abreise polizeilich verhindern will, findet sich der reiche und kluge Engländer, Mr. Hope, in der Werkstatt ein, um Jason sogleich zu kaufen. Froh, dass die Wolke vorüber gezogen, wandern nun Thorwaldsen, sein Freund und sein Mädchen nach der Osteria, um den glücklichen Schicksalswechsel in edlem Wein zu feiern. – Man wird aus diesem Referat ersehen, mit wie viel Sinn für dramatische Wirkung der junge Anfänger sein Festspiel angelegt hatte.

In einem anderen Schauspiel aus dem folgenden Jahre findet sich grössere Kraft und Selbständigkeit. Es spielt auf Island kurz nach der Einführung des Christenthums, hat den Titel Der Geächtete und schildert einen Heiden der damaligen Zeit in seiner trotzigen, selbstvertrauenden Kraft, und den Bruch in der Familie, als die Tochter heimlich Christin geworden ist. Die Gestalt des jungen Mädchens ist fein und tüchtig gezeichnet; sie ist zugleich zärtliche Braut, gläubige Christin und von Naturell das wildeste, streitbarste Menschenkind. Giebt es aber auch in diesem Stück nicht wenige Stellen, in welchen man einen Hauch des Geistes isländischer Sagen spürt, so finden sich doch moderne Wendungen, die diesem Geist schreiend widersprechen; so erweckt es z. B. beim Leser Anstoss, dass die Handelnden mehrmals ihre eigene Zeit im Lichte einer späteren sehen. Der Liebhaber spricht von »wildem Blut, das noch vom Wikingefeuer siedet«. »In Wiking zu gehen«, war aber eine natürliche, selbstverständliche Sache; vom Wikingefeuer spricht man erst Jahrhunderte später, nachdem der Trieb nach Abenteuern, Ehre und Beute längst erloschen ist.

In Meister Oluf, einem grossen Prosadrama aus dem Jahre 1872, d. h. aus Strindbergs dreiundzwanzigstem Jahr, erblickt man zum ersten Mal seine wahre Physiognomie. Der Held ist der Reformator Schwedens, Olaus Petri, in welchem das Reformator-Naturell im Allgemeinen dargestellt ist. Hauptpunkte sind: sein Kampf gegen den in Aeusserlichkeiten und Wohlleben sich verlierenden Katholizismus, seine Qual, als die eigene Mutter seinen Bruch mit der Kirche verurtheilt, seine Ehe verachtet und die Frau des Mönches nicht als wirkliche Gattin anerkennen will, ferner sein zweideutiges Verhältniss zum König, der ihm zwar geneigt ist, ihn jedoch nur für seine Absichten gebraucht, und gegen den er sich mit den empörerischen Wiedertäufern verbündet, bis er zuletzt gefangen und gedemüthigt wird. Als das Werk eines nur dreiundzwanzigjährigen Jünglings ist diese Arbeit erstaunlich reich und kraftvoll. Bis 1876 hat Strindberg dieses Schauspiel in der immer getäuschten Hoffnung, es aufgeführt zu sehen, nicht weniger als fünf Mal umgearbeitet. 1878 erschien die letzte versifizirte Bearbeitung in einer prächtigen Quartausgabe.

Unter Strindbergs Jugendwerken ist eins der bedeutendsten Das Geheimniss der Gilde, ein historisches, jedoch nur private Verhältnisse darstellendes Schauspiel. Der Stoff ist Künstlerneid und Kampf des wirklichen Talents gegen schlechte, alle Mittel anwendende Mitbewerber.

Durch das Verhältniss zur späteren Produktion Strindbergs noch interessanter ist das Schauspiel »Ritter Bengts Gemahlin«, 1882 gedruckt, jedoch, wie es scheint, aus den ersten Jahren seiner später aufgelösten Ehe herrührend. Hier wie in »Meister Oluf« behandelt er das Weib mit warmer Sympathie, doch als ein Wesen, das den Mann nicht versteht und deshalb ihm gegenüber leicht ungereimte Ansprüche erhebt.

In »Meister Oluf« findet sich eine Scene, wo gleich nach der Hochzeit der Reformator durch den Gesang von Stieglitzen, deren Käfig seine Christina im Zimmer angebracht hat, in seiner Arbeit gestört wird. Die junge Frau hat auch stark duftende Blumen auf den Tisch ihres Gatten gestellt, deren Geruch ihm Kopfweh verursacht und die er von dem Dienstmädchen entfernen lassen muss. Immer will sie wissen, woran er denkt; wenn er ihr aber dann eine philosophische Abhandlung vorliest, ist sie peinlich davon berührt, dass sie dieselbe nicht versteht. Bald jammert sie, von ihm in Unwissenheit gehalten zu werden, bald findet sie sich seiner unwürdig und beklagt sich doch zugleich über ihn, dass er sie nicht zu sich erheben wolle oder erheben könne, und verursacht zuletzt durch ihren abweisenden Stolz den vollständigen Bruch zwischen Sohn und Mutter. Trotz alledem ist sie ihm indessen ergeben, und das Band zwischen ihnen bricht nicht.

In »Ritter Bengts Gemahlin« hat Strindberg das typische Frauenleben, wie es sich ihm 1882 darstellte, gleichsam in einem grossen Sinnbild schildern wollen.

Zuerst hält sich das junge Fräulein in dem Kloster auf, eingesperrt, gepeinigt und geplagt, so voll sinnlicher Sehnsucht, dass sie Versehen begeht, um gegeisselt zu werden; sie findet in der Geisselung eine Wollust. Immer und immer denkt sie an den Ritter, der im Schlosse dem Kloster gegenüber wohnt und dem sie eines Tages im Walde begegnet ist. Endlich kommt er, als sie schon jegliche Hoffnung aufgegeben hat, und zersprengt die Klostermauern durch die Mittheilung, dass die Reformation eingeführt worden und dass der Staat Klostergelübde nicht mehr anerkennt. Den nächsten Akt erfüllt ein Rausch der Seligkeit, des übermüthigen Glückes, das die beiden Liebenden über ihre Vereinigung empfinden. Doch noch während der Hochzeitsfeierlichkeiten findet sich der Kronenvogt mit einer Steuerforderung ein. Der Ritter vermag sie nicht zu decken, und von dem Vogte selbst, der ein alter Verehrer Frau Margits und deshalb ein Hasser des Ritters ist, muss Bengt auf Umwegen die nöthige Summe borgen. Ein Jahr hindurch kann er dann seine junge Frau von seinen ökonomischen Besorgnissen frei halten.

Doch ganz wie bei Ibsen im »Bund der Jugend« und im »Puppenheim« entspringt hier das Unglück des Hauses jetzt dem Umstande, dass die Frau nicht die Sorgen des Mannes hat theilen dürfen. Man begegnet hier Margit gegenüber derselben hyperidealistischen Auffassung, wie bei Ibsen gegenüber Selma und Nora – einem Hyperidealismus, den gewiss niemand leidenschaftlicher als der spätere Strindberg bekämpfen würde. Und mit Recht. Denn mag auch sein, dass der Mann bisweilen aus übergrosser, schädlich wirkender Zärtlichkeit sich weigert, die Frau an seinen Sorgen Theil nehmen zu lassen, so hat doch sein Schweigen häufig den guten Grund, dass die Frau diese Sorgen nicht verstehen, und jedenfalls nicht helfen können würde. Ausserdem kann nur für Wesen ohne Individualität das unbedingte Vertrauen zur Pflicht gemacht werden.

Nach zehn Jahren wiederholt sich hier das Motiv aus »Meister Oluf«. Die junge Frau legt eine Handlung als lieblos aus, die nothwendig war. In jenem Schauspiel liess sie in ihrem Missmuth die verschmähten Stieglitze fliegen und warf die verschmähten Blumen aus dem Fenster. Hier hat der Ritter, während sie nach der Geburt ihres Kindes bettlägerig war, einen ihrer Lieblingsbäume umhauen und ihre Rosenbüsche verdorren lassen; jedoch nur, weil die Pferde, die auf dem Felde nöthig waren, nicht nach Wasser geschickt werden konnten. Sie erfährt die Thatsache während seiner Abwesenheit, und in dem thörichten Glauben, dass er dies in liebloser Gleichgiltigkeit für ihre Wünsche hat geschehen lassen, verlangt sie, dass jetzt all die Pferde, die eben zur Ernte unbedingt nothwendig sind, nach Wasser für ihre Rosen fortgesandt werden.

Ritter Bengt kommt nach Hause. Der Vogt ist wieder da; die Schulden können bezahlt werden, wenn nur, da ein Gewitter droht, alles, was auf dem Felde steht, schnell unter Dach gebracht wird. Da erfährt Bengt, dass alle Pferde nach Wasser für Rosen fortgeschickt seien, und in verzweifelter Wuth ballt er drohend die Hand gegen seine Frau. Augenblicklich fordert sie Scheidung und setzt in der Folge die gesetzliche Trennung hartnäckig durch. Sie nimmt ihre Zuflucht zum Vogt, der kaltblütig seine Pläne, sie in seine Macht zu bekommen, verfolgt hat. Als sie endlich seine Tücke entdeckt, versucht sie Selbstmord, wird aber von ihrem reuigen Mann, dessen Werth sie nun erst begreift, dem Leben wiedergewonnen.

Der Dichter will, wie er in einem späteren Werke, Giftas (Verheiratet sein) I erklärt hat, dies Stück verstanden wissen erstens als einen Angriff auf die romantische Mädchenerziehung, zweitens als eine Vertheidigung der Liebe als Naturmacht, die alle Grillen überlebt und den Willen unterjocht, drittens als höhere Schätzung der weiblichen Liebe im Gegensatz zu der männlichen, weil die Liebe der Frau auch die mütterliche Liebe enthält, viertens als Behauptung des guten Rechts der Frau, sich selbst zu besitzen. So erklärt er mit 1, 2, 3, 4. Er räumt zwar ein, dass sein Werk als Theaterstück unklar sei; es sei es aber nur, weil ein Kunstwerk seiner Natur nach immer im Unklaren liege.

Es ist durchaus nicht wahrscheinlich, dass Strindberg, als er das Drama schrieb, vier solche bestimmte Tendenzen des Stückes vor Augen hatte. Wie dem aber auch sei, ein weiter Weg führt jedenfalls von diesem Schauspiel zu der nur fünf Jahre späteren, auch in Deutschland bekannten Tragödie Der Vater, dem seltsamsten und erschütterndsten aller Strindberg'schen Werke, demjenigen, das am meisten verdichtete Energie enthält, in seiner Komposition das grossartigste und in seiner Wirkung das mächtigste ist. Diese Tragödie nimmt wieder zum Typischen ihre Zuflucht. »Der Vater« schildert den Mann als ein gutes, hochbegabtes und liebevolles Wesen, die Frau (das Weib überhaupt) als seelenlos, roh, dumm und von wahnwitziger Herrschsucht, die Liebe als eine Falle für den Mann und die Mutterliebe als verderblich für das Kind. In direktem Gegensatz zu der Erklärung, die Strindberg über »Ritter Bengts Gemahlin« abgab, erscheint »Der Vater« wie eine Vertheidigung und Behauptung des Rechtes der Männer, sich selbst zu besitzen. Im Uebrigen würde man diesem Drama ein blutiges Unrecht thun, wenn man es mit dem vorigen vergleichen wollte. Es ist in dem Vater etwas Ewiges, eine unvergessliche Psychologie der besonders weiblichen Schwächen und Laster. Die Einseitigkeit darin ist schneidend und grell, aber was wir hier sehen ist eine Seite des Lebens. Gegen den Schluss wird die Wahrscheinlichkeit durch eine wilde Symbolik abgelöst, aber das Symbol das wir sehen, den durch die Frau gebrochenen genialen Mann in der Zwangsjacke, ist als Sinnbild ergreifend wahr, wenn es auch als Begebenheit kaum möglich ist. Die Stärke der Entrüstung und des Hasses, die das Drama hervorgebracht hat, imponirt. Der Angstruf, welcher diese Tragödie ist, bleibt in der Erinnerung liegen, ergreift und erschreckt; so tief gefühlt und wohl begründet war das Gemüthsleiden, das den Schrei ausgestossen hat.

Die Sammlungen Giftas I und II, von welchen die erstere die beste, die letztere die nachlässigste und paradoxalste ist, schliessen sich gewissermassen dem »Vater« an, indem sie bald mit bitterem Witz, bald mit lustigem Cynismus das disharmonische Thema, Mann und Weib als Paar, variiren. Hieran schliesst sich ferner die Reihe kleinerer Schauspiele, die Strindberg später veröffentlicht hat: »Kameraden«, »Gläubiger«, »Fräulein Julie« und die neuesten, die bisher nur deutsch vorliegen, die aber alle den Krieg zwischen den Geschlechtern schildern, oder, wie Strindberg wohl meinen würde, die Entschleierung des heiligen Bildes zu Sais, alias des Weibes, fortfahren. Er schildert die Frau mit barocker Consequenz durch alle Gesellschaftsklassen von der Köchin zur Baronin als gleich lügenhaft und gleichmassig von den gesellschaftlichen Verhältnissen begünstigt, welche die Naivetät der Männer in ihrem Faveur eingerichtet hat. (Man sehe besonders »Das Band«, Trauerspiel in einem Akt.)

Unter diesen späteren Schauspielen ist »Fräulein Julie« (1888) trotz grosser Sonderbarkeiten das, was am höchsten steht, zunächst durch eine mit unvergleichlicher Meisterschaft gezeichnete Lakaiengestalt.

IV.

1881-1882 erschien das kolossale, illustrirte Werk Strindbergs »Das schwedische Volk«, ein Versuch, die Geschichte Schwedens als reine Kulturgeschichte von dem Gesichtspunkt des Volkes, nicht der Könige zu schreiben. Ein nicht geringes Aufsehen erregte hier u. a. sein kühner Nachweis, dass der für seine spartanischen Tugenden so sehr gerühmte Karl XII. in Wirklichkeit, sogar im Felde, einen ganzen Stab von Köchen und Mundschenken mit sich geführt habe.

1883 gab er die zwei vorzüglichen Bände »Schwedische Schicksale und Abenteuer« heraus, Novellen, deren Stoffe aus dem schwedischen Mittelalter und Cinquecento geholt sind. Einzelne dieser Novellen sind wohl das künstlerisch Vollendetste, das er je geschrieben.

Der hübsche Band »Utopien in der Wirklichkeit« gab in der Form von Wirklichkeitsschilderungen seine Hoffnungen für die Zukunft: Das harmonische Zusammenleben von Mann und Weib in dem Phalanstère Godins (das Strindberg zwei Mal geschildert, bevor und nachdem er es gesehen), das glückliche Zeitalter, wo Kriege zwischen den Völkern Europas abgeschafft sind u. s. w. In diesem Buch ist Strindberg überzeugter Sozialist, »Sozialist wie alle vernünftige Menschen es sind«, heisst es in der Vorrede.

Bald kam jedoch die Zeit, wo der Dichter in seinem Sozialismus nur einen Ueberrest jenes Christenthums, mit welchem er gebrochen hat, zu sehen vermochte. Als er in dem von dem schwedischen Ministerium gegen »Giftas« angestrengten Prozess u. a. des Atheismus angeklagt war, hatte er sich (noch 1885) als Deist bezeichnet, und auch gleichzeitig eine Gedichtsammlung »Nachtwandlernächte« in deistischem Geist geschrieben. Diese mystischen Gedichte sprachen Glauben an Gott und Ehrfurcht vor dem Christenthum aus. Dann folgte der Umschlag so plötzlich, dass selbst diejenigen, die Strindbergs schriftstellerischer Wirksamkeit lange gefolgt waren, denselben nicht sogleich begriffen.

Im Anfang des Jahres 1886 stand in dem Tageblatt »Politiken« eine Fabel, die, nach dem Wortlaute verstanden, entschieden atheistisch war. Ich las diese Fabel im Ausland, glaubte an einen Satzfehler und schrieb an das Blatt, dass irgend ein entscheidendes »nicht« oder ähnliches fortgelassen sein müsse, da die Fabel in ihrer Tendenz ganz gottlos sei. Ich erhielt die Antwort, es sei kein Irrthum begangen. Strindberg sei zwar im Dezember Deist gewesen, sei aber jetzt im März Atheist.

In seinen »Utopien« war, wie schon berührt, der Dichter enthusiastischer Sozialist. Heutzutage hat er den Sozialismus völlig aufgegeben, um »eine Republik mit den Weisen als Selbstherrschern« zu erhoffen. Humoristisch schrieb er vor einiger Zeit in einem Privatbrief selbst darüber: »Aber der Kampf darum, unter den Weisen gerechnet zu werden – o je! ... Sollte ich den Namen meines jetzigen Standpunkts nennen, so müsste er Katheder-Anarchist lauten, d. h. Freiheit für die Besten zum Herrschen.« Und er fuhr fort: »Ein Reichstag wie unser jetziger ohne einen Mann der Wissenschaft, Gerichte wie die jetzigen ohne einen Psychologen, Staatstheater wie die unseren ohne einen Aesthetiker ersten Ranges, und mitten in alle dem eine Universität mit einer Fakultät von Theologen, das heisst von Zauberern und indianischen Medizinmännern, zu oberst schliesslich Offiziere um den ersten Lieutenant des Landes gruppirt – welche Gesellschaft! Darin ist die Demokratie nach 1792 und nach 1848 ausgemündet!«

Im Jahre 1888 fand eine Annäherung zwischen August Strindberg und Friedrich Nietzsche statt. Es war mein Loos, der Vermittler derselben zu sein. Strindberg, der sich eben damals in Kopenhagen aufhielt, war durch die Zeitungsreferate einer Reihe Vorlesungen über die Lehre Nietzsches aufgeregt; es kam ihm vor, als finde er bei Nietzsche Gedanken, die ihm lange vorgeschwebt hatten, besser ausgedrückt, als er selbst es vermocht hätte. Da die zwei seltenen Schriftsteller mit einander bekannt wurden, entspann sich zwischen ihnen ein Briefwechsel, und man kann in einigen der neueren Erzählungen Strindbergs, wie »Tschandala« oder »Am offenen Meere«, den Einfluss Nietzsches deutlich spüren – einen Einfluss, gegen welchen Strindberg in der Zukunft unzweifelhaft reagiren wird, da all zu viel in seiner ursprünglichen Gefühlsweise ihn bekämpft, und da er überhaupt früher oder später gegen jede Beeinflussung reagirt.

Man verweilt unwillkürlich am längsten bei Strindberg als Verkünder, Polemiker, Kämpfer, Agitator. Man ist geneigt zu übersehen, dass er noch vor wenigen Jahren so tendenzfreie und humoristische Wirklichkeitsschilderungen wie »Die Hemsöbewohner« und so einnehmende Landschafts-, Pflanzen- und Thier-Studien wie die geschrieben hat, welche die Sammlung »Blumengemälde und Thierstücke« ausmachen; die letztere zeigt sogar den allwissenden Dilettanten in dem Poeten von einer ganz neuen Seite. Wer kann aber auf einmal alle Facetten eines so vielseitigen Naturells auffassen!

Es scheint, als ob man in Schweden nicht geneigt ist, Strindberg als Dichter volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wenn dem so ist, haben seine Landsleute Unrecht und begehen ein Unrecht, das sie einmal bereuen werden. Denen, welche in Schweden sich von diesem oder jenem bei Strindberg unverhältnissmässig verletzt fühlen, geziemt es, überlegen auf seine Fehler und ehrerbietig auf seine Vorzüge zu sehen. Sie sollten bedenken, wie viel Nutzen dieser Eine Mann durch seine Frische und seinen Muth, ja durch seine Sonderbarkeiten und Ungereimtheiten dem geistigen Zustand in seinem Vaterlande gebracht hat. Sie sollten ihm seine Paradoxien wegen seiner Wahrheitsliebe, seine Wahrheitsliebe wegen seiner grossen Fähigkeiten vergeben, und ihm wieder diese grosse Fähigkeiten deshalb verzeihen, weil sie ihm nicht allzu viel weltliche Ehre und Herrlichkeit eingebracht haben. Sie sollten sich erinnern, dass, wenn er auch bisweilen wild und recht toll wird, er niemals fade ist – und dass, wenn er auch bisweilen barock und engherzig, er bisweilen gross ist. Und dass es im skandinavischen Norden wenige seines Ranges und niemand seiner Art giebt. Und dass er ein so vorzügliches Schwedisch schreibt.


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