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6. Guy de Maupassant.

(1890)

Es war im Jahre 1877, dass eines Tages im Hause eines Russen das starke Verweilen des modernen französischen Romans bei Allem, was sich zur Beschreibung eigne, zur Sprache kam. Alle stimmten darin überein, dass die Neigung, die Prosa-Darstellung der bildenden Kunst zu nähern, in stetem Steigen begriffen sei, während zugleich die Zergliederung der Seelenzustände eine immer sorgsamere und feinere werde.

Ein kosmopolitisch gebildeter Deutsch-Russe brach in die Worte aus: »Die Erzählungskunst ist todt. Bei den Neueren hat man nur die Wahl zwischen Beschreibungen und Analysen. Worauf man wohl nachher verfallen wird?«

Hierauf entgegnete der Wirth langsam, mit Nachdruck: »Ich glaube, man wird zum Style von Manon Lescaut zurückkehren.«

Das Erstaunen war allgemein, und ich erinnere mich, erwidert zu haben: »Das werde ich für meinen Theil wohl kaum erleben.«

Ich habe es nun doch erlebt.

I.

Im Jahre 1880 debütirte in der französischen Litteratur ein junger Mann, der, ohne irgend eine von der modernen Darstellungskunst gemachte wesentliche, werthvolle Errungenschaft aufzugeben, zur alten classischen Erzählermanier zurückgekehrt ist.

Guy de Maupassant ist 39 Jahre alt, macht jedoch in der Litteratur noch immer den Eindruck der Jugendlichkeit. Er ist im Buche wie im Leben eine kräftige, einnehmende Gestalt. Das Wort unwiderstehlich ist das erste, das sich bei der Erinnerung an ihn auf die Lippen drängt. Nicht als ob er, wie vom Anfang an Bourget, durch irgend etwas Feminines Terrain gewonnen hätte. Er ist durchaus männlich, ja, er bot lange Zeit fast ausschliesslich Junggesellen-Lektüre. Noch ist er, wie andere Grössere es waren oder wurden, unwiderstehlich durch eine ureigene Originalität, welche unter hartnäckiger Arbeit allmälig allen Widerstand zu überwinden vermag. Er ist es durch seine Bravour, seinen überlegenen Muth. In seinem Wesen lag eine Ausgelassenheit, eine Keckheit, die mit Sturm die Gemüther eroberte, weil sie nie frivol war, sondern stets im Dienste eines ganz bestimmten künstlerischen Zweckes verwendet wurde. Denn nicht eher trat er auf, als bis er im Besitze der kaltblütigsten Herrschaft über seine Gaben und künstlerischen Mittel sich befand.

Doch bei tieferer Betrachtung beruht diese Unwiderstehlichkeit Guy de Maupassant's in Frankreich darauf, dass ihn ursprünglich und sogleich Eigenschaften auszeichneten, welche zu den unschätzbarsten, ältesten des französischen Stammes gehören, jedoch lange zurückgedrängt und verschmäht, ja förmlich vergessen waren. Von den ersten Zeiten des Romantismus an und späterhin immer mehr und mehr hatte man die französische Sprache gebogen und gestreckt, geschminkt und parfümirt, um sie zum Ausdrucke dessen zu befähigen, was bisher für unsagbar gegolten. Die Romantiker hatten alte Worte aus dem sechzehnten Jahrhundert auf ihr Geweb' gestickt, die Neologen dasselbe mit neuen, von allen technischen Gebieten herbeigeholten Barbarismen getigert. Die Decadenten waren bestrebt, der Sprache auf Kosten der Fasslichkeit einen musikalischen Charakter und dadurch, dass sie die Worte in Nebel hüllten, ein philosophisches Gepräge zu verleihen. Ueberhaupt hatten die Neueren Effectmittel aufgehäuft, wo die Aelteren mit einem Zuge, einem Striche wirkten. Und was die Composition betrifft, so wurde sie nur allzu oft stark vernachlässigt, damit der Verfasser alle Aufmerksamkeit auf die Wiedergabe des Lebens sammeln könnte. Zuweilen auch schob man sie ganz und gar bei Seite, um der Wahrheit allein das Wort zu geben und das Gewöhnliche Tropfen auf Tropfen, in all seiner ermüdenden Einförmigkeit wirken zu lassen, wie in der Tage steter Wiederkehr es sich zu ergeben pflegt.

Da trat nun Einer auf, ein junger Mensch, der eine unanständige Geschichte nach der andern schrieb, Geschichten, die in berüchtigten Häusern spielten oder von deren Bewohnerinnen handelten, ganz haarsträubende Sachen – und dieser junge Mensch war von der ersten Novelle an, die er schrieb, ein Classiker, welcher die ihrem innersten Wesen nach so logische französische Sprache gleich einer in der Sonne blitzenden, blankgezogenen Klinge in leuchtender Klarheit spielen liess, ein Classiker, der immer gesund war, obgleich er fast nie Gesundes darstellte, immer nüchtern, selbst wenn.er, ein seltenesmal im eigenen Namen sprechend, sich warm redete. Er war kein Schilderer von Menschen oder Möbeln, kein Zergliederer von Seelenregungen. Er stellte alles mit wenigen Strichen, mit einem Bilde, einem malenden oder carikirenden Zuge dar, alle Psychologie in Handlung auflösend. In einem Zeitalter und einem Land, wo einige der vortrefflichsten Schriftsteller in Sätzen, die sich halbe und ganze Seiten lang hinzogen, bis das Zeitwort kam, mit Hartnäckigkeit eine Idee, eine Stimmung verfolgten, oder die hunderterlei Blumen eines Treibhauses, die zahlreichen Fisch- und Gemüsearten der Hallen einzeln aufzählten, um auf diese Weise Wirkung zu erzielen, war er kurz, kurz und bündig, kurz und kühn, rücksichtslos sinnlich und ironisch bis zum Cynismus, lustig oder beissend, immer aber kurz.

Endlich zeigte er sich vom ersten Tage an als ein Meister der Composition, verstand, wie nur Wenige, seiner Arbeit Einheit zu geben. – Reinheit des Herzens, sagt Kierkegaard, heisst: Einheitliches wollen. Einheitliches wollen ist auch die Kunst des Meisters. Niemand hat besser als Maupassant verstanden, in einer kürzeren oder längeren Erzählung Alles in eine starke einheitliche Wirkung auf das Gemüth des Lesers aufgehen zu lassen. Diese Kunst der Composition ist jedoch grundfranzösisch. Und grundfranzösisch ist ferner die Wahl dieser Stoffe, die, häufig zugleich sensuell und komisch, dem Hange der französischen Menschenrace, bei der physischen Seite der Liebe zu verweilen, entgegenkommen, sowie ihrer Abgeneigtheit, die gegenseitige Anziehung der Geschlechter empfindsam wie die Deutschen, leidenschaftlich wie die Italiener oder feierlich wie die Spanier zu behandeln. Es finden sich zuweilen Anklänge an das freie, schelmische Wesen der alten französischen Novellisten in Maupassant's Erzählungen. Nur dass diese Schelmerei hier in der Fassung eines weit gefestigteren, vollendeteren Stils erscheint.

Maupassant hat als Stilist die Gabe, scharf zu kennzeichnen, ohne sich ungewöhnlicher Ausdrücke zu bedienen. Ebenso wenig charakterisirt er mittelst vieler Adjective. Er theilt nicht die Verehrung gewisser moderner Schriftsteller für das seltene Beiwort (l'épithète rare). Ein kräftiger Stilist, malt er durch die Hauptpartien des Satzes, durch Substantive und Verben. Er findet mit oder ohne Gleichniss die bezeichnenden Züge, die dem Leser eine Gestalt, eine Situation verlebendigen. So zeichnet er den Demokraten Cornudet mit folgenden Worten: »Zwanzig Jahre hindurch hatte er seinen rothen Bart in die Bierkrüge sämmtlicher demokratischer Cafés getaucht.« Den Notar in »Bel-Ami« charakterisirt er mit nachstehender Scherz-Caricatur: »Der Notar war ein kleiner, ganz runder Mann, um und um rund. Sein Kopf sah aus wie eine Kugel, die auf eine zweite Kugel genagelt worden, und diese wurde wiederum von zwei Beinen getragen, so klein, so kurz, dass sie beinahe ebenfalls Kugeln glichen.« Er schildert in »Stark wie der Tod« die Liebe der Gräfin Guilleroy zu dem Maler Olivier Bertin, indem er ihr Gefühl als das der leidenschaftlichen, hartnäckigen Zuneigung bezeichnet, welche nur die Frauen hegen, die sich Einem ganz und für immer hingegeben haben: Sie lieben nicht blos ihren Geliebten, sie wollen ihn lieben und suchen ihr Inneres so unablässig mit dem Gedanken an ihn zu erfüllen, dass nichts Fremdes einzudringen vermag. Und damit seine Anschauung sich klar in den Sinn des Lesers präge, schliesst er mit dem Bilde: »Sie haben ihr Leben durch ihren Entschluss gebunden, gleichwie Einer, der von einer Brücke ins Wasser springt, wenn er schwimmen kann und sterben will, sich vorher die Hände bindet.«

Guy de Maupassant hat in der Vorrede zu seinem Romane »Pierre et Jean« selbst erzählt, auf welche Weise ihn Flaubert zum Schriftsteller erzog. Flaubert schärfte ihm den alten Satz ein, dass Genie ein langes Gedulden ist. Flaubert war der Ansicht, dass die Aufgabe eines jungen Schriftstellers darin bestehe, Alles, was er ausdrücken wolle, lange genug und mit ausreichender Aufmerksamkeit zu betrachten, um daran eine Seite zu entdecken, die vor ihm noch Niemand gesehen, Niemand dargestellt. Flaubert behauptete, es fände sich an allen Dingen etwas noch nicht Beobachtetes, daher Unbekanntes, das es gelte, ins Auge zu fassen: »Wenn wir ein loderndes Feuer, einen Baum auf einer Flur beschreiben wollen, so haben wir uns vor dieses Feuer, vor diesen Baum so lange hinzustellen, bis sie in unseren Augen keinem andern Feuer, keinem andern Baume auf der Welt mehr gleichen.« Und Maupassant lässt ihn mit den Worten schliessen: »Auf diese Weise wird man originell.«

Wohl zu merken, wenn man es ist. Der blosse Wille macht Niemanden dazu, wie auch Niemand ohne beharrliches Streben dahin gelangt, sein Talent zu entfalten.

II.

Auf den Urstamm seiner Originalität stösst man in seinem ersten Buche »Verse«. Diese einzige Gedichtsammlung, die er herausgegeben, stammt aus dem Jahre 1880. Selten wohl hat sich in Frankreich ein Ruf so rasch begründet. Jenem Erstlingswerke folgten in den abgelaufenen neun Jahren nahe an zwei Dutzend Bände. Es ist das eine geradezu überströmende Productivität, die allerdings zum Theile von dem Verlangen nach einem unabhängigen Dasein und reichem Geldverdienste bedingt gewesen ist, hauptsächlich aber doch von der Leichtigkeit und Kraft, welche die Natur dieses Talentes ausmachen.

Auffallend ist, dass Maupassant, der so wenig lyrisch erscheint, seine Laufbahn als lyrischer Dichter begann. Und obendrein mit guten Versen. Es giebt in Frankreich wie anderwärts Prosaisten unter den Dichtern, die der Reimkunst abhold sind und nie das Mindeste in gebundener Schreibart hervorgebracht haben. Goncourt, Huysmans sind derartige Ausnahmen. In der Regel jedoch debütiren selbst die grossen Prosaisten, Zola zum Beispiel und Daudet, mit Versen. Es bestätigt sich bei diesen Persönlichkeiten wie bei ganzen Völkerschaften, dass der Vers die ursprüngliche Form der litterarischen Production ist. Daudet gab zu allererst eine Sammlung leichter, frischer erotischer Gedichte (Les Amoureuses) heraus. Zola hat wohl nichts dergleichen veröffentlicht, schrieb jedoch in seiner frühen Jugend eine Menge Gedichte, allesammt Nachahmungen der Poesien Alfred de Musset's (gegenwärtig in der von Paul Alexis herausgegebenen Lebensbeschreibung Zola's abgedruckt). Also tappend musste er seinen Weg suchen.

Die Verse Maupassant's, die er in reiferen Jahren als Zola geschrieben, übertreffen die Verse des Letzteren weit an Originalität. Vergleicht man sie jedoch mit denen eines wahrhaft lyrischen Dichters derselben Generation, so ist der Eindruck natürlicherweise kein tiefer. Richepin hat in seinen melodiösen, vielgestaltigen Versen, seinen Gassen- und Vagabundenliedern, der vortrefflichen Sammlung von Liebesgedichten, die den Titel »Liebkosungen« (Les Caresses) führt, in den derberen aber leereren »Gotteslästerungen« (Les Blasphemes) und dem frischen Cyklus »Das Meer« sein ungeberdiges Naturell sich recken und strecken und frei tummeln lassen. Er ist ein Sänger, Maupassant ist ein kecker Erzähler, der die Versform in seiner Gewalt hat. So birgt sich denn auch nur der unaufgeschlossene, unentfaltete Kern seines Wesens in diesen Gedichten, Alles in Allem zwanzig an der Zahl, die er unter dem bescheidenen Titel »Des Vers« herausgab. Am meisten springt hier eine mächtige Sinnlichkeit, gesund, aber heftig, in die Augen. Dieser Zug mag als keine besondere Eigentümlichkeit erscheinen, da doch eine starke Sinnlichkeit bei französischen Dichtern nichts Seltenes ist. Aber sie findet sich eben bei Anderen nicht in dieser Art vor. Zola zum Beispiel ist auf ganz andere Weise sinnlich, so ungefähr wie es Richard Wagner ist. Er schildert in der Regel, gleich Wagner, ein ewiges Sehnen und Begehren, das keine oder eine allzu späte Nahrung findet oder trotz Allem beständig unbefriedigt bleibt. Man denke an das junge Paar in »La fortune des Rougon«, an die Hauptperson in »Son excellence Eugène Rougon«, das ewige Schmachten in »La faute de l'abbé Mouret« oder »Une page d'amour«. Die Begierde, von der er erzählt, endet beinahe stets mit Enttäuschung oder Unglück und ist ihrem Wesen nach ein keuchender, engbrüstiger Trieb, der langes Sehnen und kurze Lust bescheert. Bei Maupassant ist die Sinnlichkeit naturkräftig, ländlich, möchte man sagen. Er verweilt in seinen Versen nicht bei den Qualen, die Cupido zufügt, wohl aber bei den Freuden, die Venus schenkt. Er spricht nicht (wie Richepin) im eigenen Namen, allein er sieht diesen Naturtrieb pantheistisch das Weltall durchdringen und behandelt ihn in grossem Stile, wie mit breitem Pinsel in sicheren Zügen malend. Das Gedicht »Au bord de l'eau« – eine am Flussgestade zwischen einem jungen Manne und einem Wäschermädchen vom Lande spielende Liebesgeschichte – durchweht so stark der Athem der Natur, dass, so irdisch sein Inhalt ist, ein Gedicht über die Liebe der Faunen und Nymphen in seinem Tenor nicht übermenschlicher sein könnte. Oder man greife die grösste Dichtung des Buches, »Vénus rustique«, heraus. Sie erzählt einfach von einem Bauernmädchen, das durch seine Schönheit allen Männern den Kopf verrückt; allein es herrscht darin der berückende Zauber der grossen, antiken Liebesgöttin. Nichts ist hier hässlich oder niedrig. Zwischen den Linien schimmert eine Art von erotischem Naturcultus hervor.

Dies die eine der Saiten, die er gleich anfangs anschlägt.

Während sonach Zola, als der Schwarzseher, der er ist, von Anbeginn in der sinnlichen Begierde eine Quelle des Unglücks erblickt, die Liebe nicht selten mit Abneigung und sogar (wie in »Une page d'amour«) mit Verachtung betrachtet, ja im Grunde gegen das, was Schopenhauer den »Willen zum Leben« nannte, gegen den Trieb, zu leben und Leben mitzutheilen, lange eine pessimistische Bitterkeit empfunden hat – man sehe »La joie de vivre« – trägt Guy de Maupassant stets Sympathie oder doch Nachsicht demjenigen entgegen, den Venus beherrscht. Ja diese wohlwollende Nachsicht erstreckt sich sogar auf die vulgärsten Priesterinnen der Liebe. Es spiegelt sich eine Seite seines Naturells in der Art und Weise wider, auf welche er in seinen Büchern die Courtisane behandelt. Man vergleiche damit die Behandlung, die sie zum Beispiel bei Renan und Zola erfährt. In den philosophischen Dramen, die Renan als älterer Mann schrieb, diesen Schauspielen, die der Einblick, welchen sie in das ungewöhnliche Seelenleben des skeptischen Verfassers gewähren, so ungemein interessant macht, ist Imperia, die grosse Courtisane, mit aufrichtigem, fast an Bewunderung grenzendem Wohlwollen dargestellt. Dieselbe erscheint als Vertreterin der Welt der Schönheit, wie Prospero der Vertreter der Welt des Gedankens ist. Balzac hatte sie in seinen »Contes drôlatiques« mit künstlerischer Begeisterung geschildert, Renan, der symbolisirende Philosoph, erkennt sie als vollberechtigte Erscheinung an, verhandelt mit ihr wie von Macht zu Macht. Zola hingegen ist die Courtisane nichts Anderes als die Dirne, verheerend gleich einer blinden Naturgewalt, unsagbar stupid und gemein ohne doch im geringsten boshaft zu sein, das verächtliche Menschthier, Grund und Ursache lauter verächtlicher Handlungen, in ihrem ureigensten Wesen das ganze Leben lang etwas Ekles, und deshalb in der Sinn und Bedeutung des Daseins entschleiernden Todesstunde ein geradezu anwiderndes Ding – und so schreibt er über sie sein derbes, moralisirendes Buch, das den Titel »Nana« führt.

Maupassant ist der Courtisane gegenüber weder so galant wie Renan noch so streng wie Zola. Er betrachtet sie mit einem Lächeln. Er behandelt sie je nach den Umständen als eine mehr oder minder sympathische, mehr oder minder komische Gestalt, deren Auftreten in der Gesellschaft unausweichlich zu den drolligsten Zusammenstössen und Situationen Anlass gibt (»Boule de suif«, »La maison Tellier«, »Mademoiselle Fifi« u. s. w.). Er führt sie fast nur ein, um die ganze Gemeinheit und Thorheit blosszulegen, welche die reguläre bürgerliche Gesellschaft unter ihrem Ueberzuge von Ehrbarkeit birgt. Denn die Durchschnittsmenschen sind ihm allüberall niedrigstehende Thiere, bald komische, bald widrige Geschöpfe, in der Regel Beides zugleich.

Dies nun die zweite Saite, die er schon in seinen Gedichten anschlägt.

Für deren Klang ist das Gedicht »Die Wildgänse« typisch. Lebhaft wird hier der Flug der über eine düstere Ebene südwärts ziehenden Wildgänse geschildert. Man hört ihr Geschrei, sieht das Doppelband, in dem die Karawane dahinwogt, sieht sie am Himmel sich zu einem grossen, immer breiter werdenden Dreieck entfalten. Pfeilschnell streichen sie dahin, die Hälse vorgestreckt, die Luft mit sausenden Flügelschlägen peitschend. Unterdessen watscheln, steif vor Kälte, ihre zahmen Brüder ernsten Ganges unten auf der Erde. Ein zerlumpter Junge treibt sie, indem er sich dabei ein Stücklein pfeift. Da hört mit Einemmale die watschelnde Schaar das Schreien des wilden Schwarms, der da oben vorbeijagt. Sie erheben die Köpfe und sehen die freien Flieger den Raum durchschneiden. Sie lüften ein wenig die gestutzten Flügel, trippeln ein bischen mit den Füssen. Eine im tiefsten Innern schlummernde dunkle Erinnerung an den ursprünglichen Freiheitszustand, an die Freiheit jener, von denen sie stammen, scheint in ihnen aufzudämmern, und nach oben gewendet heben sie heftig zu schreien an, gleichsam zur Antwort auf das Geschrei der wilden Brüder. Wenige Gedichte spiegeln Maupassant's Gefühlsweise so klar wie dieses ab. Er selbst hat als Seemann, Sportsman, Jäger und Reisender diese Wildgansnatur, und da er ein Zugvogel ist, zieht es ihn stets nach dem Süden, den er liebt.

Der Unterschied zwischen dem bedeutenden Menschen und dem unbedeutenden liegt für ihn darin, dass Freiheit die Lebensluft des ersteren, flügellahme Gebundenheit das Element des andern ist. Er fühlt sich auch in seinem Schriftstellerberufe als die Wildgans, die ihren Schrei über die zahmen Gänse hintönen lässt und hie und da in deren Herzen den alten Traum von Wildheit und Freiheit weckt. Dies sein Gesichtspunkt für die Menge der Menschen rings um ihn her und für den Werth der bürgerlichen Gesellschaft. Was die Civilisation aus den Menschen gemacht hat, ist ihm etwas, was diesen watschelnden Gänsen ähnelt, etwas Hässliches, wenn es von einem Standpunkte, etwas Komisches, wenn es von einem andern gesehen wird. Er schaut auf sie, gleich wie die Wildgänse auf ihre zahmen Verwandten, von oben herab.

III.

Der Blick von oben herab verrieth sich sofort bei seinem ersten Auftreten als Erzähler in einem Meisterwerke, in welchem einige seiner vorzüglichsten Eigenschaften zu Tage traten. Es ist die zuerst in der Sammlung »Soirées de Médan«, später in den »Contes et nouvelles« abgedruckte Erzählung »Boule de suif«.

Bewohner von Rouen wollen bei dem Herannahen der Preussen während des Feldzuges von 1870 aus der Stadt entfliehen. An einem trüben Wintermorgen, wo beim matten Scheine einer Laterne man einander kaum zu unterscheiden vermag, drängt man sich um die Diligence, in die man hineingepfercht wird. Es sind da ein legitimistischer Graf mit seiner gestrengen Gemahlin, ein Grossfabrikant und Millionär mit seiner ziemlich leichtfertigen Gattin, ein reicher, als Kaufmann nicht sehr gewissenhafter, Weinhändler mit seiner dürren Ehehälfte, ein demokratischer Prahlhans, zwei Barmherzige Schwestern und eine wohlgekleidete Dame, von der sich jedoch bei näherer Prüfung herausstellt, dass sie keine Dame, sondern eine stadtbekannte Person ist, rund, fett und gutmüthig, schlecht beleumundet, doch eine eifrige Patriotin. In Folge eines Schneesturms, der zu langem Aufenthalte auf dem Wege nöthigt, indem der Wagen sich kaum vorwärts zu arbeiten vermag, sieht sich nach Verlauf von ein paar Stunden die Gesellschaft in die peinlichste Verlegenheit versetzt. Niemand ist mit Lebensmitteln versehen, und Einkäufe zu machen ist unmöglich, da die Bevölkerung vor dem im Anmarsche befindlichen deutschen Heere geflohen ist. Nur die wohlgenährte, wohlgekleidete junge Person hat einen Esskorb mitgenommen, vollgepfropft mit allerlei leckeren Dingen und mit vier Flaschen Wein. In einem gegebenen Augenblicke breitet sie eine schneeweisse Serviette über die Knie aus und beginnt ihre Mahlzeit zu halten.

Anfänglich hatte ihre Reisegesellschaft sie einen Moment lang von der Seite angesehen, doch nur um in halblauten, verletzenden Ausrufen der Entrüstung über ihre Anwesenheit Luft zu machen; dann war sie ignorirt worden, wie stets das Laster, wenn es in einen sittlichen Kreis sich eindrängt. Nun aber, da die Esslust immer heftiger, immer gieriger sich geltend macht, erweist der Appetit sich stärker als der Enthusiasmus des Demokraten, die Respectabilität des Kaufmanns, der Hochmuth des Fabrikanten, das Selbstgefühl des Adeligen, die Tugend der Damen und die Frömmigkeit der Nonnen. Einer nach dem Andern strecken sie Alle die Waffen und buhlen, mürbe gemacht und kleinlaut, voll Artigkeit gegen die Besitzerin, um den Inhalt des Korbes. Alle politischen, moralischen und religiösen Schattirungen sind in dieser dicht besetzten Diligence vertreten, alle aber capituliren vor dem Esskorbe auf dem Schosse der Dirne.

In dem Hôtel des Städtchens, wohin der Wagen endlich gelangt ist, wird er angehalten. Die Deutschen sind der langsamen Diligence zuvorgekommen. Ihre Truppen füllen die Stadt, und der preussische Lieutenant will der Gesellschaft die Erlaubniss zur Weiterreise nur unter der Bedingung ertheilen, dass Fräulein Elisabeth Roussel ihm ihren Besuch mache. Sie weist diese Zumuthung unter dem Beifalle all der mitreisenden Patrioten mit Entrüstung zurück und steigt dadurch in der Achtung der Gesellschaft.

Doch da das Verbot der Abreise sich als ernst gemeint erweist und unerbittlich aufrechterhalten wird, bemächtigt sich der Gesellschaft eine leicht begreifliche Ungeduld, und auf die preussenfeindliche Dame wird alsbald eine gelinde, allmälig aber immer stärkere Pression geübt, um sie zum Aufgeben ihrer patriotischen Scrupel zu bewegen. Von allen Seiten wird sie so lange von der ehrbaren Gesellschaft bestürmt, ihre Vorurtheile gegen die fremden Gewalthaber fahren zu lassen und einer Forderung nachzugeben, deren Nichterfüllung den Plänen ihrer Mitreisenden so empfindlichen Eintrag thut, bis sie in heller Verzweiflung sich endlich widerstrebend fügt, und auf diese Weise die Ermächtigung zur Weiterreise erlangt wird.

Als sie jedoch in der Frühe des nächsten Morgens, die Späteste von Allen, ihren Platz in der Diligence einnimmt, da ist die Ordnung der gebildeten, ehrbaren bürgerlichen Gesellschaft in ihre alten Rechte wieder eingesetzt. Der gähnende Abgrund zwischen Tugend und Laster hat sich aufs neue aufgethan: Niemand kennt, Niemand grüsst sie. Ja, als im Laufe des Tages Alle ihre wohlgespickten Speisekörbe hervornehmen, während in ihrem Besitze sich auch nicht der kleinste Mundvorrath befindet – haben doch diesen die Mitreisenden seinerzeit bis auf den letzten Bissen, den letzten Tropfen vertilgt – muss sie den Tort erleiden, dass Alle sich gütlich thun und sie vor Hunger verschmachten lassen ohne sich auch nur im geringsten daran zu kehren.

Bewundernswürdig in dieser kühnen Novellette ist die Composition. Aufs schärfste charakterisirt sie, was Maupassant zu beleuchten wünscht; mit Genialität legt sie jede lächerliche Gemeinheit bloss, die in all diesen Gemüthern – ob der Färbung nach religiös oder irreligiös, politisch oder unpolitisch, bonapartistisch, legitimistisch oder republikanisch – in dieser ganzen guten und mittelguten Gesellschaft verborgen lag. Gleichwie der Rattenfänger von Hameln mit seinem Spiel die Ratten aus ihren Schlupflöchern lockte, so versteht es Maupassant, die allzu menschlichen Eigenschaften aus ihren dunklen Verstecken in den Herzen hervorzulocken. Er erfindet eine Situation, eine Verwicklung, ein völlig unerwartetes, ungewöhnliches, aber auf äusserst natürliche Weise herbeigeführtes Zusammentreffen von Umständen, welches geeignet ist, jede schmeichelnde Täuschung, der wir uns über die Menschen der civilisirten Gesellschaft hinzugeben geneigt sein könnten, von Grund aus zu zerstören. Welche Ironie! Und niemals Ironie in Worten. Der Witz ist niemals im Vortrage selbst, immer nur ist es die stumme, furchtbare Ironie der Thatsachen, die das Gelächter hervorruft. Und keine Uebertreibung. Eine so bittere Misanthropie auch dahinter liegt, es ist Alles natürlich und die Munterkeit und Frische des Erzählertones lässt Alles spielend dahingleiten.

Man lese vergleichshalber die Novelle »En famille«, die unter einer aus Mann, Frau und mehreren Kindern bestehenden Beamtenfamilie sich abspielt. Die Mutter des Mannes, Frau Caravan, die nahe an Neunzig, aber noch rüstig ist, wenn sie auch ab und zu an Ohnmachtsanfällen leidet, wohnt, von der Frau gehasst, doch der verhofften Erbschaft halber im Hause behalten, bei der Familie des Sohnes. Die Frau ist überzeugt, dass sie und die Ihren in dem Testamente der Alten mit einem grösseren Antheile bedacht sind als die verheirathete Schwester ihres Mannes mit deren Gatten. Herr Caravan hat seine alte Mutter herzlich lieb. Dass seine Frau ewig auf sie schilt, besonders wegen des Geizes der Alten, und um jeder Kleinigkeit willen mit ihr hadert, ist ihm eine stete Qual.

Eines Tages, unmittelbar nach einem fürchterlichen Zank, findet eines der Kinder die alte Dame leblos auf dem Boden ausgestreckt – ein Vorfall, der im Manne alsbald die aufrichtigste Verzweiflung, bei der Frau einen plötzlichen Uebergang von der heftigen Wuth zu gutgespielter Trauer und stillem Weinen hervorruft. Ein Assistent beim Spitale, der bei der Familie als Hausarzt fungirt, wird gerufen. Er constatirt den eingetretenen Tod.

Der Todesfall hat das Mittagmahl der Familie unterbrochen. Die Frau wünscht nun, dass es fortgesetzt werde, und ladet den Arzt dazu ein, der denn auch mithält. Allmälig langen alle zu, trotz der Trauer, und in der Gemüthsbewegung trinken alle ein wenig zu viel. Mann und Frau gehen früh zu Bette, um ein wenig zu ruhen, ehe sie bei der Leiche Wache halten. Während er jedoch am Tage eine Krise wahren Schmerzes durchgemacht, in deren Verlauf er, in komischer Hilflosigkeit, sogar in dem Café, das er zu besuchen pflegt, um das Mitleid der Leute gebettelt, hat sie ein einziger Gedanke beherrscht: das Testament. Und kaum sind sie zu Bette, als sie sich auch schon bei ihm danach erkundigt. Sie ist voll Aufregung, dass es sich nicht findet, und nöthigt ihm sofort seine Einwilligung ab, den zweiten Erben so spät als möglich von dem Todesfalle zu benachrichtigen, damit sie Zeit gewinne, einige der werthvolleren Habseligkeiten aus der Wohnung der Schwiegermutter herab in die ihrige zu schaffen. Der Mann will an das Ministerium ein Telegramm senden, sein Ausbleiben am nächsten Tage zu entschuldigen. Die Frau macht ihm jedoch begreiflich, wie unnöthig dies sei, und er selbst kann nicht umhin, sich mit einer gewissen Befriedigung die Miene des Chefs zu vergegenwärtigen, wenn er dessen unvermeidliche Vorwürfe über sein Ausbleiben durch die einfache Eröffnung zum Verstummen bringt: »Meine Mutter ist gestorben.«

Im Nachtgewande trägt nun das Ehepaar die Stutzuhr und die Commode mit der Marmorplatte aus den Zimmern der Alten über die Treppe herab, um, bevor die übrigen Mitglieder der Familie erscheinen, sich derselben zu versichern. Die Sachen der Verstorbenen werden aus der Commode genommen und anderwärts untergebracht. Darauf schlafen Beide süss, und den nächsten Morgen wird der noch kaum zur Besinnung gekommene Gatte ausgeschickt, die Todesanzeige zu erstatten, die Leichenschau zu veranlassen, den Sarg, den Leichenwagen, den Trauergottesdienst, die schwarz geränderten, gedruckten Mittheilungen an die Bekannten zu bestellen und endlich den Verwandten ein Telegramm zu senden. Unterdessen ziehen zuerst die Kinder des Hauses treppauf treppab, die verlassene Todte zu sehen, wonach allmälig eine förmliche Wallfahrt aller der vielen Gassenkinder entsteht, die sich leise hinaufstehlen – doch bald sind auch sie des Anblicks müde, und die alte Frau Caravan bleibt allein in dem ausgeplünderten Zimmer zurück. Gegen Mittag besinnt sich die Schwiegertochter, dass ihr zwei Kerzen zu statten kommen könnten, und möchte daher zwei von jenen, die bei der Leiche brennen, ersparen. Sie schickt eines der Kinder hinauf, sie zu holen, aber dieses stürzt alsbald mit der entsetzlichen Nachricht herbei, Grossmutter kleide sich eben an. Es ist eine Lethargie gewesen, sie hat im Scheintode Alles vernommen, nur nicht reden können.

Die Alte kommt ruhig die Treppe hinab. Und während nun ununterbrochen an der Thürklingel gerissen wird und die zu früh in Bewegung gesetzten Behörden erscheinen, während das Packet mit den bestellten Todesanzeigen gebracht wird, erfolgt Schlag auf Schlag die Ankunft der telegraphisch herbeigerufenen Verwandten, die Entdeckung der Alten, dass ihre Möbel in die untere Etage geschafft worden seien, ihre kurze Bitte: »Du wirst so gut sein, meine Sachen wieder hinaufzutragen«, ihr an die Tochter gerichtetes Geheiss: »Du kommst morgen mit deinen Kindern«, was gleichbedeutend ist mit einem Testament zum Schaden des Sohnes und dessen Gattin, endlich als Krone des Ganzen Herrn Caravan's Ausruf: »Was in aller Welt soll ich morgen meinem Chef sagen!«

Eine beissendere, ergötzlichere Studie über die Habsucht in ihrem Conflict mit der Pietät und den Familiengefühlen dürfte kaum zu finden sein. Ueberaus fein ist besonders bei dem Manne das Gemisch von wahrer Liebe zu der Mutter, von wahrer Trauer über deren vermeintlichen Tod und von Rücksicht auf das Eigen-Interesse, wie Madame es bei ihm angefacht, gezeichnet. Endlich auch hier wieder, wie bei der erstgenannten Novelle, die eindringliche, heitere Ironie der Begebenheiten. Die Wiedererstandene, die stumm den Verwünschungen über ihren Geiz zugehört, Zeugin gewesen, wie ihre Möbel fortgeschleppt wurden, und sich ihre Kleider aus einem alten Schubkasten hat hervorklauben müssen; sie rächt sich jetzt, indem sie die Schwiegertochter am empfindlichsten Punkte trifft. Auch hier wieder dieselbe Lust, in den Männern und Frauen der bürgerlichen Gesellschaft das komische und niedere Thier zu zeigen.

IV.

Neben dieser Neigung, die Respectabilität und die Gemeinheit in Komik aufzulösen und ein komisches Element dem sensuellen beizumischen – was so ganz altfranzösisch, so echt gallisch ist – macht sich bei Maupassant in den Novellen sowohl wie in den Gedichten ein starker Hang geltend, den Naturtrieb in seiner Gewaltsamkeit und seinen barocken oder unglücklichen Folgen zu schildern.

In nicht weniger als drei kleinen Novellen sucht oder findet ein Mann seinen unehelichen Sohn. In »Monsieur Duchoux« findet der Vater denselben früh gealtert, kahlköpfig, wohlhabend, von plumpem, eingebildetem Wesen – und verspürt deshalb auch nicht die geringste Regung eines verwandtschaftlichen Gefühls für ihn. In »L'abandonné« findet der Vater einen Sohn, von dessen Existenz er keinerlei Ahnung gehabt, auf dem Lande als einen Idioten, der jede Gabe, mit der man sein Loos lindern möchte, vertrinkt. In einer dritten Erzählung, deren Name mir nicht gegenwärtig ist, finden die vornehmen Eltern ihren illegitimen Sohn auf dem Lande als einen wohlhabenden Hüfner von kurz angebundenem Wesen, der sie keines Blickes würdigt.

In den grösseren Erzählungen, die man Romane nennt, beschränkt sich indess Maupassant selbstverständlich nicht darauf, seine Lebensbilder mit so wenigen Zügen zu skizziren. Es sind bald derber, bald feiner geschriebene Bücher. Die älteren, wie »Bel-Ami«, führen eine rücksichtslos freie Sprache, die späteren, wie »Fort comme la mort« oder »Notre coeur«, sind in ihrem Vorwurf fast krankhaft verfeinert, in ihrem Stile wärmer und bewegter, immer aber sind es Werke, die, reichhaltig und vielseitig, sich nicht auf Eine Pointe zurückführen lassen.

Eines giebt es indess, wovon in letzter Instanz alle diese Erzählungen handeln, worauf sie alle hinauslaufen. Es ist, was die Franzosen »le désenchantement de la vie« nennen, die Art, wie das Leben seinen Reiz verliert. Anfangs erscheint dasselbe durch die Vorstellungen von seinem Werthe so verschönt, dass es einen unwiderstehlichen Zauber ausübt und der Jüngling oder das junge Mädchen den Gedanken, diesem mit so vielen Hoffnungen, Verheissungen, Versprechungen umgebenen Dasein je entsagen zu sollen, kaum zu fassen vermag. Dann zeigt Maupassant, dass diese Verheissungen sich nicht erfüllen, warum sie nicht in Erfüllung gehen, und wie dies kommt.

»Une vie« erzählt die Geschichte einer feinen, braven Frau. Sie besitzt nicht eben viel Sinn für die Wirklichkeit, ist fast wehrlos im Kampfe ums Dasein, ausser Stande, sich in vernünftiger Weise zu Entschlüssen aufzuraffen, geneigt, sich Illusionen hinzugeben, geneigt, in Entrüstung aufzuflammen. Der Mann, den sie geliebt und geehelicht, entpuppt sich als eine kalte, brutale Natur, als kleinlich, wüst und geizig. Und da sie von ihm befreit wird und sich an ihren Sohn klammert, beginnt dieselbe Tragicomödie, die der Vater mit ihr gespielt, von vorne mit dem Sohne. Er beutet seine Mutter, bei der er sich nie blicken lässt, aus, ist roh und dumm, hartherzig und gleichgiltig. Wenn am Schlüsse des Buches der Enkel ihr in den Schoss gelegt wird, da ist Einem, als verlöre sich der Blick in eine endlose Perspective. Damit der Eindruck der Wehmuth nicht gar zu sehr überwiege, ist als Gegengewicht zu der allzu grossen Sensibilität der Hauptperson der derbe, gesunde Verstand einer normannischen Bauersfrau hingestellt.

In »Mont-Oriol« – einem leichteren, unterhaltenden Buch – sehen wir gleichfalls ein junges Weib, ein exaltirtes Wesen, anbeten und enttäuscht werden. Der junge Mann, an den sie sich gekettet, wird, flüchtig, wie seine Natur ist, ihrer überdrüssig. Von der Folie einer starken Komik, die mit der Gründung und dem systematischen Verleumdungsklatsche eines modernen Curortes verbunden ist, hebt sich ihr Schmerz wie der thörichte Leichtsinn seines Wesens ab. Er verlässt dieses feine, erlesene weibliche Geschöpf, das sich ihm in freier Liebe hingegeben, um in seiner Dummheit sich für immer und für nichts und wieder nichts – denn er verzichtet auf eine Mitgift – an eine kleine, unbedeutende, hübsche Bauerndirne zu ketten, deren Courmacher seine Eifersucht erregen.

»Bel-Ami« handelt von einem jungen Manne, der ganz talentlos ist und bleibt, jedoch durch seine grobe Schönheit, eine Stallknechtschönheit, deren Zauber die Frauen, vornehme und gewöhnliche, junge und ältere, zu Dutzenden besiegt, sowie durch eine in der Schule des Lebens allmälig erworbene Rücksichtslosigkeit, die, vollkommen roh und gemein, sich gleichwohl als das zum Siege Verhelfende erweist, grossen Reichthum erwirbt und zu den höchsten Stufen der Gesellschaft emporsteigt. Hier sind es nicht die Personen, der Leser ist es, der aus allen Illusionen in Bezug auf die Gerechtigkeit des Weltlaufes gerissen wird.

Während in der dänischen Litteratur Adam Homo eine rein passive Gestalt ist, die, Alles vermeidend, was ihr hinderlich sein könnte, sich von den Umständen tragen lässt, ist hier der Held activ, ja energisch, und Alles liegt zuletzt auf den Knieen vor dem Glück, das er seiner dreisten Gemeinheit zu danken hat.

In diesem Romane kommt eine Stelle vor, die einem von da ab bei Maupassant stets wiederkehrenden Gedanken Ausdruck giebt. Bel-Ami begleitet eines Abends den alten Dichter Norbert de Varennes nach Hause. Wehmüthig bemerkt ihm da der Alte, es komme ein Tag, an dem es mit dem Lachen vorüber sei, weil hinter Allem der Tod hervorblicke. So lange man jung sei, wisse man nicht, was das bedeute, der Tod, später aber werde der Gedanke an ihn fürchterlich. Er entwürdigt, verunstaltet uns Tag für Tag, beraubt uns der Zähne und der Muskelkraft, der Farbe des Haares, der Glätte der Haut. Er lässt den Menschen verwittern. Ihm nähert uns jeder Schritt. Jeder Athemzug ist ihm behülflich bei seinem grausen Werke. Athmen, Schlafen, Essen, Arbeiten, Träumen, Alles, was wir thun, es ist ein ewiges Sterben. Kurz gesagt: Leben ist Sterben! Und er schliesst: Ueberau erschaue ich den Tod. Das Gewürm, das mein Fuss auf dem Wege zertritt, die fallenden Blätter, das weisse Haar im Barte eines Freundes, Alles giebt mir einen Stich ins Herz und ruft mir zu: Da ist er! Die hier dem Poeten in den Mund gelegte Melancholie, sie drängt sich bei Guy de Maupassant allmälig immer stärker hervor. Diese stete Beschäftigung mit Gedanken an das Alter und den Tod, wie sie hier charakterisirt ist, wird ein immer deutlicherer Zug seiner Production. Höchst bezeichnend für die Schwermuth, den Pessimismus und die Todesgedanken im Vereine ist die phantastische Novellette »La morte«, in welcher der Erzähler eines Nachts auf dem Kirchhofe die Todten aus ihren Gräbern sich erheben, die lügenhaften, preisenden Inschriften der Leichensteine auslöschen und statt derselben schreckliche Wahrheiten über sich selbst hinschreiben sieht.

Es scheint, dass die bei Maupassant sich mehr und mehr geltend machende Schwermuth einestheils das komische Element in seinen schriftstellerischen Arbeiten stark in den Hintergrund gedrängt, anderntheils einen zunehmend verfeinernden Einfluss auf seine Kunst geübt hat. Dass man sich auf die Schilderung gewöhnlicher Vorfälle und Situationen beschränken müsse, hat er nicht einmal in seiner Jugend geglaubt. Nun aber ist er auf dem besten Wege, sich auch von dem Glauben der intransigenten, naturalistischen Gruppe, dass in modernen Büchern nur gewöhnliche, unbedeutende Menschen zur Darstellung kommen dürften, loszumachen. Vor Allem aber hat er kürzlich ganz neue Töne angeschlagen und zeigt sich in seinem ergreifenden Werke, dem Romane: »Fort comme la mort«, weich, warmherzig, voll Empfindung, frei von seiner gewohnten, fast principiellen Menschenverachtung, dabei im Stile zart bis zur Verschämtheit. Dieses fesselnde Buch, welches die nicht seltene Erscheinung, dass die Leidenschaft eines Mannes von der Mutter auf die Tochter übergreift, zum Inhalte hat und die überwältigende Macht einer Liebe darzustellen sucht, die stärker als Vernunft und Lebens-Philosophie, ja stärker als ein vieljähriges, durch zärtliche Hingebung gefestetes Zusammenleben ist, dreht sich gleichwohl nicht eigentlich um diese allmächtige, todbringende Eigenschaft der Liebe. Es zeigt sich allerdings, dass sie die Macht hat, Mann und Glück zu zerschmettern, wenn ein Wesen ohne Widerstandskraft, mit voller Empfänglichkeit für sie ihr in den Weg tritt. Allein der Idee des Buches nach kann nur der ältere Mann also getroffen werden, nur er, den der Jugend überströmende Lebensfülle bereits verlassen hat. Die Krankheit wirkt bloss auf einen nicht mehr vollkommen lebenstüchtigen Organismus tödtlich. Näher betrachtet, ist es indessen doch nur wieder das Thema vom Alter und Tode, das hier Alles beherrscht. Der innerste Kern des Ganzen ist einfach, was es für Mann oder Frau heissen wolle, alt zu werden. Das ist's, was mit einer tiefen, stillen Melancholie, wie man sie dem ausgelassenen, glänzenden Maupassant nicht zugetraut hätte, studirt, erforscht worden. Giebt es eine zweite Erzählung, die so wie diese das angstvolle Ankämpfen des liebenden Weibes gegen das Alter schildert, das, unerbittlich nahend, sie Tag für Tag immer sichtlicher entstellt?

Vor einigen Jahren schrieb Paul Bourget in einem Privatbriefe über Maupassant: »Je lui voudrais moins de possession froide de soi-même, une angoisse de quelque chose d'autre et pour tout dire une conception de la vie plus tourmentée.« Es hatte eine zeitlang den Anschein, als hätte Maupassant mit seiner auf einen etwas engen Kreis beschränkten, ein- für allemal angenommenen Lebensanschauung sich es ziemlich leicht gemacht. Nun zeigt es sich, dass auch er gar wohl in die Tiefe zu gehen vermag. Selbst zur feinen Analyse der Empfindungen ist er, der so lange seinen Stolz dareinsetzte, alle Psychologie in Handlung umzusetzen, nunmehr gelangt. Man achte z. B. auf die gleich anfangs in »Stark wie der Tod« vorkommende sorgsame, eingehende Darlegung von dem Seelenzustande des Malers, als er sich die Frage vorlegt, ob er auch wirklich in die Gräfin Guilleroy verliebt sei. Es findet sich freilich in diesem Roman noch so etwas wie ein Ueberrest des naturalistischen Credo, und zwar in dem Zuge, dass die männliche Hauptperson so wenig Künstler ist (»gar kein Künstler«, verbesserte Maupassant einem Besucher, der jene Bemerkung fallen liess). Jedenfalls versteht man, dünkt mich, nicht zur Genüge die ungeheure Leidenschaft, die diesen Mann ohne Genialität, der ein halbes Jahrhundert auf dem Rücken hat, für ein blutjunges Mädchen erfasst. Wäre er ausgeprägter künstlerisch veranlagt, mit grösserer Begabung, mehr Phantasie und Feuer ausgestattet, die wilde Leidenschaft hätte ganz anderen Zündstoff vorgefunden.

Maupassant wendete dagegen ein, dass er bei Männern, welche so wenig Künstlernaturen sind wie sein Bertin, in diesem Alter derartige Leidenschaften entstehen gesehen habe. Als Beispiel nannte er den Namen eines bekannten Schriftstellers.

Der Roman »Notre coeur«, die letzte und vielleicht am meisten aus dem Leben gegriffene Arbeit Maupassant's, in der er noch einen Schritt weiter in der Richtung der psychologischen Methode Bourget's gethan, behandelt das Thema von der Entzauberung des Lebens womöglich noch in eindringlicherer Weise. Er thut hier dar, dass in einer übercivilisirten Gesellschaft, wie der Parisischen, wo man keinerlei andere ernstliche Beschäftigung kennt, als zu lieben, man selbst hiezu die Gabe verliert. Es verlieren sie die Frauen in Folge einer weltlichen Verfeinerung, welche die leibliche Hingebung scheut, oder gegen sie gleichgiltig macht; es verlieren sie die Männer kraft eines Dualismus zwischen ihrem sinnlichen und seelischen Liebesdrange, in den das Verhältniss der verfeinerten Frauen zu ihnen sie hineinzwingt.

V.

Es ist gar früh, dass die »Désillusion«, der Gedanke an das Alter und die Auflösung ihren Wermuth in den reichen Kelch mischten, den das Leben Maupassant credenzt, einer Natur, die ursprünglich mit all den frischen, wilden Instincten des Urmenschen ausgestattet erschien. Wahrscheinlich haben allzu viele Arbeit und allzu viel Genuss die unangreifbar scheinende Gesundheit seines Wesens untergraben. So oft er kann, wendet er Paris, dessen lärmendes Treiben sein Nervensystem auf die Dauer nicht verträgt, den Rücken, und er pflegte früher monatelang als Seemann auf seinem Fahrzeuge im Mittelmeere zu leben. Jetzt greift auch die Seeluft seine Nerven an. »C'est le metier«, giebt er als (nicht eben ausreichende! Ursache an. Es wird ihm nun nicht mehr Seeluft, sondern ausschliesslich Gebirgsaufenthalt verordnet. Vielleicht wird dieser seine litterarische Production mit einer neuen Art von Natureindrücken bereichern.

Was er an Landschaften bisher am besten dargestellt, ist die an und für sich wenig anziehende Natur seiner heimathlichen Normandie. Aber er ist mit keiner andern besser vertraut, und er entwickelt hier dieselbe genaue Kenntniss der Wirklichkeit, dieselbe Wahrheitstreue, wie in seinen zahlreichen meisterhaften Schilderungen der Gefühlsweise und der Sitten normannischer Bauern und Grundbesitzer. Mit grosser Vorliebe verweilt er ferner bei der Landschaft der Umgebung von Paris, die er als eifriger Rudersportsman bei seinen Fahrten auf der Seine bei Tag und Nacht in- und auswendig kennen lernte. Endlich gab er in seinem Buche »Au soleil« Bilder des afrikanischen Südens.

Am eigenthümlichsten erscheint er vielleicht überhaupt in seinem Verhältniss zu den Natur-Umgebungen durch eine nur ihm eigene Naturpoesie. In »Sur l'eau« giebt er z. B. die geheimnissvolle Schönheit eines Flusses, dessen seltsames, unheimliches Nachtleben, dessen Mystik und den panischen Schrecken wieder, der sich zuweilen desjenigen bemächtigt, welcher zur Nachtzeit einsam im Boote auf den Wassern Aufenthalt genommen. Anderwärts verräth er einen Hang, Naturwesen und Natureindrücke mit Eindrücken aus dem Menschenleben zu parallelisiren. In »Un soir«, der den Fischfang an der Küste Afrikas schildert, fängt die Hauptperson den achtarmigen Tintenwurm, dieses See-Ungeheuer, das in der französischen Poesie eine so grosse Rolle spielt (la pieuvre bei Victor Hugo). Die Art und Weise, wie Tremoulin das gefangene Thier misshandelt, über dem Kohlenbecken des Bootes dessen Fangarme verbrennt und es mit Messerstichen tödtet, symbolisirt hier deutlich den Hass gegen das Weib, das ihn verrathen und herabgewürdigt hat.

In der Erzählung »Une partie de Campagne« ist die Liebesseligkeit eines jungen Paares durch die Töne der Nachtigall angedeutet, die im Gebüsch über ihren Häuptern erschallen. Es heisst daselbst: »Ein Rausch überkam den Vogel, und dessen immer hastiger und hastiger werdender Sang schien die Musikbegleitung zu einem Knittern unter dem Baum, das wohl von Küssen herrührte, abzugeben. Nun ergriff diese Kehle mit ihrem Wohlklange eine förmliche Raserei. Bald hielt der Vogel lange einen einzelnen Ton, bald befielen ihn grosse melodische Spasmen. Zuweilen rastete er ein klein wenig und liess nur zwei, drei klare Töne, die plötzlich mit einem schneidenden Laute abschlossen, hören. Dann liess er abermals die Töne zitternd, sprudelnd einander wie im Sprunge jagen, in einem leidenschaftlichen Liebeslied, das mit einem Triumphschrei endete.«

Diese Vertrautheit mit der Natur giebt Maupassant, dem Freiluftmann, eine gewisse Ueberlegenheit über seine Zeitgenossen, so über Paul Bourget, der in seiner schärferen Intelligenz und reicheren Bildung mehr Sinn für die Ausstattung eines eleganten Hauses, für Luxus und Comfort, als für Wiese und Fluss, Pflanze und Thier verräth.

VI.

In Bourget's Sammlung »Pastellen« befindet sich eine reizende Novelle: »Gladys Harvey«, die von einer jungen Arbeiterin erzählt, welche die Lectüre eines Romans des Schriftstellers Jacques Molan so begeistert hat, dass sie völlig in den Wunsch aufgeht, den Verfasser des Buches kennen zu lernen. Es kommt ihr der Gedanke, Centime um Centime, Franc um Franc zusammenzulegen und sich mit dem Ersparten eine Toilette anzuschaffen, elegant genug, dass sie Jacques Molan mit einiger Aussicht, sein Gefallen zu erregen, in seiner Behausung aufsuchen könne. Sie hat seine Biographie gelesen und weiss, dass er unverheirathet ist. Durch Wunder von Sparsamkeit erreicht sie nach Verlauf von zehn Monaten ihr Ziel, ist wie eine Dame gekleidet und begiebt sich auf den Weg nach seinem Landhause. Sie zieht die Glocke. Er ist nicht zu Hause, ist mit einem Freunde nach Paris gefahren. Auf ihre Frage, ob er noch denselben Tag zurückkehre, erwiedert der Gärtner: »Ich werde Madame fragen.« Und nun gewahrt sie im Hause eine schlanke, hübsche Frau mit blonden Haaren. Dieser Anblick trifft sie wie ein Blitzschlag. Auf einmal wird es ihr klar: er lebt mit einer Geliebten, und verzweifelt kehrt sie nach Paris zurück, um bald darauf zur Cocotte herabzusinken. Das Geschichtchen ist wahr. Maupassant ist es begegnet, er selbst hat es Bourget erzählt. In Wirklichkeit wie in der Erzählung war die vermeintliche Geliebte eine Freundin des Freundes, der Maupassant nach Paris begleitet hatte.

Die Anekdote zeigt, welchen Enthusiasmus der so wenig weibische Maupassant bei Frauen, selbst bei jenen, die der Cultur ermangeln, zu erwecken vermag. Die Natur seiner Gaben musste ihn nothwendig sofort zum Liebling der Demi-monde wie der männlichen Jugend Frankreichs machen. Allmälig aber drang er, populär wie sein Talent dem ganzen Wesen nach ist, überall durch, in Paris wie in den Provinzen, in Russland wie in Frankreich.

Lässt man die trefflichsten der nunmehr der älteren Generation angehörenden Schriftsteller Frankreichs im Geiste an sich vorüberziehen, so vertheilen sich Stärke und Schwäche bei ihnen folgendermassen: Edmond de Goncourt ist der feinste, am tiefsten eindringende Erforscher der Seele, vom Standpunkte des Nervenlebens betrachtet. Bei seinen Personen sind die Nerven wie bei Geschundenen oder in einem anatomischen Präparat blossgelegt. Und er ergreift und martert unsere Nerven. Wenn er z. B. den Entwicklungsgang einer Krankheit schildert, kann es keinen schonungsloseren Peiniger des Lesers geben, als ihn. Seine tiefgehende Originalität hat etwas mit krankhafter Verfeinerung Verwandtes. – Zola ist der mächtigste, den weitesten Kreis beherrschende Abbildner des socialen Lebens der Gegenwart. Er versucht, mit allen seinen Romanen ein grosses, einheitliches Werk zu bilden, einen Bau mit cyklopischem Unterbau, mit schweren Mauern, voll Leben und Licht, Duft, Gestank und Rauch; eine drückende Atmosphäre lagert darüber. Seine Eigenschaften sind die des gigantischen Arbeiters. Er ist derb und breit, oft erschrecklich breit. Massiv wie er ist, geht er vorzugsweise auf Massenwirkung aus. Er schildert einzelnes Derbkomisches, er selbst aber bleibt dabei unverbrüchlich ernst. Niemals ein Lächeln, nie eine heitere Stimmung. Stets ein Werk, nie ein Scherz. Goncourt ist so urmodern, dass nichts in der älteren französischen Litteratur auf ihn hinweist. So wie seine sprachlichen Bestrebungen dem Wesen der französischen Sprache widerstreiten, so ist er selbst in vieler Beziehung ein unfranzösisches Phänomen oder, richtiger, er erweitert den Begriff des Franzosenthums. Auch Zola mit seinem Mangel an Leichtigkeit und Witz, seinem Hang, durch Ueberfülle zu erdrücken, seinem wuchtigen Ernst und dem derben Gepräge seiner Persönlichkeit ist nichts weniger als ein rein französischer, litterarischer Charakter. Es ist viel vom Italiener in ihm.

Alphonse Daudet endlich erscheint unter den französischen Erzählern als der fühlende Künstler. Er wirkt von allem Anbeginn als Dichter durch sein »unter Thränen lächeln«. Er hat nichts von der Rauhheit, die oft das Merkmal sehr bedeutender Künstler ist. Sein Talent ist von einschmeichelnder Anmuth. Allerdings trieb er anfangs Verschwendung mit dem Mitleid, was ihn ab und zu unangenehm empfindsam machte. Er hatte jedoch nicht blos die Gabe, den Rührseligen Thränen zu entlocken, er besass auch die, das Dumme und Gemeine höchst komisch erscheinen zu lassen, ja die Gabe, komische Typen zu schaffen, so dass er frühe in den streng geschiedenen Reichen des Weinens und Lachens sich als Herrscher bekundete.

Mit Einem Schlage vermag er seinem Leser vielerlei Eindrücke zu vermitteln, oder genauer, mit einem einzigen Griffe viele Saiten unseres inneren Saitenspieles anzuschlagen, so dass wir von Eindruck zu Eindruck gleiten. Er ist weit nationaler als Zola, aber er ist Südfranzose, der Südländer mit dem geschmeidigen Erzählertalente und der reichen Mimik, erfinderisch, unterhaltend, bunt, der echte Provençale mit dem schärfsten Blick für die Laster und Gebrechen des Provençalen. Leider war er ziemlich lange zu sehr von Dickens beeinflusst, um den Eindruck voller Originalität zu machen, und nur in seinen vorzüglichsten Arbeiten ist es ihm gelungen, sich von aller Sentimentalität frei zu halten.

Keiner dieser älteren Erzähler, noch auch kaum irgend einer der Zeitgenossen ist so französisch wie Guy de Maupassant. Im Vergleich mit ihm ist Bourget ein Kosmopolit und Huysmans ein Niederländer. Er ist der eigentliche Gallier in dem Kreise der grossen Erzähler, nie ein Peiniger wie Goncourt, nie breit wie Zola, nie sentimental wie Daudet. Et; geht nicht so tief wie diese. Werke wie »L'Assommoir«, »Sappho«, »Manette Salomon«, sind aus einem ungleich ernsteren Menschenstudium hervorgegangen. Aber er ist noch jung, und seine unbestreitbare Begrenzung ist keine eigentliche Unvollkommenheit, denn trotz seiner Oberflächlichkeit, wo eine solche sich vorfindet, ist er doch immer classisch, d. h. der Schriftsteller, der seinen Stoff mit vollkommener Klarheit beherrscht. Ueber der Sinnlichkeit und dem Freiheitsdrange, über der Lachlust und der Satire, über dem Mitgefühle und der Melancholie schwebt bei ihm stets der klare, sichere Künstlerverstand.

Nachschrift.

(1893)

Das Schicksal Maupassant's hatte allgemeines Bedauern erregt; sein Tod wird nicht bedauert werden. Manch Einer hat sich gefragt, mit welchem Rechte man vor mehr als einem Jahre den Unglücklichen, der den Wahnsinn, unerbittlich und unheilbar, kommen fühlte, verhinderte, seiner Verwandlung in ein Wrack vorzubeugen. Der treue alte Bediente, der den Auftrag hatte, die Besucher fernzuhalten, wenn Maupassant an seinen schlimmen Kopfschmerzen litt, und an dessen Zärtlichkeit für seinen Herrn die, welche mit Maupassant verkehrt haben, sich noch erinnern werden, that dem unglücklichen Manne einen schlechten Dienst, als er die Kugeln aus seinem Revolver entfernte. Der Tod ist hier als Befreier gekommen.

Maupassant wurde kaum 43 Jahre alt. Er war der klarste Erzähler, der grösste Naturanbeter, überhaupt das natürlichste Talent des jüngeren Schriftstellergeschlechtes in Frankreich.

Er begann, verschwenderisch reich an Saft und Kraft, an Gesundheit, an guter Laune bis zur Ausgelassenheit, und an kühner Satire, die bis zum Mark schnitt. Er stand da halb wie ein Naturkind aus der Normandie, halb wie ein Künstler aus Paris. Von Anfang an hatte er in seinen Versen einer starken, naturkräftigen, ländlichen Sinnlichkeit Ausdruck gegeben. Seine Heldin ist hier die Vénus rustique; die antike Liebesgöttin, die, als modernes Bauernmädchen wiederkehrend, allen Männern den Kopf verdreht. Er sieht den erotischen Naturtrieb pantheistisch das Weltall durchdringen und behandelt ihn in grossem, einfachem Stil.

In Prosa hat er als Satiriker und Misanthrop debütirt. Als Erzähler hatte er ursprünglich den tiefen Hang zum Lustig-Unanständigen in altfranzösischer Manier; er sah im Weibe fast nur das Geschlecht, in dem gewöhnlichen Biedermann fast nur den kleinlichen und habsüchtigen Egoisten.

Sehr schnell aber wechselte er Haltung und Ton, zeigte sich als vielseitiger Beobachter, als feiner und bisweilen bitterer Charakterschilderer, in hohem Grade entwicklungsfähig. Zu gleicher Zeit, wo er in ganz kleinen, ausgelassenen Novelletten, wie in Hemdärmeln, einer Herrengesellschaft Geschichten erzählte, schrieb er sehr ernste, grosse Romane, in welchen er das feinste Verständniss für das Herzensleben und die Sorgen feiner Frauen an den Tag legte. Doch Alles, was er schrieb, zeichnete sich durch dieselbe durchsichtige Klarheit aus. Immer war seine Form fest und einfach.

In den letzten wirksamen Jahren seines Lebens entwickelte er ganz neue Seiten seines Talents. Seine Lustigkeit wich einer seelenvollen Schwermuth; seine Gabe, alle Sinneneindrücke in Bildern mit scharfen Contouren wiederzugeben, vervollständigte sich durch einen Hang zur gedankenreichen Grübelei. Er wurde ein Forscher der seelischen Tiefen. Er schilderte zuletzt (»Fort comme la mort, Notre coeur«) eine Liebe, die fast unsinnlich war, halb Zärtlichkeit, halb Schwärmerei. Er begnügte sich nicht mehr damit, ein plattes oder gesundes Gefühlsleben darzustellen. Er spürte dem schleichenden Gange des Wahnsinnes in der menschlichen Seele nach (»La horla«, »Un fou«). Er gab bisweilen dem ganz Phantastischen freien Flug; er konnte dann und wann fast mystisch erscheinen.

Er, der als Vergötterer der Natur mit Verspottung der zähmenden und verfeinernden Civilisation begonnen hatte, endigte mit einem Widerwillen gegen alles bloss Natürliche, sogar gegen das Sinnenleben, als dessen Verherrlicher er einst dastand. In einer seiner letzten Novellen: »L'inutile beauté«, ruft der junge Mann, den der Verfasser als Sprachrohr gebraucht: »Die Natur! Ich sage dir, dass wir gegen die Natur unaufhörlich ankämpfen müssen, sie führt uns ewig zum Thier zurück.«

So sehr hatte in nur zehn Jahren der Dichter der ländlichen Venus und des Hauses Tellier sich verwandelt, dass er den letzten Satz mit aufrichtiger Ueberzeugung und einer Art methaphysischen Trotzes schrieb.

Auch technisch war er in stetiger Entwicklung begriffen. Er, der Dramatiker als Erzähler, gab sich zuletzt einer Analyse von seelischen Zuständen hin, die ihn seinem geistigen Gegenpol Bourget nahe brachte.

Dann war es, dass eine Krankheit, die sich durch hartnäckiges Kopfleiden angekündigt, und die ihn lange gezwungen hatte, so viel wie möglich im Süden zu leben und Seeluft einzuathmen, das Gehirn angriff und ihn mit Einem Schlage zu Boden schlug.

Wenn man das allerjüngste Geschlecht der Symbolisten ausnimmt, das ihn selbstverständlich als einen Schriftsteller niedriger Art, einen Erzähler für Handlungsreisende betrachtet, war er in Frankreich allgemein bewundert und unsäglich geliebt. Er war als Mensch trotz der männlichen Ruhe seines Wesens in hohem Grade liebenswürdig, gewinnend ohne Geschmeidigkeit, nur durch die vollendete Wohlerzogenheit, die bei ihm die Aeusserungsform einer reichen, warmen Natur war.


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