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13. J. P. Jacobsen.

(1883)

Er ist der grösste Colorist der gegenwärtigen dänischen Prosa. So wie er malt, ist in nordischer Litteratur noch nie mit Worten gemalt worden. Seine Sprache ist farbensatt. Sein Stil ist Farben-Harmonie. Und er ist der seelenvollste, poetischste Sonderling unserer Prosa. Alles, was er sieht, wird zum Sonderbilde, Alles, was er schreibt, gewinnt ein Sondergepräge. Es ist eigenartig in der Form bis zur Manier, es ist innig im Ton bis zur Krankhaftigkeit. Alles ist verdichtet, zusammengedrängt, ohne Füllsel, ohne Zwischenraum. »Zwei Welten« auf zehn Seiten. Jeder Tropfen, den man aus dem Born seiner Rede auffängt, ist schwer, stark wie ein Tropfen Elixir oder Gift, duftend wie der einer wohlriechenden Essenz. Etwas Berückendes, Berauschendes liegt in seinem Vortrag. Es ist der stärkste Stimmungstrank, der in nordischer Prosa je gebraut worden.

I.

Eine Sprache gleicht einem Instrumente, das ab und zu frisch gestimmt werden muss. In jedem Jahrhundert pflegt die Sprache ein paar Mal umgestimmt zu werden. Denn so wie kein neues Geschlecht sich damit zufrieden geben kann, die Gedanken des vorausgegangenen zu denken, so kann auch keine Gruppe von Männern der Schriftwelt die Sprache gebrauchen, welche die vorhergehende Gruppe schrieb. Sie soll und muss von den Vorgängern unendliches lernen, doch aus sich selbst heraus mit oder ohne Anstrengung sich ihre eigene Sprache schaffen, und der erste Schritt hierzu ist deren Umstimmung. Es giebt nun in der Kunst des Wortes anscheinende Virtuosen, deren eigentlicher Beruf der eines Stimmers ist. Sie stimmen und bestimmen für die Dauer einer ganzen Periode Geister und Litteraturen. (Lessing und Herder waren solche Stimmer.) Wenn diese am frühesten auftretenden Mitglieder einer Gruppe die Arbeit für eigenen Bedarf begonnen und durchgeführt, so zeigt es sich nicht selten zu ihrer Ueberraschung, dass sie nicht blos für sich, dass sie für ihre ganze Generation, ja auch noch für die kommende gearbeitet haben. Denn das später auftretende Geschlecht findet die Wege geebnet. Die neue Sprache ist ihm bereits geläufig, mundgerecht. Allerdings muss es den neuen Sprachstil seiner Individualität, seinem Bedürfnisse gemäss modeln und entwickeln, aber er bietet sich ihm als ein natürliches Werkzeug dar.

Die Vorposten der um das Jahr 1870 in der dänischen Schönlitteratur auftretenden Generation hatten eine harte geistige Arbeit zu verrichten. Als sie nach tiefgehendem, sich schwer vollziehendem Bruche mit der Tradition über das den Zeitgenossen Mitzutheilende einigermassen mit sich im Reinen waren, zeigte es sich, dass weder die philosophische, noch die allgemeine litterarische Sprache, wie die voraufgegangenen Geschlechter sie ausgebildet hatten, fernerhin zu gebrauchen war. Vom Standpunkte der damaligen Jugend gesehen, erschienen die grossen Unterschiede zwischen den Individualitäten des älteren Geschlechtes verschwindend klein im Vergleich mit den Eigenschaften, die ihnen gemeinsam waren: Gegensätze wie Grundtvig und Kierkegaard begegneten sich in dem gläubigen Verhältnisse zum Uebernatürlichen und im Predigertone. Der gemeinsame Hang zum Theismus oder zu positiver Religion, zu speculativer Philosophie, zu idealistischer Poesie hatte die Sprache aller dieser Gegner und Gegensätze übereinstimmen lassen, und so verschieden Oehlenschläger, Grundtvig, Hauch, Ingemann, Heiberg, Hertz, Paludan-Müller und Andersen unter sich auch waren, so brauchte man doch nur von jedem von ihnen einen fünffüssigen jambischen Vers herzunehmen, um sich von der Aehnlichkeit zu überzeugen und die Unbrauchbarkeit ihrer Sprachform für die Jüngeren zu empfinden. Die altnordische Richtung hatte sich überlebt. Schon war Oehlenschläger's dichterisches Pathos von dem neueren norwegischen verdrängt. Eine andere Kunstprosa als die des romantischen Sagastil's hatte er nie besessen. Grundtvig's eigenthümliche barocke Prosaform wurde von seinen Anhängern karikirt und hätte Andern noch weniger zu Gesicht gestanden. Kierkegaard Hess sich zwar nachahmen – und man hatte ihn getreulich nachgeahmt, den grossen Manieristen noch übermanierirt – aber auf keine Weise fortsetzen; der klare frische Strom der Heiberg'schen Prosa führte keine neuen Keime mit sich; die späteren Philosophen R. Nielsen und H. Bröchner, hatten, wie ihre Vorgänger, ihre Terminologie dem Hegelianismus entlehnt, von dem das junge Geschlecht sich eben losgerissen. Selbst der Uebergangszeit einziger Meister der Prosa, M. Goldschmidt, konnte nicht als Vorbild dienen, denn seine sorgfältig durchgearbeitete, stimmungsfeine Sprache war mit ihren Perspectiven von der mystisch – romantischen Lebensanschauung, deren Organ sie war, untrennbar. Da die Jungen dieser Lebensanschauung nicht huldigten, konnten sie sich auch nicht auf deren Sprachton einlassen.

Allein das junge dänische Geschlecht von 1870 stand in sprachlicher Hinsicht auch noch der Schwierigkeit gegenüber, dass es nicht nur im eigenen Lande eine aussterbende Schriftstellerschule vorfand, sondern bei seinem Auftauchen mit der frischen, fremdklingenden und doch vollkommen verständlichen Sprache der neuen norwegischen Dichterschule, der Björnsons und Ibsens, zusammentraf, einer neuen Sprache, in der Alles gesagt und gewagt werden konnte, einer Sprache, die mit ihrem Fjeldklange nach kurzlebigem Widerstande das dänische Publikum ganz und gar für sich gewonnen hatte. Mit ihren Dialekt- und Kraftworten, ihren kühnen Wendungen gebot sie über Formen und Ausdrücke, Klangfarben und Bilder, denen gegenüber die jungen dänischen Schriftsteller mit ihrer ererbten, geschliffenen, durch Ueberkultur entnervten Sprache sich eines furchtbaren Wettkampfes versehen mussten.

Unter solchen Umständen blieb den am frühesten auftretenden Jünglingen nichts Anderes übrig, als sich so viel wie möglich in sich selbst zu vertiefen, allmälig vollkommen selbständig zu werden, um dann ohne Rücksicht auf die Ueberlieferung allein ihrer Natur gemäss zu schreiben. Sie hatten denn auch bald erkannt, dass sie, die so ganz anders veranlagt waren, als das ältere Geschlecht in Dänemark, die mit ganz anderen Augen, mit weit grösserem Wirklichkeitssinn die Welt betrachteten, auch einer weit sinnlicheren, bilderreicheren Sprache als Jene bedurften. Sie waren plastisch, malerisch veranlagt, fühlten sich bis in die Fingerspitzen als Künstler und gaben dem Gebiete der Kunst eine weitere Ausdehnung, als es das frühere Geschlecht gethan. Sie betrachteten es als ihre Aufgabe und Pflicht, die Prosa mit nicht geringerer Sorgfalt zu behandeln, als ihre Väter und Grossväter auf den Vers verwendet. Auch keinen Zeitungsartikel mochten sie aus der Hand geben, der nicht in Bezug auf Stimmung oder Anschaulichkeit ein Kunstwerk gewesen wäre. Ein altes Sprichwort sagt: Worte haben ihren Werth gleich Münzen. Diese jungen Schriftsteller schieden jedwede Wortmünze als werthlos aus, deren Gepräge durch den Gebrauch verwischt worden. Man ersetzte gewissenhaft die abstrakten oder philosophischen Ausdrücke, bei denen Niemand mehr etwas empfand noch dachte, durch frische Vorstellungsbezeichnungen, welche Bilder hervorriefen, Erinnerungen heraufbeschworen. Man wandte sich mittelst des Auges und des Ohrs an den Gedanken und versäumte nicht, die Sinne des Lesers zu unterhalten, sich seines Nervensystems zu bemächtigen, wenn es galt, auf seinen Verstand Eindruck zu machen.

Während auf solche Weise eine neue Schreibart in der Bildung begriffen war, nahmen die Schriftsteller der Uebergangszeit die Aufmerksamkeit des grossen Publikums in Beschlag. Die Jüngeren indess hegten die lebhafte Ueberzeugung, dass diese Autoren eben nur eine Uebergangszeit bezeichneten.

Im Jahre 1869 schrieb ich in Bezug auf Bergsöe: »In Dänemarks poetischer Production ist eine Pause eingetreten, und zwar schon seit geraumer Zeit. Eine Litteraturperiode liegt abgeschlossen hinter uns, eine neue und reichere wird hoffentlich über kurz oder lang erstehen. Die das Intervall ausfüllenden Romanschriftsteller bilden eine Gruppe für sich und theilen gemeinsam das zugleich freundliche und widrige Schicksal, einen hervorragenderen Platz einzunehmen, als er ihnen vor 20 Jahren gegönnt gewesen wäre, und all' der Aufmunterung, all' der Inspiration zu entbehren, welche die Mitglieder einer grossen poetischen Schule sich gegenseitig mittheilen.« Was Bergsöe betrifft, so waren die ihm eigenthümlichen Vorzüge, die sich zunächst auf seine naturwissenschaftliche Bildung gründeten, eben die einer Uebergangszeit. Die Jüngsten lernten jedoch mehr aus seinen Fehlern, als aus seinen Vorzügen, indem sie erstere um jeden Preis zu vermeiden trachteten. Als der Verfasser des erwähnten Artikels Bergsöe zurief: »Lerne doch verwerfen, ehe du schreibst! Lass die stumpfen Federn sich alles dessen bemächtigen, was sie auf dem Wege der Trivialität vorfinden, lass sie, deren Schriften ohne Mark, in deren plumpen Köpfen kein eigener Gedanke lebt, alles mitnehmen, was der Auserwählte verschmäht. Du aber, sei Aristokrat, die gute Litteratur besteht allein aus Aristokraten«, – da hatte er unter seinen Lesern Einen, bei dem (nach eigener Aussage) jene Worte einen ganz besonders mächtigen Widerhall fanden. Es war ein 22jähriger Jüngling, der nach privater Vorbereitung erst zwei Jahre zuvor die Universität bezogen hatte, und nun in aller Stille in Kopenhagen Botanik und Schönlitteratur trieb.

J. P. Jacobsen war in Thisted am 7. April 1847 als Sohn eines grösseren Kaufmanns geboren, und schon 1863 nach Kopenhagen gekommen, um dort seinen Studien obzuliegen. Er war unter den Jüngeren in Dänemark vielleicht der erste, auf den die Werke Darwins einen starken, nachhaltigen Eindruck hervorbrachten, und der sich der ganzen Tragweite ihrer Grundanschauungen bewusst wurde. In einigen kleineren Abhandlungen machte er das Publikum mit den Hauptideen Darwins bekannt und wurde in Folge davon in eine Polemik mit dem früheren Premierminister, Bischof Monrad verwickelt. In den darauf folgenden Jahren übersetzte er die beiden Werke Darwins »Ueber den Ursprung der Arten« und »Die Abstammung des Menschen« und gewann im Jahre 1873 die goldene Medaille der Universität für eine Abhandlung, die unter dem Titel »Aperçu systématique et critique sur les desmidiacées du Danemark« (Journal de Botanique 1874 Copenhague) gedruckt wurde.

Schon aus dem ersten Satze der ersten Abhandlung, die er (1871) drucken Hess, fühlt man die Anschauungsweise und die Stilbestrebung des jungen Autors heraus. Er lautet: »Wenn der Nordländer des Alterthums sich die hohen Götter dachte, erhob sich vor seinen Blicken Walhall mit breiten Pforten und flammenden Schwertern, den mit Harnischen bedeckten Bänken rings um die langen Tische, die sich unter des Saehrimnier wuchtigen Seiten und Heidruns goldumschlossenem Meth bogen.« Uebrigens war der Vortrag dieser Abhandlung so ziemlich mittelmässig, der Ton unsicher und ohne Haltung, bald feierlich, bald witzelnd oder auch trocken, das Ganze stillos. Jacobsen, der sich später als ein so hervorragender Prosaschriftsteller erweisen sollte, gelangte früher im Vers als in der Prosa dazu, seine Eigenart zu entfalten. Am Ende der sechziger Jahre fing er an, sich als Dichter zu versuchen. Er erzählte eine alte Saga wieder in der Absicht, die dargestellten Ereignisse durch den Hinweis auf die seelischen Motive, welche von den Sagaerzählern meist übergangen werden, zu ergänzen, und schrieb einzelne lyrische Sachen, sowie einen grösseren Cyclus von Gedichten, die »Gurre-Lieder«. Nichts von alledem wurde gedruckt, doch ist der genannte Cyclus keineswegs ohne Werth. Er enthält Liebeslieder zwischen Valdemar und Tove, Ausbrüche einer schmachtenden, verzehrenden Leidenschaft, die einen Augenblick gekrönt wird, ferner Valdemars herbe, sich wider Gott auflehnende Klage über Tove's Tod, endlich »Die wilde Jagd«, in der die Abgeschiedenen: Valdemar, der Chor seiner Mannen, sein Knappe Claus Narr, zum Schluss auch ein armer lebender Bauer, über dessen Haupt der gespenstische Zug dahinfährt, Wechselreden halten. Noch ist vorerst nur der Keim der Originalität vorhanden, doch liegt in der Sprachbehandlung eine gewisse Breite, im Gefühlsausdruck eine gewisse Kraft, die zu Erwartungen berechtigt. Ich führe die folgenden Zeilen als Probe an:

Valdemar.

Wachet auf, alle König Volmers Mann',
Hurtig das rostige Schwert umgethan,
Holt aus der Kirche den staubigen Schild,
Tragend manch Zeichen und Trollenbild,
Wecket die Rosse, grasend im Staub,
Schmückt sie mit güldenen Kringeln und Laub,
Sprengt nach dem Gurrehag!
Heut ist der Todten Tag!

Gesang des Bauern.

Klapp, klapp, wie's schmettert, kracht,
Jagdhallo durchhallt die Nacht,
Anger entspriessen dem Sand,
Gold klingt hell auf das Land,
Klirren und Klappern mit Waffen und Wehr,
Kollern und Rieseln des Schutts rings umher,
Leichensteine stürzen zu Häuf,
Sausend fliegt die Kirchenthür auf,
Habichte flattern vom Thurm mit Geschrei,
Unter die Decke. Da fuhr's vorbei!

Unter diesen Poesien eines Zwanzigjährigen sind jedoch etliche, in denen Einem jener J. P. Jacobsen, den die Lesewelt später kennen lernte, bereits in seiner vollen Eigentümlichkeit entgegentritt. So in dem merkwürdigen Gedichte »Eine Arabeske«, das einen in der dänischen Poesie ganz neuen Ton anschlägt. Es giebt sich darin kund ein Gefühl, das sich in Pflanzen- und Blumen-Symbolismus ausdrückt, leiser Anklang an Shakespeare durch die Wildheit der Leidenschaft, an H. C. Andersen durch die liebevolle Vertiefung in die Natur:

Unter Tropensonnen,
Wächst ein seltsam Kraut.
Nur in tiefstem Schweigen,
Unter tausend sengenden Strahlen
Oeffnet es den Blüthenkelch
Eine flüchtige Sekunde.

Wie das Auge eines Tollen sieht es aus,
Wie die rothen Wangen einer Leiche,
Ich hab's geschaut in meiner Liebe.

Sie glich dem süss duftenden Schnee des Jasmins,
Mohnblut rann in ihren Adern,
Die kalten, marbelweissen Hände
Ruhten in ihrem Schoss
Wie Wasserlilien im tiefen See.
Ihre Worte fielen
Wie Blätter der Aepfelblüthe
Auf thaufeuchtes Gras u. s. w.

Wenn der Dichter in die Worte ausbricht »Aus der giftigen Lilie blendendem Kelch trank sie mir zu«, oder mit dem Ausrufe »Alles ist vorbei« den einsam auf verschneitem Boden in dem braunen Walde wachsenden Dornstrauch schildert, dessen blutrothe Beeren, eine um die andere, in den weissen Schnee träufeln, »die glühenden Beeren in den kalten Schnee«, so offenbart sich hierin bereits ganz jene geistvolle Auffassung der Pflanzenwelt, die in Jacobsen's Romanen und Novellen so eigenthümlich berührt. Das ist ein Dichter, vor dessen Blick sich das geheimste Innere der Pflanzenseele aufthut und der in ihr die Wesenselemente der Menschenseele erschaut.

Wenn er späterhin in humoristischer Weise schreibt, »die Convolvolusse liessen sich die Kelche bis zum Rande füllen, stiessen miteinander an und schütteten den Nelken Wasser auf die Köpfe,« oder von den Lackviolen und Nelken bemerkt, »sie steckten wie die Schafe auf offenem Felde die Köpfe zusammen« oder wenn er erzählt, »die Goldblumen wussten sich vor Hitze gar keinen Rath mehr und standen und starrten der Sonne gerade in's Gesicht, die Mohnblumen aber hatten ihre grossen rothen Kornblätter abgeworfen und standen in blossen Stengeln da«, so fühlt man wohl, dass er H. C. Andersen zum Vorgänger und zur Voraussetzung hat, doch so wie er ernst wird, gewahrt man alsbald, dass ihm die Natur Anderes und mehr ist als eine blosse Märchenscenerie. Er hat nicht erst nöthig, den Blumen Menschenantlitze zu leihen, um unsere Theilnahme für sie zu erwecken. Man lese die wenigen Sätze über den Anbruch des Frühlings in Clarens:

Jeder neue Tag brachte neue Blumen; er trieb sie in den Gärten am See in bunten Mustern aus der Erde; er lud sie dort unten auf die Zweige der Bäume, Riesenveilchen auf die Pawlownie und grosse purpurgesprenkelte Tulpen auf die Magnolia. Längs der Pfade zogen die Blumen in blauen und weissen Reihen dahin; sie füllten die Felder mit gelben Horden. Doch nirgends war solch ein Blumengedränge, als oben zwischen den Höhen, in stillen, geschützten Thälern, wo der Lärchenbaum mit hellfunkelnden Rubinenzapfen im lichten Laube stand. Denn dort blühten die Narcissen in blendenden Myriaden, die Luft bei ihren weissen Orgien ringsum mit betäubendem Dufte erfüllend.

Jacobsen bedarf keiner andern Romantik, als jener der Natur innewohnenden, um stimmungsvoller als irgend ein Romantiker zu wirken. Er hat, was diese nicht erfassten, verstanden, dass die Natur der angekleisterten Uebernatürlichkeit sehr wohl zu entrathen vermag, dass sie so wie sie ist, Stimmung, Schwärmerei in vollstem Masse in sich birgt. Wie würde sich ein japanischer Maler, einer von jenen, die nicht müde werden, in Blüthe stehende Kirschbäume zu malen, an seinen Schilderungen ihrer Herrlichkeit erlaben.

»Ueber den Blumen auf der Erde schwebten, von den hundertjährigen Stämmen der Kirschbäume getragen, wohl tausend strahlende Blumeninseln, an deren weissen, von Sommerfaltern roth und blau gesprenkelten Küsten das Licht sich schäumend brach.«

Jacobsen benöthigt keiner fremden Feenwelt, um das Feenhafte dieser Pracht auszumalen:

»Vor ihren Fenstern standen die grossen Kirschbäume blüthenweiss. Bouquets aus Schnee, Kränze aus Schnee, Kuppeln, Bogen, Guirlanden, eine Feen-Architektur aus weissen Blüthen, mit einem Hintergrunde von tiefstem Himmelsblau.«

Und wird diese Herrlichkeit mit dem Blick eines sterbenden jungen Wesens angeschaut, so verwandelt sie sich zu einem Burgsaale des Himmelreichs, wie er in Dantes edelsteingeschmücktem Paradies nicht schöner vorkommt:

»Draussen vor dem Fenster wurden im Scheine der untergehenden Sonne diese weissen Blüthen roth wie Rosen – Bogen auf Bogen baute sich aus dem Flor blüthenleicht zu einer Rosenburg, einem Chor von Rosen auf, und durch die luftigen Wölbungen dämmerte der abendblaue Himmel herein, während goldene Lichter, und Lichter in Purpurflammen ihre Glorienstrahlen aus allen schwebenden Blumenguirlanden des Blüthentempels schossen.«

Der Stil kommt in diesen Landschafts- und Blumengemälden dem metrischen Vortrage näher als es sonst bei der guten Prosa der Fall, ja ist rein lyrisch, daher wir ihm auch in den wenigen Gedichten Jacobsen's begegnen. In seiner ganzen wilden Ursprünglichkeit waltet er in dem zweiten Arabeskengedichte, das Jacobsen 1874 unter dem Titel »Arabeske zu einer Handzeichnung Michel Angelo's« veröffentlichte, nämlich zu der in den Ufficien befindlichen unvergesslichen Zeichnung eines strengen, tiefschwermüthigen weiblichen Profils mit gesenktem Blicke. Den Anfang bildet die Schilderung eines südländischen Gartens Nachts, mit den leuchtenden starren Blumenaugen der Magnolien, dem von Tuberosen und Jasminen ausgehauchten schweren Dufte, den goldnen Reben, die von angstvoll sich windenden Weinranken schwer ins Gras des Gartens fallen, eine Schilderung, welche an die malerische Kraft eines Böcklin in der Ausführung solch einer südländischen Nachtlandschaft gemahnt. Und noch eine andere Beschreibung der Nacht findet sich hier, die der gluthentbrannten Nacht, in deren weichen Händen der Wille Wachs, vor deren Hauch die Treue Schilf wird, die nichts sieht, aber wie der Mond die Wasser des Meeres, das Blut in den Adern zur Sturmfluth saugt, – eine Beschreibung, in welcher die gewaltige blinde Mänade ein wahres Gegenstück zu Thorwaldsen's friedlich milder Nacht abgiebt. Das Gedicht, das übrigens wenig an Michel Angelo's Zeichnung erinnert, schliesst mit der folgenden, in ihrem erhabenen Ernste ihres Gegenstandes würdigen Schilderung und Deutung:

Sieh' der seid'ne Vorhang theilt sich,
Und ein Weib voll Herrlichkeit und Hoheit
Hebt sich dunkel ab von dunkler Luft.
Heil'ges Weh in Deinem Blicke,
Heil'ges Weh, das niemals heilbar,
Hoffnungslos und brennend heiss vom Zweifel.
Nächt' und Tage häufen sich auf Erden,
Jahreszeiten wechseln wie der Wange Farben,
Und der Menschheit Strom in langen Wogen
Rollt dahin,
Rollt und vergeht,
Während langsam stirbt die Zeit.
Wesshalb Leben?
Wesshalb Tod?
Wesshalb leben, da der Tod uns sicher?
Wesshalb kämpfen, da die schärfste Klinge
Unsern Händen einst entwunden wird?
Wesshalb doch der Qualen Scheiterhaufen:
Tausendstünd'ges Leben im langsamen Leiden
Langsam sich ergiesse in des Todes Leiden?

Ist dies Dein Gedanke, hehres Weib? –

Stumm und ruhig steht sie am Balcone,
Hat nicht Worte, Seufzer nicht noch Klage,
Hebt sich dunkel ab von dunkler Luft,
Wie ein Schwert durch's Herz der Nacht.

Waren der lyrischen Gedichte Jacobsens nur sehr wenige, so besassen sie dafür die Eigenschaft, ihren Platz in der Erinnerung zu behaupten. In ihrer Form weichen sie von seiner Prosa nur wenig ab. Mit einem formfesten, regelmässig wiederkehrenden Metrum hätte Jacobsen in keiner Weise zurechtzukommen vermocht, dazu ist er zu modern. Er will, dass die Form sich an jeglichem Punkte nach dem Gefühl, der Stimmung, dem Inhalte richte. Er hat Richard Wagners Widerwillen gegen die Strophe. So blieb er denn auch in der That ausschliesslich Prosadichter.

II.

Weihnachten 1876 erschien »Marie Grubbe, Intérieurs aus dem siebzehnten Jahrhundert«. Obgleich von der Schmutzpresse verhöhnt und mit Schmähungen überhäuft, drang das Buch rasch in einem nicht ganz kleinen Kreise durch. Einige Zeit nach der Herausgabe desselben schrieb ich: Es war eine freudige Ueberraschung für die Freunde des Autors, dass sein Roman sich so rasch die Gunst und Anerkennung des Publikums zu erobern vermochte. Nicht, als ob wir im Geringsten daran gezweifelt hätten, dass er, wie wir dies schon vor nun bald einem Jahre betonten, einer der allerbedeutendsten Prosaisten unserer Litteratur sei. Was zu befürchten stand, war nur, dass, so kraftvoll und echt sein Talent ist, gerade dessen ausgeprägte Eigenthümlichkeit der sofortigen Würdigung desselben hinderlich sein werde. Die damals an unserem Ausspruche mäkelten, haben sich nun genöthigt gesehen, ihn zu unterschreiben. Man hatte sich darauf gefasst machen müssen, dass das Phantasievolle, stark Dichterische in Jacobsens Auffassung der Natur der ruhigen, nüchternen Lesewelt übertrieben oder unwahr erscheinen würde, sowie, dass die Knappheit, welche die Darstellung auszeichnet, die entschiedene Abneigung des Erzählers, seine Gestalten zu commentiren oder aus eigener Dichtervollkommenheit über deren Vorgehen Urtheile abzugeben, das Missfallen eines Publikums erregen würde, dem so lange kindische historische Tendenz-Romane, in denen der Autor dem Leser fortwährend mit dem moralischen oder religiösen Zeigegriffel über die Schulter deutet, geboten worden. Diese Befürchtung hat sich als unbegründet herausgestellt. Die Lesewelt empfand sofort, nachdem sie »Marie Grubbe« kennen gelernt, dass Dänemark einen neuen Dichter gewonnen. Während es noch vor wenigen Jahren einem Buche beim Publikum zur grössten Empfehlung gereichte, sich ganz im Geleise der alten Routine zu bewegen, kommt man allmählich dahinter, auf welcher Seite künstlerischer Ernst, künstlerische Gewissenhaftigkeit, auf welcher Talentlosigkeit und Unzuverlässlichkeit sich befinden.

Die Arbeit von vollen vier Jahren ist in diesem Roman niedergelegt. Sein Titel »Intérieurs aus dem 17. Jahrhundert« giebt über die Absichten des Verfassers Aufschluss, und zugleich einen Wink über die Natur seines Talents. Er hat zwar als Stützpunkte seiner Erfindungsgabe die entscheidenden Momente eines der Geschichte angehörenden Einzellebens herausgegriffen, er hat es zwar anfangs als eine anziehende Aufgabe betrachtet, eine so eigenartige Lebensführung wie die der historischen Marie Grubbe zu motiviren, d. h. in ihrem inneren Zusammenhange aufzuzeigen; – was ihm jedoch in der weiteren Ausarbeitung vorschwebte und enthusiasmirte, war nicht irgend eine Idee, die als Resultat oder Facit des Werkes herauszukommen hätte, sondern ein künstlerisches Princip, mit dem er als Schriftsteller steht und fällt. Die französischen Maler haben die Redensart, dass man den Maler nicht nach dem Zusammenhange oder der Gesammtanlage seines Bildes beurtheilen dürfe, dass er erst etwas Rechtes tauge, wenn man sein Bild in Stücke reissen und sich an jedem Fetzen desselben erfreuen könnte. Jacobsen's Wunsch war, dass der Verfasser in jedem Kapitel, jeder Seite, jedem losgerissenen Fetzen seines Buches stets vollkommen zu erkennen sein möchte. Ein hübscher Unterhaltungsroman mit viel dramatischer Spannung, im Stil und Ton des Leitartikels eines Tageblattes geschrieben – das würde der Gegenstand seiner tiefsten künstlerischen Antipathie und Verachtung sein. Jener nach einer gewissen Aufschrift bald geleckte, bald plumpe Stil, der selbst in seinen Seitensprüngen immer regelrecht bleibt, fade und unappetitlich wie eine Wirthshaus-Karbonade ist, jene echte Rechtskandidaten-Prosa dürfte auf Erden das sein, wogegen Jacobsen als Dichter den grössten Widerwillen hegt. In jedem Satze, den er schreibt, ist er bestrebt, dem Leser ein deutliches Bild zu geben, ja mehr als das: eine so anschauliche, lebensvolle, in Farben strahlende Vision, wie sie das wirkliche Auge mit solcher Energie nur selten auffasst. Es würde uns nicht Wunder nehmen, wenn Leute der alten Schule sich für die Lectüre dieser Prosa eine blaue Brille ausbäten. Um seine Wirkungen zu erzielen, hat sich der Verfasser vor Allem ganz eigenthümliche Worte gebildet, theils den mannichfachen dänischen Mundarten, welche er in merkwürdig ausgedehntem Masse beherrscht, theils der Sprache der Vorzeit, theils der eigenen, zusammenfügenden Einbildungskraft entnommen, und er weiss sodann diesen Wortschatz in einer die Phantasie des Lesers so bestechenden Weise zur Anwendung zu bringen, dass auch keine einzige Goldmünze verloren geht. Andere Schriftsteller fassen es mitunter, wenn sie Beschreibungen geben, so verkehrt an, dass die eine Hälfte der gewählten Mittel die Wirkung der anderen vernichtet. Sie wollen z. B. ein schmales Gässchen im Regenwetter schildern, und sprechen nun kunterbunt bald vom Fallen der Tropfen auf die Dächer, bald von den feuchtglänzenden Pflastersteinen, so dass der Blick weder nach oben noch nach unten eine sichere Richtung zu verfolgen vermag. Dieser Dichter kennt die der Auffassungsfähigkeit des Auges zu Grunde liegenden Gesetze, und gleich den Malern, die es wenig kümmert, ob ihr Bild auf den sich dicht davorstellenden Beschauer den Eindruck von Farbenklecksen macht, wenn es sich nur, einmal gesehen, der Phantasie mit einer bestimmten unauslöschlichen Stimmung einbrennt, so lässt auch er es sich nicht kümmern, ob man Anstoss nehme an den einzelnen sonderbaren farbengebenden Bezeichnungen, deren er sich bedient, an den Ausschweifungen einer Phantasie, die beispielsweise das Wörterbuch um ein halbes Dutzend neuer Worte einzig deshalb bereichert, um die verschiedenartige Schönheit losgerissener Rosenblätter oder den Kampf des Kaminfeuers mit dem Dunkel einer Dämmerstunde zu kennzeichnen – so nur der Leser, wenn er das Buch aus der Hand legt, seine Phantasie mit kräftigen Gestalten bevölkert, mit dem charakteristischen Hausrath einer altväterischen Häuslichkeit möblirt, mit einer Fülle wechselnder Naturschauspiele illustrirt fühlt.

Am leichtesten ist es, die Eigenart des Autors auf's Korn zu nehmen, wenn man die Art und Weise beobachtet, mit der er bei Beschreibung eines heissen Sommertags, eines Hagelwetters, einer Mondscheinnacht verfährt. Gleich in seinem ersten poetischen Versuche, der »Mogens« betitelten Erzählung, kam die Schilderung eines Regenwetters vor, die mir noch nach Jahren in Erinnerung geblieben. Ein junger Mann liegt unter einem Baume und starrt eben auf einen alten Maulwurfshügel, der vor Trockenheit ganz hellgrau geworden. »Plötzlich kam ein kleiner, runder, dunkler Fleck auf die hellgraue Scholle; noch einer; drei, vier, viele; immer mehr. Der ganze kleine Hügel war dunkelgrau. In der Luft lauter lange Striche, die Blätter nickten und schwankten; ein Sausen erhob sich, das in ein Sieden überging. Das Wasser strömte hernieder.« Und nun folgt eine Beschreibung des Regengusses, die so interessant ist, wie einem Kind, das an der Beobachtung noch die vollste Freude hat, das Naturschauspiel selber ist. Wenn aber der Leser die Erzählung zur Hand nehmen will, wird er sich überzeugen, wie aus dem einen kleinen, runden dunkeln Tropfen, der auf der hellgrauen Erde sichtbar wird, das ganze Bild sich allmälig aufbaut. In »Frau Marie Grubbe«, in der man diese Gabe der Naturmalerei wiederfindet, ist dieselbe bereits fast völlig frei von der Manierirtheit, die ihr anfangs etwas von ihrer Frische benahm. Hier das Bild eines Hagelwetters, von dem Ulrik Frederik und Marie auf einem Spazierritt in der Gegend von Ordrup überrascht werden:

»Mit einem Male hob das Licht sich gleichsam von Zweig und Blatt und wich einem regenschweren Dunkel. Die Büsche rauschten nicht, die Hufschläge waren nicht hörbar. Sie ritt über eine weite Waldebene dahin. Zu beiden Seiten die Bäume des Waldes, gleich schweren, düstern Ringmauern, über ihr drohend schwarzer Himmel, mit jagenden, fahlen, zottigen Wolken; vor ihr die finster blauschwarze nebelumgrenzte Fläche des Sunds. Sie zog die Zügel an, und das ermattete Thier blieb willig stehen. In einem grossen Bogen jagte Ulrik Frederik an ihr vorbei, schwenkte um, und hielt alsbald an ihrer Seite. Im selben Augenblick schleppte, einem schweren, grauen, regendurchnässten Vorhange gleich, ein Hagelschauer schräg über den Sund; ein kalter, feuchter Windstoss sauste über das schwankende Gras hin, pfiff an ihren Ohren vorbei und toste, wie wildschäumende Wogen, in den fernen Wipfeln der Bäume. Grosse, flache Hagelkörner prasselten in weissen Streifen auf sie nieder, legten sich wie Perlenreihen in die Falten des Kleids, prallten ab von der Mähne der Pferde und hüpften und kugelten im Grase umher, als wären sie aus der Erde hervorgequollen.«

Selbst Dichter, die sich einen gewissen Namen erworben, lassen nicht selten, wenn sie es versuchen, ihre Heldinnen dem Leser vor Augen zu führen, Vieles zu wünschen übrig. Es giebt einen stehenden Vorrath von Worten, mit welchen man ganz vergeblich manövrirt, weil sie so oft gehört worden sind, dass man sie überhört. Dazu müssen z. B. die in Bezug auf ein weibliches Wesen gegebenen Versicherungen gerechnet werden, es sei schön, habe eine kleine weisse Hand (eine grosse weisse Hand giebt schon ein besseres Bild), eine feingebogene Nase, kräftig gezeichnete Augenbrauen, herrliche Augen, einen weichen träumerischen Ausdruck, einen schlanken Leib, einen schwellenden Busen. Hierzu gehört auch die ganze Gruppe von Bezeichnungen, welche rühmen, statt zu malen, so wenn man von der Betreffenden erklärt, sie besässe die ganze Frische der Jugend, eine edle, schöne Seele, die zarteste weibliche Anmuth und müsse Achtung und Bewunderung einflössen. Oder wenn man sich die Arbeit durch die Bemerkungen leicht macht, Seelengrösse, Ernst, Willenskraft oder dergleichen sprächen aus den Zügen, was man nicht im Voraus durch einen der Heldin aus Mund oder Ohren hängenden Zettel, auf welchem all' das verzeichnet steht, sondern aus deren Worten und Thaten erfahren sollte. Die folgende kurze Schilderung einer Romanheldin (in H. F. Ewalds »Das schottische Weib auf Tjele«) kann als eine Art Register all' der Fehler gelten, die in dieser Beziehung begangen werden können:

»Kein Wunder, dass er oft und gern in ihre dunkelgrauen Augen sah, denn aus ihnen strahlte in aller Jugendfrische eine schöne und edle Seele. Ihre Züge waren von so feiner, ausdrucksvoller Schönheit, dass sie selbst bei flüchtiger Betrachtung sich dauernd der Erinnerung des Beschauers einprägten – – – – Die feingebogene Nase war von edelster Form, die dunklen, kräftig gezeichneten Augenbrauen und die vollen wohlgeformten Lippen gaben ihrem Antlitz ein für ihr jugendliches Alter seltenes Gepräge von Leidenschaftlichkeit und Willenskraft; gleichwohl hatten ihre herrlichen Augen oft einen weichen, träumerischen Ausdruck, aus denen in einzelnen Augenblicken die reinste Frömmigkeit leuchtete. Wenn ein Lächeln ihr Antlitz erhellte, verwandelte sich ihr Ernst in die zarteste, weibliche Anmuth, doch lächelte sie häufiger als sie lachte. Ihre stattliche Gestalt, ihr seelenvoller Blick flössten den meisten jungen Männern eher Bewunderung und Ehrfurcht als Liebe ein; erweckte sie jedoch einmal eine Leidenschaft, so liess sich voraussehen, dass diese tief und dauernd sein würde – – – – – Das dunkelrothe Kleid, das ihren schlanken Leib, ihre schwellende Büste eng umschloss, der kleine schwarze Sammthut mit der weissen Straussfeder, der keck auf dem zu dichten Flechten geschlungenen Haare sass, hoben ihre Schönheit auf das Kleidsamste hervor und verriethen einen reinen, vornehmen Geschmack, doch nur geringe Putzsucht. Sie trug ihr schönes Haupt stolz und frei, und lenkte ihr Pferd leicht und sicher.«

Es ist kaum zu viel gesagt, wenn man behauptet, in diesen Redensarten wäre auch nicht ein Wort, das nicht versagte. Man nehme als Gegenstück die völlig gleichartige Stelle in »Frau Marie Grubbe«, in welcher Sophie Urne, wie sie im Lusthause sitzt und näht, geschildert wird:

»Es war eine hohe, schlanke Gestalt, fast schmächtig, die Brust aber war breit und voll. Ihr Teint war bleich und erschien durch das reiche, schwarze, gewellte Haar und die ängstlichen, grossen, schwarzen Augen noch bleicher. Die Nase war scharf, aber fein, der Mund, dessen Lächeln etwas krankhaft Süssliches hatte, gross, doch nicht voll. Die Lippen hatten ein tiefes Roth und das Kinn war etwas spitz, doch stark und kräftig geformt. Ihr Anzug war nicht gar ordentlich: eine alte, schwarze Sammtrobe mit verblichener Goldstickerei, ein neuer grüner Filzhut mit grossen schneeweissen Straussfedern und endlich Lederschuhe mit röthlich abgewetzten Schnabelspitzen. Einzelne Flaumfederchen hingen in den Haaren, und weder der Halskragen noch die länglichen, weissen Hände waren ganz rein.«

Oder man lese, um eine Vorstellung von der Art zu erhalten, wie dieser Schriftsteller die Phantasie des Lesers zu lenken weiss, den folgenden Passus, in dem er nichts als Auge und Blick Marie Grubbe's in der Uebergangszeit zum Jungfernalter schildern will. Der Stil ist hier fast bis zum Gongorismus getrieben und erinnert an die Gabe eines Verliebten, in Wenigem unendlich viel zu sehen:

»Es giebt eine Blume, Perlenhyacinthe genannt. Wie die blau ist, waren ihre Augen blau, an Glanz jedoch dem fallenden Thautropfen gleich, an Tiefe einem Saphir, der im Schatten ruht, verwandt. Zuweilen senkten sie sich so schüchtern, wie ein süsser, verhallender Ton, zuweilen erhoben sie sich so kühn wie eine Fanfare. Wehmüthig – ja, wenn der Tag anbricht, dann überzieht ein verschleiernder, zitternder Schimmer die Sterne – also ihr Blick, wenn er wehmüthig war. Er konnte so zutraulich lächelnd auf Einem ruhen, dass es Manchem war, als ob er im Traume von fern her, aber eindringlich, sich beim Namen rufen hörte; doch verdüsterte ihn Leid, hoffnungsloses, qualvolles Leid, so war es, als hörte man Blutstropfen träufeln.«

Indess ist ja die beschreibende nicht die einzige Form der Darstellung. Ausser derselben gilt von den Personen eines jeden Dichters das alte Wort: »Sprich, damit ich dich sehen könne«, weshalb denn auch die modernen Novellen und Romane sich zum grössten Theil in Dialoge, in aneinander gekettete Reihen von dramatischen Scenen auflösen. Der ausgeprägt persönliche Stil Jacobsens legt ihm Schwierigkeiten in Bezug auf die Diction in den Weg. Allein er hat die Gabe wahrer Dichter – solcher, deren inneres Auge Gesichte schaut, deren inneres Ohr Stimmen vernimmt – Rede und Antwort so zu gestalten, dass sie von dem Charakter genau so viel und so wenig ahnen lassen, wie dies bei Rede und Gegenrede im wirklichen Leben der Fall ist, und er hat die Fähigkeit, durch derartig zufällige oder irreleitende Aeusserungen den Charakter dem Leser genau in den Farben und in dem Lichte erscheinen zu lassen, in welchem ihn Jacobsen gesehen haben will.

Mittelmässige Erzähler, denen keine so grossen Kräfte zu Gebote stehen, helfen sich damit, den Dialog mit Betrachtungen zu spicken, oder die Zwischenpausen der Gespräche mit Raisonnements auszufüllen, worin dem Leser Aufschluss gegeben wird, wie er über die Scenen, deren Zeuge er gewesen, zu denken und zu urtheilen habe. Jacobsen gestattet dem Leser, selbst sein Urtheil zu bilden. Er ist tendenzlos, fühlt sich nicht wie jene Romanschriftsteller, die irgend ein Dogma auf ihre Fahnen geschrieben, dazu gebunden, aus jedwedem Gedankenaustausche eine Vertheidigung des Bestehenden oder einen Angriff darauf als Moral hervorgehen zu lassen. Er überlässt es dem Leser, wie er das wahrheitsgetreue Bild eines Zeitalters, das er ihm vor Augen führt, anwenden mag.

Gesetzt, einer der älteren nordischen Romanschreiber hätte einen katholischen und einen lutherischen Geistlichen der Reformationszeit miteinander disputiren lassen, und die Natur der Dinge hätte es mit sich gebracht, dass der Protestant im Wortkampfe unterlegen wäre. Ist wohl anzunehmen, der Verfasser hätte sich begnügt, dies als einen Vorfall darzustellen, der im Lichte des Geistes, in dem das ganze Buch gehalten ist, gesehen werden müsste? Gewiss nicht. Er hätte uns in langen Erörterungen Aufklärungen darüber gegeben, wie es kam, dass ein Anhänger der »reinen Lehre« den Kürzern zog und würde, um für die Niederlage zu entschädigen, einen Herzenserguss hinzugefügt haben, damit der Leser ja keinen Augenblick darüber in Zweifel schwebe, auf wessen Seite sich der Verfasser selbst befinde. Er hätte, wie z. B. Ewald in dem angeführten Romane geschrieben:

»Er schwieg beschämt. Er sah ein, dass er zu weit gegangen sei und eine Niederlage erlitten habe, was den Reformatoren zuweilen widerfuhr. In ihrem Ungestüm geriethen sie der Kaltblütigkeit und jesuitischen Logik ihrer papistischen Gegner gegenüber manchmal ins Gedränge. Und gleichwohl um wie Vieles edler waren sie doch (!), trotz ihrer Ausschreitungen, gerade um dieses warmen Eifers willen. Ihre Herzen erglühten für den Glauben und sie stritten aus fester Ueberzeugung für eine geistige Sache, wohingegen die Papisten zum grössten Theile für weltliche Güter und fette Pfründen kämpften, an die sie sich klammerten und die sie auch dann nicht fahren Hessen, wenn sie sich gegen ihre bessere Ueberzeugung dem neuen Kirchengebrauch unterordnen mussten.«

In »Frau Marie Grubbe« ist eine der Hauptscenen die, in welcher der auf dem Sterbebette liegende Vertheidiger Kopenhagens, Ulrik Christian Gyldenlöve, den Besuch zweier lutherischer Priester empfängt. Der Feldherr ist im Tode höchst ungläubig und jagt den ersten Geistlichen, so ehrlich und aufrichtig ihm dieser auch zuspricht, mit Hohn davon. Obgleich er indess mit seinem Degen auch nach dem zweiten stösst, gelingt es ihm in seiner letzten Stunde diesem gegenüber doch nicht, seine Festigkeit zu bewahren, und die Scene endet damit, dass er seinen Degen zerbricht, den Stumpf gen Himmel emporhebt und »Verzeihung, Jesus, Verzeihung!« ausruft. Keine einzige Nebenbemerkung, kein Zwinkern mit dem Auge nach dem Leser hin, verräth, wem der Verfasser Recht giebt, Herrn Jens oder Ulrik Christian. Er erzählt nur mit überzeugender Wahrheit und überlegenem Humor, wie es sich zugetragen.

In dieser anschaulichen und reservirten Erzählungsweise liegt etwas, das den Einfluss einzelner Meister der modernen französischen Litteratur verräth. Dem französischen Stile verwandt ist die Neigung, Interieurs zu zeichnen, die eingehende psychologische Untersuchung, endlich die warme, sinnliche Pracht der Schilderungen, all' das Schwelgen in Licht und Farbe. Andererseits ist in den lyrischen Partien ein gewisser kraftvoller Wohllaut, eine Süsse, wie man sie nur bei Keats findet.

Etwas länger bei der Formseite von Jacobsens Buche zu verweilen, schien mir aus dem Grunde geboten, weil das grosse Publikum nicht immer ein offenes Auge für die in formeller Beziehung zu überwindenden Schwierigkeiten hat, doch ist auch diesem Dichter all das nur ein Mittel, uns die Kenntniss des Menschenherzens zu erschliessen. Selbst wenn er uns das Niedergehen eines Hagelwetters während eines Ritts beschreibt, geschieht dies nicht um des Hagelwetters willen, sondern um den Stimmungswechsel im Gemüthe der Heldin zu erklären. Die grossen Vorzüge des Buches in Bezug auf Seelenkunde, liegen darin, dass die Personen durchwegs nicht nur in Uebereinstimmung mit den allgemeinen Gesetzen der menschlichen Natur, sondern als Kinder des Jahrhunderts handeln, das sie grossgezogen. Es sind keine modernen Gefühle, die sich hier in altväterlicher Sprache äussern. Die vielen Hinweise des Verfassers auf die Art der Lektüre, durch welche sich zu jener Zeit der Gefühlsausdruck herausgebildet, sind keine Zurschaustellung formeller Gelehrsamkeit oder formeller Kunst, nichts weniger als das: Diese possierlichen, von Jacobsen selbst mit so staunenswerther Gewandtheit verfassten französischen, italienischen und deutschen Verse, in denen die auftretenden Personen ihr Gefühlsleben wie in einem Spiegel aufgefangen sehen, diese Verse sind ein Symbol, wie leer und abstrakt ihr Traumleben gewesen, weil dem kräftigen, muskulösen Thatenleben noch nicht zum Vortheile der Phantasterei und Ueberlegung das Blut ausgesogen war. Es ist nur natürlich, dass Menschen, deren Geistesleben sich an so unvollkommenem ästhetischen Ausdruck genügen lassen konnte, ihr eigentliches Leben in äusseren Schicksalen hatten, ohne langes Besinnen, häufig, gewaltsam und mit einer Art wilder Energie handelten. Wenn Marie fast unbewusst das Messer auf Udrik Frederik's Brust zückt, wenn ihr erster Gedanke Karen Fiol gegenüber, der ist, ihr einen Stein an den Kopf zu schleudern, so sind ihre Handlungen nicht nur allgemein menschliche Reflexbewegungen, sie stehen ebensosehr in Uebereinstimmung mit ihrer Natur, wie mit dem Geiste des Jahrhunderts, und in Leonore Christinens »Denkmal meines Jammers« wird man unzählige Beweise dafür finden, dass selbst eine Prinzessin und Dame von ganz entgegengesetztem Naturell, die ebenso verständig wie jene hysterisch war, auf dieselbe vollkommen unüberlegte, handgreifliche Weise zu handeln vermochte.

In »Marie Grubbe« wird das Dänemark des 17. Jahrhunderts in Repräsentanten aller Gesellschaftsklassen vor uns lebendig. Das Regentenhaus, der neue wie der alte Adel, der Bürger- und Handwerkerstand, der Gaukler und der Bauer, sie sind bis auf den Henkersknecht herab sämmtlich vertreten. Das eigenthümliche, historische Schicksal der Heldin ist nämlich, sich sinkend durch alle Schichten der Gesellschaft zu bewegen. Nicht als ob sie eigentlich moralisch sänke, denn ihr letzter Mann, der plumpe Grossknecht und Fuhrmann, ist innerlich um nichts roher als ihr erster Eheherr, der eines Königs Sohn und eines Königs Bruder war. Allein sie sinkt mit logischer Nothwendigkeit in Rang und gesellschaftlichem Ansehen immer tiefer, weil sie keine jener Naturen ist, die in einer gegebenen Situation geduldig ausharren, sondern stets ein Ideal, und sei es auch ein noch so untergeordnetes, vor Augen hat und weder eine Entweichung, noch einen Bruch, noch sonst eine mit den Sittlichkeitsbegriffen der Zeit im Widerstreite stehende Handlung scheut, sobald sie glaubt, dadurch ihren Stolz ungekränkt bewahren oder für immer mit ihrem Ideale verschmelzen zu können.

Die Anlage zu erotischer Schwärmerei ist ihr angeboren, allein in den Uebergangsjahren vom Kinde zum erwachsenen Mädchen, in der Zeit, wo das Herz am meisten für Begeisterung empfänglich ist, sieht sie auch nicht das Geringste um sich, das der Begeisterung werth wäre. In den sie umgebenden Privatverhältnissen nichts als Roheit, Kleinlichkeit oder Geckerei. Da tritt ihr bei der Belagerung von Kopenhagen zum ersten Male das öffentliche Leben entgegen. Der Hauch eines höheren Geistes, den die Stadt durchweht, hat auch sie berührt, und wie nur natürlich, überträgt sie all ihren patriotischen Enthusiasmus auf einen einzelnen Mann, auf ihn, den bereits die ganze Stadt als Helden bezeichnet hat. Er ist ihr der lebendige Beweis, dass es Helden giebt, d. h. dass es etwas Wirkliches zu lieben, zu bewundern gebe. Bei seinem, in ihren Augen schimpflichen Tode bricht ihr Glaube an das Grosse zusammen. Eine Zeit lang findet sie in einem religiösen Phantasieleben Zuflucht, bis sie aus ihren Träumen von dem himmlischen Jerusalem durch die Schneidermamsell gerissen wird, die der nun erwachsenen Jungfrau ihren Putz, ihren Gesellschaftsstaat bringt. Zu diesem Putz gehört ein Bräutigam, und in der Person Ulrik Frederiks findet sich ihr einer, der in all dem Glänze jener Zeit prangt und sie durch einen Rest von Jugend und Erotik besticht. Geistig und körperlich von ihm misshandelt, doch mit noch ungebrochenem Stolze trifft sie Sti Hög, der als ein Rúdin der damaligen Zeit aufgefasst ist, und vernimmt nun von dessen Lippen die ersten beredten Worte über die tiefsten Instinkte und Hoffnungen ihres eigenen Lebens. In ihm begegnet sie zum ersten Male einem überlegenen Geiste, der auf all das herabsieht, was der Mehrzahl der Menschen von Werth erscheint, einem, der wie sie nur nach dem Unmöglichen begehrt.

Doch ein so guter Kopf er ist, ein Mann ist er so wenig wie Ulrik Frederik, und was ihr als Gegenstand ihres Suchens vorschwebt, das ist ein Mann. Halb aus Blasirtheit, halb aus Eitelkeit nimmt sie die Huldigung eines jungen schwärmerischen Deutschen entgegen. In dumpfer Sehnsucht nach Ruhe und guten Tagen geht sie eine Ehe mit dem schalen Palle Dyre ein, eine Ehe, in der die peinlichen, geistlosen Nörgeleien des Alltagslebens sie allmählich in ein so ereignissloses, unbefriedigtes Dasein versinken lassen, dass, als am Abende des Brandes von Tjele der flammende Hof ihr die riesenstarke und geschmeidige Gestalt des jungen Kutschers gleichsam in bengalischer Beleuchtung zeigt, all' das halb unterdrückte, halb vergessene Schmachten ihrer Natur nach Liebe und Glück sich um die Gestalt dieses Mannes sammelt, dem sie sich denn auch für den Rest ihres Lebens anschliesst.

Leider ist keine rechte Einheit in dem Buche und kein anderer Zusammenhang als der, welcher sich aus dem Verhältniss der auftretenden Personen zu der Heldin ergiebt. Das Leben Maria Grubbe's ist die Schnur, an der die einzelnen Bilder angereiht sind. Ohne die Beobachtung alten Herkommens in der epischen Komposition zu fordern – und die Forderung, dass jede Person, die einmal aufgetreten, wieder vorkommen und weiter benützt werden müsse, ist entschieden nur Herkommen – ist man doch berechtigt, von jeder Erzählung zu verlangen, dass sie den aus der Natur der Phantasie selbst ermessenden Gesetzen Genüge leiste und durch Wiederholung, Kontrast, erneuten Nachdruck, Entwicklung oder Vertiefung des Gegebenen dazu beitrage, die Bilder der Phantasie zu festigen und zu sammeln, annähernd wie man in einem wissenschaftlichen Aufsatz durch Zusammenfassung der Hauptpunkte verfährt.

Die Aufgabe, wie sie sich Jacobsen darstellte, war zusammengesetzt. Sie bestand darin, ein Kunststück zu gleicher Zeit wie ein Kunstwerk auszuführen. Das Kunststück war das, den Stil einer geschwundenen Zeit in mündlicher Diction zu reconstruiren, das Kunstwerk war, die Charaktere jener Zeit ins Leben rufen zu lassen. Das Kunststück ist einer der erstaunlichsten tours de force geworden, die irgend eine Litteratur aufzuweisen hat, aber ein Gebrechen findet sich doch: die Unebenheit in der eigenen Diction des Erzählers. Er hat augenscheinlich nicht recht gewusst, welchen Ton er selbst anschlagen solle: rein modern zu sprechen würde störend wirken; wie ein Zeitgenosse zu erzählen war unnatürlich. Er hat gewählt, bald dies bald jenes zu thun, was augenscheinlich der schlechteste Ausweg war.

Doch mag immerhin, was Kunststück in dem Buche, einige unvermeidliche Mängel haben, das im tieferen Sinne Künstlerische darin wird von diesen Paar Hautflecken nicht berührt. Eine derartige sprachliche Kraftanstrengung macht ein Poet nur einmal in seinem Leben, in noch ganz jugendlichem Alter, in welchem die Ueberwindung der gewöhnlichen Schwierigkeiten ihm als keine genügende Probe seines Talents erscheint und er das Bedürfniss fühlt, in den Kranz frischer Rosen, den er erstrebt, ein paar zähe philologische Lorbeerblätter einzuflechten.

III.

Vier volle Jahre vergingen, ehe der Verfasser von Marie Grubbe wieder von sich hören liess. Weihnachten 1880 brachte endlich »Niels Lyhne«. Im Jahre 1875 fand eines Vormittags folgendes Gespräch statt: »Ich hätte Lust, ein Buch über schlechte Freidenker zu schreiben« bemerkte Jacobsen. »Diese Marie Grubbe wird doch nachgerade eine rechte Perlenstickerei.«

»Was soll das heissen, schlechte Freidenker? Leute, die nichts durchdenken?«

»Nein, solche, die mit dem Leben nicht fertig werden können, ohne zuweilen Petitionen um höheren Beistand einzureichen. Sehen Sie, dieses Allererste, die Hände zu falten und in die Höhe zu blicken – das ist das Ganze; darin liegt oder daraus folgt alles Uebrige, die ganze Theologie, und das ist's, was sie in der Klemme nicht lassen können.«

»Es sollte in unseren Tagen spielen?«

»Nein, unter der Generation, die so alt war, als wir jetzt sind, da wir geboren wurden. Sie folgen mir doch? Ich drücke mich klar aus, nicht?«

»Sonnenklar.«

»Nun denn, sie hatte unter Anderm auch ihre Freidenker. Diese Freigeisterei war zwar etwas unklar und vag, bisweilen auch romantisch verworren, aber sie war doch ein Anfang. Leider zeigte es sich, dass sich mit ihr nicht leicht durch's Leben kommen liess, dass sie Einem in Bezug auf die Carrière sowohl, wie auf das Talent, die Stellung, die Freundschaftsverbindungen Hindernisse in den Weg legte. Man fand, dass man sich nicht nur um die Fleischtöpfe Egyptens gebracht hatte, sondern dass man auch der düngenden Traditionen, die das. Wachsthum des Geistes fördern, entrathen musste und in erschreckendem Masse auf sich selbst angewiesen war. Man fand, dass man, im Ganzen genommen, eine Freiheit gewonnen, an der man schwer zu tragen hatte. Da dachten dann so Manche: Wir wollen nicht mithalten, und desertirten. Andere beschnitten ihre Freidenkerei und blieben nur in unwesentlichen Punkten Freidenker, wieder Andere hielten sich tapfer und hieben auf das Alte ein, respektirten aber auch das Neue nicht, wovon sie selbst erfüllt waren, und endlich gab es auch Solche, die ehrlich auszuharren gedachten, in der Stunde der Noth jedoch die Bürde für ihre Schultern zu schwer fanden.«

»Diese Letzteren also, die wollen Sie schildern?«

»Ja. Das Buch soll den Titel »Niels Lyhne« führen, doch noch einen Untertitel erhalten: »Die Geschichte einer Jugend«, nicht »Eine Jugendgeschichte«. Diese Jugend ist's, die in dem Romane, den ich schreiben will, aufwächst, liebt, irrt, zu Kreuze kriecht, kämpft, endlich enttäuscht und besiegt wird. Durch ihre Tugenden und ihre Laster, ihre Feigheit und ihren Untergang soll sie darthun, wie schwer das fällt, Freidenker sein, wie man es hier in Dänemark ist, neben sich auf der einen Seite die Sirenenstimmen der Traditionen und Kindheitserinnerungen, auf der andern das verdammende Donnern der Gesellschaft.«

»Dürfte das nicht eine ziemlich metaphysische Geschichte werden? Etwas abstrakt, knöchern, mit harten Conturen, wie?«

»Nein, durchaus nicht. Es soll das Alles nur in weichen, unbestimmten Umrissen, von Liebesträumen und Liebesleiden, Liebessehnen und Liebesahnungen verschleiert und mit Farbe durchtränkt erscheinen – das Metaphysische durchgehends psychologisch und das Psychologische durchgehends physiologisch; was sagen Sie dazu?«

»Ich sage: Schreiben Sie das Buch!« –

Seit jener Zeit hat erst »Frau Marie Grubbe«, sodann »Niels Lyhne« das Tageslicht erblickt. Sie reiften langsam und kamen zu rechter Zeit.

Als Stil, als Stimmung, als Sprachdenkmal genommen ist »Niels Lyhne« ein Werk ersten Ranges. Die wesentlichsten Vorzüge des Buches liegen auf diesem Gebiete. Was von jedem guten Schriftsteller gilt, dass er Ausdrucksweisen und Wendungen, die schon von Andern wiedergekäut worden, nicht in den Mund zu nehmen mag, das gilt von Jacobsen in einem Grade, wie von keinem Zweiten. Selbst die Worte entnimmt er nicht gerne dem gewöhnlichen Lager, und ist er dazu gezwungen, so frischt er sie durch eine kleine versinnlichende Erweiterung (wie blutigroth für blutroth), eine malende Zusammensetzung, eine melodische Gruppirung oder einfach durch ein bekanntes Adjectiv auf, das man in solcher Gesellschaft nicht anzutreffen gewohnt ist. Und alle diese Worte und Sätze sind in Stimmung gebadet, in Stimmung getunkt und getaucht, ja von so warmen Stimmungsdämpfen, solch einem Duft und Brodem umgeben, dass man in der Atmosphäre des Buches wie in einem Treibhause athmet und dass Einem, wenn man es fortlegt, zu Muthe ist, als träte man aus der fremdartig wohligen Wärme des Krystallpalastes, wieder hinaus in die Winterluft der Wirklichheit.

Du blüthenbuntes, blüthenweisses, blüthenübersäetes, von Blüthen starrendes Treibhaus, in dessen Räumen, durchwallt von duftgeschwängerten, duftgesättigten Dünsten und Dämpfen der Ernst der Palmen und Cypressen Schweigen auferlegt; wo seiden glänzende Stiefmütterchen mit tausend Farbenmustern den Blick anziehen; wo purpurgeränderte Astern, purpurgefleckte Tulpen von dem Mandelduft, der den Nerien entströmt, und dem Opiumrausch, der vom purpurblutigen Mohn aufsteigt, betäubt werden; wo feurigen Wohlgeruch athmende Rosen die Luft sehnsuchtsschwanger, wehmuthsweich, süss und schwer machen! Lebensdurstig und todestrüb, traumgeboren und gramgebrochen, wie du bist, sei uns willkommen als das leibhaftige Bild unseres eigenen, nach Freiheit dürstenden, unter Schmerzen stumpfgewordenen Daseins!

Doch Jacobsen versteht ja eine schlichtere Sprechweise als die seine.

Das Buch hat seine Fehler. Es ist zu sehr nach innen gekehrt, zu wenig historisch. Zuweilen schwimmt die Schilderung des Seelenlebens lose auf den Wassern der Zeiten. Man spürt keinen rechten Unterbau, keinen festen, historisch aufgebauten Korallenriff unter diesen individuellen Schicksalen. Nicht so sprach man in Dänemark um das Jahr 60. Junge Leute, die eine gute Erziehung erhalten, redeten – und zwar sehr häufig – von der Idee und dem Absoluten, als wären das Bekanntschaften, die Jeder gemacht haben musste, alte, vornehme, aber nahe Bekannte. Die Leute sagten, wenn sie einen Disput führten, »dialektisch« zu einander. In ihren Augen war es durchaus kein Zufall, dass Dänemark, welches in Thorwaldsen den grössten Künstler seit den Tagen des alten Griechenland hervorgebracht, der Welt in Heiberg auch den grössten Geschmacksrichter geschenkt. Sie glaubten an Sören Kierkegaard, der ein Shakespeare vollkommen ebenbürtiger Dichter – dazu noch obendrein Philosoph war. Ja, er hatte die Philosophie abgeschlossen, indem er deren Unmöglichkeit bewies. Sie glaubten an den »Norden«, der die Sache der Völker, deren sich dort draussen Niemand annahm, baldigst zur Freiheit, der dänischen Freiheit, führen würde.

In diesem Punkte nun ist Jacobsens Schilderung abstract. Er begnügt sich in einem gewissen Abschnitte des Buches durchgehends mit den Bezeichnungen alt und neu. Man erfährt nirgends bestimmt, worin das Alte und das Neue bestand, und es gab damals in der Welt der Gebildeten auch gar nicht Altes und Neues in der von ihm angedeuteten Art. Mit andern Worten: Der Rahmen ist skizzirt, nicht ausgeführt. Wie phantastisch die eigentlich sogenannten historischen Romane sind, das wird Einem recht klar, wenn man eine derartige Schilderung einer Zeit liest, die man miterlebt, deren Anachronismen oder Antidatirungen einen Spielraum von kaum einem Decennium haben.

Im Laufe von zehn Jahren haben die Interessen, die Art und Weise sich auszudrücken, die Verhältnisse, ja, hat sich Alles verändert. Wie viele historische und locale Unmöglichkeiten müssen da erst Erzählungen enthalten, die vor hunderten oder tausenden von Jahren spielen! Sie lassen sich glücklicherweise um so weniger bemerken, je ferner uns die Zeit steht, in welche die Handlung verlegt ist.

Doch das historische ist selbstverständlich von verschwindender Bedeutung im Vergleiche zu dem rein menschlichen Inhalte des Buches.

Meines Dafürhaltens lassen sich in dem Buche drei leitende Motive unterscheiden.

Das erste ist die melancholische Grundlage der Schilderung: ein Zug von Etwas, das zu gut ist, um mit dem Namen Pessimismus belegt zu werden, denn es ist keine Theorie, vielmehr die Einsicht in die harten Bedingungen, die das Leben darbietet. Dies ist ein Buch über unser Menschenleben, davon handelnd, dass es das Loos unserer Versuche ist, fehlzuschlagen, unserer Waffen, zu versagen, unseres Muthes, zu schmelzen, unseres Willens, wie Glas zu zerspringen und unserer Pläne, entweder vorzeitig mit Fehlgeburten oder rechtzeitig mit Todtgeborenen niederzukommen.

Die Mächte spielen mit uns. Denn wir verzehren uns, wenn unser Sehnen nicht gestillt wird, vor Verlangen, und wird es gestillt, in der Enttäuschung, die der Erfüllung folgt. Und die Enttäuschung gebiert neues Sehnen und dieses – neue Enttäuschung. Die Gedanken martern uns, wenn wir sie für uns behalten, und die Welt martert uns, wenn wir sie aussprechen, dabei war der Gedanke doch immer nur halbwahr, und dass er dies war, thut uns wehe. Wir können es nicht vertragen, einsam zu sein, und sind nichtsdestoweniger zu steter Vereinsamung verurtheilt. Nicht Der, welcher schläft oder Der, welcher stirbt, ist einsamer, als wer in wachem Zustande die Andern aufsucht, nach ihrer Gesellschaft begehrt und danach schmachtet, verstanden zu werden. Denn Keiner versteht den Anderen. Wir verschmachten jeder für uns in einer Wüste. Und trotzdem – ob wir auch nicht verstehen, müssen wir lieben, und werden geliebt, ob wir auch nicht verstanden werden, und lieben wir und werden wir geliebt, so müssen wir verlieren. Trennung und Tod sind überall das letzte Wort, bis es mit uns selbst, wie mit den Andern, zu Ende ist.

Das zweite Grundmotiv ist das folgende: Niels Lyhne ist ein Phantast, und zwar, wie man es in einem Volke von Phantasten ist; eine verträumte Natur, wie man es wird, wenn man in einem Volke von verträumten Naturen geboren ist, ein schlechter Lyriker, wie sie in den Jahren 1848-1864 unter der aus guten und schlechten Lyrikern bestehenden » gebildeten Jugend « Dänemarks sich vorfanden. Er gehört mit Haut und Haar (heller Hautfarbe und blonden Haaren), mit Leib und Seele (sehnsuchtsvoller Seele und versagender Persönlichkeit) der phantasiearmen, phantastischen Gesellschaft an, die alle Dänen gekannt – jener Gesellschaft, die hyperidealistisch in ihrer Poesie, hyperorthodox in ihrer Religion und hyperphantastisch in ihrer Politik und ihren Hoffnungen war, eine Gesellschaft, die sich einbildete, wofern sie nur die Augen schlösse, wäre all das, was sie nicht zu sehen wünschte, auch nicht vorhanden. In dieser Gesellschaft wächst Niels als das Kind eines gutmüthigen, phlegmatischen Vaters und einer schwärmerischen romantischen, poesiesüchtigen Mutter, sowie als Schüler eines armen, eingebildeten Genies auf, das Tag aus, Tag ein Windeier legt und seine Zeit dazu verwendet, sie mit Rauschgold zu überkleben. Alle Gefühle des Helden kehren uns die Seite zu, von der sie Phantastereien sind. Schon vorher hatte Schack in seinem berühmten Buche »Die Phantasten« dieses Motiv aufgegriffen und mit grosser Tüchtigkeit und vielem Muthe behandelt – ich wünschte, Jacobsen hätte uns die Phantastereien des Knabenalters, die bei Schack ergötzlicher gegeben sind, geschenkt – doch ist in »Niels Lyhne« das Thema mit grosser Originalität variirt und überdies nur als Grundlage für das dritte und eigentliche Hauptmotiv benützt.

Dieses liegt in dem Verhältnisse des Helden und seiner Umgebung zu dem Religiösen, oder genauer in der Richtung ihres Gedanken- und Stimmungslebens, theils empor zur religiösen Ueberlieferung, theils nach aussen auf die Wirklichkeit, wie die unmittelbare Erfahrung im Vereine mit der wissenschaftlichen Forschung uns sie kennen lehren. Da überrascht es uns denn als neu und tief, zu sehen, wie unendlich schwer es in einer durch und durch phantastischen bürgerlichen Gesellschaft, in welcher Generationen hindurch die Phantasterei sich vererbt und gesteigert, als Dichtkunst, Glaube, Menschenliebe und Pflicht geübt und gefeiert worden – wie unendlich schwer es in solch einer Gesellschaft dem Einzelnen fällt, »das Leben zu ertragen wie es ist, und es nach des Lebens eigenen Gesetzen sich gestalten zu lassen«. In anderen Staaten werden derartige Bestrebungen von einer eigentlichen Aristokratie getragen und gestützt, in Dänemark giebt es keine solche. Ich muss mich beeilen, zu erklären, was ich unter eigentlicher Aristokratie verstehe: In jedem der grossen Gesellschaftskörper giebt es Familien, zuweilen ganze Geschlechter, in welchen die vollendete Bildung und der höchste Freisinn sich von Vater und Mutter auf Sohn und Tochter, oft zwei, drei, vier Generationen hindurch fortgeerbt. In solchen Familien bleibt die heranwachsende Jugend vor den inneren Kämpfen zwischen verschiedenen Lebensanschauungen, dem Ringen mit angeborenen oder frühe eingeimpften Vorurtheilen verschont. In solchen Familien herrscht eine geistige Ueberlegenheit, eine schlichte, nicht polemische Wahrheitsliebe, eine – bereits ererbte – Seelenschönheit, die in unseren Tagen die einzige Aristokratie bildet oder begründet. In solchen Geschlechtern besitzen die Frauen eine Vornehmheit, gegen welche die Feinheit und der Witz der Weltdame das ist, was man in Deutschland »zweite Gesellschaft« nennt, die Männer ein Gleichgewicht des Geistes, im Vergleich zu welchem die gräfliche Haltung sich nicht wesentlich von der Kellner-Eleganz unterscheidet. Um solche Familien krystallisirt sich in den grossen Ländern die Entwicklung.

Sie haben schon hinter sich und geben selbst dem aufwachsenden Geschlechte »die Reihe geistiger Ahnen« ab, wovon Niels Lyhne spricht und die er so bitter vermisst.

Es ist Dänemarks Unglück noch heutigen Tags, keinen derartigen Adel zu besitzen. Wo er und damit das wahrhaft conservative Element in der Gesellschaft fehlt, da ist, wie Niels Lyhne in seinem Gespräch mit Hjerrild es andeutet, die Fortschrittsbegeisterung im Gefühle ihrer Isolirtheit in Gefahr, fanatisch zu werden oder wenn sie zu rein oder zu schwach zum Fanatismus ist, dafür ausgesetzt, zu verstummen oder zu verdampfen. Ein Trost ist es indess, dass mit der allmählig zunehmenden Besserung der geistigen Zustände die Gemüther eine ruhigere Kraft gewinnen. Jene conservativen Elemente bilden sich langsam, die Fortschrittsbestrebungen erhalten, summiren, organisiren sich. Es fallen weniger Opfer und weniger geistige Kraft geht verloren. Vielleicht erleben wir selbst es noch, ein Pathos, eine ruhige Begeisterung sich aussprechen und entwickeln zu sehen, wie sie im Alterthume sich bei Lucretius fand.

Ehe jedoch die Siegesgöttin auf ihrem Viergespann den Einzug hält, kommen immer viele Vorläufer. Sie stöhnen, sinken zusammen und werden von den Rädern des Wagens zermalmt. Jacobsen hat uns die Leidensgeschichte eines dieser Vorläufer erzählt. Der Held ist traurig, wie seine Geschichte, ja nicht einmal recht interessant. Allein die Persönlichkeiten, in Verhältniss zu denen sein Wesen sich entfaltet, und die uns dadurch bisweilen klarer als er selbst werden, die Frauen besonders, Edele, Bartholine, Tema und Gerda – das sind die wahren Hauptpersonen des Buches, und der sie geschaffen, ist nicht etwa hoch begabt, talentvoll oder dergleichen, nein, er ist Meister.

IV.

Die Hauptursache, warum der Held minder interessirt, liegt sicherlich in dem Umstande, dass er ein Dichter, wenn auch ein verunglückter ist. Diese von eingebildeten oder wirklichen Schriftstellern handelnden Romane und Dichtungen, diese ewigen Poesien über Poeten sind ein Erbe von den Selbstspieglungszeiten der Romantik her und als solches irritirend. Es bedurfte des ganzen Talentes und der pastosen Malweise Jacobsens, um die Hauptgestalt sehenswerth zu machen. Dieselbe wird übrigens, ganz wie die Heldin des früheren Romans, durch eine Allée von Nebenpersonen geführt – es ist dies die Jacobsen einzig naturgemässe Art zu komponiren. Ehe sich Lyhne auf den Weg begiebt, sehen wir seinen Vater, den praktischen, prosaischen Landmann, dessen kurzer, sentimental-poetischer Jugendaufschwung hinter ihm liegt, halbe Stunden lang an einer Gartenthüre oder auf einem Grenzsteine sitzen und in seltsam vegetativem Hinbrüten auf den üppig grünen Roggen oder den goldenen, fruchtschweren Hafer starren. Und beim Austritt aus der langen Allée sehen wir Niels Lyhne selbst so sitzen wie sein Vater gesessen – ein Zug von bewunderungswürdiger Tiefe und Wahrheit. Da jedoch sein Gang durchs Leben so wenig des Spontanen, des Selbstbestimmenden hat, ist es nur natürlich, dass der Blick sich mehr auf die »Allée« der Nebenpersonen, als auf ihn selbst haftet. Die geschilderten Frauengestalten sind mit so tiefem, feinem Verständnisse erfasste Repräsentantinnen des höheren Bürgerstandes, wie deren die dänische Litteratur keine zweiten aufzuweisen hat.

Niels Lyhnes Mutter ist die romantische Träumerin, der Jeder, der sich im Leben umgesehen, begegnet ist. Erst jungfräulich schwärmerisch wird sie später so unwirklich burgfrauenartig, dass weder eine Alltagsehe, noch das Thun und Treiben des gemeinen Lebens sie auf der Erde festen Fuss zu fassen bewegt.

Edele ist die junge adlige Mädchenseele, ächt Kopenhagnerisch, doch ohne Spur von Kopenhagenerei. Sie ist schön, ist gefeiert und umschwärmt worden, eine Weltdame, eine Verehrerin schöner Spazierfahrten und gemüthlicher Theaterabende, allein in ihrer höchsten Blüthe und Kraft geknickt, hoffnungslos aus der Ferne liebend und von einer Krankheit ergriffen, die keinen Pardon giebt. Sie ist zur Erkenntniss gekommen, dass das Leben keinen giebt. Sie weiss, dass »das Leben nicht mit Träumen rechnet,« dass auch nicht ein einziges Hinderniss sich aus der Wirklichkeit hinausträumen lasse, und stolz und keusch, streng und blass und still, haucht sie mit einem letzten Gruss »an den grossen Künstler, den sie heimlich mit ganzer Seele geliebt«, mit einem stummen Gruss, der nicht einmal als Hauch über ihre Lippen kommt, ihr Leben aus.

Tema ist durch ihr zusammengesetztes Wesen eine noch originellere, traurig wahre Gestalt, die mit überlegenem Humor gezeichnet ist. Sie stellt eine der verschiedenen Hauptformen der dänischen dreissigjährigen Frau dar; ausgezeichneter Kopf, bis zu einem gewissen Punkte den Verhältnissen überlegen; den lebhaften Drang in sich, Schranken zu durchbrechen; mit so viel Wirklichkeitssinn begabt, dass sie (in Worten, nicht durch die That) gegen Phantasterei der Gefühle stets protestirt, diese Phantasterei verhöhnt und auf deren Kosten »einen unschuldigen Cynismus« preist; eine Emancipirte, in deren feiner, munterer Coquetterie eine prickelnde Naivetät, ein nackter Muth von den allerheikelsten Dingen zu sprechen, Elemente bilden; eine Bespöttlerin alles dummen gesellschaftlichen Herkommens, mit nicht eben starker, aber naschhafter Sinnlichkeit – und bei alledem mit einem ewigen Schmachten nach der Achtung der so gering geschätzten Spiessbürgerwelt, mit einer Leidenschaft im Blute »für das Correcteste des Correcten, bis hinauf zu des Passenden äusserster Spitze«. Dieser letztere Zug, der so neu, so keck hingesetzt, und so schlagend richtig ist, gehört zu den genialsten Zügen dieses genialen Buches. Ein Kritiker ist in sie verliebt gewesen und wurde ihrer überdrüssig. Nachdem sie ihn vergessen hat, spielt sie – d. h. nicht das Ueppige, sondern der Rest von Mädchenhaftem in ihr – ein erotisches Spiel mit dem jungen Studenten Lyhne. Jacobsen hat wohl kaum je etwas Gewagteres geschrieben, als die Characteristik des sonderbaren Verhältnisses zwischen dem Helden und ihr. Es ist das äusserst kühn (wenn auch nicht überzeugend), was er von Niels Lyhnes Beherrschung seiner Phantasie in diesem Verhältnisse sagt, und die ganze von den Beiden mit einander verbrachte Abschiedsstunde ist ein geglücktes Wagestück. Jene Schaukelscene, in welcher ihr Wesen in all seiner bodenlosen und doch so folgerichtigen Verschrobenheit, seiner Empfindsamkeit und seiner Feigheit, seiner Sinnlichkeit und Spiessbürgerlichkeit Galimathias redet und sich so allmälig vor uns entpuppt, schliesst Jacobsen mit folgendem, sowohl einen leiblichen, als einen seelischen Zustand malenden Worten:

»Der Schwindel war wie fortgeblasen. Die Schwäche, die sie noch in den Beinen spürte, that so wohl und sie ging umher, um sie besser zu fühlen. Verstohlen, gleichsam zufällig, gab sie dem Schaukelstuhl einen leisen vertraulichen Puff mit dem Ellbogen.

Sie war im Grunde eine Freundin von Scenen.

Mit einem Blicke nahm sie von etwas Unsichtbarem da drinnen Abschied, dann zog sie die Rollgardinen auf, und nun war es ein ganz anderes Zimmer.«

Dass sie Scenen eigentlich gerne hatte, das ist der letzte Pinselstrich, der die hiermit aus der Erzählung scheidende Gestalt zugleich vollendet und erklärt.

Von ganz anderer Beschaffenheit ist das Verhältniss zwischen Niels und Fennimore, das so tief durchdacht, so klar dargestellt ist wie kein anderes im Buche. Die erste Annäherung zwischen ihr und Niels wird durch ihre und ihres Mannes Geschichte herbeigeführt, die keine andere ist, als die alte »von dem Festgerichte der Liebe, das nicht tägliches Brod werden will, sondern fortfährt, Festgericht zu sein, nur fader, von Tag zu Tag widerlicher«. Sie ist jung und schön, aber verzweifelt und abgestumpft, auf dem Wege roh zu werden. Die ehrerbietige Huldigung des Freundes ihres Mannes erbittert sie nur, denn sie, »die aus dem Purpurbette ihrer Träume auf das Steinpflaster hinausgeschleudert worden«, ist nahe daran, Jeden zu hassen, der über die Steine Teppiche breiten möchte, will sie in der ersten Bitterkeit doch gerade deren Härte fühlen. Daher ihr meisterhafter Zornesausbruch gegen Niels, der sich in schönen Redensarten über seinen Glauben an die Reinheit des Weibes ergangen hat:

»Reinheit des Weibes, was meinst Du mit Reinheit des Weibes? ... Ich will es Dir sagen, Du meinst nichts, denn das ist auch so eine von jenen nichtssagenden Feinheiten. Ein Weib kann nicht rein sein, soll es nicht sein. Wie sollte sie es sein können! Was ist das für Unnatur? ...«

Hierauf folgen bei Fennimore die krampfhaften, schliesslich aus harter Nothwendigkeit aufgegebenen Versuche, in ihrer Seele die Liebe zu ihrem Manne zu künstlichem Leben wieder zu erwecken; und es folgt das Freundschaftsverhältniss zu Niels, dies Verhältniss, dem ihre Gedanken, ob sie beisammen oder getrennt sind, sich stets zuwenden, »wie Vögel, die an demselben Nest bauen, alles was sie sammeln, was sie verwerfen, mit dem einen traulichen Zweck vor Augen betrachten, das Nest für den Andern und sich selbst recht warm und weich zu machen«. Noch aber ist es nur Freundschaft, was sich für einander in ihnen regt, sie haben kein Geheimniss zusammen, blos eine kleine Welt für sich.

»Allein die Liebe war in ihren Herzen und war doch eigentlich wieder nicht darin, gleichwie Krystalle in einer übersättigten Lösung vorhanden und doch wieder nicht vorhanden sind, nicht bevor ein Splitter oder auch nur ein Fäserchen vom Rechten sich in die Flüssigkeit senkt und wie mit einem Zauberschlage die schlummernden Atome scheidet, so dass sie sich entgegenschiessen, Niete in Niete nach unsichtbaren Gesetzen zusammenkeilend und in einem Nu Krystall sind ... Krystall!«

Es ist denn auch ein reines Nichts, das sie zum Bewusstsein ihrer Liebe kommen lässt. Es geschieht nichts; sie stehen zufällig nebeneinander am Fenster; es wird nichts gesagt, nur entringt sich Fennimore, indem ihre Hände sich in einem Drucke zusammenschliessen, der kurze Ausruf »O ja, Niels!« Aber es ist unglaublich, wie dieses Alltägliche, dieses in seiner Schlichtheit so Lebenswahre, den Eindruck giebt, welchen dämonischen Zauber die Beiden aufeinander üben. Alles, was nun zwischen ihnen vorgeht, die ganze Entwicklung der Leidenschaft und ihrer Folgen, steht auf gleicher Höhe, mit alleiniger Ausnahme von Fennimore's Reue beim Tode Erik's, an die ich nicht glaube. So manche andere Frau würde derartig bereuen, sie nicht.

Die Art, wie Jacobsen seine Personen charakterisirt, ist höchst eigenthümlich. »Niels Lyhne« beweist, was »Marie Grubbe«, durch die dort gebrauchte alte Sprache, die eine nothgedrungene Gleichartigkeit der Redeweise im Munde der verschiedenen Personen zur Folge hatte, nur ahnen liess, nämlich, dass er weniger die Gabe besitzt, durch den Dialog, als durch Stimmungsbilder und die Einblicke in das Seelische, die er eröffnet, zu kennzeichnen. Schon die Liebe und Ausdauer, mit der er seinen persönlichen Stil ausgebildet hat, bringen es mit sich, dass man ihn aus seinen Personen nur zu oft selbst heraushört. Niels Lyhne äussert von einer Mondscheinnacht: »Sie ist so unbarmherzig diese Nacht, denn die Sehnsucht wird in ihr übermächtig. Aus jedem geheimsten Winkel unserer Seele schweigt sie sie hervor, saugt sie sie heraus mit harten Lippen, und in der kalten, starren Klarheit blinkt keine Hoffnung, schlummert keine Verheissung.« Kann etwas unmöglicher sein, als diese Worte im Munde eines jungen dänischen Studiosus der fünfziger Jahre? Und welcher Mensch spricht so oder hat überhaupt je so gesprochen? Niemand auf der weiten Erde, mit Ausnahme eines gewissen J. P. Jacobsen, und auch er spricht nicht so, er schreibt nur so. Aus den Reden tönt Einem seine Stimme entgegen, doch nicht mit ihrem gewöhnlichen Klange, sondern mit dem, welchen sie annimmt, wenn er etwas von sich vorliest. Was aus dieser poetischen Prosa im Dialoge bei der Schaar seiner Nachahmer geworden ist und noch werden dürfte, daran lässt sich nur mit Grauen denken.

Um wie viel höher doch dieser Dichter steht, wenn er im eigenen Namen spricht, sich in seine Personen versenkt, und, während sie selbst sich mit keinem Worte äussern, schildert, was in ihnen vorgeht. Seine Seelenkenntniss ist so tief, weil er sich stets des körperlichen Organismus erinnert. Das spürt man schon, wenn man in seinen Arbeiten deren Entstehungskeimen nachforscht. Für Marie Grubbe bildete die Scene den Ausgangspunkt, in welcher Marie ohne es zu wollen, dem unwiderstehlichen Drang gehorcht, Ulrik Frederik das Messer in die Brust zu stossen. Was von allem Anfange an Jacobsen interessirte, war jenes Unbewusste, Unfreiwillige: eine Handlung, die wie in der bewussten Absicht einen Mord zu begehen, ausgeführt erscheint, ihre Wurzeln jedoch tief unten im unbewussten Leben hat, die eine in verletzter weiblicher Scham, eine andere in dem Zusammenhange zwischen Grausamkeit und Wollust und unfreiwillig, unvorsätzlich ist. Er hatte anfangs die Idee, dies in der Form einer Verteidigungsschrift eines angeklagten Weibes zu entwickeln. Als er jedoch in der Note zu Holberg's Schilderung seiner Begegnung mit Marie Grubbe, Aufklärungen über die Geschichte der letzteren gefunden, fügte dies zu allererst geplante; sich in das ganze Lebensbild, wie es vor ihm stand, ein. In gleicher Weise bildete, wie bereits berührt, den Ausgangspunkt für Niels Lyhne ein unwillkürlicher, unwiderstehlicher Akt, der gleichsam mit dem ganzen bewussten Vorsatzleben des Handelnden im Widerstreite stand, dass nämlich der Held am Krankenlager seines Kindes die Hände zum Gebete faltet. Von Jacobsen's Novellen dreht sich »ein Schuss im Nebel« um die Versuchung, in der Richtung nach seinem Feinde, in den Nebel, ins Undurchsichtige hinein zu schiessen, wobei der Thäter den blinden Gewalten das freie Schalten mit dem Schusse und damit auch die Hälfte der Schuld und Verantwortung überlässt. »Die Pest in Bergamo« baut sich auf der unfreiwilligen, überwältigenden Reaction des religiösen Aberglaubens auf, welche in Folge der fanatisch genialen Predigt eines Flagellantenpriesters mittelalterliche Freidenker wie durch Ansteckung erfasst. »Frau Fönss«, die um des Schlussbriefes willen geschrieben worden, ist eine Eingabe zu Gunsten des Rechtes einer gesunden, plötzlich hervorbrechenden, sinnlich-geistigen Forderung der Natur, gegenüber anderen Banden des Bluts von rein unsinnlicher Art. Für Jacobsen hat selbst bei der 40jährigen Frau die gesunde Liebe im Vergleiche zu den egoistischen Ansprüchen, die an ihr Gefühl für das Würdige und Schickliche appelliren, und zu den selbstsüchtigen Forderungen, welche die Pietät ihrer Kinder an ihre Mutterliebe stellen, das Recht des Stärkeren. Ueberall also das Unbewusste, das Physiologische als Ausgangspunkt und Grundlage, überall die Grundanschauung der Naturwissenschaft.

Hierauf beruht es, dass Jacobsen nie vollkommener ist, als wenn er sich auf die Beschreibung der feinen, fruchtbaren Stimmungsschwingungen, der wechselnden, verhängnissvollen Stimmungszustände reichentwickelter Menschenseelen einlässt. Es ist das seine wahre Domaine, dieses ganze Gebiet des Unbewussten und Halbbewussten, das des bewussten Lebens Urgrund und Regulator ist, welches jedoch die wenigsten Schriftsteller überhaupt in Betracht zu ziehen vermögen, und das nur die vorzüglichsten zu betreten den Muth haben. Denn mehr als auf irgend einem anderen Gebiete, ist der Verfasser hier der Gefahr ausgesetzt, für verrückt oder affectirt zu gelten; kann er doch an nichts Anerkanntes appelliren um die Richtigkeit seiner Ausdrücke zu beweisen, sondern muss ganz allein für seine Beobachtungen und seine Wahl der Worte bei Schilderung des Unsichtbaren und Stummen einstehen. Man sehe so die Ausmalung der Wirkungen des Frühlings auf Niels Lyhne als Jüngling:

»... Er schloss die Augen, merkte aber dennoch, wie das Licht sich gleichsam in ihn hineinzog und durch seine Nerven flimmerte, während bei jedem Athemzuge die kühle, berauschende Luft das seltsam erregte Blut mit immer wilderer Kraft durch die machtlos bebenden Adern jagte. Ein Gefühl überkam ihn, als suchte all das rege Gewimmel, das Bersten, Sprossen, Brüten in der ihn umgebenden Lenznatur sich mystisch zu einem lauten, lauten Schrei zu sammeln, und ihn dürstete nach diesem Schrei, er lauschte auf ihn hin, bis sein Lauschen die Form einer unklaren, schwellenden Sehnsucht annahm.«

Oder man lese die hier folgende Schilderung der zarten Regungen erster Liebe in seinem Herzen:

»Es war ihm zu Muthe als wartete er auf etwas, das aus weiter Ferne kommen sollte, eine ferne Musik, die schallend, rauschend, sausend und brausend sich allmälig nähern müsste, dröhnend auf ihn niederwirbeln; ihn packen, er wusste nicht wie; ihn tragen, er wusste nicht wohin; wie eine Fluth kommen, wie eine Brandung kämpfen, und dann – – –«

Oder hier endlich diese Beschreibung einer Wartestimmung, der Phantasien der ungeduldig harrenden Fennimore – jener Phantasien, welche die Leere der Wartezeit erzeugt:

»Sie trat wieder ans Fenster, blieb stehen und blickte in die Dunkelheit hinaus, bis diese sich vor ihren Augen mit weissen Fünkchen und regenbogenfarbigen Ringen füllte. Sie hätte sich draussen ein Feuerwerk gewünscht, Raketen, die in langen, langen Streifen aufstiegen, zu kleinen Schlangen wurden, die sich in den Himmel bohrten, um endlich mit einem Knall zu verschwinden – oder auch eine grosse Kugel, die durch die Luft emporzitterte und dann in einem Regen tausendfarbiger Sterne langsam wieder abwärts schwebte. Seht nur, seht! so weich und rund, gleichwie ein Neigen, wie ein Goldregen der sich neigt – fahr wohl, fahr wohl! Das waren die letzten. – Herrgott, dass er auch gar nicht kam.«

Gleich wie die hunderttausende von Sonnenstäubchen, welche die Luft erfüllen, dem Auge sichtbar werden und in all ihrem bewegten Leben erscheinen, wenn ein Sonnenstrahl vom Fenster in die halbdunkle Stube dringt, so kommen bei Jacobsen an Stellen wie diesen, die Moleculen des unbewussten Stimmungslebens in ihrem verborgenen Vibriren, ihrem wirbelnden Tanze zu Tage, und ihr stummes Kreisen wird hörbar. Es ist, als vernähme man die Musik dieser Seelenelemente, dieser allerkleinsten Sphären.

Derlei ist tiefsinnig, erlesen, einzig dastehend, in ebenso hohem Grade wissenschaftlich empfunden, als künstlerisch ausgeführt, aber nothwendigerweise nur in sehr geringem Grade populär. Es trägt die Bewunderung der besten Leser, vorläufig jedoch nicht eben viele Auflagen ein.

V.

Eine schnelle Popularität wird ein Dichter, zu dessen Wahlspruch der Gedanke: »Der erste beste Ausdruck ist keineswegs der beste«, gestempelt werden könnte, überhaupt nicht erlangen. Allein die Zeit wird kommen, wo auch die grosse Lesewelt begreifen wird, von welcher Bedeutung es für die Geschichte nordischer Kunst war, dass ein Dichter diesen Wahlspruch erkor und ihm folgte. Schon jetzt wird Niemand, der in Niels Lyhne die Kritik liest, die Tema an dem Besuch der Meerfrau in Oehlenschlägers »Helge« übt, daran zweifeln, dass sie die Ueberlegenheit der Schilderungen des jungen Dichters über die des alten bedeutet.

»Ich möchte in die eigenthümliche Schönheit solch eines Meerfrauenkörpers eingeweiht werden, und nun bitte ich Sie, was soll ich mit weissen, herrlichen Gliedern, über die sich ein Stück Flor breitet, eigentlich beginnen? – Herrgott! – Nein, nackt wie eine Welle müsste sie sein, und die wilde Schönheit des Meeres in ihr spuken. Ihre Haut müsste etwas von dem Phosphorleuchten der Sommersee, ihr Haar etwas von dem schwarzen, wirren Schrecken der Meergraswälder an sich haben. Nicht wahr? Ja wohl, die tausend Farben des Wassers müssen in blinkendem Wechsel in ihren Augen kommen und gehen; der bleiche Busen muss kalt sein, von wollüstig kühlender Kälte; schaukelnder Wellenschlag muss alle ihre Formen durchrieseln, und des Strudels Saugen ist in ihrem Kuss, die zerstiebende Weichheit des Schaumes in ihren zärtlich umfangenden Armen.«

Selbst ein Auge, das keine künstlerische Erziehung erhalten, wird die Empfindung haben, dass der Verfasser dieser Zeilen ein ausserordentlich zartes und kritisches litterarisches Gewissen besitzt. Daher wird auch niemand umhin können, aus dem Versprechen, das Niels Lyhne seiner Mutter giebt, stets und immer sein Aeusserstes leisten zu wollen, den Dichter selbst herauszuhören. Zu der litterarischen Gewissenhaftigkeit gesellt sich eine Kraft der Phantasie, die das Unvergessliche hervorbringt. Wenn Erik, um seine geistige Unfruchtbarkeit zu bezeichnen, erklärt, er habe nur das eine Gefühl, »dass nun die Zeit in Ewigkeit bis an die Hüften da draussen im Wasser stünde und die Stunden zu sich herzöge, so dass sie vorbeirutschten – zwölf weisse, zwölf schwarze – ohne Unterlass« oder wenn, um das Glücksgefühl Niels Lyhnes, da er sich wiedergeliebt weiss, zu zeichnen, gesagt wird, dass nun die Tage »neu und blank direkt vom Himmel fielen«, statt »in selbstverständlicher, träger Reihenfolge einander abzulösen, wie die abgenützten Bilder eines Guckkastens«, oder wenn es heisst: »Bei jedem Glücksschlosse, das sich auferbaut, ist Sand dem Grunde beigemengt, auf dem es ruht. Und der Sand sammelt sich und rinnt unter den Mauern hinweg, langsam vielleicht, vielleicht unmerklich, doch verrinnt Korn für Korn,« – so offenbart sich in diesen Bildern und Gleichnissen eine Einbildungskraft, die an die grössten Dichtergeister der Renaissance erinnert.

Indess hat der Wahlspruch, der erste beste Ausdruck sei keineswegs der beste, doch auch noch eine andere Seite, die auf die Gebrechen und Gefahren dieses dichterischen Stils hindeutet. Der gesuchte Ausdruck ist ebenso weit entfernt der beste zu sein, wie der zufällige. Es giebt nur einen – nicht besten, sondern einzig richtigen Ausdruck, das ist der natürliche, und als ein natürlicher Ausdruck wirkt nicht, sei er auch noch so unaffektirt, der, welcher der unendlich fein nuancirte Ausdruck eines verzerrten krankhaften Gefühls, noch der, welcher der geschnörkelte Ausdruck eines Stimmungslabyrinthes ist. Es geht nicht an, aus Abneigung gegen den kalten, trockenen Vortrag, der litterarischen Verzärtelung, dem unmännlichen Ausspinnen von Stimmungsbezeichnungen zu verfallen, die sich in Wiederholungen wie »ein lauter, lauter Schrei, ein langer, langer Streif« äussern. Noch geht es an, sich aus Hass gegen die unkünstlerische Magerkeit der geraden Linie einer Ausdruckweise in Umschreibungen zu bedienen. Die Novelle »Hier sollten Rosen stehen«, deren Grundgedanke (der unentschiedene Streit, ob das Glück des Hoffens und Ersehnens grösser sei oder das, was man wirkliches Glück nennt), übrigens tief und echt ist, giebt Allem, was in Jacobsen's Dichtung nur immer Manier, verkünstelte Kunst, all dem Excentrischen, den Um- und Abwegen der adjectivisch gespickten, arabeskenartig wildverschlungenen Diktion beängstigenden Ausdruck. Dieses Capriccio war ein Leckerbissen für Raffinirte, allein das Kunststreben hatte sich hier in eine Sackgasse verrannt, aus der es kein Vordringen gab, aus der es umkehren hiess oder zu Grunde gehen. Jacobsen erkannte dies selbst und schrieb nach diesem Stimmungsbilde mit allen seinen potenzirten Unwirklichkeiten die bereits genannten schönen kleinen Prosastücke: »Die Pest in Bergamo« und »Frau Fönss«. Das erste ist eine Rückkehr zum grossen, strengen, beschreibenden Stile, das zweite zu dem ungekünstelten Ausdruck natürlicher, echt menschlicher Gefühle. Von den übrigen Novellen Jacobsen's halte ich, ihrer Tiefe wegen, die »Zwei Welten« betitelte, trotz ihrer Kürze, für die hervorragendste. Die Verse, mit denen sie schliesst, sind ein Stimmungskraftauszug sondergleichen. Der Stil hat übrigens hier wie in den anderen Novellen, den starken, matten Glanz, die tiefe, schwellende Farbe, so auch jene Morbidezza, d. h. jene durch einen leisen Leidenszug doppelt rührende Anmuth, die seinen Genius auszeichnet. Selbst im innersten Herzen ergriffen – gesund und krank wie ein also Ergriffener – ergreift und gewinnt er die Herzen.

Es ist dieser in seiner Ursprünglichkeit, seiner Färbung und Wärme einzig dastehende Prosastil, der die wenigen Seiten – kaum tausend sind es – die Jacobsen geschrieben, vor der Vergessenheit bewahren wird. Noch nach Hunderten von Jahren wird der Brokat des Stils sich erhalten haben. Man wird empfinden, dass er mit Naturnothwendigkeit gerade so gewebt worden, mit der Stätigkeit des Genies, kraft jener untrüglichen Sicherheit des Instincts, die man so häufig bei den grossen, ruhig vornehmen Begabungen antrifft. (Ich habe bei dem dänischen Sprachforscher Wilhelm Thomsen und dem deutschen Maler Max Klinger ganz verwandte Züge gefunden.) Für unsere Zeit hat die Schreibweise J. P. Jacobsen's die Nebenbedeutung gehabt, die Anforderungen an die dänische Prosa höher zu stimmen. Alle haben von Jacobsen gelernt, selbst diejenigen unter den Skandinaven, deren litterarische Anlage nicht dichterischer Natur war, selbst die unter den gleichaltrigen Dichtern, die wie Holger Drachmann, zu selbständig und zu entwickelt waren, um einer eigentlichen Einwirkung zugänglich zu sein. Es war bei Jacobsen die Eigenart des Stils überhaupt, welche die besten unter den Zeitgenossen zwang, je für sich ihren Stil möglichst eigenartig zu entwickeln.

Indess hat Jacobsen's Prosa – so kurze Zeit auch erst verflossen, seit sie in die Oeffentlichkeit gedrungen – doch bereits eine Schaar von Verehrern und Nachahmern gefunden. Man spürt seinen Einfluss bei allen den Jüngern, die einen Namen errungen. Noch stärker ist dieser Einfluss auf die Allerjüngsten, die sich noch nicht Bahn zu brechen vermocht.

Schule dürfte Jacobsen's Prosa, eben um ihrer auserlesenen Eigenthümlichkeit willen, trotz alledem nicht machen. Es geht mit ihm, wie mit einigen der grössten Coloristen der Welt, Correggio zum Beispiel. Sie haben in der von ihnen eingeschlagenen Richtung den Culminationspunkt erreicht. Noch einen Schritt, und sie führt zur Krankhaftigkeit oder Affektation. Was ein junger Dichter von ihm lernen kann und soll, das ist, gleich ihm er selbst zu werden.


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