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38

Bevor Templar seine Stellung ändern konnte, um wieder durch das Fenster zu blicken, wälzte sich die Riesengestalt O'Shays heran.

»Ist jemand drin?« fragte er flüsternd.

»Hongkong!«

»Aber es muß noch jemand da sein!«

»Vor einer Sekunde war da ein Mann mit einem Revolver in der Hand. Er kehrte in diese Richtung zurück. – Was hast du da in der Hand?«

»Die Beute, mein Sohn. Ich ging zu dem Kanu hinunter, und da lag sie, in dieser Mappe da. Das Ding steckt voll von Banknoten und Staatspapieren, Johnny.«

»Hol' der Teufel das Geld!« sagte Templar. »Mich interessiert der Mann!«

»Bleib, wo du bist!« erwiderte O'Shay. »Beobachte du das Zimmer! In ein paar Minuten bin ich wieder da. Auf jeden Fall laß Hongkong nicht aus den Augen!«

Templar nahm ruhig wieder seinen Posten am Fenster ein, drehte sich um und blickte hinunter. Tief unten zu seinen Füßen lag das Bündel mit dem gestohlenen Vermögen. Eine prickelnde Erwartung stieg in ihm auf, als solle im nächsten Augenblick der geständige Mörder Condons vor ihm stehen.

Unterdessen saß Hongkong da in ihrer Ecke, aber etwas von ihrer schläfrigen Gemächlichkeit war verschwunden. Templar hörte einen leisen Schritt, und in den Lichtschein trat ein Mann, dessen Gesicht hinter einem breiten Schlapphut verborgen und dessen Kleider zerfetzt und abgetragen waren. Er näherte sich langsam dem Mädchen, in der Hand einen schußbereiten Revolver.

»Ich wußte, wenn einer mich findet, dann würdest du es sein«, sagte er.

Templar war wie erstarrt, denn die Stimme, die er da hörte, war ihm wohlbekannt, und er hätte sich nie träumen lassen, daß er sie noch einmal im Leben hören würde: es war Condon!

»Die andern«, fuhr Condon fort, »hätten sozusagen nie um die Ecke denken können. Was willst du denn eigentlich von mir?«

Hongkong sagte: »Ich kommen Ihnen sagen, Mr. Crane sehr schnell hier.«

»Weißt du, wer Crane ist?« fragte Condon. »Was, zum Teufel, weißt du denn überhaupt? Wer und was bist du?«

Sie sah ihn ernst an.

»Du hattest etwas mit Crane – du haßt ihn – es bereitet dir ein gewisses Vergnügen, wie das bei euch Chinesen so ist, ihm ganz einfach seine Suche nach mir zu vereiteln? Stimmt das?«

Templar beobachtete nicht die Chinesin; seine Blicke hingen mit grimmigem Interesse an dem Mann.

»Du bist mir über – wahrhaftig, du bist mir über«, sagte Condon. »Gleich, als du zu mir ins Haus kamst, wußte ich, daß du eine abgefeimte kleine Schlange bist. Aber damals war ich überzeugt, du gehörst zu der Bande. Ich habe wirklich geglaubt, du bist eine Weiße, die sich zurechtgeschminkt hat.« Condon hatte in häßlicher Selbstzufriedenheit zu grinsen begonnen.

»Templar ist tot«, sagte er. »Er und der Dicke, beide tot, mein Kind. Vom Sturm überrascht – viel großer Wind – Schnee – Berge – beide tot!« Er verstummte und sprang mit einem Satz zurück, bis er fast völlig im Schatten verschwunden war, denn ein Pfiff tönte durch das Haus; er kam nicht von draußen, sondern von irgendwo im Hause selbst her.

Die Chinesin blieb regungslos stehen, immer noch ganz betäubt von den letzten Worten, die sie gehört hatte.

Eine Männerstimme rief: »Hier ist McArdle. Ich habe das Kriegsbeil begraben. Ich bringe hier den Beweis, Condon, daß ich auf deiner Seite bin!«

Man hörte stampfende Füße, ein Keuchen, das Schleifen eines schweren Körpers, und in dem blassen Lichtschein erschien McArdle, den mächtigen Leib O'Shays hinter sich herschleppend, der schlaff und hilflos über den Boden schleifte. Eine große, rote, klaffende Wunde auf seiner Stirn verriet, was geschehen war.

Templar wurde zu kaltem Stahl; er hob zwei Revolver und wartete.

McArdle grinste: »Es war höllisch schwer, von Crane loszukommen.«

»Wo ist er jetzt?«

»Meilen und Meilen zurück! Ich habe das Pferd erschossen und ihn im Stich gelassen.«

Condon lächelte nur. »Braver, alter Mac!« sagte er.

Templar zielte unverwandt nach McArdles Herz.

Inzwischen fesselte McArdle schnell dem dicken O'Shay die Hände.

»Ich habe ihn an der Seitentür erwischt, wie er dort umherschlich«, erklärte McArdle. »Und ihm eins über den Schädel gehauen.«

»Nun, O'Shay, es ist ziemlich klar, daß Sie in unserer Hand sind?« sagte Condon. »Wo steckt Ihr junger Busenfreund?«

»In Tolman«, erwiderte O'Shay sofort.

»Damit kommen Sie bei uns nicht durch, O'Shay! Dieser Templar war Manns genug, Larry zu erledigen.«

»So pfeifen Sie sich die Wahrheit selbst vor!« antwortete O'Shay.

»Gut«, nickte Condon. »Nebenbei: Wo ist denn dieses verdammte Chinesenmädel? Sie ist fort, Mac. Lauf schnell hinaus und such sie, ja? Sie wird nicht versuchen, davonzulaufen. Sie wird es mit Schlauheit versuchen. Du wirst sie wahrscheinlich unten am Fluß finden.«

McArdle verschwand sofort.

»Paß gut auf O'Shay auf!« mahnte er.

Condon setzte sich an den Tisch. »Als ob man mich ermahnen müßte, Danny, auf Sie aufzupassen!« sagte er und ließ seinen Colt auf das Knie sinken.

»Nein«, stimmte O'Shay zu, »Sie haben den Leuten immer auf die Finger geschaut, Andy. Und das hat sich schlecht gelohnt! Sie haben das Geld. Aber wenig Glück.«

»Erzählen Sie mir«, fuhr Condon fort, »wie Sie dazu gekommen sind, dieser Fährte nachzugehen!«

»Das war zum Teil reiner Zufall. Der junge Bengel ist mein Freund. Ich wollte ihm bei der Lösung seines kleinen Rätsels helfen. Und dann hatte ich einen Blick auf den toten Condon geworfen, den Sie zurückgelassen haben. Er war dem Urbild recht ähnlich, aber nicht ganz. Ich war so weit gekommen, den Schafhirten als den Mörder festzustellen, und das konnte ich nicht gelten lassen. Ich konnte mir nicht denken, daß ein schwachsinniger Hirte zuerst Sie und dann obendrein noch Snyder umbringe. So sah ich mir den Leichnam an, und natürlich sah ich, daß das nicht Sie waren. Mit diesem zerfetzten Gesicht freilich war er eine recht gute Imitation. Die Idee war großartig. Aber Ihre Ideen sind ja schließlich immer großartig gewesen. Hat Ihnen die Bande so hart zugesetzt?«

»Die andern kümmerten mich wenig«, sagte Condon. »Aber als ich den Brief von Crane bekam, hatte ich Angst. Es wäre auch alles geglückt, wenn nicht Snyder im unrechten Augenblick in mein Zimmer gestolpert kam und sah, wie ich den Hirten fertigmachte! Ich machte auf der Stelle einen Vertrag mit Snyder. Aber Snyder traute mir nicht; er holte auch Kerls heran, um mich zu fangen. Na, an diesem Abend bin ich mit knapper Not entwischt, aber ich habe Snyder seinen rückständigen Lohn und noch ein Trinkgeld dazu bezahlt!«

Condon kicherte. »Danny«, sagte er, »wenn Sie auf meiner Seite gewesen wären, hätten wir beide die Welt erobert, mein Junge!«

»Warum haben Sie sich dann nicht mit Crane zusammengetan?«

»Weil er, ebenso wie Sie, ein ehrlicher Mensch ist.«

»Ein ehrlicher Eisenbahnräuber, meinen Sie?«

»Sie scheinen ja gut informiert zu sein«, murmelte Condon. »Warum soll ich Ihnen eigentlich nicht sagen, daß er damals einfach mein Werkzeug gewesen ist? Ich brauchte einen vierten Mann, der zur rechten Zeit mit den Pferden kam. Crane ließ sich dazu überreden, und so sind wir entwischt. Er hatte keine Ahnung, daß ein Eisenbahnraub geplant sei. Das erfuhr er erst hinterher!«

Condon lachte abermals. »Crane ist hinter mir her. Das heißt, daß es auf jede Minute ankommt. Ach, mein Gott, was für ein Pech, Danny! Noch nie hat ein Mensch einen schöneren, kühneren, saubereren Plan gehabt als ich. Aber dieser Hund von Snyder mußte mir im letzten Augenblick dazwischenpfuschen. Er gab den Tip an Crane weiter –«

»Crane hat ihn gekauft, wie?«

»Ja, ja! Und dann mußten Sie, Danny, auch noch nach Last Luck kommen und mir mit Ihrem jungen, trainierten Tiger Templar auf den Hals rücken. Nicht nur, daß man mich hier aus diesem sicheren Versteck verjagt – weiß der Teufel, wie Crane dahintergekommen ist! – nun kommt auch noch dieses sonderbare Mädel hinzu, diese Chinesin. Was hat sie mit der Sache zu tun? Die Sache beginnt mir lästig zu werden, Danny!«

Dann verhärteten sich seine Züge: »Sie aber werden mir nicht mehr lästig fallen, alter Freund. Ich habe nichts dagegen, Ihren letzten Wunsch zu hören.«

»Ich habe nur einen letzten Wunsch«, sagte O'Shay. »Und der ist, daß Johnny Templar gut zielen möge.«

Templar wußte, als er die letzten Worte O'Shays hörte, was nun kommen müsse. Dichter Schatten lag über dem Winkel des Zimmers, in dem sein Fenster sich öffnete, und daher riskierte er weiter nichts, wenn er sich behende nach innen schwang. Dann schritt er langsam aus dem Schatten hervor.

»Sie verdienen nicht, daß man Ihnen eine Chance gibt, Condon!« sagte er. »Aber ich will noch einen Augenblick warten.«

Condon, gleichsam betäubt von seinem Mißgeschick, hatte den Kopf hängen lassen. Sein Mund stand offen. Templar trat langsam näher heran. Condons Revolver baumelte auf Armeslänge hilflos herab.

»Nicht den Kopf hängen lassen!« sagte O'Shay. »Aufgehängt werden ist gar nicht so schlimm, im Vergleich zu dem, was Sie verdient hätten.«

»Sagt mal«, rief Condon mit einer plötzlichen, wilden Neugier, »seid ihr dem Chinesenmädel gefolgt, Templar?«

»Ein Stück weit – dann fanden wir Crane und McArdle. Das ist eine lange Geschichte.«

» Sie steckt also dahinter!« nickte Condon. »Bei Gott, gleich am ersten Tage, als ich sie sah, war es, als ob ich ein fernes Schicksal witterte. Ich glaubte, in ihren Zügen jemanden wiederzuerkennen.«

O'Shay stieg durchs Fenster hinaus und kehrte mit der Mappe in der Hand zurück.

»Das ist mein ganzes Leben!« murmelte der Gefangene. »Da ist es, fliegt durch die Luft und fällt mit einem Krach auf den Tisch!!« Er streckte rasch die Hände aus und packte die Mappe. Einen Augenblick lang schien es, als wollte er wirklich versuchen, mit seinem Schatz zu fliehen.

Man hörte eine Tür laut zuschlagen, dann ein Geräusch wie von splitterndem Holz und dann Schritte, die durch den Flur näher kamen.

Templar eilte wie ein rascher, lautlos springender Tiger zur Tür, und da rief Condons schrille Stimme: »Mac! Mac! Gib acht! O'Shay ist frei, und Templar ist da! Setz dem Mädel den Revolver auf die Brust! Sie ist dein Passierschein!«

O'Shay war zu weit entfernt, um mit der Hand zuzuschlagen, aber er warf einen Stuhl, der Condon zu Boden schmetterte.


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