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1

In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als die Damen sich die Taillen schnürten und die Männer sich die Schultern auswattierten, als es noch nicht überall nach Benzin roch – damals kam John Templar aus der Wüste.

Seine Schultern waren nicht wattiert, und er fuhr auch nicht in einer Benzinkutsche mit Gummirädern. Er trug ein blaues Flanellhemd, aus dessen Ärmeln seine braunen Ellbogen neugierig herausblickten. Seine blauen Reithosen waren an den Knien von der Sonne und vom Alter gebleicht, und sein einst schwarzer Filzhut schillerte in allen Farben.

Sein Fortbewegungsmittel war ein hohlrückiger Präriegaul. Um seine schlanken Hüften schlang sich ein Ledergurt, gefüllt mit Goldstaub, den er eigenhändig gewaschen und oft genug eigenhändig hatte verteidigen müssen. Zu diesem Zweck war der Gurt mit großen Patronen gespickt, und darum baumelten auch an beiden Hüften zwei unschuldig aussehende, einläufige Revolver, deren Kolben vom häufigen Gebrauch blankpoliert waren. John Templar war etwas über zwanzig Jahre alt und wog netto hundertachtzig Pfund.

Ohne zu rasten, war er die langsam ansteigende Anhöhe von der Wüste bis zum Eingang des Tales hinaufgeritten. Nun hielt er an, nicht etwa, um dem Pferd Ruhe zu gönnen, sondern um seine Augen an dem herrlichen Grün, das ihn umgab, zu weiden. Nordwestlich von ihm erhob sich das Cramergebirge, nordöstlich ragte der Zuckerhut steil in die Höhe, und durch das Tal zwischen ihnen wehten die regenfeuchten Winde bis zu dem Hügel, auf dem John Templar jetzt stand, aber weiter kamen sie nicht. Ohne Übergang trat man nämlich aus der Wüste mit ihren Kakteen in einen saftiggrünen Wald.

Die Sonne war untergegangen, und aus dem tiefen Schatten des Tales glänzten die Lichter des Städtchens Last Luck herauf, das für diesmal sein Endziel war. Als er vor etwa sechs Monaten mit leeren Taschen, aber hoffnungsvollem Herzen durch diese Stadt geritten war, hatte er sich sein Wort darauf gegeben, sobald er das nötige Geld beisammen hätte, zurückzukommen und sich hier gründlich zu zerstreuen. Da nun John Templar stets sein Wort hielt, spornte er seinen edlen Renner an und ritt dem winkenden Ziel zu, schon ganz erfüllt und wie benommen von den Freuden und Genüssen, die seiner harrten.

Vergeblich würde man heute Last Luck auf der Landkarte suchen, denn es ist verschwunden. Jetzt liegt dort an der Paßhöhe eine andere Stadt, eine Stadt mit achtstöckigen Bürogebäuden, einem Rathaus und Straßen, deren Pflaster bei Regenwetter im abendlichen Lichterschein wie schwarzes Eis glitzert. Automobile rasen von der Höhe des Passes herab durch die Stadt oder gleiten langsam und stetig aus der Wüste empor.

Die Grenze mit ihrem wildbewegten Leben ist verschwunden, bei Tag und bei Nacht hängt der Rauch von Fabrikschornsteinen in der Luft, und prachtvoll gehaltene Straßen erstrecken sich Hunderte von Meilen weit über die Gebirge und durch die Wüste. Der Mensch hat die Natur bezwungen. In den Tagen jedoch, von denen hier die Rede ist, war die Natur noch stärker als der Mensch – wenn es sich nicht gerade um einen Menschen wie John Templar handelte ...

Während er die Hauptstraße, übrigens die einzige Straße von Last Luck, entlangritt, streichelte er liebevoll den Gürtel mit Goldstaub und überlegte – den Vorgeschmack kommender Genüsse auf den Lippen, wie der Wüstenwolf beim Anblick einer Schafherde – wo er anfangen solle.

Unter den ärmlichen Hütten von Last Luck gab es drei Paläste, drei herrliche grüne Oasen im heißen Wüstensand. Die erste war »Tabors Ruh«, über die nur selten die Wüstenwanderer hinausdrangen. Die zweite Oase war »Bill Etheredges Warenhaus« und die dritte »Lucans Kasino«, wo meistens die Leute, die vom Gebirge her kamen, hängenblieben. Es waren keine stolzen Marmorpaläste, sondern sie bestanden nur aus ungehobelten Brettern mit einem Zeltdach darüber, aber jeder verfügte über laute, lustige Musik, eine Bar und einen Tanzsaal. John Templar hatte sich, als er, krank am Beutel, gen Süden zog, dies alles wohl gemerkt; und jetzt, da er, reich an Goldstaub, gen Norden ritt, hatte er nur den einen Wunsch, daß alle drei zu einem einzigen, herrlichen Rausch von Lärm, Freude und Schönheit vereinigt wären. Er hatte es viel zu eilig, um lange zu wählen, und darum war »Tabors Ruh«, weil es ihm am nächsten lag, entschieden das beste.

Er stieg ab, warf seinem Pferde die Zügel über den Hals – dann aber zögerte er. Es erschien ihm plötzlich seiner großen Begeisterung unwürdig, so ohne weitere Anmeldung einzutreten. Außerdem mißfiel ihm das Schild, denn er sehnte sich nicht nach Ruhe. Deshalb zog er seine beiden Revolver und durchschoß die Seile, an dem es hing. Die »Ruh« fiel herab; er nahm das Schild unter den Arm und trat ein.

Vier handfeste Kerle stürmten ihm entgegen. »Hier, Jungens«, sagte Templar. »Ihr könnt mal meinen Hut halten, mir ist etwas heiß im Kopf!«

Er warf ihnen seinen Hut zu und sah sich um. Linker Hand war die Bar, in der eine Menge Kellner ab- und zuliefen. Rechts lag der Tanzsaal, dessen Lampen durch den dichten, bläulichen Tabaksqualm golden leuchteten, und dahinter das Spielzimmer. Überall wimmelte es von Bergleuten, Holzarbeitern, Gründeragenten, Bauernfängern, Taschendieben, Schwerverbrechern, Falschmünzern, berittenen Kuhhirten und Steppenreitern, die alle in »Tabors Ruh« mit Gold um sich warfen.

»Hallo, Wilson!« begrüßte ihn eine freudige Stimme. »Du bist doch der alte Wilson aus der Bergschlucht, nicht?«

»Gewiß!« sagte Templar. »Und du bist der alte Jerry Simpel vom Berg! ... O Heimat, süße Heimat! Mir ist's, als ob ich endlich wieder reine, würzige Bergluft atme und unter rechtschaffenen Kindern der Natur weile ... Man führe mich zur Bar!«

Von da ab war John Templars Erinnerung nicht etwa verschwommen, sondern so klar, als ob unzählige Scheinwerfer sie mit wogenden, durcheinanderwirbelnden Farben beleuchteten. Ab und zu allerdings wurden diese Scheinwerfer ausgedreht, und dann trübten dunkle Wolken einen Augenblick lang das Gedächtnis des Mannes aus der Wüste.

Zum Schluß aber umhüllte ihn tiefer Schatten, aus dem er dann mit jagenden Pulsen und stechenden Schmerzen emportauchte. Ein schweres Gewicht auf seiner Brust benahm ihm den Atem; ähnliche Gewichte wuchteten auf seinen Armen und Beinen. Als er sich umsah, bemerkte er in einiger Entfernung ein glitzerndes Stahlgitter und fünf Männer, die auf ihm, John Templar, saßen. Andere standen im Hintergrund umher.

»Hallo, Jungens!« murmelte er. »Nett, daß ihr alle da seid!«

»Er kommt zu sich«, sagte einer. »Laßt ihn aufstehen!«

»Erst wollen wir ihm Handschellen anlegen.«

»Bindet ihm auch die Füße!«

Es geschah. An Händen und Füßen gefesselt, setzte John Templar sich auf. Vor ihm stand ein kräftiger Mann mit einem großen Polizeiknüppel und versicherte ihm herzlich, er würde ihm bei der ersten feindseligen Bewegung den Schädel einschlagen. Der Mensch mit dem Knüppel war selbst etwas angekratzt, denn sein eines Auge war dick geschwollen und blau verfärbt, seine Lippen zerrissen und blutig. Die anderen Anwesenden zeigten gleichfalls Spuren einer Rauferei: zerrissene Hemden, ärmellose Jacken, Beulen im Gesicht und auf der Stirn.

»Es scheint ja recht stürmisch zugegangen zu sein«, bemerkte Templar. »Hat einer von euch etwas zu rauchen?«

Stillschweigend bot man ihm Tabak und Papier, und er drehte sich eine Zigarette.

»Sagt mal«, fragte er freundlich, »stimmt das – bin ich richtiggehend eingelocht?«

Die Antwort war eigentlich gar keine Antwort, denn eine heisere Stimme sagte nur: »Er hat wahrhaftig nicht ernstlich gelitten! Der Kerl ist ja nicht von Fleisch und Blut, der ist von Eisen.«

»Weit gefehlt, mein Freund!« sagte Templar. »Ein kräftiger Stoß genügt, dann gehe ich völlig aus dem Leim ... Will mir nicht einer von euch erzählen, was eigentlich passiert ist?«

»Womit soll ich anfangen?« fragte der Mann mit dem Knüppel.

»Mit ›Tabors Ruh‹.«

Ein ungläubiges Stöhnen war die Antwort.

»Sie besinnen sich nicht auf Etheredges Lokal?« fragte der Mann mit dem Knüppel.

»Nie dagewesen!« sagte Templar.

»Dann ist Ihnen wohl auch ›Lucans Kasino‹ fremd?«

»Völlig. Da will ich erst hingehen, wenn ich hier 'rauskomme.«

»Wird er hingehen?« fragte der Mann mit dem Knüppel.

»Er wird es nicht!« ertönte es düster im Chor.

»Diese einst so stolzen Paläste, mein Sohn«, sagte der erste Sprecher, »sind jetzt Trümmerhaufen. Du kamst herein, als ob eine Bombe platzte, und da war es mit ihnen vorbei!«

»So, so?« murmelte Templar. »Irgend jemand verletzt?«

»Die einzigen noch kampffähigen Männer von Last Luck«, sagte der andere, »siehst du hier vor dir, und ich will ein Lügner sein, wenn meine Rippen, soweit du sie getroffen hast, nicht auch sämtlich gebrochen sind ... Jungens, wollen wir nicht lieber gehen? Vielleicht ist er noch geladen.«

Einer nach dem anderen verließ die Zelle; dann schlug die Tür zu, und ein schwerer Riegel wurde vorgeschoben. Zwölf Gesichter starrten durch das Gitter den Gefangenen an.

»Fremdling«, sagte der größte und kräftigste von ihnen, »willst du so gut sein und deinen Kinnbacken mal befühlen?«

»Gern – und?« sagte Templar.

»Ist er vielleicht angeschwollen?«

»Nein.«

»Aber er tut doch weh?« fragte der andere hoffnungsfreudig.

»Nicht im geringsten. Danke der gütigen Nachfrage!«

»Allmächtiger!« stöhnte der große Mann. »Und da habe ich ihn getroffen – ich! ... Der hat ja Knochen aus Stahl im Leibe und ein Gummikissen statt eines Hirns im Kopf! Ich geh' nach Haus.«

Er ging schwankenden Schrittes den Gang hinunter, und die anderen folgten mit schreckensbleichen Gesichtern.

»Einen Augenblick noch!« rief John Templar ihnen nach. »Hat nicht einer von euch ein Gläschen Schnaps für einen armen Kerl übrig, der seit Wochen nichts getrunken hat?«


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