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5

John Templars plötzlich aufwallende Begeisterung wurde durch Condons nüchterne Worte jäh abgekühlt, aber seine ganze stählerne Kraft, seine ganze Energie flog diesem ernsten, bezwingenden Manne entgegen. Er bekam sofort die Erlaubnis, sich Haus, Garten und die nächste Umgebung genau anzusehen.

»Sie brauchen nicht so zu tun, als ob Sie nur zufällig hier wären«, sagte Condon. »Alle haben von Ihnen gehört und finden es ganz natürlich, daß ich Sie, weil ich mich in Gefahr befinde, hierhergeholt habe. Sehen Sie sich alles genau an! Gefahren haben nichts Geheimnisvolles, wenn man weiß, woher sie kommen können – dann ist man dem Feind gegenüber schon im Vorteil.«

Sie hatten verabredet, daß Templars Pferd, falls es noch aufzufinden sei, sowie seine Sachen aus der Stadt geholt werden sollten. Waffen solle er sich in der Waffenkammer aussuchen; Snyder, Condons Hausverwalter, würde ihn führen. Condons freimütiges Benehmen änderte sich auch nicht, als er Templar mit Snyder bekannt machte.

»Templar will mir helfen, die drohenden Gefahren zu bannen«, sagte er und fügte, zu Templar gewandt, hinzu: »Snyder weiß auch nicht mehr als Sie und ich.«

Diese Bemerkung war ziemlich eindeutig, denn Templar wußte so gut wie gar nichts. Falls Snyder auch nicht mehr wußte, war wenig Hoffnung, durch eine Unterhaltung mit ihm Genaueres zu erfahren.

Snyder war ein großer, jovialer Mann mit Schultern, Armen und Händen, denen man gerne glaubte, daß sie ihn selbst und seinen Herrn beschützen könnten. Er führte Templar durch die Halle und öffnete die Tür zu einem Zimmer, das wie ein Arsenal aussah. In langen Reihen standen Büchsen, Schrotflinten und Revolver jedes Kalibers in den Gewehrständern, alle tadellos geputzt und gut geölt. Unterhalb der Gestelle befanden sich Schubladen mit sauberen Etiketten, aus denen man die Art der Munition, die sie enthielten, ersehen konnte.

Templar musterte das alles mit sachverständigen Blicken und wählte schließlich eine fünfzehnmal repetierende Winchesterbüchse, die seine ungeteilte Bewunderung erregte. Er lud sie sofort, wobei ihn Snyder kritisch beobachtete. Der Mann schien aus dem neuen Gast des Hauses nicht recht klug zu werden und fragte, ob er die Nacht über dableiben werde.

Als Templar nickte, war es ihm, als ob ein Schatten über das Gesicht des Verwalters huschte. Unter den Revolvern war keiner, der ihm so gut gefallen hätte wie die beiden, die er bei sich führte, was Snyder zu der Bemerkung veranlaßte: »Ja, alte Freunde sind die besten.« Templar steckte noch zwar starke, aber elastische Federn, die in einer Kiste unter allerhand Gerümpel lagen, zu sich. Dann verließen sie die Waffenkammer.

»Wollen Sie sich jetzt das Haus ansehen?« fragte Snyder.

»Gewiß, aber erst in einer Stunde«, antwortete der neue Hausgenosse. »Zeigen Sie mir, bitte, erst einmal mein Schlafzimmer!«

Es war ein ziemlich kleiner Raum hinter dem Schlafzimmer des Hausherrn und bekam Licht und Luft nur durch ein rundes Fenster in der Decke. In der einen Ecke stand ein Feldbett, in der anderen eine Kommode und ein Waschtisch.

»Ein bißchen eng, wie?« fragte Snyder.

»Für ein Haus sicherlich; für ein Schiff wäre das aber eine große, geräumige und luftige Kabine!« sagte Templar und sah dabei den Diener scharf an, denn er glaubte, aus dem Ton der Frage einen versteckten Hohn herauszuhören und in seiner ganzen Haltung eine leichte Verachtung zu spüren.

Nachdem Snyder ihn verlassen hatte, war er fest davon überzeugt, daß der Mann mit lauten, geräuschvollen Schritten die Halle durchquert habe, um dann leise wieder zurückzuschleichen. Im ersten Augenblick dachte er daran, zur Tür zu springen und sie plötzlich aufzureißen, um ihn zu überraschen, tat es jedoch nicht, sondern stellte nur seinen Stuhl so in eine Ecke, daß es unmöglich war, ihn durch das Schlüsselloch oder einen Spalt in der Tür zu beobachten. Dann machte er sich sogleich an die Arbeit, und man merkte an seinen Handgriffen, daß das für ihn eine altgewohnte Arbeit war. Er fertigte aus den mitgebrachten Stahlstreifen zwei einfache, aber starke Schnappfedern an, an denen er zwei Lederschlingen befestigte. Die Lederschlingen paßten über seine Schultern, und die Schnappfedern hingen in seinen Achselhöhlen. In die Federn steckte er seine beiden Revolver.

Nach ziemlich langwieriger, umständlicher Arbeit hatte er sie so verpaßt, daß man die Waffen nur mit großer Schwierigkeit in die Federn stecken konnte, während sie bei richtigem Zugriff sofort schußbereit in seinen Händen lagen.

Dann zog er sich den Mantel an, den ihm der freundliche Sheriff geliehen hatte, und stellte sich mit dem Gesicht gegen die Wand, um einen alten Trick zu üben, der darin bestand, im gleichen Augenblick die Revolver aus den Achselhöhlen zu ziehen, sich umzudrehen und die Waffen schußbereit auf den Gegner zu richten.

Nachdem er eine ganze Stunde geübt hatte, machte er sich auf die Suche nach Snyder. Der wartete schon auf ihn und zeigte ihm nun das ganze Haus. Es war ein ziemlich einfaches Gebäude. Im ersten Stock befanden sich vier Schlafzimmer, von denen eines Condon selbst innehatte. Ein anderes mit einem ähnlichen Vorraum gehörte einem Neffen des Hausherrn, der auch sein Erbe werden sollte. Darüber war ein Mansardenstockwerk, das zum Teil als Vorratsgewölbe diente. Außer Snyder waren nur noch ein Koch im Hause und ein Negerjunge, der das Aufräumen der Zimmer besorgte.

Das Stallpersonal war etwas zahlreicher und bewohnte zusammen mit den Rinderhirten ein besonderes Gebäude mit eigener Küche. Zu ebener Erde lag die große Diele, auf deren einer Seite Eßzimmer und Küche, auf der anderen, viel geräumigeren, die Bibliothek, ein großes Wohnzimmer und das Arbeitszimmer des Hausherrn lagen. Templar besichtigte alles, sogar Küche und Speisekammer. Hier traf er den Koch, einen ziemlich trübselig aussehenden Neger, und den schwarzen Hausdiener, der Snyder ganz verängstigt fragte: »Wird denn noch mehr passieren, Herr Snyder?«

Snyder grunzte: »Wie, zum Teufel, soll ich das wissen?«

In der Bibliothek trafen sie einen ziemlich großen jungen Mann, den Neffen des Hausherrn, Munroe Lister. Er las in einem dicken Buch und sah sie über seine Brille hinweg verdutzt und befremdet an. Schließlich blieben seine Blicke an der Flinte hängen, die Templar während seiner Besichtigung über der Schulter trug.

Dann führte ihn Snyder an den Haupteingang und sagte, auf die anderen Gebäude hinter dem Wohnhaus deutend: »Das übrige können Sie sich wohl allein ansehen.«

Templar ging also allein weiter, überzeugt, daß der wunderliche Verwalter hinter ihm hergrinse. Er hielt es jedoch für unter seiner Würde, sich umzusehen. Die geräumigen Wirtschaftsgebäude boten nichts sonderlich Bemerkenswertes. Den einen Flügel bildete das Wohnhaus der Knechte und Hirten. Er trat ein und fand dort einen der Hirten, der das eine Bein umwickelt auf den Tisch gebettet hatte.

»Komm, setz dich her und ruh dich aus!« sagte der Mann einladend.

Templar nickte ihm zu und sah sich in dem Raume um. Elf Betten waren belegt, und noch war Platz für acht Mann.

»Hast du was verloren?« fragte der Hirt.

»Nein«, entgegnete Templar. »Ist wohl nicht viel los hier draußen, was?«

»Im Gegenteil«, antwortete der Hirt freundlich. »Lohn und Essen sind gut. Im Winter sorgen Schnee und Nordwind für Arbeit, im Sommer die Rinderdiebe. Mehr kann doch ein armer Hirt nicht verlangen.« Dann fügte er hinzu: »Willst du auch hier anfangen?«

»Vielleicht«, antwortete Templar, nickte ihm zu, ging und holte sich ein Pferd aus dem Stall, das ihm bereitwillig zur Verfügung gestellt wurde, um die umliegenden Wälder zu besichtigen.

Das war allerdings nicht so ganz einfach. Die Bäume standen nämlich an manchen Stellen kaum auf Mannesbreite auseinander, so daß selbst am hellen Nachmittag tiefe Dämmerung herrschte. Dann wiederum war das Unterholz so dicht, daß ein Pferd nicht durchkommen konnte, und man selbst zu Fuß seine Schwierigkeiten hatte.

Allmählich erreichte Templar den Gipfel des ersten Hügels am Fuß des Zuckerhuts und machte halt, um die Landschaft zu studieren. Nach dem Hochgebirge zu lag noch ein halbes Dutzend Hügel, einer immer höher als der andere, bis zu dem steil ragenden Berg, der, anfänglich noch spärlich bewaldet, sich dann als nackter Felsen erhob, mit Schnee in jeder Spalte. Nach Süden zu erstreckte sich eine Hügelkette, die in einem Plateau endete. Dahinter lag die in dichten Staubnebel gehüllte Wüste. Nur in einer Richtung, nämlich nach dem Paß und Last Luck zu, war das Tal offen. Hier erkannte er die weißen Serpentinen der Straße, über die er mit Condon gefahren war.

Das Ganze machte auf Templar den Eindruck einer großen Falle, deren Eingang absichtlich offenstand, um den ahnungslosen Fremden anzulocken, und in der Mitte der Falle – das Bild wurde ihm immer deutlicher – lag Condons Haus und sah mehr gefahrdrohend als gefährdet aus. Die im hellen Sonnenschein leuchtenden Farben um ihn her konnten den unheimlichen Eindruck nicht verwischen, den er gleich beim ersten Anblick des Hauses empfangen hatte. Obwohl die oberen Fenster noch in der schrägstehenden westlichen Sonne glitzerten, während die unteren bereits im abendlichen Schatten lagen, erschien es ihm dunkel und unheimlich ...

Hinter ihm dehnte sich ein Streifen Weideland, und Templar sah sofort, daß das vorzügliches Rinderfutter war. Zwischen den einzelnen Hügeln, wo keine Bäume standen, gab es sicherlich ebenso fruchtbare Gründe und Täler. Doch der Reichtum des Besitztums machte keinen Eindruck auf Templar. Obwohl ihm die Sonne noch recht stark auf den Rücken brannte, sehnte er sich plötzlich nach der freien, offenen, heißen Wüste, wo man eine drohende Gefahr fünf Meilen weit hören konnte.

So stand er, Umschau haltend, da, bis er ganz in seiner Nähe das scharfe Knacken eines Astes vernahm. Man hört das oft im Wald, wenn ein Ästchen, schon lange schwer belastet, ganz plötzlich zerbricht. Die Schärfe dieses Knackens jedoch war etwas gedämpft, wie durch das Gewicht eines Fußes. Da wußte Templar, daß er beobachtet werde.


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