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15

Während des gemeinsamen Abendbrots konnte man merken, daß Condon im Laufe des Tages irgendeine gute Nachricht bekommen haben mußte, denn sein Benehmen war völlig verändert. Er machte nicht mehr den Eindruck eines Menschen, der in die Enge getrieben wird und keinen Ausweg sieht; seine Augen funkelten wie die eines Boxers, der seine Chance abpaßt, um zuzuschlagen. Auch Lister fiel die Veränderung auf.

Die Mahlzeit verlief ziemlich heiter; nur Snyder war schlechterer Laune denn je. Er war augenscheinlich nicht Sportsmann genug, um eine Niederlage mit Anstand hinzunehmen, und warf, während er hinter dem Stuhl seines Herrn stand, beständig haßerfüllte Blicke auf Templar.

Condon erzählte von seinen Besitzungen südlich des Plateaus. Erst heute habe er sie sich von den nordwestlichen Höhen aus angesehen und überlegt, ob sich eine Bewässerung wohl lohne. Lister, der viel über Bewässerung gelesen hatte, griff das Thema mit Begeisterung auf. Doch Templar hatte das Gefühl, daß Condon lüge und an alles andere eher als an die Bewässerung seiner Weiden denke. Nein, er hatte die ganze Frage nur aufgeworfen, um eine Erklärung für sein verändertes Benehmen zu geben.

Plötzlich fiel sein Blick auf Snyder, und er fragte: »Nanu, Snyder, was ist denn mit Ihnen passiert?«

»Mit mir? Nichts, Herr Condon.«

»Eine geschwollene Lippe und ein blaues Kinn, beides an einem Tage – ist das etwa nichts? Hat Lister bereits so viel von Ihnen gelernt, daß er Ihre Deckung durchschlagen kann?«

Snyder warf Templar einen wütenden Blick zu, und Condon erriet die Antwort, bevor sie ausgesprochen wurde.

»Also nicht mein Neffe, sondern Templar, wie? Donnerwetter, Templar, alle Achtung! Snyder ist nämlich Berufsboxer – oder war es vielmehr!«

Die Sache schien ihn gewaltig zu interessieren; aufgeregt beugte er sich vor.

»Snyder ist nicht mehr im Training«, antwortete Templar bescheiden. »Man kann nicht immer auf der Höhe sein.«

»Ganz offen, Templar: Sie sind überzeugt, daß Sie ihn auch in seiner besten Zeit geschlagen hätten!«

Templar schwieg. Er haßte Prahlereien; freilich war er innerlich überzeugt, daß er den stämmigen Snyder jederzeit k. o. geschlagen hätte.

»In Last Luck aufräumen und Snyder k. o. schlagen, ist zweierlei ... Snyder, ich dachte, Sie wären unbesiegbar.«

»Wir haben den Kampf nicht beendet«, sagte Snyder, puterrot vor Zorn. »Ich verlor ein wenig das Gleichgewicht, und Templar benutzte diese Gelegenheit, um aufzuhören.«

Lister unterbrach ihn: »Ich habe noch nie solche Schläge gesehen – wie ein Hammer!«

»Außerdem«, sagte Snyder, »gibt es auch so etwas wie Glück beim Boxen!«

»Glück müssen wir alle haben – darum beten wir, dafür zahlen wir!« entgegnete Condon.

Sie wechselten das Thema, und ab und zu warf Condon einen durchdringenden Blick auf Templar. Offenbar machte er sich über irgend etwas Gedanken. Er erschien Templar unheimlicher als je, denn bis jetzt gab es noch keinerlei Erklärung für sein verändertes Benehmen, außer jenem Geschwätz von neuen Bewässerungsplänen ... Bewässerung, da der Tod vor der Tür stand und klopfte!

Nach dem Abendbrot saßen sie auf der Veranda. Es war ein schöner, warmer Abend; die Sterne gingen leuchtend einer nach dem andern auf. Plötzlich ertönte hinter dem Hause Musik. Eine Frauenstimme sang zu einem Saiteninstrument eine fremdartige Melodie.

Condon, der, leise vor sich hinsummend, auf und ab gegangen war, blieb unvermittelt stehen und fragte: »Wer ist denn das?«

»Die neue Köchin singt und begleitet sich selbst – wenn man das Begleitung nennen kann.«

»Ach, richtig! Recht gute Musik für eine Chinesin«, sagte Condon. »Ich erinnere mich jetzt: wenn man so die Kulis singen hört – über das Wasser hin klingt das gar nicht so schlecht!«

Er schwieg und horchte. Wenn man sich erst an das Fremdartige gewöhnt hatte, klang es sogar recht gut. Templar lauschte atemlos.

»Gut, sehr gut«, sagte Condon. »Templar, wollen Sie so gut sein und sie herholen?«

Templar gehorchte nur zu gern.

Sie saß auf dem Hauklotz vor dem Holzstall. Als Templar kam, beendete sie erst ihren Singsang.

Dann stand sie auf und sagte: »Du wünschen?«

»Ich soll dich zum Chef holen«, sagte Templar. »Komm, Hongkong!«

»Hongkong, du kennen?« fragte das Mädchen mit froher Stimme.

Da trat Templar dicht zu ihr, bückte sich herab und sagte: »Hongkong, du hast mich zum Narren gehalten. Ich weiß jetzt, daß du genau so gut Englisch verstehst wie ich. Was du mit den anderen treibst, soll mir gleich sein, aber mir gegenüber wollen wir die Schauspielerei fallen lassen. Noch etwas. Eigentlich müßte ich Herrn Condon sagen, daß seine Köchin viel mehr versteht, als er glaubt; aber ich werde es nicht tun. Ich will jedoch einen Vertrag mit dir schließen, nämlich: du kannst hierbleiben, solange du willst, nur mußt du dich verpflichten, gegen niemanden etwas zu unternehmen. Wenn du mir nicht antwortest, nehme ich an, daß du einverstanden bist.«

Ein kurzes, atemloses Schweigen war die Antwort.

»Gut«, sagte er. »Dann komm mit, Herr Condon wartet auf dich.«

»Will Herr Condon Kaffee?« fragte das Mädchen.

»Das soll doch der Teufel holen!« schimpfte Templar. »Willst du jetzt endlich mitkommen oder hier im Dunkeln stehenbleiben und mich noch mal zum Narren halten?«

Er ergriff sie am Arm, und sie folgte ihm willig um das Haus herum zur Veranda.

»Da ist sie«, sagte Templar und trat zurück. »Seife und Lavendelwasser«, murmelte er. »Eine feine Chinesin!«

Condon trat an den Rand der Veranda und unterhielt sich mit ihr. Er redete in einer singenden Sprache, die wie Chinesisch klang, und das Mädchen antwortete ihm in denselben weichen, fließenden Tönen.

Ihre Stimme klang in Templars Ohren wie das murmelnde Rauschen eines Baches.

Und sie ist doch eine Chinesin! dachte er bitter. Gott verdamm' mich – sie ist doch eine Chinesin!

Endlich entließ Condon sie und setzte seinen Spaziergang schweigsam fort. Auch Templar und Lister schwiegen. Beide waren noch zu sehr mit der plötzlichen Veränderung im Benehmen des »Alten« beschäftigt, um sich zu unterhalten.

Endlich brach Condon das Schweigen: »Sie stammt aus Hongkong. Ist ein stolzer kleiner Racker. Ihr Vater wurde ermordet, und Freunde schmuggelten sie nach Mexiko. Von dort kam sie heimlich über die Grenze nach San Franzisco. Die ganze Zeit über arbeitete sie, um sich das nötige Reisegeld zu verdienen. Von Frisco ging sie mit einer Dame nach Phoenix, wurde entlassen und zufällig nach Last Luck verschlagen. So kam sie hierher. Das ist ein Roman für dich, Lister. Besser als die alten Schmöker, die du immer liest. Greif hinein ins Leben, junger Mann! Da lernst du mehr als aus allen Büchern zusammengenommen. Na, überhaupt Bücher! Das wirkliche Leben kannst du nie aus ihnen lernen.«

Seine lange Rede hatte ihm Spaß gemacht, und während er wieder auf und ab ging, kicherte er in sich hinein.

»Und wenn sie dir ein feines Märchen aufgebunden hat?« fragte Lister plötzlich.

»Eh? Was aufgebunden? ... Blödsinn! Hat sie geschwindelt, meinetwegen! Sie ist besser als eine andere. Jedenfalls wird sie keinem in der Nacht die Kehle durchschneiden!«

Er lachte wieder leise vor sich hin und war, wenn möglich, noch selbstzufriedener als zuvor.

Kurz darauf ging er zu Bett und ließ die beiden, Templar und Lister, auf der Veranda zurück. In der Tür blieb er einen Augenblick stehen und rief ihnen zu: »Benehmt euch, Kinder, und bringt euch nicht gegenseitig um! Ich habe beinahe Angst um euch.«

Lachend ging er die Treppe hinauf. Als Lister die Tür hinter ihm ins Schloß fallen hörte, sagte er leise: »Du Hund! Du gemeiner Hund!«

»Singen Sie irgend was!« flüsterte ihm Templar ins Ohr, und Lister fing augenblicklich an, ein Studentenlied zu singen. Templar schlich leise die Veranda entlang bis zur Haustür, riß sie auf und sprang wie der Blitz in die Dunkelheit. Er stieß gegen eine starke Schulter und wälzte sich im nächsten Augenblick mit einem kräftigen, geschickten Ringer im Ringkampf auf dem Boden. Als Lister herbeieilte und ein Streichholz anzündete, sah er, daß Templar einen kräftigen Mann zu Boden drückte, mit dem Gesicht nach unten, die Arme auf dem Rücken verschränkt.

»Halten Sie das Licht hierher und kommen Sie nach vorn!« keuchte Templar.

Lister gehorchte. Es war Snyder. Er hob sein wutverzerrtes Gesicht und fluchte auf alle beide.

»Treten Sie zur Seite, Lister, und kommen Sie mir nicht in den Rücken!«

»Zum Teufel mit Ihnen und Ihren blödsinnigen Ideen!« schrie Lister und rannte auf die Veranda.

»Stehen Sie auf!« sagte Templar und verdrehte seinem Opfer das Handgelenk.

Snyder erhob sich stöhnend.

»Das wird Ihnen teuer zu stehen kommen«, sagte er zu Templar.

Templar schwieg, hob etwas vom Boden auf und stieß den Diener die Treppe hinauf bis vor Condons Zimmer.

Condon kam sofort heraus – öffnete zuerst einen Spalt in der Tür und stieß sie dann weit auf. Er war im Schlafrock und hielt einen Revolver in der Hand.

»Dieser Kerl schleicht ewig hinter mir her. Er steht im Dunkeln und lauscht. Eben stolperte ich über ihn im Flur, und da ging er mit diesem da auf mich los. Ich bitte um Ihre Befehle!«

Während er sprach, ließ er ein schweres Messer fallen. Die Spitze blieb surrend im Fußboden stecken. Condons Blicke wanderten von dem Messer zu Snyder und dann wieder zurück.

»Er stürzte sich auf mich wie der Teufel selber«, grollte Snyder. »Ich rutschte aus und fiel. Soll ich mich etwa von ihm erwürgen lassen? Natürlich zog ich blank.«

»Gehen Sie, Templar!« sagte Condon. »Ich werde das in Ordnung bringen.«

»Ich werde gehen«, antwortete Templar langsam, »aber ich möchte Ihnen zuerst noch folgendes sagen: schleicht dieser Kerl oder auch Lister noch einmal hinter meinem Rücken umher, zögere ich keine Sekunde, sondern ziehe und schieße. Ich habe das alles jetzt satt und will meine Ruhe haben.«

Er ging leise die Treppe hinunter und begab sich auf die Veranda zu Lister.

»Ich wußte ja«, sagte Templar kurz, »daß Snyder wieder einmal schmutzige Arbeit für Ihren Onkel besorgte. Er stand im Flur, um zu spionieren. Ich hörte seine Stiefel knarren, als er an die Tür kam.«

»Richtig«, flüsterte Lister. »Aber: spioniert er im Auftrag meines Onkels oder auf eigene Faust?«


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