Albert Emil Brachvogel
Friedemann Bach
Albert Emil Brachvogel

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VIII.

Solange Graf Sulkowsky noch hoffen durfte, Antonie von Kollowrat für sich zu erringen, war er zu mancherlei Rücksichtnahme in politischen Dingen genötigt; jetzt kannte er nach dieser Seite hin keine Grenze, keine Schonung mehr, und sein Haß fiel nicht allein auf Brühl und Antonie, sondern auch – und vornehmlich – auf die Königin. Sein Bestreben ging ganz offenkundig darauf hinaus, Josepha und ihrem Anhang auch den geringsten Einfluß abzuschneiden.

Blind in seinen Haßgefühlen, bar der feineren, ewig lächelnden Kunst der Intrige, warf er in einem ungeschickten Augenblick mit plumpen Händen der Königin den Fehdehandschuh hin, indem er August veranlaßte, die katholische Geistlichkeit zu beschränken.

Die Königin war darüber außer sich, Pater Quarini und die Jesuiten spien Feuer und Flammen, Brühl aber lachte; er sann bereits über einen Gegenschlag.

Wie, wenn man nun also den sehnlichen Wunsch Wiens nach dem Besitz gewisser geheimer Dokumente erfüllte?

August der Starke hatte anläßlich der Vermählung des Kurprinzen mit Josepha einen geheimen Verteilungsplan für die Hinterlassenschaft Kaiser Karls VI. gemacht; zwar war der Plan durch die Anerkennung der pragmatischen Sanktion hinfällig geworden, aber Karl wußte nur zu gut, daß die heiligsten Papierversicherungen in der Geschichte der Kabinette oft genug gar nicht, die geheimen Bündnisse aber gewöhnlich besser gehalten werden als die öffentlichen. Dieses Teilungsvorhaben nun abschriftlich zu erhalten, war des Kaisers steter Gedanke, und da das Kabinett zu Wien von Brühls Plänen und ehrgeizigem Machtstreben Wind bekommen hatte, übernahm es eine vertraute, sehr hohe Person, ihn zur Aushändigung dieses Dokumentes zu veranlassen. Und nun war Fürst Lichtenstein am Hofe zu Dresden erschienen, um mit Brühl zu verhandeln . . .

Brühl fühlte wohl, daß es eine Infamie sei, das Geheimnis seines Königs zu verraten; er wußte, daß er sich durch solchen Schritt eine lebenslängliche Fessel schmiedete, daß er dem Wiener Hofe eine furchtbare Waffe gegen sich selber in die Hand spielte. Aber er traute sich auch Klugheit genug zu, um jedem Schlag zu begegnen, wenn er erst allein die Macht in Händen hätte. Und die Königin, und schließlich auch seine Gemahlin . . .

Er nickte nachdenklich vor sich hin. Dann ließ er Wien seine Einwilligung wissen. Unter einer Bedingung: – daß Sulkowsky falle!

Fürst Lichtenstein versicherte weitgehendste verbindliche Hilfeleistung seines Kabinetts zum Sturze Sulkowskys. Nun wurde sofort eine geheime Chiffreschrift ausgearbeitet und ein Beamter des Staatsarchivs, der nachmalige Kriegsrat Karbe, der einen luxuriösen Hausstand, viele Schulden und ein weites Gewissen hatte, bewogen, die Urkunde aus dem Archiv zu entwenden und an einem bestimmten Abend in die Mansarde Siepmanns zu bringen. Eine Summe Geldes und die schriftliche Zusicherung einer Standeserhöhung waren der Lohn.

Siepmann übersetzte während der verabredeten Nacht das Schriftstück, das Karbe beim ersten Morgengrauen wieder abholte und unbemerkt an seinen früheren Platz legte, in Chiffresprache und brachte es in Form einer Denkschrift persönlich zu Brühl. Dieser fuhr damit sogleich zum Fürsten, las ihm die Abschrift des Dokumentes vor, verbrannte sie und legte die Chiffreübersetzung in seine Hände. Wenige Stunden später überschritt Lichtenstein damit die Grenze.

Nach diesem Verrat glich Brühl einem Menschen, dem keine Wahl mehr blieb, als auf dem Wege, den er selbst erkoren, weiterzuschreiten. Er tat es mit vollem Bewußtsein. – Antonie fühlte sich wohl. Sie erkannte, daß die Liebe ihren Gatten zu dem allen getrieben hatte, und betrachtete ihn als eine Staffel für ihren Ehrgeiz. Er hatte schon zu viel gewagt, um nicht noch mehr zu wagen, und wenn Sulkowskys eiserne Konsequenz ihm abging, so konnte sie mit ihrem flammenden Geiste nachhelfen; denn daß er sonst in jeder Beziehung ungleich geschickter war als sein Gegner, davon hatte sie die mannigfachsten Beweise.

Obgleich nun aber Wien, die Königin, die Geistlichkeit den Sockel geschäftig unterminierten, auf dem Sulkowsky stand, war ihm nicht leicht beizukommen; zumal nicht jetzt, wo er die Seele des Polenkrieges war. August III. hielt Sulkowsky fester denn je, hatte ihn sogar zum Fürsten gemacht und ließ sich manches von ihm gefallen; immer noch liebte er die Ruhe über alles und trennte sich von seinen Gewohnheiten nur mit äußerstem Widerstreben. Er hatte nur einen Dämon in der Brust, der, einmal geweckt, ihn wild emporstachelte: den Dämon verletzter Herrschereitelkeit. Welcher Unsinnige hätte den aber wecken wollen?

Solchermaßen hatte inzwischen das neue Kriegsdrama eingesetzt: Stanislaus Leszczynski , heimlich nach Warschau gekommen, war am 21. September 1733 von der nationalen Partei Polens zum König ausgerufen worden. Aber seine Regentschaft blieb nur ein kurzer Traum. Vor einem russischen Interventionsheer nach Danzig flüchtend, traf fast zugleich mit ihm die Nachricht dort ein, daß bereits am 5. Oktober August III., sein von Österreich und Rußland begünstigter Nebenbuhler, zum König gewählt worden war. Am 17. Januar des folgenden Jahres wurde er zu Krakau feierlich gekrönt.

Allerdings war der Thronfolgekrieg damit noch nicht zu Ende. Frankreich, Spanien und Sardinien traten mit den Waffen für Stanislaus ein, und der Hauptschauplatz des Krieges verlagerte sich nach Italien. Hier wurde den Österreichern von den Franzosen Mailand, von den Spaniern Neapel und Sizilien weggenommen, und nur Mantua verblieb ihnen. Auch der alt gewordene Prinz Eugen kämpfte am Oberrhein mit wenig Glück, und bescheidene Erfolge des Herzogs Franz Stephan von Lothringen konnten nicht hindern, daß sein Land von den Franzosen besetzt wurde. Schließlich und endlich mußte sich Karl glücklich schätzen, das siegreiche Frankreich zur Verständigung geneigt zu finden. August III. wurde als König von Polen anerkannt, Stanislaus erhielt Lothringen und Bar, auch die übrigen Beteiligten nahmen und gaben, wechselten Besitzungen aus, schoben Landeskinder hin und her. Das war der Frieden.

Die polnische Nation fand sich mit den unabänderlichen Tatsachen ab und sah nunmehr mit Gespanntheit und Erregung den festlichen Tagen entgegen, die anläßlich des Pazifikationsreichstages der Dresdener Hof nach Warschau zu bringen versprach. Ein feierlicher Gottesdienst in der Schloßkirche, wo August als legitimer König nochmals proklamiert, eine darauffolgende Reichstagssitzung, in der der Treueid noch einmal geleistet werden würde, und ein Ball, dem Adel des Landes gegeben, waren als Höhepunkte der Feierlichkeiten vorgesehen.

Endlich war es so weit! Warschau hatte sich geschmückt wie eine Braut. Volksmassen in Nationaltrachten drängten sich fröhlich auf den Straßen und um die Paläste, aus denen der konstitutionsstolze Adel brillantenfunkelnd nach dem Schlosse zog, um im Reichssaale sich zu sammeln.

Brühl war eben mit seiner Toilette beschäftigt, als Siepmann sich dringend melden ließ. »Mein Gott, was haben Sie denn?« rief er dem hastig Eintretenden entgegen.

»Ich komme mit der Nachricht, Exzellenz, daß heute in der Schloßkirche auf Seine Majestät geschossen werden wird.«

»Siepmann!«, schrie Brühl und taumelte entsetzt zurück, »Siepmann, das ist nicht möglich!«

»Verlassen sich Euer Exzellenz fest darauf! Ich kenne die Verschwörer, bin genau unterrichtet, und alle Beweise liegen in meiner Hand. – Geben Sie mir Vollmacht an den Kommandeur der Garde, daß mir zwei Kompanien zur Verfügung stehen, eine für die Sakristei, die andere zur Besetzung des Hauptportals. Zwei Zeilen von Euer Exzellenz an den Polizeimeister genügen, um mir außerdem die Polizeisergeanten in Zivil zur Hilfe zu geben. – Wir werden ein prächtiges Geschäft bei dieser Verschwörung machen, Exzellenz!«

»Ein prächtiges Geschäft?«

»Natürlich! Niemand außer uns weiß etwas von dem geplanten Attentat. Wird es sich nicht nützlich anlassen, daß wir wachsamer waren als Premier Sulkowsky?«

»Ihr seid ein Edelstein, Siepmann!« – und mit fieberhafter Hast schrieb Brühl die Vollmachten.

»Einen Edelstein, Exzellenz, faßt man in Gold. Ich hoffe, daß man mich befördern und mir die teilweise Leitung des Prozesses anvertrauen wird. Und dann den versprochenen Adelstitel!«

»Alles, Siepmann, alles! Eilen Sie!«

»Bereiten Sie Seine Majestät vor, Exzellenz!«

 

Die Schloßkirche war gedrängt voll. In einer Nebenstraße standen zwei Kompanien sächsischer Garden, russisches Militär bildete am Portal Spalier. Durch die Seitentür drängte sich das Publikum. Kopf an Kopf harrte drinnen die lautlose Menge, und nur der mittlere Hauptgang war durch die polnische Krongarde freigemacht. Um eine Säule war eine Gruppe von etwa zwanzig polnischen Edelleuten geschart, mitten unter ihnen Siepmann. Keiner sprach ein Wort. Sie gaben sich den Anschein, mit einer aufmerksamen, aber stillen Freude des Beginns der Zeremonien zu harren, wenngleich die allzu angespannten und bleichen Gesichter schlecht mit dem allgemeinen Festjubel übereinstimmen wollten. Besonders einer, der junge Ledekusky, zuckte bald in einer nervösen Überreiztheit zusammen, bald verlor er sich mit seinen Blicken in irgendwelchen Fernen. Dachte er in diesen Sekunden des Entrücktseins an seinen Vater, der für Polens Sache in Ketten umgekommen und verdorben war, träumte er von einer neuen Freiheit seines Vaterlandes unter dem glückrauschenden Banner einer sieghaften Demokratie, – krümmte er im Geiste langsam, ganz langsam, ohne Zittern und Zagen, den schießgewohnten Zeigefinger? . . .

Die Glocken sangen ihr Festlied, die Kanonen dröhnten hinein, jubelnd brauste die Orgel auf: der König kam . . . Das Volk reckte die Köpfe und wogte hin und her. Ledekusky schob sich durch die Schar seiner Genossen in die vorderste Reihe. Leise fuhr seine Hand nach der Brust und schob sich unter den alten, mit Schnüren besetzten Pelzrock.

In dem gleichen Augenblick entstand von der Säule her ein Gedränge, das ihn aus seiner Stellung brachte, und als er sich nach der Ursache umwenden wollte, hatten ihn schon Siepmann und zwei Sergeanten fest umklammert, während der dritte ihm Brust und Arme mit vielfachen Stricken umwand. Umsonst suchte der Überraschte loszukommen, umsonst die Hand, die die Pistole hielt, freizumachen. Verzweifelt sah er sich um. Er sah in Gesichter, die die gleiche Verzweiflung ausdrückten: alle seine Genossen befanden sich unter den Händen der Soldaten. Unter Kolbenstößen nach dem Seitenschiff gedrängt, wurden sie aus der Kirche geführt; der letzte, von Siepmann selbst bewacht, war Ledekusky.

Da lohte noch einmal ein helles Glührot des Jugendmutes über das zuckende Antlitz des Todgeweihten. Noch hielt er die Pistole in seinen gefesselten Händen. Er zerrte und schob, er ruckte und dehnte so lange, bis die Mündung der Waffe nach seiner Brust zeigte. »Leb wohl, mein Polen!« hauchte er, und mitten ins Herz traf sein Schuß.

Der König, der mittlerweile zu dem ihm vorbehaltenen Sitz in der Kirche geleitet worden war, erbleichte und sah Brühl fragend an. Der neigte den Kopf und deutete nach dem Pfeiler. Dort stand Siepmann, verbeugte sich lächelnd und machte eine bezeichnende Geste nach der Tür, durch die die Gefangenen abgeführt worden waren. Ins Gesicht des Königs kehrte die Farbe wieder.

Abends erschien Siepmann auf dem Kronballe und wurde von Brühl mit »Geheimer Hof- und Ministerialrat« angeredet.

Das Benehmen des Königs machte es im übrigen offenbar, daß Brühl durch das verhinderte Attentat in seiner Gunst gestiegen war; nichtsdestoweniger schien es nach wie vor Augusts fester Entschluß zu sein, Sulkowsky unverändert in seinen Rechten zu belassen, beide Gegner zu halten, um ihre Anmaßung zu neutralisieren. Herzlich froh war er, das Ereignis zum Anlaß nehmen zu können, aus dem nie sehr geliebten Warschau bald wieder wegzukommen; er kürzte trotz aller Ergebenheitsversicherungen des Adels die Festlichkeiten möglichst ab, war aber erst ganz beruhigt und heiter, als er die Türme seines lieben Dresdens wieder am Horizont emporsteigen sah.

Indessen nahm die Untersuchung des Komplotts ihren Anfang. Siepmann wurde Direktor einer geheimen Kommission zur Eröffnung der Briefe und bewährte wiederum sein Talent in Erfindung einer sicheren Methode, sich ohne Hinterlassung irgendwelcher Spuren in den Besitz des Inhalts aller Korrespondenzen zu setzen. Trotzdem beschränkte sich die wirklich erwiesene Teilnahme am Komplott auf etwa zwanzig junge Leute, die ihr patriotisches Unsterblichkeitsfieber mit lebenslänglicher Festung und Kettenstrafe, drei davon mit dem Tode, büßen mußten. August aber vergaß schon beim nächsten Karneval unter Oper und Schäferspielen die Sorge und Angst, die ihm die neue Königswürde bereitet hatte. Siepmann zeigte seinem Chef an, daß binnen dreier Wochen alles in Warschau beendet sei und er zurückkommen könne. Und somit bewegte sich nun das Leben wieder im gewöhnlichen Geleise.

Sulkowsky und Brühl, die beiden Gegner und Rivalen, gingen eine stille Waffenruhe ein; aber sie umlauerten sich weiterhin, und jeder wartete nur auf die günstigste Gelegenheit, um dem anderen beizukommen.

Geduld war indessen eine Tugend, mit der Antonie Gräfin von Brühl in nicht allzu reichem Maße ausgestattet war, und die Folter des ewigen Abwartens konnte sie nicht lange ertragen; Ehrgeiz und die Rache an Sulkowsky quälten sie bis zur Raserei. Sie konnte die Wunde nicht verschmerzen, die der Pole ihrer Eigenliebe, ihrem Stolze geschlagen, und kein Mittel schien ihr zu schlimm, kein Wagnis zu kühn, um über den Gegner zu triumphieren. Die Macht beider Parteien war jedoch gleich groß; auf dem gewöhnlichen Wege schien nichts mehr zu verfangen. Es mußte zu etwas Außerordentlichem geschritten werden, zu einem »Coup«, bei dem entweder alles zu gewinnen oder alles zu verlieren war. Bei einem solchen Wagestück den Gemahl zu treiben, war nun, wo das langweilige Einerlei des Hoflebens doppelt bleiern auf ihr lag, ihr einziger Gedanke. – Sie hatte ihren Angriffsplan durchdacht und ging zielbewußt zu Werke. Nicht damit begann sie, Brühl durch Kälte abzustoßen oder stutzig zu machen, das wäre ein viel zu direktes Mittel gewesen, – sie verfuhr heimlicher und sicherer.

Antonie von Brühl war nicht über mittlere Frauengröße, aber üppig; sie hatte schwellende Formen, einen zarten, weißen Teint, dunkles Haar, schwarze, feurige Augen und ein Profil, das zwar nicht majestätisch, aber voll reizender Linien und Flächen war, die einen ebenso sinnlichen wie geistigen Eindruck hervorriefen. Sie konnte überaus temperamentvoll sein und wiederum höchst elegisch, sie besaß die Kunst, mit einem Blick Unnennbares zu sagen und mit zwei Worten eine artige Anzüglichkeit in eine Harmlosigkeit zu kleiden.

Sie begann, wie sie sich vorgenommen hatte, ihrem Manne gegenüber eine stille Melancholie zu heucheln. Sie tat, als wenn sie ihn liebe, aber mit jener Passivität, die nimmt und nicht gibt. Es schien, als habe sie nach und nach alle Lebenslust und Entschlußkraft verloren, und kein Geschenk des Gatten konnte sie erfreuen, keine Bitte ihr das Geheimnis dessen entreißen, was sie so verwandelt hatte. »Mein Gott, ich liebe Sie ja, Heinrich«, sagte sie dann etwas matt, aber so süß und weich zu ihm, daß er verliebter wurde denn je.

Oft aber, wenn er von dem stolzen Glücke sprach, als alleiniger Minister Land und Leute zu beherrschen, erglühte das schöne Weib in hellem Entzücken, alle Quellen des Liebreizes und einer verführerischen Zärtlichkeit brachen mit solcher Leidenschaftlichkeit in ihr auf, daß Brühl davor ins Knie sank und sich eingestehen mußte, daß Antonie doch noch heißer, noch ganz anders lieben könne, als sie ihn je geliebt. Hinwiederum wußte sie diese enthusiastischen Augenblicke immer seltener, das Sentiment immer alltäglicher zu machen, daß Brühl, trotz seiner blinden Liebe, bald den Abstand von einst und jetzt merken mußte. Anfangs glaubte er, Antonie sei ihm heimlich untreu oder habe zumindest ihre Neigung im stillen einem andern zugewandt; aber er sah schnell seinen Irrtum ein und kam sich ob der kleinlichen Regungen unbegründeter Eifersucht selber etwas lächerlich vor.

Antonie hütete sich auch wohlweislich, ihren Gemahl eifersüchtig zu machen; denn sie wußte allzu gut, daß dies das ungeschickteste Mittel sein würde, ihre Pläne zu verwirklichen. Brühl hingegen machte sich tausend Gedanken über die Gründe solcher Veränderung im Wesen seines Weibes; er hatte manche schlaflose Nacht darüber verbracht und faßte sich endlich das Herz, mit Antonie ernstlich zu sprechen.

Er trat in ihr Boudoir, das sie wegen einer Unpäßlichkeit schon einige Tage nicht mehr verlassen hatte, und küßte ihre Hand: »Wie befindet sich meine schöne Gemahlin, noch immer leidend?«

»Ach, ich kann es selbst nicht sagen, Graf. Leidend, und auch nicht, wie Sie es nehmen. Ich wünschte, ich wäre ernstlich unwohl, dann könnte ich mich wenigstens mit gutem Gewissen ins Bett legen. Aber mir fehlt eigentlich nichts – oder vielleicht auch alles. Ich bin so leer, so öde, so langweilig! Ich sehe das selbst ein, ärgere mich über mich und bin doch unfähig, es zu ändern. – Es mag vielleicht eine Krankheit meiner Seele sein, die ich nicht verstehe . . . Ach, nicht wahr, ich bin recht unausstehlich, Heinrich? Sie sehen zu spät ein, Lieber, daß Sie eine schlechte Errungenschaft machten, als Sie mich zur Frau nahmen. Mir tut es um so mehr weh, als ich weiß, welchen Anstrengungen Sie sich meinetwegen unterwarfen.«

Brühl hatte sich auf das Sofa neben ihr niedergelassen; seine Hand, mit der er die ihre umfaßte, zitterte leise. »Antonie, wollen Sie mir versprechen, ehrlich und offen zu antworten? – Es ist etwas Fremdes zwischen mir und Ihnen, und ich fühle mit jedem Tage mehr, daß unser Glück sich untergräbt. Antonie, sagen Sie mir offen: lieben Sie mich nicht mehr?«

»Mein Gott, ja, ich liebe Sie, Heinrich. Wem anders denn sollte ich meine Zuneigung zugewandt haben als Ihnen? Oder haben Sie irgend etwas bemerkt, was . . .«

»Nein, Antonie, nein! Nicht das geringste! Aber Sie sind seit einiger Zeit – nicht kälter, nein, stiller, trauriger, passiver gegen mich geworden, und ich zerplage meinen Kopf umsonst, die Ursache davon zu ergründen, an der doch zweifelsohne ich allein schuld sein muß.«

Antonie schüttelte, trübe lächelnd, den Kopf und drückte des Gatten Hand. »Nein, lieber Heinrich, das glaube ich nicht. Sie überschütten mich mit allen Liebesgaben, erschöpfen sich in Zartheit und Güte, und jedes Wort, das Sie zu mir sprechen, jede Ihrer Handlungen beweist mir, wie sehr Sie's wert sind, Liebe zu verdienen und das reinste Glück zu genießen. Ich muß wohl selber schuld sein an meinem Zustand, – aber warum ich's bin, was ich zu tun habe, um anders, besser zu sein, kann ich nicht ergründen. Ich habe mich schon oft und ernstlich gefragt: ›Liebst du deinen Heinrich denn nicht mehr?‹ – und tausend Stimmen riefen mir zu: ›Ja, ich liebe ihn!‹ Ich weiß, daß ich Sie liebe, daß ich niemand anders lieben kann, aber ich fühle, daß ich Sie nicht genug liebe, daß jeder Beweis von Zuneigung, den ich ihnen spenden kann, mit jedem Tage matter ausfällt. Ich sehe mit Entsetzen, daß ich meine Liebe unter den Händen zu verlieren im Begriff bin, ich habe eine unnennbare Angst vor dem unvermeidlichen Tag, an dem Sie, an mir verzweifelnd, mir Ihr Herz entziehen werden. Aber an dem Tage, Brühl, . . . an dem Tage sollen Sie mich ins Grab legen, denn keine Stunde mehr werd' ich nach diesem Unglück leben!« Unter Tränen fiel sie ihm um den Hals und schluchzte: »Mein Gott, mein Gott! wie beklagenswert bin ich doch!«

Bleich, verlegen, verworren, erschreckt vermochte Brühl keinen Gedanken zu fassen, kein Wort zu sagen. Er umfing das schöne, unglückliche Weib, das zusammengebrochen war. Er spürte ihren kurzen, glühenden Atem seine Wangen streifen, er fühlte das weiche, schwellende Heben und Senken der Brust. »O, mein süßes Weib«, stammelte er endlich, »gibt es denn kein Mittel, dich dir selbst und deinem alten Liebesglück wiederzugeben? Bei Gott! – und wenn es die schwerste Arbeit meines Lebens sein sollte, wenn ich dafür ins Elend gehen muß, ich tu's!«

»Ich weiß es nicht, Heinrich!« und sie glitt auf seinen Schoß. »Komm, hilf mir! Laß uns einmal alles erwägen und besprechen! Sieh: in mir ist eine eruptive Kraft, ein Dämon ist in mir, den ich die Sehnsucht des Strebens, des Tatendurstes, des Ehrgeizes nennen möchte, – du aber, Heinrich, bist mein Gegenteil, du fühlst dich im Genießen und Empfinden – vielleicht sogar ausschließlich – wohl! Was nützt es, daß wir einander innig lieben, wenn die Gesetze unserer Charaktere verschieden sind?«

»Ach! Nun begreif' ich dich, mein Weib! – Nein, nein! du hast unrecht! Woher weißt du denn, daß unsere Charaktere verschieden sein müssen? Woher denn, daß ich deinen Ehrgeiz, den Tatendurst, die süße Gier zu herrschen, nicht ebenso stark in mir habe wie du? – O, sprich nicht, ma mignone, ich weiß, was du sagen willst! ›Warum‹, willst du sagen, ›warum, wenn wir die gleiche Charakterbasis haben, ist Sulkowsky nicht schon gefallen?‹ – Antonie, du kennst die Lage der Dinge genau! Sulkowsky und ich stehen zur Zeit so hart aneinander, daß wir keine Waffen gebrauchen können, ohne uns selbst zu verwunden. Kennst du ein Mittel, den Polen zu besiegen? Ein Mittel aber, das mich nicht zum Banditen erniedrigt? Ich werde den Tag nie vergessen, Antonie, an dem Lichtenstein abreiste, – vergiß auch du ihn nicht, süßes Weib, und vertraue mir!«

»Ja, Heinrich, ich vertraue dir! Das alte, selige Gefühl der Liebesfülle lebt wieder in mir auf, die Tat ist's, die mich begeistert. Laß uns in ewigem Tatendurst vorwärts schreiten durchs Leben, wer will uns dann unser Liebesglück zertrümmern? Sulkowsky soll und muß fallen, wir haben es uns am Hochzeitstage zugeschworen!«

»Doch wie, Antonie?!«

»Wag' alles an seinen Sturz, Heinrich! Selbst deinen eigenen!«

»Meinen eigenen? Und du begreifst nicht, Weib, daß du dich selber dadurch vernichtest?«

»Gut denn! Wenn du in Sulkowskys Sturz verwickelt wirst, werd' ich mit dir ebenso stolz die Armut teilen wie Sachsens Herrschaft!« –

Brühl blieb noch lange bei seiner Gemahlin, und als er sie endlich verließ, glühend, beseligt von ihrem Liebreiz, noch den letzten heißen Kuß auf seinen Lippen, stand ein kühner Entschluß auf seiner Stirne, das va banque seiner Zukunft.

Und während Antonie noch vor dem Spiegel stand, sich selbst zunickte und sagte: »Wir sind alle Komödianten, es kommt nur darauf an, seine Rolle recht zu spielen!« – schrieb Brühl schon folgenden Brief:

»Dem Geheimen Hof- und Ministerialrat Siepmann.

Nr. 906. – P.P., lassen Sie alles in Warschau stehen und liegen und reisen Sie mit beiliegendem Paß sofort nach dem Haag. Dort nehmen Sie Quartier und notifizieren mir's. Es gilt die Erwerbung des Adelstitels. – Ihr 118, 502, 712.«

Mit Kurierpferden reiste Siepmann Tag und Nacht, bis er an Ort und Stelle war, und bereits vierzehn Tage nach Brühls Schreiben lief Antwort ein:

»Nr. 907. – P.P., angelangt und einlogiert, wohnhaft am Huiste Kleef. Harre auf Instruktion, die sofort realisiert wird. – Ergebenst 313 121, 515 981.«

»Der Plan ist ganz untrüglich, lieber Heinrich«, sagte an demselben Tage seine Gemahlin mit herzgewinnendem Lächeln. »Rasch, noch heute, senden Sie die Instruktion nach Holland; ich selbst werde sogleich an den Antiquar in Florenz schreiben.« Sie küßte ihn, schlug ihn leicht auf die Wange und lachte: »Was geben Sie noch für Sulkowskys Portefeuille, Premierministerchen? Ich – nicht eine Stecknadel!«

Ereignislos verstrichen zwei Monate; dann kam ein Brief aus dem Haag. Er trug die Nummer 908 und meldete in lakonischer Kürze: »Alles besorgt. Wann soll ich kommen?«

»Sofort soll er kommen, Brühl, sofort! Nun geht’s an die Komödie!« rief Antonie mit leuchtenden Augen.

Siepmann kam sogleich aus Holland zurück. Als er bei Brühl eintrat, fragte ihn der Graf hastig: »Haben Sie die Bestellung genau ausgeführt?«

»Ja, Exzellenz!« Siepmann überreichte ein ganz kleines, schwarzes Kästchen, und Brühl betrachtete eingehend den Inhalt: »Ha, vortrefflich! Gut! Ganz vortrefflich!«

»Ich begreife aber nicht, Exzellenz, daß Sie selbst . . .«

»Ich aber begreife, daß ein kühner Mann alles wagt, sogar sich selbst!« – und sich Siepmanns Ohr nähernd, setzte er hinzu: »Morgen abend bin ich entweder Alleinminister oder ein Nichts von einem Menschen. Doch ich hoffe, es gelingt; denn der König, mein Lieber, hat wenigstens eine Leidenschaft: die Eitelkeit des Herrschens! – Ich danke Ihnen, mein Freund!«

Am Abend des folgenden Tages war der Hof zum Diner beim König versammelt. Die Königin unterhielt sich mit Pater Quarini, der Gräfin Ogilva und der Ministerin Brühl, der König stand plaudernd bei Sulkowsky und seinem natürlichen Bruder, dem Feldmarschall Graf Rutowsky. Graf Broglio, der französische Gesandte, und Kammerherr von Lenke machten der Gräfin Morsinska Komplimente. In einer Fensternische besprachen sich der preußische, österreichische und russische Gesandte, und der alte Klenzel erzählte einigen Generalen und einem Flor von schönen Damen ein pikantes Histörchen.

Brühl und Hennicke befanden sich dem Eingang zum Speisesaal zunächst und ganz abgesondert. »Ich muß Ihnen gestehen, lieber Graf«, sagte Brühl, »daß mir die Lage der Dinge auf die Dauer unerträglich wird. Ich sehe mit jedem Tag mehr ein, wie wenig ich meinem Vaterland und dem Königshause nützen kann. Ich bin endlich mit meinen Bedenken fertig geworden und nach reiflicher Überlegung entschlossen, in den nächsten Tagen um meine Entlassung zu bitten. Ich glaube, Ihnen diese Notiz schuldig zu sein, damit Sie Maßregeln treffen können, bitte aber um Diskretion!«

»Aber, um Gottes willen, lieber Brühl, was tun Sie?« flüsterte angstvoll Hennicke zurück. »Sie lassen mich mitten . . . o Gott . . . Sie verstehen mich doch? Denken Sie sich meine Stellung, wenn mir der Anschluß an Sie im Kabinett genommen wird!«

»Ich muß, Graf Hennicke, ich kann nicht anders! Doch genug davon jetzt; nach dem Diner Weiteres! Treten Sie ein wenig zu den Gesandten, die einen sehr interessanten Gegenstand zu verhandeln scheinen. Ich fürchte, man hat etwas von unserem Gespräch gehört.«

Hennicke hatte nichts Eiligeres zu tun, als Pater Quarini und Gräfin Ogilva mitzuteilen, daß Brühl, des nutzlosen Zuwartens müde, den Dienst quittieren wolle. Eine Minute später wußte es der ganze Hof.

Brühl trat in den Speisesaal: »Rasch, ehe Seine Majestät kommt, holen Sie den silbernen Tafelaufsatz aus der Galerie!«

Die Lakaien flogen von dannen, Brühl war allein. Er trat an das Gedeck des Königs, sah nach der Versammlung, steckte rasch die Hand unter die Serviette, zog sie wieder zurück und schritt dann langsam nach dem anderen Ende des Saales; schon kehrten auch die Diener zurück, um einen prachtvollen silbernen Aufsatz, den Brühl aus Italien hatte kommen lassen, auf der Tafel zu postieren.

Befriedigt ging Brühl in den Salon zurück und trat zu den Gesandten Österreichs und Rußlands, die ihn in letzter Zeit wieder auffallend flattierten. Auf den Gesichtern lag Bestürzung über Hennickes unangenehme Nachricht. »Ich habe soeben gehört, daß ein Mitglied des Kabinetts auszutreten beabsichtigt«, sagte der Österreicher.

»Leider, meine Herren, ist die Nachricht verbürgt, obwohl es nicht ganz diskret sein mag, das Faktum vor dem Faktum zu besprechen . . . Im übrigen: die Majestäten betreten den Speisesaal.«

Der König führte die Königin an den gewohnten Platz in der Mitte der Tafel, die Minister standen gegenüber, die Gräfinnen Ogilva und Brühl neben der Königin, der österreichische, russsische und französische Gesandte neben dem König. Die anderen Geladenen schlossen sich nach der Rangordnung an.

Mit sichtlichem Erstaunen bemerkte der König den kostbaren Aufsatz. »Wie kommt das hierher? Welche Überraschung!« – und er betrachtete mit großem Vergnügen die wertvolle Arbeit, die selbst die stolze Königin reizend fand – »indessen dürfte die Überraschung erst dann ihren höchsten Wert erlangen, wenn wir ihren Urheber kennen würden!« August blickte fragend umher.

»Das ist vielleicht das wertloseste an der Sache, Majestät. Die Arbeit trägt insofern den größten Wert in sich, als ich aus guter Quelle versichern kann, daß sie von Benvenuto Cellinis Hand ist; ich hatte Gelegenheit, die Arbeit in Florenz zu sehen.«

Der König und die Königin sahen Brühl angenehm überrascht an. »Nun, da sich der Spender dieser Aufmerksamkeit nicht nennen will, lieber Brühl, müssen wir uns bescheiden; vergessen werden wir ihn darum nicht!«

Brühl verbeugte sich errötend. Die Majestäten nahmen ihre Plätze ein, der Hofstaat folgte. Es wurde aufgetragen, der König griff nach der Serviette. Da gewahrte er auf seinem Teller ein Kästchen, das er neugierig öffnete: »Noch eine Überraschung?« – Alles war gespannt. Er nahm ein Medaillon heraus, stutzte und wurde rot, sah es noch einmal an und zitterte heftig. Plötzlich sprang er in einem unbeherrschbaren Ausbruch von Wut empor, schleuderte einen grimmigen Blick auf die ihm gegenübersitzenden Minister Brühl, Sulkowsky und Hennicke, und warf das Medaillon zornig zur Erde. Alles war entsetzt aufgestanden. Der König, heftig die Hand Josephas fassend, verließ lautlos mit ihr den Saal. Gräfin Ogilva, Quarini und Kammerherr von Lenke folgten.

Jede Bewegung schien erlahmt. Langsam fand man sich in die katastrophale Lage, und die erbleichten Gesichter kehrten sich einander zu. Der österreichische Gesandte, zu dessen Füßen das Medaillon gerollt war, hob es auf und sah es an. Es trug ein Abbild der sächsischen Krone, die auf den Schultern dreier Männer ruhte, und darunter stand:

Wir sind unserer drei,
Zwei Pagen und ein Lakai.

»Das ist eine Infamie!« rief jemand, »man hat es gewagt, Seine Majestät mit einer beispiellosen Frechheit zu beleidigen!«

Das Medaillon wanderte von Hand zu Hand. Als es an Brühl kam, betrachtete der es mit großer Kälte, zuckte die Achseln und gab es an Hennicke: »Das ist die größte Schmeichelei, die man mir erweisen kann. Sie ist nur unwahr; denn ich wenigstens trage die Krone nicht.«

Eine peinliche Viertelstunde verstrich. Endlich öffnete sich die Tür. Kammerherr von Lenke trat ein: »Herr Graf von Brühl, Seine Majestät befiehlt Ihre Anwesenheit!«

Brühl verschwand. Eine feierliche Stille trat ein. Sulkowsky und Hennicke sahen sich gläsern an.

Plötzlich flog die Tür auf, und Brühl kam zurück. Er war ruhig, als sei nichts geschehen; keine Muskel seines Gesichtes zuckte, als er durch den Saal schritt: »Graf Sulkowsky und Graf Hennicke, ich habe Ihnen im Namen Seiner Majestät anzuzeigen, daß Sie sofort entlassen sind!«


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